Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Von meiner Position aus, nahe am Präfekten, hörte ich so gut wie jedes Wort von dem kleinen Zusammenstoss zwischen ihm und dem Konsul. Die beiden schenkten sich nichts! Es war fast wie im Theater, wenn man davon absah dass solche Antipathien zwischen den Mächtigen schnell mal auf dem Rücken von weniger Mächtigen, Unbeteiligten, ausgetragen werden können. Dass der Präfekt, als unbekannte Grösse und Vertrauter des Kaisers, in der Stadt mit einem gewissen Misstrauen betrachtet wurde, das war mir klar, aber dass ihm so ein starker Wind entgegen blies hätte ich nicht gedacht.
    Was mich auch erstaunte war, dass ich im Gefolge des Konsuls, als der davonrauschte, kurz meinen Vetter Flavus ausmachte. Was mochte ihn denn dorthin verschlagen haben? Länger darüber nachdenken konnte ich nicht, denn sowie der Stadtpräfekt sich wieder in Bewegung setzte, galt es für uns ihn weiterhin exakt zu flankieren, und das erforderte Konzentration.
    "Scuta sursum. Aequatis passibus. Peergite."
    So marschierten wir weiter, bis zu dem abgegrenzten Bereich wo sich die Tribüne für die Würdenträger erhob. Am Eingang gab ich den vier hinteren Milites nur einen knappen Wink, worauf sie sich mit präzisen, wie abgezirkelten Bewegungen aus dem Geschwader lösten und an der Seite positionierten. Natürlich war das alles vorher besprochen und auch mal durchexerziert worden, damit es gut funktionierte.
    Auch an anderen Stellen auf dem Marsfeld hatten sich Urbanertrupps eingefunden, ein Muss bei so einer Menschenmenge, wie sie hier zu erwarten war.


    Wir anderen folgten der massigen Gestalt unseres Kommandanten und nahmen dann, getreu der Instruktionen, eine Stellung in seiner Nähe, aber etwas im Hintergrund ein. Da entspannte ich mich ein wenig, und liess die ganze Szenerie auf mich wirken. An zwei rote Cristae transversae blieb mein Blick hängen. Hey! Da waren ja Licinus und Imperiosus! Ich hob kurz grüssend die Hand, und grinste zu ihnen hinüber, natürlich durfte ich meinen Posten hier jetzt nicht verlassen aber vielleicht würden wir ja trotzdem noch ein paar Worte wechseln können.
    Dumpfes Dröhnen kündete schon von dem Nahen der Gardekohorten. Ich hatte ein gespaltenes Verhältnis zu den Praetorianern im Allgemeinen, fand dass sie Stil und schicke Rüstungen und das gewisse Etwas hatten, aber die Prima war besser und in Parthien hatten sie nicht gut genug auf unseren Kaiser aufgepasst. Ich unterdrückte ein Grinsen, als ich an Sparsus' Reaktion dachte, als ich ihm das erzählt hatte, dass 'unser Primus Pilus' zu denen gewechselt war: "Da können wir uns damit trösten", hatte er gesagt, "das wenigstens ein Fähiger bei den Prätis rumläuft." Genau.

    Düster sah der Centurio aus, mächtig düster, aber heute eher melancholisch-jovial, nicht gereizt. Wahrscheinlich war es trotzdem nicht der beste Zeitpunkt für mein Anliegen, aber was hätte ich schon machen sollen? - Oder vielleicht machte der Abschied ihn gerade heute milde und nachsichtig?! Das wäre perfekt...
    Es erinnerte mich an den Abend, als er mir sagte dass er die Prima verlassen würde - und ich und die anderen mit ihm. Sicher setzte es ihm zu, gehen zu müssen. Schliesslich hatte er, obwohl er ein Patrizier war, immer mit Leib und Seele seine Position ausgefüllt, uns ausgebildet, Diziplin und Moral aufrechterhalten, uns in den Kampf geführt und an unserer Spitze gefochten, anstatt wie seine Standesgenossen den Posten und Pöstchen nachzujagen die weniger Plackerei, dafür mehr Prestige boten. Ich hatte Mitgefühl, ich wusste was ich ihm verdankte, aber mein Groll war immer noch frisch, und sehr präsent. Es kränkte meinen Stolz ihn um etwas bitten zu müssen. Den galt es heute leider herunterzuschlucken, den Stolz. Bemüht höflich, aber doch eher steif antwortete ich, mit einem Seitenblick auf den Sklaven der da am Packen war:
    "Centurio Flavius, ich würde das, wenn Du erlaubst, gerne unter vier Augen besprechen."

    Was machten die beiden denn da?? Irritiert sah ich, wie sie sich hintereinander, Tucca die Hände auf Tuktuks Schultern durch den Schankraum hindurch bewegten, als würde sie ein Gespann spielen, oder wären ein Fragment eines Reigens... Ich hätte das für einen Scherz oder eine scherzhafte Huldigung an den Schutzpatron der Kneipe gehalten, aber auf ihren Gesichtern war kein Grinsen zu sehen, sie hatten eine Selbstverständlichkeit an sich, die das ganze um so bizarrer machte. Ich setzte mich, verwundert, und auch von anderen Tischen trafen sie ein paar komische Blicke als sie vorübergingen. Ein paar gute Manieren hatte ich mir aber auch, trotz der Legion, bewahrt, weshalb ich darüber hinwegging und nicht zu sehr starrte, so wie Tucca zuvor von meinem Erschrecken, als er so plötzlich aus dem Dunkeln getaucht war, keine Notiz genommen hatte. Noch ordnete ich es unter 'Künstler sind manchmal seltsam', oder 'Künstler glauben seltsam sein zu müssen' ein.
    Sein Repertoire klang interessant, und der Gedanke mal mit jemand anderen zusammenzuspielen, auch wenn es wahrscheinlich nur so dahingesagt gewesen war, gefiel mir sehr. Mit meinem Centurio hatte ich ja auch ein paarmal zusammen musiziert, nachdem ich zu meinem Erstaunen herausgefunden hatte dass er auch die Kithara spielte, und das hatte mir wirklich Spass gemacht, leider hatten wir nur sporadisch die gemeinsame Zeit dazu gefunden. Immer der Dienst. - Unser Cornicen war ja auch ein verkappter Künstler, ich wusste dass er darunter litt, immer nur immer wieder die selben Signale zu schmettern, wo doch sein Instrument so viel mehr Möglichkeiten bot. Er probte schon eifrig ein Abschiedsständchen für Aristides. Aber Cornu und Flöte passten für mein Empfinden nicht so besonders gut zusammen. - Ich streckte die Beine unter dem Tisch aus, und liess den Blick durch den Schankraum wandern, der mich kurz ein bisschen an die Kneipe erinnerte, in der ich mir mal schlecht und recht was mit meinem Flötenspiel dazuverdient hatte, in diesen verschwommenen Zeiten damals, aber es war wohl mehr das Gespräch das mich darauf gebracht hatte, denn die Bacchuslaube war eindeutig ein sehr viel solideren Lokal.


