Beiträge von Quintilia Valentina

    Die Tatsache, dass sie sich gerade sprichwörtlich vor Varus entblößt hatte, war Valentina nicht entgangen. Sie hatte es absichtlich auf diesen Zeitpunkt gewählt. Jetzt wäre es für sie beide noch ungefährlich die Beziehung zu lösen. Varus wäre nichts weiter als ein guter Bekannter gewesen und nichts und niemand hätte Grund zu Tratschereien. Er sollte gleich wissen auf was er sich einließ. Ihre Familie war nicht reich und würde es vermutlich auch so schnell nicht mehr werden. Auch waren sie nicht einflussreich. Eigentlich waren sie kaum existent. Und so eine Frau wollte Varus sich in sein Haus holen. An seine Seite nehmen. Sie musste auch an ihn denken. Was das betraf, hatte Valentina ihm nichts zu bieten. Keinen Einfluss, ja kaum eine Mitgift. Im Gegenteil, sie war diejenige, die von ihrer Beziehung am meisten profitierte. Und deswegen diese Offenheit. Jetzt konnte Varus sie noch lächelnd zur Tür bringen und keiner wäre verletzt.


    Dennoch war der Blick, den Valentina ihrem Gegenüber schenkte mit einem Hauch von Angst behaftet. Würde er das tun? Was wenn ihm jetzt erst klar wurde wen er sich hier ins Haus geholt hatte? Sie wollte nicht, dass das hier vorbei war. Sie fing gerade wieder an sich wohl zu fühlen. Auch sie hatte sich in den gutaussehenden Mann vor sich verliebt, wenngleich sie auch noch zu viel Angst hatte das zuzugeben. Und nicht in sein Geld, seinen Namen oder seinen Ruf. Nein, es war die Person, die Valentina bereits gefallen hatte, als sie seinen Namen noch nicht einmal kannte. Wäre die Situation andersherum, ihr wäre es egal. Aber sie war kein Mann, der vielleicht einen Ruf zu verlieren hatte.


    Als Varus sie dann fragte welche Art von Sklave sie wollte, schien es als habe er den Umstand akzeptiert. Oder er brauchte ein paar Momente bis ihm das ganze Ausmaß klar wurde. Valentina aber würde sich nun nicht vorwerfen müssen, es ihm nicht gesagt zu haben.
    Erleichterung machte sich in ihr breit und das konnte man ihr auch deutlich ansehen. Nun, was brauchte sie? Eigentlich beides. Jemand der auf sie aufpasste und eine Hilfe für den Haushalt. Sicherheit war wichtig aber auch der Haushalt musste gemacht werden.
    „Jemanden, der beides kann.“
    Gab sie dann zu auch wenn er gerade sagte, dass dies die schwierigste Variante war. Aber mehr als einen Sklaven konnte sie sich nicht leisten und dann musste der eben alles ein bisschen können. Auch wenn dessen Preis höher war.
    „Und es muss wohl ein … Sklave sein. Denn einen Angestellten werde ich nicht unterhalten können. Doch ich habe vor dem Sklaven regelmäßig ein gewisses Taschengeld zukommen zu lassen.“

    Mit möglichst betroffenem Gesicht verfolgte Valentina weiterhin den Leichenzug. Es war noch nicht oft, dass sie am Straßenrand stand und so einem Spektakel beiwohnte. Und so konnte sie nicht unterbinden mit einer gewissen Faszination all den Prunkt zu bestaunen, dem da einem Toten gewidmet wurde. Gut, der Tote war der Kaiser gewesen, aber trotzdem.


    Hinter ihr standen ihre Nichten, die natürlich ebenfalls dabei sein sollten. Auch wenn Valentina zuerst nicht recht wusste ob ein Leichenzug das richtige für die Beiden war. Aber sie waren groß und sie gehörten zu ihrer Familie. Vielleicht sogar bald noch zu einer viel größeren, einflussreicheren Gens.
    Als sie spürte wie Varus den Kopf neigte, musste Valentina mit aller Mühe die Röte unterdrücken, die ihr in die Wangen steigen wollte. Es fühlte sich gut an, aber in der jetzigen Situation sollte es sich nicht gut anfühlen. Deswegen versuchte sie weiterhin wie versteinert dem Spektakel zu folgen.


