Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    "Danke" sagte ich leise, und schloß die Hand um das Focale herum. Ja, es gefiel mir, etwas von ihm zu haben, auch wenn es dem ganzen vielleicht zu viel Bedeutung verlieh... oder? Es fiel mir gerade ausgesprochen schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Massas Haar war dicht neben meinem Gesicht, und das erinnerte mich nur zu sehr an die letzte Nacht. Mein Arm lag noch immer um seine Schultern. Er war ein wenig größer als ich. Durch den dicken Wollstoff hindurch spürte ich die Konturen seines Körpers.
    "Ja... ungewöhnlich." widerholte ich, mit irgendwie trockener Kehle, und nahm diese Erzählung gleich zum Anlass, mich selbst davon zu überzeugen wie fein das Tuch war. Und wie gut sich der Nacken, den es bedeckte, unter meinen Fingerspitzen anfühlte... wenn ich ihn kraulte... Sehr gut! Vorzüglich. Wie war das mit der Disziplin, Faustus? Und der Treue? Nicht Nachdenken... Das verdirbt bloß den Spaß und macht Kopfschmerzen. Ich bekam schon wieder Lust ihn zu küssen... blickte auf seine Lippen, atmete tief ein... sie bewegten sich, formten Worte... was hatte er nochmal gerade gesagt?


    Das Marsopfer. Oh ja, ich lächelte stolz, hocherfreut über das Lob.
    "Danke! Ich war ein bisschen nervös. Bei Mars... da weiß ich nie so richtig. Ich hatte mir früher sogar mal überlegt in den Cultus Deorum einzutreten... Aber als Priester der Venus!" vertraute ich Massa flüsternd an und grinste dabei schalkhaft. Das war allerdings zu einer Zeit gewesen, in der ich sehr experimentierfreudig gewesen war, und gemeint hatte, mich unbedingt von meiner Familie absetzen zu müssen.
    "Du machst das schon. Da habe ich keinen Zweifel." Hatte ich ehrlich nicht. Massa war tapfer, pflichtbewusst und machte eine gute Figur, er war genau so wie ein Decimer sein sollte.... oder, hm...höchstens ein bisschen zu nachdenklich. "Sag mal, wolltest du eigentlich immer schon Soldat werden?" erkundigte ich mich, neugierig ob ich ihn da richtig eingeschätzt hatte.
    Wie zurück?
    "Nein, warte" entfuhr es mir beinahe erschrocken. "Lass uns doch... ein Stück zusammen gehen? Im Intervallum. Wenn du magst. Es ist doch dunkel... stockdunkel. Und der Himmel ist so schön. Und ich kann nicht schlafen. Ausserdem... will ich dir auch noch was geben."
    Widerstrebend löste ich meine Hände von ihm, und betastete die Amulette, die ich um den Hals hängen hatte – das altgediente Ancilium Amulett, das Serapis-Amulett, dann das Fortuna-Amulett. Es war eine kleine Bronzedarstellung der Göttin, im wallenden Gewand und mit dem Füllhorn im Arm. Sie baumelte an einem Lederband. Ich zog mir das Amulett über den Kopf und drückte es Massa in die Hände.
    "Hier, bringt Glück."

    [Blockierte Grafik: http://img337.imageshack.us/img337/1619/ravdushara.jpg] | Ravdushara



    Das Lagerfeuer brannte hell. Ravdushara blickte hinein und sah rote und gelbe Farben, orangene und weiß glimmende, im Herzen der Flammen ein geisterhaftes Blau. Von vorne wärmte es angenehm, von hinten schlich sich die Kälte der Wüstennacht unter seinen Überwurf. Eigentlich stammte er aus einer ganz ähnlichen Gegend, wenn auch nördlicher, doch mit seinen rauhen nomadischen Vorfahren hatte er wenig gemeinsam. Er bevorzugte das komfortable Leben in der Stadt, und hoffte dass dieser Feldzug ganz schnell vorbei sein würde. Und natürlich, dass er ihn heil überstehen würde. Diese grausigen Brandpfeile letzte Nacht, die hatten keine Rücksicht darauf genommen ob einer Soldat war oder Sklave!
    Die Lagerfeuerromantik gerade fand er zwar ganz nett, aber ihm war deutlich bewusst, dass die Soldaten ihn nur in ihrer Mitte duldeten, weil er sie unterhielt. Und kaum holte er mal Atem verlangten sie ungeduldig dass er weitererzählte.


    "Ich würd ja, aber mit trockener Kehle erzählt sich's nicht gut..." gab Ravdushara zu verstehen, und erhielt gleich zwei Becher gereicht. Er trank, leckte sich die Lippen und fuhr fort:
    "Wo war ich stehengeblieben? Der Eseltreiber, ja genau... der Eseltreiber ging zu seiner Frau, arg betrübt, und sprach: 'O Frau, wir haben schwere Schuld auf uns geladen!' Und er erzählte ihr die Geschichte von der wundersamen Verwandlung. 'Die Götter seien uns gnädig! rief seine Frau voll Entsetzen. 'O mögen sich doch Al-Lat, Al-Uzza und Manat unser erbarmen! So haben wir all die Zeit einen Menschen wie ein Tier gehalten!' Und sie klapperte mit den Zähnen vor Furcht, und beide teilten viele Almosen aus!"
    An der Stelle musste Ravdushara immer an die Zeit denken, als er Feldsklave gewesen war – den Göttern sei Dank hatte sie nicht lange gewährt! Aber da hatte man ihn, und die anderen, auch wie Tiere gehalten... und keiner hatte sich darüber entsetzt! Geschichten waren eben... nun ja, Geschichten.


