Beiträge von Faustus Decimus Serapio

    "Tot?!!" Entgeistert starte ich in das feiste Gesicht des Kerkermeisters.
    "Tot." widerholte er stumpfsinnig.
    "Aber... aber er war doch unser einziger Zeuge." Der Optio blieb ungerührt. Mir platzte der Kragen. Das konnte nicht wahr sein! "Wie, wie zum Cerberus, konntest du RINDVIEH unseren einzigen Zeugen einfach KREPIEREN lassen??!"
    Ich hieb mit der Faust gegen die Gitter der leeren Zelle, in der sich vor unserem Abmarsch der "Perser" befunden hatte, der kostbare Gefangene, von dem ich geglaubt hatte, dass er der Schlüssel sein würde, den mysteriösen Iunia-Urgulania-Mord doch noch aufzuklären. Nichts da. Klong machten die Gitter, und der Kerkermeister sah mich aus seinen trüben Augen vorwurfsvoll an, 200 Pfund gekränkte Unschuld.


    "Wie ist er zu Tode gekommen?" fragte ich schließlich, mich mühsam zur Raison rufend.
    "Er hat die Verhöre schlecht verkraftet. Wurde krank und starb."
    "Du hast ihn weiter verhört?
    "Wie du es befohlen hast, Tribun."
    Verdammt. Ja, ich hatte es dem Optio Carceri aufgetragen, den Perser weiteren Verhören zu unterziehen, denn er war hier geblieben, als wir uns in die Wüste aufgemacht hatten.
    "Scharf verhört."
    Er nickte. Wohl zu scharf, für den Gefangenen. So eine Scheiße! Und ich war SO dicht dran gewesen. Als ich die geheime Botschaft entschlüsselt hatte, und der Perser zugab, den Mord vermittelt zu haben... Aber dann hüllte er sich wieder in Schweigen, und jetzt würde kein Verhör der Welt, ihn noch was entlocken können.
    "Hast du noch irgendwas aus ihm rausgebracht?" erkundigte ich mich übellaunig.
    "Moment." Der Optio konsultierte eine speckige Kladde. "Nur wirres Zeug. Sieh selbst, Tribun. Er war sehr widerspenstig. Am Ende hat er sogar behauptet, die Iunia selbst habe ihn engagiert..."
    "Sowas lächerliches habe ich noch nie gehört! Verhören solltest du ihn, die Wahrheit aus ihm rausbringen, nicht foltern bis er irgendeinen absurden Humbug erzählt. Und schon gar nicht umbringen!! Aufgrund Deiner Unfähigkeit, Optio, müssen wir diesen Fall ungelöst zu den Akten legen!"


    Und das tat ich dann auch. Iunia Urgulania, Römerin von zweifelhaftem Ruf, hatte in Alexandria eine rasante politische Karriere gemacht, und ihre Differenzen mit dem Statthalter gepflegt. Bis sie eines Morgens tot vor dem Tempel der Tyche lag, "Hure Alexandrias" in den Bauch geritzt, ein Cingulum militare daneben. Ein dubioser parthischer Händler hatte zugegeben den Mordauftrag vermittelt zu haben. An einen gewissen Menekles, der trotz intensiver Suche unauffindbar war. Aber wer dahintersteckte, hinter diesem Schau-mord.... Die junge Verwandte der Urgulania beschuldigte den Statthalter, das taten auch die Leute in Rhakotis, ich vermutete, dass Demetrios Bagaeos ein parthischer Spion gewesen war, der hier die Unruhen schüren sollte, andere glaubten an einen Machtkampf zwischen den Prytanen, oder an eine Intrige der Prytanen gegen den Statthalter, andere an die Machenschaften romfeindlicher Geheimbünde, andere an einen eifersüchtigen Liebhaber.
    Aber wie es wirklich gewesen war, das würde wohl für immer im Dunkeln bleiben.

    Einer der Gründe, warum wir die Welt beherrschen, war ich. Hach! Das ging mir runter wie Honig. Ein Lob aus solchem Munde war ja noch tausendmal mehr wert, als der Applaus parfümierter Zivilisten. (Nicht, dass ich etwas gegen den Applaus einzuwenden gehabt hätte.) Ach, wenn doch meine selige Mutter mich jetzt hätte sehen können – sie wäre mächtig stolz gewesen!
    Just reichte mir einer der Diener ein Glas Wein, und ich prostete Terentius freudig zurück. Dem Iulier nickte ich höflich zu und grüßte "Salve Iulius." Aber schon im nächsten Moment hätte ich nicht mehr sagen können wie er aussah, denn er hatte ein echtes Dutzendgesicht.
    Die Frauen schienen eher schmückendes Beiwerk zu sein. Hmm... wenn das hier üblich war, dann hätte ich doch eigentlich Celeste mitbringen sollen. Zu dumm dass ich nicht auf diese Idee gekommen war...


