Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Tricostus hatte mich versetzt! Verdrossen kehrte ich vom Forum, wo ich vergeblich auf ihn gewartet hatte, nach Hause zurück und fragte mich: Was sollte ich denn jetzt mit dem angebrochenen Tag anfangen?
    Ich war den Müßiggang nicht gewöhnt, eine Entscheidung über ein neues Kommando oder eine neue Mission war noch nicht gefallen, Aton weilte unerreichbar auf dem Quirinal und ich fühlte mich irgendwie so... ziellos. Streitwagen fahren, Thermenbesuche und ausgiebige Abendessen waren ja sehr spaßig aber im Grunde war ich dann doch ein alter Soldat und sehnte mich nach dem nächsten Einsatz. (Natürlich würde ich das wieder ganz anders sehen, wenn ich das nächste mal im Dienste der Patria in irgendeinem götterverlassenen Winkel des Erdkreises landen würde, und mich nach den Annehmlichkeiten Roms verzehren würde.) So langsam verstand ich, warum Onkel Meridius und mein Adoptivvater mir nach dem Ende ihrer Militärkommandos manchmal so rastlos erschienen waren.


    Durch die Gänge unserer Casa wandelnd überlegte ich, ob ich primum mich mal dazu durchringen sollte, meine Finanzen zu sortieren und eine Entscheidung über die Villa Eutopia zu treffen.... ach nein, da hatte ich gerade keinen Kopf dafür. Oder secundum, eine Extra-Trainingseinheit mit meinen Custodes einlegen..... ach nein, morgen war auch noch ein Tag. Oder tertium könnte ich Armastan für ein Schäferstündchen zu mir holen.... ach nein, ich war seiner schon fast wieder überdrüssig, er hatte so was resigniertes an sich, das verdarb mir die Leidenschaft.
    Quartum könnte ich meiner Großtante Drusilla einen Brief schreiben und sie darum bitten, ihre sagenumwobenen Verbindungen spielen zu lassen um mir eine neue Braut zu organisieren. Denn ich selbst hatte auf diesem Schlachtfeld keinen Ruhm erworben und war bereit zur Kapitulation.... ach nein, das wäre doch verfrüht. Erst mal brauchte ich ein glänzendes neues Kommando, dessen Licht mich gleissend umwabern, gewisse Unzulänglichkeiten überstrahlen und die holden Jungfern blenden würde...
    Quintum konnte ich an meinen Wägen weiterbasteln... Ja, da fiel mir die Wahl doch nicht schwer. Also begab ich mich zu meinem Cubiculum, um die gute Eques-Tunika, die ich gerade trug, gegen meine alte Dreck-Tunika auszutauschen.


    Tief in Gedanken öffnete ich die Türe, trat ein – und machte große Augen.
    "Bona Dea!" entfuhr es mir.
    Ein Eindringling.
    Nein, eine Eindringlingin. Cascas blondes Sklavenmädchen, die mit dem grausigen Barbarennamen.
    Über meiner Truhe! Die war zwar fest verschlossen, auch hatte ich im Laufe meiner Prätorianerzeit und nach leidvoller Erpressung durch die aurelische Harpyie die Angewohnheit angenommen, verfängliche Schriftstücke, so schade das auch war, niemals aufzubewahren. Trotzdem war ich entgeistert. Die Sklaven wußten sehr genau, dass allein Corythia in meinem Cubiculum Ordnung machen durfte. Ausserdem lag über dem Stuhl noch mein dorischer Seidenchiton, der korallenrote, zum Auslüften, und an der Wand hing neben den Theatermasken auch die neue vergoldete Satyrmaske... kurz: ich war empört, dass jemand hier eingedrungen war.
    "Was glaubst du was du hier tust, puella?!" Ich packte das Mädchen hart am Oberarm und riss sie herum, so dass sie mir direkt gegenüber, dicht vor mir stehen mußte, hielt sie so fest, musterte sie scharf, und zugleich alarmiert. War sie hier eingeschleust um mich auszuspionieren? Sklaven sind doch immer die Schwachstelle, in jedem Haushalt. Suchte sie nach dem Nabataea-Dossier? War sie eine Attentäterin? Bewaffnet mit... einem Staubwedel?

    Ach, was für eine unschuldige Begeisterung hatte ich da ausgelöst, was für ein abenteuerlustiges Funkeln stand in diesen hellen klaren Augen.
    Wirklich sehr erfrischend.
    Ich lächelte großmütig und wies Silas an:
    "Lass dir bei Gelegenheit von Damon schon mal zeigen wie man einschirrt und abspannt."
    Darauf wandte ich mich weiter dem Wagen zu. Die Ringe der Deichsel mußten erneuert werden, auch die Lederbespannung der Seitenteile, aber die Räder waren, bis auf etwas Flugrost am Metallreif, noch einwandfrei.


    Als ich mich dann später zurück ins Haus begab, mit verdreckter Tunika und Wagenschmiere an den Händen, da war mein Kopf wieder frei und mein Gemüt beschwingt, voll Vorfreude auf kommende wilde Rennen und andere unverhoffte Vergnügungen.

    "Schade dass ich den verpasst habe."
    Siege waren für die Aurata ja nicht so zahlreich gesät. Aber bekanntlicherweise zählten viel mehr der Kampfgeist und wahre Sportlichkeit... und Herz... und so... da schlug die Aurata den Rest um viele Rennbahnlängen.
    "Aber noch grandioser, als bei den Rennen zuzusehen, ist es, selbst welche zu fahren." erklärte ich dem jungen Schönen hintersinnig. "Wenn auch nur mit zwei Pferden. - Vielleicht nehme ich dich ja mal mit, wenn wir den Wagen hier auf Vordermann gebracht haben."