    "Hinfort aber saß der Eseltreiber müßig vor seinem Haus. Darum sprach seine Frau eines Tages zu ihm: 'Genug der Reue! Unser Brot geht zur Neige. Geh auf den Markt und kaufe einen anderen Esel, damit du dich verdingen kannst.' Der Mann tat wie geheißen. Er ging auf den Markt und besah sich die Tiere, blieb vor einem Esel stehen und..." Ravdushara legte eine kleine Spannungspause ein... "Und erkannte ihn wieder! 'Da bist du ja wieder, Bruder Leichtfuß', flüsterte er ihm ins Ohr, 'bist wohl wieder betrunken nach Hause gekommen, was? Recht hat deine Mutter! Du bist und bleibst ein wahrer Esel! Ich werde mich hüten. Dich noch einmal zu kaufen.' Sprach's und ging weiter."


    Mit einer angedeuteten Verbeugung beendete Ravdushara seine kleine Geschichte, freute sich über das Schmunzeln, das er auf die Gesichter seiner Zuhörer gezaubert hatte, freute sich noch wesentlich mehr darüber dass er, nachdem er seine Schale ums Feuer herumgereicht hatte, drei Asse darin fand. Ravdushara sparte jede Münze, die er einnahm, ebenso sein Peculium, und auch die kleinen Summen, die er regelmäßig seinem Herrn entwendete. Eines schönen Tages (in weiter Ferne) würde er sich damit freikaufen können.
    Er ließ die Münzen in seinem Beutel verschwinden, warf einen Blick rüber zu Serapios Zelt. Dort war alles dunkel, der Herr schien friedlich zu schlummern und ihn nicht zu brauchen. Um so besser.
    "Nun ist aber einer von euch an der Reihe. - Ja kennt ihr Rhomäer denn keine Geschichten?"




    Das kam unerwartet. Seine Berührung, das flüchtige Streifen seiner Lippen auf meiner Wange... ich verharrte, mit angehaltenem Atem und klopfendem Herzen. Ich wollte ihn an mich ziehen, ihn festhalten, aber schon hatte er sich wieder abgewandt und ich stand da, mit neu entflammter Begierde, und wünschte mir, es wäre nicht alles so kompliziert.
    Ob ich mich schuldig fühlte? Naja... Das war alles nicht so leicht in Worte zu fassen. Ich hatte mich darin geübt und daran gewöhnt, meine innersten Regungen eher, also jedenfalls viel mehr als früher, für mich zu behalten, und da traf mich Massas Offenheit irgendwie... unerwartet.
    "Ich..." nachdenklich blickte ich zu Boden, dachte an Atons Gedicht und an die Wichtigkeit der Disziplin. "...nein, es war einfach zu gut um es zu bereuen." Ich hob den Blick, begegnete dem seinen. Ein schwacher Glanz, ein Widerschein der Sterne lag in seinen Augen. Ich wünschte echt, ich hätte ihn zu einem anderen Zeitpunkt getroffen.
    "Ach was, gut, ganz furios war es," sagte ich mit bewusst gedämpfter Stimme – Zelte haben Ohren - "und genau das was wir beide gebraucht haben."
    Ich lächelte ihm zu, hatte keine Lust mir da noch weiter Gedanken drum zu machen. Aber dafür, dass Massa es nicht bereute, wirkte er sehr aufgewühlt... ein einziges Chaos? Ich kramte das Focale aus meiner Tasche und wickelte es mir wieder langsam um meine Hand herum. Ja, ich wollte es gerne haben.
    "Es riecht nach dir..." Ich blickte mich um, vergewisserte mich, dass wir alleine waren. Dann tat ich einen Schritt auf ihn zu und legte ihm einfach den Arm um die Schultern, drückte ihn fest. "aber du brauchst es doch selbst, oder... ach, stimmt ja, du hast noch ein anderes." Das war mir vorhin schon aufgefallen beim Opfermahl. "Ich wollte dir auch noch gratulieren, zur Beförderung und zu deinen Torques. Meinen Glückwunsch!"

    "Ich möchte zu bedenken geben, dass diese Männer noch verdammt grün hinter den Ohren sind! Ich halte es für... erfolgversprechender, wenn wir dem Optio auch ein paar erfahrene Soldaten mitgeben. Und von den frischgebackenen Legionären nur die, die ordentliche Reiter sind. Also ein gemischter Trupp sozusagen. Praefectus." widersprach ich recht vehement. Aber hier ging es um Jungs, die gestern allesamt noch Rekruten gewesen waren und nach dem Gefecht vorzeitig zu Legionären erhoben worden waren! Und es ging natürlich auch um Massa.
    Ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass diese Planung hier noch ganz theoretisch war, und wir den Trupp erst und nur dann losschicken müssten, wenn es uns weiter nach Süden verschlug.
    Und natürlich bot so eine Mission auch die Chance seinen Mann zu stehen und sich Meriten zu verdienen. Zurückhalten wollte ich meinen schönen Vetter nicht, aber ihn in einer Gruppe loszuschicken, die, bis auf den Optio, grün wie Sommergras war, das fand ich fahrlässig.

    Dann die Passage über den Prozess – das war ja merkwürdig. Andererseit gut zu wissen, dass wenigstens einer der Richter integer war, und nicht zu dem Klüngel gehörte, der da gegen uns intrigierte.


    "...ich frage mich, wie das Leben wohl wäre im Ansinnen, der Begierde nur nachzugeben – kurz und heftig, oder endlos erfüllt?" flüsterte ich leise seine Worte vor mich hin. Das fragte ich mich auch... Ich hatte es mal ausprobiert und war tief abgestürzt, so richtig tief, ohne Livianus wäre ich wahrscheinlich nicht mehr auf die Beine gekommen. Aber vielleicht war es doch möglich, auf eine eher..... genießerische, weniger zerstörerische Weise?
    "...So hehr ist deine Meinung über meinen Geist, dass gerade darin wohl die Antwort muss liegen, dass die Tiefe des Lebens mir auf ewig wird verborgen bleiben..."
    Ich kniff die Augen zusammen, las es nochmal, rieb mir unschlüssig den Nacken. Manius' Gedanken waren so komplex, seine Formulierungen so feinsinnig... dass ich ihm leider nicht immer folgen konnte.
    Traurig kam ich zu den Abschiedsworten... und strich mit den Fingerspitzen lächelnd über die ungelenke, in ihrer menschlichen, authentischen Unvollkommenheit so liebenswerte Unterschrift.
    Aber da war ja nochwas. Ein Gedicht. Von ihm? Für mich? Es hatte noch nie jemand ein Gedicht für mich geschrieben!


