Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    "Scapula, salve! Das ist ja eine Überraschung!" Ich ging meinem Vetter entgegen, breit lächelnd, und drückte ihm herzlich die Hand. "Eine halbe Ewigkeit auf jeden Fall."
    War es bei Großtante Drusillas letzter oder vorletzter Hochzeit oder rundem Geburtstag gewesen, wo wir uns zuletzt gesehen hatten, ich war mir da gerade nicht so sicher, aber bei unserer weitverzweigten Sippschaft konnte man da schon mal den Überblick über die Vielzahl an Cousins und Cousinen verlieren. Woran ich mich aber noch genau erinnerte, das war, dass man mit Scapula vortrefflich in bester Laune den ein oder anderen Becher leeren konnte.
    "Du kommst gerade recht zur Cena."
    Einladend wies ich auf die Klinen. Eine unserer Haussklavinen sprang schon herbei, um meinem Vetter beim Ausziehen der Sandalen behilflich zu sein.


    Kurz stellte ich Icarion vor, damit Scapula ihn einordnen konnte. "Das ist mein Libertus Decimianus Icarion." Mein ehemaliger Leibsklave begrüßte Scapula höflich, hielt sich dann angesichts unseres familiären Wiedersehens zurück, und beschäftigte sich damit, die Schrift aufzurollen, die er für den abendlichen Vortrag herausgesucht hatte.
    Darauf gab ich Silas einen Wink, dass er seines Amtes als Mundschenk walten sollte.
    "Halb-halb." bestimmte ich als Mischungsverhältnis, denn den guten Caecuber durfte man nicht zu sehr wässern.


    Das letzte Mal, dass ich von Scapula gehört hatte, da hieß es, er sei auf Bildungsreise. Was für ein Luxus... Den hätte ich mir auch gewünscht, als ich jung war, aber zum einen hatten wir damals nicht so viel Geld, zum anderen hielt meine Mutter nichts davon. Wie gerne hätte ich Achaia besucht, aber sie zeterte damals nur, dass ich dort dann wohl vollends verweichlichen würde. So hatte ich meine Reisen alle später unter dem Adler oder im Dienste der Garde unternommen, und somit leider nie ausreichend Zeit für die Sehenswürdigkeiten gehabt.
    "Wie war die Reise?"


    Verwundet und doch mit ungebrochenem Stolz, so wandte sich die Medea nun an den Chor der korinthischen Frauen. Hochaufgerichtet war die Gestalt, allein und dunkel aufragend auf der Bühne, zugleich lag in den geschmeidig vollführten großen Gesten und ausdrucksstarken Tanzfiguren, welche bis in die obersten Ränge des Theaters zu erkennen und zu lesen waren, ein Ausdruck tiefster Einsamkeit, schwankend zwischen der spröden Erhabenheit, welche die Medea als Königstochter und Götterenkelin über die Frauen von Korinth erhob, und dem Sehnen nach der Gemeinschaft, welche ihr als Fremde in der Polis verschlossen blieb. Stumm tanzte so der Pantomime die Medea, die Worte darstellend, während der Chor diese sang und das Orchester eine düster einprägsame einpeitschende Melodie spielte.
    Nicht nur ihr eigenes Leid nach dem Verrat des Iason beschrieb Medea, sie prangerte das allgemeine traurige Los der Frauen in der Ehe an, namentlich die Unterwerfung unter den Gemahl. Zuletzt beschwor sie erneut ihren Rachdurst.



    Der Chor als MEDEA:
    "Korinthsche Frauen, euch zulieb erschein ich hier,
    Damit ihr nicht mich scheltet. Manche, weiß ich wohl,
    Die draußen leben, ihrer Heimat ferne, sind
    Hochmütgen Wesens; andern bringt Gleichgültigkeit
    Und auch Verkennung ihr bequemer Fuß zuweg.
    Denn Menschenaugen üben nicht Gerechtigkeit,
    Wenn man, bevor des Nächsten Herz man prüft genau,
    Vom bloßen Blick den hasset, der kein Leids getan.
    Anschmiegen müssen Fremde sich der Bürgerschaft.
    Auch nicht den Bürger lob ich, welcher störrgen Sinns
    Den Bürgern unverträglich lebt aus Unverstand.


    Mich hat dies wider Hoffen zugestoßne Leid
    Zum Tod verwundet, Beste: hin bin ich; mir ist
    Des Lebens Reiz verschwunden und der Tod ersehnt.
    Er, der – ach, leider seh ich's ein! – mein alles war,
    Mein Gatte, hat als schlimmster Mann sich mir bewährt.
    Von allem, was auf Erden Seel und Leben hat,
    Die allerärmsten Wesen sind wir Frauen doch.


    Wettstreit des Geldes erstlich muß den Gatten uns
    Erkaufen, dem als Herren unser Leib sodann
    Gehört; und dies ist übler als das Übel selbst!
    Dabei ist großes Wagnis, ob er bieder ist,
    Ob böse: denn unrühmlich ist dem Weibe stets
    Die Scheidung, und verschmähn den Bräutgam darf sie nicht!


    Gekommen dann zu ungewohnter Sitt und Sinn,
    Erraten muß sie, nicht vom Hause her belehrt,
    Wie eben ihres Ehgemahles Wesen sei.
    Wenn nun dies alles glücklich ihr vonstatten geht
    Und ihr Verlobter froh mit ihr im Bunde lebt,
    Dann ist ihr Leben neidenswert – sonst besser tot!


    Der Mann, wenn's ihm, daheim zu sein, verleidet ist,
    Er findet auswärts, was des Herzens Ärger stillt,
    Bei einem Freund, in altersgleicher Männer Kreis;
    Wir aber müssen nach des einen Launen sehn.
    Sie sprechen wohl, wir leben frei von Fährlichkeit
    Im Zimmer, während sie bestehn den Schlachtenkampf –
    Und denken töricht: wollt ich dreimal lieber doch
    In Schlachten stehen, als gebären einmal nur! –


    Doch dein Verhältnis, meinem ist's mitnichten gleich:
    Du hast doch Heimat, hast Verwandte und Vaterhaus,
    Genuß des Lebens, einen Kreis von Freundinnen.
    Ich bin verlassen, ohne Heimat, bin verhöhnt
    Vom Manne, der aus fremdem Land mich weggeraubt,
    Hab weder Mutter weder Bruder weder Freund,
    Um wegzuziehen, fort von diesem Ungemach!


    Drum nur das eine wünsch ich mir von euch gewährt:
    Wenn wo ein Mittel, wenn ein Weg sich mir entdeckt,
    Für dieses Unrecht meinen Mann zu züchtigen
    Und, der die Tochter ihm vermählet, samt der Braut,
    Dann schweigt! In andrem ist das Weib voll zager Furcht,
    Zu feig zu kämpfen und zu trotzen blankem Schwert,
    Doch wo das Recht des Ehebunds gekränket ist,
    Ist in der Welt auch kein Gemüt rachsüchtiger."





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    Zitat

    Original von Grian


    Als Wohltäter gepriesen zu werden, das war natürlich immer schön. Und Barbaren zum Staunen zu bringen, über die monumentalen Wunder unserer Ewigen Stadt, das machte mir auch immer Spaß. Ihre Begeisterung ließ mich schmunzeln, auch wenn ich davon ausging, dass sie gerade ihren Charme einsetzte, um mich um den Finger zu wickeln. Es hatte keine Klagen über sie gegeben in der letzten Woche, es fehlte auch nichts im Haus, und so bestand wohl doch noch Anlass zur Hoffnung. Auch sah sie wirklich sehr hübsch aus, so zurechtgemacht, konnte optisch gut als meine elegante Konkubine durchgehen, genau diesen Eindruck hatte ich angestrebt.
    Ungemein großzügig überließ ich ihr die 2 As Restgeld, die sie mir brav zurückgebracht hatte.
    "Für dein Peculium. - Dieser Peplos steht dir übrigens sehr gut." bemerkte ich, die raffiniert immer nur fast-abrutschende Schulterpartie und den schönen Faltenwurf bemerkend. "Du solltest einen Nymphen-Namen dazu tragen. Casca hat dir noch keinen neuen Namen gegeben, oder? Hm..."
    Natürlich gehörte sie nicht mir, aber es gab nun mal Dinge, die gingen vom ästhetischen Standpunkt aus einfach mal gar nicht. Dazu gehörte ihr Barbarenname, der klang als habe man eine Halsentzündung. Und ich wollte sie nicht immer nur 'Mädchen' nennen.
    "Ich für meinen Teil werde dich Daphne nennen. Oder vielleicht Phyllis. Oder Cynthia? Welcher gefällt dir am besten?"
    Ich trank einen Schluck Wein und knackte ein paar Pistazien, aß diese genüsslich. Ja, die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens, wie hatte ich diese während meiner Mission vermisst.


