Auf mein zweites Frosch-Quaken reagierte Tilla wieder ungemein vergnügt, aber es gelang mir doch tatsächlich, die Lautstärke ihres Lachens noch um einiges zu übertreffen, und als ich wieder einigermaßen zu Atem gekommen war, verriet ich Tilla auch, warum: "Also, dass ich ihr in einem froschgrünen Gewand und einem braunen Sack gefallen würde, hat tatsächlich noch nie eine Frau zu mir gesagt!" Aber einmal war ja immer das erste Mal, und wie ich jetzt erfuhr - und dabei wurde ich dann aber ganz schnell wieder ernst, zumal Tilla mir jetzt auch noch einfach so Einohr wegnahm - wie ich also jetzt erfuhr, wollte Tilla auf gar keinen Fall erwachsen werden.
Das, was das Mädchen da sagte, klang für mich gar nicht einmal dumm, auch wenn ich natürlich zugeben musste, dass ich mir darüber noch keine so tiefen Gedanken gemacht hatte wie Tilla. Ich war schon immer Sklave gewesen, hatte zunächst in Athen in einer römischen Familie bei einem kleinen Jungen gedient, der dann, wie nicht anders zu erwarten, genau wie ich selber zum Mann herangewachsen war - ja, und dann war ich an Aurelius Cotta verkauft worden, den ich ehrlich gern hatte, auch wenn er oft so sauertöpfisch guckte.
Ich überlegte: In so einem richtigen Sinne erwachsen wurde man als Sklave oder Sklavin vielleicht gar nicht, weil man sich gerade um seinen Lebensunterhalt, sein Essen, nicht zu kümmern brauchte. Und diese Sorge war es doch wohl, die die erwachsenen Freien so bedrücken konnte, jedenfalls in der Hauptsache. "Tilla, du wirst nie so ganz erwachsen werden. Ich sage dir, wie du werden wirst: so wie die Geschichtenerzähler, die sagen nämlich immer die Wahrheit, auch wenn die nicht immer den Tatsachen entspricht. Wenn du mit einem Schiff auf dem Meer fährst, berührst du nicht wirklich die Sonne und verbrennst dich auch nicht, glaub' mir, ich habe es erlebt - aber das wollten die Geschichtenerzähler auch gar nicht sagen. Sondern dass man sich schwer weh tun kann, wenn man Sachen ausprobiert, für die man aber auch so gar nicht die richtigen Voraussetzungen hat und deren Folgen man nicht abschätzen kann, so wie Ikarus mit seinen Flügeln - das wollten sie sagen, und das ist auch wahr." Ich warf kurz einen Blick auf das mir entrissene Hasenkind und hoffte, dass es das Menschenkind neben mir ein wenig tröstete: "Mach es doch wie die Geschichtenerzähler, Tilla, wenn du erwachsen wirst: Erleb' alles, was du zu erleben hast, ganz bewusst, wie die Erwachsenen, und wenn es dir zu bunt wird, dann verwandelst du das Erlebte in eine Geschichte. Die Geschichte muss dann vielleicht nicht mehr so ganz den Tatsachen entsprechen, behält aber die Wahrheit des Erlebten in sich, also, den tieferen Sinn, meine ich."
Ich war mir nicht klar darüber, ob ich mich deutlich ausgedrückt hatte, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, ich sollte mal selbst meinem gerade geäußerten Ratschlag folgen.