    Zu fern deiner Augen Glühen
    gleich nächtlichem Sternenglanz.
    Zu fern deiner Stimme Lachen
    gleich der Wolken Sturmesklang.
    Nah an meinem Herzen nur Sehnsucht,
    Erinnerung an den Meditrinalientanz,
    Sehnen nach deines Leibes Feuer,
    entzündet an der Satyren Gesang.


    Deinen Nektar wollte ich kosten,
    dich mit Haut und Haaren verspeisen.
    In deinen Sinnen wollt' ich ertrinken,
    so unendlich war meine Gier!
    Nun hält dich die Ferne gefangen
    und das Herz will mir zerreißen.
    Nun muss ich elendig verdursten
    und sterbe an Hunger nach dir!


    Bei Eros und Anteros! Ich schmolz dahin. Das war das schönste Gedicht der Welt!! Ich musste so schnell wie nur möglich zurück nach Rom...

    Hatte er mich bemerkt? Er blickte in meine Richtung, aber nein, ich stand gut verborgen, und sicher blendete ihn das Feuer... Aber ein bisschen komisch kam ich mir doch vor, hier im Dunkeln zu stehen und zu lauschen und lauern wie irgend so ein Spinner. Auch wenn ich schon gerne gewusst hätte wie die Geschichte weiterging – der Dieb musste doch noch seiner gerechten Strafe zugeführt werden!
    Massa stand auf und entfernte sich vom Feuer. Da musste ich nicht lange überlegen, ich zog mich ein Stück zurück, schlug einen Bogen um die Zelte und ging ihm nach. Ganz langsam, meine Augen mussten sich erst wieder an die Dunkelheit gewöhnen. Ich näherte mich... - lautlos, wie ein Jäger, der sich an ein scheues Wild heranpirscht... - naja, ehrlich gesagt eher wie jemand, der einen Metallharnisch trägt und dessen Schritte im Sand knirschen.
    Er war stehengeblieben und sah zum Himmel. Schemenhaft, im schwachen Sternenlicht zeichneten sich die Umrisse seiner Gestalt ab. Ein schöner Anblick. Ich scheute mich irgendwie, ihn zu stören, nachdem er mir am Morgen doch ziemlich die kalte Schulter gezeigt hatte wusste ich einfach nicht woran ich war. Ausserdem... naja, kompliziert eben.
    "Massa" sprach ich ihn beinahe schüchtern an, während ich zu ihm trat, "...ich... ähm... ja also... Ich hab da noch was von dir."

    Ach...! Ich seufzte andächtig. Das war der schönste Brief der Welt! Weihevoll wogte mein Innerstes auf...
    "O Manius..."
    So fern... Träumerisch stützte ich den Kopf in die Hand, las die Zeilen wieder und wieder, flüsterte sie vor mich hin, wie Zauberformeln... Ja, und es lag ein Zauber darin, Magie, die, der unvorstellbaren Entfernung nicht achtend, ein Band zwischen uns knüpfte. Geliebter Heroe... ich lächelte, ein ganz klein wenig belustigt, dass wirklich ich damit gemeint war, aber vor allem glücklich. So überlebensgroß wie das alles war... wollte ich gern ein Heroe sein, für meinen göttlichen Geliebten.
    "...deine Worte zu vernehmen, wieder und wieder ihren süßen Klang mir einzuverleiben, mit allen Sinnen sie zu verschlingen, in ihnen zu wiegen meinen Geist, zu wälzen meinen Verstand im kläglichen Versuche deiner habhaft zu werden, ein wenig der devastativen Sehnsucht nach dir zu mindern, welche tagtäglich mich in ihrer bittersüßen Qual gefangen hält..." wiederholte ich ehrfürchtig, und:
    "...wie sonst sollte dies ungebärdige Sehnen, dies torquierende Drängen zu erklären sein, wenn nicht um zu einen, was zusammen gehört? Könnte ich nur einen Hauch deinerselbst atmen, könnte ich ein Bruchstück deines Leibes spüren neben mir, könnte ich ein Flüstern deines Herzschlages vernehmen, nimmermehr wollte ich ein halber Mensch nur sein!"
    Das Nagen des schlechten Gewissens meldete sich zurück. Wie konnte ich nur, angesichts solch einer exzeptionellen, weit über die Niederungen des alltäglichen Lebens hinausragenden Seelenverbindung... wie konnte es mich da bloß nach anderen gelüsten?
    Ich fühlte mich unwürdig.
    Aber Manius war in Rom - in ROM! Und ich hier... und Sklaven zählten nicht, und man musste schon blind sein, um nicht zu bemerken wie unverschämt attraktiv Massa war, und... Pah! All meine vernünftigen Gründe, die eindeutig bewiesen, dass solch eine lange Abstinenz Blödsinn war, sie verblassten vor dem gleissenden, alles überstrahlenden Licht, das wir uns da erschaffen hatten, sie wurden zu banalen Ausreden. Nein, zu einer Liebe, die so episch war, da mußte es dazugehören, sich zu verzehren, zu verschmachten, und andere keines Blickes zu würdigen, EGAL wie weit die Distanz, GANZ GLEICH wie lang die Trennung.
    Zerknirscht starrte ich auf das Pergament.


