Ich war der unglücklichste Mensch auf Erden. Ich hatte gewagt, und ich hatte alles verloren. Ich hatte für meine Liebe einstehen wollen, für uns, aber wie es sich herausstellte, gab es überhaupt kein uns! Hannibal hatte mir nur was vorgemacht. Und ich hatte mir auch was vorgemacht. Heute, in der Villa Flavia, hatten sich alle meine Illusionen in einen grossen Scherbenhaufen zerschlagen. Und jede einzelne von ihnen hatte sich tief in meine Seele hineingebohrt, sie staken darin wie gläserne Dolche! Nach meiner Rückkehr hatte ich mich unverzüglich in meinem Officium eingeschlossen, denn das war der einzige Raum wo ich allein sein konnte, und ich wollte niemanden sehen und vor allem wollte ich um keinen Preis, dass jemand mich so sah, niedergeschmettert und... verheult.
Das letzte Licht des Tages wich, und die Schatten krochen aus den Ecken, erfüllten den schäbigen Raum mit grauem Zwielicht. Ich sass in einer Ecke, auf einem der blöden Mahlsteine, hatte die Arme um die Knie geschlungen, und starrte vor mich hin. Meine Augen brannten, meine Glieder waren wie taub, und ich fühlte mich vollkommen leer. Warum musste mir sowas passieren. Warum hatte ich ihn nicht gleich durchschaut, nicht verstanden, dass die ganzen schönen Worte nur leeres Gewäsch waren, dass er stets darauf bedacht war, sich nicht festzulegen, aber zu schmeicheln und Öl ins Feuer zu giessen, und dabei doch alles im unklaren zu lassen. Mit mir rummachen, ja, aber nur zum Spass, ohne etwas dahinter.
Ich vergrub mein Gesicht in meinen Knien und wurde ein weiteres Mal von bitterlichem Schluchzen geschüttelt. Hannibal! Er war alles was ich mir ersehnt hatte, er war der Himmelspol, zu dem meine Träume hinstrebten, und meine Gedanken, und Wünsche und Vorstellungen. Ich selbst war doch nur ein Traum, ein feines Gespinst der Phantasie, eine skizzenhafte Figur in einem wilden Reigen, umhergewirbelt und ohne eigene Essenz... er war der Träumer. Der mir Leben verlieh, der mich an der Hand nahm und aus dem Chaos zog, der mir Wirklichkeit einhauchte. Wenn er mich nicht mehr wollte, würde ich vergehen wie Nebel im hellen Licht der Morgensonne, weithin würden die Winde mich über Erde und Meer verwehen... Hannibal!
Natürlich, von Anfang an hatte es unter einem schlechten Stern gestanden. Im Nachhinein sah ich ganz deutlich, was ich im Taumel der Gefühle nicht hatte sehen wollen. Er hatte mich getäuscht! Mit mir gespielt. Das war einfach... böse. Ja, ich hasste ihn. Ich sollte Ziaar losschicken, damit er ihn richtig brutal verprügelte. Ihn zum Krüppel schlug. Oder besser, ich sollte mir eine Fluchtafel besorgen, und ihm die grausigsten Gebrechen auf den Hals schicken... Einen Ausschlag, schmierige Pusteln die über Nacht aufbrachen und sein Gesicht entstellten, dann würden seine ganzen anderen Liebhaber und Freundinnen, wegen denen er mich verschmäht hatte, angewidert vor ihm zurückschrecken, und er würde es erfahren, wie es war allein gelassen zu werden.
Nein, das war zu niedrig. Und irgendwie auch weibisch. Ich sollte ihn vergessen. Es war es gar nicht wert, war doch bloss ein Sklave, ein niederes Wesen zu dem eine Verwirrung meiner Sinne mich hinabgezogen hatte. Sowieso, es war eines Römers nicht würdig, es wäre schon längst an der Zeit gewesen, dieses, man konnte schon sagen Doppelleben, zu beenden, diese Verstrickung zu lösen, sie gehörte zu einem Flosculus, einer lächerlichen Nachtgestalt, aber nicht zu mir, Decimus Serapio, Soldat im Dienste des Kaisers. Ein Schmerz, ja, ein unsäglicher Schmerz, war in mir, aber das war meine Katharsis, die mich von dem letzten Schmutz reinigte... das musste es sein.
