Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    "Ja, ein Kaiser gehört immer dem ganzen Reich.", wiederholte ich eine der Aussagen des Aurelius Ursus, "Diesen Gedanken möchte ich aufgreifen."
    Mein Blick heftete sich auf die mit Notizen ganz vollgekritzelte Wachstafel vor mir, und ich furchte die Stirn vor Konzentration. So langsam wurde es zu einer echten Herausforderung, all die Argumente meiner beiden Gegen-Diskuttanten zu überblicken. Wobei es mir durchaus Spass machte, die Worte mit dem scharfsinnigen Aurelier zu kreuzen.
    "Denn weil das so ist, gerade weil sich in der Person des Kaisers der Geist unseres römischen Reiches, all das, wofür unser Imperium steht, verkörpert, gerade darum muss der Kaiser den Bürgern die Virtutes auch vorleben. Und zu den höchsten und edelsten Virtutes romanae gehört, da stimme ich dir zu, Iunius, die Tapferkeit.
    In den Augen der Welt ist der Kaiser Rom. - Rom ist tapfer, Rom stellt sich jeder Herausforderung, Rom ist siegreich. Da macht ein Kaiser, der den Kampf scheut, der sich hinter Palastmauern vor dem Krieg versteckt, nicht nur persönlich eine schlechte Figur – er wirft auch ein denkbar schlechtes Licht auf die Stärke unseres Imperiums."

    Ich hoffte, verdeutlicht zu haben was ich meinte... der Kaiser war eben nicht nur ein Mann an der Spitze des Staates, und auch viel mehr als ein Symbol, er war auch auf eine sakrale, ja, mystische Weise verbunden mit dem Heil des Reiches. Dann wandte ich mich wieder den konkreteren Aspekten des Themas zu. Über Tiberius konnte man ja wunderbar herziehen, und Aurelius Ursus selbst hatte mich freundlicherweise in seinem Cursus mit den Mängeln dieses Mannes vertraut gemacht. ;)


    "Was deine positive Einschätzung des Tiberius angeht, Aurelius, – ich kann sie nicht teilen. Ganz im Gegenteil, ich halte ihn für eine Paradebeispiel dafür, wie fatal sich das von euch geforderte Übergewicht des Militärischen in der Ausbildung des Thronfolgers erweisen kann", begann ich vergnügt.
    "Seine lange Abwesenheit von Rom während der Kampagnen, die er für Augustus führte, haben ihn dem politischen Betrieb doch vollkommen entfremdet. Ohne Frage war er ein tüchtiger Feldherr, doch ein Imperium muss anders beherrscht werden als eine Legion kommandiert! Und Tiberius hatte nicht gelernt, ein Herrscher zu sein, er wusste sich auf dem politischen Parkett nicht zu behaupten und ist dort ausgeglitten. Den Senat und das Volk machte er sich durch die grausamen Majestätsprozesse zum Feind. Selbst die Truppen, die, eurer beider Argumentation nach, ja besonders treu zu diesem verdienten Feldherren hätten stehen müssen, waren ihm keine verlässliche Unterstützung – direkt nach seiner Machtübernahme meuterten bereits die Legionen an Donau und Rhein.
    Letztendlich entzog er sich seinen Pflichten, als er Rom verließ, und sich lieber in seine privaten Ausschweifungen stürzte, als das Reich zu regieren. Bekanntlicherweise erinnert man sich an ihn als einen Tyrann, bei dessen Tod die aufgebrachten Bürger forderten: 'Tiberium in Tiberim'. "

    Ich wusste wohl, dass diese Einschätzung nicht sehr differenziert war, aber es war ja nicht meine Aufgabe den Tiberius zu loben. Aber – Upps! - hoffentlich wurde mir die Kritik am Rückzug aus Rom nicht als Kritik an unserem aktuellen Kaiser ausgelegt... Die Situation, das fiel mir zum wiederholten Male auf, hatte schon die ein oder andere Parallele. Aber der entscheidende Unterschied bei der Sache war natürlich, dass Vescularius Salinator, den ich als Kommandant wirklich zu respektieren gelernt hatte, ein fähiger und integrer Stellvertreter war.


    "Die beeindruckenden militärischen Erfolge des Domitian als pures Glück zu bezeichnen, damit macht man es sich doch ein wenig zu leicht. Die lange Reihe seiner Siege habe ich ja bereits aufgezählt – Fortuna ist viel zu wankelmütig, als das man sie allesamt ihrer Gunst zuschreiben könnte. Ganze zweiundzwanzig Mal wurde er für seine Siege mit der Acclamatio zum Imperator geehrt. Bei Tiberius waren es dagegen insgesamt nur acht Mal.
    Zudem war Domitian nicht der einzige Kaiser, der, ohne als Thronfolger ein Kommando innegabt zu haben, entscheidende Siege errang. Ich möchte an Claudius erinnern, der sich selbst nach Britannien begab, und dort die Expansion des Reiches so erfolgreich vorantrieb, dass er mit einem Triumph geehrt wurde. Selbstverständlich stützte er sich dort auf die Erfahrung seiner altgedienten Offiziere, von denen Plautius der bekannteste ist.
    Es steht ja, wie ich bereits sagte, ausser Frage, dass ein kluger, doch militärisch unerfahrener Herrscher an der Front, sich für die Fragen der Taktik auf seine verlässlichen Generäle stützen wird. Die Anwesenheit des Kaisers schmälert dann keineswegs die Rolle seiner Offiziere - nein, an der Seite des Kaisers selbst eine Schlacht zu schlagen, kann einen jeden Soldaten, sei er Miles gregarius oder Legatus legionis nur mit Stolz erfüllen und über sich selbst hinauswachsen lassen.
    Dein Vorschlag, Aurelius, dass der Kaiser sich auf Truppenbesuche in möglichst sicherem Rahmen beschränken und bei den Schlachten durch Abwesenheit glänzen soll, das wäre dagegen ein ganz falsches Signal an die Soldaten... nämlich, dass unser oberster Befehlshaber, der, für den wir geschworen haben, ohne Zögern unser Leben zu geben, dass dieser Mann seine Soldaten genau dann im Stich lässt wenn es darauf ankommt. Wenn es gefährlich wird."