    Zitat

    Medea - erste Szene - die Klage der Verlassenen
    "Ach weh!
    Ich unglückseliges, leidendes Weib!
    Ach, weh mir! Wär ich doch tot nur!"

    ...


    Das Stück begann. Ich lehnte mich zurück, lauschte der Musik, dem erhabenen Gesang, und war sogleich gebannt vom Auftritt des Pantomimen und seiner kunstvollen Darstellung des unendlichen Leids der Medea. Doch etwas störte hartnäckig....


    Zitat

    Original von Matinia Marcella
    .... Die Zofe nahm hinter ihrer Herrin Platz und hielt fortwährend ein bunt bemaltes Sonnenschirmchen über deren Haupt.


    Und zwar ein kleiner Sonnenschirm, der in der Reihe vor mir gehalten wurde, und der immer wieder in mein Gesichtsfeld ragte. Ich neigte mich nach rechts, um die Gestalt der Medea auf der Bühne wieder sehen zu können... dann nach links... Bona dea! Wie rücksichtslos. Ich tippte der Frau, die den Schirm hielt, sacht auf die Schulter, um sie auf mich aufmerksam zu machen, und machte ihr - stumm, denn ich wollte ja niemanden in seinem Kunstgenuss stören – Zeichen, doch bitte den Schirm zu senken.

    Abends speiste ich für gewöhnlich in der Cenatiuncula, denn das Triclinium war doch eher für größere Runden. Und seitdem die halbe Familie in Germania weilte, und Casca immer so viel im Tempel zu tun hatte, waren die großen Runden selten. Ich lud mir meistens jemanden dazu ein, denn ich fand es trist alleine zu essen. Heute war aber nur mein Libertus Icarion dabei.
    Gerade hatten wir uns unzeremoniell zu Tisch legen wollen, da war der junge Silas hereingestürmt und hatte die Heimkehr Scapulas, eines weitgereisten Vetters, angekündigt. Überrascht und erfreut hatte ich ein weiteres Gedeck auftragen lassen, und für etwas festlichere Stimmung Silas geheißen, einen guten Caecuber aus dem Weinkeller zu holen. Ausserdem sandte ich natürlich einen Boten zum Minervatempel, um Casca zu informieren.
    Zudem ließ ich Scybale in die Cenatiuncula kommen, damit sie uns den Abend mit etwas leichter Tafelmusik verschönte. Die ranke Äthioperin kniete mit ihrer Kithara auf einem Kissen neben den Klinen und lies leise Kadenzen durch den Raum schweben.
    So erwartete ich meinen Vetter.

    Wenn unser Kaiser in Gedanken vertieft war, so wie jetzt, dann hatte seine Erscheinung etwas von einem weisen Philosophen. Besonders mit dem etwas längeren Haar und dem griechisch anmutenden gepflegten Bart. Seine Art, diesen zweigeteilt zu tragen, war wirklich sehr modisch. Nein, falsch, unser Imperator war nicht modisch, alles was er tat, trug, oder offen schätzte wurde zur Mode. (Die Hersteller von Merkur-Amuletten dankten wahrscheinlich noch immer jeden Tag unter Freudentränen für seine Machtergreifung.) Hmm... ob ich diesen Stil auch mal ausprobieren sollte? Aber eigentlich war ich ganz froh meinen Speculatoren-Bart gerade wieder los zu sein.
    Ich vermutete mal, dass unserem noblen patrizischen Kaiser die Vorstellung, einen Handelsherren in die Königswürde zu erheben, nicht unbedingt auf Anhieb zusagte. Wo doch in unserer Führungsschicht alles, was über den Verkauf der Erträge unserer Landgüter hinausging, unstandesgemäß war. Als Nachfahre iberischer Kaufleute hatte ich das nie so ganz verstanden, und die Nabataer sahen das auch nicht so eng.
    Zudem glaubte ich, dass es keine bessere Art gab, einen guten Anführer zu erkennen, als unter ihm zu dienen, und das hatte ich ja, wenn auch unfreiwillig und un-militärisch, unter Sospitos getan. Er war gerissen, großzügig, gerecht, und grausam nur den dortigen Gepflogenheiten entsprechend. Die notwendigen göttlichen Omen ließen sich kaufen, und auch edle Abstammungen von Herrschern, Heroen oder gar Göttern wurden ja wohl oft im Nachinein erdichtet...


    "Mit dem ersten der Zimthändler ist er verschwägert, pflegt vordergründig eine Freundschaft, geschäftlich sind sie harte Rivalen."
    Was für eine Meinung dieser über Sospitos hegte, puh, knifflige Fragen stellte der Imperator.
    "Ich denke, dass das Verhältnis von Respekt geprägt ist." antwortete ich.
    "Den Beduinen zahlt er den üblichen Tribut, lässt seine Karawanen verstärkt von Wächtern begleiten, für den Fall, dass die Söhne der Wüste darüber hinaus gierig werden. Zu diesem Zweck hat er hochklassige Söldner aus dem Reich von Himyar angeheuert. Dadurch hat er in den letzten Jahren deutlich weniger Karawanenladungen verloren als andere. Sein Name ist bekannt und er wird respektiert."
    Eine Erfolgsgarantie war er natürlich trotzdem nicht, und gerade nach meiner letzten Mission war mir sehr bewußt, dass in dieser fremden, von unberechenbarer 'Östlichkeit' durchdrungenen, Welt die auf den Palatin geschmiedeten Pläne äusserst kurzlebig sein konnten – genau wie die, die danach strebten, diese dort vor Ort umzusetzen. (Darum fand ich den Gedanken einer Eroberung ja so bestechend: den gordischen Knoten zerhauen, einen ordentlichen Statthalter einsetzen, fertig. Aber das fiel ja leider aus.)


    "Ja, das ist ein Risiko," stimmte ich unverblümt zu, "schlimmstenfalls verbündet Tayim sich trotz den Reden von der Unabhängigkeit verdeckt mit den Parthern. Oder nimmt unsere Einflußnahme als Vorwand dies offen zu tun. Zum Beispiel über eine Allianz mit der offen partherfreundlichen Stadtregentin von Bostra."
    Und schon könnte es auf einen Stellvertreterkrieg der Großmächte in Nabataeas roten Bergen hinauslaufen... selbst wenn die Parther primär ein Auge auf Armenien geworfen hatten.
    Vielleicht war ich voreilig gewesen, gleich anzubieten wieder zu verhandeln. In dem Bestreben, auch mich selbst ein wenig abzusichern, fügte ich vorsichtig hinzu:
    "Wie wir einer solchen Allianz bestmöglich vorbeugen können... ausser natürlich durch strikte Geheimhaltung.... um diese Frage in allen Aspekten zu beantworten, sehe ich weitere Aufklärungsarbeit als notwendig an. Insbesondere bezüglich der parthischen Interessen dort. Wenn wir diese Strategie verfolgen, dann würde ich ausserdem gern im Vorfeld bereits einige Agenten vor Ort positionieren, für den Fall, dass Bestechungen, Sabotage oder gar einzelne Eliminierungen notwendig werden sollten... - Darf ich fragen, Imperator, ob du es mir erlauben wirst, meinen Dienst in der Castra Praetoria wieder aufzunehmen? So dass ich dies in die Wege leiten kann, als Vorbereitung für erste Verhandlungen."


    Die Geheimdienstarbeit lag mir doch deutlich mehr als die große Diplomatie. Ich hatte mich natürlich angeboten, die Verbindung zu Sospitos aufzunehmen, das war ja auch meine Pflicht, aber ich war gerade erst knapp mit heiler Haut aber blutiger Nase davon gekommen, und brannte nicht darauf, ohne gebührende Aufklärung wieder loszuziehen.

    Mit düster dräuenden Klängen setzte das Orchester ein, unheilvoll dröhnten die Trommeln, untermalte die Wasserorgel, schluchzten die Kitharas, klagten die Flöten vom kommenden Verderben. Die letzten Gespräche waren verstummt. Ein opulentes halb plastisches Bühnenbild zeigte das Haus des Iason und der Medea, dahinter Korinth am blauen Mare nostrum, überragt von der Akrokorinth auf hohem Bergesrücken.


