Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    So ernst die Lage auch war – im Augenblick verspürte ich erst mal Erleichterung darüber, dass der Kaiser nicht einer von den Leuten waren, die den Boten des Unglücks für das Unglück verantwortlich machten.
    "Die Schlagkraft wäre absolut ausreichend..." Allein meine Prätorianer waren der Prima allein schon zahlenmäßig überlegen. "... aber wir können die Prima nicht mehr rechtzeitig stellen. Und sobald sie sich mit einem der germanischen Heerzüge vereint, ist das Kräfteverhältnis auf ihrer Seite."
    Warum nochmal hatte ich auf die Überzeugungskraft der Wahrheit gesetzt, anstatt diesem verräterischen Legaten rechtzeitig einen effizienten Meuchelmörder auf den Hals zu hetzen?! Es rächte sich eben, in solchen Zeiten anständig zu sein, das mußte ich mir echt mal merken.
    "Die Classis mobilisieren sollten wir auf jeden Fall." Ich furchte die Stirn. Dieses schlechte Wetter, das dem Feind so wunderbar in die Hände spielte – so langsam beschlich mich das Gefühl, dass wir ein Problem mit dem göttlichen Beistand hatten. Und das war – angesichts der Tatsache (Tatsache?), dass es doch der Feind war, der einem infamen Kaisermörder folgte, einem der das übelste nur vorstellbare, von Göttern und Menschen verabscheute Verbrechen begangen hatte - merkwürdig. Ja, ausgesprochen merkwürdig und beunruhigend.


    "So wie ich das sehe, haben wir zwei Möglichkeiten. Die erste: wir richten uns auf eine Belagerung ein. Selbst wenn der Feind bis vor die Tore der Stadt käme – wir haben Rom, und mit den Stammeinheiten können wir die Stadt gut halten. Ja, das Korn ist knapp geworden, aber das gilt nicht nur für uns, auch für den Feind. Wir würden ausharren, auf das Eintreffen der Donaulegionen warten und gemeinsam mit ihnen kämpfen." Ich sagte das alles eher widerwilig. Es wäre eine Schande, den Krieg bis nach Rom vordringen zu lassen, die Bürger würden darunter zu leiden haben. Ausserdem....
    "Aber ich an Stelle der Aufständischen würde die Donaulegionen schon vorher zur entscheidenden Schlacht zwingen. Von daher halte ich es auch für erfolgversprechender, wenn wir wirklich alles auf eine Karte setzen und jetzt ausrücken. Die Cohortes Praetoriae und die Truppen der Classis misenensis, um uns mit den Donaulegionen zu vereinen... bei Aquileia oder Patavium, je nachdem... und die Aufständischen in Norditalia zu stellen. Wir könnten die Truppen die Adriaküste entlang verschiffen, dann sind wir schnell vor Ort.
    Und wenn du erlaubst, mein Kaiser, lass mich vorschlagen: lass die Stadt in Obhut eines wirklich vertrauenswürdigen Vertreters und der Stadtkohorten zurück und führe die Truppen selbst ins Feld. Das wird die Soldaten begeistern und zu Höchstleistungen anspornen."

    Ich brachte all diese Überlegungen flüssig vor, pflichtbewußt, hatte mir ja schon viele Gedanken darüber gemacht. Aber im Grunde wünschte ich mir über alles, nicht gegen andere Römer kämpfen zu müssen. Und nicht meine tapferen Soldaten in ein solches Blutbad schicken zu müssen. Der Zweifel nagte eben.

    Jetzt, wo er mich nicht mehr mit diesen schrecklichen Forderungen bedrängte, jetzt wo ich nicht mehr vor allem damit beschäftigt war, mich gegen seine Worte zur Wehr zu setzen... jetzt sah ich ihn mit ganz anderen Augen. Ich sah einen Mann am Abgrund. Mein Vorschlag, mein vielleicht etwas verrückter aber gutgemeinter Vorschlag, stürzte ihn in eine... Qual, die schier unerträglich mitanzusehen war. Ich hielt ihn in den Armen, ja, ich wollte ihn halten, ihn mit all meiner Kraft davor bewahren in diesen dunklen Schlund hineinzustürzen...
    Aber ich bekam auch Angst davor, selbst mit rein gezogen zu werden, in diesen Abgrund von Verzweiflung und... Vernichtung. Und dann tauchte vor meinem inneren Auge das sonnige junge Gesicht des schönen Marcus Dives auf, und ich dachte daran, wie sorgsam ich ihn von meinem Inneren fernhielt, dabei hatte er nun wirklich nichts düsteres an sich, aber ihn hatte ich ziemlich rüde weggeschubst, und nun stand ich hier und war drauf und dran mich wieder mit Haut und Haar etwas zu verschreiben, das überlebensgroß war, und unendliches Scheitern und unbeschreiblichen Schmerz bereithielt, und (ohne dramatisch sein zu wollen!) tödliche Gefahr.
    Aber das Problem war: es gab da gar nichts mehr für mich zu entscheiden, die Entscheidung war mir schon abgenommen, ich steckte da schon wieder ganz tief drin. Ich liebte ihn eben.


