Beiträge von Fiona

    Fiona lag immer noch auf dem Boden. Minna und Aintzane hatten sich zurückgezogen, was der Situation auch angepaßt war.
    Es schien, als ob ihr zitternder Körper sich langsam beruhigen würde. Auch ihr Atem wurde wieder gleichmäßiger und ruhiger. Doch die Bewußlosigkeit hielt weiter an. War dies ein Anzeichen dafür, daß sie den Stich überleben würde oder war es für sie nun an der Zeit hinüber zu gehen, nach Inys Affallach?


    Will ich wirklich sterben? Warum will ich nicht mehr kämpfen? Warum sollte ich nicht mehr der Ungerechtigkeit trotzen? Und plötzlich spürte sie wieder ihre innere Kraft. Ein Energiequell, der neu zu sprudeln begann.
    Sie sah die Göttin an und sprach voller Überzeugung. "Ich will leben! Ich will kämpfen! Bitte schick mich wieder zurück!"
    Die Göttin lächelte ihr zu und hüllte sie in ein helles Licht.

    Es war eine gespenstige Szene. Erst Kassandras Fage ließ sie wieder aufblicken. Dann bemerkte Fiona das Papier, daß Leah in Händen hielt. Dort schien des Rätsels Lösung zu liegen. Sie ging zu Leah nahm das Papier und laß.
    Es war eine Liste mit Namen, Namen von Männern, von Soldaten. Eine Totenliste!
    Sie überflog die Namen, doch keiner der Namen kam ihr bekannt vor, bis sie dann doch... War dies nicht der Name ihres Verlobten Marcus Flavius Aristides?
    Ohne ein Wort zu sagen, ging sie zu Kassandra hinüber.
    "Da, sieh her!"
    Mit ihrem Finger zeigte sie auf den Namen.

    Fiona versuchte zu lächeln, den sie konnte sich nicht wirklich darüber freuen, daß das Gespräch mit Minna und deren Fluchtpläne kein Traum waren. In der letzten Zeit kam es ihr so vor, als ob sie Traum und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden konnte.
    "Dein Vorhaben klingt interessant, doch..."
    Plötzlich kam sie ins Stocken. Statt weiter zu sprechen, begann sie zu schluchtzen und ihr kullerten einige Tränen über die Backen.
    "Ach Minna, ich fühle mich so schrecklich. Ich würde dir bei einem Fluchtplan sicher nur im Weg stehen. Manchmal wünschte ich, ich wäre tot! War die alte Fiona auch so?"
    Sie fühlte sich so schwach und es schien, als hätte sie allen Lebensmut verloren.

    Fest entschlossen zu springen, stand sie am Abgrund. Spring jetzt! pochte es in ihr. Doch plötzlich vernahm sie eine Stimme. Eine Stimme, so kraftvoll, so klar und so gutmütig.
    "Fiona, überlege genau dein Tun! Willst du wirklich springen, Kind?"
    "Ja, ich muß! Sie rufen nach mir." antwortete sie.
    Fiona erblickte eine Art Lichtgestalt neben sich, die so strahlend und prächtig aussah, wie eine Königin. Es war die große Königin Rhiannon, die sie um Einhalt bat.
    "Entscheide genau, Kind. Willst du wirklich springen? Was versprichst du dir davon, wenn du springst?"
    Die Fragen der Göttin verwirrten sie. Was wollte sie sich davon versprechen? Sie wollte endlich Frieden finden! Wollte nicht mehr von den Geistern der Vergangenheit gejagt werden. Das Versprach sie sich davon. Sie wollte endlich dieses häßlich gewordene Leben abstreifen.
    "Ich möchte endlich Ruhe finden!" antwortete sie resigniert.
    "Du enttäuschst mich, Kind! Du bist eine Kämpferin, du kannst nicht einfach so verschwinden! Ich frage dich noch einmal: Was willst du wirklich? Möchtest du wirklich sterben?"
    Die Worte der Göttin erschütterten Fiona. Sie war auf einmal völlig verunsichert. Wollte sie denn wirklich sterben?

    Von all dem, was um sie herum geschah, bekam Fiona nichts mit. Röchelnd lag sie da.Sie schien zu glühen. Das Fieber schüttelte sie. Ihr Bewußtsein hatte sie verloren.