    Aber was wenn.... auch ein bisschen... künstlerische Freiheit dabei war, bei diesen Worten? Manius war ein Künstler, im Geiste, im Wort. Damals bei Hannibal hatte ich alles für bare Münze genommen was der mir schrieb, und meine Rückkehr war zu einer katastrophalen Enttäuschung geworden. Natürlich war Manius ganz, ganz anders, aber...
    Vor meinem inneren Auge sah ich ihn, in seiner Prunkvilla, umgeben von den exquisitesten Sklaven, auf der Palaestra, mit eingeölten Athleten ringend, auf den rauschenden Festen der vornehmen römischen Gesellschaft, auf vergnüglichen Symposien, er, der elegante Aristokrat, der geistreiche Senator, der charmante Verführer, umschwärmt von Scharen junger Männer... Wie er wohl... dieses Jahr... die Meditrinalien verbracht hatte??!
    Wieder bei Suavis?
    Ein galliger Funken Eifersucht glomm in mir auf, bei diesem Gedanken.

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    "Weiter!" befahl ich, als die Gefangenen ihre Schritte verlangsamten, und irgendwas miteinander zu tuscheln schienen. Wahrscheinlich waren sie mächtig beeindruckt von der Castra, ja, so ein ordentliches Heerlager, das ist schon was wenn man sonst in... Ziegenhautzelten? Höhlen?... oder was auch immer haust.
    Es war etwa anderthalb Horae nach Sonnenaufgang, am zweiten Morgen nach dem nächtlichen Gefecht, und die Frühpatrouille der ich mich angeschlossen hatte, war 'ertragreich' gewesen. Auch wenn ich mir nicht sicher war, was genau wir uns mit diesem Pärchen denn da eingefangen hatten... ich hoffte es im Lager herauszufinden.
    Ein süßlicher Geruch wehte uns an, als wir die Ebene vor der Castra durchquerten. Es war Zeit, dass wir weiterkamen, die Kadaver der Angreifer, die da noch immer herumlagen begannen üble Miasmen auszudünsten.
    Durch die Porta Praetoria gelangten wir in die Castra, der Eques und ich zu Pferd, zwischen uns die beiden Gefangenen zu Fuß. Unsere Ankunft erregte natürlich das Interesse der Soldaten, und die beiden Fremden wurden mit feindseligen, die Frau auch mit gierigen, Blicken und abschätzigen Kommentaren bedacht.


    Ich hielt auf den "Feldherrenhügel" im Zentrum zu, machte vor der Principa halt und schwang mich vom Pferd. Dort war ein Sonnensegel aufgespannt, und ich machte den Gefangenen Geste sich da im Schatten hinzusetzen. Der Eques postierte sich breitbeinig neben ihnen. Ich ließ dem Präfekten Bescheid geben und schickte nach den Dolmetschern. Und auch nach Thabit, vielleicht verstanden die beiden ja Ägyptisch.
    Angesichts der ausgehungerten Blicke eben, dachte ich mir, dass es wohl besser wäre, die Frau von besonders vertrauenswürdigen Soldaten bewachen zu lassen. Darum schickte ich gleich noch einen Laufburschen los, um sich auf die Suche nach dem Optio Septimius Palaemon und den Legionär Decimus Massa zu machen und sie hierherzuholen.
    Während wir warteten, brachte uns ein Soldat einen großen Wasserschlauch, der im Sand vergraben gewesen war und dessen Inhalt noch angenehm kühl war. Ich trank in tiefen Zügen. Herrlich. Dann gab ich den Schlauch dem Eques, und weil ich kein Unmensch war reichte ich ihn auch an die Gefangenen weiter.

    Ausgerissen.
    "Ach herrje."
    Das überforderte mich jetzt. Ich sank auf eine Kiste und betrachtete Thabit halb verärgert, halb amüsiert.
    "Thabit... das... das geht doch nicht! Auch mit Nachricht macht sie sich sicher viele Sorgen. - Und das hier... also ich weiß nicht wie du dir das vorstellst, aber das hier ist ein Feldzug. Da sterben Menschen."
    Nach der ersten Wiedersehensfreude, fühlte ich jetzt vor allem die Verantwortung, die ich für den Jungen trug. Es rührte mich, dass er so anhänglich war, und ich hatte ihn wirklich gern, aber ich wollte doch nicht dass ihm was passierte. So tollkühn wie er war.
    "Eigentlich... sollte ich dich auf der Stelle zurückschicken!!" sprach ich, um eine strenge Miene und einen autoritären Tonfall bemüht. Dieses schelmische Blinzeln war aber doch zu drollig, und ließ mich beinahe, aber nur beinahe, wieder schmunzeln. Überhaupt fiel mein Protest nicht sehr überzeugend aus, schließlich war ich selbst mit sechzehn von zu Hause ausgebüxt, und ich erinnerte mich noch gut daran wie extrem erwachsen ich mir zu diesem Zeitpunkt vorgekommen war. Aber ich war nach Rom gegangen, wohlgemerkt, und nicht in den Krieg. (Naja, jedenfalls nicht sofort. Aber bald darauf.)
    Ich seufzte ungnädig. Zurückschicken fiel sowieso aus, bei so einer Vexillatio, einsam in der Wüste, war es ja noch viel gefährlicher als hier beim Hauptheer. Somit hatte ich nicht wirklich eine Wahl.

    Hin und wieder – wie zum Beispiel jetzt – hatte ich den Eindruck, dass auch in solchen wirklich wichtigen Besprechungen gehörig aneinander vorbei geredet wurde. Da hatte ich versucht, mich an der diplomatischen Mission ins Blaue vorbeizuwinden, indem ich anbot, die Späher zu koordinieren, mich aber wohl zu unklar ausgedrückt, denn die anderen am Besprechungstisch schienen das alle so verstanden zu haben, dass ich mich freiwillig für die vorderste Reihe an der Kundschafterfront gemeldet hatte, und versuchten nun mich zu übertrumpfen, oder jedenfalls nicht zurückzustehen.
    Verwirrt lehnte ich mich zurück, rieb mir den Nasenrücken. Es war einfach zu heiß, und wir hatten alle zu wenig Schlaf bekommen. Mit einer Wachstafel fächelte ich mir etwas Luft zu. Septimus? Ach so, Septimius. Es wäre jammerschade, solch einen soliden Centurionen-Kandidaten zu verlieren, aber ich konnte ihn mir von allen, die mir so in den Sinn kamen, tatsächlich am besten als Diplomaten vorstellen.
    "Optio Septimius Palaemon? Aber ja. Er ist besonnen und verlässlich. Der macht das sicher gut."