    "Manius... Manius!" murmelte ich besänftigend, "Du bist immer noch Du. Und ich liebe dich auch, ich liebe dich un-end-lich, und.... ich kann mir gar nicht vorstellen was du alles durchgemacht hast..." Wo war seine Familie? Ich wagte gar nicht zu fragen... "...aber jetzt sind wir zusammen. Wir sind zusammen und... wir stehen das durch. Wir stehen das durch, mein Geliebter, hörst du?"
    Ich streichelte sein Gesicht, und wischte ganz sanft mit den Fingerspitzen Tränen beiseite, dann umarmte ich ihn fest, stand eben so da, mit ihm, hielt ihn in meine Arme geschlossen wie in die Mauern eines festen Kastells. Erst nach einer Weile sprach ich wieder. "Komm, lass uns erst mal was essen und trinken, und ein bisschen in der Casa-Therme entspannen, währenddessen lass ich dir ein Zimmer richten, und dann kannst du dich ausruhen, und dann sieht schon wieder alles ganz anders aus."
    Es war eine Erleichterung, sich wieder mit so simplen, konkreten Dingen beschäftigen zu können! Ich rief Ravdushara, traf ein paar Anweisungen, und der Plan wurde in die Tat umgesetzt...


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    Angesichts unserer Umgebung, brachte dieser kleine Wortwechsel mehr als einen Hauch von Absurdität mit sich. Ich ging auf den Gefangenen zu, und neben ihm in die Hocke, sprach mit gedämpfter Stimme weiter.
    "Es gibt Schwierigkeiten. Ich kann dich nicht länger... jedenfalls nicht viel länger... beschützen."

    Wer sollte die "Hand Fortunas" werden? Vielleicht der ärmlich gekleidete Junge ganz vorne, der mit großen, sehnsüchtigen Augen auf die Preise sah. Oder die alte Dame mit dem verwitterten Gesicht. Oder ihre Begleiterin, die so dermaßen schrill herausgeputzt war, dass es schon wieder Charme hatte. Oder eines der vielen bekannten Gesichter in der Menge...
    Die Tänzerin, Scintilla, vielleicht? Das sähe so aus als stünde ich auf so Rasseweiber, das wäre vielleicht ganz gut für meinen Ruf. - Ach nein, lieber nicht.
    Oder meine liebe Cousine Romana? Sie würde sich sicher freuen und eine tadellose Figur machen. - Aber... ich nahm es ihr schon ein bisschen übel, dass sie sich so willig von Massa becircen ließ. Damit wollte der doch bloß mir eins auswischen, das war doch ganz klar... (...oder? Oder war ich ihm schon so gleichgültig, dass er es nicht mal mehr für nötig hielt, mir weitere Verletzungen zuzufügen?)
    Massa.... ja, Massa... wenn ich so meilenweit über meinen Schatten springen würde, ihn auszuwählen, und ihm dann später großmütig vergeben würde für den ganzen Scheiß, den er da mir gegenüber abgezogen hatte, dann... also vielleicht... vielleicht würde er sich dann schämen und entschuldigen, und vielleicht könnten wir ja dann doch wieder... also irgendwie.... Oh nein, Faustus! Vorbei ist vorbei.
    Aber sein neuer blonder Freund da neben ihm... den könnte ich auf die Bühne rufen, und so den Anknüpfungspunkt schaffen, um ihn Massa auszuspannen, als Rache... Ach, Kinderkram.
    Oder Helvetia Crispina, sie war nett und hübsch und hatte mir nichts getan... aber nein, das würde ihre Mutter bestimmt zu einer weiteren Attacke ermuntern.


    Wen ich am liebsten ausgewählt hätte, das war natürlich Marcus Iulius Dives. Ich sah ihn an, und ein Lächeln huschte über mein Gesicht bei der Vorstellung, wie ich ihn hochbitten, und mit einem feurigen Kuss empfangen würde, und welch ein Raunen dann durch die Menge gehen würde, und wie schockiert die Gesichter dann wären, aber niemand würde es wagen, offen etwas gegen mich, den Gardepräfekten, zu sagen.... und in meinem Kielwasser würden dann alle möglichen anderen Anhänger der griechischen Liebe aufhören sich zu verstellen... und Rom würde endlich eine freiere Stadt, Prüderie und Heuchelei würden geschlagen vom Feld gehen... und natürlich blieb diese kühne Fantasie das, was sie eben vor allem war... eine Fantasie.


