Beiträge von Quintus Redivivus Sabinus

    "Weise Worte...", bemerkte Sabinus nebenbei. In Gedanken hatte er beim Schiessen ebenso gedacht, doch noch nie jemanden aussprechen hören. Doch bis man mit einer einem unbekannten Waffe Eins werden konnte, musste man die nötigen Instinkte mit der Zeit aufbauen. Er würde einige Schüsse abgeben müssen, bis er ihn beherrschen könnte.
    Er legte einen weiteren Pfeil ein, legte an.
    Seine Augen richteten sich auf die Scheibe, er sah den letzten Pfeil zu hoch oben stecken.
    Er atmete tief ein und einen Teil wieder aus.
    Seine Finger umgriffen fest die Sehne und den Pfeilschaft, zogen sie gleichmässig nach hinten, bis Sabinus spürte, dass die Sehne ausreichend gespannt war.
    Seine linke Hand überliess er völlig seinem Instinkt für Pfeilbogen. Er liess sie ein klein wenig nach unten senken.
    Er konzentrierte sich völlig auf die Mitte des Ziels. Doch tief innen wusste er, dass er den Bogen noch nicht wirklich beherrschte. Er würde ihn mit der Zeit bändigen müssen. Aber es war ja auch nicht sein eigener. ;)


    Er liess los. Beinahe lautlos entspannte sich die Sehne blitzschnell und katapultierte den Pfeil nach vorne.
    Sabinus hatte in den unteren linken Quadranten der Scheibe getroffen, doch schon viel näher als vorhin. Das gefiel Sabinus natürlich. Am meisten allerdings gefiel ihm der Bogen.
    Insgeheim wollte er auch so einen. Primus würde ihn allerdings bestimmt nicht hergeben, und einen zu bauen würde viel Aufwand bedeuten. Würde er auf diesen Aufwand eingehen? Ein Gedanke, den er auf später verschob.
    "Tolles Teil..." entfuhr es Sabinus.

    Sabinus war froh, am lebendigen Pferd üben zu können. Es machte ihmmehr Spass und er konnte sich dabei mehr auf seinen Instinkt im Umgang mit Pferden verlassen. Mindestens genauso elegant schwang er sich aufs Ross. Er versuchte, es die nächsten paar Male schneller zu üben. Bisher hatte er nie Grund gehabt, eilig aufzusteigen. Nach einigen Versuchen konnte es Sabinus schon schneller.
    Wie er sah, auch die Probati, die Anfangs etwas Mühe gehabt hatten. Solange die Pferde still hielten, stellte es für sie keine grossen Probleme dar.
    Wie es schien machte es den Männern mit der Zeit sogar noch Spass.

    Der Mulsum war eine wahre Wohltat. Auch der gegrillte Fisch zusammen mit dem Schafskäse war sehr lecker, wie Sabinus fand.
    "Wir danken dir, Valerian, für deine Grosszügigkeit.", warf er ein und hob kurz den Becher. Als Soldat war man froh um jede Abwechslung. Jede Abwechslung im Alltag war wie eine blühende Blume im Schnee, man würde sich noch einige Zeit an sie erinnern.
    Die Soldaten waren ausgelassen. Jeder liess es sich gutgehen.
    Während dem Essen sprach Sabinus grinsend zu Valerian "Da hast du dir ja einen aussergewöhnlichen Abschluss für deine Kochwoche ausgedacht. Wer weiss, vielleicht sollten wir dich bald wieder dafür wählen." :D
    Valerian sollte wissen, dass Sabinus es gutmeinte. Ausserdem war es in dieser nicht allzugrossen Runde recht friedlich, fand er.

    Bis jetzt wurde vermutlich erst mal diplomatisch umgegangen und etwas um den heissen Brei geredet, vermutete Sabinus. Er fragte sich, ob sein erster Kampfeinsatz wohl noch lange entfernt war, oder ob er schneller kommen würde als ihm lieb war. Hier in der Reihe mit seinen Kameraden fühlte er sich jedoch wohl. Nichts würde so leicht einen Trupp römischer Soldaten umhauen, wenn überhaupt.
    Es war nicht undenkbar, dass sie noch einige Zeit in dieser Gegend bleiben würden, wenn sie die Geschehnisse restlos aufklären wollten. Sabinus stellte sich darauf ein, so in der Formation noch einige Zeit warten zu müssen.

