Beiträge von Quintilia Valentina

    Ihre Nichte hatte Valentina gestern Abend noch die Botschaft überreicht. Natürlich hatte sie beim Lesen neugierig ihre Nase in das Schreiben gesteckt. Valentina lies sie gewähren. Traurigkeit überkam sie, als sie an diese Hochzeit erinnert wurde. Nicht weil sie den jungen Mann dort traf. Ihm ging es damals schlechter als ihr. Aber das war das letzte Mal, dass sie an der Seite ihres damaligen Verlobten stand. Doch die junge Quintilia versuchte dieses Gefühl beiseite zu schieben und stattdessen an den weiteren Verlauf des Abends zu denken. Daran, dass sie Varus getroffen hatte und ihn bis heute immer wieder sah. Das vertrieb die dunklen Wolken und sie konnte schon wieder lächeln.
    Es wunderte sie, dass Serapio sich noch an sie erinnerte. War er damals doch wirklich sehr durcheinander. Natürlich hatte er sie durch sein Verhalten gekränkt und auch in Verlegenheit gebracht, doch wer war sie den erste Stein zu heben? Oft genug war sie diejenige gewesen, die Fehler machte. Und wahrscheinlich hatte sie auch gegen hunderte von gesellschaftlichen Regeln verstoßen, als sie den Mann überhaupt angesprochen hatte. Doch sein Blick, er war so verloren, so traurig, so wütend. Sie hatte im ersten Moment gar nicht begriffen, doch dann war es ihr klar geworden. Und charmant ausgedrückt, waren die beiden damals sogar im Geiste vereint. Beide wünschten sich wohl, dass die Braut vorneüber auf die Nase fiel.


    Nun hörte sie das Klopfen an der Tür und zupfte noch einmal eine Strähne ihrer Haare zurecht. Die Nichten hatten ihr bei der Wahl ihrer Kleidung geholfen. Eine Stola in dunklem Rosa gefiel schließlich der Wahl der Frauen. Die Brosche ihrer verstorbenen Freundin diente als Zierde und die Haare waren fast schon kunstvoll hochgesteckt. Sie hatte nicht viel und doch wollte sie als Hausherrin gut aussehen, wenn sie Besuch bekamen. Dies kam ohnehin leider viel zu selten vor.
    Valentina öffnete nach einer angebrachten Wartezeit die Türe und blickte in das bekannte Gesicht des Mannes den sie auf der Hochzeit kennen gelernt hatte. „Salve, Faustus Decimus Serapio. Schön dich wieder zu sehen. Bitte, kommt doch rein.“ Meinte sie dann auch in Bezug auf seinen Begleiter.
    Sie trat einen Schritt zur Seite und lies die beiden Männer herein treten. Es wäre gelogen, wenn Valentina behaupten würde, seit gestern Abend nicht von einer gewissen Neugier befallen worden zu sein. Was der Mann wohl wollte? Von seltsamen Geschehnissen hatte er geschrieben, die er persönlich mit ihr besprechen wollte. Die Entschuldigung hatte sie schon längst angenommen, hatte sie ihm doch seit damals nicht wirklich gegrollt.
    Sie schenkte beiden Männern ein freundliches Lächeln, nein sie war Serapio nicht böse oder trug ihm sein Verhalten nach. Noch würde sie irgendeinen Vorteil aus seiner damaligen Lage ziehen wollen. Sie war nicht wie die Braut. Valentina wollte damals einfach helfen.

    Tatsächlich viel zu sehr von der Anwesenheit von Varus abgelenkt, hatte Valentina nicht bemerkt, dass ihr der Unbekannte zu nahe gekommen war.
    Der gellende Schrei ihrer Nichte ging ihr durch und durch. Nicht, das sie sich gleich bei dem Wort Tante angesprochen gefühlt hatte. Dieser Ausruf war dann doch noch viel zu neu, doch sie erkannte die Stimme von Sila.
    Sofort raffte sie den Korb näher an sich heran und sah sich entsetzt um. Sie konnte sehen wie ein junger Kerl davon stob und eilte zu ihren beiden Nichten hinüber.
    "Ist bei euch alles in Ordnung?"
    Sie fuhr den Mädchen über die Haare und begutachtete sie als wäre der Mann gerade auf die beiden losgegangen.
    "Danke, dass du so gut auf mich aufgepasst hast."
    Meinte Valentina dann immer noch etwas außer Atem und mit klopfendem Herzen.
    "Deswegen mache ich mir solche Sorgen um euch. Diese Stadt ist nicht sicher und deswegen brauchen wir jemanden, der auf uns aufpasst."
    Meinte sie entschlossen und ihr Blick ging in die Richtung in der sich der Sklavenmarkt befand. Sie war kein Freund dieses Teil des Marktes, doch der Zwischenfall gerade zeigte es mal wieder ganz deutlich.
    Ihr Blick ging ein klein wenig weiter und blieb dann an Varus hängen. Er könnte auf sie aufpassen...