    Als sie dann allerdings hörte was er ihr zu sagen hatte, ruckte ihr Kopf herum ihr Mund stand halb offen und sie konnte nicht glauben was sie da gerade gehört hatte. Dann nickte sie kurz und abgehakt. Einfach so ohne etwas zu sagen sie wollte die Arme heben um sich gebührend bei Varus zu Bedanken als ihr gerade noch rechtzeitig einfiel wo sie waren. Schnell senkte sie wieder den Blick und stierte den Boden an. Der konnte sie wenigstens nicht verpetzen, dass sie eigentlich gerade laut jubeln wollte.

    Es waren nun einige Tage vergangen in denen sich so vieles ereignet hatte. Fast schon unheimlich, wenn man bedachte, dass die junge Quintilia sonst ein eher ruhigeres und bescheideneres Leben führte. Man konnte regelrecht davon sprechen, dass es in den letzten Tagen stressig war. Wenngleich aber auch ein angenehmer Stress dabei war. Sie hatte nicht nur Varus wiedergefunden, nein sie war auch bei ihm eingeladen gewesen wo er bereits zum ersten Mal ein Angebot gemacht hatte und beim Leichenzug des Kaisers hatte er sie erneut etwas gefragt, was sie aber dazu brachte heute ihre Liebsten zusammen zu berufen und mit ihnen zu reden.


    So hatte sie also das Triclinium gewählt und es sich bereits auf einer der Liegen bequem gemacht. Der schöne Blumenstrauß, den sie von Serapio geschenkt bekommen hatte, der stand auf dem kleinen Beistelltisch. Schade, dass etwas so schönes mit etwas so hässlichem verbunden werden musste. Aber auch darüber wollte sie mit ihrer Familie reden. Sie gehörten zusammen also konnte jedem alles passieren. Es war nochmal gut gegangen und doch wollte Valentina es auf kein zweites Mal ankommen lassen. Noch ein Grund warum sie eine starke Verbindung brauchten und vielleicht hatte sie diese ja in Varus gefunden.


    Die Hausherrin hatte sich sogar die Mühe gemacht ein paar kleine Häppchen zuzubereiten und auf dem Tisch standen bereits drei gefüllte Becher mit verdünntem Wein. Ihren eigenen hielt sie bereits in den Händen und betrachtete sich den Inhalt, während sie auf das Eintreffen der restlichen Familie wartete.

    Wie es sich für einen Anlass wie diesen gebührte, war Valentina in gedeckter Trauerkleidung gewandet als sie neben Tiberius Helvetius Varus stehend den Trauerzug verfolgte.
    Sie hatte keine besonderen Bezug zu dem Toten und es war ihr auch nicht wichtig hier zu sein. Viel wichtiger war es ihr, mit wem sie hier war.
    Es war ihr erster gemeinsamer Auftritt, wenngleich sich Valentina einen schöneren Anlass hätte vorstellen können.
    Fast etwas erschrocken darüber, dass er ihre Hand ergriff, sah sie Varus dann von der Seite an, stets bemüht ein würdevolles Gesicht zu wahren. Doch in ihren Augen war das feine Lächeln zu sehen, welches sich normalerweise in so einer Situation auf ihre Lippen gelegt hätte.
    Doch sie wagte es nicht lange den Blick aufrecht zu halten und sah statt dessen wieder zum Trauerzug.