    Sabinus staunte nicht schlecht, als er all die Speisen erblickte. Valerian hatte wohl keine Kosten und Mühen gescheut. Fröhlich setzte er sich zu den anderen und erhob auch seinen Becher Mulsum.
    Als Valerian gesprochen hatte, erhob er feierlich seine Stimme "Auf Valerian, und seine Beförderung."

    "Klar", sagte Sabinus, als sich Valerian entfernte.
    Auf Drusus' Frage hin musste er erst einmal studieren. "Bier? Ich weiss nicht mehr ob ich je hatte...", meinte er und weitete sein ratloses Gesicht zu einem Grinsen aus. Vielleicht hatte er als übermütiger Jugendlicher mal das Germanengetränk probiert, aber wenn, dann konnte sich Sabinus nicht mehr daran erinnern...

    Sabinus war sichtlich erleichtert, als er hörte, dass die Kameraden angekommen waren.
    Ein kleiner Kreis hatte sich bereits um die Gruppe gebildet, und Sabinus fragte sich, was, wenn überhaupt, geschehen war.
    Er trat neben Valerian und Primus. "Da seid ihr ja endlich." Da fiel sein Blick auf den Gefangenen und er überlegte kurz. Bestimmt hatte es nämlich einen kleinen Kampf gegeben, bei dem ein Gefangener gemacht wurde, vermutete Sabinus. Zuviele konnten es aber auch nicht gewesen sein... War dies wohl nur ein kleiner Banditentrupp gewesen? Oder waren es Späher feindlicher Kräfte? Dann wandte er sich an seine beiden Kameraden.
    "Was denkt ihr, hat der zu bedeuten?"
    Für Sabinus schien es nicht abwegig, dass es vielleicht bald wieder Krieg geben könnte, oder dass man Soldaten der Legio zumindest auf die Jagd nach Banditen schicken würde... Man konnte den Gefangenen als eine Art dunkles Vorzeichen betrachten...
    Man würde sehen. Ein gefangener Germane hatte sicher auch noch etwas zu erzählen...

    Primus hatte etwas angesprochen, an das er zuerst gar nicht gedacht hatte, doch er erkannte sofort, dass er Recht hatte wie kein zweiter.
    Bedächtig nickte er. "Da hast du völlig recht..." Er sagte es nachdenklich, ein wenig leiser als auch schon.
    Es war wahr, man konnte Kämpfe auf verschiedenen Ebenen austragen. Sabinus wusste, was das hiess.


    Er wusste nicht, wieviel das dranwar, dass die Götter mit ihm etwas vorhätten. Wer wusste das schon...? Vielleicht war es ja wirklich so...
    Wie auch immer, als er Sabinus anbot, auch mal schiessen zu können, nahm er dankbar an. "Danke, gerne..." Er nahm den Bogen in die Hand. Er bemerkte gleich, dass er viel griffiger war, er lag viel besser in der Hand. Langsam hob er ihn. Er war wirklich leichter als der Legionsbogen, obwohl dieser kleiner war. Der Bogen war gross, doch die Grösse störte ihn nicht.
    Er konzentrierte sich auf jede seiner Bewegungen. Er legte den Pfeil korrekt ein und spannte anschliessend die Sehne. Einen Moment später liess er den Pfeil fliegen. Mit unglaublicher Geschwindigkeit schoss er dahin, bohrte sich zwar noch in die Scheibe, aber etwas zu hoch.
    "Ich habe wohl zu hoch gezielt..." Dieser Bogen hatte eine höhere Reichweite, es war also nicht nötig, ihn wie den Legionsbogen noch etwas in die Höhe zu neigen. Genial..., dachte er.