    Nun begrüßte uns der Gastgeber. Eine charismatische Erscheinung, fand ich, und seine Ausdrucksweise war genauso blumig bis ölig, wie ich mir das bei einem Prytanen vorstellte. Manche Klischees entsprachen eben doch der Wahrheit.
    "Vielen Dank, werter Gymnasiarchos!" sprach ich lächelnd und behauptete, ohne mit der Wimper zu zucken: "Es ist uns eine große Freude heute hierzusein, ganz im Geiste der römisch-alexandrinischen Freundschaft. Präfekt Octavius wird leider von seinen mannigfaltigen Pflichten in Nikopolis festgehalten, doch er hat mir eingeschärft, dir seine besten Grüße zu überbringen."
    Essen und trinken sollten wir, das mußte man den Soldaten nicht zweimal sagen. Ich selbst hob mein Glas gen Gastgeber und trank einen Schluck des vortrefflichen Weines, aber Hunger hatte ich nicht im Geringsten. Schon seit längerem litt ich an Appetitlosigkeit.
    "Ihr habt es gehört" gab ich die Aufforderung an meine Begleiter weiter, und bedeutete ihnen, sich unters Volk zu mischen. Ausser Massa. Schließlich musste ich diese günstige Gelegenheit nutzen, um ihn mit dem mächtigen Praefectus Aegypti bekannt zu machen. Und so wartete ich bis des Gymnasiarchos' Begrüßung vollendet und erwidert war, um dann erneut das Wort zu ergreifen.


    "Präfekt Terentius, Gymnasiarchos Cleonymus, erlaubt, dass ich euch meinen Vetter vorstelle, den Optio Appius Decimus Massa. Er stammt aus Athen, und ist sowohl in der hellenischen als auch der römischen Welt zu Hause." Und zu Massa meinte ich erklärend: "In Parthien damals, diente ich unter dem Präfekten. Bei der Einnahme von Circesium." Ich dachte mir, es könnte nicht schaden, Terentius' großen Erfolg im Felde mal beiläufig zu erwähnen. Ob er den aktiven Dienst wohl vermisste? Ich hätte 'nein' geraten, er sah so rundrum selbstzufrieden aus.


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    Oha!! Einen solchen Empfang hätte ich mir ja nicht zu erträumen gewagt. Wo die Alexandriner doch für gewöhnlich unseren Einsatz als Schutzmacht wenig zu schätzen wussten. Aber hier, in den gehobenen, gebildeten Kreisen sah es wohl anders aus. Eine gelinde Röte stieg mir ins Gesicht, als ich, meine Leute hinter mir, von Applaus umbrandet, den Festgarten betrat.
    "Herzlichen Dank für diesen überwältigenden Empfang!" entgegnete ich, so allgemein in die Runde, wobei ich mich in Positur warf. "Ihr erweist uns große Ehre! Aber wir haben lediglich unsere Pflicht getan."
    An so was könnte ich mich gewöhnen! Aber ich muß sagen, ich war froh, Massa, der sich mit griechischen Gepflogenheiten auskannte, an meiner Seite zu wissen. Meine Erfahrungen in der Hinsicht stammten eher von pseudogriechischen Symposien in Rom, und die Veranstaltung hier war natürlich ungleich respektabler.
    Und wie schön der Garten war. Märchenhaft! Man hörte ja so einiges über dieses Gasthaus, vor allem über die gesalzenen Preise, aber das Ambiente schien es wert zu sein. Und der Gastgeber, über den ich mich im Vorfeld ein wenig informiert hatte, war anscheinend auch kein ganz alltäglicher Mann, sondern einer, der es aus dem Nichts heraus zu viel gebracht hatte. Aber wer von all diesen alten, bärtigen, für römische Geschmäcker ziemlich schrill herausgeputzten Alexandrinern war denn nun der Gymnasiarchos?
    Ein bekanntes Gesicht stach jedenfalls gleich aus der Menge heraus: der Statthalter.
    "Ave Präfekt Terentius!" grüßte ich schneidig, und es war mir echt unangenehm, dass ich, mit dem rechten Arm in der Schlinge, nicht korrekt salutieren konnte.

