Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    Der Imperator war siegesgewiss, und ich wollte ihm da gerne glauben. Ob ich anmerken sollte, dass die Classis in Misenum sich noch nicht klar positioniert hatte....? Nein. Bestimmt wußte er längst darüber bescheid.
    "Fest hinter ihm stehen die Legaten der Fulminata und der Gallica. Der Kommandeur der Ulpia dagegen, der hat schon häufiger kritische Kommentare von sich gegeben... er ist ein alter Haudegen, und seine Legion ist ihm treu ergeben, er kann sich das erlauben. Es heißt, er sei verärgert darüber, dass Cornelius ihn nicht stärker in die Planung der Strategie miteinbezogen hat. - Und der Legat der Scythica, der ist nur gekauft, aber teuer gekauft, Veturius hat ihm hohe Schulden getilgt. Dieser Legat hat übrigens ein Tochter, sein einziges Kind, an der ihm sehr viel liegt. Sie lebt in Sardinien, in Carales, als Gattin eines der Stadthonoratioren." Und schrieb ihrem Vater allerliebste Briefe. Ich hätte sie gerne festgesetzt. "Falls sie noch nicht abgetaucht ist, könnte sie ein gutes Druckmittel sein."


    Cappadocia und Iudaea, darüber hatte ich mir schon viel den Kopf zerbrochen. Aber an harte Fakten hatten meine Leute in der Sache einfach nicht rankommen können.
    "Ich halte es für wahrscheinlich, Imperator, dass sie sich, wenn die Rebellen nicht sehr schnell geschlagen werden, ebenfalls anschließen werden. Bisher gab es zwar keine Truppenbewegungen. Doch Veturius und Cornelius haben intensiv mit den dortigen Statthaltern korrespondiert. Und ihr bisheriges Vorgehen zeigt ja, dass sie... die Saat der Rebellion schon lange gesät haben." Sonst würde sie wohl kaum an allen Ecken des Imperius gleichzeitig "erblühen". Da wünschte man sich doch fast einen Barbareneinfall, damit die Aufständischen sich wieder auf ihre wahre Pflicht besannen.
    Ich mutmaßte weiter - in Parthien hatten wir zusammen mit den Männern der X Fretensis gekämpft, von daher kannte ich wenigstens ein bisschen deren Mentalität.
    "Die iudaeischen Legionen halte ich für besonders anfällig. Zum einen liegen sie zwischen zwei abtrünnigen Provinzen, zum anderen erinnern sie sich noch gut daran, dass im Vierkaiserjahr aus dieser Ecke ein erfolgreicher Umsturz kam."

    Na da war ich aber froh, dass wenigstens Varenus diese Meinungsverschiedenheiten nicht tragisch nahm.
    "Gar nichts... das ist gut. Was wir nämlich gerade am allerwenigsten gebrauchen können ist Uneinigkeit in der Gens." sagte ich, und das durchaus mit ernster, eindringlicher Betonung. Reichte mir schon, dass Seiana und Massa sich entzweit hatten!
    "Ja, ich kann mich vage erinnern" ging ich auf das Scherzen ein. "Da macht man halt ein paar Faxen..." Mit einem verhaltenen Grinsen ging mein Blick Richtung Gefängnisgebäude. Solange Messalina sich nicht von den Urbanern in den Kerker einsperren ließ, hatte ich ja eigentlich kein Recht mich zu beklagen...
    Es wäre nett gewesen noch etwas zu quatschen, doch ich war im Dienst. Ein gemütlich über privates plaudernder Vorgesetzter war kein gutes Vorbild für die Milites.
    "Gut, dann widme ich mich mal wieder der Arbeit." Und ich bat: "In Zukunft Varenus, bitte trag solche Dinge zu Hause an mich heran. Das Kastell ist einfach nicht der geeignete Ort für Privatsachen. - Also dann, bis heute abend."