    Die im Original langen Dialoge der Hausangestellten in der Eingangsszene waren in dieser Pantomime zu Gunsten der sensationelleren Momente radikal gekürzt. Sowieso kannte ja jeder halbgebildete Römer die Geschichte, wie die zauberkundige Königstochter Medea dem Helden Iason beim Erringen des goldenen Vlieses beistand, aus Liebe zu ihm den Vater verriet und dem Bruder den Tod brachte, wie sie sich mit Iason und den zwei gemeinsamen Söhnen in Korinth niederließ, wie der treulose Heroe sie dort im Stich ließ, um statt ihrer die Tochter des Königs von Korinth zu ehelichen, wie das Urteil des Königs erging, Medea und ihre Söhne aus dem Land zu verbannen...


    Ein Paukenschlag, und der Chor der Sänger, ganz in weiß, auch die Gesichter und die Haare geweißt, statisch verharrend und zugleich die Stimmen in herrlichem Klang vereinend, setzte ein, leise wie von ferne zuerst, dann lauter wie näherkommend, sang vom Orchester untermalt die Klage der verlassenen Kolcherin:


    Der Chor als MEDEA:
    "Ach weh!
    Ich unglückseliges, leidendes Weib!
    Ach, weh mir! Wär ich doch tot nur!"


    Zugleich trat die Protagonistin auf, aus der Tür ihres Hauses tretend, die Maske der Medea getragen von dem großen Polychares, der im faltenreichen dunklen Frauenkleid jeden Zoll den unendlichen Jammer und das verzweifelte Aufbegehren der Verlassenen verkörperte. Ausdrucksvolle Gebärden vollführten die tänzerisch geschmeidigen Glieder, ein mitleiderregend elendes Hinsinken auf den Boden, und dabei stand in den abgezirkelten Gesten zugleich ein bedrohlich schwelender Zorn und Rachedurst. So tanzte er die Medea, während der Chor ihre Worte sang:


    Der Chor als MEDEA:
    "Ach, ach! Elend ist, was ich erduld,
    Elend und wert lauten Bejammerns!
    O verwünschte, verderbt, Kinder der leidigen
    Mutter, mitsamt ihm,
    Und gehe zugrunde das Haus ganz!
    Ach, ach!
    Oh, schlüge durchs Haupt mir vom Himmel der Blitz!
    Was brächte mir noch mein Leben Gewinn?
    Oh, gäbe der Tod mir Erlösung, weh!
    Von diesem verleideten Dasein!"


    Darauf sang der CHOR, musikalisch untermalt vom Thema der korinthischen Frauen, seine eigene Strophe:
    "Hörst du es, o Zeus und Erd und Licht,
    Welch ein Wehruf von der unseligen
    Ehfrau hertönt?
    Was, Törin, so unersättlich
    Verlangst du des Mannes Liebe?
    Was suchst du des Tods Erlösung?
    Das flehe mitnichten!
    Hat ein neues Band deinen Gemahl entfremdet,
    Zeus wird mit dem Recht – was tobst du! –
    Dir dafür Rache verschaffen. Härm dich nicht
    Zu sehr, weinend um deinen Ehgemahl!"


    Und wiederum als MEDEA, während der Pantomime die Hände zu den unsterblichen Göttern erhob, flehend, racheheischend:
    "Themis und Artemis, schaut, ihr Mächtigen,
    Was man mir antut, die mit gewaltigem
    Eidschwur sich verband den verfluchten Gemahl!
    Ha, säh ich ihn nur und die Braut mitsamt
    Den Gemächern des Glücks einst noch zerschmettert,
    Die frei sich erfrecht, mich zu beleidigen!
    O Vater und Heimat, denen ich schnöd
    Absagt, indem ich den Bruder erschlug!"


    Darauf der CHOR:
    "Wehschrei hör ich, vielen Weinens Klaggestöhn.
    Sie schreit in hellem Jammerruf:
    Der schlechte Gatte, der Eheverräter!
    Laut beschwöret die Tiefgekränkte
    Das Recht vom Himmel, welches im Schutze des Eidschwurs
    Über die See in das griechische Land sie geführt in der Nacht
    Hin durch des Meers undurchdringliche Pforten."



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    Wie herrlich war es, wieder zu Hause zu sein, im Herzen der Zivilisation Komfort und Kultur zu genießen. Freudig ließ ich von meinem Platz aus den Blick über die bunte Menschenmenge schweifen, hielt mit zusammengekniffenen Augen unwillkürlich Ausschau, ob ich rein zufällig vielleicht Manius irgendwo auf den senatorischen Plätzen erspähen konnte – dem war aber nicht der Fall. Darauf besah ich mir andächtig die Einzelheiten des Bühnenbildes.
    Sogar Cascas aufmüpfigen kleinen Blondschopf sah ich heute mit wohlwollendem Auge. Ich hatte mir das Mädchen von ihm ausgeliehen, weil ich mich aus Gründen der Fassade ja nicht immer nur mit schönen Männern sondern auch mit holder Weiblichkeit umgeben mußte. Und das Mädchen war, von ihrem vorwitzigen Wesen mal abgesehen und solange sie den vorlauten Mund nicht aufmachte, ja wirklich allerliebst, die schönste Sklavin im Haus. So bekam sie eben eine zweite Chance bei mir, obgleich sie die erste maximal vermasselt hatte. Ich hatte auch Anweisung gegeben dass sie sich wusch und was hübsches zum Anziehen bekam.
    "Bring mir bitte einen Becher verdünnten Wein, kleine Nymphe." wies ich sie an, drückte ihr ein paar Münzen in die Hand. Die fliegenden Händler waren ja überall. "Du kannst dir auch einen holen. Und besorg mir eine Handvoll Pistazien."

    Dea Dia, was war denn das?! Hatte ich mich verhört? Sprachlos starrte ich das Mädchen an. Die konnte das gerade doch nicht wirklich gesagt haben, oder etwa doch?
    Erst mal klappte ich meinen Mund wieder zu. Dann ergriff ein ungläubiges Kopfschütteln von mir Besitz. Und als ich wieder soweit war, Worte zu finden, angesichts dieser unfassbaren Aufmüpfigkeit (und als Fußnote die Frage: wie kam sie zu der abartigen Annahme, dass ich den ganzen Tag in meinem Cubiculum rumhocken würde?), da knurrte ich nur:
    "RAUS. Hypokausten kehren. Jetzt!"
    Und wies ihr mit bestimmter Geste die Türe.



    Nachdem ich sie rausgeworfen hatte, ließ ich mich mit leidiger Miene auf die Fensterbank plumpsen.
    "Das ist doch nicht zu fassen!" schimpfte ich vor mich hin. Was hatte Casca uns da nur angeschleppt?! Unsere Sklaven waren für gewöhnlich hausgeboren und gut erzogen. Der Haushalt funktionierte, Züchtigungen waren milde, und es war noch nie einer fortgelaufen. Auch der Sklavenaufstand hatte unser Haus nicht berührt, ein Zeichen dafür, dass die Unfreien ihren Platz kannten. Lediglich meine Freigelassenen hatten in meiner Abwesenheit mit rebellischem Gedankengut experimentiert... doch seit meinem Furor Serapiensis in der Villa Eutopia hatten sie es nicht gewagt, diese noch mal laut zu äussern, zumindest nicht in meiner Gegenwart.
    Ich konnte mich echt nicht daran erinnern, dass jemals einer so frech gewesen war wie dieses Nymphchen. Selbst die wilden Barbaren, die ich mir eine Zeit lang mit Vorliebe angeschafft hatte – damals hatte es mir Freude gemacht, ihren rohen Stolz zu beugen – hatten sich meist in Laufe der Zeit gut gemacht. Wenn ich da an Lupus/Kieran dachte, den schönen Kelten, anfangs wie ein wildes Tier, dann zum Gladiator geschmiedet, wie er mich treu nach Vicetia begleitet hatte und dort gefallen war...
    Ich seufzte, wehmütig an Lupus' gestählten Leib und die aussergewöhnlichen grünen Augen zurückdenkend. Wie nett wäre es, mir wieder ein paar Gladiatoren zuzulegen.
    Darauf griff ich nach dem Wasserkrug, um die Hanfpflanzen auf meinem Fensterbrett zu gießen. Nach meiner Rückkehr hatte ich frische eingesät, und es zeigten sich zwischen den Erdkrumen schon die ersten grünen Spitzen. Vielleicht würde das Nymphchen ja auch noch so eine beeindruckende Wandlung wie Lupus damals hinlegen?