    Ein unsicheres Lächeln lag auf Valentinas dunkel nachgezogenen Lippen. Sie hatte den beiden Nichten nichts von Varus erzählt, weil sie ihn erst kurz vor ihrer Ankunft kennen gelernt hatte und … ja was eigentlich? Eine Nacht zusammen verbracht. Aber das nicht mal so wie man denken könnte. Sie waren beide viel zu berauscht von den Hochzeitsgaben, das zumindest Valentina nicht mal einen Gedanken daran verschwendet hatte. Auch wenn ihr das Zusammenliegen sehr gut gefallen hatte. Und heute sah sie ihn zum zweiten Mal.
    „Ja, ich bin auch sehr froh, die Beiden standen nur wenige Tage nach der Hochzeit vor meiner Tür. Ich muss gestehen, leider wusste ich bis dahin auch nichts von ihnen.“ Sie legte Pina und Sila abwechselnd eine Hand auf die Schulter, bevor die sich entfernten um an einem anderen Stand etwas zu erkunden. „Aber nicht so weit weg!“ Ermahnte die Tante, nicht gleich begreifend was die Beiden damit bezwecken wollten.
    Als sie dann mit Varus alleine war, sah sie ihn wieder an und wurde an die schöne Zeit nach dieser schrecklichen Hochzeit erinnert. Waren seine Augen damals auch schon so schön gewesen?
    „Ja, ich muss gestehen so viel Leben in meinem Haus ist herrlich. Zumal erst gestern noch ein Verwandter angeklopft hatte. Mein Großcousin, den ich zuletzt vor so vielen Jahren gesehen habe. Er möchte hier in Rom Karriere machen.“ Erzählte sie stolz.
    „Aber nein, ich bin im Gegenteil erleichtert, dass wir uns wieder sehen.“ Gab sie damit ihre Ängste zu, dass es vielleicht doch nur bei diesem Abend geblieben war.
    „Ist es dir in der Zeit auch gut ergangen?“
    Während sie so dastand und Varus anblickte, schnappte sie ein paar Gesprächsfetzen einiger Männer auf, die schräg hinter ihr standen. Die schienen sich schon eine Weile über die Schifffahrt zu unterhalten und gerade trat ein weiterer Mann hinzu. „Ja habt ihr es nicht gehört? Bei Misnum ist ein Schiff auf Grund gelaufen.“

    Tief durchatmend versuchte Valentina wieder zu ihrer Ruhe zurück zu finden. War es richtig, dass sie so unschön von einer anderen Person gesprochen hatte? Andererseits wollte sie die Mädchen davor schützen. Und es konnte sich immer mal die Gelegenheit ergeben, dass sie aufeinander trafen. Der Schicksalsgöttin war alles zuzutrauen. Und doch hielt sich das schlechte Gewissen in Grenzen, so garstig wie diese Frau zu ihr war.
    Die Mahnung an ihre Schützlinge war ernst und als sie das Nicken der Beiden vernahm, war Valentina sehr erleichtert. Sie glaubte den Beiden.
    Und als sie sich gerade wieder daran machen wollte die beiden Mädchen zu fragen was sie vom Markt den noch sehen wollten, hörte sie eine sehr vertraut Stimme.
    Varus stand plötzlich wie aus dem nichts hinter ihr und Valentina konnte nicht verhindern, dass sich ihre Wangen röteten. Schnell strich sie sich eine Strähne hinter das Ohr, welche sich aus dem Zopf gelöst hatte. Ihre Hand kribbelte an der Stelle an der er sie berührt hatte. Ihr war es gleichzeitig auch ein bisschen peinlich, denn sie konnte sich nicht mehr genau an alles erinnern aus dieser Nacht und auch der Morgen danach war nicht all zu vollständig. Doch das gute Gefühl, welches sie empfunden hatte, das hatte sie nicht vergessen.
    "Hallo Varus. Ja, ähm das sind meine beiden Nichten Pina und Sila. Sie sind zum ersten Mal in Rom und wollten unbedingt den Markt sehen." Gab sie dann einfach mal so bereitwillig Auskunft.