    Was ihm das brachte? "Na, es zeigt, dass du aus guter, verdienstvoller Familie kommst, und dadurch erleichtert es dir halt die Erhebung zum Eques oder in den Ordo Senatorius..." erklärte ich Flavus, und zupfte mir ebenfalls ein paar Trauben ab – wenn sie schon vor meiner Nase standen. Ein bisschen großsspurig war er schon, mein kleiner Vetter. "Dann solltest du wohl eher aufpassen, dass sie nicht zu sehr von dir angetan sind" neckte ich ihn, "nicht dass der Ehemann eifersüchtig wird."
    Er schien meinen Rat anzunehmen. "Gut. Sind doch auch interessante Aufgaben." Vielleicht nicht ganz so begeisternd wie die Vorbereitung aufs Militär. "Ähm ja, ich sage Ravdushara, dass er dir Geld dafür geben soll. - Das Militär kommt noch früh genug. Wenn du jetzt schon was dafür tun willst, dass du da mal eine gute Figur machst, dann kannst du ja mehr in der Palaestra trainieren... und du kannst dir auch gerne meinen Hiberniersklaven ausleihen, den aus dem Ludus Dacicus, und mit ihm üben. - Wolltest du sonst noch was besprechen?"

    "Das ist übel. Aber... es sind noch immer Aufstände an den Rändern des Reiches. Vescularius hat die Truppen im Zentrum. Hat die Macht in Rom. Ich glaube er bekommt das in den Griff. Seiana, wir müssen uns entscheiden wie wir stehen. Wir Decimer. Wir sollten eine klare Linie haben."
    Ich rutschte unruhig hin und her. Diese großen und gefährlichen Dinge machten mich nervös. Auch ich senkte die Stimme noch weiter.
    "Ich denke: Vescularius ist der rechtmäßige Kaiser. Valerian hat ihm zu Lebzeiten dermassen vertraut, ist doch klar dass er ihn als Nachfolger bestimmt hat. Was die bösen Gerüchte angeht – warum hätte Vescularius so was tun sollen? Er hat ja de facto schon die kaiserliche Macht ausgeübt. Es gab diese Verschwörung. Ich bin ursprünglich nach Syrien gegangen, um herauszufinden, was der Statthalter dort treibt. Es war schon klar, dass der zusammen mit dem Consular Tiberius irgendwas ausheckt, nur was wußten wir nicht. Und dann wird der Kaiser ermordet, der Consular geht lieber in den Orcus als ins Verhör, und in Syrien organisiert der Statthalter Palmas Proclamation. Das stinkt doch zum Himmel. - Also.... Vescularius ist sicher nicht der gravitätischste Herrscher aller Zeiten, und das mit der Proscription finde ich auch etwas..." Ich schluckte. "....arg.... Aber er ist ein guter Kommandant. Und mir gegenüber war er immer großzügig. Er bewahrt die Ordnung, und er hat endlich mal die blasierten verstaubten Patrizier-Eliten vom Sockel gestoßen. Ausserdem: was ist die Alternative?! Ich denke wirklich, wir sollten ihn so gut wir können unterstützen. Was meinst du?"

    Ich lies mich nicht lange bitten. Da ich meinen Bericht ja zuvor schon beim Praefectus Praetorio geprobt hatte, lieferte ich dem Imperator einen besonders schönen Vortrag, gekrönt durch an den richtigen Stellen aufflammende Empörung über die Machenschaften des Usurpators.
    "Cornelius Palma kam nach Antiochia, kurz bevor die Nachricht von dem ruchlosen Verbrechen die Stadt erreichte. Er wurde Gast des Statthalters Veturius, und in den darauf folgenden Wochen reisten die beiden zusammen durch die Provinz. Von Castra zu Castra, und jede der syrischen Legionen schickte ihnen eine große Abordnung von Soldaten mit. Nach deiner Proklamation, Imperator, ließ sich Cornelius dann von diesen Soldaten zum Gegenkaiser ausrufen. Dabei behauptet er, die Traditionen und das Erbe Valerians zu wahren... Und er schwor seine Soldaten sogleich darauf ein, mit ihm nach Rom zu marschieren."
    Ich hoffte nur, dass Vescularius nicht zu den Herrschern gehörte, die den Boten für schlechte Nachrichten verantwortlich machten.
    "Durch seine hetzerischen Reden und durch spendable Donativa hat er alle vier Legionen und auch einige Cohortes unter sein Kommando gebracht. Der Statthalter unterstützt ihn in jeder Hinsicht, ganz besonders was die Finanzen angeht. - Cornelius hat die gesamte Legio XII Fulminata bei sich, ausserdem starke Kräfte von der XI Gallica, der XXX Ulpia, der IV Scythica, die Cohortes und die Classis Syriaca. Er hat unsere Ostgrenze empfindlich entblößt! Die Parther werden das sicher bald ausnutzen. Wenn ich einen Vorschlag machen darf, Imperator: wir sollten das öffentlich bekanntmachen. Damit ein jeder sehen kann, was für ein skupelloser Lump dieser Mann ist!"