    Meine Leidenschaft für das Streitwagen-Fahren, die bestand nicht allein darin, schnell und furios über den Platz zu rasen. Nein, einen viel größeren Anteil hatte die Vorbereitung, die technische Seite, die Optimierung von Gewicht und Balance und Art des Anschirrens, um aus dem Gespann das bestmögliche rauszukitzeln, und natürlich die Wartung, sowie das Training der Pferde, und nicht zuletzt das Treffen mit anderen begeisterten Amateuren des Rennsportes zum Austausch und gegenseitigen Vorführen unserer Prachtstücke.
    Ich nannte drei Gespanne mein eigen: Primum ein solides, das schon sehr veraltet war, an dem ich aber aus sentimentalen Gründen noch hing, es war mein erstes gewesen und ich hatte eine Menge damit erlebt. Secundum eines in Leichtbauweise, bei dem die Kanzel aus einem hölzernem Komposit-Rahmen, mit Leder bespannt, bestand. Dieses wollte ich heute zusammen mit Phintias fahrbereit machen.
    Tertium eine sogenannte Jagd-Biga, nicht nur auf Schnelligkeit sondern vor allem auf Geländegängigkeit ausgerichtet! Mit extragroßen Rädern, Ledergeflecht-"Federung" des Kanzelbodens und enorm schneidig. Dieses einem Pharao würdige Gefährt hatte aber bisher immer an irgendwelchen technischen Defekte gekrankt, so dass ich es noch nie richtig hatte erproben können.


    Im Augenblick lag ich jedenfalls, noch etwas mitgenommen von Ravdusharas Bericht vorhin und in meine älteste Tunika gekleidet, wie ein Käfer auf dem Rücken unter meiner aufgebockten Biga secunda, und prüfte den geschmeidigen Rundlauf der Achse. Das Gespann war jetzt natürlich lange nur rumgestanden, es gab einiges zu tun, um beim nächsten Vollmond-Rennen auf dem Marsfeld wieder mit dabei zu sein. Auch überlegte ich mir, dieses Jahr vielleicht doch noch mal beim Equus october mitzufahren... reizen würde es mich schon!
    Sorgsam sichtete ich jede Einzelheit der Konstruktion, pinselte dann die Radlager mit dem allerhochwertigsten Schmierfett. (Ein Wagenmeister der Aurata hatte mir die geheime Rezeptur verraten, es hat seine Vorzüge wenn die Familie so eng mit der Factio verbandelt ist.)


    Als ich dann staubig und schmierig wieder unter dem Wagen hervorkroch, da fiel mein Blick zuallererst auf zwei hübsche Waden. Höherwandernd wurde mein Blick gewahr, dass sich an diese Waden zwei ebenso hübsche Oberschenkel anschlossen, vom Saum der Tunika umspielt, ein wohlgeformter Hintern und dann der Rest eines ephebenhaften jungen Mannes.
    Silas war groß geworden. Mit dem goldblonden Haar erinnerte er mich ein wenig an einen jungen Iulius Dives... und ging hier offenbar gerade seinem Vater bei den Reparaturen zur Hand.
    Wie doch die Zeit verging. Es schien mir wie neulich, dass der Sklave noch ein quirliger kleiner Junge gewesen war, der uns mit kindlichem Ernst im Bewußtsein seiner Mundschenks-Würde niedlich den Wein einschenkte.


    "Na, wie geht es voran hier oben ?" erkundigte ich mich bei Phintias, rappelte mich auf und klopfte mir den Staub von der Tunika.
    Und zu Silas: "Du bist erwachsen geworden, was? Interessierst du dich für den Rennsport?"

    Decimianus Ravdushara |[Blockierte Grafik: http://www11.pic-upload.de/03.03.15/jny97wdgm93.jpg]


    "Es hat keinen Zweck, Serapio." Mein Libertus schüttelte energisch den Kopf. "Er hat damals alle Geschäfte verkauft und die Stadt verlassen. Spurlos. Auch das Lupanar ist längst geschlossen. Seine Freundin Morrigan soll staatsfeindlicher Verbrechen überführt worden sein, sie wurde versklavt und gehört nun den Claudiern. Vielleicht hing er mit drin und hat sich darum aus dem Staub gemacht. Wenn ich weiter herumstochere, wird das lediglich unerwünschte Aufmerksamkeit wecken."
    Staatsfeindlich? Borkan? Das bezweifelte ich. Allerdings hatte er ein Talent dafür, in den Schlamassel anderer Leute hineinzugeraten, und diese Freundin von ihm war Partherin, somit war ihr jedwede Schandtat zuzutrauen. Warum nur hatte er nicht von diesem kriminellen Milieu lassen können? Ich hatte ihm doch alles geboten... - nun ja.... fast.
    "Hat er denn... nichts hinterlassen," fragte ich zögernd, "...gar keine Nachricht, oder.."
    "Nein, nichts. Er wollte offensichtlich alle Brücken hinter sich abbrechen." erklärte mein Libertus mir schonungslos.
    "Verstehe." Deprimiert trommelte ich mit den Fingern auf die Platte meines Schreibtisches. Darauf stand ein Elfenbein-Kästchen, über und über mit Schnitzereien von Blattwerk, Ranken und Blüten verziert. Es barg ein ganz ausgefallenes kostbares mechanisches Wunderwerk aus Bronze in sich: eine künstliche Nachtigall, die mit den Flügeln schlagen und ein Lied zwitschern konnte!
    Tja. Ich hatte nicht übel Lust, das Ding ins Feuer zu werfen. Es war wohl etwas voreilig gewesen, in Alexandria ein Mitbringsel für Borkan zu erwerben. Aber was hatte ich überhaupt erwartet? Eine zu gelassener Freundschaft erkaltete alte Verbundenheit? Wir hatten uns bei meinem Aufbruch ja schon meilenweit auseinander gelebt gehabt. Und...
    "Du warst selbst spurlos verschwunden, Patron" sprach Ravdushara. "Mal ehrlich, niemand wagte es mehr zu hoffen, dich noch lebend wiederzusehen."
    Das stieß mich nun schon vor den Kopf.
    Wohin war eigentlich Ravdusharas sanftzüngiges und anschmiegsames Wesen verschwunden? Das freie Leben in der Hauptstadt schien es von ihm abgeschmirgelt zu haben.
    "Weswegen ihr mein neues Haus in eine wilde Communitas verwandelt habt." warf ich ihm ärgerlich vor. "Wärst du ein treuer Libertus, dann hättest du dich aufgemacht mich zu suchen, anstatt mein Geld für deine Laster zu verprassen!"
    Früher hätte Ravdushara an der Stelle nichts mehr gesagt. Nun widersprach er:
    "Ich wollte dich ja begleiten."