    Mein Geschenk hatte voll ins Schwarze getroffen. Valentina wurde ja ganz rot! Ich schmunzelte, freute mich an ihrer Freude, und ein klein wenig erleichterte dies auch mein schlechtes Gewissen. Für meine Ex-Verlobte nur das Beste.
    "Ja, sie kommt aus einem römischen Haushalt, sie versteht das meiste." meinte ich. Privatzoos waren ja sehr angesagt, nicht nur in der nabataeischen, auch in der alexandrinischen gehobenen Gesellschaft.
    Die kleine Ägypterin ihrerseits flötete mit reizendem Akzent:
    "Sehr wohl, Domina."
    Nun streichelte Valentina ihr Kätzchen, ganz vorsichtig. Sie bedankte sich, während die Sklavin den Geparden an den Rand des Atriums führte. Dort wurde sie von unseren Haussklaven in Beschlag genommen, die auch alle ganz neugierig auf das niedliche Tierchen waren. Sie brachten ihn dann in den Hortus, um ihn dort zu füttern.
    Ich lächelte verlegen. "Freut mich dass er dir gefällt, amica."


    Eine Pause entstand zwischen uns.
    Das Impluvium plätscherte.
    Unschlüssig strich ich mir den Bart.
    Und räusperte mich. Valentina war genauso wie früher, die Jahre hatten an dem Gefühl der lieben Vertrautheit nichts geändert, aber...
    "... ähm... verzeih wenn ich so mit der Tür ins Haus falle, aber... ähm... du hast mittlerweile sicher jemand anderen geheiratet...?"
    Oder...?! Dass sie hier im Haus weilte, das mußte ja nichts bedeuten, schließlich war sie eine Freundin der Familie. Und nein, ich konnte nun wirklich nicht erwarten, dass sie ihre besten Jahre damit verschwendete, auf mich zu warten, ungewiss, ohne eine Nachricht, während ich mich im Dienste der Patria an unserer Orientflanke herumtrieb!
    So dachte ich, während natürlich doch ein kleiner Teil von mir, wider besseres Wissen, insgeheim darauf hoffte, dass ich einfach zurück in mein altes Leben treten könnte, als wäre ich gestern erst aus dem Haus gegangen.

    Es war ein schwüler Sommertag, der Himmel von einem verwaschenen Blau, bedeckt von zarten Wolkenschleiern, durch die ein diesiges Licht auf die weitgeschweiften, von Menschen wimmelnden Ränge des Pompeiustheaters fiel. Durch Ausrufer, Graffiti und von Mund zu Mund war es kundgetan worden, dass hier und heute - als Vorveranstaltung zu den nahen Ludi Romani - in den Nachmittagsstunden eine Aufführung der Medea frei nach Euripides stattfinden würde.
    Ganz dem Geschmack der Zeit entsprechend, würde die Tragödie als eine Pantomime dargeboten.
    Der für seine Ausdruckskraft viel gerühmte Schauspieler und Tänzer Polychares, ein Stern an Roms Theaterhimmel, ebenso bejubelt wie harsch kritisiert, würde, so wie es Brauch war, nicht nur die Hauptrolle, sondern unter wechselnden Masken alle Rollen übernehmen. Der Chor und das Orchester des Pompeiustheaters hatten einen hervorragenden Ruf und viele eingefleischte Bewunderer, so dass sich an diesem Tag, wie zu erwarten, die Ränge des Theaters rasch füllten.
    Die unzähligen Stimmen vereinten sich zu einem dumpfen Brausen und Summen, das man wohl irgendwo zwischen Meeresbrandung und Bienenstock hätte einordnen können, da hinein mischten sich die Klänge der Instrumente, die von den Musikern eben noch einmal gestimmt wurden, und in der Luft lag die gespannte Erwartung der vielen Tausend theaterfreudigen Zuschauer...



    Sim-Off:

    Mitspieler sind willkommen. Auf die historische Sitzordnung würde ich verzichten, damit mehr Interaktion möglich ist. :)




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    Kurz war mir so, als wehe ein leiser Missklang durch unsere Zweisamkeit... Konnte es sein, dass Manius das, was mir da so treuherzig herausgerutscht war, irgendwie... unangemessen fand? Vielleicht glaubte er, ich wolle mich über seine überaus gediegene, gehobene, wohlklingende, aristokratische, und das ein oder andere Mal auch echt altmodische Art sich auszudrücken lustig machen... will sagen mokieren. - Was natürlich nicht meine Absicht war. Im Grunde hätte ich ihm gerne gesagt, dass ich es schön fand, durch ihn neue Dinge zu erfahren... Natürlich waren wir schon viel (viel!) zu alt, um uns noch Eromenos und Erastes zu nennen, ich war ein gestandener Soldat und Kommandant, aber ich schätzte eben trotzdem diesen Aspekt, durch ihn meinen Horizont zu erweitern.
    Schon war dieser kurze Moment aber vorübergezogen, und Manius schmiedete Worte, wobei ich ihm fasziniert zuhörte und unwillkürlich vor meinem inneren Auge erst eine Figur meiner selbst aus einem einzigen funkelnden Brillianten geschliffen auftauchte... - Narziss aus der Sage wäre neidisch geworden bei dem Bild, aber Gedanken sind frei... - zugleich erinnerte mich der Klang wehmütig an meinen verstorbenen Bruder Appius, wie er mich stets 'Faustillus' genannt hatte... Darauf formte sich aus wundersamem Farbengeflirr ein kaiserlicher Manius, umhüllt nicht von Purpur sondern von einem märchenhaft blaugrün schillerndes Isis-Gefieder, der weite Schwingen ausbreitete...
    Dabei hatte ich gar nichts genommen. Und nur ein paar Schluck Wein getrunken.


    "Miramanilliant..." murmelte ich verblüfft, und nahm mit den Lippen das Ei von seinen Fingern. Es war mit einer raffinierten Paste gefüllt, die nach Rauke und Pinienkernen schmeckte. Ich kaute genüsslich, war froh, dass das Essen auch Manius' verfeinerten Gaumen zusagte, stockte jedoch, als er meinen Koch pries, den nicht-existenten. Ins Deversorium Delectationum hatte er mich ja selbst eingeführt, bei einem unserer Treffen, das weniger erquicklich gewesen war, wobei das keineswegs am Essen gelegen hatte.
    Obschon nun wirklich nichts dabei gewesen wäre, zu erwähnen, dass ich die Speisen von dort hatte holen lassen... nickte ich nur und lächelte nichtssagend. Alles sollte doch perfekt sein....


    Und es lief auch wirklich gut. Was er aussprach, das waren doch genau meine Wünsche. Ich hatte genug von gehetzten gestohlenen Augenblicken am Rande irgendwelcher Feste, oder dem echt unbequemen Schreibtisch in seinem Officium. Nicht, dass das nicht alles extrem heiß gewesen wäre. Aber ich wollte... mehr, viel mehr eben. Glücklich spürte ich die zarte Berührung an meiner Wange, streckte selbst die Hand nach ihm aus, barg die Kontur seines Gesichtes in meiner gewölbten Hand, strich ihm zärtlich über den Nacken, und kraulte ihn verliebt an den Schultern, immer weiter. Ganz dicht lagen wir uns gegenüber, sahen uns in die Augen, und tiefbewegt gelobte ich:
    "Ich verspreche es, Manius. Ich bin dein. Ich will... einfach nur mit dir zusammensein, soviel wir nur können. Ich will noch mehr als... Nächte, die berauschend sind, aber ohne Morgen... - Und ich habe mir gedacht, allfällig überschätzen wir in unserer Angst vor der fama die Gefahr, einfach offen auch einen Umgang als 'gute Freunde' zu pflegen. Wer könnte etwas dagegen sagen, wenn wir uns häufig besuchen? Zusammen ins Theater gehen? Oder vielleicht... einen Kultverein gründen, bei dem wir uns sehen können, zum Beispiel... einen Kultverein des Apoll, mit Dichterlesungen und Vernissagen und Mäzenat..... Oder nein, sicher ist es riskant, das will ich nicht schönreden. Es gibt doch so einige, die über mich bescheid wissen, meine Familie, und auch dem ein oder anderen alten Kameraden ist es nicht verborgen geblieben, und dann natürlich meine ehemaligen Liebhaber, und Valentina, und die Sklaven nicht zu vergessen... sicher könnte sich manch einer etwas zusammenreimen, wenn man uns viel zusammen sieht."
    Manius' Reputation war meines Erachtens doch deutlich tadelloser als die meine. Wenn seine Senatskollegen, mein Vater Livianus oder sogar der scharfzüngige Dives sein Geheimnis erraten würden... oh je. Doch auch ich hatte richtig viel zu verlieren. Als der Jüngere von uns beiden, dem man natürlich den sich hingebenden Part zuschreiben würde, da wäre die Schande für mich noch viel größer.
    "Wer weiß eigentlich über dich bescheid, außer deinem Sciurus?" erkundigte ich mich vorsichtig.