    Ich überlegte schon zu lange, Rhea hinter mir hüstelte ganz dezent. Jetzt aber! Als nächstes fiel mein Blick auf Iunius Seneca – nein, der taugte zwar zu vielem aber nicht als Glücksbote – aber die Frau, die da neben den beiden stand, und so aufmerksam zur mir sah, die sah doch gut aus, die würde bestimmt eine hübsche Fortuna-Gehilfin abgeben.
    "...möchte ich die liebliche junge Dame hier," - ich lächelte sie auffordernd an, machte eine einladende Geste, "die Grazie mit dem goldenen Haar, zu mir auf die Bühne bitten!"

    Herrlich...! Nur viel zu schnell vorbei... Ich wollte MEHR! Schwer atmend suchte ich seine Lippen, doch diese waren schon wieder woanders gelandet...
    Ob er mich was fragen durfte? "Mhm... sicher..." murmelte ich, vollends beschäftigt mit dem genießen all dieser herrlichen Empfindungen. Ein heißes Rieseln ging von meinem Ohr aus, seine Hände verwöhnten mich weiter, und mit fiebrigen Fingern streichelte ich über Dives nackte Haut – bis zu dem Moment, als er mir diese Frage stellte. Die mich aus dem wohlig heißen Genießen herausriß, mich alarmierte! Ich hatte jetzt irgendwas anregend-unanständiges erwartet, aber nicht... sowas.


    Nein, mit sowas konnte ich gerade echt nicht umgehen. "Kennenlernen". Schmeichelhaft zwar, dieses Interesse an mir, (falls es nicht nur ein Vorwand war, um mir dann irgendeine Gefälligkeit abzuschwatzen/ mich auszuhorchen/ in eine Falle der Aufständischen zu locken), aber ich wußte aus Erfahrung sehr genau, worauf sowas hinauslaufen würde! Anfangs würde ich mir sagen Diesmal Faustus, diesmal hältst du die Sache schön locker und zwanglos!, aber er war zu bildschön und zu interessant, spätestens wenn wir zusammen den Sternenhimmel betrachtet, Gedichte gelesen, oder sonst irgendwas blödsinnig romantisches gemacht hätten, wäre ich Feuer und Flamme für ihn, bald darauf würde ich glauben, nicht mehr ohne ihn leben zu können, würde im Liebeswahn alle Masken fallen lassen und das wäre dann der Moment, wenn der schöne Dives enttäuscht bemerken müßte, dass ich dem hübschen Bild, das ihm so gefiel, nicht entsprach.
    Und das wäre dann ausserdem der Moment, an dem er mich wegen irgendeiner meiner Schwächen gnadenlos abservieren würde. Und ich würde am Boden zerstört sein, dann die ganze Sache im Feuer meines Zornes lichterloh abfackeln, dann die Asche dieser Affäre in einer Urne sammeln, Desaster Nummer soundsoviel daraufschreiben, in die Ecke zu den anderen dazustellen, und mich daran machen, mein Herz wieder zu kitten. Oh nein, nicht schon wieder, nicht mit mir!


    Verschlossen schüttelte ich den Kopf, entzog mich so seinen Lippen, mit einem leichten Zurückweichen sogar seinen Händen.
    "Das ist keine gute Idee." Es klang schrecklich harsch, und ich machte mir angestrengt klar, dass Dives ja nichts dafür konnte, dass das bei mir regelmäßig so lief, und dass er mir nichts getan hatte, und lediglich in meinen Gedanken Mitglied im grausigen Kabinett desaströser Ex-Liebhaber geworden war.
    "Ich finde es so wie jetzt viel... aufregender. Du etwa nicht?" fügte ich darum schnell hinzu. "Du bist unheimlich aufregend, Marcus."
    Meine Nervosität überspielend, und im Versuch auch diesen unguten Moment zu überspielen, einfach weiterzumachen als wäre nichts gewesen, weitere verstörende Fragen gar nicht erst zuzulassen, legte ich meine Hände an seine Wangen, rechts und links, so dass sie sein Gesicht wie umrahmten, und seine Lippen mir nicht mehr ausweichen konnten und küsste ihn forsch, forscher als mir tatsächlich zu Mute war, drückte ihn mit meinem Körper Stück für Stück näher an die Wand.
    "Ich will dich jetzt! Ich will diese Wangen röten, und diese Lippen erbeben lassen, und diesen Atem verwandeln in ein unersättliches Keuchen nach mehr... und diese Augen" – ich streifte die Brauen mit meinen Lippen, blaue Augen, strahlend blau, wie Vergissmeinicht so blau... - "glänzen lassen vor Lust... - Dreh dich um."
    Entschieden – aber er wollte doch einen Heroen im Hercules-Stil, oder etwa nicht? - packte ich ihn bei den Schultern, um ihn so zu wenden wie ich ihn haben wollte, dann bei den Handgelenken, um seine Hände gegen die rauhe Wand zu drücken. Fordernd presste ich mich an ihn, ließ ihn die Härte, die er mir beschert hatte, spüren, und bearbeitete seinen Nacken mit heißen Küssen und Bissen. Kennenlernen. Der Anfang vom Ende. Aber nicht mit mir!