    Das war tatsächlich die Wahrheit. Ravdushara war ja nabataeischer Herkunft, und in den Jahren in denen er mir als Leibsklave und später dann auch als Verwalter gedient hatte, da hatte er mir oft von den Wundern seiner Heimat vorgeschwärmt. Vielleicht, so fiel mir auf, war dies einer der Gründe dafür, dass mir schon lange bewußt gewesen war, dass dieses Land weit mehr als nur Wüste bot, und dass ich mich demzufolge als Gardepräfekt in der Nabataea-Frage besonders engagiert hatte. Vielleicht sogar hätte ich mich niemals auf diese verdammte Mission begeben, wenn ich mir nicht damals vor vielen Jahren auf dem Xenai agorai aus einer Laune heraus einen bildhübschen jungen Nabataeer gekauft hätte. Wie das Leben so spielt.


    "Ich hätte für dich dolmetschen können und auf dich achtgeben, Patron. Mit mir an deiner Seite wäre gewiss alles glattgegangen." behauptete er augenzwinkernd.
    "Tot wärst du jetzt." Ich hatte Ravdushara hier gelassen, da ich einen diplomatisch deutlich versierteren Dolmetscher zur Verfügung gehabt hatte. Und dessen Gebeine deckte nun nabatäisches Geröll. "Du kannst den Unsterblichen für ihre Gunst und unverdiente Güte danken."
    "Das tue ich doch jeden Tag." erwiderte er aalglatt.


    Ich entließ Ravdushara. Darauf saß ich einfach nur weiter so da, den Kopf in die Hände gestützt, und sah eine ganze Weile deprimiert auf das Kästchen, während vor meinem inneren Auge ganz andere Bilder vorüberzogen. Aber weitere Nachforschungen nach Borkans Verbleib erschienen auch mir sinnlos. Es war... als wäre er damals wie durch einen Zauber ins Leben getreten, in dem Augenblick, in dem ich ihn am dringendsten gebraucht hatte. Er hatte mich von der Schwelle des Todes zurück gerissen, und mich mit seiner Liebe beschenkt, und die Zeit der schmachvollen Verfemung durch das gemeinsame Glück erträglich gemacht. Voll Hybris hatte ich geglaubt, dieses Glück auch in die Zeit nach meiner Rehabilitierung hinüberretten zu können. Hatte es am Alltag gelegen, oder den komplett unterschiedlichen Welten aus denen wir stammten und in denen wir verkehrten, oder hatte er geahnt, dass ich Aton über weit mehr als eine Saturnalieneskapade hinaus noch immer verfallen war und und immer verfallen sein würde?
    Als Phantasos hatte ich Borkan angesehen, anfangs, und dann hatte er sich wie ein Traumgespinst im hellen Licht des Tages verflüchtigt. Das alles war doch zu unwahrscheinlich gewesen. Nicht zum ersten Mal kam mir der Gedanke, ob ihn jemand auf mich angesetzt hatte, meinen bodenlosen Fall im Bürgerkrieg geschickt ausgenutzt hatte, um mir in der Tiefe der Verzweiflung diese plötzliche heiße Liebe vorzugaukeln. Dieses Manöver hätte ja aus dem Handbuch für Speculatores stammen können: 'Nimm einen gebrochenen Mann, bau ihn wieder auf, er frißt dir aus der Hand.' Womöglich hatte Borkan jegliches Liebesgeflüster, alles was ich ihm erzählte, sogleich weitergetragen?


    Das Kästchen war zu teuer zum Wegwerfen, darum verstaute ich es tief unter anderen Habseligkeiten in irgendeiner Kiste.
    Wider den Trübsinn versuchte ich auf andere Gedanken zu kommen. Streitwagen fahren war ein erprobtes Mittel dafür, oder auch einfach nur ein wenig an meinen Wägen herumzuschrauben...

    Dass der Imperator mir nicht den Kopf abriss, das war ja schonmal was. Er blieb höflich gefasst. Doch auch die subtilere Note der Unzufriedenheit vernahm ich wohl.
    Auch die Armenien-Frage war noch offen, so erwähnte er. Dass der Caesar selbst dort agierte, unterstrich deren Wichtigkeit. (Es war wirklich furchtbar für mich, so schlecht informiert zu sein. Ich gierte nach Einzelheiten.) Armenien war gewiß ein brandheißes Pflaster. Der Einmarsch der Parther damals, und die Einsetzung von Parthamasires, waren der Auslöser für unseren Feldzug ins Partherland gewesen. So viele Kameraden hatte ich als junger Soldat dort verloren, so viel Leid hatten wir dort erfahren und über andere gebracht, sogar unseren Kaiser hatten wir dort verloren, und nun waren die überblutig bezahlten Errungenschaften an Territorium, Einfluß und Grenzsicherheit von damals schon wieder halb zunichte und mußten neu erkämpft werden. Mir schien, dass Imperator Aquilius, Bezwinger der Daker, dabei deutlich weniger waffenklirrend auftrat als dazumal Imperator Ulpius Iulianus.


    Auch aus seiner Nachfrage klang, zumindest in meinen Ohren, ein Gewicht auf diplomatischen Schattierungen. Ich nahm an, dass dem Imperator daran gelegen war, die Fassade römischer Unangreifbarkeit zu wahren, ebenso wie mir daran gelegen war, den Verlauf meiner Mission nicht allgemein bekannt zu machen. Während meiner Flucht, verletzt, zermürbt, mich von Eidechsen und Würmern ernährend, hatte ich natürlich parthische Agenten hinter dem Manöver vermutet. Bekanntlicherweise, der vergöttlichte Iulianus konnte es bezeugen, waren die Parther auf dem Gebiet Heimtücke und Hinterhalt unangefochtene Olympiameister. Doch man sollte wohl auch die Nabataeer selbst auf diesem Gebiet nicht unterschätzen.


