Beiträge von Lucius Quintilius Valerian

    Das war ja jetzt wieder eine verflixte Zwickmühle! Valerian warf einen kurzen hilfesuchenden Blick auf auf seinen Kameraden, der ihm kaum merklich und mit gerunzelter Stirn zunickte. Valerian seufzte innerlich. Der Posten hier war wahrhaftig nicht leicht auszufüllen.


    Er wandte sich nun direkt an den sturköpfigen Tiberier. Sein Tonfall war höflich, doch sein fester Wille durchaus herauszuhören. "Wer wäre ich, das Wort eines ehrenwerten Senators und gewesenen Praetors anzuzweifeln? Eines Mannes, der sich seit Jahren um Rom verdient gemacht hat? Doch die Vorschriften sind ganz eindeutig. Jeder ist zu durchsuchen. Die einzige Ausnahme bildet dabei Valerianus selbst. Diese Vorschrift dient der Sicherheit aller, die sich in diesem Palast aufhalten, auch der Deinen." Noch immer klang seine Stimme fest und keineswegs unterwürfig. Dabei bemühte er sich weiterhin um Höflichkeit.


    Er fand diese ganze Situation mehr als unerfreulich. Was war schon dabei, sich kurz untersuchen zu lassen? Niemand sonst machte deswegen Theater. Die Vorschriften hatten schließlich ihren Grund und wenn Valerian sie nicht befolgte, bekam er allein den Ärger. Aber als hätte irgendeinen der hohen Herrschaften das je interessiert, ob sie einfache Leute in Schwierigkeiten brachten! Und das an seinem ersten Tag hier!

    So, nun war es also soweit. Bei den letzten beiden Besuchern hatten noch einer der Kameraden das Wort geführt und den nächsten hatten sie Valerian zugedacht. Daß er nun ausgerechnet an einen der einflußreichsten Senatoren überhaupt geriet, war eine echte Feuerprobe. Valerian wußte genau, wen er vor sich hatte. Schließlich war der Mann schon einflußreich gewesen, bevor Valerian nach Germanien gegangen war.


    "Salve", grüßte Valerian und betonte das Wort noch besonders, denn Sklave eines Senators oder nicht, ein Gruß hätte dem Mann wohl kaum wehgetan. Und als Praetorianer brauchte er sicherlich nicht vor so einem Wurm zu kuschen.


    "Der ehrenwerte Senator und bisherige Praetor Tiberius darf selbstverständlich eintreten. Doch für Dich gilt das nicht, Du hast hier zu warten. Außerdem bin ich verpflichtet, Deinen Herrn auf Waffen zu untersuchen. Anschließend führe ich ihn gern zum officium des Procurator a libellis Aelius Callidus." Er sprach dies mit ernster Stimme und festem Blick, jedoch nicht herablassend.

    Es war ein geradezu vom Sturm getriebenes Lauffeuer, das durch die Castra brandete. Fünfte Kohorte! Das war seine! Valerian hatte sich immer noch nicht so ganz daran gewöhnt, doch natürlich sorgten schon seine Kameraden dafür, daß auch er prompt reagierte.


    Tatsächlich mußte der Praefect nicht lange warten. Es war schon erstaunlich, wie schnell eine Kohorte sein konnte, selbst wenn ihre Mitglieder über die ganze Castra verteilt und mit verschiedenen Dingen beschäftigt waren. In Windeseile sortierten sie sich zu Centurien und jeder Mann hatte mit schlafwandlerischer Sicherheit seinen Platz gefunden und ordnungsgemäß Haltung angenommen.


    Auch wenn der Praefect etwas entfernt stand, so bemerkten die Männer ihn natürlich sofort. Und damit wurde ihnen auch spätestens klar, daß etwas außergewöhnliches im Gange war, denn sonst erschien der Praefect erst, wenn die Männer versammelt waren. Dementsprechend gab es keine Unruhe, sondern nur gespanntes Schweigen.