    Oh je. Meine vage Vorahnung hatte sich bestätigt. Diese Scintilla war mir nicht fremd, ich hatte sie während eines nicht gerade glorreichen Abschnittes meines Lebens kennengelernt. Hoffentlich hatte sie mich nicht wiedererkannt! Aber, ach, sagte ich mir, bestimmt nicht, schließlich hatte ich mich doch sehr verändert, trug meinen schicken Harnisch, und wurde noch dazu umstrahlt von der Würde meines Amtes.
    Aber nicht nur dieses Problem machte es mir schwer, den Tanz, auch wenn er ja sehr gut war, mit der gebotenen Aufmerksamkeit zu verfolgen. Die geballte Weiblichkeit dieser Künstlerin... dieses kurvige, üppige ... Brrr!... das war einfach nichts für mich. Ich zwang mich dazu, mit einem erfreuten Gesicht zur Bühne zu sehen – was sollten denn die Leute sonst denken?
    Aber zwischendurch richtete sich mein Blick schon mal kurz auf die Zuschauer...... irrte wieder Willen zu Massa und den hübschen Frauen, Romana und Crispina, und dann war da noch ein Jüngling mit ebenmäßigem Gesicht, und alle scharrten sie sich um Massa, umgaben ihn wie schöne Blumen, diesen kaltschnäuzigen Lump... Moment, eigentlich stand ich da ja drüber. Oh ja, besonders nach dem herrlichen kleinen Ausflug gerade, würde ich doch gar keinen Gedanken mehr verschwenden... an so einen... glattzüngigen, verlogenen, treulosen Mistkerl!! Aber es gab mir doch einen Stich zu sehen, wie sie zusammen herumalberten, Spaß hatten, flirteten, wie vertraut sie waren.


    Als der Tanz vorüber war, applaudierte ich kräftig. Mein Auftritt war gekommen, und ich war ganz froh, jetzt was zu tun zu haben, was mich von diesen düsteren Kontemplationen wieder ablenkte.
    Ich stieg auf die Bühne, begleitet von Rhea, die ein großes Füllhorn trug, das war gefüllt mit den Metallplättchen, auf denen die Nummern der Lose standen.
    "Meine lieben Gäste!" hob ich an, die Arme in offener Geste hebend, ein bisschen so als wolle ich sie alle herzlich umarmen, "Heute ehren wir Fortuna, heute lächelt die holdselige Göttin uns zu. Lasst uns sehen, wer heute ganz besonders in ihrer Gunst steht, wer alles eine der reichen Gaben, die ich für euch bereitgestellt habe, mit nach Hause nehmen wird!"
    Ein Wink von mir, und zu fröhlicher Musik wurden die ganzen Schätze von unseren kostümierten Sklavinnen nochmal präsentiert: edle Gewänder, Geschmeide, ein Beutel Denare, ein starker Sklave, ein stolzer hispanischer Fuchswallach, eine Bronzestatue der Fortuna, und dazu noch allerlei weniger wertvoller Kleinkram. Damit niemand auf die Idee kam, Stunk zu machen, bewachten jetzt die Gardisten, die sich vorher ums Speerwerfen gekümmert hatten, die Lotterie.


    "Haltet eure Lose bereit!" Das ganze Spektakel machte mir jetzt irgendwie doch wieder Spaß. Es war einfach ein gutes Gefühl, heute der edle Spender zu sein, die ganzen erwartungsfrohen Gesichter zu sehen, die gebannt auf mich gerichteten Augen. Ausserdem war es immer von Vorteil, sich populär zu machen.
    "Und nun brauche ich etwas Hilfe!" Verheißungsvoll ließ ich meinen Blick über die Menge schweifen, während ich erklärte: "Um hier und heute die Hand Fortunas zu sein, um die Zahlen der Gewinner aus dem Füllhorn der Göttin zu ziehen.... möchte ich bitten, auf die Bühne zu treten......"
    Ja, wenn mochte ich da denn bitten? Für wen sollte ich mich entscheiden? Mein Blick kreiste wie ein Raubvogel über die Zuschauer...