    Die Stirn der jungen Quintilia legte sich in Falten, als sie die Worte von Serapios Begleiter zuhörte. Irgendetwas drängte sich da an die Oberfläche. Und dann fiel es ihr wieder ein! Bei ihrem Marktbesuch hatten ihre Nichten und sie so ein Gespräch mitbekommen. Die Mädchen hatten sie noch gefragt wer so etwas nur macht und Valentina wusste noch ganz genau, dass sie die Beiden strengstens davor gewarnt hatte nach Anbruch der Dunkelheit nach draußen zu gehen. Sie alle hatten über das Benehmen der Frau den Kopf geschüttelt und Valentina hatte sich noch dabei gedacht, dass es sich sicherlich nicht um eine ehrenvolle Frau handeln konnte. Nicht um die Tochter des Dives. Aber jetzt? Wenn sie das so hörte, dann wurde ihr alles klar. Aber warum sie?
    "Ich habe auch davon gehört. Wir waren auf dem Markt und da haben wir das Gerede mitbekommen. Markus Iulius Dives Name wurde genannt, doch ich hielt das für dummes Geschwätz."
    Sie sah kurz zu Serapio, hatte sie den Namen doch einfach so gedankenlos ausgesprochen. Es tat ihr leid ihn in seiner Gegenwart erwähnt zu haben. Wie es ihm dabei wohl gehen musste? Doch Valentina wagte nicht zu fragen. Statt dessen versuchte sie weiterhin dem Ganzen einen Sinn abzuringen.
    "Was du sagst scheint vollkommen richtig zu sein."
    Sie wandte sich wieder an Borkan.
    "Das würde Sergia Fausta ähnlich sehen. Ich kenne sie nicht gut, aber ich habe sie kennen gelernt und das würde ich ihr zutrauen. In gewisser Weise würde ihr das sogar als ehrenvolle Tat angesehen werden, wenn sie ihren Mann schützte. Allerdings ist das Wie nicht ehrenhaft und vor allem wage ich zu behaupten, das hat sie nicht alleine Seinetwegen getan."
    Verstohlen sah Valentina zu Boden. Sie sprach normalerweise nicht böse über jemanden. Dann atmete sie tief durch.
    "Ihr zwei wisst gar nicht wie dankbar ich euch bin und ich stehe tief in eurer Schuld. Ich wüsste nicht was ich getan hätte, wenn diese Tabula in die falschen, oder in dem Fall richtigen Hände gefallen wäre. Meine kleine Familie wäre ruiniert gewesen."
    Valentina wurde wieder etwas bleicher.
    "Sie hätte alles zerstört, was ich mühevoll aufzubauen versuche. Meine beiden Nichten..."
    Ein Schauer durchfuhr sie.
    "Aber es ist nichts dergleichen geschehen. Ich weiß nicht wie ich euch das jemals wieder zurück geben kann."
    Sie sah beide Männer an und schenkte ihnen ein Lächeln.
    "Ich hoffe nur sie kommt nicht noch einmal in eine Situation in der sie meinen Namen beschmutzen muss. Ich kann nicht immer darauf vertrauen, dass ihr da seid und das Schlimmste verhindert. Man müsst etwas gegen diese Person unternehmen können..."

    Schweigend aber mit einem etwas traurigen Lächeln strich Valentina glättend mit ihren Fingern über Varus Brust. Nein er konnte es nicht wissen, doch bereits zweimal hatten die Götter einen Mann zu sich gerufen, der eigentlich für sie bestimmt war. Danach war Valentina für lange, lange Zeit außer Landes geflohen. Bis in die fernen Provinzen von Ägypten war sie gereist nur um sich dort einzusperren. Sie wollte damals nur weg und nichts und niemanden mehr sehen. Sie haderte mit den Göttern und fragte immer und immer wieder warum sie ihr das antaten. Und bis heute schienen sie immer weiter ihre Spiele zu spielen. Es lag also nicht an Varus. Es lag an Valentinas Zweifel in ihr Schicksal, das sie nicht glauben konnte hier ein für allemal glücklich werden zu können.


    Doch das war nun kein Thema für jetzt und hier und so sah sie statt dessen wieder auf.
    "Was meinst du, sollen wir mal nach Sila und Pina sehen? Vielleicht magst du uns ja noch eine kleine Wegzehrung anbieten, bevor wir uns für heute wieder zurück ziehen. Ich bin mir sicher der Marktbesuch mit der unangenehmen Begegnung mit diesem Dieb und dann die Besichtigung deines Hauses war sicherlich aufregend für die Beiden."
    Sie wollte sich schon zum Gehen wenden, als sie noch einmal inne hielt.
    "Darf ich dich etwas fragen von dem ich hoffe, es bleibt unter uns?"
    Sie sah zu ihm auf und wartete seine Antwort ab.
    "Ich besitze keinen einzigen Sklaven. Aber ich habe auch nur einen begrenzten Betrag was ich ausgeben kann um mir einen zu kaufen. Wenngleich ich diese menschenunwürdige Art verabscheue, so weiß ich seit heute umso mehr, dass ich für meine Nichten und auch für mich Schutz benötige. Wer weiß was passiert wäre, hätten wir dich nicht auf dem Markt getroffen. Deswegen meine Frage an dich. Weißt du wo man gute und günstige... Hausangestellte findet?" Ein zweites Mal konnte Valentina einfach dieses Wort nicht aussprechen.

    Leicht musste Valentina schmunzeln als Varus behauptete die Nichten könnten den Garten nicht verwüsten. Oh ja, da merkte man, dass er sie nicht so gut kannte. Aber Valentina wollte ihnen auch nicht zu Unrecht ein zu großes Temperament zusprechen. Die Beiden konnten sich sehr wohl benehmen.