    Darauf war ich nicht gefasst, auf etwas so... zärtliches...... und irgendetwas in mir, etwas sanftes und leichtes, erbebte bei dieser Geste, diesem Kuss. Halb erfreut, halb verunsichert – war denn alles wieder so wie vor dem Erscheinen der Störenfriedin... - lächelte ich zurück. Den Kopf in die Linke gestützt verfolgte ich Massa mit den Augen. Wie er den Helm aufsetzte, sich in die Pflicht wappnete und hinausging.
    Kaum dass er weg war, begann der Zweifel zu nagen. War es nicht vielmehr Mitleid, was ihn zu diesem Verhalten bewog? Der Wunsch, den armen trübsinnigen Invaliden ein wenig aufzumuntern... oder so. Feindselig stierte ich auf meinen kaputten Arm. Ach! Ich hätte in Rom bleiben sollen, anstatt in Ägypten Abenteuer und Exotik zu suchen, dann wäre das alles nicht passiert.


    Erschöpft sank ich in einen unruhigen Schlaf, aus dem mich irgendwann die Rückkehr meines Sklaven weckte. Er hatte einen Steinmetz im Schlepptau, mit dem regelte ich noch, dass Menas und die anderen Gefallenen meiner Kohorte angemessene Kenotaphen bekommen würden.
    Und auch das verlangte Opium hatte Ravdushara aufgetrieben. Das erleichterte mir die Rückreise ganz ungemein.


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    Bereits der Ianitor fiel mir angenehm auf, in seinem altertümlichen Kostüm machte er eine wirklich gute Figur... Hoplitentracht ist ja auch sehr kleidsam. Noch kleidsamer fand ich, so direkt daneben im Vergleich, Massas Paradekluft, besonders die schicken Lunulae – aber das mochte auch am Träger liegen.


    Wir traten durch das Tor in das schöne Anwesen und wurden sogleich begrüßt – war das etwa schon der Gymnasiarchos? Nein, wohl nur sein Zeremonienmeister. Jedenfalls war er gut informiert. Mich vorzustellen war nicht mehr nörtig.
    "Salve. Aber sicher. Dies ist Optio Decimus Massa. Dies Duplicarius Visellius Imbrex, Miles Rabuleius, Miles Asconius, Miles Numonius. Allesamt für hervoragende Tapferkeit auf dem Feldzug ausgezeichnet."
    Ja, auserlesene Soldaten. Gutaussehend sowieso (natürlich hatte ich nur gutaussehende ausgewählt) und einer heroischer als der andere. Massa glänzte, Visellius war ein markiger Veteran, der unzählige Soldatengeschichten zu erzählen wußte, Rabuleius hatte ein dröhnendes Lachen, das so gut wie jeden anstecken konnte, wenn er es erschallen ließ, und Asconius und Numonius hatten einen ganz besonders hohen dekorativen Wert. Den Tiro, geschweige denn den Sklaven stellte ich natürlich nicht vor.
    Aber ob der Empfangsdiener sich das alles merken konnte?

    Wohl war. Obwohl mir das Temperament zur Zeit ein wenig abhanden gekommen war... und sich eher in erhöhter Reizbarkeit äußerte.
    "Und die Achaier erst....." konterte ich mit ernsthafter Miene, ganz unschuldig, bis auf das leise Lächeln in den Augen.


    "Jaha, Celeste... Sie hat mir mal in Rom bei einer Ermittlung geholfen. Ich war damals einer Gruppe übler Verschwörer aus der Christianersekte auf der Spur... hab sie leider nicht erwischt... aber so hab ich Celeste kennengelernt. Ich mach dich mit ihr bekannt, wenn wir wieder zurück sind." – Moment. Bei genauerer Betrachtung schien es mir keine gute Idee zu sein, Massa, den schnell entflammbaren, kaum dass die Wüstenblume passé war, gleich mit einem noch viel hübscheren Mädchen zusammenzubringen. Andererseits... nein, gerade um mir selbst zu beweisen, dass ich über solche albernen, vollkommen unangebracht Besitz-ergreifenden Impulse hinaus war, würde ich ihm Celeste vorstellen. Ganz locker, ganz abgeklärt, ganz...
    ...sein Haar fühlte sich wunderbar an, zwischen meinen Fingern. Ich ließ die Hand hindurchgleiten, sicherer durch sein Lächeln. "Der Schatten der Familie, ich kenn das Problem... Aber Du bist groß, du wirfst doch schon jetzt deinen eigenen Schatten..."