    Ein Herkules... "Darauf kannst du wetten!" prahlte ich übermütig, ein breites Grinsen im Gesicht, und verfolgte, von seinem kleinen Spiel gebannt, hingerissen seine Lippen mit den meinen – doch er entzog sie mir, nur um sich dann, aufreizend langsam, auf den Weg zu begeben, den ich mir erbeten hatte.
    Bei Cupido! Er, ein freier Römer, kein Sklave, war wirklich dafür zu haben. Himmlisch! Ich atmete tief, leise seufzend aus, lehnte mich wohlig gegen die Mauer zurück... Es war zu schön um wahr zu sein.
    Oh Fortuna! Sie hatte mir da tatsächlich den perfekten Gespielen-um-über-das-aktuelle-Desaster-hinwegzukommen gesandt. Mit halbgeschlossenen Augen genoß ich seine Zuwendung. - In Wahrheit hatte ich mich übrigens nie mit Herkules identifizieren können oder mich für seinen Mythos erwärmen können, ich hielt ihn für einen der besonders langweiligen Heroen. Nein, ich bevorzugte mehr die tragischen Nebenrollen, und fand, dass es kein ergreifenderes Schicksal als das des Patroklos gab..... und ausserdem – ich spähte auf Dives hinab, streckte die Hand aus, grub sie ins seidige Haar, wühlte die Finger hinein – ausserdem fand ich, dass es nichts heißeres auf der Welt gab, als den Süßen so zu spüren und zugleich zu sehen, zu mir aufblickend, die totale Ergebenheit, Hingabe, Verworfenheit, und dabei sah er dermaßen unschuldig aus...
    "Mach weiter...!" flüsterte ich mit rauher Kehle, ihm unverwandt in die Augen sehend – fuhr ihm mit den Fingernägeln lüstern über den Nacken, gierig nach mehr, suchte mit nur dem allersachtesten Druck den Rhythmus seiner Bewegungen anzuleiten – und gab mich, erschaudernd, ihm, dem köstlichen Genuß, dem mich heiß und heißer umfangenden Feuer hin. Mach weiter.... mach weiter, und hör niemals auf....!!

    Tiberius Fella? "Tiberius Fella! Ach, entschuldige, ist aber auch ewig her." Jetzt begrüßte ich ihn aber doch noch mit freundlichem Handschlag. Wann hatten wir uns zuletzt gesehen? War das bei Großtante Drusillas achzigstem gewesen? Oder brachte ich da schon wieder was durcheinander? "Dein Bruder ist ja leider schon wieder abgereist."
    Kein Kyniker also, ich war froh das zu hören. Schließlich mußte ich jetzt ein bisschen repräsentativer auftreten als früher, und da wäre ein in Lumpen herumgammelnder Cousin nicht gerade förderlich gewesen. "Ich bin gespannt." kommentierte ich grinsend die Ankündigung einer Geschichte.


    "Grüß dich Lucius!" Auch ihm schüttelte ich die Hand, klopfte ihm freudig auf die Schulter - und mußte mir eingestehen, dass Caias kleiner Bruder mittlerweile höher gewachsen war als ich. "Ja, das ist schon seit Opa Mercators Zeiten so und soll auch immer so bleiben!"
    Der junge Silas – der so nach und nach zu einem hübschen Burschen heranwuchs.... - brachte Fella eine Tunika. Ich setzte mich erst mal und ließ mir einen Becher verdünnten Wein reichen, trank einen Schluck und wartete neugierig auf die Geschichte.

    "Ave Imperator Augustus!" Ich führte zackig die Faust zur Brust und überbrachte stoisch die schlechten Nachrichten.
    "Der Vormarsch des Laberius Maturus hat sich verzögert. Es gab da in Pannonien wohl arge Unwetter. Nach meinen letzten Informationen waren sie erst bis Celeia gekommen." An der Karte an der Wand tippte ich auf die Provinzstadt. Noch nicht einmal den Savus hatten sie überquert gehabt.
    "Die germanischen Truppen sind auf dem Marsch in die Alpen. Die obergermanischen unter Annaeus Modestus auf dem westlicheren Weg, die Via Raetia über Clunium, die niedergermanischen unter Flamininus Cilo über die Via Claudia Augusta. Ich habe zwei Vexillationes meiner Leute dort oben in die Berge geschickt, um den Vormarsch zu verzögern, mit Hinterhalten und Sabotage."
    Wir konnten nur hoffen, dass Laberius endlich in die Pötte kam, während wir ein bisschen Zeit schindeten.
    "Die Prima.... wie ich gerade erfahren habe, hat der Legat sich jetzt offen auf die Seite der Rebellen gestellt."
    Verdammte Scheiße. Wir konnten die Aufständischen immer noch schlagen, aber es würde auf jeden Fall ein großes, großes Blutbad geben.