    "Gewiss, die gibt es. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass der Angriff gezielt auf mich als Vertreter Roms gerichtet war. Unter den Nabataeern gibt es eine Bewegung von Patrioten. Je zerfaserter ihr Land, um so inniger besinnen sie sich zurück auf Zeiten der Stärke, schwärmen von der Epoche von Aretas dem Vierten, 'dem Großen', dessen Eroberung von Damaskus, träumen von einem Nabataeerreich, welches entlang der Küste des Sinus arabicus bis weit in die Weihrauch- und Gewürzländer nahe des Feuergürtels reicht. Sie lehnen ein Klientelverhältnis ab, verschließen dabei die Augen davor, dass Aretas IV bereits unser Vasallenkönig war."
    Welches Gewicht hatten schon Tatsachen gegenüber warmer patriotischer Begeisterung.
    "Ich würde sie nicht unbedingt fanatisch nennen, ihre Verbohrtheit reicht bei weitem nicht an die jüdischer Zeloten heran, aber sehr umtriebig. Einflußreiche Würdenträger der Versammlung der 'Sieben mal Sieben Edlen' gehören dazu, auch Teile des alten königlichen Spitzelwesens so wie auch schwärmerische Aristokraten. Ihre Führungsfigur ist der Reiterkommandant Tayim von den Karahzihden, großmütterlich mit dem Geschlecht der Aretiden verwandt.
    In ihrem Interesse liegt es natürlich zu verhindern, dass jemand - oder jemand ausser ihnen - die Königsfamilie instrumentalisiert. Ein Manöver mit dem Potential, uns gegen die Parther auszuspielen - und dabei Nabataeas Eigenständigkeit zwischen den Großmächten zu bewahren - wäre auch in ihrem Sinne. -
    Bedeutsam in der Hauptstadt ist zur Zeit ausserdem die Fraktion um die Hohepriesterin der dreigesichtigen Aphrodite und der Kult ihrer Anhänger. Dann die Händlervereinigung um den ehemaligen Fächerträger König Rabbels II und nun ersten der Zimthändler. Ausserdem der Sheik des Stammes der Banu-Tulul, der Tributzahlungen von den Karawanen eintreibt, gegen die die Zölle, die wir dort früher erhoben haben, verblassen."

    Und das waren nur die prominentesten derjenigen, die dort um die Macht rangen. Je näher man die Strukturen betrachtete, um so unendlich komplexer erschienen sie.

    Selig war ich in seinen Armen und gab mich ganz diesem heiß ersehnten herrlichen Kuss hin. Überströmendes Glück vernebelte meine Sinne. Ich lehnte meine Wange in seine Hand und war noch immer damit beschäftigt dies alles zu fassen. Erlösende Evidenz? Wie vornehm er immer sprach.
    "Die letzten zwei Tage waren die längsten meines Lebens!" Ich lies meine Hand in seinem Nacken liegen, wollte mich weiter seiner vergewissern, strich ihm selbstvergessen über die Schultern und den Rücken hinab, legte meinen Arm halb um ihn, hatte nicht vor ihn jemals wieder loszulassen. All die Jahre der Entfernung schienen zu einem Nichts verflogen, es war die gleiche überwältigende, in ihrer Macht geradezu beängstigende Wucht, die mich zu ihm zog. Manius haute mich um, immer.
    Und auch, dass er es nicht lassen konnte, schon im ersten Moment des Wieder-vereint-Seins von der Vergänglichkeit zu sprechen, auch das war genauso wie früher.
    "Die Frage nach dem Morgen sei nicht gestellt, nimm alle... Abende ja als Gewinn, die dir Fortuna schenkt!" zitierte ich leichthin und leicht abgewandelt den alten Horaz. Dabei hatte ich sehr wohl schon viele Gedanken an den Morgen, beziehungsweise die Zukunft an sich, verschwendet. Die Sache war die: Ich liebte Manius, und ich wollte ihn behalten. Ich wollte, dass diesem Abend noch viele, viele, viele weitere folgten. (Vorzugsweise ohne dass wir dafür den Preis des gesellschaftlichen Ruins bezahlen müßten.)
    Aber das würde Planung erfordern und ein bedachtes strategisches Vorgehen. Da durfte ich nicht sogleich nach meiner Rückkehr mit der Tür ins Haus fallen...


    "Viel zu groß und zu leer." Ich nickte. "Ich weiß noch nicht, ob ich wirklich hier einziehe...- Komm mit..."
    Den Arm hatte ich noch immer halb um ihn gelegt, als wir aus meinem ägyptischen Atrium hinaus in den Peristylgarten traten. Auf dem langgestreckten Bassin trieben zwischen den roten Lotosblüten kleine, ebenfalls ägyptisch anmutende Binsenbarken, mit Lichtern bestückt, und der weiße Sand des Weges war mit funkelnden Splittern von Bergkristall bestreut. Hoffentlich gefiel ihm ihm das so.
    "Eigentlich wollte ich es nach der Hochzeit mit Valentina beziehen. Aber nun ja, ich war einfach zu lange fort." erklärte ich. Auch mich einfach nur mit ihm zu unterhalten war eine Labsal! "Meine Mission lief nicht so gut, ich bin sozusagen... gestrandet in der Fremde. - Valentina ist ein Schatz, eine treue Seele, sie muß sehr lange gewartet haben, bevor sie mich aufgegeben hat. Aber ein bisschen praktischen Sinn hat sie schon auch, und ist jetzt mit Casca zusammen." Ich zuckte die Schultern und behauptete: "Offenbar haben die Götter beschlossen, dass ich als Hagestolz enden werde." (Natürlich war das Quatsch. Wenn ich hier im Rom wieder mit den großen Fischen schwimmen wollte, war es dringend angeraten diese Blöße zu decken, indem ich mir schleunigst eine neue Braut suchte, aber dieses Thema hatte hier und heute nichts verloren.)
    "Und du wirst es nicht glauben, was meine Freigelassenen gemacht haben, während ich fort war: die haben hier allen Ernstes eine 'Communitas' gegründet, so eine pseudoepikureische Lebens-Gemeinschaft, aber komplett mit radikalen Auswüchsen. Kannst du dir das vorstellen, hast du sowas schon mal erlebt?"
    Ob ich die Villa überhaupt behalten würde, da war ich noch zu keinem Entschluß gekommen. Sie hatte das Kaliber Gardepräfekt+Familie+jede Menge Personal, und verschlang die Aurei wie Charybdis das Wasser. Alle unsere Sklaven, die sich mit Finanzen auskannten, hatten mir einstimmig empfohlen, sie zumindest zu vermieten. - Wie schön wäre es doch, so träumte ich verstohlen, wenn ich gemeinsam mit Manius hier einziehen könnte...