    Auch Valentina gönnte sich den ein oder anderen Blick in die Marktstände, von dieser Vielfalt konnte nicht mal sie unbeteiligt bleiben. Auch sie war immer wieder fasziniert von den schönen Stoffen und den vielen Gerüchen. Sie genoss es sonst immer sehr über den Markt zu schlendern. Sie kaufte nie viel, war ihr das ja gar nicht möglich, doch schauen tat sie sehr gerne.
    Heute allerdings war sie mit ihrer Aufmerksamkeit bei ihren Nichten. Gerade Sila wuselte über den Markt, dass sich Valentina wünschte sie mit einem Band an ihrem Handgelenk festgebunden zu haben.
    Plötzlich allerdings kam sie wieder zurück und sah aus als wäre ihr etwas unglaubliches passiert. Valentina zog schon die Stirn kraus bevor sie angesprochen wurde, nach der Frage allerdings verdüsterte sich ihr Blick. Sie drehte sich kurz weg und atmete tief durch. Sie wollte den beiden Mädchen nicht ihren ganzen Zorn entgegen schleudern müssen. Und vor allem wollte sie ihnen nicht ihre tiefe Traurigkeit zeigen, war die Hochzeit von Dives doch das letzte Miteinander mit ihrem damaligen Verlobten.


    „Ja, ich kenne den Tribun. Ich war auf seiner Hochzeit dabei. Er hat die widerlichste und garstigste Frau geheiratet, die ihr euch vorstellen könnt. Ihre äußerliche Schönheit verbirgt nicht ihre innere Hässlichkeit.“ Fast hätte sich Valentina in Rage geredet, atmete aber nochmal tief durch, denn die Frage bezog sich nicht auf dieses garstige Geschöpf. „Näher kenne ich ihn nicht, habe nur schon viel über ihn gehört und einmal habe ich einem Treffen mit ihm beiwohnen dürfen. Er ist sehr einflussreich. Seine Tochter kenne ich nicht, aber du vermutest schon richtig, es ist sehr gefährlich für eine Frau nachts alleine in Rom. Ich will keine von euch beiden nach Einbruch der Dunkelheit außerhalb der Casa sehen.“ Es war eine Ermahnung an Beide, weswegen Valentina beide direkt ansah. „Aber mal davon abgesehen, du darfst nicht immer alles glauben. Rom ist nicht nur groß und es gibt viel zu sehen, hier ist die Lieblingsbeschäftigung von vielen Leuten einfach über andere zu reden. Meistens wird viel dazu gedichtet. Also vielleicht war die Frau gar nicht alleine.“ Versuchte Valentina ihre Nichte zu beruhigen, die wirklich sehr durch den Wind zu sein schien.

    Auch Valentina war bereits früh wach. Sie hörte wie Sila ihre Schwester weckte, waren die Zimmer der Mädchen doch nur unweit von ihrem eigenen. Schmunzelnd kleidete sich Valentina an und richtete ihre Haare. Sie hatte sich für eines ihrer besseren Gewänder entschieden und auch die Haare mit dem Band hochgesteckt, welches den golden eingewobenen Rand besaß. Ein Besuch auf dem Markt war immer etwas besonders und sie wollte auch etwas darstellen. Ihre Familie, das was davon übrig gebelieben war, repräsentieren. Deswegen auch der feine Strich um die Augen, gekonnt mit der Hand gezogen. Beim Frühstück sprachen sie über alles mögliche. Beziehungsweise Sila sprach. Pina schien noch zu schlafen, weswegen Valentina sie in Ruhe lies.
    Als sie die Casa verließen, war das wieder einer dieser Momente in denen sich die junge Quintilia wieder in Erinnerung rief wie wichtig doch ein Sklave wäre. Sie alleine mit den Mädchen. Eigentlich schon unverantwortlich. Vielleicht würden sie heute doch noch auf dem Sklavenmarkt vorbeischauen. Auch wenn Valentina eigentlich gerne einen Bogen darum machte. Den Geldsäckel hatte sie gut unter ihrem Gewand angebunden und so traten sie auf die Straße hinaus.


    Beim Markt angekommen reihte sie sich hinter die Mädchen ein. „Bitte bleibt dicht zusammen und sagt wenn ihr was sehen wollt, dann gehen wir dort gemeinsam hin.“ So ein Marktbesuch war überwältigend, doch Valentina wusste eben auch von den Gefahren. Auch wenn es bis jetzt scheinbar nur Sila war, die Gefallen an dem Marktbesuch zu haben schien. „Du musst keine Angst haben.“ Versuchte Valentina Pina dann nach einer Weile aufzumuntern. „Wir bleiben im besseren Teil des Marktes. Da wird nichts passieren. Schau…“ Sie deutete den Weg hinunter wo einige Soldaten standen und das Geschehen überwachten. „Schau dich ruhig um. Ich pass auf euch auf. Und wenn dir etwas gefällt, dann lass es mich wissen. Da gilt auch für dich.“ Erhob Valentina dann beim letzten Satz die Stimme und rief zu Sila, die scheinbar schon wieder einen neuen Stand entdeckt hatte.