    "Die Nachrichten aus dem Osten sind spärlicher. Die Classis Ravennas hält Cornelius Schiffe größtenteils im Schach, so dass er den Rest seiner Männer nur langsam nach Achaia übersetzen kann. Marius ist auf dem Weg, ihn dort zu stellen."
    Wenn wir Glück hatten, erwischte er den Feind, solange dessen Heer noch zu beiden Seiten der Ägäis verteilt war.

    "Geht es dir besser, Senator?" fragte ich. Er sah auf jeden Fall besser aus, nicht mehr so, als stünde er schon mit einem Fuß auf Charons Fähre. Und der Medicus hatte mir auch von Fortschritten berichtet. Aber Vinicius' Blick war leer... Ich konnte nur hoffen dass der alte Mann nicht den Verstand verloren hatte.

    Den Inhalt, den würde wohl am ehesten der Mann kennen, der mir gerade gegenüber saß. Meine Mundwinkel zuckten sardonisch. Oder die anderen Procuratoren. Oder der Kaiser. Oder jemand, der Wunderaugen hatte und durch Papyrus hindurchgucken konnte.


    "Ich glaube nicht daran, dass jemand systematisch die Siegel löst, die Schreiben liest und dann wieder verschließt. So etwas braucht Zeit, erregt Aufmerksamkeit, hinterlässt Spuren. Nein, derjenige fischt wahrscheinlich bloß die Briefe heraus, die an bedeutende Adressaten gerichtet sind. -
    Nun, solche Briefe gehören sowieso nicht in die Hände des Cursus Publicus, sondern in die meiner Equites Singulares. Schließlich sind wir im Krieg."
    Und ich konnte mir nur an den Kopf greifen, wenn ich daran dachte, dass irgendjemand tatsächlich kriegswichtige Schreiben dem gewöhnlichen Cursus Publicus, der doch schon seit langem für seine Schlampigkeit bekannt war, anvertraut hatte.
    "Und meine Reiter haben das ja nun übernommen. Gab es seitdem noch Probleme? - Im übrigen können wir euren Maulwurf dafür nutzen, dem Feind Fehlinformationen unterzujubeln."

    Die letzten Tage war ich kaum aus der Castra rausgekommen, aber heute mußte ich mal wieder zu Hause nach dem Rechten sehen. Nicht dass die Sklaven nur noch auf der faulen Haut lagen, oder mein lieber Vetter Varenus noch auf den Gedanken kam, mir, kraft seines Alters und seiner vielköpfigen Sprösslingsschar, meine Position streitig zu machen. Ausserdem hatte Ravdushara mich informiert, dass zwei weitere Gensmitglieder eingetroffen waren, und die wollte ich doch mal kennenlernen. Die "neuen" seien gerade beim Essen, erfuhr ich (traf sich gut), darum tappte ich geradewegs ins kleine Speisezimmer.
    "Salvete!" Bei meiner unüberschaubaren Anzahl von Cousins – von denen ich ja auch bloß den hispanischen Teil kannte – konnte man schon mal durcheinanderkommen. "Ich bin Faustus Serapio. Und ihr müßt Casca und Verax sein." Ich machte Anstalten, ihnen die Hände zu schütteln, aber der Anblick von Cascas? Verax? erbämlicher Tunika ließ mich verblüfft innehalten.
    "Ähm... bist du etwa Kyniker?"
    Bona Dea, das konnte ja was werden...