    Als er dann aber versprach sie nicht bedrängen zu wollen, sah Valentina zu ihm auf und nickte dankbar. "Hab dank dafür. So oft nun wurde ich schon verletzt. Es ist einfach so, dass ich das sicherlich nicht noch einmal überstehen werde."


    Auf sein Geständnis hin, war es nun auch Valentina, die errötete. Hatte sie gerade richtig gehört? Wie lange war es her, seit das letzte Mal jemand so etwas zu ihr gesagt hatte? Leider schon wieder viel zu lange.
    Noch konnte sie diesen Schwur nicht erwidern. Noch erlaubte sie sich das noch nicht. War doch auch ihre letzte Verlobung mehr der Vernunft entsprungen. Aber sie legte eine Hand auf seine Brust, stellte sich dann auf die Zehenspitzen und hauchte Varus einen Kuss auf die Wange.

    Es wunderte wohl niemanden, dass diese Gemeinheit nur einen Namen tragen konnte. Valentina verwünschte noch heute den Tag an dem sie dieser unangenehmen Person begegnet war.
    Sie nickte dankbar als Serapio meinte, dass ihm das wegen der Verlobung leid tat. Das tat es ihr auch und langsam aber sicher musste sie daran arbeiten. Vielleicht war sie ja mittlerweile schon wieder auf einem guten Weg. Denn sonst verlor Valentina am Ende auch noch das Letzte was sie besaß. Ihren guten Namen.


    "Ich habe einfach Angst. Angst davor, was diese gemeine Person noch tun könnte. Wir sind nicht besonders reich, meine Brüder sind leider alle schon verstorben. Ich bin sozusagen das Oberhaupt dieses Hauses und ich muss dafür sorgen, dass alle, die darin wohnen in Sicherheit sind. So etwas..." Sie deutete auf die Tabula. "...könnte der endgültige Ruin sein. Wer heiratet denn noch so eine Frau? Und meine Nichten? Ihre Zukunft ist auch gefährdet..." Valentina drohte in Panik auszubrechen, bemerkte das aber zum Glück früh genug und bremst sich wieder. Sie hatte den jungen Mann vor sich in einer schlimmen Stunde kennen gelernt und offensichtlich schien sich dieses Treffen ähnlich zu gestalten. Mit vertauschten Rollen. Statt dessen hörte sie Serapio zu, der davon berichtete, dass Sergia Fausta bereits Erfahrung in Erpressungen hatte er wollte aber nicht ins Detail gehen. Deswegen nickte sie einfach und nahm es so hin. Valentina würde ihn auf keinen Fall drängen. Tief durchatmend sah sie statt dessen zu seinem Begleiter, der wie Serapio meinte, näheres dazu wusste. Die Beiden hatten es auf sich genommen zu ihr zu kommen, da war es das Mindeste, dass Valentina ihnen das höchste Maß an Aufmerksamkeit schenkte. Auch wenn sich ihre Gedanken noch immer um ihre und die Zukunft ihrer Nichten drehte.

    Wie sie so dastand und in den leeren Kamin blickte, gewann Valentina wieder ein bisschen ihrer Fassung zurück. Als Varus hinter sie trat und erklärte warum er sich nicht gleich gemeldet hatte, nickte sie verstehend. Das war doch vollkommen in Ordnung. Es beschämte sie fast ein bisschen, dass ein Mann sich vor ihr erklärte. Er hatte wahrlich wichtigeres zu tun.


    Als er sie dann umdrehte, folgte Valentina ohne sich zu wehren und blickte Varus wieder an. Sie hatte sich wieder soweit unter Kontrolle um ihn direkt anblicken zu können.
    "Mir geht es ähnlich. Und ich fühle mich wirklich geschmeichelt von diesem Angebot. Nicht nur weil ich dann auch meine Familie in guten Händen wüsste. Meine beiden Nichten hast du ja schon kennen gelernt. Ich hoffe sie lassen deinen Garten heil. Dennoch muss ich dich noch um ein bisschen Geduld bitten. Ich möchte erst mit ihnen reden. An meinen Gefühlen ändert das nichts, doch ich möchte nicht alleine entscheiden. Sie waren bis vor kurzem alles was ich hatte und das kann ich nicht einfach so ignorieren."


    Sie legte ihm ihre Hand auf den Arm.
    "Dennoch bin ich mir sicher, dass einer gemeinsamen Zukunft nichts im Wege steht. Lass es uns nur langsam angehen, ja? Meine Wunden sind noch nicht gänzlich verheilt."

