Anscheinend hatte ihr Onkel wirklich niemandem die Umstände ihrer Ankunft mitgeteilt, wenn selbst Deandra sich nun für ihre Unwissenheit entschuldigte. Vielleicht hatte ihre Mutter ihn darum gebeten, vielleicht hatte es ihr Onkel auch nur vergessen oder es aber für nicht so wichtig empfunden. Welchen Grund auch immer ihr Onkel gehabt hätte, auf die Idee, dass auch die anderen Familienangehörigen gerade mit Sorgen und am Ende gar Trauer zu kämpfen hatten, kam Prisca nicht. Während sie dem forschenden Blick von Deandra begegnete wurde es Prisca wieder bewusst, wie wenig sie sich bisher mit der eigenen Familie und den Angehörigen befasst hatte. Viel zu wenig stellte sie fest und diesen Umstand wollte Prisca jedenfalls von nun an ändern. Zumindest nahm sie es fest vor während sie Deandra zu hörte.
"Du hast mich wirklich nicht gestört Deandra. Kurz bevor du kamst, stand ich noch am Fenster weil ich einfach nicht einschlafen konnte. Ich musste über so vieles nachdenken, über meine Mutter, meine Familie und meine Zukunft. ... so ist das wohl, mit der Trauer, jeder geht anders damit um und ich kann ja noch nicht einmal meine Gefühle selbst genau beschreiben. Zu fremd und unwirklich erscheint mir alles noch im Moment. ... Aber zu wissen, dass ich mit dir reden kann hilft ... gegen die Einsamkeit und ..."
Anfangs schüttelte Prisca leicht den Kopf und lächelte schwach, um Deandra davon zu überzeugen, das ihr nichts leid zu tun brauchte. Deandras Worte hatten absolut ehrlich geklungen. Keine Heuchelei oder falsche Anteilnahme konnte Prisca aus ihnen heraus hören und das tat ihr gut. So musste sie ihre Gefühle wenigstens jetzt nicht hinter einer Fassade verstecken wie sie es sonst so oft und gern tat, sondern konnte selbst ganz befreit reden. Wer wusste schon, wie es in einem anderen Menschen aussehen mochte und wie dieser mit seiner Trauer um zu gehen verstand. Im Gegenteil, in Deandras Worten lag etwas, das sie sogleich für sich verinnerlichte. Und diese Worte wiederholte sie sich im Geiste und sprach sie nach einer kurzen Pause aus.
"... es ist wirklich schön zu wissen, das ich nicht alleine bin. ... Du und auch Onkel Marcus ... ihr habt mich wirklich sehr herzlich empfangen und wollt mir helfen, obwohl wir uns Jahre nicht gesehen haben. ... Es gibt so vieles, das ich nach so langer Zeit gerne von euch und dem Rest der Familie erfahren möchte und was meinen Onkel betrifft, ... so hoffe ich zumindest, dass ich ihn nicht über Gebühr für mich beanspruchen werde. ... Jedenfalls möchte ich das du weißt, dass ich euch sehr dankbar dafür bin. ... wenn also ich einmal helfen oder etwas für euch tun kann, so zögere bitte auch du nicht es mir zu sagen."
Je weiter sie sprach umso mehr erwiderte Prisca, mit einem deutlichen Nicken und einem befreitem Lächeln, Deandra´s aufmunternde Geste. Prisca war dankbar für die angebotene Hilfe ihrer Verwandten und dafür wollte auch sie etwas von sich zurückgeben. Auch wenn sie nicht wusste, was dies sein könnte und ob Deandra ihr Angebot ernst nahm oder es nutzen würde, das spielt im Moment für Prisca keine Rolle. Welche Dinge sich auch immer daraus in der Zukunft entwickeln mochten, ob zum Vor- oder Nachteil, jedenfalls sprach in diesem Moment nicht die Berechnung aus Prisca. Als kurzzeitig ihre Augen zu glänzen begannen, war es echte Rührung aber vor allem auch die Müdigkeit, die sie nun immer mehr überfiel. Mit einem kurzen Blinzeln versuchte Prisca die Schleier vor ihren Augen beiseite zu wischen, was ihr nicht ganz gelingen wollte.
"... apropos Hilfe anbieten ... mein Onkel erwähnte heute Morgen bei meiner Ankunft, Gartenarbeit sei eine gute Ablenkung. Zumindest sagte er ich hätte einen grünen Daumen, was auch immer er damit meinte. Vielleicht kann ich dir ja morgen, oder wann du Zeit und Lust hast, ein wenig zur Hand gehen?"
Prisca schätzte Deandra´s Gesellschaft sehr und das Gespräch, welches sie selbst gesucht hatte nun von sich aus zu beenden, empfand Prisca als sehr unhöflich. Andererseits war es schon tief in der Nacht und vielleicht wollte sich auch Deandra gerne zurückziehen. Was Prisca betraf war sie zumindest offen und bereit für viele gemeinsame Gespräche und sicher würden sich noch genügend Gelegenheiten finden lassen. Das brachte sie in eine gewisse Zwickmühle und so versuchte Prisca mit einem Schmunzeln und einem unverbindlichen und aufgelockerten Thema das Gespräch, für sich und Deandra, heute nicht weiter zu vertiefen. Die gemeinsame Gartenarbeit bot sich zumindest für ein, relativ kurzfristiges, Wiedersehen an.