    Die Männer am Palasttor waren erwartungsgemäß hocherfreut, endlich abgelöst zu werden und traten schneller ab, als man gucken konnte, kaum daß sie den Wachbericht übergeben hatten. Einer der erfahreneren Kameraden nahm Valerian gleich zur Seite. "Hör zu Frischling, Du wirst Dir ein, zwei mal angucken, wie der Hase läuft und dann mal die Besucher befragen, damit Du es lernst. Außerdem gehst Du mit dem Kameraden mit, der sie reinführt, immerhin mußt Du ja lernen, wo was ist. In den Wachräumen hängt ein Plan des Palastes aus und ich empfehle Dir, ihn Dir bei jeder Gelegenheit gründlich anzugucken. - Na, Du machst das schon." Er klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und schob ihn dann mit ans Tor.


    Valerian nickte ernst. "Geht klar", sagte er noch, dann stellte er sich ordnungsgemäß auf und beobachtete aufmerksam das Treiben auf der Straße.

    Aufmerksam lauschten die Männer der Einteilung, die der Optio bekannt gab. Valerian fühlte, wie seine Ohren sich vor Stolz röteten. Gleich das Palasttor! Na, wenn das mal keine Ehre war! Nicht nur, daß man sich ein wenig wichtig tun konnte, man hatte auch Blick auf die Straße, so daß es bestimmt auch nicht langweilig wurde.


    Er nahm stolz nochmal Haltung an, bevor sie dann wegtreten durften. Im Gleichschritt marschierten sie nun zurück zum Tor, um die Kameraden dort abzulösen.

    Als hätte er ihm irgend etwas getan! Was für ein finsterer Blick! Valerian fragte sich unwillkürlich, was für eine Elefantenherde dem wohl über die Leber gelaufen war. Doch was brauchte ihn das zu interessieren? Nen guten... was war das denn für ein Gruß?


    "Das wünsche ich Dir ebenfalls", erwiderte Valerian, da ja eh nicht klar war, was der Mann nun eigentlich gewünscht hatte. Da konnte es nicht schaden, es ihm einfach wieder zu wünschen, falls es was schlechtes war. Sein Tonfall war auch leicht spöttisch.
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    Natürlich war er viel zu nett zu dem Postmann gewesen. Und die Kameraden wurden es auch nicht müde, ihn damit aufzuziehen. Doch Valerian konnte eben nicht so sehr aus seiner Haut. Wenn jemand sich höflich und korrekt benahm, warum sollte er ihn dann unfreundlich behandeln?


    Da war der Mann, der gerade auf das Tor zumarschierte, schon ein anderes Kaliber. Schon wie der dreinblickte! So grimmig und unfroh, daß es einem schon schwerfallen würde zu lächeln, wenn man es echt versuchen würde. Und Valerian versuchte es natürlich nicht. Im Gegenteil. Er übte wieder diesen leicht abweisenden, kühlen Gesichtsausdruck, der von ihm erwartet wurde.


    Ah, wieder ein Postmann. Leider nicht der Nette von neulich. "Salve. Da vorne ist der Postkasten. Wirf das Ding ein und dann mach Dich wieder davon." Ob das nun knurrig und kühl genug war? Valerian verfolgte mit Argusaugen, was der Mann tat. Denn wenn er auch nur einen falschen Schritt machte, mußte er eingreifen.

    Aufmerksam hörten die Soldaten den Anweisungen zu. Und nickten hier und da, ansonsten war es still. Als der Optio geendet hatte, machten sie sich mit den Befehlen vertraut, die hier ausgehängt waren.


    Das waren ja nicht mal gar so viele, Valerian hatte mit wesentlich mehr Sonderregelungen gerechnet. Umso besser, dann konnte man nicht so schnell etwas wichtiges vergessen.


    Fragen an den Optio schien niemand mehr zu haben. Alle warteten nur noch darauf, ihren Standort zu erfahren. Und zu hören, welchem Partner sie zugeteilt waren.

    "Danke, Dir auch noch einen schönen Tag", wünschte Valerian und nickte dem Postmann nochmal zu, bevor er zu seinen Kameraden zurücktrat. Bevor er den Brief ungelesen wegsteckte, hatte er natürlich noch einen kurzen Blick auf den Absender geworfen. Von Drusus war er... Nicht, daß er sich nicht darüber freute, ganz im Gegenteil. Doch es war immer noch nichts von Valentina da.