    Nachdem Valentina wieder Platz genommen und einen Schluck aus dem Becher genommen hatte begann sie sich wieder zu beruhigen. Ihre Hände hörten auf zu zittern und sie konnte wieder etwas ruhiger atmen. Wenngleich der Schreck immer noch tief saß. Es tat gut Freunde zu haben. Freunde von denen sie bisher nicht einmal etwas wusste. Die Wege der Schicksalsgöttin waren wahrlich unerklärlich.
    "Habt dank ihr zwei. Ich weiß es sehr zu schätzen was ihr für mich getan habt."
    Dabei sah Valentina von Serapio zu seinem Begleiter und wieder zurück.
    "Hatte es damals doch etwas gutes, dass ich dich auf dieser Hochzeit angesprochen habe."
    Versuchte sich die junge Quintilia in einem Lächeln und seufzte erneut. Sie konnte es immer noch nicht verstehen.
    Sie sah zu wie Serapio die Tabula an sich nahm und hörte seine Frage. Zuerst schüttelte Valentina den Kopf, hielt dann plötzlich inne und sah ihn direkt an.
    "Die Braut, Sergia Fausta!"
    Für Valentina vollkommen ungewohnt, spie sie den Namen regelrecht aus. Und die eben noch so verzweifelt gesucht Fassung wich plötzlich unerklärlicher Wut. Sie versucht sich unter Kontrolle zu halten, denn es gab ja keine Beweise. Aber...
    "Sie ist die Einzige, mit der ich bereits eine unangenehme Begegnung hatte. Vor ihrer Hochzeit bin ich ihr in der Therme begegnet und wurde dort von ihrem Charme regelrecht gefangen genommen."
    Man konnte sogar eine gewisse Röte auf ihren Wangen erkennen. Dieses Mal nicht vor Scham.
    "Aber warum sollte sie das tun? Ich bin keine Gegnerin für sie und auf ihrer Hochzeit habe ich sie nur aus der Ferne gesehen. Geschweige denn habe ich jemals etwas gegen sie unternommen. Ich musste hingehen, weil mein damaliger Verlobter es musste. Du hast ihn kennen gelernt. Wir sind mittlerweile nicht mehr verlobt."
    Gab sie dann in einem Nebensatz zur Kenntnis.
    "Ansonsten fällt mir niemand ein. Wir kennen hier kaum jemand und meine Familie ist nicht besonders reich."

    Wie sie so dicht vor Varus stand, kam wieder das ungute Gefühl in ihr auf, dass sie wieder enttäuscht werden konnte. Er näherte sich ihr und Valentina verstand. Sie wollte das was er da tat auch. Nur jetzt noch nicht. Deswegen schob sie ihn mit sanfter Gewalt von sich weg und wandte sich aus seinen Armen. Sie trat hinüber zum Kamin als wollte sie sich an dem nicht brennenden Feuer wärmen.
    "Bitte versteh mich nicht falsch. Deine Gastfreundschaft ehrt dich und ich hoffe meine Nichten zerlegen nicht deinen Garten."
    Sie lächelte leicht, als sie über die Schulter zurück zu Varus blickte, wurde dann aber wieder ernst.
    "Und es ist auch mein Ernst, dass ich mich in deiner Gesellschaft sehr wohl fühle. Auch ich musste nach der Hochzeit immer wieder an dich denken und hatte schon Angst missfallen zu sein, weil ich länger nichts von dir gehört habe. Doch..."
    Nun drehte sie sich wieder ganz zu ihm.
    "Als ich auf der Hochzeit war, da war ich noch verlobt. Doch nach diesem Abend nicht mehr. Frag mich nicht warum, ich hab es bis heute nicht verstanden. Er ging einfach."
    Das Licht der Öllampen brach sich in den tränennassen Augen. Valentina blinzelte ein paar Mal.
    "Ich..." Sie drehte sich wieder mit dem Gesicht zum Kamin. Sie konnte ja schlecht sagen, dass sie Angst hatte, dass ihr so etwas noch einmal passierte. Das wäre nicht höflich Varus gegenüber gewesen. Und doch war das genau ihre Angst.