    Ich atmete tief durch, um meinen Bericht ordentlich zu ende zu bringen.
    "Die Truppen in Iudaea und Cappadocia haben bisher noch keine Stellung bezogen. - Was Cornelius' weiteren Pläne angeht: Er ist durch die Anzahl seiner Schiffe limitiert. Zwar hat er nach seiner Proklamation hastig neue zimmern lasssen, doch sie werden nicht alle seine Truppen fassen. Und die Classis Alexandrina ist ihm trotz dem Abfall Ägyptens nicht zur Hilfe gekommen, bisher jedenfalls nicht. Cornelius muß also zumindest teilweise den Landweg nehmen. Ein Kontingent der Legionen ist bereits von Antiochia aus losmarschiert. Und in der Hinsicht konnte ich etwas sehr interessantes erfahren..." Manchmal war das Speculatorenleben eben doch spektakulär, monatelang sammelte man mühsam staubige kleine Steinchen, die sich kaum ins Mosaik fügen wollten, und dann fiel einem mit einem Mal ein funkelnder Edelstein in die Hände.
    "Cornelius plant das Übersetzen von Asien nach Europa auf einer südlichen Route. Er will nicht den Bosporus, nicht den Hellespont ansteuern. Bleibt das Mare Aegaeum. Er war ja mal Proconsul der Provinz Asia, die dortigen Häfen werden ihm vertraut sein."

    "Leider nein, Präfekt. Er ist vorsichtig." Ohne direkten Befehl hätte ich das sowieso nicht ins Auge gefasst. Er war ein Verräter, sicher, aber trotzdem ein Consular. "Es würde dem Reich viel ersparen. Wir könnten ein paar Spezialisten losschicken."
    Ich überlegte. "Und ich schlage vor, dass wir außerdem ein paar Geiseln nehmen. Der ein oder andere der Gefolgsleute des Usurpators hat Angehörige hier.... - Wenn du erlaubst, Präfekt, übernehme ich dann wie ursprünglich vorgesehen das Kommando über die zweite Kohorte?"
    Da ich schon mal da war, sprach ich aber auch das an, was mir seit meinem Zwischenstop in Misenum nicht mehr aus dem Kopf ging.
    "Ausserdem würde ich gerne den Optio Decimus Massa für den Dienst in der Garde anfordern. Ich hatte dich ja vor meiner Abreise schon auf den Mann aufmerksam gemacht. Der, den Octavius Dragonum von der Deiotariana mit zur Flotte genommen hat. Er ist ein exzellenter Soldat, wurde schon zwei mal ausgezeichnet. Und ich vertraue ihm vollkommen. Das ist, ehrlich gesagt, für mich der schwerwiegendste Punkt, Präfekt. Ich brauche genau so jemanden, der sowohl fähig ist als auch mein langjähriges Vertrauen hat, jemand der mich hier bei der Arbeit voll unterstützen kann. Gerade jetzt, wo die Lage so unruhig ist. Ich wäre dir sehr dankbar wenn du diese Versetzung bewilligst, Präfekt."
    Oh hoffentlich sah er das ein! Es war ja jetzt nicht mehr so, wie als ich die Bitte zuerst vorgebracht hatte, mittlerweile war der ein oder andere wackere Gardesoldat im Dienst verschollen oder aufgrund von Versäumnissen kaltgestellt.
    Wenn Terentius nicht einwilligte, dann müßte ich wohl oder übel meine Schwester darauf ansetzen.