    Gewalt war die Lösung. Es war zwar nicht schön anzusehen, aber bei so Abschaum hatte ich da keine Skupel. Den Kaiser beleidigen! Und uns alle dazu! Ich presste die Lippen zusammen, versuchte meiner Empörung Herr zu werden! Schließlich ging es hier darum die Wahrheit herauszufinden, nicht um mich. Das fleischige Klatschen, mit dem die Pranke des Miles das Schandmaul traf, verschaffte mir aber doch ein warmes Gefühl der Genugtuung. Und siehe da: der Lump begann zu singen. Menecles... ja, es war zu erwarten, dass er versuchen würde soviel Schuld wie möglich auf dieses Subjekt abzuschieben.
    Ich hob die Hand und gebot meinem Schläger, der schon wieder ausholte, für den Augenblick innezuhalten.
    "Gemach, Miles" sprach ich lässig, "aber wenn er wieder halsstarrig wird, dann kannst du gleich weitermachen!"


    Dann knallte ich meine Hände auf den Tisch, beugte mich vor und fixierte den Perser mit hartem Blick, bedrängte ihn mit einer Reihe schneidender Fragen, die ich in schneller Folge auf ihn abschoß, versuchte ihn am Reden zu halten, es sollte ihm keine Zeit bleiben sich neue Lügen auszudenken. (Wobei diesen schmierigen Schakalen das Lügen ja im Blut liegt.)
    "Menecles, ah ja. Was für eine Feier?! Wann war das?! Wo? Wer hat sie veranstaltet?! - Und WER hat dich angesprochen? Und wie war der GENAUE Wortlaut?! - Und für wen hast du den Kontakt hergestellt? FÜR WELCHE PERSON?! Namen, Bagaeos, NAMEN! und zwar JETZT auf der Stelle, oder du verlässt diesen Raum als geschundener Krüppel!!"

    Im tiefen Schatten eines Zeltes stand ich und lauschte. Was hätte ich in dem Augenblick dafür gegeben, mich ganz normal dazusetzen zu können. Aber das ging nicht. Selbst mein früherer Centurio Flavius Aristides, der ja ausgesprochen locker, manchmal sogar lax gewesen war, hatte immer darauf geachtet, die Distanz zur Mannschaft einzuhalten. Und allein die Vorstellung, dass der Primus Pilus Artorius Avitus jemals mit den Milites gregarii zusammen gemütlich am Lagerfeuer gesessen hätte, war absurd. Und auch mein Vater, den ich in dieser Hinsicht um Rat gebeten hatte, hatte mir ausdrücklich geschrieben: 'Hier ist es wichtig eine klare Grenze zu ziehen'. Wehmütig dachte ich an die Zeit zurück, als ich abends mit meinen Contubernales zusammen ums Feuer gesessen hatte... wobei ich ausblendete, dass sie mir zeitweise auch ganz schön auf die Nerven gegangen waren. Musca, der sich so gerne reden hörte, Silio mit dem unübertroffenen Ego, und Rupus' unerträgliche Schnarchkonzerte...


    Ich schob meine Kapuze zurecht, verschränkte die Arme vor der Brust und blieb stiller Beobachter. Ravdushara erzählte lebhaft. Mit einer gewissen... Ernüchterung nahm ich wahr, dass er in dieser Runde viel unbeschwerter, viel schillernder wirkte, als wenn er mit mir zusammen war.
    Dort am Feuer erblickte ich auch Massa, und unwillkürlich atmete ich tiefer ein... Er hatte die Augen geschlossen, und sah ganz... in sich ruhend aus. Fast verträumt. Der rote Schein meißelte sein Gesicht malerisch aus der Dunkelheit, betonte die hohen Wangenknochen.
    Meine Hand wanderte zu der Gürteltasche, in der ich noch immer sein Focale mit mir herumtrug. Ich hatte heute keine Gelegenheit gefunden, es ihm unauffällig zurückzugeben, und dazu kam, dass ich inzwischen eine gewisse.. naja, Verlegenheit ihm gegenüber verspürte. Wegen meines Mangels an Disziplin. Und so.

    [Blockierte Grafik: http://img337.imageshack.us/img337/1619/ravdushara.jpg] | Ravdushara


    Na also. Ravdushara ließ sich nicht lange bitten.
    "Wer bist du?!' rief also der erschrockene Eseltreiber, und der Dieb erwiderte: 'Ich bin dein Esel. Wisse, o Herr, ich war ein Leichtfuß und liebte den Wein..." An dieser Stelle stibitzte Ravdushara, ganz seiner Rolle entsprechend, dem neben ihm sitzenden allzukritischen Soldaten den Becher und nahm einen tiefen Schluck.
    "He!"
    Übermütig grinsend reichte der Sklave den Becher zurück.
    "..und liebte den Wein. Einst kam ich trunken nach Hause. Es war spät in der Nacht! Meine gestrenge alte Mutter rief:" und Ravdushara verstellte die Stimme, und keifte wie ein altes Weib: "O du Lump von einem Sohn! Es wird Zeit dass du dich besserst und etwas anständiges aus deinem Leben machst!' Sie nahm einen Stock und schlug mich. Und da ich mich wehrte verwünschte sie mich und verwandelte mich in einen Esel. Und als Esel diene ich dir seitdem. Heute aber, da hat sie meiner mit Rührung gedacht und mir verziehen, und siehe, ich bin ein Mensch wie zuvor!"
    Da rief der Eseltreiber: 'Bei Baal-Nessana und al-Lat, bei Manat der Erlauchten und al-Uzza der allerhöchsten Herrin! Am Zügel habe ich dich geführt, und wie ein Tier mit Säcken beladen und getrieben. Verzeih mir meine Schuld Bruder! Verzeih!!"