    Nachdem ich mir den Mund schon so fusselig geredet hatte, griff ich mir aus den deutlich polemischeren Worten des Iunius Brutus nur noch den ein oder anderen Punkt heraus.
    "Hm... Du überträgst da die Verhältnisse aus der früheren Zeit des Prinzipats, als die Herrschaft und die Nachfolge noch viel weniger gefestigt und die Verhältnisse bei Hofe viel ungeordneter waren, einfach auf die heutige Zeit. Die logische Konsequenz deiner Befürchtungen im Bezug auf Intrigen und Prätorianer wäre wohl tatsächlich, den Thronfolger irgendwo bei den Truppen, völlig isoliert von der Stadt Rom und ihren möglicherweise verderblichen Einflüssen aufwachsen zu lassen – doch Rom ist das Herz des Imperiums, und später, wenn er von dort aus regieren muss, wird der stets wohlbehütete und damit gänzlich unerfahrene Herrscher sich um so weniger gegen diese Einflüsse behaupten können.
    Zu den Ereignissen im Vierkaiserjahr – Otho unterlag in der ersten Schlacht von Bedriacum vor allem deshalb, weil die Truppen des Vitellius ihm zahlenmäßig zwei zu eins überlegen waren. Und Vitellius blieb ja auch nur unwesentlich länger an der Macht, schon sechs Monate später unterlag er seinerseits Vespasian...
    Was du über die Senatoren sagst, dass sie vom Kaiser berufen werden – ähm... sicher, aber ich sehe da nicht so recht den Zusammenhang? Ein Kaiser, der neu die Macht übernimmt, wird ja immer einen in seiner Besetzung bereits bestehenden Senat vorfinden. Meinst du etwa, er solle dann umgehend die Senatoren austauschen, um ihm loyale Männer dort sitzen zu haben? So ein Schritt wird ohne Proskriptionen schwerlich möglich sein. Und damit würde jener Kaiser sich doch eher unbeliebt machen."
    Jetzt war ich auch polemisch.
    "Immerhin ist der Senat eine altehrwürdige Institution, mit auf Lebenszeit berufenen Mitgliedern. Ritterliche Posten lassen sich da tatsächlich leichter neu besetzen, aber die Unterstützung der senatorischen Aristokratie lässt sich wohl kaum durch Personalwechsel gewinnen."


    Was auf jeden Fall klar wurde, war dass mein Gegenüber die Prätorianer nicht mochte. Ich rieb mir das Kinn, und zeigte ein nachdenkliches Gesicht.
    "Hm... ich höre hier immer wieder, ein Kaiser brauche bei seinem Machtantritt militärische Erfahrung, um seine Vertrauten gut zu wählen. Du betonst vor allem, wie wichtig dies bei der Wahl des Prätorianerpräfekten sei. Doch die Vergangenheit unseres Reiches führt das ad absurdum – denn sie zeigt uns, dass genau der Kaiser, der bei Machtantritt die meisten Feldzüge hinter sich hatte, in der Hinsicht den schlimmstmöglichen Fehlgriff tat: Tiberius, der den Seianus als Stellvertreter wählte, und damit das Reich einer Schreckensherrschaft sondergleichen auslieferte."
    Ich ließ das so im Raum stehen, gespannt, wie die beiden das kontern wollten, und gönnte mir einen wohlverdienten großen Schluck Wassser.

    Hinter meinem überladenen Schreibtisch sitzend, lehnte ich mich zurück, und betrachtete skeptisch den Brief, der da eben für mich abgegeben worden war. Er trug keinen Absender. Seit dem bösen Schreiben von Lucilla (ich wünschte, ich hätte meine unbedachte Antwort zurückholen können!) misstraute ich meiner Post instinktiv. Und ein anonymer Brief, der brachte bestimmt nichts gutes. Vielleicht war es ein Erpresserschreiben. Der Torwächter hatte gesagt, der Bote habe ziemlich dubios ausgesehen. Aber halt – das Siegel! Eine Sonne! Wenn ich Sonnen sah, musste ich, seit den Meditrinalia, immer an Aton denken... Könnte es sein, wäre es möglich, dass.... - Nein, sagte ich mir streng, hör auf solchen romantischen Unsinn zu träumen, Faustus!
    Aber doch, mein Herz schlug schneller, als ich das Siegel vorsichtig ablöste, und das Schreiben entrollte....
    Es war von Aton! Ein erstauntes Lächeln begann sich auf meinem Gesicht auszubreiten, wurde zu einem breiten, beglückten Strahlen.
    "Aton...", seufzte ich schwärmerisch, und verschlang die Zeilen mit den Augen, einmal, und noch einmal, und immer wieder....


    Centurio Faustus Decimus Serapio, Cohortes Urbanae



    Von düsteren Wolken verdeckt wird die göttliche Sonne Aegyptens, tagtäglich versinkt sie des Abends im Meer der Tristesse, da ihr nicht vergönnt ist, über dem herrlichen Heroen Makedoniens zu scheinen.


    War es nur Traum, den die Götter träumten, nur Taumel des Dionysos in Fortunens Hand? So lösche diese Zeilen, vergib des hitzig Glühenden seine Worte und lasse den Träumer erwachen.


    Doch war dies mehr, so lasse nicht die Sonne nach dem Tage dürsten, verwehre nicht ihr den güldenen Glanz da ihre Strahlen deinen Leib liebkosen, so sende dein Wort - und ich werde den Horizont verrücken, über deinem Antlitz zu erstrahlen.




    Wie schön... Und wieder stand die Erinnerung an die Nacht der Götter und Heroen, an unsere flüchtige, aber so herrliche Begegnung, leuchtend vor meine Augen, nein vielmehr, alle meine Sinne erinnerten sich, und ein leises Beben überlief mich, halb war es Sehnsucht, halb seliges Schwelgen...
    Ich sprang auf, und trat mit dem Brief in der Hand zum Fenster, sah hinaus in den trüben und grauen Wintertag... und spürte doch auf meinem Gesicht ganz deutlich den wärmenden Schein einer goldenen Sonne.
    Den Horizont wollte er verrücken. Ich war selig. Man muss dazusagen, ich war es nun mal gewöhnt, Pech in der Liebe zu haben. Jemanden zu finden, um schnell und unverbindlich Spaß zu haben, das war nie ein Problem, aber die Männer, für die ich ein tiefergehendes Interesse entdeckte, die hatten entweder seltsame Neigungen zur Frauenwelt und wollten nichts von mir (wie zum Beispiel Priscus), oder sie waren fiese Typen, die mir über kurz oder lang das Herz brachen. Wie Hannibal.
    Aber Aton... Aton war einfach... traumhaft! Beschwingt begann ich Pläne zu schmieden, wie ich mich ihm nähern könnte. Zurückschreiben wäre schwer, denn ich kannte von seinem sterblichen Namen nur das Nomen Gentile... und soweit mir bekannt war, gab es zwei "Senatoren Flavius", und es wäre fatal, wenn der falsche von beiden mein Brieflein bekäme. Aber ich würde schon einen Vorwand finden. Oder nein - ich hatte sogar schon den perfekten Vorwand, um meinen Fuß in die Villa Flavia zu setzen...