    Erst war alles dunkel, dann sah sie ein gleißendes helles Licht, daß sie magisch anzog. Sie ging dem Licht entgegen. Plötzlich war sie wieder am Ufer des Sees. Auf der anderen Seite des Sees sah sie ihre Geschwister und Eltern stehen. Sie winkten ihr zu und riefen etwas . Diesmal konnte sie es genau hören. Geh in die Höhle und spring in den Abgrund. Wie automatisiert, begann sie in den See zu gehen. Das kalte Wasser saugte sich in ihre Schuhe und in ihr Gewand. Wie von Geisterhand befand sie sich plötzlich in der dunklen Höhle. Es war ein Leichtes, den Abgrund zu finden. Denn es war, als leuchtete ein blaues Licht ihr den Weg. Sie stand schließlich am Rand und blickte hinunter in die tosenden Wasser. Sollte sie wirklich springen. Ja, ich will springen! Jetzt!

    Völlig unbeeindruckt von dem was Benohé berichtete, hatte Fiona ihre Entscheidung für sich getroffen. Zumal sie sich jetzt nicht die Blöße geben wollte und gegen ihre Prinzipien zu handeln.
    Wie sollte dieser Stich des Skorpions noch schmerzhafter, ja noch schrecklicher sein,als das, was sie tagtäglich über sich ergehen lassen mußte. Sie war es leid! Sie hatte es so satt, dieses Leben, falls man es als solches überhaupt noch bezeichnen konnte. Früher einmal war sie fast so weit gewesen, sich mit einem Leben als Sklavin abzufinden. Doch nach Ostia hatte sich alles grundlegend verändert. Selbst die neuerlichen Pläne, die sie mit Minna schmiedete, konnten sie nicht recht davon überzeugen, sich für das Leben zu entscheiden.


    Doch die Claudierin, dachte wohl immer noch, sie wolle ihr etwas vormachen. Sie sollte erfahren, wie sehr ernst sie es meinte.
    "Es liegt mir fern, dich zu verhöhnen, Herrin! Wenn es dir recht ist, möchte ich nun das Tier nehmen. Sollen die Götter entscheiden, was mit mir geschiet."
    Mit diesen Worten streckte sie ihre Hand in den Korb. Sie konnte den Sorpion fühlen, wie er aufgeregt im Korb umherkabbelte. Es dauerte keine Minute, bis sie einen stechenden Schmerz in ihrer Hand verspürte. Der Schmerz durchdrang ihren Körper und ließ sie aufzucken. Sie fühlte, wie sich das Gift scheinbar durch ihren Körper vorarbeitete.
    Es war, als wollte ihr das Herz zerreißen und es wurde unendlich schwer, zu atmen. Schweißperlen traten auf ihre Stirn. Sie begann zu röcheln. Nicht mächtig noch irgendetwas zu sagen, brachte sie nur ein lautes Stöhnen hervor. Schemenhaft sah sie die Sklavinnen um sich herum, die sie fassungslos zusahen, was mit ihr geschah.
    Wenn das der Weg nach Inys Affallach war, so wollte sie ihn weiter gehen, bis zum Ende.
    Sie verkrampfte und hatte große Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten.
    Dann wurde alles schwarz um sie herum und sie spürte nicht mehr, wie sie zu Boden ging.

    Eines war an diesem Morgen anders, als an den anderen Morgen gewesen. Ihr Schwermut war einer gewissen Ausgelassenheit gewichen. Jedem der sie in den letzten Wochen erlebt hatte, mußte es aufgefallen sein.
    Ständig schaute sie nach Minna, um einen passenden Augenblick abzuwarten. Dieser war dann endlich am Nachmittag gekommen. In der Nähe der Küche hatte Fiona eine Gelegenheit gefunden, Minna beiseite zu nehmen.
    "Minna, können wir reden?"
    Erwartungsvoll blickte sie zu ihr.
    "Das, was du mir heute nacht gesagt hast, war sicher kein Traum, nicht wahr?"
    Wäre eine Flucht tatsächlich die Lösung, für das, was sie die ganze Zeit bedrückt hatte. Aber was, wenn die Flucht tatsächlich gelänge? Wo sollten sie hin? Ihre Familie war ausgelöscht.
    Doch wo wollten sie hin, als sie vor Monaten eine Flucht geplant hatten?