    Unberührt hielt Valentina ihren Becher in der Hand und erwischte sich dabei, wie sie Cinna schon wieder verträumt ansah. Nicht etwa weil sie optisch Gefallen an ihm gefunden hatte. Nein, in ihrem Geist hatte sich da schon ein anderer Mann eingerichtet, es war die Art wie er reden konnte. Schon damals als Mädchen mit langen Zöpfen konnte sie Cinna stundenlang zuhören. Es war nicht einmal all das was er erzählte, denn vieles davon verstand sie damals schon nicht. Aber die Art wie er sprach war großartig.
    So unterbrach sie ihn auch jetzt nicht und war fast enttäuscht als er schon beim Ende ankam. Sila und Pina waren überraschend ruhig, sodass Valentina wieder das Wort ergriff.
    „Ein Verwaltungsposten ist sehr verantwortungsreich.“ Wusste sie das doch nur von Erzählungen, wollte aber vor dem Verwandten auch ein bisschen klug sein. „Ich werde den Göttern später ein Opfer darbringen, dass sie sich deiner gütig annehmen.“
    Nun nippte sie von ihrem Becher und seufzte leise. „Leider ist das was du hier vorfindest alles an Verwandtschaft was du noch treffen kannst. Außer meinem lieben Cousin, der in Mogontiacum weilt gibt es niemanden mehr von uns. Und bis vor einigen Tagen wusste ich nicht einmal was von meinen lieben Nichten hier.“ Sie schenkte den Zwillingen ein Lächeln.
    „Meine Brüder sind verstorben oder es muss angenommen werden, dass sie verstorben sind. Und auch sonst ist niemand mehr in dieser Casa zugegen. Du siehst, du kommst zwar in eine materiell ärmere Familie, aber sei dir gewiss, dir soll es hier an nichts fehlen. Alles was in meiner Macht steht, wird getan und in den nächsten Tagen werden wir uns nach einem Sklaven umsehen.“ Es fiel Valentina nicht leicht dieses Wort auszusprechen, doch es war das Beste für alle. Jede Frau Roms, die etwas auf sich hielt, hatte einen Sklaven. Und sie waren jetzt mit einem Schlag drei Frauen.

    Sie hatte einen Umweg über die Küche genommen und auf ein Tablett ein Karaffe mit verdünntem Wein gestellt und die entsprechende Anzahl Becher dazu gestellt. Sicherlich würde Cinna bald merken, dass es hier keine Sklaven gab, die diese Arbeit verrichteten. Aber das war ein Thema, welches Valentina von sich aus nicht ansprechen würde. Stattdessen lies sie sich auf eine der Liegen nieder und machte es sich bequem. „nun, magst du uns erzählen was du in Rom so vorhast?“ Sah sie ihren Verwandten an und goss derweil ein bisschen etwas von dem Wein in die Becher.

    Schweigend hatte Valentina die Hände ineinander gefaltet und lies dem neuen Hausgast erst einmal Zeit auf Sila zu reagieren. Es war schade, dass Cinna scheinbar ein sehr ruhiger und distanzierter Mann geworden war. Eigentlich glich Valentinas Wesen sehr dem der beiden Mädchen. Es waren nur die Schicksalsschläge, die sie verändert hatten. Und jetzt, da in ihre Casa scheinbar endlich wieder etwas Leben kam, wurde auch die junge Quintilia davon angesteckt. Offenbar zu viel, denn nun hielt sie sich sehr zurück, erst als Cinna sie direkt ansprach, erwidert sie seinen Blick. Sie hörte die Entschuldigung und nahm diese mit einem höflichen Nicken an. „Wir alle haben uns verändert.“ Meinte sie dann versöhnlich und deutete den Gang entlang. „Darf ich dich in unser Tablinum einladen? Sicherlich geht es den Mädchen genauso wie mir, wir würden gerne mehr erfahren. Das Geschichten erzählen hast du doch hoffentlich nicht verlernt, oder?“ Meinte Valentina dann mit einem freundlichen Seitenhieb und ging voraus.