    Zitat

    Original von Potitus Vescularius Salinator
    Potitus nickte und machte eine Geste, die eindeutig eine Entlassung aus dem Gespräch war. "Erlaubnis erteilt, Centurio"


    Ich salutierte noch einmal zackig und trat weg. Jetzt konnte ich Licinus nur noch die Daumen drücken, dass der Praefectus sich überzeugen ließ – nein, ich konnte ausserdem dafür sorgen, dass mein Kamerad auch den nötigen Landbesitz hatte. Das würde ich gleich in Angriff nehmen.

    "Natürlich." bestätigte ich ausdruckslos. Ich mochte es überhaupt nicht, dass dieser Zivilist meinte, mich auch auf die allersimpelsten Dinge hinweisen zu müssen. Aber Hauptsache er verriet mir endlich wo genau es hingehen sollte.
    "Sonnenaufgang. In Ordnung. Meine Centurie kann schon morgen früh bereit stehen."
    Um es kurz zu machen – wir besprachen uns noch eine Weile, einigten uns auf die Einzelheiten, klärten das ein oder andere Detail und trafen schließlich eine Verabredung wann wir losschlagen würden.

    Kaum, dass ich zu dem Schluss gekommen war, dass die Ähnlichkeit doch eher vage war, zeigte der Quintilier eine Geste, eine ganz kleine mimische Äusserung, die meine Betrachtung sogleich wieder zerschmetterte. Wie er die Braue wölbte! Genau wie Hannibal... So charakteristisch... Mir stockte der Atem, es war als würde eine riesige Hand mich packen, und mir den Brustkorb zusammenquetschen. Zudem ging er auf mein Einladung ein! Ich bekam Angst vor meiner eigenen Courage, und der Impuls, mich abzuwenden, zu fliehen solange ich mich noch nicht vollkommen lächerlich gemacht hatte, war überwältigend. Aber ich holte tief Luft und hörte mich sagen:
    “Gut. Also abgemacht! Zur hora duodecima? Die Taberna liegt an der Ecke, wo der Faunusweg auf die Uferpromenade trifft.“
    Und dabei lächelte ich ihm zu, kurz, ein herausforderndes Lächeln, dann setzte mich wieder in Bewegung und brachte ihn zum Ausgang des Carcers. Da verabschiedete ich mich kurz und knapp und trug einem Miles auf, ihn hinauszubegleiten. Dann ging ich tatsächlich wieder an meine Arbeit, oder versuchte es jedenfalls, aber meine Gedanken ließen sich während dem Rest des Tages einfach nicht mehr bändigen, und ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren.


    Aber genug davon. Was den Gefangenen anging – der wurde am Tag des Verhandlung aus seinem Verließ geholt, genötigt sich zu waschen, und von mir und zwei Soldaten zur Basilica Ulpia gebracht.

    Jetzt waren wir beinahe komplett. Ich begrüßte meine Schwester mit einem breiten Lächeln, erwiderte fröhlich "Dich auch, Schwesterherz!", und genoss es einfach, hier mit der Familie so entspannt zusammenzusitzen. Aber mein Kommentar zur Tunika, der eigentlich nett gemeint gewesen war, traf nicht so wirklich ins Schwarze. "Ach so." Hoffentlich hatte ich Valeria damit jetzt nicht in Verlegenheit gebracht, aber nein, sie kicherte, und ich grinste mit. Meine neugierige Frage war wohl ein bisschen untergegangen, aber ich dachte mir, dass sie es wahrscheinlich nicht jedem einzeln erzählen wollte.
    Auch Onkel Mattiacus erschien, und es war schön zu sehen, wie freudig er und Valeria sich begrüßten. Natürlich hob auch ich meinen Becher, als Mattiacus den Trinkspruch ausbrachte, prostete der verlorenen Cousine zu, und stimmte eifrig mit ein.
    "Auf Valeria!"
    Die Sklaven nahmen unser Zutrinken zum Anlass, jetzt die Vorspeisen zu servieren - die garnierten Eier mit den Kräutern und den bunten Saucen, kleine Spieße mit Muscheln und Garnelen, und dazu frischgebackenes, noch warmes Brot mit Olivenöl beträufelt.

    Das war genau das was ich meinte! Wenn auch besonnener ausgedrückt. Und so sehr es mir leid tat, dass meine Schwester hier so im Kreuzfeuer saß, fand ich, dass sie da ruhig mal dazu Stellung nehmen sollte. Vielleicht brauchte sie etwas, was ihr die Augen öffnete, über ihren sauberen Verlobten.
    "Wir hatten da gerade darüber gesprochen.", meinte ich unbehaglich zu Seiana, um ihr zu erklären warum die Situation bei ihrem Erscheinen so seltsam war. Ich versuchte wirklich, ruhig und vernünftig zu bleiben, aber meine Ablehnung war einfach nicht zu verhehlen. Meine Schwester hatte jemand weitaus besseren verdient! (Eigentlich war überhaupt niemand gut genug für sie.)
    "Du kennst ja meine... Meinung. Wenn dein Aelier jetzt schon unsere Familie so mißachtet, dann wird er auch dich später nicht in Ehren halten."

    Die Meditrinalia waren vorüber, aber was ich bisher versäumt hatte, war, mein geliehenes Kostüm zurückzugeben. Da ich es natürlich nicht mit in die Castra genommen hatte, war es in einer Kiste in meinem Arbeitszimmer eingeschlossen. Eines Abends beschloss ich dann, es endlich loszuwerden, suchte den Schlüssel heraus und machte mich auf, das Kostüm zu bergen. Ob der Chiton überhaupt noch zu retten war? Ich würde ihn Tricostus wohl ersetzen müssen. Mit diesen Gedanken beschäftigt, stapfte ich in das Officium... und unversehens stand ich, zum einen inmitten von Papyrusbergen, zum anderen Celeste gegenüber. Celeste, die ich seit jener unvergesslichen Nacht auch nicht mehr gesehen hatte. Was mir ganz recht gewesen war.
    "Salve... was machst du denn hier..." Ganz schlau, Faustus. Sie ist deine Scriba. Nervös verlagerte ich das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. "... ähm..." Blödsinn! Es gab keinen Grund, verlegen zu sein! Wenn ich mich recht erinnerte, dann hatte sie doch diese dunkelhäutige Raubkatze genauso enthusiastisch geküsst wie ich meinen schönen Sonnengott. (Allerdings hatte ich mehr zu verlieren als sie.) Ich trat die Flucht nach vorne an und vertrieb das beklommene Gefühl mit einem forschen Grinsen.
    "Und, hast du das Gelage gut überstanden? Ich hatte danach vielleicht einen Kater, ich dachte mein Kopf platzt!"