    "Natürlich.", gab er lachend zur Antwort. Sabinus war ein klein wenig aufgedreht. Vielleicht hatte er heute zuwenig Bewegung oder er freute sich schon auf seine eigene Beförderung. Oder er war auch glücklich, dass er einige gute Bekanntschaften geschlossen hatte. Valerian gab einen guten Kameraden ab. Es war nur natürlich, dass vor allem bei langjährigen Berufsarmeen sich Freundschaften unter den Männern bildeten, und Sabinus hatte das Gefühl, er würde auch noch später gemeinsam mit seinen Freunden Erinnerungen austauschen. Doch wer konnte schon in die Zukunft blicken?
    "Wisst ihr was? Jeder der befördert wird gibt einen aus...", schlug Sabinus in die Runde vor. So hatte jeder was davon und jeder würde mal drankommen.

    Sabinus hatte sich nach der offiziellen Zeremonie durch die Menge gedrückt und sich Valerian genähert.
    Grinsend klopfte er ihm von hinten auf die Schulter. "Gut gemacht, ich gratuliere..."
    Sabinus hatte nur den letzten Teil des Dialoges zwischen ihm und Drusus mitbekommen, ahnte aber schon, dass sie ein Sauffest oder so planten. Wer würde das nicht tun?
    Vermutlich auch Sabinus, wenn er soweit war :D

    Die Spannarbeit und die Beschleunigung des Bogens waren bemerkenswert, fand Sabinus. Gleichzeitig dachte er aber auch über Primus' Worte nach.
    "Aber nicht alle Kämpfe sind solche des Schwertes...
    Aber ich verstehe, was du meinst... Ich denke ähnlich..." Die Wahrheit war, dass Sabinus tief in seinem Unterbewusst sein der Meinung war, dass gewisse Ereignisse sich nicht wiederholen sollten. Hätte er damals gekonnt, was er heute konnte, seine Lebensgeschichte wäre anders verlaufen.
    Doch heute war er nun mal der er war. Und er würde tun, zu was zu tun er imstande war.
    Sabinus sah, wie Primus wieder einen bemerkenswerten Schuss bot.

    Ein paar der Probati waren überrascht, heute anstelle des üblichen Centurios einen Duplicarius befehlen zu sehen. Sabinus nicht. Seine Kollegen hatten ihre Reitausbildung erwähnt...
    Nun denn, dachte er und ging voran, als er an die Reihe kam. Reiten konnte er bereits, es sollte also kein Problem für ihn darstellen. Er ging zu den symbolischen Pferden, packte die Sattelknäufe, sprang hoch, stiess sich mit etwas Kraft ab und landete im Sattel. Sein Vater hatte ihm damals bereits beigebracht zu reiten. Lediglich das Kämpfen während dem Reiten würde ungewohnt sein, dachte er.
    Die Probati übten das mehrere Male. Einige Unglückliche hatten etwas Mühe, aber nachdem ihnen ein hilfsbereiter Kollege eine gute Technik gezeigt hatte, konnten auch sie mehr oder weniger aufspringen.

    Leaca riss Sabinus aus seinen Gedanken und er zuckte ein wenig zusammen. Als er ihn kurz in den Schwitzkasten nahm reagierten seine Kampfinstinkte Sekundenbruchteile zu spät. Glück für Laeca, doch Sabinus hatte somit wohl eine Schwäche an sich entdeckt, schnellte ihm der Gedanke durch den Kopf.
    "Hey Junge", protestierte er und Laeca liess ihn los.
    "Geht nicht mehr lange...", Er lächelte. Es war aufmunternd, Laeca mal wieder zu sehen.
    "Na ja... ich sauf eigentlich nicht gern um die Wette, aber wenn du schon so fragst... Und wie läufts bei dir?" Sabinus musste jetzt etwas auf andere Gedanken kommen.

    Sabinus sprach die Worte nach, doch er konnte sie sowieso auswendig. Anders hätten sie ihn gar nie Probatus werden lassen. "Iurant autem milites omnia se strenue facturos quae praeceperit imperator, numquam deserturos militiam nec mortem recusaturos pro Romana republica." Die römische Republik war schon eine tolle Sache, fand Sabinus. Da konnte man ohne bedenken einen Eid drauf schwören.
    So wie heute. Er war gespannt, wer alles gefördert werden würde.