    Tucca stand ja immer noch. Erst als er sich, tastend und mit Anweisung Tuktuks, auf die Bank niederliess, kam mir der Gedanke, er könnte möglicherweise nichts sehen? Halb betroffen, halb neugierig ob das wirklich so war, betrachtete ich ihn, der mir nun gegenübersass. Irgendwie hatte ich Hemmungen ihn direkt zu fragen. Er sah gut aus, soviel war schonmal klar, und war gediegen gekleidet. Seine Züge waren, auf eine vergeistigte Weise, schön... - seine Augen grau, und schienen an sich ganz normal, aber ihr Blick war irgendwie vage. Jedenfalls sah er mich nicht an, und auch nicht die Schankfrau, obwohl deren Ausschnitt sehr dazu geeignet war, alle Blick auf sich zu ziehen. Auch meinen, obwohl ich mich für den Inhalt nicht begeistern konnte, und sich mir eher die Frage aufdrängte: Wie hält das??
    Jedenfalls entsprach Tucca nicht meinem Bild von einem Blinden... so jemandem wie dem Bettler der immer am Herculesbrunnen rumsass und schnorrte (wobei das vielleicht nur seine Masche war), oder dem mageren Blumenmädchen das man oft in der Via Nomentana sah, oder meinem uralten iberischen Grossonkel der in seinen letzten Jahren immer weniger gesehen hatte und dafür verbiestert, von der Ofenbank aus, Magd und Knecht terrorisiert hatte. - Dass der, über den ich da so mutmasste, mich auf einmal wieder ansprach, schreckte mich aus den Spekulationen auf.
    "Latium. Latium ist wunderbar. Die zweite Runde geht dann aber auf mich."
    Ich streifte seinen stillen Begleiter mit einem Blick - wie konnte man bloss Milch trinken, scheusslich, ganz und gar barbarisch - und stützte mich mit den Unterarmen auf die Tischplatte, beugte mich ein Stück zu Tucca vor.
    "Tucca, dann kennst Du vielleicht dieses Lied? Es kommt, glaube ich, aus Ägypten. Das geht so..." Ich summte ein paar Takte, unterbrach mich, es war eine eintönige, fremdartige, aber irgendwie auch aufpeitschende Melodie, die nicht so leicht wiederzugeben war. Schon gar nicht in einer Taverne wo von allen Seiten Lärm erklang. "Nein, warte, das war nicht richtig. Eher so..." Noch einmal versuchte ich es, traf es jetzt besser. Ruderhand, Krähenkreis, Niemandsland. "Das geht mir die ganze Zeit im Kopf herum. Es ist aber nur ein Teil. An das Ganze kann ich mich nicht mehr erinnern..."
    Mit den Fingern trommelte ich auf die Tischplatte, und hielt meine Augen auf die seltsam unbestimmten grauen mir gegenüber gerichtet um mich dann schliesslich doch, vorsichtig, zu erkundigen: "Entschuldige die Frage, aber kann das sein, dass Du, ähm, nicht so gut sehen kannst?"

    Tja. Länger konnte ich es wirklich nicht mehr aufschieben. Die Frist lief ab, und zudem hatte mein Centurio bereits seinen Abschied eingereicht, oder genommen, oder war schon im Gehen begriffen, ich wusste es nicht, am liebsten wäre ich ihm überhaupt gar nicht mehr entgegengetreten, abgesehen von den formellen Begegnungen im Dienst wo sich das nicht vermeiden liess. Wie der mich blossgestellt hatte, im Atrium seiner Villa, mit seinem Sarkasmus, das nahm ich ihm so richtig übel! Bei sowas bin ich nachtragend. Er hatte auch seinen Anteil an der ganzen Misere mit Hannibal. Vielleicht sollte ich ihm dankbar sein, dass er mir meine Illusionen genommen hatte, aber ich war es nicht. Roh und brutal war der mit meinen Gefühlen umgesprungen. Ein tumber Spiesser eben. Ich war stinksauer auf ihn.
    Aber das würde alles nur noch viel schwieriger machen. Schliesslich wollte ich etwas von ihm, etwas von dem mein Schicksal im Exercitus Romanus, überhaupt meine ganze Zukunft abhing... Scheiße war ich nervös! Flau im Magen und dazu übernächtigt, vom wachliegen und vom grübeln und davon, mich trotz allem, trotzdem ich es nun wirklich besser wusste, brennend nach Hannibal zu verzehren. Ach, das war alles so ein blöder Mist!
    Vor der Türe zu seiner Unterkunft stockte mein Schritt. Ich rückte mein Cingulum gerade (obwohl es schon gerade war), zupfte an dem schmalen Leinenstreifen um meine Hand, und wischte einen (imaginären) Fleck von einem Segment meiner Lorica. Die hatte ich angelassen, nachdem ich vorhin von Patrouille zurückgekommen war, in meinem Harnisch fühlte ich mich nämlich immer ein Stück sicherer, gewappneter eben. Dann holte ich tief Luft, rieb mir die Nasenwurzel, atmete langsam wieder aus, und sagte mir dabei Faustus, denk einfach nicht daran was da in dem Atrium passiert ist, tu einfach als wäre es nie gewesen, Hannibal ist bloss ein verlogener Sklave, aber Aristides ist Dein Centurio, Du schätzt ihn, Du vertraust ihm, er hat Dich gefördert, er hat Dich heil aus Parthien zurückgebracht!
    Ich klopfte, wartete einen Augenblick, trat ein. Kisten standen herum, manche schon zugenagelt, andere nur halbgefüllt. Er verliess uns wirklich.
    "Salve Centurio." Ich salutierte, nahm Haltung an, und sah an ihm vorbei auf die Ecke eines Regales, das leergeräumt in den Raum hineinragt. Meine Stimme klang gepresst. "Hättest Du vielleicht einen Moment Zeit für mich?"