    Es war in einer kalten Nacht am Ufer des großen Salzsees gewesen, da hatte einer der Karawanentreiber am Feuer eine Geschichte erzählt, die Jarsiath mir folgendermassen übersetzt hatte:
    "Einst erschien dem mächtigen Sheik Shardsan im Schlaf eine Schlange, die seinen rechten Fuß samt Bein bis zum Knie verschlang. Der Sheik ließ seinen Hofastrologen rufen, der den Traum seines Gebieters so auslegte:
    'Oh, ehrwürdiger Vater der Krieger, ich habe dir Unheil zu verkünden: Du wirst alle deine Angehörigen verlieren. Baal-Dushara und Al-Laat mögen dir beistehen!'
    Der Sheik verfiel in tiefe Traurigkeit. Er ließ einen anderen Traumdeuter kommen, einen Eremiten vom Berg Um Adaami. Der ließ sich den Traum erzählen und rief:
    'Die Allmächtigen seien gepriesen! Ich habe dir große Freude zu verkünden. Du wirst all deine Verwandten und Freunde überleben.'
    Der Sheik dankte ihm für die frohe Botschaft mit hundert Silberstücken, während sein Vorgänger leer ausging."


    An diese Geschichte fühlte ich mich gerade erinnert, als ich dankend dem Imperator gegenüber Platz nahm, mich räusperte, meine Toga zurechtstrich und mich redlich bemühte, das Scheitern möglichst diplomatisch zu formulieren. Leider war ich kein weiser Eremit.


    "Die politische Lage in Nabataea ist weiterhin wechselhaft. Die Herrschaft wurde in den letzten Jahren ja von verschiedenen Allianzen der führenden Familien, Stämme, Handelsherren und Priesterschaft beansprucht und zeitweise errungen. Keiner konnte sie längerfristig halten. Die Zwistigkeiten sind innerhalb der Landesgrenzen geblieben, darum ist davon wohl nur wenig bis hierher gedrungen."
    Bis auf die erhöhten Weihrauch- und Myrrhepreise, so nahm ich an.
    "Die nabataeische Zentralgewalt ist zerbröckelt. Reqmu, ich meine Petra, beherrscht noch den Haupthandelsweg der Weihrauchstraße bis ins Dekapolis-Land, aber im Süden fordern die Überfälle der Beduinen einen hohen Blutzoll. Zuletzt gab es auch einzelne Attacken auf Karawanen auf unserer Via maris." Der Abschnitt zwischen Pelusium und Raphia verband Aegyptus und Iudaea. "Im Norden hingegen, in Bostra, versuchen die Parther vermehrt Einfluß zu nehmen." Kein Wunder, bei einem Machtvakuum sozusagen bei ihnen um die Ecke, und sehr bedenklich!
    Nach diesem Kurzabriss über die Lage seit dem Ableben unseres Klientelkönigs Rabbel II kam ich zu dem Unglück, das sich "meine Mission" nannte. Bring es hinter dich, Faustus! (Danach konnte ich immer noch versuchen, den Kaiser mit geballten strategischen Nabataea-Details und schönen bunten Karten gnädiger zu stimmen, aber aussprechen mußte ich es.)
    Beschämt, aber mit möglichst stoischer Miene berichtete ich:
    "Unser ursprüngliches Ziel konnte ich leider nicht erreichen. - Wie besprochen habe ich verdeckt Kontakt zu Königswitwe aufgenommen, Gamilat, die ja auch die Schwester Rabbels war. Sie ist sehr betagt, ihren Briefen nach aber scharfsinnig und staatskundig. Sie weilte auf einem Anwesen bei Mampsis, zusammen mit dem Königssohn Obodas. Der letzte Aretide lebte ja seit jeher sehr... abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Die örtlichen Informanten vermuteten, dass er schwach im Geist ist, auch von Fallsucht war die Rede. Ich selbst kann dies nicht bezeugen, denn... ich muß leider berichten, Imperator: als ich dort eintraf, fanden wir lediglich einen Hinterhalt vor. Die Pfeile waren parthischer Machart. Ich habe drei Männer verloren und war selbst längere Zeit ohne Möglichkeit zurückzukehren oder Bericht zu erstatten."

    Tropf. Tropf. Tropf. Das Geräusch der verinnenden Zeit. Ich saß in meinem Atrium auf einer Porphyrkline, blickte auf die Wasseruhr, und wartete sehnsüchtig auf Manius. Dabei war ich unsäglich nervös. Der Gedanke einer neuen Chance, der bei unserem unverhofften Treffen bei den Furinalia so leicht und hoffnungsvoll aufgeblitzt war, hatte sich in den letzten zwei Tagen in mir gewandelt zu der Furcht: es ist unsere letzte Chance. Ich durfte es nicht vermasseln. Diesmal nicht. Alles mußte perfekt sein.
    Aber anders als sonst so oft würde unser Rendez-vous nicht in einer Nacht des Rausches oder des Aufruhrs oder hinter schillernden Masken stattfinden. Was wenn Manius mich... ohne deren verklärenden Schleier, ohne die prickelnde Würze unmittelbarer Gefahr... gar nicht mehr so besonders spannend fände? Er war ein hochkultivierter Mensch von exquisitestem Geschmack, Nachfahre von Kaisern... - Und was wenn er gar nicht käme?! ...wenn die Harpyie ihn zurückhielte, das verschlagene Weib war zu allem fähig.