    Natürlich spürte auch Valentina, dass sie sich hier als einzige zu freuen schien endlich wieder einen aus ihrer Verwandtschaft zu sehen. Aber sicherlich konnte sie das Cinna überhaupt nicht übel nehmen, war er doch sicherlich von seinen Liebsten umgeben. Nur ihre Familie schien vom Schicksal für nicht gut genug befunden worden zu sein. So löste sie sich wieder von ihm, sichtlich befangen und strich sich glättend über ihr Gewand nur um der Situation ein klein wenig auszuweichen. Dann trat sie voran und schloss hinter Cinna die Türe. Ja, das war sie, die Casa Quintilia. Nun nahm sie auch zum ersten Mal Notiz von dem Brief und faltete ihn artig auseinander um dessen Inhalt zur Kenntnis zu nehmen. Cinna schien das sehr wichtig zu sein. Weit kam sie nicht, denn da hörte sie bereits Silas lieblich Stimme durch das Haus brüllen. Sie hob den Kopf und setzte ein entschuldigendes Lächeln auf. Und schon kam der kleine Wirbelwind ums Eck geschossen. Sicherlich würde auch gleich Pina folgen. „Darf ich vorstellen…“ Meinte sie dann mit einem fast schon strafenden Seitenblick zu ihrer jungen Mitbewohnerin. „Quintilia Sila, das ist mein Großneffe Caius Quintilius Cinna. Cinna, das ist eine der beiden Nichten, von denen ich dir gerade berichtet habe. Quintilia Sila, die Tochter meines leider verstorbenen Bruders Lyso.“ Mit einer entsprechenden Handbewegung deutete sie auf die jeweilige Person und erklärte dann weiter. „Cinna wird eine Weile bei uns wohnen. Er ist gerade in Rom angekommen. Ich hoffe du beehrst uns auch weiterhin mit deiner Anwesenheit, jetzt da du weißt, dass in der Casa durchaus ein bisschen Leben herrscht.“ Weitaus distanzierter und unsicherer klangen Valentinas Worte jetzt, nachdem die herzliche Umarmung von Cinna scheinbar nicht nur nicht erwidert wurde, sondern nicht einmal gewünscht war. Ja, es waren wahrlich viele Jahre vergangen seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten.

    Ihr Gegenüber konnte erkennen wie die Vorsicht in ihrem Gesicht zuerst dem Zweifel und dann dem Widererkennen wich. Das sollte Cinna sein? Valentina hatte ihn noch als Jungen in Erinnerung. Jetzt war er ein Mann. Sofort flog die Türe auf und die junge Quintilia ihrem älteren Großneffen um den Hals. Der Brief war vorerst nicht nötig. Wie verändert er sich doch hatte. Sie war noch ein Mädchen als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er hatte sich über ihre Zöpfe lustig gemacht. Das hatte sie nicht vergessen! Aber das war jetzt nicht wichtig, er war Verwandtschaft und das war, was Valentina gerade am nötigsten brauchte. „Wie schön dich zu sehen.“ Herzte sie den lange nicht gesehenen Cinna. „Komm rein, du willst doch hoffentlich bei mir wohnen, oder? Du musst mir alles erzählen. Achja und wenn du nichts dagegen hast, dann hole ich auch meine zwei Nichten hinzu, die wollen dich sicherlich auch kennen lernen. Hast du Hunger?“ Überschüttete Valentina den armen Cinna gleich mit einer Unmenge an Wörtern.

    Zuerst schien es, als wollte auf das Klopfen keine Reaktion folgen, dann aber hörte man Schritte und schließlich den schweren Riegel, der zurück gezogen wurde, damit die Türe geöffnet werden konnte.
    Das Gesicht der jungen Quintilia erschien, eingerahmt von hochgesteckten Haaren und mit einem sehr verwunderten Ausdruck.
    "Ja?"
    Fragte sie etwas unsicher, die Türe auch nur einen Spalt weit geöffnet.