    Meine Augen wurden weit. Ein Mißverständnis?! Nichts weiter als ein blödes Mißverständnis?! Mit einem ungläubigen Laut, halb Keuchen, halb Lachen, ließ ich die Hand sinken, schüttelte den Kopf.
    "Ich dachte......-"
    Es wäre ja auch kein Wunder gewesen, nach dem Streit wegen seiner Rolle im Prozess, nach meinem panischen Ausweichen im Tempel... Aber egal was ich gedacht hatte, ich kleinmütiger, zweifelnder Tonto ... ich hatte mich getäuscht, und ich schämte mich sofort dafür, den Glauben an das, was uns verband, nicht trotz alledem festgehalten zu haben.
    Seltsam.... seltsam wie auf einmal das große, entsetzliche Dilemma in den Hintergrund trat, zwar noch immer bedrohlich, wie ein wilder Löwe, der geduckt mit dem Schweif den Arenasand peitscht, der jeden Augenblick losspringen kann... aber ich war in Manius Armen, und das war gerade das einzige was zählte. Ein leichtes Zögern versteifte meine Schultern, die Furcht dass er mich im nächsten Moment schon wieder von sich stoßen würde... aber dann ließ ich mich an ihn ziehen, berührte seine Wange, ganz vorsichtig, denn er schien mir so kostbar und flüchtig wie ein glücksseliger Traum, den man nach dem Erwachen noch bewahren möchte, und der doch gleich darauf im hellen Tag zerfasert.
    "Ich war in Syrien. Wegen der Verschwörung. Durfte keiner wissen." sagte ich leise, und dann schniefte ich verstohlen, wischte mir mit den Tunikaärmel die letzten Spuren vom Rumheulen weg.
    Idyllische Gefilde, fern der Welt.... Ich lächelte wehmütig. Wahrscheinlich wäre so ein Ort der einzige Ort, an dem wir es endlich mal schaffen würden, zusammen zu sein. Wie hatte ich in diesen Wunschvorstellungen geschwelgt... Aton und ich, in seiner Sonnenbarke über den Horizont hinaussegelnd... oder besser, Manius und ich, auf einer einsamen griechischen Insel, mit weißen Tempeln und uralter Weisheit, oder Manius und ich, incognito, auf der abenteuerlichen Reise durch die exotischen Ostprovinzen.... Aber mit einem Mal lief mir ein Schauder über den Rücken, ein eisiger Hauch, denn vor meinen Augen zog das Bild von ganz anderen idyllischen Gefilden auf: den elysäischen Feldern, und der grausige Gedanke, dass es uns in dieser Welt verwehrt war, zusammen zu finden, und dass diese Gefilde die einzigen sein würden, die uns am Ende blieben...
    Ich biss die Zähne zusammen und verscheuchte diesen entsetzlichen Gedanken! Schmiegte mich in Manius' Arme, legte meine um ihn und zog ihn fest an mich. Er war da, real, würde sich nicht auflösen, und ich... war Gardepräfekt, immerhin, und würde ihn gegen jede Gefahr beschützen. Wo er wohl gewesen war, sich versteckt hatte? Was mußte er durchgemacht haben! So tief zu fallen, alles zurückzulassen, gejagt werden...


    "Ich bin froh, dass du hier bist!" sagte ich trotzig. Die Gefahr war natürlich enorm, falls jemand ihn hier entdeckte... andererseits, wer sollte ihn hier vermuten?! Ein Proskribierter im Haus des Gardepräfekten? Absurd!
    "Manius, ich... glaube schon dass es das richtige ist, und Gefahr... ach, Gefahr droht doch von allen Seiten... Aber mir ist das alles... zu viel gerade, meine Gedanken drehen sich immer nur im Kreis."
    Ihn zu spüren... ich rieb meine Wange an seiner, suchte seine Lippen. Küssen, ihn küssen, es war so unendlich viel besser als streiten zu müssen. Dann nahm ich sacht sein Gesicht zwischen die Hände und erklärte felsenfest:
    "Manius, ich liebe dich! Ich will mich nie wieder von dir trennen! Wir haben uns schon zu oft verloren. Das darf nicht noch mal passieren! Ich werde dich verstecken, hier, und zwar so lange bis... " Ab dem Punkt ging meine Felsenfestigkeit flöten, ich hatte ja keine Ahnung was die Zukunft bringen würde. "... bis klar ist, wie es weiter geht. Niemand wird dich hier vermuten, im Auge des Sturms sozusagen, und sowieso siehst du ganz anders aus als früher. Du darfst nur meiner Schwester nicht begegnen – aber sie wohnt im Haus ihres Gatten und kommt nur selten vorbei – und dem Nomenclator – aber den schicke ich einfach irgendwohin weit weg – und Massa – den du im Atrium gesehen hast, der kennt mich zu gut, aber der wird zum Glück auch sehr bald abreisen. Wir sagen du bist... ein Freund aus Alexandria, und... arbeitest jetzt für mich.... als Gelehrter... oder so in der Art?"

    IN NOMINE IMPERII ROMANI
    ET IMPERATORIS CAESARIS AUGUSTI


    ERNENNE ICH
    AULUS IUNIUS SENECA


    MIT WIRKUNG VOM
    PRIDIE KAL SEP DCCCLXII A.U.C. (31.8.2012/109 n.Chr.).


    ZUM
    Centurio - COHORTES PRAETORIAE




    Faustus Decimus Serapio

    Ein ganz fabulöser Kuss war das! Gut, dass jetzt alles wieder so leicht und unkompliziert lief... gerade eben nämlich, da war der schöne Dives mir für einen Augenblick gar nicht so gut aufgelegt erschienen. (Wie in Ostia, da hatte er am Ende auch, ganz plötzlich, so ... gereizt gewirkt.)
    Ich kam zu dem Schluß, dass er wohl ein bisschen launisch war... aber, mal ehrlich, mit dem Antlitz gesegnet, konnte er sich das auch leisten. Und mir konnte es egal sein, so lange er in den entscheidenden Momenten, wie jetzt, nicht schmollte... und das tat er nicht, ganz im Gegenteil. Oder... war das Praenomen doch ein subtiler Hinweis? Wollte er mehr Romantik?! - Ach, egal, ich hatte besseres zu tun als mir darüber den Kopf zu zerbrechen, ich wollte genießen... und das tat ich auch.