    "Eine andere Idee: was hältst du davon, wenn wir einfach mal für ein paar Tage aus der Stadt entfliehen. Wir könnten eine Jagdpartie unternehmen! In den Montes Lucretili, in der Gegen von Orvinium, da ist es wunderschön. Menschenleere Bergwälder, viel Wild... Wir könnten uns eine einsame Jagdhütte mieten, so ganz rustikal, ohne Gefolge, ohne Zwänge, weit weg von Rom, nur wir beide! Das wäre doch fabelhaft! Was meinst du dazu?"
    Oh, kaum hatte ich es ausgesprochen, da fiel mir wieder ein, dass seine werte Frau Gemahlin ja hochschwanger war. Wohl kaum der richtige Zeitpunkt, um sich zum Jagdvergnügen zu verabschieden. Beim Geifer des Cerberus, diese Frau war eine Plage.

    Zum Teil traf ich auf offene Ohren. Es war wirklich eine Ehre, mit dem Imperator hier so geradeheraus die Lage und die Strategie an unserer östlichen Peripherie zu besprechen. Er schätzte die Kriegsbereitschaft der Parther höher ein als ich, schien das Risiko, das mit einer Annektierung einginge, für unwägbar zu halten. Wie schade! Ich sah eine einmalige Gelegenheit entschwinden. Ob er anders entscheiden würde, wenn er wie ich mit eigenen Augen den märchenhaften Reichtum und die wahrlich eroberungswürdige Hochkultur Nabataeas erblickt hätte?
    Gegen sein vorsichtiges Abwägen ließ sich im Grunde nichts sagen... es befremdete mich jedoch, wie unverblümt er die Dinge beim Namen nannte. 'Nicht so ruhmreich' traf sicher zu, wenn man 'nur' den Tod des Imperator Ulpius Iulianus sah, aber hatten wir damals nicht auch Edessa, damit die Osroëne, und Circesium erobert und die Parther aus Armenien vertrieben... und damit doch so einiges Ruhmvolles vollbracht?
    Ich biss mir auf die Zunge, um ihn nicht durch Widerspruch zu brüskieren. Es lag mir ja fern, einen neuen Partherfeldzug zu befürworten. Aber irgendwie fühlte ich - in jungen Jahren geprägt von so manch markiger Rede à la tu regere imperio populos, Romane memento und den blutigen Kämpfen gegen den Erzfeind im Osten - mich angesichts von Imperator Aquilius' nüchterner Friedenspolitik machmal so... 'retro'. Als wäre unversehens eine neue Zeit angebrochen, in der ich mit einem Mal zum alten Eisen zählte.


    Doch obgleich er eine Annektierung ausschloß, war der Kaiser geneigt, unseren Einfluss dort wiederherzustellen. Obodas, mutmaßlich schwachsinnig, auf jeden Fall nicht greifbar, fiel als Vasallenkönig aus. Gamilat war uralt und ebensowenig greifbar. Tayim wäre interessant, wenn er nicht seine Anhängerschaft mit der Abneigung gegen unsere römische Vorherrschaft vereinigen würde. Der ehemalige Fächerträger war für seinen Hang zum Verrat berüchtigt. Über die Hohepriesterin wußte ich zu wenig. Der Sheik der Beni-Tulul war ein unzivilisierter Barbar, von dem bekannt war, dass er seine besiegten Feinde mit Vorliebe pfählte... Wer blieb da noch?


    "Eine gute Option wäre aller Voraussicht nach der Handelsherr Sospitos, ein einflussreicher Edelmann aus Petra, der über ein weitverzweigtes Weihrauch-Handelsnetz gebietet. Er hat mannigfaltige Verbindungen in der nabataeischen Oberschicht und Gespür für den Machterhalt. Er selbst hat drei Frauen aus bedeutsamen Familien geheiratet, und auch die Ehen seiner Kinder – er hat fünf Söhne – mit Bedacht ausgewählt. Er pflegt, von der Vielehe abgesehen, einen hellenisierten Lebensstil, und bedauert die Unruhen in Nabataea, da sie den Handel empfindlich treffen. Aus diesem Grund unterstützt er zur Zeit den Reiterkommandanten Tayim - der wie gesagt eine Klientenschaft zu uns lauthals ablehnt. Diese Unterstützung basiert aber meines Erachtens lediglich auf Sospitos' Wunsch, in Nabataea wieder geordnete Verhältnisse und sichere Handelswege zu haben. Sospitos zu gewinnen würde also auch eine der Hauptfinanzierungsquellen der antirömischen Fraktion zum Versiegen bringen. - Er selbst ist ganz pragmatisch, ein Mann der Vernunft, und einer der zu seinem Wort steht, soweit man das eben von einem Orientalen behaupten kann. Man muss hinzusagen, dass er nicht mehr der jüngste ist, aber von robuster Gesundheit. - Noch habe ich keine Verhandlungen mit Sospitos aufgenommen..."
    Ich war ja auch so gar nicht in der Position dafür gewesen. Aber ich war zuversichtlich, dass Sospitos das Geschäft seines Lebens beherzt am Schopfe packen würde. Vielleicht könnte man ihn auch gleich zusammen mit seinem ältesten Sohn inthronisieren?
    "... doch wenn du gestattest, Imperator, werde ich dafür mit ihm in Verbindung treten. Sichere, gute Straßen und Maßnahmen gegen die räuberischen Stämme sind auf jeden Fall ein gemeinsames Anliegen."
    Und wieder mit Blick auf die Karte überlegte und spekulierte ich:
    "Wenn es uns gelingt, in Nabataea wieder ein stabiles Klientelkönigtum zu etablieren, dann könnte die Errichtung eines endgültigen Limes arabicus auch zu dessen Schutz hier.... sinnvoller sein als entlang der iudaeischen Grenze und der Via maris..."
    Bei 'hier' strich ich mit der Fingerkuppe unerschrocken von der Ostgrenze Syriens südlich, den Landstrich des Dekapolis mit Bostra umfassend, dann den Abschnitt entlang der nabataeischen Ostgrenze, parallel der Straße zwischen Petra und Aila. Dies würde zwar die flavisch ertüchtigten Straßen in Iudaea nicht mit einbeziehen, den zu befestigenden Verlauf aber viel kürzer machen.
    "Hier" bemerkte ich beim letzten Abschnitt, "existieren bereits einige nabataeische Befestigungsanlagen, die zur Zeit aber nur lückenhaft bemannt sind, die wir dann gleich nutzen könnten."
    Auch dies hatte natürlich Potential, die Parther zu vergrämen, andererseits dachte ich mir, wäre die Befestigung dieser "Klientel-Grenze" auch ein sichtbares Zeichen dafür, dass unser besonnener Imperator nicht nach Eroberungen jenseits davon strebte.

    Treuherzig beteuerte das Mädchen, die richtige Wahl treffen zu wollen. Auch die Tränen waren zum Glück versiegt, nur ein klägliches Schniefen kam noch nach.
    Na also. Hoffentlich war das auf fruchtbaren Boden gefallen, ich hatte nämlich wirklich überhaupt keine Lust, die wilde Drohung, die mir da herausgerutscht war, wahrzumachen, mir damit womöglich noch Ärger mit meinem Vetter einzuhandeln, wenn ich seine kleine Nymphe kaputt machte... (Mein Verhältnis zu Casca war durch Valentinas Wahl komisch genug.) Andererseits waren Ankündigungen gegenüber Sklaven, die man dann nicht umsetzte, der beste Weg dazu, dass einem das Gesinde irgendwann fröhlich auf der Nase herumtanzte.
    Ich würde der Vilica jedenfalls auftragen, ein Auge auf das Mädchen zu haben, und Sidonius befehlen, ihr Lager nach eventuellem Diebesgut zu filzen. Und auch wenn mein ursprünglicher Verdacht, sie könnte eine Spionin sein, mir nun doch eher weithergeholt erschien – so wollte ich diesen doch fundiert ausschließen können, und beschloss, einen ihrer Mitsklaven auf sie anzusetzen. Silas vielleicht, der hatte so eine harmlose Ausstrahlung. (Wenn sich der Verdacht wider Erwartens doch als wahr herausstellen würde, dann könnte ich das Mädchen benutzen, um dem Feind gezielt Falschinformationen unterzujubeln.)