    Fiona bemerkte die angsterfüllten Gesichter der Sklavinnen. Doch in ihrem Gesicht zeite sich keine Regung, kein Zeichen von Angst oder Panik.
    Ohne zu zögern stieg sie aus dem Becken. Das Wasser rann an ihrem nackten Körper herab. Zielstrebig steuerte sie auf Callista zu. Dabei trat sie in eine Scherbe des zerbrochenen Gefäßes, doch all dies schien sie nicht zu bemerken. Scheinbar konnte ihr der Schmerz nichts anhaben. Sie war darüber erhaben.
    Wie zum Dank verneigte sie sich vor ihr.
    "Danke Herrin, für dieses wahrhaft großzügige Geschenk! Du bist zu gütig!"
    Dann wandte sie sich dem Korb zu, in dem sich der Skorpion befand.
    Ohne irgend ein Anzeichen der Angst, schaute sie hinein und betrachtete sich das Tier. Noch nie hatte sie ein solches Geschöpf gesehen, doch über die Eigenschaften diese Tieres hatte sie schon einiges gehört.
    Sie führte ihre linke Hand zum Korb hin, doch bevor sie hineingreifen wollte hielt sie inne und blickte fragend zu Callista.
    "Darf ich, Herrin?"
    Sie hatte bereits mit allem abgeschossen und legte ihr Schicksal in die Hände ihrer Götter. Sie sollten nun entscheiden, ob sie leben oder sterben sollte.

    Fiona konnte ihren Ohren nicht trauen. War das wirklich wahr. Wollten sie wirklich einmal fliehen?
    "Was sagst du da, fliehen? Du und ich? Wir wollten fliehen?"
    Sie konnte es immer noch nicht glauben. Der Gedanke an eine Flucht ließ die marternden Bilder in den Hintergrund verschwinden. Doch irgendetwas mußte passiert sein, weswegen sie nicht geflohen waren.
    Krampfhaft versuchte sie sich an die Zeit vor ihrem Unfall zu erinnern. Doch je mehr sie sich anstrengte, desto weniger hatte sie Erfolg damit. Die Erinnerungen kamen nicht auf Befehl, nein sie kamen ganz willkürlich. Manchmal hatte sie Probleme damit, sie in die richtige Reihenfolge zu bringen. Aber an einen Fluchtplan konnte sie sich nicht erinnern. Warum waren sie eigentlich nicht geflohen? War irgendetwas passiert?
    Am Besten wäre es, wenn sie Minna danach fragen würde.
    "Minna,warum sind wir nicht geflohen? Warum haben wir es nicht getan?
    Erst jetzt wurde ihr bewußt, daß dies doch ein sehr brisantes Thema war, welches man am ehesten unter vier Augen besprechen sollte.
    "Minna, laß uns morgen weiter erzählen. Es ist schon spät und die Nacht wird für uns bald vorüber sein."
    Sie war auch sehr vorsichtig und mißtrauisch gegen jeden geworden, da sie nicht wußte,wem sie vertrauen konnte.
    "Vielleicht finden wir morgen etwas Zeit, um unsirgendwo zu treffen, damit wir uns weiter unterhalten können."
    Fiona legte sich wieder hin. Minnas Worte beschäftigten sie noch eine ganze Weile. War das vielleicht ein Ausweg?

    Es tat zwar gut, darüber zu sprechen, doch als sie sagte, die Geister der Toten würden sie rufen, waren die Bilder wieder in ihrem Kopf.


    Neben dem Mädchen am anderen Ufer des Sees, hatten sich jetzt auch noch andere Gestalten dazugesellt. Sie alle schienen etwas zu rufen. Doch sie konnte es nicht verstehen. Wieder versuchte sie einen Schritt in das Wasser zu gehen, doch irgendetwas hielt sie zurück. Es war, als sei sie gefangen auf dieser Seite des Sees. So versuchte sie genau zu horchen, was die Gestalten riefen. Doch sie konnte nur Fetzen von dem erhaschen, was sie ihr zuriefen....Höhle....Abgrund.....Insel... Sie konnte nicht verstehen, was sie damit meinten. Ihre Sehnsucht steigerte sich ins unermessliche. Sie wollte auf die andere Seite des Sees.