    Ich war der unglücklichste Mensch auf Erden. Ich hatte gewagt, und ich hatte alles verloren. Ich hatte für meine Liebe einstehen wollen, für uns, aber wie es sich herausstellte, gab es überhaupt kein uns! Hannibal hatte mir nur was vorgemacht. Und ich hatte mir auch was vorgemacht. Heute, in der Villa Flavia, hatten sich alle meine Illusionen in einen grossen Scherbenhaufen zerschlagen. Und jede einzelne von ihnen hatte sich tief in meine Seele hineingebohrt, sie staken darin wie gläserne Dolche! Nach meiner Rückkehr hatte ich mich unverzüglich in meinem Officium eingeschlossen, denn das war der einzige Raum wo ich allein sein konnte, und ich wollte niemanden sehen und vor allem wollte ich um keinen Preis, dass jemand mich so sah, niedergeschmettert und... verheult.
    Das letzte Licht des Tages wich, und die Schatten krochen aus den Ecken, erfüllten den schäbigen Raum mit grauem Zwielicht. Ich sass in einer Ecke, auf einem der blöden Mahlsteine, hatte die Arme um die Knie geschlungen, und starrte vor mich hin. Meine Augen brannten, meine Glieder waren wie taub, und ich fühlte mich vollkommen leer. Warum musste mir sowas passieren. Warum hatte ich ihn nicht gleich durchschaut, nicht verstanden, dass die ganzen schönen Worte nur leeres Gewäsch waren, dass er stets darauf bedacht war, sich nicht festzulegen, aber zu schmeicheln und Öl ins Feuer zu giessen, und dabei doch alles im unklaren zu lassen. Mit mir rummachen, ja, aber nur zum Spass, ohne etwas dahinter.
    Ich vergrub mein Gesicht in meinen Knien und wurde ein weiteres Mal von bitterlichem Schluchzen geschüttelt. Hannibal! Er war alles was ich mir ersehnt hatte, er war der Himmelspol, zu dem meine Träume hinstrebten, und meine Gedanken, und Wünsche und Vorstellungen. Ich selbst war doch nur ein Traum, ein feines Gespinst der Phantasie, eine skizzenhafte Figur in einem wilden Reigen, umhergewirbelt und ohne eigene Essenz... er war der Träumer. Der mir Leben verlieh, der mich an der Hand nahm und aus dem Chaos zog, der mir Wirklichkeit einhauchte. Wenn er mich nicht mehr wollte, würde ich vergehen wie Nebel im hellen Licht der Morgensonne, weithin würden die Winde mich über Erde und Meer verwehen... Hannibal!


    Natürlich, von Anfang an hatte es unter einem schlechten Stern gestanden. Im Nachhinein sah ich ganz deutlich, was ich im Taumel der Gefühle nicht hatte sehen wollen. Er hatte mich getäuscht! Mit mir gespielt. Das war einfach... böse. Ja, ich hasste ihn. Ich sollte Ziaar losschicken, damit er ihn richtig brutal verprügelte. Ihn zum Krüppel schlug. Oder besser, ich sollte mir eine Fluchtafel besorgen, und ihm die grausigsten Gebrechen auf den Hals schicken... Einen Ausschlag, schmierige Pusteln die über Nacht aufbrachen und sein Gesicht entstellten, dann würden seine ganzen anderen Liebhaber und Freundinnen, wegen denen er mich verschmäht hatte, angewidert vor ihm zurückschrecken, und er würde es erfahren, wie es war allein gelassen zu werden.
    Nein, das war zu niedrig. Und irgendwie auch weibisch. Ich sollte ihn vergessen. Es war es gar nicht wert, war doch bloss ein Sklave, ein niederes Wesen zu dem eine Verwirrung meiner Sinne mich hinabgezogen hatte. Sowieso, es war eines Römers nicht würdig, es wäre schon längst an der Zeit gewesen, dieses, man konnte schon sagen Doppelleben, zu beenden, diese Verstrickung zu lösen, sie gehörte zu einem Flosculus, einer lächerlichen Nachtgestalt, aber nicht zu mir, Decimus Serapio, Soldat im Dienste des Kaisers. Ein Schmerz, ja, ein unsäglicher Schmerz, war in mir, aber das war meine Katharsis, die mich von dem letzten Schmutz reinigte... das musste es sein.
    Ich erhob mich, und ging steifbeinig zu einer Kiste, schloss sie auf und zog ganz unten meine alte Tunika aus dem Krieg hervor, die fadenscheinig war, ausgebleicht, geflickt und übersät von den Rändern der Blutflecken, die sich nicht ganz hatten auswaschen lassen. Es knisterte leise, als ich in ihren umgeschlagenen Saum griff, die Lücke in der Naht erfühlte, und den Brief daraus hervor zog. Den Brief, der meine Hoffnungen so sehr genährt hatte, den Brief den ich abertausend mal gelesen hatte, der mir in an der Front ein Talisman gewesen war, und ein Zeichen dafür wie sehr es sich lohnte, das ganze zu überleben. Ich biss mir auf die Lippen, und stierte auf das Stück Papyrus, ein hellerer Fleck im Zwielicht, auf dem sich die Tinte schwarz abhob. Zum Lesen war es zu dunkel, aber ich kannte den Inhalt auswendig. Die ganzen Lügen. Abgeschmackte Lügen. Ich war sein Eromenos. Ein Adonis. Ein strahlender Saphir. Er vermisste den Glanz meiner Augen. Von wegen.
    Langsam schloss ich die Faust. Ein Finger nach dem anderen drückte sich in das faserige Gewebe, zerdrückte es, knickte es, zerknüllte es zuletzt.


