Zum Wohle Roms sagst du, und meinst doch in Wirklichkeit: zum Wohle eines kleinen Patrizierklüngels, auf dem Rücken des Volkes, zum Verderben der Soldaten die in deinem Krieg ihr Leben ließen.
Der Cornelier blieb mir hier die Antwort schuldig. Er blieb mir bei diesem Gespräch überhaupt sehr viele Antworten schuldig. Die auf die entscheidenden Fakten: dass er ein Giftmörder, Kaisermörder, Kindesmörder und schuldig am Bürgerkrieg war, das zog er, mit bemerkenswertem Stumpfsinn, offenbar vor komplett zu ignorieren. Vielleicht sogar vor sich selbst? Bizarr, aber auch eine Antwort.
Jedenfalls waren meine Worte hier ebenso verschwendet, als hätte ich sie zur Wand gesprochen.
Nur auf eines antwortete er jetzt... es habe sich niemand für mich eingesetzt. Dass... mochte eine Lüge sein, um mich weiter zu demoralisieren... falls das noch möglich wäre... doch es war ja nach all dem Verrat in jüngster Vergangenheit nicht weiter überraschend. Wie betäubt vernahm ich... in meinem Kopf sich immer wiederholend.... die alte Binsenweisheit: Freunde in der Not gehen tausend auf ein Lot. Freunde in der Not gehen tausend auf ein Lot. Freunde in der Not gehen tausend auf ein Lot. Und was Manius anging... so hatte ich doch eigentlich schon längst gewußt, dass er mich über seine Beteiligung am Umsturz eiskalt belogen hatte... dass er nur versucht hatte, meinen Posten für ihre Zwecke zu nutzen, und mich längst hatte fallen lassen. Nein. Es wunderte mich nicht. Es machte nur die wunde Leere, die mich erfüllte, komplett.
"Über Verbrechen hast du, als der schlimmste Verbrecher des Reiches, keinerlei Recht zu urteilen." sagte ich mechanisch. "In den Wirren, die du und deine Verschwörerkumpanen über das Reich gebracht hast... in einer Zeit, als es gar nicht mehr möglich war, sich saubere Hände zu bewahren... habe ich Vescularius gedient," – was war eigentlich mit ihm geschehen? - "weil er im Gegensatz zu dir der rechtmässige Nachfolger Valerianus' war... und weil du, Cornelius, und die Hyänen die du auf Rom gehetzt hast, im Vergleich zu ihm das weitaus schlimmere Übel waren... und sind...."
Matt winkte ich ab gegen die schon so oft gehörten Phrasen, bevor ich den Blödsinn erneut hören müßte.
"Worte, leer und lügnerisch, vermögen deine Taten nicht auszulöschen. An deinen Händen klebt das Blut Kaiser Valerianus'... dem ich einst die Treue geschworen habe.... "
Ein frostiger Morgen in der Wüste, vor Dura, wo wir uns auf die Belagerung vorbereiteten... dann der Appell... der Tod des Divus Iulianus wurde verkündet... wir alle schworen den Eid auf seinen Sohn... das Trauergeleit für den gefallenen Kaiser... Sura, der Scheiterhaufen des Divus Iulianus... seine Flammen waren hoch und immer höher gelodert, diese Flammen hatten unser gesamtes Reich lichterloh erfasst... Ich fror. Die Kälte, noch immer die Kälte des Kerkers, umfing mich lähmend bis ins Mark.
Sinnend blickte ich in den blutroten Wein in meinem Kelch. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Eigentlich müßte ich jetzt alles auf eine Karte setzen. Ich könnte das Glas mit der Oberkante gegen den Mamortisch schlagen, um einen scharfen Scherbenrand zu bekommen, dann könnte ich den Cornelier vor mir - der sich offenbar komplett sicher fühlte, immerhin war keine einzige Wache anwesend - am Bart packen, und ihm die Kehle mit der scharfen Bruchkante aufschneiden. Wie bei einem Opfertier.
Warum ich es nicht mal versuchte?
Es war das sichere Wissen, dass die wahnsinnigen Schicksalsgötter, die sich darauf versteift hatten, Cornelius wieder allen Sinn und Verstand auf den Thron zu hieven, ihm auch eine unsichtbare Panzerung verliehen hatten, die ihn unfehlbar gegen eine jede Verwundung schützte... einem Achilles gleich... nur mit dem Unterschied, dass ein Cornelius Palma, anders als der Held vor Troja, sicherlich hundertprozentig unverwundbar war, und nicht unter dem Makel einer Achillesferse litt. Denn was Homer gewußt hatte – dass es nicht einmal im Epos vollkommen unverwundbare Figuren gibt... dass ein jeder Held, möge er noch so heldenhaft sein, eine Schwäche braucht... dass Geschichten von vollkommen unverwundbaren Über-Heroen einfach nur abstrus und langweilig und ein Ärgernis für das Publikum waren.... dieses Basiswissen hatten die Erschaffer des Cornelius Palma offensichtlich nicht besessen.
