Ich beobachtete Faustus dabei, wie er sich nun selbst seinen Wein einschenkte. Eigentlich wäre es ja Muckels Aufgabe gewesen, doch auf mein anhaltendes Maulen konnte er sich zu späterer Stunde einstellen. Im Moment war meine Aufmerksamkeit bei meinem Cousin, der gerade einige recht treffende Worte über Ovid verlor, der meines Erachtens tatsächlich pure Poesie war und über dem man einiges vergessen konnte. Nicht umsonst hatte ich ihn zu meiner Lektüre erkoren. Auch wenn er bisweilen vielleicht so schwergängig war wie ein festgefahrenes Wagenrad. Warum genau ich mir gerade diesen Elegiker auserkoren hatte wusste ich selbst nicht genau, doch wahrscheinlich lockte mich eben gerade das harte Ringen um Liebe und Sinnesfreuden. Letzteres war ja schließlich auch das, was mich stets trefflich vom Ernst des Lebens fern hielt.
Ich räusperte mich flüchtig, während Faustus nun lächelte. “Ja, streben, bekommen und verlieren... wie das Leben nun mal ist,“ brachte ich dann heraus und wischte noch einmal über den auf dem Tisch liegenden Papyrus. “Das lehrt Demut!“ Im Anschluss an mein Fazit seufzte ich ein wenig, doch Faustus war noch nicht am Ende seiner Fragen.
Sah ich so aus, wie jemand der unterstützt werden musste? Bestimmt musste es so sein, denn welcher Mann der bei Verstand war isolierte sich schon vom Rest der Welt und stürzte sich Hals über Kopf über in eine Karaffe Wein und einen Dichter wie Ovid? Meine Geschäfte? Ich horchte auf. Im ersten Moment fühlte ich mich peinlich berührt, dass Faustus mich unterstützen wollte, doch letzten Endes identifizierte ich diese Offerte wohl als das was sie war: Ein freundliches Angebot. Ich nickte eifrig und seufzte neuerlich, während sich meine Lippen ein wenig zusammen pressten. Die nächste Frage ergab sich wohl wie von selbst. Es war eine Frage, die ich mir ja eigentlich schon die ganze Zeit selbst gestellt hatte. Immer und immer wieder. Des Nachts, des Tags und überhaupt. Sogar im Balneum – nackt und bloß – verfolgte sie mich und raubte mir die von der Natur zur Verfügung gestellte Grundentspannung, welche mir eigentlich zu Eigen war.
“Nun ja...,“ begann ich ein wenig unschlüssig. “Ich habe gerade mit meiner Sklavin Nelia … also ich habe sie frisch erworben... und eben Muckel hier...,“ Ich deutete noch einmal auf Nepomuk, “...die Feststellung gemacht, dass es um meine Tonstrina nicht wirklich gut bestellt ist. Du kannst es dir nicht vorstellen. Sie ist ein finsteres, von Ratten und haarigen Gehilfen heimgesuchtes Loch, in das kaum Sonnenlicht fällt! Einige Kunden wollten mich verklagen.“
Ich blicke Faustus entgegen und musste im nächsten Moment feststellen, dass ich eigentlich gar nicht derartig offen hatte sein wollen. Immerhin klagte ich selten bis gar nicht, doch ich schob es einfach mal auf den schlechten Einfluss von Ovid und den Wein. Und dass mir Massa bei seinem letzten Besuch schon ein wenig Geld hatte zukommen lassen, das sagte ich besser mal nicht.
“Aber ich will nicht...also ich meine, ich will nicht jammern... das wird alles schon. Ich lasse den Laden renovieren und dann... wird das!“ Ich nickte mir selber zu. “Gut... in der Lignarius Decima bin ich noch nicht gewesen... die.. ist … auch... also...“ Was sollte das alles? Ich saß schließlich nicht im Garten, um meinem Cousin das Herz auszuschütten, obwohl es nun doch recht schnell so aussah, als würde ich nicht drum herum kommen. “Und meine Zukunft?“ Ich schnaufte ein Lachen heraus. “Weiß du, ich wollte immer zu den Legionen. Immer. Und dann kam dieser plötzliche Unfall. Mein Geist wäre so willig, aber mein Fleisch ist...“ Ich machte mit den Händen eine Andeutung hin auf auf mein Knie, “...zertrümmert, wenn man so will. Und über den Rest habe ich immer wieder sinniert.“ Ein wenig verloren schaute ich nun meinem Cousin entgegen.
Ich konnte nichts dagegen tun, doch allein der Gedanke an eine Zukunft wühlte mich auf.
“Eine senatorische Laufbahn? Vielleicht bin ich beredsam, doch ich sehe mich nicht vor einer Auswahl feiner Männer stehen und Reden schwingen. Politik ist nicht meine Welt. Ich könnte des Nachts nicht mehr in den Schlaf finden und mir Löcher in den Magen ärgern. Nein, nein, ich würde schon eher....“ Während ich redete versuchte ich meine Gedanken mit wedelnden Handbewegungen ein wenig zu befeuern, “..schon eher etwas Ruhigeres haben wollen. Manchmal denke ich an die Verwaltung, manchmal an die Religion.“ Recht unvermittelt schenkte ich mir noch einen guten Schuss Wein in meinen Becher und führte ihn an die Lippen. “Aber vielleicht bin ich auch nur ein hoffnungsloser Fall von einem Schwärmer, der sich für nichts anderes eignet als auf eine Bank zu sitzen und eben einen guten Schluck zu trinken.“ Zugegeben, das war fatalistisch und der Beginn einer wahren Elegie ohne Liebe und Leidenschaft, doch meines Erachtens kam es der Wahrheit recht nah.