    Um den Kreis der Mitwisser so gering wie möglich zu halten, waren lediglich Ravdushara und Icarion im Haus. Den beiden war sowieso keines meiner dunklen Geheimnisse fremd. Die Speisen für die Cena hatte ich aus dem Deversorium Delectationum an der Alta Semita holen lassen, denn ich meinte mich zu erinnern, dass Manius die dortige Küche schätzte. Alles war vorbereitet für eine romantische Garten-Cena mit nicht nur literarischen Höhepunkten.
    Um mich selbst ins rechte Licht zu rücken, hatte ich aus meiner Kleidertruhe einen raffinierten dorischen Chiton gewählt, aus korallenroter Seide, locker gegürtet – sonst kam ich ja nie dazu so was Schönes anzuziehen, heute war endlich die Gelegenheit dafür. Dazu ein dezentes Duftöl mit Sandelholz-Note.


    Da, Stimmen von der Porta. Er war wirklich gekommen. Stürmisch sprang ich auf und ging ihm entgegen. Mein Herz wurde ganz weit. Er sah so gut aus (und überaus elegant natürlich). Während Icarion die Begleit-Sklaven und Sänftensklaven in Empfang nahm, hieß ich Manius aber zuerst, solange die Sklaven noch in Hörweite waren, ganz unverfänglich willkommen.
    Erst als wir dann für uns waren, da nahm ich seine Hand, seine Hand zwischen die meinen, hielt sie andächtig und murmelte überwältigt, ein bisschen benommen davon, dass so viel Gewünschtes mit einem mal wirklich war, unfassbar wirklich: "Manius, dich wiederzusehen ist ein Geschenk der Götter. Du siehst so gut aus! Ich freu mich so dich zu sehen, ich könnte bersten vor Glück! War das nicht unerträglich bei den Furrinalia, nur reden zu können, und nicht mal das richtig?! Ich hätte dich am liebsten gleich zu mir verschleppt! Oh, ich bin so unsäglich froh dich wiederzusehen!"

    Das Atrium war dann wieder ganz nach meinem Gusto, mit schlanken Säulen und wie gewünscht ägyptisch inspirierten Fresken und Stuckmotiven, einem kunstvollen Bodenmosaik allerlei wilder Tiere, Porphymöblierung und Durchgang zu dem herrlich weitläufigen Peristyl-Garten. Dieser wurde geziert von einem langgesteckten flachen Mamorbassin, in dem sich die ganze Pracht nochmal wiederspiegelte. Rote Lotusblumen schwammen darin. Der Sockel am Ende des Bassins, prädestiniert um dort eine Statue perfekt in Szene zu setzen, war noch leer. Zypressen, Oleander, Jasmin und Rosensträucher sowie Kletterrosen in allen Schattierungen (für Valentina vor allem waren die gedacht gewesen) wiegten sich der Sommerbrise, sogar ein Hain von Palmen, Feigen- und Pfirsichbäumen war angepflanzt (die jungen Bäumchen mussten allerdings noch wachsen), und ein halbrundes Rasen-Theater für private kleine Aufführungen ließ mich besonders frohlocken.


    Ravdushara und Icarion erschienen etwas derangiert durch meinen unangekündigten Besuch, sie beteuerten einstimmig, aber etwas nervös erscheinend, welche Freude es doch sei mich wiederzusehen.
    Das Haus erschien bewohnt und allgemein recht unordentlich, mit einem Haufen von Sandalen im Eingang, aufgeschlagenen Büchern auf einer Kline ("Kompendium des Gemüseanbaus" sowie "Brief an Menoikeus"), Tellern mit Essensresten und leeren Austernschalen, Gläsern mit eingetrocknetem Wein und vielen flüchtig auf Amphoren aufgesteckten Kerzen, deren Tropfen zu bizarren Wachsskulpturen geronnen waren, ausserdem einem zerknüllten zart veilchenvioletten Negligé in einer Ecke des Atriums auf dem Boden liegend... Ich hob den Hauch von einem Nichts auf und betrachtete ihn sinnend. Da sprang mir gleich noch was ins Auge: auf einer der ranken Säulen war groß und krakelig geschrieben:


    LIBERA TE! NEC DOMINUS, NEC SERVUS, NEC DEUS, NEC PATRIA!