    "Ja, ich bin dieser Lucius Quintilius Valerian. Aber wenn Du mir nicht glaubst, dann wirf das Schreiben ein und ich erhalte es dann über den Dienstweg. Bis meine Wachschicht hier beendet ist, ist es auch durch die Verteilung durch." Er zuckte die Schultern. Während der Schicht würde er den Brief sowieso nicht lesen können. Dabei war er schon so gespannt darauf, von wem er war. Hoffentlich von Valentina, denn er machte sich mittlerweile ernsthafte Sorgen um sie.


    Doch der Bote hielt ihm das Schreiben dann doch hin und Valerian ergriff es. "Danke. Und wie gesagt, die Briefe einwerfen, das geht so gerade. Aber natürlich lassen wir Dich nicht aus den Augen. Und wehe, Du gehst auch nur einen Schritt weiter." Seine Mundwinkel zuckten leicht. Es fiel ihm schwer, nicht zu grinsen. Aber ein Praetorianer im Dienst grinste nun einmal nicht.

    Valerian machte heute zum ersten mal Dienst am Tor. Und jetzt wurde er von einem der erfahrenen Kameraden in den Rücken gestupst, damit er sich des Boten annahm. "Salve", grüßte er erst einmal und versuchte sich an dem strengen, ernsten Blick, den ein Praetorianer üblicherweise zeigen sollte.


    "Unser Briefkasten befindet sich dort drüben." Er zeigte zur entsprechenden Stelle und wollte sich schon abwenden. Da fiel sein Blick auf den Adressaten des Schreibens und er bekam große Augen. "Aber wenn ich das richtig sehe, dann ist dieses Schreiben ohnehin für mich. Du kannst es mir also genauso gut gleich geben." Er streckte die Hand nach dem Brief aus.

    Stumm und in perfektem Gleichschritt folgten die Männer dem Centurio. Im Hauptraum der Wachunterkünfte kamen sie schließlich zum Stehen. Nach dem Lärm, den die genagelten Sohlen auf dem Steinboden gemacht hatten, war die Stille nun fast ein wenig unheimlich. Niemand regte sich, niemand versuchte auch nur zu flüstern. Alle warteten gespannt darauf, daß der Centurio weitere Anweisungen gab.

    Am Palast angekommen, wurden Valerians Gedanken nun doch wieder auf seine Pflichten gelenkt. Sicherlich war er schon häufiger hier vorbeigekommen. Doch noch niemals hatte er den Palast betreten. Oder auch nur gewagt, die Wachen anzusprechen. Jetzt gehörte er selbst zu den Wachen des Palastes. Ein ungewohnter, aber auch schöner Gedanke, der ihn nicht wenig stolz machte.


    Still stand er mit den anderen vor der postierten Wache und verfolgte gespannt den Wortwechsel. Und war schon gespannt, wo er eingesetzt würde. Ob er wohl die Gelegenheit bekam, den Palast zu betreten?

    Eine Gruppe schöner Frauen fiel Valerian auf, sie schienen bewundernd auf die Praetorianer zu blicken und tuschelten und lachten miteinander. Valerian straffte unwillkürlich seine Gestalt und erlaubte sich ein kurzes Lächeln in Richtung der Frauen. Leider waren sie allzuschnell an ihnen vorbeimarschiert. Doch Valerian mußte zugeben, solche Blicke entschädigten doch für so manche Strapazen. Und vielleicht... vielleicht würde er ja einmal solch eine schöne Frau kennenlernen.


    Mit derlei aufmunternden Gedanken beschäftigt, marschierte Valerian inmitten der Kameraden hinter dem Centurio her zum Kaiserpalast.

    Valerian salutierte zackig. "Valete", sagte er und verließ dann das officium. Draußen atmete er erst einmal tief durch. Offenbar rechnete man damit, daß Legat Vinicius nach dem Kaiserthron greifen würde, sollte Valerianus etwas zustoßen. Und anscheinend zweifelten sie an Valerians Zuverlässigkeit in einem solchen Fall. Er seufzte. Es gab keine Möglichkeit, es ihnen zu beweisen.


    Tief in Gedanken versunken kehrte Valerian in sein contubernium zurück. Ob die anderen aus der Legio II auch so ausgequetscht wurden?