    Er zeigte mir seine Narbe. Sie sah gut verheilt aus, geradezu harmlos. Ich hatte ein Bild vor Augen von ihm, blutüberströmt... wie aus einem Alptraum. Bei allen Göttern, wie war ich froh, dass er noch hier war, und nicht irgendwo in der Wüste verscharrt... Meine Kehle war eng. Ich nickte stumm und vergrub meine Hand sanft tiefer in seinem Haar.
    Geduld war noch nie eine meiner Stärken gewesen. Aber so charmant hatte mich auch noch nie jemand zur Geduld gemahnt. Ich lächelte schief, halbgequält, halberfreut, und ließ mich halbentschlossen auf die Umarmung ein. Es tat enorm gut, und – Stück für Stück – mit jedem Atemzug, fiel die Anspannung, die sich um mich herum zusammengeballt hatte, weiter von mir ab. Und auch der Schmerz war viel... zahmer geworde. Ich schloß die Augen. Wandte Massa mein Gesicht zu, den Kopf halbgeneigt... bis ich sein Haar auf meiner Wange spürte, und auf meinen geschlossenen Lidern, ganz leicht. Draussen rauschte der große Strom, und das Schiff schwankte ein wenig. Ich hörte ihn atmen. Aquila. Ist gut verheilt. Sie tun ihr möglichstes. Du wirst gesund. Es geht nach Hause. Aquila...
    Der Moment zog vorüber, er hinterließ eine große Erleichterung und eine bleierne Müdigkeit.
    "Nein, der Tribun, der hat nichts weiter zu besprechen." murmelte ich schläfrig und richtete mich langsam auf, ließ die Hand über Massas Oberarm herabgleiten. Noch ein kurzes Streicheln, dann löste ich mich von ihm, und in dem Augenblick schoß es mir durch den Kopf: Er könnte alles von mir verlangen. Alles auf der Welt!
    "Also dann."

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    Es war ein warmer Abend, die Mauern der Stadthäuser strahlten noch die Hitze des Tages ab, doch die Luft war angenehm, salzig, und durch die breiten geraden Straßen ging ein leichter Wind. Alexandria war so ganz anders als Rom, in dessen verwinkelten Gassen sich im Sommer die üblen Dünste stauten. Üppige Blumenkaskaden überwucherten die Mauern, die Zikaden sangen und die Palmen wiegten ihre Blätter raschelnd vor dem dämmrig blauen Himmel. Hoch zu Ross traf ich vor dem Kapeleion Archaon ein, mir folgten die Soldaten, die ich ausgesucht hatte, um mit mir unsere glorreiche Legion auf diesem Fest zu vertreten und den Prytanen, und natürlich den Alexandrinern im Allgemeinen, vor Augen zu führen was für Prachtkerle wir doch waren.
    Heute Abend ging es um den schönen Schein, darum war Paradekluft und Hochglanz angesagt. Ich trug meinen Prunkharnisch mit den golden schimmernden Bronzeornamenten, und den Paradehelm, desen Grat von Mars, Bellona, Fortuna und dem wallenden scharlachroten Federbusch geziert wurde. Um meine Schultern lag ein neues Paludamentum, und das Fell meiner Schimmelstute war blank gestriegelt, weiß wie frisch gefallener Schnee. Im Gegensatz zu meiner prachtvollen Ausstaffierung, machte ich selbst, fahl und ausgezehrt, leider gar nicht viel her. Den rechten Arm trug ich noch immer in der Schlinge, und da ich, in dem Bestreben heute klar im Kopf zu sein, kaum Opium genommen hatte, nagte wieder der Wundschmerz an mir.


    "Milites" sprach ich mit verkniffener Miene zu meiner kleinen Vexillatio, "wir sind hier eingeladen, der Gymnasiarchos macht ein Fest anlässlich unseres Sieges. Also lasst euch feiern, das haben wir ja auch verdient, lasst es euch wohlsein, aaaber vergesst nicht, wir paar Männer hier vertreten heute Abend den Präfekten und unsere gesamte Legion. Alles was wir tun, fällt auf unsere gesamte Legion zurück. Und ihr wisst ja wie verflixt empfindlich die Alexandriner sein können. Also zeigt euch von euer besten Seite."