    Schweigend war Valentina neben Varus hergegangen und hatte sich immer mal wieder umgesehen. Sie war eben auch nicht vollkommen frei von der angeborenen Neugier der meisten Frauen. Als der Vorhang zurück geschoben wurde, trat sie ein und sah sich in Varus kleinem Reich um. Sie war nicht enttäuscht, das wäre der falsche Ausdruck. Sie hatte nichts erwartet, sie war vielleicht überrascht. Die Behauptung, dass hier die Handschrift einer Frau fehlte, konnte Valentina nur unterschreiben. Es war nicht unordentlich oder ungastlich. Aber es fehlt einfach ein bisschen Charme. Sie würde sofort eine Vase mit Blumen auf den Tisch stellen und vielleicht würde sich ein Trockengesteck in der hinteren Ecke des Raumes auch nicht schlecht an der Wand machen. Ein Gemälde? Bevor sich schon anfing die Inneneinrichtung umzudekorieren, sah sie wieder zu Varus.


    „Es ist sehr… praktisch eingerichtet.“ Suchte sie nach den richtigen Worten und schob schnell ein Lächeln hinterher. Sie wollte nicht unhöflich sein. „Wenn man hier ruht und das Knacken des Feuers hört, ist es sicherlich eine Oase der Ruhe. Kein Wunder, dass du dich hier wohl fühlst.“
    Als sie dann die starken Arme spürte, die sich um sie legten, spannte Valentina sich kurz an. Nicht, dass sie das nicht begrüßen würde, doch sie war verlobt gewesen und hatte den Mann seitdem nicht mehr gesehen. Sie hatte Angst wieder enttäuscht zu werden. Dann aber musste sie wirklich kurz Lachen als er ihre Vorliebe für die Rosen erwähnte. „Das hast du nicht vergessen?“ Sie sah schräg über ihre Schulter zurück, denn sie wollte die Umarmung noch nicht lockern. Es beeindruckte sie wirklich, dass er solch eine Kleinigkeit behalten hatte.
    „Ich muss gestehen, dass mit der Abend nur schleierhaft in Erinnerung geblieben ist. Aber das ist vermutlich besser so. Nicht nur wegen der Braut.“ Sie wurde traurig, war das doch der letzte Abend an dem sie ihren Verlobten gesehen hatte. Doch dann seufzte sie und versuchte wieder fröhlicher zu werden. „Dafür war der Morgen danach umso schöner, als ich in deinen Armen aufgewacht bin.“ Nun drehte sie sich um und sah noch etwas scheu zu Varus auf. „Etwas, an das ich mich gewöhnen könnte.“ Errötete sie etwa?

    Auch Valentina hätte den Garten gerne gesehen, liebte sie Pflanzen doch und vor allem wollte sie sich die Rosensträucher anschauen, wenn Varus davon welche besaß. Deswegen war sie schon versucht sich mit ihren Nichten in Bewegung zu setzen, als sie im letzten Moment begriff. Sie blieb deswegen stehen und sah Sila und Pina lächelnd hinterher.
    "Es ist alles so schön hier." Bemerkte sie, als Varus ihr die verschiedenen Möglichkeiten aufzählte. Viel größer und ausladender als in ihrer Casa, doch das behielt Valentina noch für sich.
    Sie betrachtete die Hand, die Ihre genommen hatte. Es fühlte sich gut an. Endlich mal wieder von jemandem an die Hand genommen zu werden. Und das nicht nur im momentanen Beispiel. Sie brauchte dringend einen Mann in ihrem Leben. Nicht nur um die Einsamkeit zu beenden, sie musste nun auch für ihre kleine Familie sorgen. Sie war nun das Oberhaupt und ihr oblagen alle Rechte und Pflichten. Da sie aber nie ein besonders durchsetzungsstarker Mensch war, wäre ein Mann sicherlich nicht falsch. Und von der Sicherheit mal ganz abgesehen. Sie strich leicht verträumt mit dem Daumen über seinen Handrücken.
    Große Gesellschaften... nun, Valentina wusste schon gar nicht mehr, wann sie mehrere Gäste zu einer Feierlichkeit eingeladen hatte. Aber sie wollte sich jetzt nicht von ihren trüben Gedanken übermannen lassen und statt dessen den Besuch genießen.
    "Nun, dann zeig es mir doch." Schlug sie vor und schenkte Varus ein Lächeln. Sie wollte es sich noch nicht erlauben weiter in die Zukunft zu denken, doch es wären sicherlich sehr angenehme Gedanken geworden.
    "Vielleicht finde ich ja auch noch ein paar Anregungen." Hoffte sie über ihre Neugier hinweg zu täuschen.
    "Natürlich nur, wenn es keine Umstände macht."