    An meinem Schreibtisch tastete ich fahrig nach der Öllampe, und entzündete sie. Drei Flämmchen zuckten über den tönernen Tüllen des Gefässes, warfen ihren Schein über die penibel aufgeräumte Fläche des Tisches, malten einen Lichtkreis drumherum, und liessen die Schatten am Rande des Raumes schwärzer werden. Langsam, wie gegen einen Widerstand näherte ich die Hand mit dem Brief dem Feuer. Sie zitterte, das machte mich wütend über meine eigene Schwäche, und mit einer abrupten Bewegung hielt ich den Brief mitten hinein in die Flammen. Einen Wimpernschlag lang leckten sie nur drumrum, schienen das Papyrus zu verschonen, dann schwärzte es sich an einer Ecke, fing Feuer, und auf einmal lohte es unversehens hell auf, wie Zunder, so dass der ganze Raum kurz von roten Flackerlicht erfüllt war. Auch meine Hand, die ich nicht schnell genug zurückgezogen hatte, umzüngelten die Flammen, ich starrte drauf, fühlte erst dann den Schmerz, und liess aufkeuchend den brennenden Brief los. Er segelte auf den Schreibtisch wo die Flammen ihn verzehrten, dann so schnell wie sie aufgeflammt waren wieder verloschen, während ich zum Fensterbrett eilte, denn da stand ein Wasserkrug, in den tauchte ich meine Hand zur Kühlung. Es tat verdammt weh, und der körperliche Schmerz riss mich für den Moment aus der Versenkung in meine Verzweiflung heraus. Ich fluchte derb, betrachtete dann meine Hand, auf der sich am Rande des Handtellers ein paar kleine Brandblasen gebildet hatten. Naja, da hatte ich schon schlimmeres überstanden.
    Und eigentlich, sagte ich mir trotzig, eigentlich galt das für die ganze Angelegenheit. Ich hatte echt schon schlimmeres durchgemacht... - auch wenn es sich im Moment gar nicht so anfühlte. Elend stützte ich mich auf das Fensterbrett, wickelte mir einen nassen Fetzen um die Hand. Morgen früh würde ich wieder funktionieren müssen. Stark und bestimmt sein, das ganze einfach wegschieben. Ich konnte mir Liebeskummer nicht leisten!
    Aber so einfach war das nicht. Schon wieder stieg Hannibals Bild vor mir auf, schon wieder füllten Tränen meine Augen. Perfidus, sed quamvis perfidus, carus tamen, hätte ich mit Tibullus sagen können. Brandig roch es jetzt hier drin... Langsam verglomm auch die letzte Glut, die die Ränder der Aschefetzen säumte, und liess die verkohlten Überreste des Briefes in Dunkelheit versinken.

    "Jawohl Senator!", gab der Miles automatisch zurück, und tat ebendiese. Ordnungsgemäss und von oben bis unten tastete er den Octavier auf etwaige verborgene Meuchelwerkzeuge ab. Und ja, obgleich er keineswegs forsch zupackte, tat diese Prozedur dem Arrangement der Togafalten nicht besonders gut.
    "Alles in Ordnung. Öffnet das Tor. Danke für Dein Verständnis, Senator."
    Er verzichtete darauf, einen anderen Soldaten mit dem Besucher mitzuschicken, der Weg zum Officium des Stadtpräfekten würde dem Octavier ja vertraut sein.





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    Zitat

    Original von Potitus Vescularius Salinator


    Es war der Stiefeltritt der Ordnung, der da hallte, als unsere Sohlen im Gleichmass auf das Pflaster stampften, als wir in Formation den Stadtpräfekten auf das Marsfeld eskortierten. Natürlich blitzten die Rüstungen, glänzten die Hastaspitzen mit der Morgensonne um die Wette, wippten die frischgekämmten Helmbüsche unseres Trupps. Die Schaulustigen, die sich hier schon eingefunden hatten wichen vor uns zur Seite, und machten unserem Befehlshaber Platz. Der strebte weit nach vorne, das war toll, da würden wir eine gute Chance haben, den Kaiser zu Gesicht zu bekommen. Auch wenn das natürlich nicht der Grund war, warum er uns mitgenommen hatte. Eindringlich hatte ich meinen Männern eingeschärft, sehr wachsam zu sein, es war ja noch gar nicht so lange her, dass eine ganze Reihe von Attentaten auf hohe Würdenträger die Stadt erschüttert hatte. Ausserdem war es selbstverständlich eine grosse Ehre für uns, den Stadtpräfekten begleiten zu dürfen, und ich, als frischgebackener Centurio war besonders stolz, hier bei diesem Anlass zum ersten Mal meine neue Uniform ausführen zu können.
    "Coonsistite! Scuta deponite!" befahl ich, als der Präfekt Halt machte, und mit dem vertrauten martialischen 'RRUMS' trafen die metallbeschlagenen Unterkanten der Schilde synchron auf den Boden. Ich warf einen kurzen Blick zurück, um mich zu vergewissern dass auch alles ordentlich aussah, stand dann aufrecht und stramm, wobei ich beflissen die Umgebung im Auge behielt, während ich insgeheim die Ohren spitzte um zu hören was der PU wohl mit dem Konsul besprechen mochte. Ich fand ja, dass der Aufmarsch der beiden ganz klar zeigte, wer von beiden mehr zu sagen hatte, oder wie überhaupt heutzutage die Macht verteilt war: auf der einen Seite Soldaten, auf der anderen Beamte mit Rutenbündeln - die rein optisch sicherlich was hermachten, die altehrwürdige Erscheinungen noch aus längst verblichenen Republikzeiten waren, doch mittlerweile echt angestaubt, eben bloss noch Symbole.

    "Salve Senator!", grüsste respektvoll einer der Urbaner, die hier ihren Anteil an der Wache leisteten, er hatte seinen vorvergangenen Oberbefehlshaber gleich erkannt und nahm vor ihm Haltung an. Was jetzt kam, war dem Mann etwas unangenehm, für ihn war der ehemalige PU doch eindeutig erhaben über den Verdacht den neuen umbringen zu wollen... aber Befehl war Befehl.
    "Bitte erlaube, dass wir Dich kurz auf Waffen durchsuchen." Und beinahe entschuldigend fügte er hinzu: "Eine Routinemassnahme. Es ist Vorschrift."





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    Es war so knapp! Aber dieser verdammte Blaue liess mich einfach nicht vorbei, auch in der zweiten Kurve verhinderte er es geschickt, dass ich an ihm vorüberzog. Abgedrängt durch sein Manöver, kam ich mit einem Mal der Bande gefährlich nahe. Hastig lenkte ich die Pferde seitwärts, um nicht in die Pfosten und Menschen hineinzurasen. Das Leder der Zügel war schweißig unter meinen Händen. In meinen Ohren war ein Brausen, der Lärm der Wägen, das Donnern der Hufe, das Brüllen der Menge, toste über die Bahn hinweg, erfüllte die Luft wie ein Sturm. Mit dem Schwenk brachte ich den Wagen wieder auf Abstand von der Bande, doch durch das Hin und Her verloren die Pferde den Takt. Velox' rotbemähnter Kopf senkte sich, ein harter Ruck ging durch die Zügel, als das Pferd beinahe gestolpert wäre. Nur beinahe, doch der dahinrasende Wagen geriet dadurch ins Schlingern. Meine ganze Umgebung schien auf einmal auf und ab zu schwanken, während sie noch immer in atemberaubendem Tempo an mir vorüberschoss, Kräfte zerrten an mir, wollten den Wagen zum Kippen bringen. Ich schwitzte Blut und Wasser, sah mich schon in hohem Bogen hinausgeschleudert auf die Bahn. Mit weissen Knöcheln klammerte ich mich an den Rand der Kanzel. Nur jetzt nicht die Zügel verlieren, und vor allem nicht die Nerven... Epona sei Dank, es gelang mir den Wagen auf der Geraden zu halten, und nach einigen weiteren Galoppsprüngen waren die Bewegungen der Pferde auch wieder einigermassen im Rhythmus.