    Sie schwieg einen Moment. Dann entschloß sie sich, sich Minna zu öffnen.
    "Minna, ich... ich ...kannst du mir helfen?"
    Fragend schaute sie in die Dunkelheit. Vielleicht wäre sie die Rettung.

    Innerlich schien es Fiona fast zu belustigen, wie betört doch die Römerin von den Elfen und Drachen war. Bislang war es ihr verborgen geblieben, Fionas Gleichnis zu deuten. Doch Fiona hatte Callistas Aufmerksamkeit unterschätzt. Offenbar war ihr Minnas entsetzter Blick nicht entgangen. Nachdem Fiona dann auch noch den Begriff Inys Affallach erklärte, schien es ihr völlig zu dämmern.
    JA! Sie sehnte sich nach der Unterwelt. Sie sehnte sich danach, endlich wieder mit den Ihren vereint zu sein.
    Ein winziger Moment schien es, als ob in Fiona das Feuer von einst wieder entflammen würde, als sie das Verlangen verspürte, der Römerin die volle Wahrheit und noch ein bißchen mehr, ins Gesicht zu schleudern.
    Herausfordernd blickte sie Callista in die Augen, ohne auch nur einen Augenblick an die Konsequenzen zu denken. Voller Überzeugung und mit einem zarten Lächeln im Gesicht, antwortete sie ihr.
    Ja! Das tue ich, Herrin. Ich sehne mich jeden einzelnen Tag nach Inys Affallach!
    Letzteres sprach sie langsam und deutlich mit einer solchen Hingabe aus, als wolle sie Callista in die Geheimnisse ihrer Sprache und deren Aussprache einweihen.
    Ihr Blick blieb weiterhin an Callista hängen und sie versuchte zu ergründen, was sie in diesem Moment dachte.

    Sim-Off:

    Darf ich auch? :)


    Fiona war gerade mit den Rosen beschäftigt und völlig in ihrer Tätigkeit versunken, als sie plötzlich einige Gesprächsfetzen vom peritylium kommend, vernahm. Sie hielt inne und sah auf. Von weitem konnte sie Leah und Kassandra entdecken. Die beiden Sklavinnen beugten sich über jemanden. Sie konnte aber nicht erkennen, um wen es sich handelte.
    Irgendetwas muß passiert sein, dachte sie.
    Sie näherte sich den drei Frauen und erkannte, daß es Epicharis war, die von den beiden Sklavinnen umsorgt wurde.
    Sie wußte nicht, ob es erwünscht war, wenn sie sich auch noch dazugesellen würde. Seit sie hier war, hatte sie noch keinen größeren Kontakt mit Epicharis, doch sie schätzte sie als recht freundlich und gerecht ein. Um so mehr beunruhigte sie es, sie nun mit Tränen in den Augen zu sehen.
    "Ist etwas passiert? Kann ich helfen, Herrin"
    fragte sie unsicher.

    Sollte sie Minna wirklich vertrauen? Hatte sie das früher immer getan? Waren sie wirklich Freundinnen?
    So raffte sie ihren letzten Lebensmut zusammen un begann ich ihr anzuvertrauen.
    " Minna, es tut mir leid, doch meine Erinnerungen sind nur bruchstückhaft. Ich kann mich nicht so recht erinneren, wie es früher zwischen uns war. Bitte verzeih mir, wenn ich vielleicht abweisend wirke. In den letzten Wochen und Tagen erlebe ich auf´s neue, was mit mir und mit meiner Familie passiert ist. Es kommt mir so vor, als ob ich alles noch einmal durchmachen müßte. Die Geister der Toten suchen mich heim und rufen mich."
    Es fühlte sich gut an, darüber zu reden. Es war wie ein Ventil, aus dem die Luft entweichen konnte, um wieder Platz zu schaffen.