    Er kam näher... und sein Blick und die Sprache seines Körpers sagten mir deutlich was er vorhatte. Da war ein Moment, in dem ich mich noch ihm entziehen wollte – wie mein nüchternes Urteilsvermögen es mir vorschrieb – doch irgendwie verstrich dieser Moment ohne das ich mich auch nur einen Zoll gerührt hätte. Das Tuch lag warm um meine Schultern, und dann seine Arme und der Atem an meinem Ohr... Ich atmete tief ein, und als ich die Luft wieder ausstieß war es als flögen damit auch all die schweren, dumpfen Dinge von mir. Welt, ich muß dir leider mitteilen: heute Nacht mußt du draussen bleiben! Ein leises Zittern ging durch mich hindurch. Dann schmiegte ich mich in seine Umarmung, lehnte meinen Kopf eng an ihn, und erlaubte es mir, ihn einfach nur zu spüren.
    Was er mit den Göttern meinte war mir nicht so ganz klar, aber es kümmerte mich gerade auch nicht. Ich lachte leise und schüttelte ansatzweise den Kopf.
    "Wenn es nach mir ginge, mein lieber... mein herrlicher, stolzer, sturer Achill..." murmelte ich, mit nur einem kleinen Hauch von Ironie, "....dann bliebest du ewig unbeweibt."


    Dass es nicht nach mir gehen würde war mir schon klar, dass es ein selbstsüchtiger, ein dummer Wunsch war auch. Wenn das mit Venusia was werden würde, wäre es ein großer Vorteil. Doch der Wunsch war nun mal da – wenn ich nur daran dachte wie zornig ich schon gewesen war, als er im Zwölfmeilenland mit diesem Beduinenmädchen geschäkert (Rumgemacht? Geschlafen? Sich in sie verguckt?!) hatte, dann konnte ich erahnen wie tief das in mir drin saß.
    Mein Atem ging schneller, ich genoß das Abschweifen seiner Hände, es entflammte mich sofort.
    "Mhmm... unbedingt!" seufzte ich, und wandte mich in seinen Armen zu ihm um. Endlich.... endlich.... trafen unsere Lippen aufeinander. Es war vertraut und aufregend zugleich – wie unendlich hatte ich das vermißt!
    Ich schlang die Arme um ihn, vergrub die Finger in seinem Haar, streichelte seinen Rücken, und so wie er eben ohne Umstände an mich herangetreten war, so küsste ich ihn sogleich heiß und gierig, mit forscher Zunge und dem unbedingten Willen, all den Ärger in um so mehr Leidenschaft zu vergessen.

    Es nahm mich gleich für Catus ein, dass er wie selbstverständlich auf meinen verkehrten Händedruck reagierte. Er wollte sich erst mal frisch machen, das war von nahem betrachtet sehr verständlich, er musste ja wirklich in den allerstaubigsten Ecken der Bibliotheken herumgekrochen sein.
    Das Niesen war gewaltig. Ich schreckte einen Schritt zurück, und erhaschte dann ebenfalls noch eine Schriftrolle, die ich an den Sklaven weiterreichte. Dabei verbiss ich mir das Lachen. Catus war irgendwie... drollig. - Was er da murmelte, was mochte das für eine Sprache sein? Griechisch war es jedenfalls nicht.
    “Nichts passiert. Also bis gleich!“
    Der Sklave half ihm, all die Schätze der Gelehrsamkeit wohlbehalten von dannen zu tragen. Ich ließ mich wieder auf der Kline nieder und verspeiste ein paar Schnecken. Dann noch etwas Lauchpastete. Dann wieder ein Stück Fisch mit extrascharfem Garum. Köstlich!
    “Aah! Ich habe Candaces Essen wirklich vermisst. Und überhaupt Rom.“ Lächelnd wandte ich mich wieder zu Varenus' Familie. Die waren so still, hoffentlich langweilten sie sich nicht. “Wie gefällt es euch bisher? Helvetia, konntest du dich auch schon etwas einleben?“