    In Valerians Augen blitzte es auf. Das war für ihn überhaupt keine Frage! "Ich habe einen Eid geschworen. Ich bin nun Praetorianer. Und ich werde tun, was mir befohlen wird. Meine Treue gehört dem Kaiser. Und wenn wir einmal keinen Kaiser haben sollten, gehört sie dem praefectus praetorio. Ihm folge ich, wie ich bisher Legatus Vinicius gefolgt bin."


    Er atmete tief durch. Die folgenden Worte sprach er leiser, man konnte die Stimme ein wenig beben hören, da ihn der Gedanke allein schon erschütterte. Doch nichts desto trotz sprach er aus voller Überzeugung. "Es wäre gewiß nicht leicht, gegen die alten Kameraden das Schwert zu erheben. Doch wenn es nötig wäre, dann würde ich es tun." Er konnte nur hoffen, daß es nie soweit kommen würde. Solange Valerianus an der Macht war, gab es diese Gefahr nicht. Hoffentlich war er nicht so krank, wie manche Gerüchte es besagten!

    Dieses mal mußte Valerian nicht einen einzigen Augenblick überlegen. "Ganz sicher." Es gab nicht einen, der dem Legaten nicht ohne zu zögern in die Unterwelt folgen würde, wenn er dergleichen verlangen würde. Zumindest kannte Valerian niemanden, der nicht treu zum Legaten stand und hatte auch nie von unzufriedenen Einheiten gehört. Und das war etwas, was ein einfacher Miles wohl eher erfuhr als jeder Offizier.

    Seine Einschätzung zu solch einer Frage! Valerian stockte fast der Atem. Und er nahm sich wieder die Zeit, über diese Frage nachzudenken. Er fragte sich, ob man einfach seine Fähigkeit, jemanden einzuschätzen, prüfen wollte. Oder ob sie tatsächlich fürchteten, daß der Vinicier versuchen könnte, die Macht an sich zu reißen.


    "Ich glaube, das hängt von der Konkurrenz ab. Er hat nicht gezögert, Valerianus die Treue zu schwören und steht auch gewiß fest hinter ihm. Seine Worte haben daran auch nicht den geringsten Zweifel gelassen. Doch ich glaube nicht, daß es viele Männer im römischen Imperium gibt, hinter die er sich ebenso bereitwillig stellen würde. Ich schätze ihn nicht so ein, daß er um jeden Preis solche Macht haben möchte. Aber ich glaube, daß er sich nicht scheuen würde, sie zu ergreifen, wenn er der Ansicht wäre, daß wer auch immer sonst danach greifen würde, ungeeignet ist."


    Das war seine Meinung. Doch wie genau konnte man einen Mann einschätzen, den man nur einmal persönlich gesprochen hatte und da auch nur über belanglose Dinge? Er konne ihn nur beurteilen nach den Worten, die er an die Legion gerichtet hatte, an den Entscheidungen, die er getroffen hatte. Und an den Dingen, die andere über ihn berichteten. Und Informationen aus zweiter, dritter oder gar vierter Hand waren naturgemäß nicht sonderlich viel wert.

    Sein Eindruck von Legat Vinicius? Valerian mußte darüber erst einmal nachdenken, denn es kam ja jetzt auf die genaue Wortwahl an. Nicht, daß seine Worte noch falsch interpretiert wurden. "Einfachen Soldaten gegenüber ist er normalerweise ziemlich unnahbar. Aber er ist in seinen Entscheidungen immer fair und man hat das Gefühl, daß er für das Wohlergehen seiner Männer sorgt. Er... macht einen sehr selbstbewußten Eindruck. Er scheint immer den Überblick zu behalten und die Kontrolle über alles zu haben." Natürlich konnte niemand ständig die Kontrolle behalten. Doch der Eindruck war immer da.

    "Ja, das habe ich, princeps, wenn auch nur flüchtig", antwortete er mit einem weiteren Nicken. "An den Saturnalien hat er sich in der Taverne zu uns gesellt. Erst hatte er sich nicht zu erkennen gegeben und sein Gesicht unter einer Kapuze versteckt. Aber wir haben dann doch erraten, wer er war." Das war wirklich ein lustiger Abend gewesen. Und irgendwann, nach entsprechenden Mengen Wein, war es tatsächlich egal gewesen, ob man mit einem Legaten, einem Centurio oder einem Probatus anstieß.