    Überraschend schnell schwand die Miene der Zerknirschung. Das Mädchen schien mir erleichtert über die maßvolle Strafe zu sein, stellte mir vorwitzig eine Frage. Irritiert von ihrer plötzlichen Unbefangenheit runzelte ich die Stirn, für einen Augenblick stark hin und her gerissen zwischen dem Impuls, gerne auf dieses hochinteressante und mich immer wieder faszinierende Thema eingehen zu wollen, und dem Wissen, ihren Fehltritt nicht mit einem Plauderstündchen belohnen zu dürfen.
    "Das ist nicht der Moment dafür, puella." entschied ich mich für die Strenge. "Zuallererst hast du deine Strafe abzuleisten. Wenn mir keine Klagen über dich zu Ohren kommen - dann werde ich dir die Geschichte vom Herrn der Ewigkeit und dem Falken der Sonne erzählen." so stellte ich ihr in Aussicht und entließ sie für heute. "Du kannst jetzt wegtreten."

    Eigentlich hatte ich mir ja vorgenommen, heute mal etwas seriöser zu sein, und mit Manius erst ein stilvolles Abendessen und eine erhebende Rezitation zu genießen. Denn betörend ist die Sehnsucht, köstlich das Zaudern, kurz die Erfüllung.
    Doch innerhalb eines einzigen Atemzuges waren diese Überlegungen nichtig, verzehrt wie eine Handvoll Stroh in der tosenden Feuersbrunst, die meinen Geliebten und mich entflammt hatte, als wir auf die Kline sanken, eng umschlungen, die Kleidung in alle Himmelsrichtungen flog, und die Laube erfüllt war von den genussvollen Lauten unseres Liebesspiels, als wir hitzig unsere Leidenschaft ineinander stillten.
    Selig lag ich sodann neben ihm, verschwitzt und zerzaust, auf meiner Haut noch den Nachklang seiner Berührungen erspürend, in mir ein luftig leichtes Jubeln, eine entspannte Euphorie, ein Glück, so vollkommen, dass ich es nicht zu beschreiben gewusst hätte. Ein strahlendes Lächeln stand breit in meinem Gesicht und ich lachte auf, heiter und geschmeichelt über seine kosende Wortsuche, stützte mich auf einen Ellbogen, versuchte, eine ähnlich gravitätische Miene aufzusetzen und prustete:
    "Man tut was man kann!"
    Das schelmische Funkeln in seinen Augen war so schön, dass sich fast schmerzhaft etwas in meinem Brustkorb zusammenzog. Mit Wucht war mir bewusst, wie unendlich ich diesem Mann verfallen war. Ich hätte für ihn sterben wollen, in dem Moment... und zugleich war mir das unheimlich, es war zu groß und zu gewaltig um es fassen zu können, und war es nicht auch blödsinnig, im Augenblick höchsten Glückes Gedanken ans Sterben zu haben?
    "Ein neues Wort, für mich?! Was könnte das sein? Du wirst mich unsterblich machen, Manius!" erwiderte ich sein Scherzen, wobei meine Bewegtheit meine Stimme seltsam belegt machte. "Dabei bereicherst du auch so schon meinen Wortschatz! Bei jedem Rendez-vous lerne ich... jählings etwas hinzu."


    Zwischen dem blütenübersäten Rankenwerk der Laube erschien wie durch einen Vorhang nun mein Libertus Ravdushara. Auf silbernen Platten servierte er uns allerlei Vorspeisen, unter anderem Venusmuscheln, Seeigel, sauer marinierte Sepiascheiben und Möweneier, dazu schenkte er einen goldenen Massiker in Kelche aus Flußspat. Blütenblätter schwammen auf dem parfümierten Wasser, in dem ich meine Finger säuberte. Nachdem wir miteinander angestoßen hatten, vergnügte ich mich damit, Manius neckisch den ein oder anderen Leckerbissen anzubieten und abwechselnd selbst einen zu verspeisen...

    Das "Kätzchen" | [Blockierte Grafik: https://www.bilder-hochladen.net/files/m625-3-eb4e.jpgund seine Hüterin Renenet | [Blockierte Grafik: https://www.bilder-hochladen.net/files/m625-4-9ae6.jpg]



    Zuerst erschien Valentina mir einfach nur vollkommen überrumpelt, wie zur Salzsäule erstarrt. Doch dann fand ich mich mit einmal in einer festen, ehrlichen, langen Umarmung, und da wurden vor lauter Rührung, Freude und Erleichterung auch meine Augen feucht. Einen solchen Empfang hatte ich mir nicht zu erhoffen gewagt. Ich atmete auf, ganz tief, wie erlöst, und blinzelte verstohlen die Tränen weg, bis ich Valentinas liebes Gesicht wieder scharf sah. Erst jetzt hatte sie den Blick von mir abgewandt und betrachtete ihr Geschenk.
    "Das ist ein Gepard, auch Jagdleopard genannt! Er ist noch halbwüchsig, er wird mal so.." Ich zeigte es mit der flachen Hand. "...groß ungefähr. Ich dachte mir, du magst doch Katzen, nicht? Man kann sie zur Jagd abrichten oder einfach als Haustier halten. Er ist ganz zahm... nur gerade etwas durcheinander von der Reise, fürchte ich..."
    Vielleicht vermisste er auch seinen unterwegs verstorbenen Bruder, aber das musste ich nun nicht unbedingt erwähnen. Wenn das Tier gute Laune hatte und sich streicheln ließ, dann schnurrte es wie eine überdimensionale Miezekatze, aber gerade versteckte es sich scheu hinter den Beinen seiner Hüterin.
    Auf meinem Arm spürte ich Valentinas Hand, ich legte meine Hand über ihre und drückte sie liebevoll.
    "Er hat noch keinen Namen, den wollte ich dir überlassen. - Und das ist Renenet, sie ist Ägypterin und Tierpflegerin und kümmert sich um ihn. Sie gehört auch dir."
    Die zierliche Sklavin, die ich zuvor bereits in meine Pläne eingeweiht hatte, lächelte unterwürfig und machte eine kleine Verbeugung vor Valentina.

    Unbewaffnet war sie und hatte nichts Gestohlenes bei sich. Ein paar alte Narben zogen sich über ihren Rücken, unschöne fleischrote Striemen in der hellen Haut. Das Mädchen zitterte wie Espenlaub, recht so, sollte sie sich ruhig noch etwas fürchten, damit sie sich nie wieder erkühnte, hier in mein Sanctum einzudringen. Ich fand keine Markierungen, bis auf eine kleine Tätowierung, ein seltsames Zeichen, das aus drei Kringeln zusammengesetzt war. Ein Genswappen war das jedenfalls nicht. Vielleicht ein Bandenzeichen. Ich nahm eine Wachstafel zur Hand und zeichnete es rasch ab.
    In meiner Urbanerzeit hatte mir ein altgedienter Kamerad mal von einer ganz raffinierten Bande erzählt, die vor Jahrzehnten in Italia ihr Unwesen getrieben hatte, immer von Stadt zu Stadt weiterziehend: Diese Strolche hatten eine schöne Frau aus ihren Reihen immer wieder als 'Sklavin' teuer in reiche Häuser verkauft, worauf sie dann den Ianitor vergiftete und ihnen heimlich des Nachts die Porta öffnete, so dass die Halunken säckeweise das Silberzeug heraustrugen und den Tresor im Tablinum aufbrachen... Zuletzt hatten die Cohortes Urbanae sie aber erwischt, ihnen das Handwerk gelegt und wenn ich mich recht erinnerte, hatte die ganze Bande in den sizilianischen Schwefelminen ihr gerechtes Ende gefunden.