    "Jawohl, Praetor!", bestätigte ich noch einmal, dass ich auch der war, der ich war, und dass ich die Wahrheit sagen würde. Ich muss sagen, diese Ermahnung war keineswegs überflüssig, denn ich verspürte sehr wohl die Versuchung, die Wahrheit ein wenig zu beugen, damit der Mörder seine gerechte Strafe auch auf jeden Fall bekam. Aber das durfte ich nicht, ich musste auf Iustitia vertrauen.


    "Ja, ich selbst habe das Verhör geführt." antworte ich laut und deutlich auf die Frage des Anklägers.
    "Ganz ohne Druck lässt sich das natürlich nicht bewerkstelligen. Aber der Gefangene wurde weder misshandelt noch mit dem Tod bedroht. Zu Anfang hat er auch mir gegenüber geleugnet, selbst eine Waffe gegen das Opfer geführt zu haben, und versucht, die gesamte Schuld auf seinen verstorbenen Komplizen zu schieben. Aber wir haben damals am Tatort, beim Fund des Leichnams, die Aussage einer Anwohnerin aufgenommen, welche aus ihrem Fenster heraus gesehen hat, dass es zwei Männer waren, die Octavius Cato verfolgten, zwei Männer, die auf ihn eindrangen und ihn niederstachen."
    Ich unterstrich meine Worte mit Gesten, hob beim entscheidenden Satz zwei Finger und die Stimme. Die Akustik hier drin war phantastisch.
    "Mit dieser Aussage konfrontiert, hat der Angeklagte im Verhör seine Schuld eingestanden."

    In meinem Hinterkopf befand sich eine Schmiede. Dumpf fielen die Hämmer auf den Amboss nieder, stetig klopfend, klingend, klirrend, und als ich die Augen öffnete, sie dem unbarmherzigen Licht des neuen Morgens aussetzte, wurde das Hämmern noch viel stärker, der Rhythmus schneller, die Intensität unerträglich, ich sah wie die Hammerköpfe auf rotglühendes Eisen prallten und ich ächzte und röchelte:
    "Aa..aah....aah... mein Kopf...."
    Schlecht war mir ausserdem. Mit verquollenen Augen sah ich um mich. Wo in Plutos Namen war ich da eigentlich gelandet? Der Fall vom Olymp, er war tief, und er war schmerzhaft. Langsam setzte ich mich auf, den Kopf vorsichtig auf den Schultern balancierend. Die Erinnerung an die Nacht der Götter und Heroen kehrte zurück, und vor allem anderen auch die an Aton.
    Aton...
    Göttlicher Gefährte dieser göttlichen Nacht. Aber er war schon fort, verschwunden als hätte es ihn nie gegeben, als hätte ich ihn mir lediglich erträumt. Tja. Es war ganz normal so, und es wäre bestimmt furchtbar ernüchternd gewesen, nach der berauschenden, perfekten, einfach vollkommenen Nacht, verkatert und mit Mundgeruch neben ihm zu erwachen... aber trotzdem fühlte ich mich irgendwie verlassen, und blickte melancholisch auf die Kline, da wo er gelegen hatte, neben mir, wo jetzt gähnende Leere herrschte. Eine kleine Mulde im Kopfkissen bezeugte, dass die göttliche Sonne Ägyptens nicht nur eine Ausgeburt meiner Phantasie gewesen war. Ich strich sacht mit der flachen Hand über diese Mulde, bildete mir ein, ich könne seine Wärme noch spüren, und seufzte leise. Ach.


    Dann verzog ich das Gesicht zu einer Grimasse und erhob mich, mit zusammengebissenen Zähnen. Die Kopfschmerzen waren entsetzlich, Worte vermögen meine Qualen nicht zu schildern. Nie, schwor ich mir, aber wirklich nie wieder würde ich so viel trinken!
    Mit spitzen Fingern fischte ich meinen weinfleckigen Chiton von Boden und da ich keine Wahl hatte, zog ihn mir über. Die Sandalen musste ich erst mal suchen. Und wie mein Lendentuch dahin gekommen war, wo ich es wiederfand, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Den Festkranz ließ ich liegen, er war schon welk. Aton hatte nichts, aber auch rein gar nichts, zurückgelassen.
    Ich verliess das Gemach, und traf auf einen hilfreichen Sklaven, der mir meine restlichen Sachen zusammensuchte und mich zum Ausgang brachte. Da war es schrecklich hell, und da sah ich mich, benebelt, in meinem erbarmungswürdigen Zustand, einem neuen Problem gegenüber: ich war mit Tricostus gekommen, in seiner Sänfte. Aber, ganz abgesehen davon, dass ich keine Ahnung hatte, ob er überhaupt noch da war, würde er mich wohl kaum wieder mit zurück nehmen wollen. Erneut bemühte ich einen von Suavis Sklaven. Er rief mir eine Mietsänfte. So schaukelte ich schließlich, leidend, hinter geschlossenen Vorhängen, der Casa Decima entgegen. So phänomenal dieses Fest gewesen war, so unsäglich war das Erwachen...
    Und dabei wusste ich da noch nicht einmal, was mich noch an Nachwirkungen erwartete. Denn leider sollte es sich bald darauf herausstellen, dass der Nebel, der den Olymp in jener Nacht umgeben hatte, nicht ganz undurchdringlich gewesen war!

    Zitat

    Original von Duccia Venusia


    Das war eine ganz andere, viel grausamere Welt, aus der meine Tante stammte. Man sah ihr gar nicht an, was sie, die wohlgesittete Matrone, schon so alles erlebt hatte. Ich nickte ernst, als sie davon erzählte. Gerade wegen solch brutaler Übergriffe sollte man die Barbaren lieber vorbeugend unterwerfen.
    "Ja, so ein paar Unverbesserliche gibt es doch überall," meinte ich weise, die lieber mit dem Vieh in einem Raum hausen, den Nachbarn die Köpfe einschlagen und ihr Fleisch roh essen." Ich zuckte die Schultern. "Naja, solange sie hinter dem Limes bleiben."
    Da konnten diese Wilden machen was sie wollten, in ihrem dunklen, moorigen Land. Ich lächelte meiner Tante zu, froh dass sie ihren Weg, heraus aus dieser finsteren, engstirnigen Welt, hinein in die lichte Weite unserer römischen Zivilisation, so gut gefunden hatte.