    Flehentlich rang Ravdushara die Hände – dann straffte er sich und sprach mit Grandeur: "Dir sei verziehen.' sagte der Dieb. Und er machte sich davon. Lassen wir den Schelm und bleiben bei dem Eseltreiber..."




    Mit Verwunderung sah ich, dass bei diesen beiden anscheinend die Frau diejenige war, die bestimmte was getan wurde. Sie machte einen klugen Eindruck, deutete meine Gesten richtig. Es war – auch wenn die zwei nicht gerade bedrohlich erschienenen – übrigens ein angenehmes Gefühl, zu sehen wie sie ihre Waffen niederlegten. Denn man kann doch mit Fug und Recht sagen: wenn die Barbaren uns Römern ihre Waffen gehorsam zu Füßen legen, dann ist die Welt noch in Ordnung.
    Auf meine Aufforderung hin schwang sich der Miles zu meiner rechten (der mit dem Wüstenblumen-Kommentar, ich wusste gar nicht wie er hieß) vom Pferd und hob die Waffengürtel auf, hängte sie an seinen Sattelknauf. Einen Moment erwog ich es, die beiden einer genauen Durchsuchung zu unterziehen, aber nein, so eingeschüchtert wie sie offensichtlich (und zurecht) waren, angesichts unserer römischen Überlegenheit in jeder Hinsicht, würden sie es gewiss nicht wagen, uns irgendwelche Waffen zu verheimlichen. Da vertraute ich ganz auf meine Menschenkenntnis!
    "Pergite!" sprach ich, nickte auf die fragende Geste der Frau hin, und gebot den beiden mit einer auffordernden Geste, sich in Bewegung zu setzen. Im Schrittempo ritten wir auf die Castra zu, mal vor, mal neben unseren Gefangenen. Entkommen konnten sie uns sowieso nicht.


    Als wir den nächsten Dünenkamm erreicht hatten, zog ich eine kleine Pfeife aus der Tasche, setzte sie an die Lippen und blies zweimal kurz. Die Triller durchschnitten die Stille der Wüste fast schmerzhaft schrill, und die Pferde, obschon daran gewöhnt, spielten nervös mit den Ohren und schienen unter dem Signal wirklich zu leiden. Ich wiederholte es noch einmal, und nach kurzer Zeit stießen die beiden anderen Equites wieder zu uns. Knapp informierte ich den Duplicarius über die Gefangennahme und schloß: "... gewiss haben sie ein Lager in der Nähe. Duplicarius, ihr drei kehrt zu dem Ort zurück, wo wir sie aufgegriffen haben, und kundschaftet die Richtung aus, in die sie geflohen sind. Im Anschluß verfolgt die Spur zurück, möchte doch wissen wo sie sich rumgetrieben haben. Agite."
    Der Duplicarius vorneweg, die anderen beiden ihn flankierend, verschwanden sie zwischen den Dünen. Zurück blieben die Gefangenen, Miles Kommentator und ich.
    "Weiter." Ich deutete erneut auf die Castra und versetzte meinem Fuchs einen leichten Schenkeldruck.


    >>



    edit: Link

    [Blockierte Grafik: http://img337.imageshack.us/img337/1619/ravdushara.jpg] | Ravdushara


    "Es war einmal", so hatte Ravdushara seine Erzählung begonnen, "in meiner Heimatstadt Nessana, ein Eseltreiber. Einst ging er auf der Straße, die Zügel seines Esels in der Hand und zog ihn hinter sich her. Zwei Diebe sahen dies, und der eine sagte zum anderen: 'Ich werde diesem Mann seinen Esel stehlen!"
    Flink und gerissen war der Dieb, und Ravdushara verwandelte sich förmlich, als er diese Rolle sprach, seine Augen funkelten durchtrieben, huschten umher, seine Lippen spitzten sich schlau, die leicht geduckte, lauernde Haltung, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, spiegelte den mit allen Wassern gewaschenen Gauner wider. Einige der Männer, die sich um ihn herum versammelt hatten, schmunzelten schon jetzt. Ravdushara fuhr fort. Hier war er ganz in seinem Element, fabulierend, die anderen in seinen Bann ziehend, und nichts zeugte von dem gärenden Groll den er sonst mit sich herumschleppte. Auch dass sein Herr unerkannt näher getreten war, bemerkte Ravdushara nicht.
    "Wie willst du das anstellen?!' fragte der andere. 'Folge mir, und du wirst sehen!' erwiderte jener. Er ging zu dem Esel, nahm ihm mit flinken Fingern sein Zaumzeug ab, gab den Esel seinem Freund, schirrte sich Zügel und Zaum um seinen Kopf und ging hinter jenem Mann her, bis der andere mit dem Esel um die Ecke verschwand. Dann blieb er stehen. Der Eseltreiber zog an, der Dieb aber rührte sich nicht von der Stelle. Da drehte der Eseltreiber sich um, und als er sah, dass er einen Menschen am Zaum führte, da rief er sehr erschrocken: 'Wer bist du?!"
    Der Eseltreiber war tumb. Ravdushara sprach ihn schwerfällig, rollte mit den Augen, verzog sein Gesicht zu amüsanten Grimassen und erntete die ersten Lacher. Aber auch ein Kritiker hatte sich unter die Zuhörer gemischt.
    "Na ich weiß nicht, kann mir nicht vorstellen, dass das funktioniert." mäkelte der Soldat.
    "Er war eben ein Meisterdieb." erwiderte Ravdushara hoheitsvoll. Er rückte näher ans Feuer und wärmte seine Hände. "Wollt ihr hören was weiter geschah?"