    Die Probati waren froh, dass der Tag mit exerzieren fertig war. Mit müden Beinen verliessen sie den Platz.
    Einer rief dem Centurio zu "Keine Sorge, das werden wir..." Die Thermen waren wenigstens ein Teil römischen Luxus, den man sich auch als übelst geschlauchter Soldat noch leisten konnte.
    Mittlerweile fand Sabinus, dass seine ganze Truppe mit der Zeit an Disziplin und Tüchtigkeit zugenommen hatte. Anfangs waren noch ein paar Faulenzer darunter gewesen, doch offensichtlich hatte der Centurio ganze Arbeit geleistet. Nur so wurden aus ihnen echte Legionäre, dachte Sabinus und ging mit seinen Kameraden zurück in die Unterkünfte, sich ausruhen.

    Sabinus rammte einen Pfahl in die angehäufte Erde parallel zum Graben. Er hielt kurz inne, wischte sich den Schweiss von der Stirn. Mittlerweile war es ziemlich schnell dunkel geworden, aber glücklicherweise waren die Soldaten so gut wie fertig mit dem Lagerbau. Etwas hatte ihn innehalten lassen. Er blickte hinaus in die dunkle Landschaft, auf die Wälder, deren Silhouetten sich schwarz vom Sternenbedeckten Nachthimmel abhoben. Sabinus' feines Gehör hatte etwas vernommen. War es ein Tier gewesen? Wölfe waren bestimmt keine Seltenheit hier, das wusste er aus Erfahrung. Er meinte, ein fernes Schreien vernommen zu haben. Doch er konnte sich auch irren. Der klare Nachtwind brachte sicherlich eine Unzahl natürlicher Geräusche verzerrt mit sich.
    Und doch. Etwas schien an Sabinus' Unbewusstsein zu zerren. Ihn beschlich ein ungutes Gefühl, als ihm einfiel, dass die Valerian, Primus etc. immer noch nicht am Lager angekommen waren, denn das hättte er sicherlich bemerkt. Er starrte hinaus in die Dunkelheit. Vernehmen konnte er im Moment nichts mehr, auch wenn er angestrengt lauschte. Wie gross war die Wahrscheinlichkeit, dass sie angegriffen wurden?, fragte er sich. Er kannte zwar die Zahl an Barbaren in diesem Landstrich nicht und er wusste auch nichts über allfällige Feindbewegungen, doch wenn der Centurio hier eine Centurie Probati marschieren liess, dann nahm Sabinus nicht an, dass es hier sonderlich gefährlich war.
    Dennoch spürte Sabinus ganz deutlich ein undefinierbares Gefühl in seiner Magengrube. Aber er konnte nicht klar unterscheiden, ob dies nun Einbildung oder echt war.
    Oder waren sie von Wölfen angegriffen worden?, ging Sabinus durch den Kopf.
    Er atmete durch. Sicher malte er sich jetzt die schrecklichsten Szenarien aus, und sicherlich würden die anderen gleich zurückkehren, beruhigte er sich.
    Doch als er sich wieder abwenden wollte, spürte er das Gefühl wieder. Und dieses Mal wusste er mit ziemlicher Sicherheit, dass es keine Einbildung sein konnte. Sabinus überlegte sich, den Centurio zu alarmieren. Doch was wollte er ihm sagen? Nur wegen eines Gefühls liess dieser bestimmt keine Truppe ausrücken. Aber untätig bleiben wollte er nicht, konnte er nicht.
    Er beschloss, den Centurio auf den Verbleib der Männer aufmerksam zu machen. Vielleicht hatten die Wachen ja auch etwas gehört...
    Schnell fand er den Centurio, der sich dei Zeit damit vertrieb, die Probati zur schnelleren Fertigstellung des Lagers zu bewegen.
    "Centurio... Die Gruppe, die sich um den Verletzten gekümmert hat, scheint mir etwas lange fort zu sein, und so wie ich Primus kenne, müsste dieser schon längst hier sein..." Sabinus sprach nicht aus, was er dachte. Er hatte keine Angst, doch machte er sich ein wenig Sorgen um seine Kameraden. Wenngleich gut und diszipliniert geschult waren sie immer noch Probati.
    Ihm war es egal, was der Centurio von ihm hielt, er wollte ihn lediglich darüber unterrichten.