    Die erste Kurve der zweiten Runde, nahm ich diesmal weniger riskant, ich war einfach etwas vorsichtiger geworden, und der blaue Wagen war mir jetzt eh wieder ein gutes Stück voraus. Kurz warf ich in der Kurve auch einen Blick zurück auf die anderen Gespanne, von denen mir, nach diesem Missgeschick durch das ich ziemlich an Boden verloren hatte, gleich drei schon gefährlich nahe aufgerückt waren. Mein Verwandter war irgendwo dahinter, und ich wünschte ihm Glück, und uns beiden, dass wir nach dem Rennen noch in der Verfassung sein würden gemeinsam einen darauf zu trinken.


    Auf der zweiten Geraden krachte und schepperte es auf einmal gewaltig hinter mir, so dass ich doch nochmal einen hastigen Blick über die Schulter warf. Bona Dea, die drei Wägen hinter mir waren verkeilt, zu einer einzigen, gewaltigen Masse von Holz, Rädern und wirbelnden Hufen - die sich immer näher an mich heranschob. Eine Keilformation sozusagen, und im Zentrum ausgerechnet der Alles aus dem ganzen Korn-Wagen. Scheiße. Dem waren wohl die Pferde durchgegangen. Ich konnte mich doch nicht von einem Jüngling mit Mehlstaub hinter den Ohren überholen lassen, dessen Pferde noch nicht mal farblich zusammen passten!
    Sowieso, dieses gefährliche Konvolut durfte mich nicht erwischen. Ich beugte mich vor, liess die Peitsche knallen und feuerte meine Pferde an, die jedoch hatten den Schwung vom Anfang noch nicht so recht wiedergefunden. Ich sauste in die zweite Kurve, die Pferde vom Brotwagen hart im Nacken, ich konnte schon hören wie sie hart die Luft durch die Nüstern sogen. Es blieb mir nichts übrig, als die Kurve wiederum sehr scharf anzuvisieren, ich spekulierte darauf, dass die Masse der verkeilten Wägen in ihrer Wendigkeit gelitten hatte, hoffte inständig, dass sie sich in der Kurve gegenseitig behindern würden und ich wieder einen Vorsprung gewinnen könnte, oder wenigstens der drohenden Kollision entgehen würde!

    Die Befragung nahm ihren Lauf, aber als ergiebig konnte man das nicht bezeichnen. Ich wurde immer ratloser, und verstand überhaupt nicht. War die alte Frau nicht mehr ganz richtig im Kopf? Machte sie sich einen Spass mit uns? Wie konnte man sich nur so unsicher sein, bei zwei Personen die man gerade vor kurzen gesehen hatte?
    Später, als ich mit der Zeit erfahrener in der CU-Arbeit wurde, sollte mir aber klar werden, dass das eher die Regel als die Ausnahme war. Es ist verrückt, wie unterschiedlich die Leute ein und die selbe Person, oder Situation gesehen zu haben meinen und beschreiben. Besonders wenn sie in dem Moment um den es ging aufgeregt waren, oder Angst hatten. Nicht unbedingt aus böser Absicht, eher so als gäbe es für jeden eine ganz eigene "Wahrheit"... Was natürlich Quatsch ist, es gibt nur die Fakten, einen wahren Sachverhalt, den es aus den verfälschten Erinnerungen heraus zu extrahieren gilt.


    "Ja." Ich sah in die Richtung, in die sie zuletzt gedeutet hatte, eine einzige klare Aussage zuletzt. Dann erhob ich mich, und verbarg meine Verwirrung wieder hinter einem verbindlichen Lächeln, denn ich hatte schon den Eindruck dass sie versucht hatte uns zu helfen.
    "Danke für Deine Zeit und Deine Hilfe.", verabschiedete ich uns, drückte ihr die Hand und versprach schneidig: "Wir tun unser Bestes!" Das klang wesentlich zuversichtlicher als ich mich fühlte.
    "Vale Pulicia! - Probati, Abmarsch."
    Wir verliessen den engen Raum, die dunkle Stiege, und kehrten in die Gasse zurück. Eine Zeitlang gingen wir dann alle noch herum und befragten die Leute die da wohnten, oder herumlungerten, aber von denen wollte keiner was gesehen haben. Schliesslich rief ich die Patrouille wieder zusammen. Mit ein paar Eimern Wasser beseitigten wir noch die Blutlache, dann führte ich die Männer zu Castra zurück. Dort würden wir die spärlichen Erkenntnisse zusammentragen, und unser weiteres Vorgehen planen.

    Gerne folgte ich der Aufforderung des Centurios, und liess mich mit dem Strom der hungrigen Gäste zu den Klinen treiben. Dabei lächelte ich zusammenhanglos in mich hinein, denn die Braut hatte mir, bei der kurzen Begegnung gerade, sozusagen - auf eine harmlose Weise, versteht sich - den Kopf verdreht. Ich fand sie klasse... schön, verschmitzt, beinahe keck und dabei unheimlich elegant! Seit langem hatte ich eigentlich nur mit Frauen aus meiner Familie zu tun gehabt. Oder halt was der Dienst so mit sich brachte, an Verdächtigen, oder Übeltäterinnen, oder verängstigen Zeuginnen, oder besorgten Bürgerinnen, aber das war was anderes, und die Erscheinung dieser edlen erzrömischen Jungfrau war dagegen wie ... Poesie! Immer mal wieder suchte ich mit den Augen nach ihrem Flammenschleier, erhaschte mal einen Moment ihres Schreitens an Aristides' Seite, mal eine geschmeidige Bewegung ihrer schlanken Hand, mal ein rot in rotes Aufwogen und fliessendes Dahinwallen des Schleiertuches im lauen Windhauch.