    Mit der Linken hielt ich mich am Sattelknauf fest, und schwang mich umständlich vom Pferd. Die Zügel drückte ich dem Tiro – wie hieß er nochmal, Atius oder so - in die Hand (der war dabei, um genau solche Handlangerdienste zu verrichten, während wir Kriegshelden uns feiern ließen.)
    Mein Leibsklave drapierte noch schnell das Paludamentum neu um meine Schultern, dann wandte ich mich zu Massa (der war natürlich meine erste Wahl für diese Mission gewesen, als Römer griechischer Herkunft und Held des Feldzuges - das war perfekt.)
    "Optio, bitte kündige uns an."

    Ich mochte die Rede. Kurz und ungeschönt, aber patriotisch. Ich brüllte mit den anderen Roma Victrix und bejubelte die Beförderten – ganz besonders natürlich Massa. Optio! Das freute mich unheimlich für ihn.
    Was mir weniger zusagte, war die flächendeckende Verteilung der Phalerae, denn auch wenn wir uns im Großen und Ganzen gut geschlagen hatten, gab es da doch einige Milites, die auf den Feldzug nicht gerade geglänzt hatten. Die dritte Centurie meiner Cohorte zum Beispiel, oder der Artorier, der seltsamerweise genau dann urplötzlich erkrankt war, als es gefährlich wurde. Unwillkürlich furchte ich die Stirn. Solche Drückeberger hatten meiner Meinung nach etwas ganz anderes als Orden verdient.
    Und heiß war es, elendiglich heiß war mir. Die Schweißtropfen rannen mir kitzelnd zwischen den Schulterblättern hinunter. Ich verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen, konzentrierte mich auf einen festen Punkt in der Ferne, kämpfte gegen das flaue Gefühl an. Die Geräusche der Umgebung verschmolzen – wie wohltuend wäre es jetzt, in meinem Garten, neben dem kühlen Springbrunnen, ein wenig Opium zu mir zu nehmen... - und erst als Tribun Collatinus neben mir gravitätisch seine Schultern straffte, bemerkte ich, dass der Präfekt nun in unsere Richtung sah. Haltung, Faustus. Ich hoffte, dass das Füllhorn des Präfekten auch etwas für mich enthielt, etwas dass ich meiner Gens dann vorweisen könnte.

    Zitat

    Original von Tiberius Octavius Dragonum
    Sacrativir nickte kurz zustimmend, doch dan schien ihm noch etwas einzufallen ...
    "Aber natürlich Tribunus, übrigens bat mich der Praefectus dir eine neue Aufgabe zuzuteilen, die eher als Erholung als als wirklicher Auftrag zu sehen ist, wie er meinte ... dieser Brief hier traf Gestern ein und der Paefectus wünscht das du an seiner statt dort auftauchst und ihn und die XXII würdig vertrittst, während er sich um die Neuformierung der Kohorten kümmert!"


    Der Adjutant überreichte die Einladung des Gymniasarchen und lächelte freundlich, da dem Tribun der sorgenschwangere Blick scheinbar nicht gefallen hatte ...


    "Der Praefectus erhofft sich eine gute Beziehung zu den höher gestellten Persöhnlichkeiten der Polis und freut sich bereits darauf von dir eine Einschätzung der selbigen zu erfahren! ... Soll ich dann also eine Zusage aufsetzen?"


    Das falsche Lächeln konnte er sich sparen! Ich ließ es an meiner ausdruckslosen Miene abprallen und nahm den Brief mit dem "nicht wirklichen Auftrag" widerwillig entgegen. Zum Glück war er nicht verschnürt. Ich entrollte ihn umständlich und las. Anscheinend hatte Octavius mich nach meinem gestrigen Auftritt abgeschrieben und beschlossen, mir keine ernsthaften Aufgaben mehr anzuvertrauen, statt dessen schob man mir irgend so einen gesellschaftlichen Kram zu. Ich konnte mir schon denken, dass der Präfekt keine Lust hatte, selbst den ganzen Abend mit einem Haufen aufgeblasener Lokalgrößen zu verbringen.
    "Tu das, Centurio." antwortete ich, und ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen machte ich mich auf den Weg zu meinem Officium – statt ins Valetudinarium, was jetzt nach Schwäche ausgesehen hätte.
    Würdig vertreten. Ich hatte die kleine Spitze sehr genau bemerkt. Ich war ganz klar in Ungnade beim Präfekten gefallen, sonst hätte sein Adjutant sich solche Freiheiten nicht herausgenommen. Aber ich würde ihnen schon zeigen, dass mit mir noch zu rechnen war.