    "Wollen wir dann mal weiter?"
    Die beiden Kleinen wollten jedenfalls, und zogen uns gleich zur nächsten Attraktion. Da standen Ponys und Esel bereit, also gab es eine Runde Eselreiten und dann noch eine, danach wollten sie unbedingt zu dem Stand, wo man mit Bällen auf Amphoren werfen konnte, danach wollten sie mehr Süsses, dann Mosaiken basteln, dann sahen wir uns das Strassentheater an, und als es dämmrig wurde, trat auch noch ein Feuerspucker auf, dessen Flammenzungen zwar etwas dilettantisch wirkten, aber dafür sah er, berußt, in seinem Lendenschurz, ausgesprochen gut aus. Es war ein sympathisches Fest, und, trotz Venusias beunruhigender Pläne, ein schöner Nachmittag mit ihr und den Kindern.

    Zu spät. Ich sah nur noch einen Zipfel ihrer Tunika, und wehendes dunkles Haar, dann war sie in der Menge untergetaucht.
    "Halt!" rief ich, und rannte hinterher, drängte mich durch die Menschen, ihr nach. "Bleib stehen, Bridhe!!"
    Aber ihren Vorsprung konnte ich nicht mehr aufholen. Das lag an den zivilen Klamotten. Ganz anders, als wenn ich in Uniform und Rüstung unterwegs war, dachten die Leute gar nicht daran, mir Platz zu machen. Und irgend so ein Möchtegernheld trat mir sogar in den Weg – er sah aus wie ein einfacher Knecht, war aber breitschultrig und blickte sehr entschlossen drein.
    "He du! Wenn das Mädchen nichts von dir will, dann solltest du sie in Ruhe lassen!"
    "Was?!" Ich war völlig entgeistert. Der ließ mich einfach nicht vorbei! Da wollte ich eine gute Tat am frühen Morgen tun, und es endete damit, dass ich hier als Unhold dastand. Bis ich dem guten Mann erklärt hatte, dass ich Urbaner war, war die verzweifelte Hibernierin über alle Berge.
    "Mierda."


    So viel Tatkraft hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Verdammt. Ob sie sich jetzt umbringen würde? Ich suchte noch eine Weile nach ihr, aber sie war spurlos verschwunden, die große, menschenüberfüllte Stadt hatte sie einfach verschluckt. Als wären wir alle nur Treibholz auf dem Meer, auf den Wellen tanzend, so hatte die Strömung Bridhe und mich für einen kurzen Augenblick zueinander getrieben, um uns gleich darauf wieder in verschiedene Richtungen zu reissen.
    Seufzend blieb ich stehen. Ich befand mich direkt vor einer Garküche, und das Scheppern der Töpfe, Palavern der Kunden, der Geruch von ranzigem Fett und verbrannten Zwiebeln bedrängte meine übernächtigten Sinne auf unangenehme Weise. Roma, Roma foeda!


    Während ich langsam den Weg nach Hause einschlug nahm ich mir vor, dass ich, wenn ich das nächste Mal eine fragliche Wasserleiche im Tiber herumschwimmen sähe, einfach die Finger davon lassen würde. (Natürlich war das ein Vorsatz, den ich nicht würde durchhalten können. Aber er verschaffte mir für den Moment eine gewisse Genugtuung.) Ich hoffte nur, dass die Frau wieder zur Besinnung kam! Aber ich glaubte es nicht. Wenn sie es heute nicht wieder versuchte, sich das Leben zu nehmen, dann eben an einem anderen Tag, und einmal würde sie auch erfolgreich sein. Es war schlimm. (Nebenbei tat es mir auch ein wenig um meinen à-la-mode-Mantel leid, er hatte farblich so gut zu meiner Tunika gepasst.)
    Allerdings hatte diese Begegnung, die tiefe Traurigkeit, die die Frau verströmte, das dramatische Schicksal, welches mich da ganz am Rande gestreift hatte, auch eine poetische Note in mir zum klingen gebracht. Noch auf dem Heimweg formten sich Worte, Zeilen, Verse in meinem Geist, so dass ich schließlich nicht anders konnte, als mich auf eine Gartenmauer am Wegesrand zu setzen, eine Tabula hervorzuziehen, und meine Inspiration zu Wachs zu bringen.



    Die Najade


    In Dämmer und Nebel trieb ihre Gestalt
    Dem Meer zu, der salzigen Tiefe.
    Ich griff ihre Hände, so bleich und so kalt.
    Nicht doch. Verweile! - Wenn ich sie nur riefe,


    Wenn ich sie nur wärmte, ein Feuer entfacht',
    Ein Gluthauch den eisigen Gliedern,
    Dann könnt ich sie halten - so hab' ich gedacht.
    Doch ich irrte. Ohne Sinn zu erwidern:


    Besinn' dich! Sieh um dich! Du bist nicht verloren!
    Die Sehnsucht war stärker. Die Heimat so fern.
    Seeblau die Augen. Voll Tränengefunkel, geboren
    Aus Fremdheit. Ich hälfe ihr gern.


    Doch von jenseits der Meere, Hibernia, es ruft...
    Die schneeigen Hände entgleiten.
    Die Najade sinkt in die Wassergruft,
    Verliert sich in eisigen Weiten.


    [Blockierte Grafik: http://img165.imageshack.us/im…cepspriorgargoniusrl1.jpg] | Princeps Prior M. Gargonius Marsus


    "Dann zeig mal her." Gargonius ergriff die Tabula und vertiefte sich in die Antworten. Seiner wie immer verkniffenen Miene war dabei nichts zu entnehmen, manchmal zuckte sein Stylus, und manchmal strich er etwas an. Schliesslich sah er wieder auf und nickte verdrossen.
    “Du hast bestanden, Furius. Dann ab ins Valetudinarium mit dir, dort wird deine Tauglichkeit untersucht."
    Er reichte dem Anwärter eine Wachstafel, auf der dessen Angaben knapp vermerkt waren.
    "Die zeigst du im Valetudinarium vor. Und wenn sie dort zufrieden mit dir sind, dann gehst du direkt weiter in die Rüstkammer, und lässt dich dort ausstatten, und dann meldest du dich in der Baracke der vierten Centurie der ersten Kohorte.“ Gargonius wiederholte das, damit der Anwärter es sich gut einprägte. "Vierte Centurie, erste Kohorte. Dort lässt du dir zeigen wie man die Ausrüstung anlegt, und dann geht es ins Sacellum, wo du den Fahneneid schwörst. Wegtreten!“
    So sehr es dem alten Invaliden auch gefiel, mal wieder einen Anwärter herumkommandieren zu dürfen – er hatte mittlerweile eine schrecklich trockene Kehle, und es verlangte ihn ungemein nach einem Schluck aus der Amphore, die er dezent im nächsten Regal hinter den Akten verborgen hatte.



