Jetzt, jetzt auf einmal, zeigte er, dass ihm anscheinend doch was an mir lag... und bei den zögernden Worten, die so gar nicht zum dringlichen Griff meiner Schulter passen mochten, und als er gar bat, stammelnd, er, der sonst über eine einzigartige Eloquenz verfügte... das war Balsam für meinen verletzten Stolz. Meine Schultern, angespannt zurückgenommen, lockerten sich, und während mein Körper noch immer in halb abgewandter Haltung verharrte, als wolle ich im nächsten Moment von dannen schreiten, wandte ich ihm das Gesicht zu, blickte erst spröde, dann nachdenklich... er wirkte so gequält, das wollte ich nicht – demonstrieren, dass ich verdammt noch mal nicht selbstverständlich hier war, das schon, aber nicht, ihn wirklich in einen schlimmen Zwiespalt stürzen. Mich beschlich das seltsame Gefühl, dass er wirklich ehrlich war, und schon die ganze Zeit gewesen war. Merkwürdig. Es war sehr merkwürdig, jemanden zu treffen, der auf die üblichen Spielchen einfach verzichtete... weltfremd auf eine gewisse Weise, und zugleich zu gut um wahr zu sein. Wenn es denn so war.
Dann die Fingerspitzen an meiner Wange... diese ganz kleine, ganz leichte Berührung ging mir durch und durch... Ich schluckte, und murmelte leise, fast verschämt:
"Trotzdem... ist deine Berührung wie ein wärmender Sonnenstrahl an einem eisigen Wintertag wie diesem..."
Oh, wie kitschig das in meinen Ohren widerhallte – aber wenn es doch wahr war! Meine Sprödigkeit schmolz jedenfalls schon wieder rasant dahin. Aber was, bei Minervas Haupt, war mit "exkulpieren" gemeint? Aus dem Zusammenhang heraus tippte ich natürlich schwer auf "entschuldigen", aber vielleicht war damit auch so etwas wie "hinnehmen" gemeint, oder "mit Akzeptanz behandeln". Ich würde es zu Hause nachschlagen müssen, nachfragen war ausgeschlossen, nicht dass er mich für ungebildet hielte!
"Ja... ich exkulpiere es."
Er roch so gut. Ich beugte mich einen Hauch näher zu ihm, und sog tief die Luft ein. Sandelholz, und noch etwas anderes. Vergessen wollte er sich, uns, ab und an... Ich biss mir auf die Lippen, schlug verwirrt die Augen nieder. Welterschütternde Leidenschaft, das war es was ich wollte, und Liebe, die alle Schranken sprengte, trotz allem war ich doch noch immer unsäglich romatisch veranlagt. Nicht, dass ich mutig, oder rücksichtslos, genug gewesen wäre, sowas auszuleben. Die Familie, die Karriere... Aber ich wollte mir gern die Illusion bewahren, ich wollte nicht ab und an im Terminkalender des respektablen Senators stehen (als unverfängliche Abkürzung wahrscheinlich), für diskrete Treffen, und wenn man sich sonst mal über den Weg lief, dann kannte man sich nicht. Auch wenn es vernünftig war. Und realistisch.
Vergessen was ist... mir war es, als würde ich mich doch sowieso fortwährend vergessen, ich meine, das vergessen, was mir wirklich wichtig war, um das zu tun, was man von mir erwartete. Es machte mich konfus, lag aber vielleicht auch an der Perspektive...
"Ich glaube... ich möchte mich lieber mit dir treffen, um mich zu erinnern." Mit einem Lächeln vertrieb ich den Ernst dieser Worte, und sah ihn ein bisschen schräg, unter halbgesenkten Wimpern an – ach, die schönen, schönen braunen Augen. Wäre der Tag nur nicht so trübe, ich wollte sie so gern im Licht sehen, jede Nuance, jede Schattierung, und den goldenen Schimmer auf ihrem Grund. Aber wie es aussah, würden wir uns wohl eher wieder unter dem Mantel der Nacht begegnen.
"Kennst du die Thermen des Zenodorus, an der Via Crastina? Da kann man wunderbar ungestört sein. - In einer Woche?" Am liebsten hätte ich "heute abend" vorgeschlagen, aber ich hatte mal wieder Wachkontrolle auf der Stadtmauer, ausserdem sollte er ruhig sehen, was er davon hatte, und sich erst mal noch ein bisschen nach mir sehnen. Dass ich mich auch sehnen würde, das musste ich leider in Kauf nehmen.
Nun völlig ihm zugewandt, tat ich einen halben Schritt, um die verbleibende Entfernung zu überbrücken, und hob die Hand. Sacht, ganz sachte, als wäre da ein scheues Tier, das ich nicht verscheuchen durfte, strich ich über sein dunkles Haar, seitlich an der Schläfe, streifte mit der Rückseite meiner Finger seine noble Stirn.
"Zwei Stunden nach Sonnenuntergang?" Langsam beugte ich mich näher und hauchte ihm verheissungsvoll ins Ohr: "Ich werde im phönizischen Salon auf dich warten, Aton, lux mea, gehüllt in nichts anderes als meine verzehrende Sehnsucht nach Dir!"
Ganz leicht und flüchtig streifte ich seine Lippen mit den meinen, das konnte ich nicht lassen, auch wenn die Wangenklappen meines Helmes mein Gesicht kühl umrahmten, eine stete Erinnerung an Pflicht und Verleugnung. Voll Wärme lächelte ich ihn an, lachte kurz auf, als mir ganz plötzlich wieder bewusst wurde:
"Und dabei kenne ich noch nicht mal deinen vollen Namen!"