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    "Sie ist ein Schatz. Ein kostbarer Schatz! Ich hoffe nur der Quintilier zeigt sich ihrer würdig."
    Die einzige Frau, der ich etwas abgewinnen konnte... nachdenklich legte ich den Kopf schief und widersprach: "Nein, da wären auch noch Tante Lucilla, Tante Venusia und Großtante Drusilla... und Tante Anteia und Cousine Flava und... - naja, Familie eben." Das war ja ganz was anderes. "Die Decima-Frauen sind halt was besonderes. Die haben Temperament! - Und ausserdem meine Scriba. Celeste. Sie ist gewitzt, und aussergewöhnlich. Aber die allermeisten Frauen sind doch todlangweilige Erscheinungen. Hübschfrisierte Hohlköpfchen, ohne Feuer, eine wie die andere, ohne einen einzigen originellen Gedanken..."
    Hatte ich Vorurteile? Nein, Erfahrungswerte! Ausnahmen gab es, aber sie waren selten. Auf eine Meditrinalienathene kamen nun mal zehn geistlose Heimchen.


    "Das kann ja später noch folgen." warf ich zur Militia Equestris ein. Und voll Überzeugung, Massa schwärmerisch betrachtend, bestätigte ich: "Ich bin sicher, du wirst noch groß rauskommen! Du... -" strahlst wie ein Achilles inmitten namenloser Soldaten, das muß doch jeder sehen, der nicht blind ist... "..machst das schon. Geht eben Schritt für Schritt... waah, jetzt red ich schon wie die verdammten Medici!"
    Ich brach mit einem halbverlegenen Lachen ab, und streckte halbentschlossen die Linke nach den braunen Locken aus. Endlich... Ich fuhr mit dem Handrücken darüber, zauste sie langsam, halbspielerisch. Es war wohl der Tag der halben Sachen. Dabei plauderte ich weiter, als wäre nichts.
    "Sagen die das auch immer zu dir? So ein Stuß, ich kanns nicht mehr hören..."

    Um eine gute Figur zu machen, hatte ich mich zum ersten Mal wieder in meinen Harnisch gequält. Leider schien er sich in der Zwischenzeit in Blei verwandelt zu haben. Das mittlerweile gewaschene und geflickte Paludamentum war über meine rechten Schulter drapiert, und verbarg den kaputten Arm, und mein Helm war ausgebessert, neu befiedert und auf Hochglanz poliert. So stand ich beim Stab, und hoffte inständig, dass der Appell schnell über die Bühne gehen würde denn, so jämmerlich das auch klingen mag, das Stehen in Rüstung in der heißen Sonne ging jetzt schon über meine Kräfte und ich hatte Bedenken irgendwann schmachvoll aus den Calcei zu kippen.
    Der Aufmarsch war schön anzusehen. Aber er führte mir schmerzlich vor Augen wie klein meine Kohorte - wenn sie denn überhaupt noch meine Kohorte war... - geworden war.

    Irritiert schlug ich die Augen auf und musterte den Centurio. Was berechtigte ihn dazu, mich so vertraulich anzusprechen?! Er mochte der Adjutant des Präfekten sein, und ich hatte es vielleicht gestern ein bisschen übertrieben mit dem Schmerzmittel, aber.... ich fand es ausgesprochen respektlos. Und dann dieser betroffene Blick. Als wäre ich ein krankes Pferd.
    "Salve Centurio." entgegnete ich kühl. "Danke gut. Und wie fühlst Du Dich heute? - Ja, richte dem Präfekten aus, dass ich wieder diensttauglich bin." Mit diesen Worten erhob ich mich schwungvoll – worauf mir ganz schummrig wurde und ich schnell mit der Linken nach dem Türrahmen griff, um mich festzuhalten. "Für Verwaltungskram und so..." murmelte ich, während die schwarzen Punkte vor meinen Augen tanzten. So ein Mist...

    "Den Eindruck hab ich auch gewonnen... er ist etwa... - He! Denk nicht mal dran!" Bei meiner Schwester verstand ich keinen Spaß! Ich zog eine halb scherzhafte bedrohliche Grimasse, und fletschte die Zähne, aber dieses Lächeln, und dieser Blick nahmen mir sogleich wieder den Wind aus den Segeln.
    "Du bist aber nicht sittsam!" neckte ich Massa, "Also, soweit ich mich erinnern kann... Glücklicherweise."
    Und einen Augenblick lang schwelgte ich in den aufregenden Erinnerungen, die uns verbanden, war ganz sorglos und träumte davon, gemeinsam mit Massa die Vergnügungen Roms auszukosten. Ich genoß die Bilder, die er mit seinen schwärmerischen Worten vor meinem inneren Auge entstehen ließ...
    "Hm... das würd ich an Deiner Stelle dann machen, wenn Du weißt, wie genau es weitergeht. Was ist eigentlich Dein Ziel? Die Militia Equestris? Die Garde?"
    Eigentlich könnte doch Massa es übernehmen, ein glorreicher Feldherr zu werden.