    Verwundert hob ich die Augenbrauen. Dass der Aedil mir nicht sagen wollte, um welche Halle es sich denn nun genau handelte, fand ich dann doch ein wenig übertrieben. Nahm er etwa an, ich stünde auf einer Bestechungsliste dieses Rabuleianus?
    "Damit erschwerst du mir die Arbeit, Aedilis." stellte ich indigniert fest. "Ich würde mir im Vorfeld der Aktion gern selbst ein Bild des Ortes machen, um die taktischen Gegebenheiten einschätzen zu können. Und ich vergewissere dir, dass ich nichts durchsickern lasse."
    Ja, seit dem Desaster am Chaboras war ich davon überzeugt, dass gute Aufklärung eine ganz essentielle Sache war, um keine unschönen Überraschungen zu erleben. Auch in den kleinen Dingen. Und da traute ich dem Blick eines Zivilisten nicht, auch wenn die Informationen, die der Aedil bereits beschafft hatte, zugegebenermassen sehr detalliert waren. Damit konnte man arbeiten. Er schien das länger vorbereitet zu haben. Ich schrieb mir die wichtigen Punkte auf, während er sprach, und machte mir eine Skizze des Plans.
    "Gut... nein, das ist klar. Bis auf den genauen Ort habe ich keine Fragen mehr. - Doch, wann es losgehen soll natürlich. Zu welcher Tageszeit ist dieser Molon denn für gewöhnlich dort zugegen?"

    "Mhm, vielleicht versuch ich's einfach mal." Leider dauerte es eine ganze Weile bei mir, bis ein Bart nach was aussah. "Doch doch, die respektieren mich schon. Die, die mich eine Weile kennen, und sehen, dass ich was draufhabe, auf jeden Fall. Ansonsten greift halt die Hierarchie. Aber ich kann das schon verstehen, dass es für die Altgedienten erst mal komisch ist, von jemandem, der so viel jünger ist, kommandiert zu werden." Ich zuckte die Schultern. "Muss ich mit leben." Eigentlich war ich stolz darauf, schon jetzt diesen Rang innezuhaben, auch wenn mir bewusst war, dass es, zum Teil jedenfalls, einfach daran lag, dass ich das Glück gehabt hatte, einer derjenigen zu sein, die entscheidende Augenblicke des Feldzuges mit- und zudem auch überlebt hatten.


    Seiana war eine gute Zuhörerin. Ich hatte das Gefühl, das sie mich wirklich verstand... aber irgendwie schien es mir fast wie etwas verbotenes, sie hier so voll zu quatschen, so zu lamentieren. Ein guter Soldat tat so was nicht, ein guter Soldat riss sich zusammen, und machte solche Dinge allein mit sich selbst aus. Ich war mal wieder kein guter Soldat.
    "Es ist so sinnlos was wir da machen! Wir sind wie... ein Feigenblatt, damit keiner den Autoritäten nachsagen kann, sie täten ja nichts! Aber im Grunde macht es nicht wirklich einen Unterschied, in diesem verrotteten alten Moloch..."
    Seiana sah aus wie ein Drache, als sie den Rauch durch die Nase blies. "Ach, du würdest das sicher auch können. Es ist nur Trainingssache. Das ganze... es ist nur Übung, Disziplin und nicht zu viel nachdenken... - Ach, und ich glaube, was ich gerade erzähle, klingt viel dramatischer, als es eigentlich ist, es kommt halt immer darauf an wo man eingesetzt wird, und wie es an dem Tag gerade läuft... - Hey, du hast ja einen guten Zug. Übst du das hier auch öfter?" Mein Grinsen blieb flach, meine Gedanken kreisten immer noch um die verdammte Sinnlosigkeit meines Tuns, und kamen einfach nicht los davon.


    Endlich war ich wieder dran, begierig ergriff ich die Pfeife, umschloss das Mundstück mit den Lippen und sog mit geschlossenen Augen den Rauch ganz tief ein. Ich öffnete die Augen wieder, als Seiana das mit den Sklaven fragte, und starrte sie fast erschrocken an. Ja, sie war eine gute Zuhörerin, zu gut vielleicht.
    "Nein." sagte ich schnell, mit jedem Wort den Rauch ausatmend. "Wir sind ja nicht zuständig dafür... ich krieg das immer nur am Rand mit. Wenn einer wegläuft, kümmern sich die Vigiles drum. Es ist nur... ich hab einen gekannt, der..." Ich stockte, und spielte fahrig mit der Pfeife, ließ den Stiel unruhig zwischen Daumen und Zeigefinger auf und ab schwingen. "... ich meine, gekannt, als Mensch... wenn auch nicht wirklich gekannt, aber.... na ist auch egal... aber er war jemand besonderes... und sein Herr hat ihn... getötet. Einfach so. Kannst du dir das vorstellen? Ohne dass er einen Prozess gehabt hätte, oder sonst irgendeine Chance! ... Am Kreuz."
    Da war es wieder, schnürte mir die Kehle zu, ließ meine Unterlippe erbeben und eine verräterische Feuchte in meine Augen treten. Ich schluckte schwer, nebelte mich in eine schützende Rauchwolke ein, und gab die Pfeife mit einer abrupten Bewegung an Seiana zurück.

    Ja, schrecklich viel zu tun! Ich nickte mitleidheischend bei Venusias mitfühlendem Kommentar, um zu unterstreichen, wie unglaublich gestresst ich doch war. Und was das Möbel aussuchen anging... im Prinzip hatte ich durchaus Spass daran, schöne Sachen zu kaufen. Doch ich fürchtete mich davor, von meiner Tante in weitere Verhöre verwickelt zu werden, deshalb verzichtete ich darauf, mich als Einkaufsberater anzubieten, und lächelte und nickte bei dem Thema bloß freundlich-nichtssagend.


