Die Geräusche in der villa waren still und stiller geworden, die Römer schienen sich dem Schlaf zuzuwenden, und Sisenna, die zu beaufsichtigen Cadhlas eigentliche Hauptaufgabe war, wenn es im Garten und sonstwo nichts zu tun gab, schlief schon seit Stunden - zumindest sollte sie das, auch wenn Cadhla bisweilen bezweifelte, dass das lebhafte Mädchen in diesem Punkt alle Weisungen ihrer Verwandten befolgte. Sie mochte das Mädchen, nicht zuletzt, weil sie so lebhaft war und zumeist tat, wonach ihr war. In einer Umgebung, in der die meisten anderen Menschen beherrscht, wenn nicht gar argwöhnisch waren, war Sisenna mit ihrer erfrischenden Art eine angenehme Abwechslung.
Doch in dieser Nacht war Cadhla nicht danach, über ihren persönlichen Alltag nachzudenken. Dafür waren ihre Tage mit zuvielen Dingen angefüllt, die sie zu erledigen hatte, und seitdem der ein oder andere der älteren Sklaven gemerkt hatte, dass sie recht kräftig war, trotz der weiblichen Gestalt, bekam sie regelmäßig schwerere Arbeiten zugeteilt. Aber sie beklagte sich nicht, denn körperlich zu arbeiten bedeutete auch, den Körper wenigstens einigermaßen zu bewegen. Und das fehlte ihr wirklich, Bewegung, die Möglichkeit, sich zu messen, sich kämpferisch einem gleichwertigen oder besseren Gegner zu stellen.
So hatte sie auch im Stillen einen Entschluss gefasst, den sie niemandem mitteilen konnte - sie würde einfach alleine trainieren. Sie musste trainieren, denn schon war zu spüren, dass ihr die Bewegung fehlte, und wenn es etwas gab, worauf sie an diesem fremden Ort nicht verzichten konnte, nicht verzichten wollte, dann war es der letzte Halt, der ihr blieb. Dass ihr Körper kampfbereit war, mit diesem Gefühl verband sich eine gewisse Sicherheit, die ihr half, alle anderen Unsicherheiten zu durchstehen. Dass ihr die Sprache fehlte, sich mit anderen richtig zu verständigen, war an vielen Momenten schwer zu ertragen, aber solange sie sich wenigstens darauf verlassen konnte, dass ihr Körper funktionierte, ließ sich alles schaffen. Und dann war da noch etwas, was ihr immer wieder Gedanken einbrachte, die sie nur schwer verstand.
Seit jenem Abend, an dem sie ihren Besitzer hatte in dem großen Bad waschen müssen, an dem er unmissverständlich gezeigt hatte, dass sie für ihn nicht nur als Körperwäscherin interessant war, sondern sein Körper auf sie reagiert hatte, ließ sie die Erinnerung daran nicht mehr los. Er war ein Römer, einer der selbsternannten Herren dieser Welt, und doch hatte er sie begehrt, die nicht einmal seine Sprache richtig sprach. Und sie selbst ... viel zu lange hatte sie gezögert. Hatte sich nicht abgewandt, sondern ihn weiter gewaschen, innerlich errötet bis unter sämtliche Haarwurzeln. Schon der Gedanke daran ließ ihr eine Gänsehaut zurückkehren, die sich unangenehm intensiv kribbelnd über den ganzen Körper zog und doch, sie dachte immer wieder daran. In der letzten Nacht hatte sie sogar einen ausgesprochen seltsamen Traum gehabt, der Bilder enthalten hatte, die sie früher nicht einmal zu denken gewagt hatte.
War sie überhaupt noch eine Schildmaid, eine der heiligen Jungfrauen, die den Stamm mit Schild und Speer schützten? Verdiente sie es noch, sich so nennen zu können, wenn sie doch solche Sachen träumte, die nichts mehr mit Jungfräulichkeit zu tun hatten, sondern mit den Dingen, die sie beim Beltainefeuer nur aus der Ferne hatte beobachten können, verstohlen im Gebäusch kauernd? Cadhla seufzte leise aus und packte den langgeschittenen Holzstab, den sie sich als Ersatz für einen Speer aus einem der Gartenschuppen geklaut hatte. Überhaupt schien den Römern nicht unbedingt viel aufzufallen, ausser, etwas an ihrer persönlichen Bequemlichkeit fehlte. Den anderen Sklaven fiel viel schneller auf, wenn irgend etwas fehlte oder nicht so gemacht worden war, wie es sein sollte - aber die wenigsten waren bösartig genug, einen anderen in den Dreck zu stoßen. Hier hinten auf dem Hof würde sie jedenfalls so schnell keiner vermuten, und nachts schon gar nicht.
Als sie sich aus dem Schlafquartier geschlichen hatte, waren die anderen Frauen still liegengeblieben, und so hatte sie es gewagt. Geschmeidig ging sie in die Grundhaltung der Abwehr, und begann, den Speer mit beiden Händen windmühlenflügelartig zu drehen - es war keine Kampftaktik, aber es schulte die Koordination und Stärke, mit dem Schwung gleichzeitig wie mit Schnelligkeit arbeiten zu müssen. Schon nach kurzer Zeit fühlte Cadhla, wie ihr Körper reagierte, die Muskeln sich streckten und dehnten, und gleichsam gegen das Training rebellierten, das sie zu lange vernachlässigt hatte. Die ersten Schritte waren immer die schwersten, das wusste sie, und so fuhr sie fort - zuerst Speerstiche ins Leere, dann ausholende, zweihändige Hiebe, als müsse sie den Gegner auf diese uneffiziente Weise niederstrecken. Jetzt ging ihr Atem auch schwerer, die Brust hob und senkte sich unter der Anstrengung, der sie sich aussetzte.
Den Aushilfsspeer beiseite werfend, begann sie mit den Hieben und Tritten, die im waffenlosen Kampf helfen würden, den Gegner zu traktieren - auch wenn es ohne einen Mitkämpfer schwieriger war, weil sie nicht zielen musste, nur ins Leere kämpfen konnte, vollführte sie jeden Hieb doch mit Ernst und der Kraft, die sie dafür auch im Ernstfall einsetzen würde. Bald klebten die Strähnen auf ihrer feucht glänzenden Stirn, und die bloßen Arme und Beine glitzerten vom frischen Schweiß, den die Bewegung auf ihre Haut getrieben hatte - und jetzt endlich verstummten die Schmerzen in ihren Gliedern, funktionierte ihr Körper, wie sie es gewöhnt war, und endlich verstummten auch die Vorwürfe, die Sorgen, die Gedanken, und die Erinnerung an eine prickelnde Berührung, und einen wirren Traum, der nicht das Gesicht Corvinus gezeigt hatte, sondern das eines anderen ...