    Hier und dort sah ich auch Bekannte und Kameraden aus der Prima, die ich fröhlich grüsste. Dann, beim Anblick all der Platten, beladen mit den ausgesuchtesten Köstlichkeiten lief mir auf der Stelle das Wasser im Munde zusammen. Mmh, Siebenschläfer in Honig und Mohnkruste, wie exquisit! Und noch viel mehr, die Tische bogen sich ja beinahe, und weit und breit keine Kornkäfer. Ich umrundete eine Kline, überlegte gerade wo ich mich hinsetzen sollte, als ich mich unversehens der Frau gegenüber sah, deren klassische Züge, umrahmt von ihrem glänzendschwarzen Haar, mich vorhin schon an meine Cousine Calvia erinnert hatten... Auf den zweiten Blick wurde ich gewahr: es war Calvia! Ich blinzelte verblüfft. Sie war es noch immer.
    "Bona Dea!", rief ich aus, "Calvia! Liebe Cousine, das ist eine Überraschung. Ich hatte ja keine Ahnung dass Du überhaupt in Rom bist! Wie geht es Dir? Wollen wir uns da hin setzen? Ich habe übrigens vor kurzem erst Deinen Bruder getroffen, als er aus Tylus hierherkam."
    Mit hispanischer Herzlichkeit umarmte ich sie, breit und freudig lächelnd. Und wieder einmal zeigte es sich: Wir sind überall. Wir Decimer.

    "Oh."
    Ich sank erst mal auf eine Bank, Flavus gegenüber. Das war ja eine verrückte Sache. Zwei Kinder, Zwillinge, und Livianus wusste überhaupt nicht davon. Dann war Flavus also sein Sohn aus einer richtigen Ehe , und nicht etwa bloss, wie es mir gerade durch den Kopf geschossen war, ein natürlicher Sohn. Sogleich verspürte ich einen Stich... das war der Neid... eine schlechte Sache von der ich leider nicht frei bin. Ich hatte mir ja früher, auf eine gewisse Weise jedenfalls, immer gewünscht, Onkel Livianus würde mehr Notiz von mir nehmen, mehr Zeit bei uns verbringen, und irgendwie in die Lücke treten, die der frühe Tod meines Vaters gerissen hatte. Ich wusste auch, dass meine Mutter damals lange den Wunsch gehegt hatte, er würde mich adoptieren. Aber ich war halt nicht gerade die Sorte von Kind gewesen, die sich ein Feldherr wünscht, nicht stramm und rauflustig sondern zart und verträumt - damals. Und mit meiner rebellischen Phase hatte ich es dann eh verbockt. Und als ich dann endlich mal soweit war, dass ich was vorweisen konnte, an dem Tag als ich Armillae verliehen bekam, aus der Hand des mittlerweise vergöttlichten Kaisers - da wurde just an diesem Tag bekannt gegeben, dass die Parther unseren Legaten erwischt hatten, und gleich sein Nachfolger eingesetzt. (Es war kindisch, aber ich hatte das Onkel Livianus an diesem Tag richtiggehend übel genommen, obwohl er natürlich nicht das geringste dafür konnte, dass er nicht da war, und bestimmt schreckliches durchmachen musste... ja, es war kindisch, aber ich wollte doch einmal, ein einziges Mal wenigstens, vor seinen Augen gut dastehen.)
    Auch Flavus konnte echt nichts dafür, dass die Dinge so waren wie sie waren, aber ich neidete es ihm spontan, dass er Livianus' Sohn war. So gut wie möglich verbarg ich diese unedle Regung in der Tiefe meines Inneren - und sagte mir, dass ich dafür früher mehr von Livianus gehabt hatte als er, wenn er ihn nicht mal kannte.


    "Dann... wird das eine wahnsinnige Überraschung für ihn sein. Zwillinge sogar. Bona Dea, er wird sich freuen, wenn er davon erfährt! - Ich glaube fest daran, dass Onkel Meridius und Mattiacus ihn finden und zurückbringen werden. Die Parther sind berechnende, habgierige Bastarde, die bringen bestimmt niemanden um, aus dem sie noch Profit oder einen Vorteil schlagen können, schon gar nicht einen Legaten."
    Das musste ziemlich hart für Flavus sein, dass er verschollen war. Kam aus Britannien nach Rom, kannte den Vater nicht, und der war im Osten verschwunden. Überhaupt schien mein Vetter doch etwas netter, als auf den ersten Eindruck.
    "Ich verstehe aber immer noch nicht. Warum hat man ihm denn verheimlicht, dass er Vater geworden ist? - Wollten eure Grosseltern etwa nicht, dass er euch zu sich nimmt?"

    Zitat

    Original von Decima Seiana
    Am nächsten Morgen war sie wieder da, nicht gerade überpünktlich, aber doch zeitig genug, und ließ sich mit einem Grinsen wieder neben Faustus sinken. „Na?“ murmelte sie ihm zu. „Wie lang hast du gestern noch gelernt?“ Viel Zeit sich zu unterhalten hatten sie allerdings nicht, denn schon kam der Aurelier herein und fuhr, nach einer kurzen Begrüßung, mit seinem Vortrag vom vorigen Tag fort. Seiana lehnte sich zurück, um zu lauschen, während ihre Finger mit dem Stilus spielten und sie sich hin und wieder Notizen machte.


    "Och, schon ziemlich lang...", meinte ich leise, und etwas leidend zu meiner Schwester. Dabei machten wir das hier ja freiwillig. "Aber bis ich erst mal dazu kam, mich überhaupt in Ruhe hinzusetzen mit den Schriftrollen, war's schon spät." Ich dämpfte meine Stimme noch weiter, damit mein Centurio - mein ehemaliger Centurio - nichts davon mitbekam und klagte Seiana mein Leid.
    "Ich hab immer soo viel zu tun! Und noch viel mehr seitdem Centurio Flavius den Dienst quittiert hat - das ist übrigens der, der dort drüben sitzt, der, mhm, bisschen Kräftigere mit dem Gehstock, der war mein Centurio von Anfang an. Also, die Soldaten wollen dies, wollen das, wollen frei, wollen Dienst tauschen, oder sich vor den unangenehmen Aufgaben drücken, oder prügeln sich wegen irgendwelchem Blödsinn, und ich muss das dann klären, und überhaupt alles irgendwie im Auge behalten... Da kann ich mich ganz schlecht nur aufs Lernen konzentrieren, weisst Du."
    Mein Jammern war aber nicht ganz ernst gemeint, und ich grinste dabei so halb, denn ich war natürlich auch mächtig stolz auf diese ganze, bedeutsame Verantwortung. Ausserdem war die Lektüre an vielen Stellen recht unterhaltsam gewesen, vor allem das mit den zügellosen Ausschweifungen, die dem Tiberius da nachgesagt oder vielleicht unterstellt, jedenfalls genüsslich kolportiert wurden, das war schon ziemlich heftig!
    "Und Du, Schwesterherz, warst bestimmt auch seehr fleissig, so wie ich dich kenne?", neckte ich Seiana, "Oder was hast du sonst gestern noch gemacht?"
    Aber dann begann wieder der Vortrag, und ich hielt den Mund und machte mir wieder viele Notizen - um nichts zu verpassen. Morgen war also die Prüfung... Nachdem unser wirklich freundlicher Dozent den Raum verlassen hatte, wandte ich mich wieder zu meiner grossen Schwester, und fragte schamlos: "Du Seiana, wegen morgen, legst du Deine Tafeln mehr so in die Mitte, dass ich auch draufschauen kann? Nur für den Notfall natürlich!"