    "Litatio! Mars ist mit uns!"
    Die Hände noch tief vergraben in den blutigen Eingeweiden, blickte ich in die Gesichter der Soldaten. Erleichterung stand darin geschrieben, und Jubel erhob sich.
    "Mars mit uns! Keine Gnade!"
    Der Schlachtruf des Präfekten erschallte aus fünftausend Kehlen, dröhnte über die Wüste. Aber irgendetwas stimmte nicht...
    Da war Bewegung unter meinen Händen. Maden krabbelten, Würmer wanden sich um meine Finger. Verwesung stieg mir süßlich in die Nase, und da bemerkte ich, dass die Eingeweide des Stiers ganz schwarz und verrottet waren. Panisch zuckte ich zurück, zog meine Hände aus der wimmelnden Fäulnis. Und dann wurde mir auch klar, was mit den Soldaten nicht stimmte... alle schrien sie den Schlachtruf, alle hatten sie die Klingen gen Himmel gereckt... aber zwischen den lebenden, von der Hitze und der Aufregung geröteten Gesichtern, erblickte ich hier und dort welche, die bleich und knochig waren. Leere Augenhöhlen, zum Wüstenhimmel gerichtet, Skeletthände, die die Gladii hochielten...
    Meine Kehle wurde eng und enger... sie schienen es gar nicht zu bemerken. Also, dass sie schon tot waren. Ich wollte den Blick senken... mich vergewissern, dass mit meinen Händen alles stimmte... aber da war die grauenvolle Ahnung, dass auch meine Hände.... betroffen waren.
    Nicht nach unten sehen......
    NICHT, auf keinen Fall....
    nach unten sehen...!!




    Ich erwachte mit jagendem Puls, und ganz verschwitzt. Unwillkürlich hob ich sofort meine Hände vors Gesicht – es war alles in Ordnung mit ihnen. Aber der Albtraum ließ sich nicht so leicht abschütteln. Ich schlug die Decke zurück, rollte mich auf die Seite. Durch die Nähte des Zeltes schimmerte schwach der Schein der Lagerfeuer, und an meine Ohren drangen Wortfetzen, Becherklirren, das Knacken von Holz in der Glut. Alles ganz lebendige Geräusche. Ich war früh zu Bett gegangen heute, am Abend nach dem Marsopfer, und daraus, dass es offenbar noch vor dem Zapfenstreich war, schloß ich, dass ich nur ganz kurz geschlafen hatte. Schwerfällig setzte ich mich auf. Mein Bett war so leer... Und einen schlechten Geschmack hatte ich im Mund, und mein Nacken war steif. Ich massierte ihn mit den Fingerspitzen. Blöder Albtraum. Ich fühlte mich elend, hatte Angst mich wieder hinzulegen und wieder zu träumen, nicht viel anders als früher, als ich ein kleiner Junge war. Wie jämmerlich, Faustus. Ein schöner Tribun bist du... Ich verzog das Gesicht, fröstelte in der Kälte der Wüstennacht. Damals, früher, hatte ich in solchen Fällen eine sichere Zuflucht im Bett meiner großen Schwester finden können. Das ging heute allerdings nicht mehr.
    Ich beschloss einen Gang durchs Lager zu machen, um auf andere Gedanken zu kommen. Entzündete mir eine Öllampe, kleidete mich an und rüstete mich, legte die Gürtel um, zog mir meine alte Paenula über. Die besaß ich schon seit meinem Eintritt in die Legion. Sie war aus dicker, verfilzter Wolle, alles andere als repräsentativ, aber dafür viel wärmer als meine schicken Offiziersmäntel.


    Steifbeinig trat ich vors Zelt, atmete tief die frische Nachtluft. Ein unglaublicher Sternenhimmel wölbte sich über dem Lager. Ich legte den Kopf in den Nacken und betrachtete staunend die verschwenderische Pracht da oben am Firmament. Dann schlang ich die Paenula enger um mich, zog die Kapuze über den Kopf, so dass ich in der Dunkelheit, jedenfalls auf den ersten Blick, so gut wie incognito war, und ging langsam weiter, vorüber an einem großen Lagerfeuer, an dem eine Gruppe von Soldaten zusammensaß. Einer wandte mir das Gesicht zu – und einen Moment lang glaubte ich, einen Totenschädel zu sehen... Ich zuckte zusammen, mir stockte der Atem! Aber es war nur das Schattenspiel der Flammen, das die Konturen seines Gesichtes so merkwürdig verfremdet hatte. Das, und meine überspannte Phantasie! Verdammt. Ich beschleunigte meine Schritte.


    Ein paar Feuer weiter erblickte ich meinen Sklaven. Er saß auf einem umgedrehten Eimer und erzählte gerade irgendetwas, mit weitausholenden Gesten und lebhafter Stimme. Eine Handvoll Soldaten und Trossleute hatten sich um ihn gescharrt und lauschten aufmerksam. Auf der Suche nach Ablenkung, und auch etwas neugierig worum es da wohl ging, trat ich ganz still und leise näher.

    Die Stabsbesprechung war vorüber, und ich machte mich auf, eilte hierhin und dorthin, von den Altar-Aufbauern zu den Schmieden, von den Stier-Schmückern zu den Grillbeauftragten, kreuz und quer durch die Castra, um sicherzugehen, dass die Vorbereitungen für die Opferzeremonie auch glatt liefen. Dann fiel mir ein, dass ich mich ja noch umziehen musste. Und meinen Text musste ich auch unbedingt nochmal durchgehen. Im Laufen blickte ich nervös auf die Tabula, wo ich mir das wichtigste notiert hatte, bewegte stumm die Lippen - und wäre beinahe über eine Zeltschnur gestolpert. Bona Dea, ich sollte mich nicht so konfus machen!