Ich stellte das Glas ab und fuhr fort:
"... Das Blut der Livilla Ulpia Lucilla , die nie jemandem ein Leid getan hatte. Das Blut des jungen Thronfolgers. Der Divus Iulianus hat dir zu seinen Lebzeiten seine Gunst geschenkt, und dir die höchsten Ämter gewährt – du hast es ihm vergolten, indem du seine Familie, der du Treue geschuldet hast, auf die schändlichste nur möglichste Weise ausgelöscht hast: durch Gift. -
An deinen Händen klebt das Blut .... tausender... römischer Soldaten, die in dem Krieg den du entfesselt hast, durch die Hand ihrer Brüder gefallen sind."
Verdammter Husten. Schon wieder kam er über mich, schüttelte mich.
"Und auch wenn dich nun der Wahnwitz der Götter auf diesen Thron gesetzt hat," fuhr ich leise fort, sobald ich ausgehustet hatte, "bleibst du: Giftmörder, Verräter, Kriegstreiber und Frevler.... ein widerlicher Schandfleck an der Spitze des Reiches...."
Und nun? Ich hatte keinen Wahl. Kein Mann von Ehre hatte eine Wahl gegenüber dieser Verkörperung der Infamie, dem die verrückten Götter den Thron hinterhergeworfen hatten.
Ich griff nach dem schweren Ring mit dem Skorpionsiegel, der noch immer an meinem Ringfinger stak. De facto mochte ich längst machtlos sein, formell war ich noch immer der höchste Reichspräfekt. Ganz mühelos ließ sich der Ring von meiner verteufelt mager gewordenen Hand abstreifen... es blieb nur ein hellerer, ringförmiger Streifen auf der schmutzigen Haut zurück.
Ich legte den Siegelring vor Cornelius auf den Tisch, das Gold traf mit einem ganz leisen, kaum vernehmbaren Klacken auf die Mamorplatte. Und damit legte ich ab, was ich gewesen war... ein Soldat Roms... und das wofür ich all die Jahre gekämpft hatte, wofür ich eingestanden war, woran ich geglaubt und wofür ich geblutet, und wofür ich meine Kraft und meine Jugend gegeben hatte. Ich legte alles ab was ich, seit dem lang vergangenen Tag an dem ich, damals ein zarter Jüngling, sub aquila gegangen war, erreicht hatte.
Denn auch wenn die Schicksalslenker offensichtlich den Verstand verloren hatten, und einen Narren an einem Stück Scheiße gefressen hatten und dieses Stück Scheiße auf den Thron gehievt hatten – und auch wenn noch so so viele Römer ihre Ehre vergaßen und um ihrer Ämter und Pöstchen willen eifrig diesem Stück Scheiße huldigten – ich jedenfalls würde das nicht tun.
"Ich weiß von euren Verschwörerrunden. Von eurem Hass gegen Vescularius, dem ihr seiner einfachen Herkunft wegen Verachtung entgegenbrachtet... und weil er euch nicht den Respekt erwies, den ihr zu verdienen glaubtet. Und gegen Valerianus, der an ihm festhielt. Von Tiberius Durus Reise nach Antiochia, bei der er mit dem Statthalter die Saat des Aufstandes in Syrien legte. Ich weiß von eurer makaberen Abstimmung, bei der ihr den Mord an der kaiserlichen Familie beschlossen habt, und wie dein ehemaliger Untergebener Ulpianus Venox dem Küchensklaven Berisades das Gift gab, blauer Eisenhut, mit welchem jener am Saturnalientag die kaiserliche Familie auslöschte. Ich habe deinen Namen auf dem Geständnis, das Vinicius Lucianus selbst niederschrieb, und ich war umsichtig genug, die Beweise vor unserem Abmarsch in treue Hände zu geben. - "
Langsam.... langsam erhob ich mich von dem Stuhl, hielt mich, die Hände um die Lehne gekrallt, daran fest. Alles schwankte, ich biss die Zähne fest zusammen. Das Muster der Bodenplatten wogte und schwankte. Tief atmen. Jetzt nicht umkippen. Ich dachte an Seiana. Ich spürte ihr Tuch an meinem Handgelenk. Ich wollte meine Schwester wiedersehen. Und zwar nicht bei meiner Hinrichtung.
"Ich werde jetzt gehen" sagte ich schlicht. Ich blickte dem Massenmörder im Schafspelz in die Augen, mit einer Härte die aus dem Wissen entsprang: ich war im freien Fall.
"Und du, Cornelius, wirst dafür sorgen, dass man mich gehen lässt. Ausserdem wirst du bis morgen die inhaftierten Angehörigen meiner Gens freilassen. Weiterhin wirst du, und werden deine Handlanger, meine Gens und mich in Zukunft in Ruhe lassen." Ich machte eine kleine Pause und betrachtete sein Mienenspiel....(natürlich nur falls er doch kein Automaton sein sollte, und so was wie ein Mienenspiel haben sollte.)
"Solltest du das nicht tun, dann werden die Beweise deiner Verbrechen alsbald dem Senat vorliegen."
Ich wandte mich zum Gehen.