    Darauf folgten andere wirre Träume, an die ich mich beim Erwachen nicht mehr erinnern konnte. Es war noch sehr früh. Das Erwachen, eine Qual! Die Schmerzen, die ich in den Vortagen während der Schiffsreise reichlich beträubt hatte, waren zurückgekehrt, widerlicher denn je. Mir war übel, meine Zunge klebte am ausgedörrten Gaumen, und die ganze Häßlichkeit des Seins strömte in all ihrer grausamen Macht auf mich ein.
    Pontia machte mir einen Kräutersud, den ich gierig trank. Meine Gedanken kreisten nur um eines: Opium. Doch als ich Ravdushara anwies, mir eine neue Pfeife zu stopfen, zierte er sich und wandte ein:
    "Der Präfekt hat aber doch gesagt..."
    Ja, da war etwas gewesen. Ich tastete mich durch den Nebel meiner verschwommenen Erinnerung – bei Phobos!! Am Mareotishafen! Wie hatte ich mich nur so unverzeihlich danebenbenehmen können?! Ich ächzte, gequält von der Erinnerung an mein beschämendes Fehlverhalten gegenüber dem Kommandanten und befahl widerstrebend:
    "Dann... nur zwanzig Tropfen Mohnsaft."
    Das war die Dosis, die die Medici mir zugestanden, und sie war lachhaft gering. Ich merkte gar nichts davon! Jede Bewegung war mühsam und schmerzhaft. Ich erschrak, als ich mein Gesicht im Spiegel sah, so ausgezehrt war ich geworden. Aber allein beim Gedanken an Essen drehte sich mir schon der Magen um. Das Waschen, das Ankleiden waren eine nervtötende Prozedur, und der Gang zur Latrine auch nicht gerade eine Freude. Das schlimmste war, dass heute ein Verbandswechsel anstand! Aber zuallererst mußte ich in die Principa, zum Präfekten, und irgendwie versuchen, das Desaster vom Vortag abzumildern...


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    ...einem Morgen wie er elender nicht hätte sein können, schleppte ich mich zerknirscht in die Principa, und ließ mich vom Vorzimmer-Immunis beim Präfekten anmelden. Dann sank ich auf eine Bank, und wartete, bleich und abgespannt. Mein Arm stach und brannte und juckte, und auf meinen Schläfen lastete ein Druck, wie ein kalter Reif, aber mein Kopf war klar, freigefegt von jedweder tröstenden Illusion. Ein verächtliches Lächeln strich über meine Lippen, als ich mich des albernen Traumes entsann, der mich letzte Nacht schon wieder heimgesucht hatte. Dann lehnte ich den Kopf gegen die Wand, schloß die Augen und dachte über mögliche Ausreden für mein Fehlverhalten nach.