    Meine Brauen wanderten in die Höhe und meine Lippen wurde schmal.
    Auch meine anderen Freigelassenen fanden sich nach und nach im Atrium ein: Akadios, Caluconius, Damon, Pelias und Styrkar. Nur Narcissus war nicht unter ihnen.
    Aalglatt sprach Ravdushara: "Wir haben das Haus für dich fertigstellen lassen, Patron, es eingerichtet und gehütet!"
    "Es ist sehr schön geworden. Ich danke euch meine Getreuen. - Doch..." Unheilvoll wies ich auf die revolutionäre Parole: "...was ist hier los?!"
    "Nun..." Er zögerte. "Es ist so: Wir sind jetzt Epikureer!"
    Ich sah ihn an wie ein Nilpferd.
    Akadios ergriff das Wort: "Du warst verschollen, Patron. Wir wollten das Haus nicht leerstehen lassen und sind gemeinsam hier eingezogen. Wir haben eine Communitas im Geiste epikureeischer Freundschaft gegründet, basierend auf Gemeinschaftssinn, Selbstgenügsamkeit, Einsicht und maßvollem Lebensgenuß."
    "Jedenfalls war das unser Grundgedanke." warf Pelias ein, mit vorwurfsvollem Blick gen Ravdushara und Styrkar. "Darum nannten wir das Haus Eutopia. - Aber manche verwechseln die Lust der einfachen Lebensweise mit unersättlicher Prasserei, Luxustafel und Gelage."
    "Wenn es nach dir ginge würden wir nur noch mickriges selbstgezogenes Gemüse essen!" verteidigte Styrkar sich empört. "Manche glauben anderen alles vorschreiben zu können! Wo bleibt da das glückliche Leben?! Wo bleibt die Gemeinschaft von Gleichen?! Chairedemos hat gesagt: 'Keine Lust an sich ist ein Übel!! Und ich für meinen Teil, ich bin sehr lustlos wenn ich jeden Tag welke Blätter essen muß. Und Narcissus habt ihr auch rausgeekelt. Du bist Lust-feindlich Pelias!"
    "Narcissus hat sich nicht in die Communitas eingebracht. Er hat die Grundidee nicht verstanden. Ebensowenig wie ihr!" brauste Pelias auf, und dann ergab ein Wort das andere und sie hieben mit Worten aufeinander ein wie Kampfhähne mit Eisensporen, bis auf Icarion und Damon, die hielten sich raus.


    Bona Dea. Ich rieb mir die Nasenwurzel. Eine Communitas hatten meine Liberti gegründet. Ich hätte sie niemals zu diesem epikureischen Philosophenzirkel um Chairedemos in den amafidischen Gärten mitnehmen dürfen. Ich war nur ein paar mal dagewesen, es war geistig sehr anregend gewesen aber für einen Soldaten Roms ganz ausgeschlossen sich näher darauf einzulassen. Bei meinen Freigelassen schien die Lehre, oder zumindest hedonistisch/umstürzlerisch verzerrte Bruchstücke davon, dagegen zum Teil auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Dass das solche Kreise zog!
    Wenn die Katze aus dem Haus ist tanzen die Mäuse.
    "Ruhe!" herrschte ich sie an. "Ich bin wieder hier! Euch gehts wohl zu gut! Es ist aus mit der Communitas! Unter meinem Dach, da herrscht Respekt für Kaiser, Götter und Patria! Basta!! - Wer hat diesen Blödsinn hier an die Säule geschmiert!?"
    Da wiederum hielten sie zusammen und taten alle ganz unwissend. Ich war nicht in der Stimmung für Spontan-Verhöre und -Ermittlungen, befahl nur barsch:
    "Macht das weg."


    Während sie schrubbten und aufräumten, schenkte ich mir ein Glas Wein ein und besichtigte weiter das Anwesen. Ich war aufgewühlt. Wer hätte nicht in der Jugend mal mit den Ideen von Gleichheit in universeller Freundschaft und romantischer Rebellion gegen alles Etablierte geliebäugelt? Ich war da beileibe keine Ausnahme gewesen. Aber wie sagt man noch: wer in der Jugend nicht an diese Ideen glaubt, der hat kein Herz, und wer im Alter noch immer daran glaubt, der hat kein Hirn.

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    Hochkonzentriert auf das bevorstehende Gespräch und zugleich recht flau im Magen – es hing so viel davon ab – trat ich in das prunkvolle Regierungsgebäude. Wie von mir erbeten, sah es nach einer privaten Audienz aus, im Officium des Kaisers, nicht im Thronsaal. Das nahm ich mal als gutes Zeichen.
    "Ave Imperator Aquilius!" grüßte ich unseren allerobersten Befehlshaber militärisch, kerzengerade Haltung annehmend und die Faust zur Brust führend. "Ich melde mich zurück aus Nabataea."

    Bei dieser schönen Scharade mußte ich mir das Lachen verbeißen. Ehre und Freude. Wobei das mit dem Meisterwerk der Dichtkunst ja stimmte. Je höher der Anteil an Wahrheit um so glatter die Täuschung.
    "Und mir wird es eine noch größere Ehre und Freude sein dich zu empfangen. In zwei Tagen also. Abgemacht." Ich mußte nicht überlegen, denn im Augenblick hatte ich noch keinen Wink vom Palatin erhalten und rein gar keine Verpflichtungen.
    Aber ach, diese zwei Tage würden mir lang werden, sehr lang! Am liebsten hätte ich Manius sogleich in den nächsten abgeschiedenen Winkel verschleppt... oder besser, eine geschlossene Sänfte mit ihm bestiegen.... dann ein diskretes Séparée in einer privaten Therme... Aber das wäre... sehr leichtsinnig...
    Mir fiel plötzlich auf, dass ich ihn gerade viel zu feurig anfunkelte, schnell wandte ich den Blick ab, tupfte mir ein paar Schweißperlen von der Stirn. Und bemerkte tiefsinnig: "Wie ist das heiß heute."

    Schon vor Jahren, ach was, Jahrzehnten hatte ich gesagt: Trans Tiberim ist groß im kommen! Und so war es auch, zumindest in dem Straßenzug oberhalb der Via Aurelia, durch den ich gerade hangaufwärts marschierte. Schmierige Garküchen wichen gepflegten Gaststuben, windige Wettbüros adretten Blumenläden, die letzten Gerber hatten ihre stinkigen Werkstätten aufgegeben, weil sie die steigenden Mieten nicht mehr stemmen konnten, und da wo früher neben der Staße ein Haufen von elend aus Brettern und Planen zusammengeflickten Behausungen gestanden hatten, da roch es nach Beton denn es wurde gerade eine Reihe neuer Atrium-Häuser hochgezogen.
    Auch ich war auf dem Weg zu einem Neubau – meinem neuen Haus! Glücklicherweise hatte ich nämlich hier in Grund und Boden investiert bevor das Viertel schick geworden war, ja, da konnte ich mir nur selbst dazu gratulieren. Ein weitläufiges Filet-Grundstück oben auf dem Hügel hatte ich erworben und mit dem Heidengeld, welches ich als Gardepräfekt verdiente, den Bau einer repräsentativen Stadtrand-Villa begonnen. Denn die altangestammte Casa meiner Familie, die war, seien wir doch mal ehrlich, sicherlich sehr schön und sehr gediegen, traditionell eben, aber eben doch in der Stadtmitte gelegen und damit vom Platz her beschränkt. Ausserdem war es für mein Empfinden - ganz gleich ob mein Vater nun hier oder in Germanien weilte - eben noch immer "Das Haus meines Vaters." Ich wollte einfach was eigenes, ein bisschen größer und ein bisschen moderner... (und mit einem Atrium im ägyptischen Stil, was ich zu Hause im Familienrat niemals hatte durchsetzen können. )
    "Villa Decima Serapio" klang lieblich in meinen Ohren. Meine Vorstellung war es gewesen, zusammen mit Valentina nach der Hochzeit dann in unser eigenes Reich zu ziehen, wo auch Borkan mit uns leben könnte...
    Das war ja nun alles anders gekommen als gedacht. Tja.