    Offenbar hatte Callista nicht den Kern ihrer Gesichte verstanden, nein, ihr gefiel sie sogar. Sicher wäre die Römerin sehr verärgert darüber gewesen, hätte sie zwischen den Zeilen lesen können.
    Natürlich konnte sie von keinen der Anwesenden verlangen, sich mit der Mythologie ihres Volkes auszukennen. Keine von ihnen gehörte einem keltischen Volk an. Doch Minna schien zu begreifen, was Fiona mit Inys Affallach meinte.
    Doch sie wollte die Fragen der Patrizierin nicht unbeantwortet lassen.
    "Eine Elfe ist ein Lichtwesen, ein Naturgeist. Mein Volk glaubt, daß göttliche sei in Flüssen, Quellen oder Bäumen verborgen, Herrin."
    Sie schwieg einen Moment. Sollte sie ihr wirklich sagen, was der Drache zu bedeuten hatte? Sicher würde sie sie dafür strafen. Der Drache war sie und ihresgleichen, der Drache war Rom. Doch völlig emotionslos sprach sie weiter.
    "Der Drache ist ein echsenartiges Tier, welche gelegentlich auch Feuer spucken kann. Er kann sowohl gutes als auch böses verkörpern."
    Sie hielt kurz inne. Dann sprach sie weiter.
    "Inys Affallach ist ein Ort, an dem es weder Hunger, noch Tod, noch Krieg gibt. Es ist die Anderswelt- das Totenreich, Herrin."
    Daraufhin verstummte sie wieder und verfiel erneut in Lethargie.

    Fiona erschrak, als sie die Flüsterstimme hörte.
    "Gwynn, ble ach?"
    Aber nein, dies konnte nicht Gwynn sein. Gwynn war tot. Es mußte die Sklavin sein, die ihr in Ostia geholfen hatte und von sich behauptete, sie wäre ihre Freundin. Sie konnte sich bislang nicht recht erinnern, ob dies der Wahrheit entsprach. Doch sie wollte sie nicht kränken und ging deshalb freundschaftlich mit ihr um.
    "Minna? Oh, es geht schon, äh ich habe nur schlecht geträumt."
    Schlaflos lag sie in ihrem Bett und starrte in die Dunkelheit.

    Ungeachtet dessen, daß Minna und Aintzane soeben auch das Bad betraten, begann Fiona ihr Schweigen zu brechen. Wie in Trance begann sie, scheinbar völlig teilnahmslos, zu sprechen. Doch sie entschied für sich und ihre Geschichte, eigene Regeln aufzustellen.
    "Es war einmal vor langer Zeit ein Mädchen, das lebte am Rande eines Feenwaldes. Ein Flüßchen floß in der Nähe ihres Hauses. Das Mädchen hatte noch eine Schwester und drei Brüder. Sie lebte glücklich und zufrieden, bis eines Tages ein roter Drache aus dem Feenwald heranrückte und alles mit seinem Feueratem um sich herum zerstörte. Der Drache tötete auch ihre Brüder und ihre Schwester. Doch sie wurde verschont. Statt sie auch zu töten, nahm er sie mit, tief hinein in den Feenwald und hielt sie gefangen in seiner dunklen Drachenhöhle. Dort mußte das Mächen bleiben und für den Drachen verschiedene Dienste verrichten. Sie hatte keinen schönen Tag mehr, denn sie kannte nur noch Nacht um sich herum. Immer und immer wieder mußte sie an ihre armen Geschwister denken, die der Drache getötet hatte.
    Doch in Wirklichkeit waren sie gar nicht tot! Nein, sie konnten sich retten, indem sie sich in den Fluß geflüchtet hatten, um den Flammen des Drachen zu entgehen. Der Fluß spülte sie ans Ufer einer Insel. Es war eine wunderschöne grüne Insel, auf der nur Apfelbäume wuchsen. Deshalb wurde diese Insel auch Inys Affalach, die Apfelinsel genannt. Dort ging es den Geschwistern gut, denn dort war jedermann unsterblich, doch auch sie vermissten sehr ihre Schwester. Also schickten sie eine Elfe los, um der Schwester eine Traumbotschaft zu senden.
    Eines Nachts, nachdem das Mädchen endlich eingeschlafen war, konnte die Elfe endlich die Botschaft der Geschwister in Form eines Traumes überbringen.
    Erst fürchtete sich das Mädchen vor dem Traum, doch dann begann sie zu überlegen, wie es ihr gelingen konnte, endlich aus den Klauen des Drachen zu entkommen. Sie wußte, daß es in der Höhle des Drachens einen tiefen See gab. Wenn man durch diesen See tauchte, konnte man aus der Höhle entkommen. Man mußte sich nur trauen, in den Abgrund hinuter zu springen. Doch das Mädchen war entschlossen, dem Drachen zu entkommen und so sprang sie hinab in den Abgrund. Das Wasser zog sie in die Tiefe und brachte sie schließlich auch aus der Höhle. Sie ließ sich einfach treiben und erreichte so die Apfelinsel. Dort lebt sie jetzt glücklich und zufrieden mit ihren Geschwistern."