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    In der Nacht nach der Rückkehr träumte ich schon wieder davon, und beflügelt vom Opium war es sehr, sehr real. Nein, noch intensiver als real, die Farben strahlten so kraftvoll wie sie es am Tage niemals tun... Wieder einmal stieg ich den Hang hinauf, in der Hand das Gladius von dessen Klinge das Blut tropfte, roter als rot. Meine Arme waren heil und stark, jeder Schritt ließ den Boden rasch unter mir hinweggleiten. Es ging hinein in die Hügel. Eine felsige Kuppe ragte vor mir auf, da stieg ich bis ganz nach oben, um meinen Weg zu überblicken. Von dort sah ich die Sonne aufgehen, die goldene Sonne, ein göttliches Diadem, ein gleissender Strahlenkranz erhellte den Himmel.
    Unter mir erstreckten sich weite Täler, hoch in den Wolken tanzten die Schwalben, ich bekam Lust etwas in die Tiefe hinabzuwerfen. Da war immer noch das Schwert in meiner Hand. Weit holte ich aus, und schleuderte es von mir. Es flog durch die Luft, drehte sich und blitzte schön im Sonnenlicht, verschwand dann in der Tiefe.
    Die Sonne stieg höher. Meine Rüstung lastete schwer. Ich war auf einem weiten Feld angelangt, das ganz von schwarzer Asche bedeckt war. Zuerst nahm ich den Helm ab. Das ließ mich freier atmen. Dann zog ich die Rüstung aus, lies sie einfach am Rande des Feldes liegen, als ich weiterging. Die Asche federte so weich unter meinen Füßen, da bekam ich Lust, die Flocken unter den nackten Sohlen zu spüren. So streifte ich zuletzt noch die Caligae ab und watete barfuss durch die Asche hindurch. Sanft und flaumig strichen die Flocken um meine bloßen Füße... Ich war so leicht!
    Unter der Asche spross das frische Grün, es wuchs und trieb Knospen, durchbrach das dunkle Grabtuch, reckte sich unbesiegt zur Sonne empor. Statuen lagen rechts und links meines Weges in diesem Feld verstreut. Es waren alles Kriegsherren, wie jedesmal, große Generäle und Schlachtenlenker der Geschichte, die hier, von ihren Sockeln gestürzt und geborsten, nur noch Trümmer waren... Und schon schlangen sich Ranken um diese Überreste, überwucherten die Ruinen, tilgten jede Spur dieser Männer, und auch mir gelang es nie, mir ihre Namen zu merken.
    Ein Wind ließ die Asche aufstieben, feiner Staub streifte meine Wangen. Immer höher wuchsen die Pflanzen um mich. Knospen brachen auf und erblühten. Es war ein Meer von Blumen, durch das ich hindurchschritt, von einer tiefen Glücksseligkeit erfüllt, und so leicht, so unsäglich leicht, dass mich schließlich der Wind fasste und mit sich trug... ganz weit weg, der Welt und ihrem Blutvergießen für immer entrückt.

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    Dämmerung senkte sich über die Castra, als wir eintrafen. Der Wechsel zwischen Tag und Nacht ging schnell in diesen Breiten, wenn auch nicht so schnell wie im Zwölfmeilenland, aus dem wir nun heimgekehrt waren. Noch immer umfingen mich sanft die Schwingen des Schlafmohns, und während Ravdushara mein Pferd am Zügel zu meinem Haus führte, ließ ich den Blick mit großer Zärtlichkeit über die Männer streichen, die nun erleichtert zu ihren Baracken strömten, über die Gebäude des Lagers, sah dem Adler nach, der - ein letztes goldenes Schimmern – in die Principa getragen wurde, um wieder seinen Platz im Fahnenheiligtum einzunehmen.
    "...sie haben das Gesicht des Krieges gesehen..." sagte ich leise zu mir selbst. Ich war todesmatt. Ravdushara half mir aus dem Sattel, geleitete mich ins Haus, da war Pontia, sie erschrak als sie mich sah, doch dann durfte ich endlich schlafen, tief und fest...

    Es stimmte mich wehmütig, dass der gute Octavius Dragonum so negativ auf mein Erscheinen reagierte... Ja, er war – leider – sehr unentspannt. Doch davon ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen, denn ich wußte, welch GOLDENES Herz sich unter der rauen Schale verbarg.
    "Schlafen... ja, ich bin sehr müde.... zu Befehl..." sprach ich, noch immer lächelnd. Denn war es nicht rührend, wie besorgt er um mein Wohl war? "Oh bitte sei so gut und richte dem Volkstribun meine ergebensten Grüße aus, und er möchte mir das mit dem Fass bitte nachsehen..." An diesem Tag war es mir wichtig, meinen Frieden mit der ganzen Welt zu schließen.
    Aber "scheußliches Zeug", das war doch sehr stark formuliert, wenn es um eine so segensreiche Arznei ging. Würde Octavius häufiger selbst danach greifen, hätte er sicherlich nicht so viele Sorgenfalten. Ich sollte ihm ein Kästchen voll als Geschenk überreichen...
    "Und..." Das mit dem Nebel stimmte allerdings. Meine Gedanken entschwebten, und Octavius hatte mir längst den Rücken zugekehrt. "...und... -"
    "Dominus. Hier entlang."
    Da schnitt mein Sklave mir doch tatsächlich das Wort ab. Aber ich trug es ihm nicht nach, wie könnte ich einem so anmutigen und hilfsbereiten Menschen etwas nachtragen? Ich würde ihn freilassen überlegte ich, so bei mir, während er mich davonführte, und lächelte in mich hinein, voll Vorfreude auf die Freude, die ich ihm damit bereiten würde...


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