    Natürlich war das Missfallen ihrer beiden Nichten auch Valentina nicht entgangen. Aber auch sie hatte sich den Marktbesuch anders vorgestellt. Sie hatte auch nicht eingeplant gehabt von einem Dieb überfallen zu werden und dann mehr oder weniger von Varus gerettet werden zu müssen. Sie war froh um seine Anwesenheit, doch wäre es unter anderen Umständen noch schöner gewesen.
    Als ihre beiden Nichten dann mehr murrend als zustimmend einwilligten, mit zu Varus zu kommen, bemühte sich die junge Quintilia um ein Lächeln, welches sie dem einzigen Mann in ihrer Runde schenkte.


    Sie folgte ihm, doch es konnte von ihrer Seite aus kein richtiges Gespräch aufkommen. Sie wusste nicht so recht wie sie sich verhalten sollte. War sie nun im Ansehen ihrer Nichten gesunken, weil sie eingewilligt hatte mit Varus mitzugehen? Aber ihn vor den Kopf stoßen wollte sie auch nicht. Sie wusste doch nicht wie man sich als Tante zu benehmen hatte. War sie es doch erst seit kurzer Zeit. Aber sie wusste wie man sich als Dame zu benehmen hatte. Und außerdem hoffte sie, Varus vielleicht mit der Zeit so gut zu gefallen, dass er in Zukunft für ihre Sicherheit und auch den Rest ihrer kleinen Familie sorgen konnte. Also tat sie es doch auch ein bisschen in deren Namen.


    Dennoch schwieg sie immer noch und sah sich nur staunend um, als sie das Haus betraten. Das hier war so viel größer und sehenswerter als in der Casa Quintilia. Nicht, dass sie ihr Zuhause schlecht reden wollte, doch ihre Familie war nicht reich. Und da sie als ziemliche Alleinerbin noch das restliche Vermögen zusammen zu halten versuchte, war Valentina zutiefst beeindruckt von dem was sie hier sah. Da war es auch nicht verwunderlich, dass sie leicht errötete bei der Aussage sie sollte sich fühlen als wäre das ihr Heim und dabei Varus Blick erhaschte. Das war wirklich ein schöner Gedanke.
    „Nun…“ Wandte sie sich an Sila und Pina. Da sie nun schon gegen ihren Willen mitgekommen waren, versuchte Valentina noch einmal die Situation zu retten. Vielleicht gelang es ihr ja, den Beiden den Aufenthalt hier doch noch schmackhaft zu machen. „Wollt ihr etwas sehen? Hier gibt es sicherlich so einiges, was ihr von unserem Zuhause noch nicht so gewohnt seid.“ Versuchte sie die Problematik ein klein wenig zu umschreiben.

    Mitnichten war es Valentinas Absicht durch ihren Augenaufschlag Missfallen bei Serapio hervorzurufen. Sie wollte es einfach genießen unangefochten die charmante Gastgeberin zu sein. So genoss sie einfach die Anwesenheit der beiden Männer, gleichwohl wissend, dass sie keine Chance hatte.
    So also saß sie nun mit den Herren im Tablinum und wartete auf eine Antwort für ihre Neugier, vor der auch Valentina nicht gefeit zu sein schien.
    Die kleine Bemerkung wegen ihrer Dienerschaft lies sie dankbar unkommentiert, so wie es sich für eine Dame von Stand gebührte. Die verloren doch schließlich keine Worte über ihre Dienerschaft. Und wenn sie das taten war es nicht angebracht. Das hatte sie schon einmal unangenehm erfahren müssen.