Ich erhob mich, und ging steifbeinig zu einer Kiste, schloss sie auf und zog ganz unten meine alte Tunika aus dem Krieg hervor, die fadenscheinig war, ausgebleicht, geflickt und übersät von den Rändern der Blutflecken, die sich nicht ganz hatten auswaschen lassen. Es knisterte leise, als ich in ihren umgeschlagenen Saum griff, die Lücke in der Naht erfühlte, und den Brief daraus hervor zog. Den Brief, der meine Hoffnungen so sehr genährt hatte, den Brief den ich abertausend mal gelesen hatte, der mir in an der Front ein Talisman gewesen war, und ein Zeichen dafür wie sehr es sich lohnte, das ganze zu überleben. Ich biss mir auf die Lippen, und stierte auf das Stück Papyrus, ein hellerer Fleck im Zwielicht, auf dem sich die Tinte schwarz abhob. Zum Lesen war es zu dunkel, aber ich kannte den Inhalt auswendig. Die ganzen Lügen. Abgeschmackte Lügen. Ich war sein Eromenos. Ein Adonis. Ein strahlender Saphir. Er vermisste den Glanz meiner Augen. Von wegen.
Langsam schloss ich die Faust. Ein Finger nach dem anderen drückte sich in das faserige Gewebe, zerdrückte es, knickte es, zerknüllte es zuletzt.
An meinem Schreibtisch tastete ich fahrig nach der Öllampe, und entzündete sie. Drei Flämmchen zuckten über den tönernen Tüllen des Gefässes, warfen ihren Schein über die penibel aufgeräumte Fläche des Tisches, malten einen Lichtkreis drumherum, und liessen die Schatten am Rande des Raumes schwärzer werden. Langsam, wie gegen einen Widerstand näherte ich die Hand mit dem Brief dem Feuer. Sie zitterte, das machte mich wütend über meine eigene Schwäche, und mit einer abrupten Bewegung hielt ich den Brief mitten hinein in die Flammen. Einen Wimpernschlag lang leckten sie nur drumrum, schienen das Papyrus zu verschonen, dann schwärzte es sich an einer Ecke, fing Feuer, und auf einmal lohte es unversehens hell auf, wie Zunder, so dass der ganze Raum kurz von roten Flackerlicht erfüllt war. Auch meine Hand, die ich nicht schnell genug zurückgezogen hatte, umzüngelten die Flammen, ich starrte drauf, fühlte erst dann den Schmerz, und liess aufkeuchend den brennenden Brief los. Er segelte auf den Schreibtisch wo die Flammen ihn verzehrten, dann so schnell wie sie aufgeflammt waren wieder verloschen, während ich zum Fensterbrett eilte, denn da stand ein Wasserkrug, in den tauchte ich meine Hand zur Kühlung. Es tat verdammt weh, und der körperliche Schmerz riss mich für den Moment aus der Versenkung in meine Verzweiflung heraus. Ich fluchte derb, betrachtete dann meine Hand, auf der sich am Rande des Handtellers ein paar kleine Brandblasen gebildet hatten. Naja, da hatte ich schon schlimmeres überstanden.
Und eigentlich, sagte ich mir trotzig, eigentlich galt das für die ganze Angelegenheit. Ich hatte echt schon schlimmeres durchgemacht... - auch wenn es sich im Moment gar nicht so anfühlte. Elend stützte ich mich auf das Fensterbrett, wickelte mir einen nassen Fetzen um die Hand. Morgen früh würde ich wieder funktionieren müssen. Stark und bestimmt sein, das ganze einfach wegschieben. Ich konnte mir Liebeskummer nicht leisten!
Aber so einfach war das nicht. Schon wieder stieg Hannibals Bild vor mir auf, schon wieder füllten Tränen meine Augen. Perfidus, sed quamvis perfidus, carus tamen, hätte ich mit Tibullus sagen können. Brandig roch es jetzt hier drin... Langsam verglomm auch die letzte Glut, die die Ränder der Aschefetzen säumte, und liess die verkohlten Überreste des Briefes in Dunkelheit versinken.