    Die Villa jedoch war grandios geworden, so stellte ich fest, als ich oben ankam und das Gebäude, vor meiner Abreise bloß Fundament, nun fertiggestellt sah. Meine Liberti Ravdushara (mit Tatkraft) und Icarion (mit Geschmack) hatten den Bau fortgeführt und vollendet.
    Schräg am Hang erhob sie sich, sienagelb und ockerfarben und mit roten Ziegeln gedeckt. Die Mauern waren vielleicht etwas wuchtig geraten, aber wenn das nächste Mal ein Aufstand über Rom tobte wären wir sicher dankbar dafür. Besonders der hochgezogene Torbogen gefiel mir. Doch der Name des Hauses, der darunter eingemeißelt war, umrankt von Geißblatt, irritierte mich. Wieso zum Hades stand da nicht "Villa Decima Serapio" sondern "Villa Eutopia"?!

    "Nur vernünftig," pflichtete ich ihm automatisch bei, "Eisig!", ließ die Becher aneinander klacken und dachte schwärmerisch, dass ich wohl jeder seiner Argumentationen gerne folgen wollte... Solange sie nicht gerade auf die Notwendigkeit eines Kaisermordes hinführte. Ja, wir hatten wirklich schon eine Menge durch. Womöglich, so dachte ich (schon etwas beschwipst), würden wir auch den Genius der 3., 4., 5. oder 6. Chancen bemühen müssen.
    Ich zählte in Gedanken die unseren Weg säumenden Rückschläge bis Katastrophen: primum meine Versetzung nach Ägypten, die brutal in unsere zart aufkeimende Meditrinalienliaison eingeschlagen hatte, so dass jedwede Leidenschaft nur noch per trockenem Papyrus und tausend Umwegen per 'Läufer der Sonne' mitgeteilt werden konnte. Secundum der Scheinprozess gegen meinen Vater, in den auch Manius sich als Iudex hatte mit hineinziehen lassen. Tertium Kaisermord. (Kein weiterer Kommentar.) Quartum mein Fall und die Zeit die mir rückblickend wie ein einziger Fieberwahn erschien. Quintum mein Kleinmut in jenem besonderen Moment ("Aber wovon sollen wir denn leben?" hatte ich allen Ernstes gefragt, ich Schafskopf. Fehlte nur noch "Aber was sollen die Nachbarn sagen?".).
    Somit waren wir jetzt ungefähr bei der sechsten Chance (andere Liaisons nicht mal mitgezählt) dachte ich amüsiert und trank noch einen Schluck auf den Genius der sechsten Chancen.
    "Manius, Manius, ich wäre wohl ein lausiger Prätorianer hier darüber zu plaudern." lehnte ich scherzhaft, aber ehrlich bedauernd ab. Wie gerne - wie gerne!- hätte ich ihm von dieser faszinierenden fremden Welt, der imposanten Kultur, den Weltwunderbauwerken erzählt. Und den hohen Pontifex und Consular zur Nabatäafrage einzuweihen wäre nur korrekt. Aber gewiss nicht auf einem Volksfest in aller Öffentlichkeit, sooo angeheitert war ich zum Glück noch nicht.
    "Hör mal! Was hältst du davon in den nächsten Tagen zu einer kleinen Cena zu mir zu kommen. Da können wir, ähm... uns in aller Ruhe der Konversation hingeben. Und..." Mit überaus unschuldiger Miene schlug ich vor: "...für einen Poesieliebhaber wie dich mein Freund hab ich noch etwas Besonderes. Mir ist nämlich eine Abschrift des 'großen Atonshymnos' in die Hände gefallen, ein wirklich ganz besonderes Werk, das der goldenen Sonne Ägyptens mit viel Leidenschaft und... sprachlicher Schönheit huldigt. Da könnte doch ein Vortrag auch für dich ganz interessant sein."

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    [Blockierte Grafik: http://fs5.directupload.net/images/151204/t8zr8llp.jpg| Acestes


    Ein reitender Bote aus Rom überbrachte einen Brief an den Hausherren.




    An den Senator Marcus Iulius Dives




    Faustus Decimus Serapio grüßt Marcus Iulius Dives


    Mein Freund,
    Wie Du weißt, ist es für gewöhnlich meine Devise, immer gut informiert zu sein. Dies ist im Augenblick leider nicht der Fall, da ich gerade erst von einer sehr langen Mission zurückgekehrt bin. So weiß ich nicht viel mehr, als dass Deine Gattin zu Fall gekommen ist und Du Dich aufs Land zurückgezogen hast. Ich schreibe Dir in der Erinnerung an frühere Verbundenheit, und daran wie vor Jahren einmal ein junger Iulier den Weg nach Trans Tiberim nicht scheute, um einen verfemten Decimer aufzurichten. Wie geht es Dir? Lass von Dir hören.
    Natürlich ist mein Einfluss bei Weitem nicht mehr der alte, aber wenn ich Dir irgendwie beistehen kann, lass es mich wissen!


    Vale bene


    Vale bene


    Faustus Decimus Serapio