    Sie erkannte die Gestalt eines Mädchens, die am anderen Ufer des Sees stand und ihr scheinbar zuwinkte. Ihr loses Haar flatterte im Wind. Sie rief sie bei ihrem Namen. Die Stimme kam ihr bekannt vor. Es war lange her, doch sie erkannte die Stimme.
    Eine unbekannte Kraft schien sie in den See zu treiben. Das Wasser benetzte bereits ihre ledernen Schuhe. Kühles frisches Wasser. Das Wasser ihrer Heimat. Vorsichtig setzte sie einen Schritt vor den anderen. Das Wasser sog sich in den Stoff ihres wollenen Gewandes.
    Noch einmal blickte sie zum anderen Ufer hinüber. Sie erschrak, als sie erneut die Gestalt betrachtete. Das bleiche Gesicht, die eingefallenen Wangen, die fahlen Augen, das struppige Haar, der leblose Körper.


    Schweißgebadet und einen kurzen Schrei ausstoßend erwachte Fiona erneut aus ihrem Alptraum. Immer wieder begegnete sie ihrer toten Schwester im Traum, die sie scheinbar zu sich rufen wollte.
    Keuchend richtete sie sich auf um wieder zu sich zu kommen. Es war still und dunkel um sie herum in der Sklavenunterkunft.

    Lange hatte es gedauert bis sie endlich eingeschlafen war. Zu viele Dinge belasteten ihren Geist. Seit der Rückkehr aus Ostia war alles anders geworden.
    Bruchstückhaft kehrten die Erinnerungen zurück. Schreckliche Erinnerungen waren es, voller Blut und voller Tränen.
    Selbst in ihren Träumen konnte Fiona ihren Geistern der Vergangenheit nicht entgehen. Sofern sie denn einschlafen konnte, waren sie immer wieder da, diese von Blut getränkten Bilder.
    Unruhig war ihr Schlaf. Wie im Fieberwahn, wälzte sie sich hin und her.


    Sie war wieder zu Hause. Es war noch früh am Morgen. Die ersten zarten Stahlen der Sonne kündigten einen schönen Frühjahrsmorgen an. Vater, Dylan und Merin waren draußen im Hof und bereiteten alles für die bevorstehende Jagd vor. Wie gerne wäre sie auch dabei gewesen, doch auf Drängen ihrer Mutter sollte sie heute im Haus bleiben. Ich kann dich einfach nicht verstehen! In einem halben Jahr wirst du verheiratet sein und das einzige, wofür du dich interressierst, ist die verdammte Jagd! Dein Mann wird sicher nicht sehr entzückt sein, wenn du nicht einmal kochen kannst! Wie immer in letzter Zeit, stritt sie mit ihrer Mutter. Hatte sie es früher toleriert, wenn Fiona mit ihren Brüdern unterwegs war, legte sie nun Wert darauf, daß sich Fiona nun endlich auch mit den hauswirtschaftlichen Dingen beschäftigte. Schließlich sollte aus ihr eine gute Ehefrau werden. Aber was wußte sie schon! Allawn mochte sie, so wie sie war!
    Die schlechte Stimmung, die zwischen Mutter und Tochter herrschte, wurde plötzlich durch ein Schreien, welches vom Hof kommen mußte, zerstreut. Beunruhigt liefen die beiden Frauen zur Tür und schauten, was passiert war. Mehrere bewaffnete Reiter näherten sich dem Hof und metzelten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Ihr Vater und die Brüder hatten keine Chance. Die beiden Frauen rannten wieder zurück ins Haus und versuchten sich zu verstecken. Wo war nur
    Gwynn? Bevor sie ein Versteck finden konnten, wurde auch schon die Tür aufgebrochen. Zwei Soldaten drangen in das Haus ein.
    Trotz bitten und betteln, wurde ihre Mutter vor ihren Augen niedergestreckt. Warum hatten die beiden sie nicht auch getötet? Stattdessen zerrten sie sie nach draußen. Dort war auch ihre Schwester Gwynn. Die beiden wurden gefesselt und fort geschleppt. Einige Tage später wurden die Schwestern an einen Sklavenhändler verschachert.