    "Also für mich klingt das eher nach der Laune eines kleinen Mädchens." Aber ich war nicht dabeigewesen. "Hm... ich frage mal die Sklaven ob irgendwas ernstes vorgefallen ist. Du hast schon recht, unsere Sklaven sollen anständig behandelt werden, und es ehrt dich dass du dir da Gedanken machst und Verantwortung für die Hausgemeinschaft übernimmst." Ganz anders als der andere Flavus. "Zu nachgiebig dürfen wir aber auch nicht mit ihnen sein, sonst tanzen sie uns auf der Nase herum!" Ich lächelte. "Ich gebe zu, bei den älteren ist das schwierig... Ja, besonders unsere alteingesessenen scheinen manchmal zu glauben, dass sie besser als wir selbst wissen was gut für uns ist."
    Pontia oder Candace etwas vorzuschreiben, das wagte ich kaum. Doch die wußten eh selbst was zu tun war.


    Flavus schien sich auf diese Tribunatsidee versteift zu haben. Ich schüttelte energisch den Kopf.
    "Nein. Eins nach dem anderen. Und ich kann auch nicht dein Privatlehrer sein, dazu fehlt mir schlicht die Zeit. - Ähm... nein, du gehörst durch deinen Vater dem Ordo Equester an, bist aber selbst nicht Eques. So wie ich durch Livianus dem Ordo Senatorius angehöre, aber selbst kein Senator bin, verstehst du? - Von Vorteil ist es aber auf jeden Fall."
    Was konnte ich ihm raten?
    "Viel, viel wichtiger als dich aufs Militär vorzubereiten ist es für dich jetzt, dich überhaupt für den ersten Schritt in den Cursus honorum zu rüsten. Profitiere von deinem Tirocinium, begleite deinen Lehrherrn wann immer es geht, pass gut auf und tu was er sagt. Sei höflich zu den wichtigen Leuten und besonders höflich zu deren Gemahlinnen. Die Matronen sind ein Einflußfaktor den du nicht unterschätzen darfst." Sagte jedenfalls meine liebe Tante Lucilla immer. Und die wußte Bescheid.
    "Bilde dich im Hinblick auf die Aufgaben der Vigintiviri und arbeite dich in die Gesetze ein die dafür wichtig sind. Den Cursus Iuris an der Schola Atheniensis abzulegen, das wäre sicher auch keine schlechte Idee."

    Er wußte was er wollte. Aber ich war mir nicht sicher ob er mich gerade auf den Arm nahm – jeder strebte doch nach Purpur.
    "Ohne ein wenig Purpur kommt man hier eben nicht sehr weit."
    Und auch nicht ans große Geld. Vielleicht hegte Varenus ja Cursus Honorum Pläne, die er aber lieber noch für sich behalten wollte?
    Ein Vorbild? Also das schmeichelte ja schon meiner Eitelkeit. Ich winkte verlegen ab. "Na komm, innerhalb der Familie muß man sich doch unterstützen, das ist doch normal.... " Flavus? "Hm ja, ich habe schon gehört dass ihr Meinungsverschiedenheiten hattet. Was war denn da los?" Flavus' Version kannte ich schon, wollte doch mal hören wie Varenus das sah.