    Zum Glück spannte Serapio sie nicht lange auf die Folter, weswegen Valentina ihm sehr dankbar war. Sie blickte kurz auf die geschlossene Tabula, konnte jedoch nichts damit anfangen und sah wieder auf. Doch als er sich in seiner Erzählung erging, fiel es ihr immer schwerer seinen Worten zu folgen. Was er da berichtete war schrecklich und es tat der jungen Quintilia im Herzen weh über einen derartigen Tod erfahren zu müssen. Aber warum erzählte Serapio ihr das? Er war doch sicherlich nicht hierher gekommen um ihr von derartig schrecklichen Ereignissen auf dem Markt zu erzählen? Ihr Lächeln blieb konstant, doch ihr Blick glitt kurz zu Serapios Begleiter, dann zu den Blumen die sie in eine Vase gestellt hatte. Wirklich ein wunderschöner Strauß. Der Mann hatte Geschmack.
    Dann aber kam die Sprache auf die zuvor gezückte Tabula und Valentina sah wieder zu Serapio. Irgend etwas in seiner Stimmlange hatte sie alarmiert und er bekam nun wieder die ganze Aufmerksamkeit von ihr. Sie blickte auf die geschlossene Tabula in seinen Händen und als er sie ihr reichte, sah Valentina noch einmal zu dem Begleiter als brauchte sie auch von ihm eine Bestätigung sie annehmen zu dürfen. Jetzt war es ihr doch ein bisschen unheimlich und sie nahm den Gegenstand entgegen.
    Ihre Augen glitten über das Geschriebene, doch sie verstand es nicht. Dann las sie noch einmal und noch einmal. Schwere Stille senkte sich über den Raum.


    Die Brust der jungen Quintilia hob und senkte sich in der aufkommenden Bestürzung immer heftiger. Aber das konnte doch nicht sein. Serapios Erzählung von dem getöteten Händler purzelten ihr durch den Kopf und nun das. Sie begann zu verstehen.
    "Aber..." Valentina fand keine Worte, sie sah auf, als wollte sie nicht glauben. Ihre Augen glänzten verdächtig. "Aber..." Sie schaffte es wieder nicht einen Satz zustande zu bringen. Dann warf sie die Tabula plötzlich neben sich auf ihre Kline und sprang auf. Nervös lief sie ein paar Schritte hin und her. Das Gesicht kalkweiß und ihre Finger nervös ineinander verknetet.
    "Das habe ich nicht geschrieben!"
    Sie deutete auf die Tabula.
    "Niemals würde ich so etwas... Und was für ein Sohn? Ich habe keine Kinder."
    Sie sah Serapio und seine Begleitung an als würde sie von denen eine Antwort erwarten. Dann näherte sie sich ihrer Hochzeitsbekanntschaft, kniete sich vor ihn und legte ihm ihre Hände auf die Seinen.
    "Sag mir, wer macht denn so etwas? Und... und wieso?"

    Als sie das Tablinum betraten, huschte in Lächeln über Valentinas Gesicht. Ihre Nichten hatten in aller Heimlichkeit einen Krug mit verdünntem Wein und ein paar Kleinigkeiten zum essen bereitgestellt. Sie würde natürlich nichts dazu erwähnen, vielleicht konnte sie so vor den Besuchern verheimlichen, dass sie keinerlei Sklaven besaß.
    Sie deutete auf die Sitzgelegenheiten und machte es sich dann selbst bequem. Nachdem sie den Gästen etwas zu trinken angeboten hatte und sie aufforderte nach Belieben die Häppchen zu kosten, sah sie Serapio direkt an.
    "Bitte entschuldige meine Neugier, aber darf ich gleich den Grund des Besuches erfragen? Dein Schreiben hat mich gleichermaßen neugierig gemacht wie beunruhigt. Vor allem die Dringlichkeit, die ich zwischen den Zeilen lesen konnte. Ist etwas passiert?"
    Sie konnte nicht verhindern, dass Valentina während ihrer Frage ihren Becher nervös in der Hand drehte.

    Den schönen Blumenstrauß nahm Valentina entgegen und errötete gleichzeitig als sie das Kompliment hörte. Sie versuchte das zu verstecken, indem sie beiläufig an den Blumen roch. "Vielen Dank, die sind wunderschön." Mit einem bezaubernden Augenaufschlag betrachtete sie sich dann die Begleitung ihres Besuches und nickte ihm höflich zu.
    "Bitte kommt doch rein, drinnen lässt es sich besser reden."
    Mit einer fließenden Bewegung drehte sich Valentina um und ging voran um die beiden zum Tablinum zu geleiten.

    Fragend blickte Valentina von Varus zu ihren beiden Nichten.
    Sie wollte diese Entscheidung nicht alleine tragen. Auch wenn sie ehrlich gesagt erst einmal wieder die Nase voll hatte vom Bummel über den Markt.
    Warum musste einem aber auch alles vermiest werden?
    Sie wollte den beiden Neuankömmlingen eigentlich die schöneren Seiten zeigen und obwohl sie wachsam war, hatten Sila und Pina gleich eine unschöne Erfahrung machen müssen.
    "Was meint ihr? Was mich betrifft, ich könnte vorerst auf einen weiteren Bummel verzichten."