    „Du musst dich nicht rechtfertigen, Pina.“ Meinte Valentina dann mit einem freundlichen Lächeln. Die Beiden waren nun erst wenige Stunden hier und schon gefiel es der jungen Quintilia die beiden um sich zu haben.
    Etwas verwundert zog Valentina dann die Augenbraue hoch. Zwei Mädchen, die laut eigenen Aussagen das erste Mal in Rom waren und sie wollten sich die Gebäude anschauen? Nun, für Valentina war das nichts Besonderes mehr, war dies doch ihre Geburtsstadt. Auch wenn sie die Tempel natürlich ehrte und auch weiterhin Respekt für die großen Bauten empfand. Dennoch fand sie viel mehr Zerstreuung auf dem Markt oder auch in den Thermen, wenn die Umstände besser waren als das letzte Mal.
    Dennoch nickte sie. „Natürlich können wir uns all die Gebäude ansehen und auch am Forum vorbei schauen. Ihr interessiert euch für den Nabel der Welt?“ Meinte sie dann scherzend, denn für die Römer lag das Zentrum der römischen Welt genau im Forum Romanum. „Dann schauen wir natürlich auch da vorbei.“
    „Und was die Küche angeht…“ Irgendwie hatte Valentina noch das Bedürfnis dieses Thema zu klären. „… Da kann ich jede Hilfe gebrauchen. Denn ich fürchte…“ Sie deutete mit der Hand auf das was auf dem Tisch stand. „Größere Festessen als das hier kann ich euch nicht bieten. Und ja, das Haus besitzt einen schönen Innenhof und dort sind zwar keine allzu großen Bäume, dafür mein Rosengarten. Ich liebe es diese Blumen zu züchten. Das Fenster meines Zimmers geht in den Hof hinaus und der Duft der Blumen weckt mich jeden Morgen.“ Träumerisch lächelte die junge Frau.
    Sie aßen kurz weiter, bis Valentina schließlich wieder das Wort ergriff.
    „Wie ihr ja nun wisst, sind es nur wir drei und ich hatte bisher keine Helfer. Doch ich spare schon lange und dann habe ich vor auf den Sklavenmarkt zu gehen um dort einen Sklaven zu erstehen. Er oder Sie soll uns dann im Haus zur Hand gehen, denn gänzlich ohne Hilfe schaffen wir das hier nicht.“

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    Iullus Quintilius Sermo, Ala II Numidia


    Mein lieber Sermo,


    mit großer Freude habe ich deinen Brief erhalten und als ich las, dass die Götter dir wohl gesonnen sind, wurde meine Freunde nur noch größer.
    Bitte nimm meine Entschuldigung an, dass ich dir so lange nicht geschrieben habe.


    Auch ich würde dir gerne nur gute und wohlklingende Neuigkeiten berichten. Dieser Brief wird nur von mir unterschrieben sein, denn über den Verbleib meines lieben Bruders Valerian herrscht leider eine große Unwissenheit. Er machte sich mit seiner lieben Frau nach Germanien auf und seitdem habe ich leider nichts mehr von ihm gehört. Ich bete zu den Göttern, dass es ihnen gut geht.
    Auch ich hatte leider einige Prüfungen durch die Götter zu durchleben. Zweimal war ich bereits einem Mann versprochen, doch die Schicksalsgöttin hat für mich wohl noch einen anderen Weg bestimmt.


    Leer und einsam ist die Casa hier in Rom gewesen. Bis vor wenigen Tagen, denn da standen zwei junge Mädchen auf meiner Türschwelle. Sie überreichten mir einen Brief in dem Stand, dass sie die Töchter meines Bruders Lyso sind. Er verließ unsere Familie ja sehr früh, wie du sicherlich noch weißt. Meine Erinnerungen an ihn sind nicht stark ausgeprägt. Du kannst dir vorstellen wir groß meine Überraschung war. Leider wurde ich mit dem Brief auch über das Ableben meines Bruders informiert. Die beiden Mädchen gleichen sich bis aufs letzte Haar. Zwillinge und ihre Namen sind Sila und Pina. Sie sind nett, grundverschieden aber beide herzensgut. Sie bringen wieder Leben in diese Casa und ich bin sehr dankbar dafür, dass der Weg sie zu mir geführt hat. Auch wenn mir nicht viele Mittel zur Verfügung stehen, so werde ich mein bestes Tun und die beiden auf ihrem weiteren Weg begleiten. Pina übrigens, ist sehr an der militärischen Welt und wie es scheint auch an den Soldaten selber interessiert. Du wärst also sicherlich ein sehr guter Ansprechpartner, wenn du uns mal besuchen kommst. Doch das soll nur ein weiterer Anreiz sein, wenn du mal Gast in unserem Hause sein kannst.


    Es betrübt mich dein Angebot in Anspruch nehmen zu müssen, doch da ich nun nicht mehr alleine für mich verantwortlich bin und die beiden Mädchen später wenigstens eine kleine Mitgift bekommen sollen, wären wir dir alle sehr dankbar wenn du uns wirklich finanziell ein klein wenig unter die Arme greifen könntest. Natürlich nur, wenn es dir nicht zur Last fällt. Es beschämt mich zugeben zu müssen, dass du mittlerweile mein einziger Verwandter bist, von dem ich noch weiß, dass es ihm gut geht.
    So möchte ich diesen Brief auch mit den besten Wünschen für dich abschließen. Pass auf dich auf und ich hoffe du weißt, dass du jederzeit ein gern gesehener Gast in meiner Casa bist.


