Seine Meinung in dieser Angelegenheit hatte sich Aventurinus nach Kenntnisnahme des Gesprächsprotokolles rasch gebildet, aber er hatte seine Meinung nicht ohne Aufforderung des Statthalters zum Besten geben wollen und die Zeit genutzt um sich einige Worte zurechtzulegen. Deandras letzte Äußerungen hatten ihn in seiner Meinung noch zusätzlich bestärkt. An einer Stelle ihrer Ausführungen zuckte sein rechter Nasenflügel merklich, obwohl ihm ansonsten nicht anzusehen war, was er dachte.
"Sehr wohl, mein Legatus.“ antwortete er Felix.
"Ich zolle den tatkräftigen Bürgern Mantuas meine aufrichtige Anerkennung wie sie das vorher im Winterschlaf befindliche Mantua auferweckt haben…“, jetzt an Deandra gewandt.
Dann, wieder an beide Gesprächspartner gerichtet, "...natürlich kann man dabei auch nicht den Beitrag der Legio I vergessen, deren Anwesenheit die Stadt prosperieren lässt. Wie Deandra jedoch bereits selbst sagt, platzt Mantua längst nicht aus allen Nähten. Dem Studium der mir aus Mantua zugehenden Berichte zufolge sehe ich noch viel Arbeit vor den dort wirkenden Kräften, um den Aufschwung Mantuas auf Dauer zu sichern.“
Aventurinus machte eine kurze Pause und nippte von seinem O-Saft. Wein wäre jetzt besser, dachte er.
"Von daher sehe ich keine Notwendigkeit Bürger aus Mantua abzuziehen und stattdessen nach Misenum umzusiedeln. Dies erscheint mir als ein Nullsummenspiel. Da ich als Comes die gesamte Regio im Auge haben muß, sehe ich keinen Vorteil darin den gerade begonnenen Aufschwung Mantuas wieder abzubremsen und durch gezielte Wegzüge nach Misenum vielleicht sogar zu gefährden.“ fuhr Aventurinus dann fort.
"Das aber nur am Rande. Denn bei unserem Gespräch hier geht es nicht um Mantua, sondern um Misenum. Fakt ist, Misenum benötigt Unterstützung durch die Provinzialverwaltung und wir beraten in der Curie gegenwärtig intensiv darüber, was zu tun ist. Auf jeden Fall benötigt die Stadt ein scharfes Profil. Ein eigenständiges Profil. Ein Profil, welches sich von dem Profil der anderen großen Städte Italias unterscheidet. Denn nur durch ein eigenständiges, ein neues Konzept für Misenum können wir die Stadt für neue Bevölkerungsschichten attraktiv machen und Bürger anziehen, die wir mit den Konzepten der anderen Städte bisher nicht dazu bewegen konnten sich in unserer Regio niederzulassen. Ostia nutzt seine Möglichkeiten als Hafen- und Handelsstadt, Mantua ist die Stadt der Legio I und des religiösen Traditionalismus. Das Konzept von Mantua jetzt auf eine Stadt wie Misenum übertragen zu wollen halte ich für nicht sinnvoll. Für Misenum brauchen wir neue Wege. Ich sehe Misenum vor meinem inneren Auge erblühen als weltoffene Stadt, als mondänes Seebad, als Erholungsoase der römischen Oberschicht.“
Aventurinus verspürte inzwischen ein Kratzen in seiner Kehle. O-Saft war definitiv nicht das geeignete Schmiermittel für längere Reden. Aber was half es? Das Thema war zu wichtig.
Mit seinen nächsten Worten wandte er sich nochmals an die Aurelierin.
"Meine liebe Deandra, dein Ansinnen die Hälfte der Bevölkerung dieser Stadt - nämlich alle Frauen - von der Verwaltung dieser Stadt auszuschließen, widerspräche der Politik unseres Kaisers, welcher gerade in dieser Hinsicht sehr tolerant ist und immer wieder bewiesen hat, daß er großes Vertrauen zu Frauen in hohen und höchsten politischen Ämtern hat. Als Mitglied der Factio Veneta unterstütze ich diese weitsichtige Politik unseres geliebten Augustus ausdrücklich. Ich kann mir jedenfalls für Misenum genauso gut einen weiblichen Duumvir wie einen männlichen Duumvir vorstellen. Einzig und allein die persönliche Eignung darf das Kriterium für die Besetzung einer Stelle in der Verwaltung sein und nicht das Geschlecht des Kandidaten.“
Lächelnd fügte er hinzu, "Im übrigen bist du selbst, Deandra, doch das beste Beispiel dafür, daß Frauen auch in der Verwaltung hervorragende Leistungen bringen können. Ich denke nur an dein Schaffen in Ostia. Deshalb verstehe ich überhaupt nicht warum du deinen Geschlechtsgenossinnen Steine in den Weg legen willst.“
Aventurinus sah die bereits leicht ungeduldig werdende Miene von Felix. Es war Zeit zum Ende der Ausführungen zu kommen.
"Mein Legatus. Ich denke das Konzept von Mantua ist nicht auf Misenum oder andere Städte übertragbar. Natürlich sind generell alle Bürger willkommen, die sich am Aufbau Misenums beteiligen wollen. Jedoch ohne Gewährung derartiger von Deandra vorgeschlagenen Privilegien und den damit verbundenen Einschränkungen für andere Bevölkerungsgruppen. Dies ist meine von Überzeugung getragene Meinung. Die Entscheidung wie in Misenum verfahren wird obliegt nun dir, Secundus Flavius.“