    Geistig schon ganz bei der bedeutsamen Aufgabe, die vor mir lag, und leise vor mich hin murmelnd "...gut, umziehen, rüsten, Anrufung einprägen... hmm... wer bringt eigentlich das Opfermesser mit...?", trat ich in mein Zelt.
    Wo ich auf einen unerwarteten Gast traf!
    "Thabit?!" rief ich bass erstaunt. "Du hier?!"
    Ihn hatte Collatinus also gemeint, nicht Pankratios. Aber Thabit war doch kein Sklave.
    "Mein Fortunabote..." Mit einem breiten Lächeln beugte ich mich zu ihm, wollte ihn eigentlich in die Arme schließen, was mir dann aber ein bisschen arg gefühlig vorkam, so dass ich es in ein herzliches Umfassen und Drücken und Klopfen der Schultern umwandelte. Ich hatte den Jungen einfach ins Herz geschlossen. Ich meine, wer würde das nicht, und dazu kam die schicksalshafte Weise auf die wir uns begegnet waren.
    Und jetzt saß er hier - und putzte meinen Harnisch? So fleißig! Dabei war das doch eigentlich Ravdusharas Aufgabe.
    "Was bin ich froh zu sehen, dass es dir wieder gut geht."
    Ich unterdrückte den Impuls, ihm durch Haar zu wuscheln – so klein war er ja nun auch nicht mehr. Genaugenommen war er so gut wie erwachsen, aber ich fand, dass er jünger wirkte.
    "Aber sag mal..." fragte ich dann, mit einem Anflug von Beklommenheit, "...hat Pontia das denn erlaubt?" Meine Haushälterin war streng, und es war nicht ratsam, sich ihren Unmut zuzuziehen.

    Während Collatinus sich ein großes Stück Brot abriss und mit vollen Backen zu mampfen begann, kam der Präfekt wieder auf das vorige Thema zurück. Dass er mich dabei so direkt ansah, das beunruhigte mich schon ein bisschen – denn diese Missionen, um die es da ging, die konnten im Handumdrehen zum Himmelfahrtskommando werden. Klar, meine Kohorte war am jüngsten und damit auch am entbehrlichsten. Aber normalerweise oblagen solche Aufgaben doch der Reiterei. Ich rang mir eine unerschrockene Miene ab.
    "Ähm... ich habe durchaus einige fähige Soldaten in meiner Kohorte, die gute Reiter sind und unsere Equites bei diesen Aufgaben unterstützen können. Schließlich haben wir noch ein paar Pferde übrig."
    Es waren nämlich mehr Reiter als Pferde gestorben oder schwer verletzt worden, letzte Nacht.
    "Und ich will es gerne übernehmen die Kundschafter zu koordinieren, Praefectus."
    Hoffentlich war ich damit aus dem Schneider... ich war nicht besonders scharf darauf, mich bei irgendwelchen nubischen Barbarenhäuptlingen als Diplomat zu versuchen.

    "Bona Dea...!" entfuhr es mir leise. Eine Frau? Ich blinzelte verblüfft, ließ den Schild sinken, zügelte mein Pferd dicht vor den beiden Gestalten, und musterte die Barbarin, die uns da so tapfer entgegentrat, voll Erstaunen von Kopf bis Fuß. Schickte der Feind jetzt schon seine Weiber gegen uns aus? Aber bei allem Argwohn – mein erster Eindruck von diesen beiden Fremden war eher der, dass wir hier ein Liebespärchen beim heimlichen Treffen überrascht hatten, als der von zwei Spionen. Wie sie sich gegenseitig zu schützen versuchten, wie der Mann nach der Hand der Frau griff – das war ja rührend. Andererseits waren sie wohl kaum zufällig hier, und ich sollte mich von ihrem harmlosen Äusseren nicht täuschen lassen. Was konnten sie bezwecken, wenn nicht uns auszuspähen?
    Einer der Reiter pfiff durch die Zähne. "Sieh an, was für eine Wüstenblume..." bemerkte er, ohne den Speer zu senken.
    Die beiden waren kaum bewaffnet, hatten weder Gepäck noch Reittiere. So konnte man hier nicht lange überleben, sie mussten ein Lager, irgendeinen Unterschlupf in der Nähe haben. Wieder blickte ich angespannt um mich... und wieder sah ich nur Sand, Sand, Sand. Was nun? Am naheliegendsten wäre es gewesen, sie beide abzustechen. Aber dafür war ich nicht abgebrüht genug, schließlich hatten sie sich ergeben. Und womöglich waren sie ja wirklich bloß das wonach sie aussahen: Zivilisten. Und vielleicht konnte man irgendwas nützliches aus ihnen herausbringen. Im Lager, wo wir Dolmetscher hatten.
    "Wir nehmen sie mit."


    Von meinem hohen Ross herab sprach ich, von erklärenden Gesten untermalt, zu den Gefangenen, in ruhigem und festen Tonfall:
    "Ihr", dabei deutete ich auf die beiden, "kommt jetzt mit uns in unser Lager", ich deutete in Richtung Castra.
    "Doch zuvor, übergebt uns eure Waffen!"
    Fordernd zeigte ich auf die Dolche, die sie trugen, und dann auf den Sand zu unseren Füßen.

    Das waren wohl gewählte Worte... und auch wenn ich, bei genauerer Betrachtung, nicht vollständig davon überzeugt war, dass die Freiheit Roms im Dodekaschoinos verteidigt wurde... der Geist der Rede riss mich mit, ja, Ehre, Stärke, Größe, Edelmut, Aufopferung und Schwerterblitzen... und der donnernde Kriegsschrei verbannte wieder einmal meine nagenden Ängste (nein, sagen wir lieber meine Bedenken), und dafür war ich dankbar.
    "Mars mit uns! Keine Gnade!!"
    brüllte ich, das Kinn erhoben, das Schwert in die Luft gestreckt, so wie tausende anderer um mich herum. Ein guter Schlachtruf...


    Während wir uns so aufpeitschten, wurde das Fleisch des Opferstiers auf großen Rosten gegrillt, damit wir Soldaten gemeinsam mit Mars, dessen Anteil noch immer auf dem Altar verkohlte, das Mahl einnehmen konnten. Jedenfalls symbolisch, dann natürlich reichte ein Rind nicht für alle. Aber da es, nach dem Gefecht, nicht an Pferde- und Kamelfleisch mangelte, hatten wir uns ganz pragmatisch dort bedient. So wurden, nach dem Ende der Rede, an alle große, knusprig gegrillte Fleischstücke auf Fladenbrot ausgegeben, dazu auch etwas Wein, und so speiste die gesamte Legio XXII gemeinsam mit dem Kriegsgott.