    Auch Sabinus tauchte zusammen mit seinen Kameraden auf. Er fragte sich, was jetzt wohl vor sich ging. Wurden jetzt Paraden geübt? Hielt er zwar für nicht wahrscheinlich, doch so wie er den Centurio kannte oder eben nicht kannte... wer wusste das schon?
    Doch jetzt schaute er erst einmal, was passierte.

    Als Valerian die Frage in die Runde stellte, kamen Sabinus' dunkle Erinnerungen wieder hoch. Er hatte nie die Hoffnung gehabt, sie endgültig loszuwerden. Viel zu oft störten sie seinen Schlaf. Doch Sabinus liess sich nicht das geringste anmerken. Zu sehr hatte er sich bereits daran gewöhnt. ...mal richtig gekämpft? Und getötet?
    Er schluckte. Die Nacht schien ihn wieder einzuholen. Er spürte wieder die Kühle auf der Haut und den jugendlichen Frohmut von damals. Nichts hätte seinen Frieden zerstören dürfen... Es war die schönste
    Zeit seines Lebens gewesen, dachte er rückblickend. Er hatte eine gute Familie gehabt. Er war in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen, doch es war ein gutes Leben. Er hatte sogar ein Mädchen getroffen. Er sah sie vor sich wie am ersten Tag. Er spürte noch immer ihre Wärme, ihre Leidenschaft, mit der sie sich laue Sommernächte geteilt hatten. Das Leben hatte ihnen gehört, nur ihnen. Nichts konnte sie trennen. Oder doch? Sabinus Herz wurde schwer, als ihn die Erinnerung selten so klar wieder umspülte. Er fühlte sich, als laste ein grosses Gewicht auf seiner Lunge. Die wenigsten Menschen wussten, wie es war, wenn man alles auf einmal verlor. Wenn man sich auf die härteste Art und Weise von allem, was einem lieb war, losreissen musste. Wenn es einem genommen wurde.
    Plötzlich erinnerte sich Sabinus wieder mit eisiger Kälte. Das schwere Gefühl der Trauer wich einem pechschwarzen Schleier aus Hass und verdunkelte sein Herz für einen Moment. Für Sabinus kam es jedoch so vor, als wäre er wieder in jene Herbstnacht zurückversetzt. Hass und Wut kamen über ihn wie eine düstere Wolke. Er spürte immer noch den Griff des Pugios in seiner Hand, wie er mit seiner Wut verschmolz...
    Durch den Nebel riss sich Sabinus wieder in die Gegenwart zurück. Es waren zwar nur wenige Sekunden vergangen, doch für ihn kam es so vor, als hätte er einen Teil seines Lebens noch einmal durchlebt. Er atmete tief durch. "Getötet? Nein...", sprach er. Niemand sollte je wieder davon erfahren, es je wieder erwähnen...
    "Vielleicht einmal ein Tier, als ich mit meinem Vater auf der Jagd war..." Das war er tatsächlich gewesen, doch seine Gedanken kreisten irgendwo völlig anders. Er konnte nicht mehr. Wie aus dem Nichts hatte ihn die Woge der Erinnerung überfallen, was er jetzt brauchte war Einsamkeit...
    "Entschuldigt mich, ich muss kurz an die frische Luft."
    Er wartete keine Antwort ab, stand auf und ging nach draussen.