    Ganz vorsichtig setzte ich mich auf den löchrigen Korbstuhl. Er sah zwar aus, als könnte er sich jeden Moment in seine Bestandteile auflösen, aber ich wollte ja nicht unhöflich sein, und schon gar nicht wollte ich auf der ranzigen Decke Platz nehmen, und mir daran meine blitzsaubere Uniform beschmutzen.
    Die Alte hatte ein Talent, gut zu erzählen. Allerdings schien es mir, als sähe sie das ganze mehr unter dem 'narrativen' Aspekt, weniger unter dem 'ermittlerischen'... Geld oder Leben! - Eher stürze ich mich in mein Schwert!
    Ja nun. Ich rieb mir etwas ratlos das Kinn. Eine wilde Geschichte, eine bühnenreife Szene - aber ganz abtun konnte man es auch nicht. Die Frage war nur, wie sollte man auseinanderhalten was stimmte und was nicht?


    "Ähm. Pulicia, es ist hierbei wichtig dass wir uns ganz auf die Fakten konzentrieren. Also nur auf das, was ganz sicher, ohne Zweifel und, ähm, möglicherweise Ausschmückungen, dort unten vorgefallen ist", mahnte ich, höflich da ich ja die Zeugin nicht vergraulen wollte, aber doch bestimmt. "In wieweit konntest Du die beiden Angreifer denn sehen? Waren sie vermummt oder nicht? Wie gekleidet?"
    Nach und nach stellte ich ihr dann langsam diesen ganzen Haufen Fragen. "Eher gross oder klein - im Vergleich zu mir zum Beispiel? Dunkel oder hellhaarig? Hatten sie irgendwelche auffälligen Merkmale? Und... Du sagst sie haben gesprochen, wars eher eine tiefe oder helle oder, naja, eben unauffällige Stimme, oder war da ein besonderer Akzent? Oder ist Dir sonst etwas aufgefallen?"
    Und so weiter, es war das Schema aus dem Handbuch an dem ich mich entlanghangelte, soweit ich das gerade im Kopf hatte. Gut dass der Probatus mitschrieb, so konnte ich mich ganz aufs Befragen und Zuhören konzentrieren.
    "Und von wo sind sie gekommen und in welche Richtung sind sie verschwunden?", wollte ich zuletzt noch wissen

    Das Rauschen des Tibers verklang hinter uns. Schon konnte man die Arkaden des Circus Flaminius ausmachen, dort schimmerten ein paar Lichter, gedämpft durch die Regenschleier. Ich ging langsam die Strasse entlang, setzte vorsichtig die Füsse um nicht auszugleiten, und grinste dabei in mich hinein, denn ich war geschmeichelt darüber dass Tucca aus Ravenna die Erwähnung meiner Heimat mit solcher Begeisterung aufgenommen hatte. Breiter noch wurde das Grinsen, als er von seiner künstlerischen Betätigung sprach, gleich hatte ich eine Horde Gäste vor Augen, die gequält, die Hände auf die Ohren gepresst, die Gesichter schmerzverzerrt, vor einem selbstvergessen deklamierenden Tucca das Weite suchte.
    "Nein, meine Lippen sind versiegelt!", lachte ich. "Die Kithara, ah, ja das ist ein tolles Instrument!"
    Das war schon eine sehr vertrauliche Information. Ich glaube, er war doch betrunkener, als ich zuerst gedacht hatte, und anscheinend auch nicht mehr so sicher auf den Beinen, so beflissen wie sein Kumpel ihn am Arm stützte. Aber diesen Vorsprung gedachte ich bald aufzuholen.
    " Ja also, das Singen liegt mir nicht so. Eher das Mit-Singen. Aber ich dichte..."
    Es war gar nicht einfach, das jemand anderem gegenüber zuzugeben. Ich war gewohnt meinen Hang zur Poesie sorgfältig für mich zu behalten, und meine eigenen Kreationen versteckte ich immer tief in meinem Strohsack, denn wenn die Soldaten das gewusst hätten, hätte ich einen schweren Stand gehabt. (Ausser meine alten Contubernales, die kannten eh fast alle meine dunklen Geheimnisse und ich ihre.)
    "...manchmal, ein paar Zeilen.", schwächte ich diese Aussage darum gleich ab. "Und Musik mache ich auch. Die Syrinx spiele ich, und die Tibae, also einigermassen, ich bin halt ausser Übung, leider, ich habe zu wenig Zeit dafür. Aber das darfst Du natürlich auch keiner Menschenseele verraten.... - Und was für eine Art von Liedern spielst Du, Tucca, oder welches am liebsten?", wollte ich nach diesem Geständnis jetzt neugierig wissen.


    Etwas vor uns öffnete sich eine Türe, ein breiter Lichtstrahl fiel hinaus, und entriss der Dunkelheit ein Stück nasses Pflaster und vom Regen aufgewühlte Pfützen. Im Rinnstein trieben schlaffe, durchweiche Abfälle gen Tiber. Fetzen von Lachen und von fröhlichem, nicht gerade sehr melodischem Gesang, wehten zu uns, als ein paar Leute hinauswankten, kurz zeichneten sich ihre Schatten langgezogen in dem Lichtschein ab, dann fiel die Türe wieder zu und die Männer torkelten weinselig in die Nacht hinein.
    "Da ist es schon."
    Ich beschleunigte meine Schritte, trat unter das Wirtshausschild, von dem ein fetter, bekränzter Bacchus uns schelmisch zuwinkte, schlug die Kapuze zurück und stiess meinerseits schwungvoll die Türe auf.
    Aah! Licht und Wärme, Stimmengewirr und Würfelgeklapper, Becherklirren und und naja, Leben eben. Es roch nach Wein und erhitzten Menschen, nasser Wolle und dem Rauch der Öllampen, die flackernd und russend an Ketten von der Decke herunterhingen. Bunte Fresken, auch schon ziemlich abgenutzt und fleckig, zierten die Wände - pralle Trauben, Bauersleute bei der Weinernte, und so weiter, hübsche Mädchen die mit bloßen Füssen die Weinbeeren zerstampften, ithyphallische Satyren die lüstern aus dem Gebüsch lugten, und darüber thronte wieder der allgewaltige Bacchus, soff und kratzte sich mit dem Thyrsosstab, und betrachtete wohlgefällig das Treiben.


