Diese Cena war das erste und bisher einzige Mal, dass Manius mich ganz offen in sein Haus und seine Kreise eingeladen hatte. Dementsprechend sorgfältig war ich vorbereitet, um ihm nur bloß keine Schande zu machen, trug eine ganz klassische und un-extravagante Toga, war makellos rasiert, nahm die Olivenkerne manierlich mit der Serviette auf und war natürlich auch zum Thema auf dem neusten Stand. Vor einiger Zeit war uns von einem unserer Männer in Bithynien die Hausbibliothek eines als Christianer überführten und schließlich aufgrund seiner Halsstarrigkeit auch hingerichteten Händlers überstellt worden. Die kultischen Schriften waren zwar ungeheuer dröge zu lesen, boten aber einen ganz guten Einblick in die wirren Lehren der Sekte...
Der Senator Marcius, die Koryphäe des Rechts, fand ebenfalls, dass das Dekret zu vage war. Manius hingegen schien es allgemein als viel zu milde anzusehen. Obwohl ich im Grund geneigt war, ihm da zuzustimmen, und obwohl ich es einfach liebte, seiner wohltönenden Stimme zu lauschen, gerade wenn er in seinem rhetorischen Element war, so wie hier.... so beschlich mich doch ein gewisses Unbehagen bei seiner Vehemenz gegen den Toleranzparagraphen. Denn wenn Manius einen Entschluß gefasst hatte, dann war er – erfahrungsgemäß!!! - gelinde gesagt gerne radikal in der Umsetzung. Und Aurelias pathetischem Treueschwur zufolge würde sie ihn wohl voll unterstützen, wenn er wieder einmal das Kind mit dem Bade ausschüttete.
Aus diesem Grund schätzte ich den besonnenen Einwurf des Valerius, Roms aufstrebendstem jungen Rhetor, dessen Rede auf der Rostra beim Wettstreit wirklich phänomenal gewesen war, und nickte beifällig dazu. Was mich allerdings einen Augenblick ersthaft grübeln ließ, war die wohlformulierte, doch für mich recht leere Aussage "Delinquenz in einer kultischen Gruppe ergibt sich aus einer Vielzahl von Faktoren und bloße Repression würde nur die Symptome angehen, nicht die Wurzel."
"Repression – gezielte Repression der Auswüchse – ist meines Erachtens der einzige Weg." widersprach ich ihm auf dieses Stichwort höflich. "Die Wurzeln herauszureißen, das ginge wohl nur, indem wir sie restlos allesamt hinrichten – was nicht machbar ist. Oder..." Ich blickte zu Manius, dem Pontifex pro Magistro, und machte einen kleinen Scherz, um die Atmospäre etwas aufzulockern: "...indem wir sie schlichtweg in den Staatskult integrieren und ihnen damit die Zähne ziehen." Doch schon während ich das sagte, hatte ich den Eindruck, dass Manius das ganz und gar nicht komisch fand.
Also zu den Fakten.
"Die Christianer sind in ihrem Ursprung eine jüdische Sekte, so eine Art Erneuerungsbewegung kann man wohl sagen, aber mittlerweile haben sie sich abgespalten. Sie beziehen sich auf einen Wanderpropheten, der in Kaiser Tiberius' Zeit in Iudaea herumzog. Iesus von Nazareth. Er war ein armer Schlucker, behauptete aber er sei der König der Juden, und göttlicher Natur. Sie schreiben ihm die üblichen Wundertaten zu, Kranke heilen, Tote erwecken. Wegen Majestätsbeleidigung und Anstiftung zum Aufruhr wurde er dann hingerichtet, gekreuzigt. Die Christianer glauben, er sei danach von den Toten zurückgekommen. Und sie glauben auch, dass sie selbst durch ihn irgendwie unsterblich werden können... aber nicht in dem Sinne wie viele Mysterienkulte als Wiederkehr der Seele," - unwillkürlich spielten meine Finger mit dem Amulett des Serapis, das ich, zusammen mit meinem Mars-Amulett in Ancile-Form, beständig trug – "... sondern wohl ganz konkret, körperlich, in einer Art Gefilden der Seligen..."
Ich nahm einen Schluck Wein und erläuterte weiter, was ich über die absurden Lehren wußte.
"Über die Getreuen dieses Aufrührers hatte sich die Lehre dann verbreitet, aus Iudaea heraus, bis zu uns. Die Christiner leugnen Standesunterschiede, sie behaupten, alle Menschen, ob Sklave ob Kaiser, seien gleich vor ihrem Gott. Damit sprechen sie natürlich besonders die Armen und Unfreien an, die sich dadurch geschmeichelt fühlen. Aber auch Schwarmgeister und Ängstliche, die sich besonders vorm Sterben fürchten, fallen ihren Lehren häufig zum Opfer. Darunter besonders häufig das schwache Geschlecht. So kommt es, dass wir Christianer mittlerweile eben leider durchaus nicht nur in der Unterschicht finden...
Du fragtest nach der Struktur, Pontifex Valerius. Die ist recht lose. Ihr Kult ist organisiert in Gemeinden, die sich regelmäßig treffen und ihre Riten vollziehen und reisende Prediger empfangen."
Über die Riten wussten wir leider kaum etwas.
"Hier in Rom gibt es viele davon. Manche finden sich dafür an irgendwelchen abgelegenen Orten zusammen, andere besser situierte in privaten Haushalten. Sie wählen sich aus ihren Reihen wohl für gewöhnlich einen Ältesten, einen epískopos, der sie führt."
Ich sah in die Runde, von einem zum anderen.
"Wie gesagt, die meisten Christianer sind trotz ihrer mehr als fragwürdigen Überzeugungen im Alltag recht anständige Leute. Unter den gewöhnlichen Verbrechern dieser Stadt, Dieben, Fälschern, Raubmördern, findet man interessanterweise kaum Christianer. Das Fatale ist allerdings, das ihre Lehre unsere Götter als nicht verehrungswürdig darstellt, und auch den Kaiserkult ablehnt! So bringt dieses Milieu immer wieder Fanatiker hervor, die sich dann erdreisten, lauthals und lästerlich die Grundfesten unseres Staates in den Schmutz zu ziehen."