    "Mhm... Marcus....." seufzte ich, den Hals genüsslich unter seinen Küssen reckend, mit den Händen unter sein Gewand fahrend, zielstrebig. Über uns war der knallblaue Himmel, ein paar struppige Zweige ragten seitlich in mein Blickfeld, dann die Dachtraufe des Nymphaeums, und oben stand eine einzelne weiße Wolke wie ein Kahn im Himmelsmeer. Mein Atem ging schneller, als ich seine Hand spürte, ich war die ganze Zeit schon so scharf auf ihn, und - wie um die noch gar nicht so lange zurückliegende Zeit des Darbens vergessen zu machen – segnete Priapus mich nun überreichlich mit seiner Gunst. Verlangend zog ich den süßen Blonden dicht an mich, knabberte an seinem Ohr, ließ ihn meinen heißen Atem spüren und meine dringendsten Wünsche hören.
    "...Marcus mellitus.....deine Lippen sind süß wie Honig, und lockend wie..." Ja, was? Metaphern waren gerade nicht so ganz meine Priorität. "...die Äpfel der Hesperiden. Ich will deine Lippen an meinem pilum spüren, schöner Marcus...."

    Es fiel mir wirklich nicht leicht, dieser freundlichen Dame etwas abzuschlagen. Aber manche Dinge lagen eben ausser Frage. Zum Glück schien sie es mir nicht übel zu nehmen, und auch nicht weiter geknickt zu sein, nein, sie versuchte weiterhin hartnäckig herauszuschlagen was ging.
    Nein, es war keine vollkommene Absage – ich schüttelte den Kopf auf diese halbausgesprochene Frage hin – der Mann sollte sich eben ins Zeug legen und was aus sich machen, dann konnte man selbstverständlich drüber reden. Ihn vorher zum "Kennenlernen" einzuladen, das erschien mir jetzt eher unnötig, und für unnötige Termine hatte ich eigentlich keine Zeit. Mit kaum noch zu verhehlender Ungeduld sah ich mich, nach meiner Schwester Ausschau haltend, um. Ich wollte endlich hier weg, den miesen Verräter nie mehr wieder sehen, endlich die verdammte Fassade fallen lassen......
    "Wie könnte ich dir das abschlagen, werte Pinnia. Ich habe nur leider, wie gesagt, sehr wenig Zeit, er sollte also einen Termin mit meinem Sekretär ausmachen." antwortete ich, in der Hoffnung dass sie dann endlich aufhörte, mich zu bedrängen. Ravdushara konnte das ja dann immer noch auf die lange Bank schieben.
    Ich ging mit ihr noch die Runde durch den Garten zu ende, sonderte dabei noch ein paar höfliche Floskeln ab, dann verabschiedete ich mich, und unter dem Vorwand, Seiana nach Hause zu bringen entzog ich mich – ohne Massa noch eines Blickes zu würdigen - endlich dieser unsäglichen Cena, um in aller Stille meine Wunden zu lecken... und zu versuchen, den Kummer im Wein zu ertränken.

    An den
    Imperator Augustus Potitus Vescularius Salinator
    Palatin




    Ich grüße Dich mein Kaiser,



    und erbitte Deine Zustimmung dafür, den Gardeoptio Aulus Iunius Seneca (Cohors II, Centuria VI) zum Gardecenturio zu befördern.
    Iunius hat sich, gerade im Zuge der Ermittlungen gegen die Aufständischen, durch hervorragende Diensterfüllung, feste Entschlossenheit und Führungsqualitäten hervorgetan. Ich bin davon überzeugt, dass er ein vortrefflicher Centurio sein wird.
    Anbei eine Auflistung seines Werdegangs.



    Vale und den Segen der Götter,


    [Blockierte Grafik: http://img291.imageshack.us/img291/1040/fds1.png]
    Praefectus Praetorio


    [Blockierte Grafik: http://img379.imageshack.us/img379/4679/praefectuspraetoriopv0.gif]


    ANTE DIEM V KAL SEP DCCCLXII A.U.C.

    Auf Iunius war Verlass.
    "Gut. Nein, noch nicht verlegen. Zuerst soll sie ihrem Vater einen Brief schreiben... Einem in dem deutlich wird, dass es schlecht für sie aussieht, wenn er sich nicht von Cornelius abwendet. Aber das werde ich selbst mit ihr klären." beschloß ich. (Na wunderbar, unbescholtene Frauen zu bedrohen, das liebte ich ja über alles. Auch wenn es für das Wohl des Reiches war, etc.)
    "Das ist im Augenblick alles." Es gab viel zu tun. "Abi."