    Was mir bei Valeria auffiel, war, dass sie einen kurzen Augenblick lang sehr überrascht, beinahe bestürzt aussah, als ich mich vorstellte. Sie hatte sich gleich wieder im Griff und antwortete höflich, aber ich war doch verwirrt und fragte mich, was das wohl zu bedeuten hatte? Valeria ähnelte, jedenfalls auf den ersten Blick, ihrer Schwester kaum, was mich zusammen mit der verhaltenen Begrüssung ein ganz klein wenig enttäuschte.
    Während die beiden Frauen sich herzlich begrüßten, und Venusia ihre Kinder vorführte, nahm ich wieder Platz auf der Kline, verhielt mich erst mal still und mischte mir derweil einen Becher Caecuber mit einem Viertel Wasser.


    "Ja, wirklich", bestätigte ich dann, und war fast ein bisschen amüsiert, dass Valeria mir das scheinbar nicht glauben wollte. "Also, ursprünglich bin ich sein Neffe. Der Sohn von Silanus. Aber vor kurzem, während seiner Praetur war das, hat Livianus mich adoptiert. Venusia war auch dabei, sie kann es bezeugen. - Nicht wahr?" Das war ein toller Tag gewesen! Ich lächelte, stolz und glücklich, als ich davon sprach.
    Ob Mattiacus kam? "Ich weiß nicht, aber ich hoffe es!" Da könnte Tante Venusia auch gleich mal bei ihm Maß nehmen, für ihre Ehestiftungs-Ambitionen. "Galas", bat ich den Sklaven, der sich um die Getränke kümmerte, "wärst du bitte so nett mal zu schauen, ob Mattiacus da, ist und ob er mitbekommen hat, dass wir hier mit Valeria zusammen essen?"
    Der Sklave bejahte höflich und machte sich auf, und ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder meiner neuentdeckten Cousine zu.
    "Das ist übrigens eine wirklich schöne Tunika! Meine Schwester hat auch so eine ganz ähnliche." Guter Geschmack, schlichte Eleganz, das lag eben in der Familie.
    "Wie kommt es eigentlich, dass wir uns erst jetzt kennenlernen? Hast du in einer anderen Provinz gelebt?", erkundigte ich mich interessiert, und schon auch neugierig - immerhin hatte Eubulus gesagt, Valeria sei richtig verschollen gewesen.

    Zitat

    Original von Duccia Venusia


    "Dann hat ja sozusagen der Kaiser eure Ehe gestiftet.", bemerkte ich erstaunt. Meine Tante schien ihren romantischen Erinnerungen nachzuhängen, da wollte ich wirklich nicht stören und widmete mich, wie gesagt, den Pistazien. Warum nur, fragte ich mich, warum war alle Welt so versessen aufs Heiraten?
    Aber was Venusia über ihre Anfangszeit im Imperium erzählte, das war wirklich interessant. Meine Familie hatte ja auch einen peregrinen Hintergrund, genaugenommen waren wir seit zwei Generationen erst römische Bürger, aber in der Zeit hatten wir uns Wohlstand und Ansehen erarbeitet.
    "Ja, ich glaube auch, dass man sich darauf einlässt, das ist das wichtigste. Es gibt doch so viele, ähm, Bewohner peregriner Herkunft, die nie richtig Fuß fassen! Ich meine, es ist ja nichts verkehrt daran, seine Herkunft weiter zu ehren... zum Beispiel die Familie meiner Mutter, in Tarraco, bei denen haben wir oft die iberischen Feste gefeiert, und meine Großmutter hat mit uns immer nur iberisch gesprochen, damit wir es auch lernen... aber das ist doch nochmal was anderes, als sich starrsinnig gegen unsere römische Kultur zu sperren, wie manche das eben leider tun. Ich meine, wir sind ja nicht ohne Grund das größte und zivilisierteste Reich auf der ganzen Welt! Und jeder, der sich ein bisschen Mühe gibt, der hat auch eine Chance, hier seinen Beitrag zu leisten, und Teil zu haben, und selbst davon zu profitieren.
    Aber habe ich recht gehört, du kamst aus Britannien? Ich dachte du wärst im wilden Germanien aufgewachsen?"

    Unter den Briefen, die aus Rom nach Tarraco, in die Casa Decima Lucilla weitergeleitet wurden, war auch der folgende. Das Siegel war etwas schief geraten, und die Adresse stand in großen, wütenden Buchstaben geschrieben.


    An
    Decima Lucilla
    Casa Decima Lucilla
    Tarraco
    Hispania



    Salve Lucilla,


    wie, beim Geifer des Cerberus, kommt Du drauf, ich würde mich verkaufen?!! Wie, bei den klaffenden Mäulern der Hydra, kannst Du so was von mir denken?! Glaubst Du etwa wirklich, dass ich mich für ein schnödes Amt, für so profane Dinge wie Geld und Karriere, wahllos irgendjemandem hingeben würde?!
    Beim Stachel des Mantikor, scheint die Sonne in Tarraco diesen Winter etwa so heiß, dass sie Dir den Geist getrübt hat, dass Du mir solch schändliche Motive unterstellst, dass Du mich, Deinen Neffen, der es Dir gegenüber nie an Achtung hat fehlen lassen, derart beleidigst?!


    Ich will weder Augur noch Septemvir werden, Mars bewahre, ich bin Soldat und werde es auch bleiben! Aber ich will Dir sagen, warum ich mich "diesem Senator" an den Hals geworfen habe, wie Du es nennst! "Dieser Senator" ist, nur zu Deiner Information, ein ausgesprochen attraktiver Senator! Er ist ein schöner Mann, elegant und leidenschaftlich, gutaussehend und geistreich, distinguiert und witzig, mit wundervollen braunen Augen, in deren goldener Tiefe ich mich für immer verlieren möchte
    und er hat eine unvergleichliche Art, die Worte zu so kunstvollen Satzgebilden zu formen, zu verführerischen, in der Vergänglichkeit des Momentes strahlenden Klangkunstwerken, dass es für jeden Menschen, der auch nur einen Hauch ästhetischer Empfindsamkeit in sich trägt, einfach bloß zum Dahinschmelzen ist!