    Sabinus verliess die Legionärsunterkunft. Es dämmerte bereits stark, bald würde es Nacht sein. Sabinus sog die kühle Luft ein und lief die Strasse im Castellum hinunter. Er hatte kein Ziel. Er brauchte Ruhe. Ruhe auf seine Art. In seinem Kopf tobte der Lärm. Bilder flackerten vor- und rückwärts. Der Sturm tobte.
    Sabinus tat, was er immer tat. Er fing an, zu rennen. Da man ihn um diese Zeit wohl kaum noch ausserhalb des Lagers lassen würde, drehte er seine Runden innerhalb des Castellums. Es waren nur wenige Soldaten noch unterwegs. Gleichmässig steigerte er sein Tempo, bis er richtig rannte. Der Schweiss rann an ihm hinab. Seine Beine schmerzten vom Training, doch jetzt spürte er den Schmerz nicht mehr. Es war anderer Schmerz, der an ihm nagte. Jeder Schritt, jede Bewegung brachte ihn fort von damals. Selten hatten ihn die Erinnerungen dermassen stark umspült wie heute Abend. Er brauchte Ruhe. Einsamkeit.
    Während er rannte sog er tief die Luft ein und war dankbar dafür. Hier draussen ging es ihm schon gleich viel besser als in den engen Räumen. Er verspürte hier eine Art von Freiheit, eine sehr persönliche Freiheit.
    Er wusste nicht genau, wieviele Runden er gedreht hatte. Nicht sehr viele, doch als er wieder in die Nähe der Unterkünfte kam spürte er seine Beine sehr. Er war kaputt. Er musste sich immer kaputt machen. Er wusste, wie sehr es ihm half. Tief und schwer atmend lief er an einer Tränke für Pferde vorbei und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht. Es beruhigte ihn, die Bilder stellten langsam ab... Er war froh darum. Sich körperlich zu verausgaben half ihm immer. Langsam lief er wieder die Strasse hinauf, blieb dann aber stehen. Körperlich fühlte er sich stark strapaziert. Doch innerlich überkam ihn eine absolute Ruhe. Es wurde still in seinem Kopf. Er dachte nichts, konzentrierte sich nur auf das Hier und Jetzt. Er roch die klare Luft mit all ihren Gerüchen, sah den Abendhimmel mit all den unendlich vielen Sternen, die immer heller wurden. Er hörte Gelächter aus den Legionärsunterkünften, schmeckte den neutralen Geschmack eines ausgetrockneten Mundes und spürte die wollene Tunika an seinem Leib. Er verbrachte mehrere Momente damit, einfach still zu stehen, an einem Pfosten angelehnt, und sich auf sich zu konzentrieren.
    Sabinus wurde völlig ruhig. Er dachte wieder daran, warum er der Legio beigetreten war, und sein eingeschlagener Weg und seine die Ziele die richtigen waren. Ich muss es tun, ich werde..., dachte er mit einer überzeugten Klarheit. Er wusste, was er tun wollte, hatte es schon gewusst seit er 16 Jahre alt war. Seit jenem verdammten Herbst, dachte er mit Trauer und Hass zugleich, die nur schwer zu greifen war. Jahrelang, nächtelang hatte es ihn beschäftigt und nie mehr losgelassen. Vielleicht musste er sich mit seinen eigenen Dämonen verbünden, um sie zu besiegen. Sabinus dachte noch lange darüber nach, und je länger er darüber nachdachte, umso sicherer wurde er sich und umso klarer sah er es vor sich. Er merkte gar nicht, wie schnell die Zeit verging.

    Sabinus nahm den Bogen in die Hand. Mit den Fingern befühlte er die Struktur und Beschaffenheit, während er aufmerksam Primus' Schilderungen zuhörte. Er musste einen grossen Aufwand betrieben haben. Sabinus bemerkte den Gewichtsunterschied. Eschenstamm..., ging ihm durch den Kopf.
    "Du hast wohl keine Aufwände gescheut, wie?..." Vor Sabinus' Innerem Auge sah er, wie Primus die Jahre über jeden Tag daran gearbeitet haben musste.
    Er gab den Bogen an Primus zurück.
    "Gute Arbeit, Respekt. Was hat dich dazu bewogen, soviel Zeit dafür aufzuwenden? Rein aus Freude an der Sache? Meines Wissens nach greifen Legionäre leider nicht oft zum Bogen..."
    Sabinus ging im Moment vieles durch den Kopf. Primus schien ein interessanter Charakter zu sein, das war ihm schon in den Thermen aufgefallen. Er schien aussergewöhnlich talentiert in Sachen Kriegskunst zu sein und hatte düstere, aber vermutlich auch realistische Ansichten über den Krieg, wie Sabinus festgestellt hatte. Er nahm sich vor, ihn mal etwas besser kennenzulernen. Wer wusste, vielleicht konnte er ihm bei seinem eigenen Vorhaben behilflich sein... doch dies würde Sabinus vorerst für sich behalten.
    Nun zumindest unterhielt er sich mit ihm von Soldat zu Soldat.