    Mögen die Götter dir wohl gesonnen sein!
    Quintilia Valentina


    Sim-Off:

    Bitte von der Familienwertkarte abziehen, danke.

    „Ja, das heißt es wohl.“
    Valentina raffte ihre Kleidung etwas zusammen und hoffte, dass sie nicht gleich aus der Sänfte fallen würde. Denn aussteigen bedeutete auch aufstehen und sie war sich nicht sicher, ob ihr Kopf das schon so ohne weiteres erlaubte. Sie war sich aber sicher, sie würde sich für den Rest des Tages nur noch dem Müßiggang hingeben.
    „Nun dann, Tiberius Helvetius Varus.“ Sie drehte sich noch einmal zu ihm um und sah ihn an.
    „Dann sehe ich unserem Widersehen mit Freude entgegen. Zumal ihr ja nun wisst, wo ich wohne.“
    Sie hoffte, dass sie nicht zu keck geworden war. Vielleicht noch Nachwirkungen des gestrigen Abends und doch hatte sie das Gefühl, dass sie hier auf einem richtigen Weg war.
    Vorsichtig stieg sie aus, strich die Vorhänge auseinander und sah Varus noch einmal an, dann verabschiedete sie sich von ihm und lies die Vorhänge der Sänfte wieder zusammen gleiten.

    Ein leichtes Lächeln legte sich auf Valentinas Züge, als sie Pinas Erzählungen zuhörte. Auch ihr entging nicht die eher männlich eingestellte Neigung. Aber die junge Römerin war der Meinung, dass jeder das tun sollte, dass ihm am meisten Spaß machte. Gleichzeitig wurde ihr aber auch bewusst, wie sehr sie eine Schwester vermisste. Aufgewachsen unter Brüdern, von denen die Meisten schon die Casa verlassen hatten bevor Valentina ihre Namen hatte richtig aussprechen können, war sie eigentlich nur an Valerian gewöhnt. Gleichzeitig fielen ihr die schönen Haare der Mädchen auf, daran konnte sie sich sicherlich mal versuchen und die ein oder andere Frisur ausprobieren. Zumindest bei Sila, die jetzt einsprang, nachdem sie ihrer Schwester offensichtlich einen Tritt unter dem Tisch versetzt hatte. Gleichzeitig hatte es Valentina aber auch erleichtert zu hören, dass die Mädchen keinen allzu großen Luxus gewöhnt waren und sich dementsprechend hier nicht umgewöhnen mussten.
    „Na du bist eine sehr aufgeweckte junge Dame, wenn du mir gestattest das so zu behaupten.“ Meinte die Hausherrin dann mit einem freundlichen und fast auch noch etwas mädchenhaften Lachen zu Pina, dann wandte sie sich den Erzählungen und Fragen von Sila zu. Es war tatsächlich abwechslungsreich, wie die beiden Mädchen jetzt schon versuchten ihre Gunst zu erlangen.
    „Ja, wir drei gehen morgen in die Stadt und dann zeige ich euch alles, was ihr so kennen müsst. Vor allem der Markt wird euch umhauen, da gibt es so viel Sachen zu sehen und zu riechen.“ Die Tatsache, dass sie sich das Meiste davon nicht leisten konnten, lies Valentina mal außen vor. „Oder die Therme…“ Wobei Valentina hoffte dieses Mal auf angenehmere Gesellschaft zu stoßen.
    „Und ich kann jede Hilfe gebrauchen.“ Meinte sie dann schlichtend. Denn auch wenn Pina offensichtlich nicht so geübt hinter dem Herd war wie es ihre Schwester zu sein schien, so hatte diese sicherlich auch ihre Talente.
    Als dann die Frage nach den Verwandten kam, schüttelte Valentina wieder den Kopf und eine ihrer Locken, die sich aus dem Zopf gelöst hatte, schwank im Takt mit.
    „Hier in Rom ist niemand mehr, nein. Von meinen anderen beiden Brüdern weiß ich leider nicht was mit ihnen ist, ich habe schon so lange keine Post mehr bekommen. Es gibt nur noch Sermo, meinen lieben Cousin. Er ist Praefectus Alae in Mogontiacum. Weilt also leider auch nicht hier. Was mich erinnert, dass ich ihm noch schreiben muss.“ Den letzten Satz murmelte Valentina mehr für sich selbst vor sich hin. „Er wäre aber sicherlich der ideale Ansprechpartner für dich, Pina. Vielleicht kommt er uns ja bald mal besuchen.“