    Das wäre schön, wenn mir nie einer widersprechen würde! Ich fürchtete, das Varenus mein Gewicht überschätzte. Im Militär hatte ich viele Verbindungen, in der Verwaltung aber nicht.
    "Sicher schreibe ich dir sowas. Aber diese Bürokraten auf dem Palatin sind ein garstiges Volk, du solltest dich darauf gefasst machen dass sie schwer zu beeindrucken sind. Schade dass Mattiacus in Athen ist." Als langjähriger Procurator a cognitionibus hätte er sicher was für Varenus deichseln können.
    "Primicerius a rationibus, im Ernst?"
    Ich schauderte. Am Geld liebte ich nur es auszugeben, und allein die Vorstellung sich freiwillig von morgens bis abends mit Zahlen zu beschäftigen war ein Graus für mich. Sowas überließ ich nur zu gerne anderen... Celeste wenn sie da war, zur Zeit Ravdushara. Da fiel mir ein dass ich mal wieder seine Bilanzen kontrollieren müßte – bei Gelegenheit... irgendwann. Ich könnte ja dann Varenus bitten mir dabei zu helfen.
    "Aber es ist wahrscheinlich ein guter Ort, um sich die Meriten für die Erhebung zum Eques zu verdienen." gab ich zu. "Gut, dann setze ich dir heute abend wenn ich wieder im Domus bin so ein Schreiben auf. Warum bist du eigentlich hierher gekommen, um mit mir zu sprechen, wolltest du mal die Castra von innen sehen?"

    Nein, ich sah wohl Gespenster. Jetzt war sie wieder ganz "da". Ich lächelte in mich hinein, es war gut dass mich niemand sah, wie ich hier händchenhaltend mit meiner großen Schwester saß... es hätte wohl kaum zum Bild eines Gardetribunen gepasst.
    "Na also... dann hört er ja doch ein bisschen auf dich." Ich stimmte in ihr Lachen mit ein.
    "Dass er so wenig Zeit hat, das wird hoffentlich besser wenn die Lage wieder stabiler ist.... Welche Gerüchte? Ich hab so viele gehört."
    Ich sah mich reflexartig nochmal um bevor ich weitersprach. "Dass ganz Syrien gegen den Kaiser rebelliert, das ist wahr. Ich war in Antiochia. Cornelius hat sich alle Truppen der Provinz unter den Nagel gerissen. Vier Legionen plus die Cohortes." Ich schnaubte. "Die eigentlich unsere Ostgrenze beschützen sollten, aber das scheint diesem machtgeilen alten Sack egal zu sein. Er hat sich zum Kaiser ausrufen lassen und will nach Rom ziehen. - Ähm. Das ist natürlich alles occultissimus. Also bitte nicht in der Acta schreiben, ja?"

    Bei diesen Betrachtungen verspürte ich eine leichte Ungeduld. So dringend schien das ja nicht zu sein, was meinen Vetter hier her geführt hatte. Er suchte also nach einer Aufgabe, nun gut, Rom war ein Meer der Möglichkeiten für einen Mann wie ihn.
    Eine gute Wahl? Ich legte den Kopf schief. Sicher, ich fand auch dass ich wofür auch immer eine gute Wahl war, und in meiner Tribunenrüstung (attischer Stil, Akanthus-Thema, Familienwappen-Motiv) eine wirklich gute Figur machte, aber mir war schon bewußt, dass er mir gerade schmeichelte.
    "Ja, ich verstehe. Wie kann ich dir helfen? Was für eine Aufgabe schwebt dir vor?"

    Alter Soldat... das war schmerzlich. Nicht sehr. Nur ein Nadelstich. Doch in letzter Zeit verspürte ich zunehmend solche Nadelstiche. Vielleicht lag es daran, dass für mich langsam der Eintritt in die nächste Dekade in Sicht war.
    "Wie Vieh?!" wiederholte ich bestürzt. "Was hat er gemacht, hat er sie ohne Grund geschlagen?"
    Das konnte ich mir gar nicht vorstellen, Varenus wirkte doch ganz vernünftig.
    Cursus, Legion... wie?
    "Wie meinst du das?" fragte ich. "Cursus honorum? Das Tribunat? Aber das dauert doch noch. Du bist noch viel zu jung und unerfahren, die Legionäre würden dich zum Frühstück essen." War vielleicht drastisch gesagt, aber nun mal die Wahrheit. "Mach erst mal dein Tirocinium ordentlich zu Ende. Dann müssen wir dafür sorgen dass du den Ordo senatorius erhältst. Dann lässt du dich zum Vigintivir wählen. Und erst dann gehst du ins Tribunat."