    Liebe Lucilla, auf die Gefahr hin, Dich noch viel mehr zu schockieren, ein Mann wie dieser, mit Geist und Größe, und Charme und Stil, ist mir ungefähr tausendmal lieber als die kichrigen Mädchen in meinem Alter, die ausser Kleidern, Schmuck und Männerjagd rein gar nichts in ihren süßen kleinen Köpfchen haben.
    Ausserdem ist jener Senator ein göttlicher Liebhaber. Er hat es wahrlich nicht nötig, mit Posten zu winken! An die Nacht mit ihm werde ich mich immer mit Genuß zurückerinnern!
    Aber Du musst Dir keine Sorgen wegen dieser Schlagzeilen machen, von denen Du so fürchtest, dass sie Deinen Einfluss untergraben könnten. Es war nur die eine Nacht, eine Orgienbekanntschaft, die, so schön sie auch sein mag, mit Sonnenaufgang dann eben auch wieder vorbei ist. (Leider.) Ausserdem war ich verkleidet. Woher weißt Du eigentlich überhaupt so gut über mein Liebesleben bescheid? Hast Du etwa die Parzen ausgesandt, damit sie mir hinterherspionieren?! Wenn hier jemand Grund hat, enttäuscht zu sein, dann bin ich das!


    Vale.
    Faustus



    PS. Bitte sag Livianus nichts davon.

    Doch ich war alleine, niemand war Zeuge meines Wutausbruches, niemand ließ sich von meinen Verwünschungen beindrucken, und so schnappte ich mir zornentbrannt ein Stück Papyros und begann mit wilden Federstrichen eine geharnischte Antwort zu verfassen! Lucilla war schockiert?! Sie sollte noch ganz anderes zu hören bekommen!! Ich würde meine gute Tante so schockieren, dass sie nicht mehr wusste wo oben und wo unten war! Voll gerechtem Zorn siegelte ich das Schreiben, und schickte den Brief dann auch sofort los. (Keine gute Idee.)



    An
    Decima Lucilla
    Casa Decima Lucilla
    Tarraco
    Hispania



    Salve Lucilla,


    wie, beim Geifer des Cerberus, kommt Du drauf, ich würde mich verkaufen?!! Wie, bei den klaffenden Mäulern der Hydra, kannst Du so was von mir denken?! Glaubst Du etwa wirklich, dass ich mich für ein schnödes Amt, für so profane Dinge wie Geld und Karriere, wahllos irgendjemandem hingeben würde?!
    Beim Stachel des Mantikor, scheint die Sonne in Tarraco diesen Winter etwa so heiß, dass sie Dir den Geist getrübt hat, dass Du mir solch schändliche Motive unterstellst, dass Du mich, Deinen Neffen, der es Dir gegenüber nie an Achtung hat fehlen lassen, derart beleidigst?!


    Ich will weder Augur noch Septemvir werden, Mars bewahre, ich bin Soldat und werde es auch bleiben! Aber ich will Dir sagen, warum ich mich "diesem Senator" an den Hals geworfen habe, wie Du es nennst! "Dieser Senator" ist, nur zu Deiner Information, ein ausgesprochen attraktiver Senator! Er ist ein schöner Mann, elegant und leidenschaftlich, gutaussehend und geistreich, distinguiert und witzig, mit wundervollen braunen Augen, in deren goldener Tiefe ich mich für immer verlieren möchte
    und er hat eine unvergleichliche Art, die Worte zu so kunstvollen Satzgebilden zu formen, zu verführerischen, in der Vergänglichkeit des Momentes strahlenden Klangkunstwerken, dass es für jeden Menschen, der auch nur einen Hauch ästhetischer Empfindsamkeit in sich trägt, einfach bloß zum Dahinschmelzen ist!


    Liebe Lucilla, auf die Gefahr hin, Dich noch viel mehr zu schockieren, ein Mann wie dieser, mit Geist und Größe, und Charme und Stil, ist mir ungefähr tausendmal lieber als die kichrigen Mädchen in meinem Alter, die ausser Kleidern, Schmuck und Männerjagd rein gar nichts in ihren süßen kleinen Köpfchen haben.
    Ausserdem ist jener Senator ein göttlicher Liebhaber. Er hat es wahrlich nicht nötig, mit Posten zu winken! An die Nacht mit ihm werde ich mich immer mit Genuß zurückerinnern!
    Aber Du musst Dir keine Sorgen wegen dieser Schlagzeilen machen, von denen Du so fürchtest, dass sie Deinen Einfluss untergraben könnten. Es war nur die eine Nacht, eine Orgienbekanntschaft, die, so schön sie auch sein mag, mit Sonnenaufgang dann eben auch wieder vorbei ist. (Leider.) Ausserdem war ich verkleidet. Woher weißt Du eigentlich überhaupt so gut über mein Liebesleben bescheid? Hast Du etwa die Parzen ausgesandt, damit sie mir hinterherspionieren?! Wenn hier jemand Grund hat, enttäuscht zu sein, dann bin ich das!


    Vale.
    Faustus



    PS. Bitte sag Livianus nichts davon.

    Ich spähte über meine Schulter, und sah, dass sie sich angekleidet hatte, auf den Mantel jedoch verzichtet hatte. Wahrscheinlich hatte sie beschlossen, an einem Lungenfieber zu sterben, um niemandem zur Last zu fallen. Ungeduldig hielt ich ihr den warmen Umhang noch einmal hin, und meinte auffordernd: "Hier!", dann verließen wir das Gasthaus zum Anker. Es war ein trüber Vormittag, verwaschene Wolken hingen über der Stadt. Die Strassen waren jetzt sehr belebt, und sobald wir aus der Türe traten, waren wir mitten drinn, in dem Strom der Leute, die hierhin und dorthin eilten, Waren schleppten, laut schwatzten, emsig waren, alle irgendeinem Ziel zustrebten. Ich fröstelte, nachdem ich eben ruhig am Feuer gesessen hatte war mir jetzt kalt, und gähnte hinter vorgehaltener Hand.
    "Wo wohnst du, Bridhe?" fragte ich, während ich neben ihr her ging, und versuchte dabei streng zu klingen, anstatt müde. Von links her mündete eine Strasse ein, aus der sich gerade eine geschlossene Sänfte auf den Schultern kräftiger Träger rücksichtlos in die jetzt schon übervolle Strasse schob. Wie eine Wellenbewegung ging es durch die Menge, ein dicker Mann vor mir wich aus, schob mich dabei ein Stück mit zur Seite. Meine müden Beine stolperten über den Rinnstein, rasch hielt ich mich am nächstbesten fest – das war das Schultertuch einer hart blickenden Frau, die daraufhin schrill zu schimpfen anfing. Bona Dea! Ich entschuldigte mich, machte beschwichtigende Gesten, dann wandte ich mich schnell wieder ab, um die Hibernierin in dem ganzen Gedränge nicht zu verlieren.