    Die sich nähernden Schritte waren noch ungewohnt für Valentina. War sie doch nur die Stille gewöhnt, die sich sonst immer im Haus aufgehalten hatte. Das Einzige, was hier immer zugegen war, waren die Geräusche des geschäftigen Treibens vor der Casa auf der Straße. Jetzt aber war Leben eingezogen und auch wenn sich Valentina erst daran gewöhnen musste, so war es nicht unangenehm.
    Sie schenkte den beiden Eintretenden ein freundliches Lächeln und schüttelte dann sofort den Kopf auf die Frage. „Nein überhaupt nicht. Es ist nur, dass ich auch vollkommen überrascht bin. Leider habe ich von meinem Bruder nicht mehr viel gehört. Er hat die Familie verlassen als ich noch ziemlich jung war. Und nun zu wissen, dass er gestorben ist, betrübt mich natürlich. Doch ihr seid sein Andenken und deswegen habe ich euch doch nur allzu gerne um mich herum. Auch wenn ihr sicherlich mehr erwartet habt, doch wir sind keine besonders reiche Familie und leider haben die Götter bis jetzt noch nicht dargelegt welcher Mann für mich auserwählt wurde.“ Ein klein bisschen klang sie traurig bei diesem Satz. „Aber wir sind starke Frauen und wir werden das schaffen.“ Sie nickte auch zur Bestätigung für sich selbst. Dann reichte sie eine Platte mit kleinen Köstlichkeiten an die beiden Mädchen weiter. „Morgen können wir auf den Markt gehen und dann sagt ihr mir was ihr gerne mögt, ja?“
    Sie aßen ein bisschen, dann aber hielt es Valentina nicht mehr aus, schließlich war das Gefühl der Neugier auch ihr nicht gänzlich fremd. „Mögt ihr mir ein bisschen was von euch erzählen? Was habt ihr bisher so gemacht?“ Sie brach noch ein Stück vom Brot ab und sah die Beiden dann abwechselnd an.

    Ja, leid tat es Valentina auch. Streng genommen war sie es, die mit ihrem Bruder gebrochen hatte, auszog und als sie wieder zurück kam, war niemand mehr da. Vereinzelte Briefe hatten sie noch erreicht, dann riss der Kontakt gänzlich ab. Die junge Quintilia wusste, dass sie jetzt in eine leere Casa zurück kehren würde.
    Dankbar nickte sie auf die gut gemeinten Worte und schenkte Varus ein Lächeln.


    Sie betrachte die starken Hände, die ihren hielten. Es fühlte sich gut an. Sie wollte dieses Gefühl nicht wieder so schnell missen müssen. Es war schon fast unglaublich welche Wege die Schicksalsgöttin manchmal für einen vorgesehen hatte. War sie doch auf diese Hochzeit nur mit Widerwillen gegangen und nun saß sie hier und es regten sich Hoffnungen vielleicht auf der nächsten Hochzeit nicht alleine dastehen zu müssen.
    Bei der Frage lächelte sie, denn so formuliert hörte es sich gar nicht schlecht an.
    „Nun, über diese Frage muss ich doch tatsächlich etwas nachdenken.“ Begann sie gedehnt und tatsächlich wurde Valentina von einer Leichtigkeit beflügelt, die sie zu diesem Scherz hinreisen lies. Dann sah sie ihren Gegenüber keck an. „Natürlich wäre ich damit einverstanden. Sehr sogar.“

    Auch auf Valentinas Zügen zeichnete sich so etwas wie ein seeliges Lächeln ab. Konnte es wirklich sein, dass dieser schöne Abend noch nicht vorbei sein sollte bzw. das er sich fortsetzte?
    Als dann allerdings die Frage nach dem Vormund kam, wich Valentina ihrem Gegenüber mit Blicken aus und gab erst einmal die Adresse bekannt zu der sich die Sänftenträger begeben sollten.
    Sie lies noch ein bisschen Zeit vergehen und pendelte sich in die schwankenden Bewegungen der Sänfte ein, bevor sie seufzte.
    "Nein, es gibt niemanden mehr. Mein Bruder Valerian ist ... ich habe schon lange nicht mehr von ihm gehört. Es gibt also nur noch meinen Cousin, aber der weilt leider auch nicht hier in Rom. So gesehen musst du also nur mit mir reden."
    Ein scheues Lächeln hinterher sollte die Situation etwas entkräften.