    Die Truhe habe sie sich ansehen wollen? Wohl eher was darin war. Und die Truhe winkte ja nun auch nicht aus meinem Cubiculum heraus. Wobei das Möbelstück tatsächlich ein ganz exquisites war, und ich war auch recht stolz auf dieses schöne Stück, so außergewöhnlich war sie, dass sogar eine einfache Sklavin sogleich die ästhetische Einzigartigkeit erfasste.
    "Das sind ägyptische Einlegearbeiten, Elfenbein in Ebenholz." erklärte ich ihr automatisch gönnerhaft, "Dies hier stellt die Flügelsonne dar, und diese Bilder sind Szenen aus dem Mythos von Isis und Osiris-Serapis..."
    Ups, abgelenkt. Schnell zurück zum Verhör, dem tränenreichen. Was für ein Sturzbach. Ich bemerkte in dem Moment, dass die Jahre in der Fremde leider nicht so folgenlos an mir vorbei gegangen war. Ich war absolut nicht mehr in Übung, und die kalte Professionalität, die ich mir im Verhörraum der Castra mühsam angeeignet hatte, die hatte doch arg gelitten... so etwa wie die Hornhaut an den Füßen vergeht, sobald man keine Gewaltmärsche in Caligae mit Gepäck mehr macht.


    Ja, das Geheule fing an, mir richtig an die Nieren zu gehen. Und so am Boden zerstört wie das Mädchen gerade war, gewann ich tatsächlich den Eindruck, dass sie mehr oder weniger die Wahrheit sagte.
    Aber fürchtete sie sich etwa vor Casca? Meine Brauen wanderten in die Höhe, ich verbiss mir ein verblüfftes Auflachen. Vor meinem gutherzigen, genussfrohen Vetter, der seine Sklaven viel zu milde behandelte, fast wie Freunde? Nun ja, ich war lange fort gewesen, vielleicht hatte Casca in der Zwischenzeit zu etwas mehr Härte und Mannhaftigkeit gefunden? Er hatte es ja auch vollbracht, so dachte ich bitter, mir die Verlobte auszuspannen.... - nein, gebot ich mir selbst bei diesem Gedanken Einhalt, das war natürlich Unsinn, ich musste Casca dankbar sein, dass er sich Valentinas angenommen hatte, und es musste mein Hauptanliegen sein, dass Valentina gut versorgt war. Ja, so und nicht anders hatte das zu sein, Dankbarkeit war angesagt, nichts anderes....


    "Du hast Nerven, puella. Du solltest froh sein, wenn ich dich nicht in die sizilianischen Schwefelminen schicke! - Natürlich wird mein Vetter erfahren, was für ein Früchtchen er uns da ins Haus gebracht hat." Derzeit war er aber meines Wissens unabkömmlich im Tempel der Minerva. Ich wollte nicht auf seine Heimkehr warten, denn Sklaven muss man bekanntlicherweise gleich beim Fehltritt bestrafen.
    "Jetzt hör schon auf zu weinen, bevor wir hier noch alle davonschwimmen." befahl ich bemüht harsch, und schob ihr die Tunika wieder auf die Schultern, zog sie ordentlich zurecht.
    "So. Du wirst die nächste Woche die schmutzigsten Arbeiten hier im Haus erledigen: Hypokausten fegen, Asche aus dem Ofen kratzen, Latrinen putzen, den Müllkarren beladen. Das ist deine Strafe. Dein Herr wird dann entscheiden, ob es damit genug ist. Und du kannst in der Zeit darüber nachdenken, was für eine Sklavin du sein möchtest, hier bei uns im Haus: eine diebische oder verräterische, die bei nächster Gelegenheit in den Minen landet, oder eine treue und tüchtige. Wenn du dich für Letzteres entscheidest, wozu ich dir entschieden raten möchte, puella, dann wirst du hier immer gut versorgt sein. Du wirst ein Dach über dem Kopf haben, einen Schlafplatz, genug zu essen, ordentliche Kleidung, auch ein kleines peculium bekommst du. Du wirst Teil der Hausgemeinschaft sein und unter dem Schutz der Gens Decima stehen."
    Ich ließ die Worte dieser kleinen Ansprache wirken (hoffentlich), bevor ich nachfragte:
    "Hast du das alles verstanden?"

    'Fulminant, oppulent und verspielt', das konnte man so oder so verstehen. Etwas verunsichert blickte ich im Gehen seitlich zu ihn, auf der Suche nach einem Hinweis, ob ihm das Ambiente des Anwesens zusagte, oder ob es ihm nicht doch zu extravagant und un-klassisch war, so dass es zwar 'jede Frau' mit Freude erfüllen würde, aber nicht Manius' erlesenem Geschmack gerecht wurde, was er nun auf seine unnachahmliche Weise ganz dezent kundtat. Vielleicht hatte ich es mit dem Bergkristall tatsächlich ein wenig übertrieben. (Auch die Residenz des Voluptarianus Suavis mit seinen vergoldeten Latrinen hätte man als 'oppulent' bezeichen können. Sie stand übrigens nur zwei Straßen weiter.)
    Doch aus Manius noblem und reserviertem Profil war nichts herauszulesen, ausser, dass ihm der Besitzer des Anwesens zusagte, und das sollte mir wohl genug sein. Auch eine gewisse Schwermut überschattete seine Züge, trotz der glücklichen Stunde. Aber die würde ich schon zu vertreiben wissen.
    Wir hatten das Ende des Bassins erreicht, passierten den leeren Sockel, gingen in Richtung der Laube, wo alles für unsere Cena vorbereitet war.
    Ich hatte mir ja überlegt, einen Obelisk aus Ägpten importieren zu lassen, und den hier aufzustellen. Thematisch passend wäre dann auch ein kleines Krokodilgehege... falls ich mich dafür entschied, hier zu wohnen natürlich... und mich der Imperator nicht gleich wieder nach sonstwohin schickte.
    An einem Jasminstrauch vorübergehend streckte ich die Hand aus und strich durch die blütenübersäten, duftenden Zweige. Oder ich könnte einfach komplett umdekorieren, und alles statt dessen im nabataeischen Stil einrichten, mit hängenden Gärten, roten Felsfassaden, Treppengiebeln und glasierten Fliesenmosaiken, das wäre gewiss auch sehr schön und einzigartig hier in Rom.


    Den eigenen Sohn zu verstoßen?! "Nein, natürlich nicht!" rief ich aus, entgeistert allein über eine solche Vorstellung. "Bona Dea, ihr seid aber streng..." Das hatte er ersthaft erwogen? Der arme Junge. "Haben wir nicht alle mal... so ein paar Jugendsünden begangen..."
    Wenn Livianus damals auch nur halb so rigoros gewesen wäre, dann hätte er mich aber in hohem Bogen aus der Gens werfen müssen! Mehrfach.
    Mir war schon bewußt, dass diese versnobten alten Patrizierclans ihre ganz eigenen Moralvorstellungen hatten, aber... Sein Vater hatte seinen Bruder verstoßen und Manius hatte das stets bewundert?! Das war, gelinde gesagt, verstörend.
    Es gab diese Momente, wo sich urplötzlich der Abgrund erahnen ließ, den mein Geliebter mit sich herum trug, und wo es mir mit einem mal vor ihm graute, und das war einer dieser Momente.
    Ich biss mir auf die Zunge, um jetzt nichts falsches zu sagen. Es ging mich ja nichts an, ich kannte nicht die Hintergründe, und vor allem wollte ich Manius nicht vor den Kopf stossen. Nein, es ging mich nichts an. Hatte ich nicht selbst große Bewunderung gehegt für den Primus Pilus Artorius Avitus, der grausame Disziplinierungen mit kühler Gelassenheit befahl?
    Und letztendlich hatte Manius ja auch davon abgesehen, und sein Sohn hatte offenbar die Kurve gekriegt und war nun Senator.