    Sogar ein Feuer brannte im offenen Kamin. Ich erspähte da in der Nähe einen freien Tisch, und drängte mich schnell dahin, und eroberte ihn für uns, in einem kühnen Handstreich. Zu den anderen beiden zurücksehend, meinte ich "Hier?", mit lauter Stimme um durch den Lärm zu dringen. Meine Paenula, die vom Regen ganz schwer war, zog ich mir über den Kopf und hängte sie an eine Haken neben dem prasselnden Feuer, da konnte sie in Ruhe vor sich hintropfen.

    Livianus Sohn?! Bona Dea!! - Das verschlug mir erst mal die Sprache. Ich bekam grosse Augen und starrte vollkommen verblüfft Flavus an, als er das geradezu beiläufig bemerkte. Onkel Livianus war doch kinderlos! Doch so erstaunlich diese unerwartete Enthüllung auch war, ich nahm es ihm doch ab, denn klar, das was mir gleich aufgefallen war, was ich nur nicht hatte benennen können, das war natürlich seine Ähnlichkeit mit Onkel Livianus. Wie hätte ein Betrüger das hinbekommen sollen? Ich runzelte die Stirn, beugte mich ein wenig vor und betrachtete ihn noch genauer. Nein, dieser Vetter schien echt zu sein.
    "Wie kann das sein?", fragte ich schliesslich, als ich meine Sprache wieder gefunden hatte, jetzt eine Spur reservierter als zuvor. Da war, wie ich fand, so ein Anflug von Selbstgefälligkeit in Flavus' Worten, der bei mir nicht gerade den Wunsch erweckte diesem aus dem Nichts, nein, aus Britannia, aufgetauchten Vetter herzlich um den Hals zu fallen.
    "Warum hat Livianus nie etwas von Dir erzählt?"

    "Oh", meinte ich vergnügt, mit einem freundlichen Lachen, "das ist eine schwierige Frage, denn ich kenne die Geschichte ja noch gar nicht. Aber was Du da gesagt hast, dass es um eine starke Frau aus alter Zeit geht, das klingt spannend. Wer war denn jene Esther... eine Herrscherin wie Livia, oder ein Muster der Tugend wie Lucretia, oder gar eine Rächerin wie Elektra, oder eine Dichterin wie Sappho?"

    Erleichtert hörte ich wie Redivivus sich bereit erklärte. Aber es blieb doch, nagend im Untergrund, so etwas wie ein schlechtes Gewissen, dass ich ihm diese riskante Aufgabe übertragen hatte. Dabei waren wir doch Soldaten, es war nun mal unsere Pflicht uns der Gefahr auszusetzen. Für Rom und seine Bürger, und so weiter und so fort. Dass die Sache nicht ganz astrein war, bekümmerte mich weniger, schliesslich waren wir, wie es aussah, einer Bande von gefährlichen Feinden unseres Gemeinwesens auf der Spur, da darf man, denke ich, nicht allzu wählerisch mit den Methoden sein. Diese Leute gehen schliesslich auch nicht zimperlich vor.
    Ich warf einen Blick auf den Dienstplan, der für heute vor allem das herbeitransportieren der neuen Kornvorräte vorsah, ausserdem Wachdienst.
    "Sofort. Viel Erfolg, Miles. Abite."

    "Nein, auf keinen Fall unbewaffnet! Einen Dolch oder Caestus solltest Du unbedingt mitnehmen. Nur nicht Gladius oder Pugio, das sieht zu sehr nach Soldat aus. Den Namen, den kenne ich leider nicht. Wie gesagt, ich weiss nur dass Scopas da jemand ganz besonders fähigen an der Hand hat."
    Bei diesen berechtigten Bedenken des Miles, beschlich mich das ungute Gefühl, das das ganze doch recht riskant werden könnte. Es war eines, sich selbst in die Gefahr zu begeben, etwas anderes jemanden dort hin zu schicken... Aber Redivivus war nun mal gut geeignet - zuverlässig, tatkräftig, und eben nicht zu leicht als Soldat zu erkennen. Manche Gauner hatten da echt einen sechsten Sinn für! Callistus zum Beispiel, dieser Lump der das Lotus-Zeug verscherbelte, der hatte immer behauptet, dass er einen Urbaner allein am Geruch erkennen würde. Gut, das war wahrscheinlich nur Prahlerei gewesen. Ob der noch im Geschäft war? Ich wollte ihm ungern nochmal begegnen. Hoffentlich hatte er mich vergessen. Oder nein, eigentlich würde ich ihm liebend gerne nochmal begegnen - wenn ich ihn dabei verhaften könnte!

    "Britannia?!", wiederholte ich überrascht, "ach, ich wusste gar nicht dass wir da auch Verwandte haben."
    Interessiert trat ich in die Laube hinein. Mit einer Hand stützte ich mich an einem Pfeiler ab, um den sich rot verfärbte Kletterranken wanden, mit der anderen spielte ich mit dem zusammengerollten Brief, während ich Flavus betrachtete. Britannia, wie aussergewöhnlich. Gerade neulich erst hatte ich doch einen Cousin aus dem fernen Tylus getroffen, und dann beim Wagenrennen auch noch Crassus - unsere Gens war wirklich riesig. Dass er mir so bekannt vorkam, das lag dann ja wohl an der Familienähnlichkeit.
    "Ja dann freut es mich Dich kennenzulernen!" Ich grinste fröhlich und erklärte: "Ich bin aus Tarraco, ich bin der Sohn von Silanus" - und weil mein Vater viel zu früh gefallen war, bevor er Ruhm und einen grossen Namen gewinnen konnte, fügte ich noch hinzu - "und Neffe von Livianus. Ich bin hier bei den Stadtkohorten, seit einer Weile. - Aus welcher Linie stammst Du denn dann, und was führt Dich aus dem hohen Norden hierher nach Rom?"