    Seitdem die Fragmente ihrer Erinnerungen wieder zurückkehrten, schien es so, als müsse sie alles Geschehene noch einmal durchleben. Im Schlaf rief sie den Namen ihrer Schwester.
    "Gwynn, Gwynn!"

    Leider war Gwynn nicht so stark, wie Fiona. Auf dem Weg nach Italia, gehetzt von den Handlangern des Sklavenhändlers, wurde sie krank. Von Tag zu Tag wurde sie schwächer. Als der Sklavenhänlder dies bemerkte, verweigerte man ihr die Nahrung. Das alles sei Verschwendung, meinte er. Einige Tage später war Gwynn tot.

    Tot. Tot sein. Wie oft hatte sie darüber in den letzten Tagen und Wochen nachgedacht. Es wäre sicher eine Erlösung.

    Sie schien völlig in sich versunken zu sein, doch tatsächlich verfolgte sie alles Gesprochene. So antwortete sie auch ohne zu zögern auf Callistas Frage.
    "Ja, er ist der Herr dieses Hauses, Herrin!"
    Sofort verfiel sie wieder in Schweigen und versuchte, so wenig wie möglich aufzufallen. Die Tatsache, daß sie hier mit der Patrizierin im Wasser saß, ließ sie nicht wirklich entspannen. Die Römerin machte auf sie einen unberechenbaren Eindruck. Vielleicht war sie noch gefährlicher als Offella es war.
    Als sich plötzlich die Tür öffnete, blickte sie kurz auf und erkannte Minna. Doch sogleich senkte sie wieder ihren Blick.
    Überrascht ja fast erschrocken zuckte Fiona zusammen, als die Römerrin plötzlich in die Hände klatschte und sie zum Spielen aufforderte.
    Doch Fiona rührte sich nicht von der Stelle. Sie machte auch keine Anstalten, aktiv zu werden. Sie kannte keine Spiele. Die Zeit der Spiele endete an jenem Tag, an dem ihre Familie starb.
    Sie wollte auch nicht spielen!
    Apatisch beobachtete sie die Wellen des Wassers. Unvermittelt mußte sie an die Wellen des Meeres denken. Die Wellen, die gegen die Felsen an die Küste ihrer Heimat brachen. Diesem Schauspiel konnte sie stundenlang beiwohnen. Es war so beruhigend.
    Würde sie jemals wieder eine Welle zur heimatlichen Küste tragen? Mittlerweile hatte sie jegliche Hoffnung aufgegeben. Es würde nur noch eine Welle geben, die sie eines Tages nach Inys Affalach- die Insel der Unsterblichen, bringen würde. Dort würde sie auch wieder mit ihren Lieben zusammen sein.

    Allmälig kam Fiona wieder zu sich und sie erkannte, in wessen Armen sie lag.


    "Minna? Was machst du da? Sag mir, ist es wirklich wahr? Sind wir hier nicht in Cymru? Und bin ich- sind wir ihre Sklavinnen?"


    Sie schien Minna wieder erkannt zu haben, ruhig und besonnen sprach sie zu ihr und deutete dann auf Deandra.
    Sie wollte versuchen, selbst zu laufen. Zwar war sie noch etwas wacklig auf den Beinen, doch es ging.
    Sie bewegten sich auf die Kutsche zu. Dort sollte Fiona sich hinlegen und ausruhen.