In meinem Officium in der Principa erwartete ich also den trauernden Hinterblieben. Natürlich hatte ich alle geheimen Unterlagen beiseite geräumt. Die großen Karten hingen sowieso im Nebenzimmer. Der Raum war nur funktionell, ich hatte nie Mühe darauf verwendet, ihn repräsentativ zu machen, anders als damals in meinem Präfekten-Officium. Auf dem Schreibtisch stand noch immer das Modell des innovativen neuen Geschützes "Stachelschwein", daneben lag das glattgestrichene Stück Papyrus, das ich in der Stube des verblichenen Optios gefunden hatte. Am Rüstungsständer in der Ecke hing meine Paraderüstung, aus den Augenwinkeln immerzu an eine dunkle Gestalt erinnernd. Das Fenster stand einen Spalt offen, vom Campus her waren aus der Entfernung die üblichen Geräusche des Drills zu vernehmen.
Ich hatte damit gerechnet, dass die Jahre Dives' Glanz abgestumpft hätten, doch als er dann hereintrat, war es nicht anders als früher. Veilchenblaue Augen, güldenes Haar, ein stolzes Antlitz über dem ihn sehr gut kleidenden Trauergewand, etwas markanter war er geworden, doch noch immer hätte er jederzeit Modell für seinen meistverehrten Gott stehen können, kurz: Dives war und blieb das reine Unheil!
Wenn ich eine Rangliste angelegt hätte, welche fatalen Schönen mich in der Vergangenheit zu den den fatalsten Torheiten und allernärrischsten Idiotien getrieben hatten, dann hätte Marcus 'Dulcis' Dives unangefochten ganz oben auf der Liste gestanden, noch vor Manius. Vorsicht war geboten bei ihm, und das noch immer. Zugleich gab es gemeinsame Erinnerungen, die ich um keinen Preis der Welt hätte missen wollen.
Ich stand auf, und kam hinter meinem Schreibtisch hervor, um ihm die Hand zu drücken. Aber vorsichtig. Er hatte mir nicht geantwortet, auf meine Nachricht nach Bovillae hin. Ich nahm an, dass ich ihm damit wohl zu nahe getreten war, aber etwas gekränkt war ich schon, dass der an Worten so Überreiche für mich nach meiner Rückkehr aus Nabataea nicht ein einziges hatte übrig gehabt.
"Salve Senator Iulius Dives." flüchtete ich mich aus der Befangenheit in pure Förmlichkeit und nüchternen Bericht. "Bitte nimm doch Platz."
Ein Besucherstuhl, der dem meinen an Höhe genau gleichkam, stand für ihn bereit. Seinen Begleiter musterte ich kurz, wies diesem dann mit einer Handbewegung eine einfachere Sitzgelegenheit zu.
"Möchtest du einen Schluck trinken?"
Ein Krug mit trockenem Caecuber stand bereit, und wenn er es wünschte, würde ich ihm einen Becher einschenken. Ich brauchte jedenfalls einen.
"Mein Beileid zu eurem Verlust. Optio Iulius Labeo ist heute morgen von seinen Kameraden tot aufgefunden worden. Er lag in seinem Bett in der Stube, ist wohl auch dort verstorben. Es gibt... keine Verletzungen, keine Kampfspuren, kein Zeichen dass jemand sich Zugang zu seiner Stube verschafft hätte. Der Medicus hat auch nichts ungewöhnliches feststellen können. Gestern Abend haben seine Leute den Optio zuletzt gesehen, da wirkte er erschöpft vom Training, aber sonst vollkommen normal. Natürlich... macht das hellhörig, angesichts der grausamen Morde neulich an zweien deiner Verwandten, aber... so wie es sich darstellt, weist hier erst einmal nichts auf eine Fremdeinwirkung hin."
Und es gab ja doch leider immer wieder Fälle, in denen Menschen entweder mitten aus dem Leben heraus der Schlag traf, oder sie unmerklich aus dem öffentlichen Leben verschwanden, als würden sie verblassen, und man erst Monate später erfuhr, dass sie einer namenlosen Krankheit erlegen waren.
"Was allerdings merkwürdig ist..." Ich schob ihm das Papyrus herüber, das stark nach Testamentsentwurf aussah. Ich war es den Iuliern schuldig, die Karten auf den Tisch zu packen.
"...ist das hier, das lag in seiner Stube, zerknüllt. Außerdem war er vorgestern in der Stadt unterwegs, und ließ wohl gegenüber einem Kameraden verlauten dass er zum Vestatempel wolle."
Nachdenklich fasste ich Dives ins Auge.
"Hat er euch gegenüber etwas anklingen lassen? Feinde? Bedrohung? Ein Todeswunsch? Irgendeine Krankheit, die er vor uns verheimlicht haben könnte?"