    "Wer viel gibt, muß sich auch mal beschenken lassen." versuchte ich die schweren Gedanken ein wenig zu zerstreuen, blieb mit ihm stehen, trat dicht an ihn heran und schlang einen Arm um seinen Nacken, den anderen um seine Hüften, ihn innig an mich ziehend, und mich zugleich verlangend an ihn schmiegend.
    "Mein Geliebter," flüsterte ich, näherte mein Gesicht dem seinen, streifte seine Lippen, "mein Erastes, meine goldene Sonne, mein Rätselkönig, mein Ein, mein Alles! Du sollst nicht vergessen wer du bist, denn genauso wie du bist, versetzt du mich... in unbändige Begeisterung, und immer neues Staunen und dahinschmelzende Sehnsucht! Wer ausser dir verbindet so den aufopferungsvollen Dienst am Staat und den ätherischsten Feinsinn, und das treue Sorgen und Schützen für deine Familie und den leuchtendsten Glanz der Redekunst, wer verbindet so uralte Tradition und Kaiserblut mit der nobelsten Bescheidenheit und Gleichmut gegen leeren Ruhm und mit dem allerliebenswürdigsten Humor und wer ausser dir..." Ich hatte den Faden verloren, atmete tief ein, mit bebenden Lippen, berauscht von seiner Nähe... "...ist immer in meinen Träumen und kann küssen wie Eros selbst...!!" hauchte ich und suchte seine Lippen, um die meinen in einem langen, langen und hingebungsvollen Kuss heiß mit ihnen zu verschmelzen. Oh, bei Eros und Anteros, ich war so ausgezehrt nach ihm!

    "Jawohl Imperator" bestätigte ich. Der Kaiser sah, obgleich es ja noch früh am morgen war, recht erschlagen von meinem Bericht aus, ich nahm das mal als Hinweis, ihn nicht mit weiteren Einzelheiten zu den Feinheiten dieses gordischen Knotens zu überfrachten.
    "Es gab einzelne Überfälle auf Karawanen auf der Via Maris. Die meisten Händler kommen durch, bezahlen aber Tribut an die Beduinen. Früher arbeiteten wir mit dem Stadtherrn des nahen Nessana zusammen, um die Straße sicher zu halten, doch dieser wurde nach dem Tod Rabbels II gestürzt."
    Leider war ich dort nicht vor Ort gewesen und kannte auch nur die Hörensagen, die sich die Kameltreiber in Reqmu und die Karawaneneskorteure in Alexandria erzählten.
    Jetzt war der Moment eine Karte auszurollen, ich tippte mit dem Finger auf die genannten Orte während ich sprach.
    "Es sind verschiedene Beduinensippen, die aus dem Inneren von Nabataea immer wieder dorthin vorstoßen. Sie schlagen zu und ziehen sich wieder zurück, bevor eine Vergeltung sie erreichen kann. - Mit dem Fokus allein auf der Via Maris... sollten wir primum in Nessana für einen uns zugeneigten starken Stadtherren sorgen. Secundum sollten wir von der nächstgelegenen Ala zumindest vorübergehend einige Turmae zur Via Maris abziehen und tertium diese auch eine Reihe von Wachtürmen und Signalketten errichten lassen." so riet ich, jedoch wenig überzeugt, denn mir schien diese Lösung wie ein kleines Pflaster auf einer schwärenden Wunde.


    "Doch wenn du erlaubst, Imperator – ich möchte für eine..." Kühnere? Ruhmreichere? "...nachhaltigere Lösung plädieren. Das Chaos in Nabataea, der Umstand, dass das Land keine vereinten Streitkräfte mehr hat, es bietet ja Gelegenheit, das Land relativ leicht zu annektieren. Eine Legion von Süden, aus Ägypten, nach Petra und eine im Norden, von Iudaea aus, nach Bostra, sollten ausreichen um Nabataea zu erobern. Natürlich..." räumte ich ein, "ist zu bedenken, dass die Parther dies als Provokation auffassen könnten, und die Entscheidung kann sicherlich nur im Rahmen der Gesamtschau unserer Ostgrenze, und auch die Lage in Armenien berücksichtigend, getroffen werden."
    Das war mehr, als ich mit meinen derzeit leider so limitierten Informationen überschauen konnte. (Aber manchmal hatte man doch einfach das Gefühl, dass die Zeit für etwas reif war. ;) )
    "Jedoch kann man festhalten: Es ist traditionell unser Vasallenstaat. Es herrscht dort ein Machtvakuum, welches, wenn wir nicht agieren, irgendwann die Parther ausfüllen werden. Die Vorzeichen für eine Invasion stehen aktuell günstig. Die Stadt Petra einzunehmen ist aufgrund ihrer Lage zwar eine Herausforderung, aber auch Petra hat Schwachstellen, es ist machbar. Das Land ist ausserdem nicht nur strategisch, sondern auch ökonomisch sehr wertvoll. Nabataea selbst bringt Bitumen, Kupfer und edle Pferde hervor, aber viel bedeutsamer ist die Weihrauchstraße über Leuke Kome, Aila und Petra, eine der ganz großen Zuflußadern nicht nur für Weihrauch, auch für alle möglichen Gewürze, Myrrhe, Aloe, Lapislazuli, Perlen, Seide aus Seres, Gold und Edelsteine aus Indien...
    Solltest du dich dafür entscheiden, Imperator, dann wäre Nabataea es sicherlich wert, wie Ägypten eine kaiserliche Provinz zu werden.
    Und nicht zuletzt wäre mit der Einnahme Nabataeas dann auch der allerletzte Abschnitt der Küste des Mare Nostrum Teil des Imperiums."

    Auch wenn unserer Kaiser es nicht mehr nötig hatte, noch mehr militärischen Lorbeeren einzusammeln, so wäre doch dieser Symbolwert gewiss auch nicht zu verachten.

    "Du hast hier nichts zu suchen!" wies ich das Mädchen zornig zurecht. Ihr verschüchtertes Gestotter und die großen furchterfüllten blauen Augen, die erbarmungswürdig zu mir aufsahen, die hätten wohl einen Stein erweichen können. Wie eine abgebrühte Spionin wirkte sie nun nicht gerade. Jedoch sind bekanntlicherweise gerade die, die am harmlosesten erscheinen, manchmal die gefährlichsten. Da fiel mir zum Beispiel meine Ex-Alibi-Freundin Celeste ein, die war ebenso zart, zierlich und blond wie diese kleine Nymphe hier – und knietief in lichtscheuen Geschäften, und erfolgreich dabei.
    "Merk dir das."
    Ungerührt hob ich die Hand und schlug das Mädchen ins Gesicht - wenn auch nur mit halber Wucht, ich wollte sie bestrafen, nicht verletzen.


    Im Übrigen taugt auch ein Staubwedel wunderbar dazu, darin ein Stilett zu verbergen, oder eine vergiftete Nadel. Ich nahm ihr das Ding aus der Hand, brach es auseinander und inspizierte es misstrauisch und eingehend. Nein, es taugte nicht als Mordwaffe, es sei denn gegenüber Wollmäusen und Hausspinnen.
    Zudem fiel mir, nachdem die erste heiße Zorneswelle vorübergeflutet war, wieder ein: das Mädchen war zwar neu im Haus, aber ganz so neu auch nicht mehr, bei meiner Ankunft hatte ich diesen blonden Schopf bereits erblickt. Ergo konnte sie nicht spezifisch um mich auszuspionieren eingeschleust worden sein, es sei denn meine Feinde könnten hellsehen.
    Vielleicht war sie ja nur auf Stehlen aus? Das wäre geradezu eine Erleichterung. Dass Sklaven hin und wieder mal lange Finger machten, war ja nun nicht so ungewöhnlich, gerade wenn sie aus Häusern kamen wo es ihnen nicht so gutging wie bei uns.
    Oder jemand von den alteingesessenen Haussklaven hatte ihr einen bösen Streich gespielt? Vielleicht waren sie noch dabei die Hackordnung zu klären. Möglicherweise hatte die kleine Nymphe auch Cascas letzte Favoritin aus seinem Bett verdrängt und sich damit Unmut zugezogen.
    Oder es hatte ein jemand von außen sie erst kürzlich, als sie bereits in Cascas Besitz war, angeworben um mich auszuspionieren. Das wäre gar nicht gut.


    "Also, wer hat dich hier rumschnüffeln geschickt, puella?" befragte ich sie, im strengen und ganz und gar humorlosen Verhör-Tonfall. Dabei fuhr ich mit den Händen an ihren Armen entlang, dann den Körper herunter, durchsuchte sie beiläufig und routiniert nach Diebesgut oder Waffen, ging um sie herum und entblößte ihren Rücken, um nach Brandzeichen, Tätowierungen oder Peitschennarben zu sehen.
    "Für wen arbeitest du, hm? Wem erstattest du Bericht? - Sprich, und sprich wahr. Ich weiß Wege deine Zunge zu lösen, die möchtest du lieber nicht kennenlernen."