    Es klang nicht gerade begeistert. Aber was sollte man erwarten? Ich hatte ja doch irgendwie gehofft, dass die Ehe ihr gut tun würde... dass die lockere Art Terentius' ein ganz klein wenig auf sie abfärben würde, oder so. Aber besonders locker war er wohl auch schon lange nicht mehr.
    "Hm ja. Ist er wenigstens nett und anständig zu dir?" erkundigte ich mich, etwas besorgt ob dieser spärlichen Auskunft, und auch weil meine Schwester so sehr in sich gekehrt war. Sehr weit weg. Ich drückte wieder ihre Hand, wie um zu sagen Seiana, hier bin ich.
    Bildete ich mir das ein oder... oder war es wirklich jedes Mal wenn ich zurückkam wieder ein Stück ärger, mit dieser Kühle, dieser unbeteiligten Art.

    "Sie tut das alles zum Wohl der Gens...!" Ich stand da, mit zusammengekrampften Fäusten, und starrte ihn wütend an. Trotz meines Zorns – ich konnte nicht die Augen von ihm lassen, wie er aus dem Wasser stieg. Wie die Tropfen über seinen Körper liefen. Wie er sich abtrocknete. Ich nagte an meiner Unterlippe.
    Er wollte sich nicht mehr einmischen. Fast verzweifelt stiess ich die Luft aus, fluchte.
    "Scheisse! So hab ich das doch nicht gemeint!" Jetzt war ich also Teil der Hispania-Fraktion!
    Noch immer trug er das Fortuna-Amulett... vor seiner genau richtig muskulösen Brust. Ich schluckte, senkte dann den Blick, überkommen von Erinnerungen. Am besten ich ging jetzt in dieses Gästezimmer, sonst sagte ich nur noch mehr zerstörerisches.
    Langsam, wie gegen einen Widerstand, setzte ich mich in Bewegung... blieb wieder stehen als er von Venusia sprach. Ich zuckte die Schultern. "Vergiss es. War nur ne Idee." Meine Stimme war leise, als hätte das Herumbrüllen mich alle Kraft gekostet. Ich gab mir einen Ruck, und ihm eine ordentliche Antwort. "Ich mein ja nur. Klar wäre es ungewöhnlich. Aber sobald du Centurio bist, bekommst du leicht ne Ausnahmeerlaubnis. Und Venusia braucht wieder einen Mann. Sie ist einsam, das sieht man ja, und ihr hab euch doch gut verstanden, oder? Ausserdem hast du eine Menge..." Ich wandte mich zu ihm und musterte ihn mit schmalen Augen. "...Vorzüge."
    Ein Brief? Dann stand das sogar schwarz auf weiß? Ach herje.
    "Besser nicht glaube ich..." Betreten verschränkte ich die Arme vor dem Körper. Es war kalt. Ich sah von unten zu ihm auf, ach so unschlüssig. Was murmelte er da? "Hm?"

    "Ja. Unbedingt." antwortete ich ohne Zögern.
    "Doch zuvor noch eine andere Aufgabe. Ich würde mich gerne mit der Dame..." Mein Blick lag auf den Notizen. Tiberia Albina? Senatorengattin, Frau des ungeheuer populären Purgitius. Flavia Nigrina? Hausgast des Imperators. Oder Aurelia Prisca. Verwitwet. "...Aurelia Prisca unterhalten. Laut den letzten Informationen lebt sie noch immer in der Stadtvilla Flavia. Bring sie bitte hierher." Ich umfing mein Officium mit einer Handbewegung. "Wenn möglich mit aller Höflichkeit, ansonsten mit Nachdruck. Das wäre dann alles Optio."

    "Danke Procurator."
    Ich wartete, schwer beeindruckt von all der Pracht um mich herum, und wie stets wenn ich mit dem Präfekten zu tun hatte ein bisschen nervös. Imperator, nicht Präfekt. Besser nicht verwechseln.


    Die Rebellion schien ihm die Laune nicht verdorben zu haben. Ich nahm Haltung an, salutierte, und obgleich ich Iovialität von ihm gewohnt war verblüffte mich das Schulterklopfen reichlich. Aber es schmeichelte mir! Das könnte ich mal Seianas Enkeln erzählen: "und dann, ja, dann klopfte der Imperator mir auf die Schulter".
    "Ave Imperator Vescularius." Ich lächelte angespannt. "Ja, Antiochia ist wirklich eine Reise wert. Es war sehr informativ dort."
    Ein Lorbeerkranz. Es hätte mich nicht wundern sollen, doch ich hatte Mühe nicht irritiert darauf zu starren. An wen erinnerte er mich nur damit....? Per omnes deos, jetzt fiel es mir ein: an Voluptarianus Suavis natürlich! Besser nicht verwechseln.

    Wie schön mal wieder raus aus der Stadt zu kommen! Wohlwollend betrachtete ich das ländliche Leben und mutmaßte wie das wohl wäre, auf einem unserer Landgüter zu leben, umgeben von goldenen Kornfeldern und lieblichen Olivenhainen. Dazu vielköpfige Herden, und ein paar edle Pferde auf der Weide. Keine Verbrechen, keine Verschwörer, keine Verhöre, immer gute Luft. Tag für Tag Ruhe und Frieden. Tag für Tag die selben Gesichter. Einmal im Monat im Provinzstädtchen eine schlechte Theatervorführung sehen. Ich würde mich zu Tode langweilen.
    Wir ritten jetzt auf einem Höhenweg, der uns tiefer in die Albaner Berge hineinführte. Zu unserer linken fielen die Weinberge ins Tal ab, eine sanft geschwungen Woge von frühlingsgrünen Reben. Rechts erstreckte sich lichter Pinienwald. Es roch nach Holz und Harz. Ich atmete tief ein. Allein um dieses Weges Willen hatte sich der Ausflug schon gelohnt, aber ich hoffte natürlich, dass er auch sonst von Erfolg gekrönt sein. Denn dieser Zustand jetzt war einfach unerträglich. Wenn ich nur an den Spott in Endymions Augen dachte – ich hätte ihn würgen können! Und alleine bei dem Gedanken an Austern wurde mir schon schlecht. Nein, das ging so nicht weiter.


    Ich warf einen Blick über die Schulter zu meinen Sklaven – schien alles in Ordnung – dann schweifte mein Auge wieder schwärmerisch über die Landschaft. Hoch oben in der Bläue erblickte ich einen Raubvogel. Auf weitgestreckten Schwingen glitt er dahin, kam näher und flog über unsere Köpfe hinweg. Den Kopf in den Nacken gelegt bewunderte ich die Eleganz dieses Auftrittes. Er hatte rötliches Gefieder und einen gegabelten Schwanz. Solche gab es auch bei meinem Großvater in der Sierra Teixeta.
    "Sieh mal, ein roter Milan!" sagte ich ganz entzückt zu Lupus. Ob das ein gutes Omen war? Genau in diesem Moment schoß der Raubvogel wie ein von der Sehne geschnellter Pfeil zu Boden, im nächsten Augenblick schwang er sich erneut empor, etwas kleines zappelndes in den Krallen. Das war bestimmt ein Omen, doch ob gut oder schlecht wußte ich nicht zu deuten. Ich berührte schnell das Serapis-Amulett an meiner Brust, um mögliches Unheil fernzuhalten.


    Der Pinienwald trat zurück, machte einer großen Wiese Platz, auf der sehr viel Lavendel wuchs. Es duftete herrlich. Bienen umsummten die violetten Blüten. Am anderen Ende, etwa ein stadion entfernt, markierte eine buntbemalte Herme den nächsten Kreuzweg.
    "Wer zuerst dort drüben ist!" forderte ich, auf die Herme deutend, meine Begleiter auf. Das war nicht so ganz fair, denn ich hatte natürlich das beste Pferd von allen, aber egal... lachend ließ ich Tertia angaloppieren, sprengte übermütig über die Wiese.