Beiträge von Titus Decimus Cursor

    "Weise mir eine Zelle zu, mir ist es egal,"
    der decurio winkte müde ab,
    "dem tribunus habe ich vor kurzem in auf die fast gleiche Frage erwidert, als ebenfalls der Desertation Verdächtiger gehöre ich ebenfalls in den carcer, sicherheitshalber, vielleicht stellt sich noch heraus, daß ich kein Offizier bin und somit unberechtigterweise eine Offiziersunterkunft in Anspruch nehme. Und an meiner Situation hat sich nichts geändert."


    Im Grunde genommen hatte der decurio eine Antwort auf seine Frage nach der Fürsorge für seine Männer erwartet. So hakte er noch einmal nach; er mußte wissen, ob er mit seiner Vermutung rechtbehielt.
    "Und wem ist nun die besser als gut zu bezeichnende Lage meiner Männer zu verdanken, vexillarius?"

    Der decurio nickte.
    "Du fragst ob ich sicher sei, daß ich hierher gehöre. Ich werde deine Frage beantworten. Ich bin mir sicher, daß ich hierher gehöre und zwar einzig und allein nur deswegen, weil ich zu meinen Männern gehöre. Vielleicht ist es eine Art Schuldbekenntnis."
    Der decurio hielt kurz inne.
    "Mein Fehler war, daß ich eine falsche Entscheidung traf, die meine Männer nun zu büßen haben. Statt sofort decurio Terentius Primus in der Casa Terentia aufzusuchen hielt ich es für angebracht, mich offiziell bei der legio II zu melden. Dann noch dieser sonderbare Marschbefehl meines praefectus. Beides wurde mir zum Verhängnis. Der Rest ist dir bekannt."
    Cursor sah sich um und fuhr fort.
    "Wie ich sehe geht es meinen Männern gut. Sie erhalten bessere Verpflegung als normale Gefangene, ihre Zellen sind in einem über das Normalmaß hinaus gutem Zustand und ihren zufriedenen Mienen nach zu schließen scheinen sie sich wohl zu fühlen. Wem habe ich das zu verdanken, daß er sich dermaßen um meine Männer sorgt, vexillarius?"

    Aufrecht, aber mit versteinertem Blick, näherte sich der decurio der XXII., flankiert von zwei legionarii, dem carcer.
    Die beiden hatten immer wieder verstohlen zur Seite gesehen, ob sie nicht vielleicht einer ihrer Kameraden bei dieser unrühmlichen Handlung beobachtet hatten. Sie waren einfache Soldaten. Trotzdem spürten sie, daß dies hier außerhalb dem lag, was sie zu begreifen vermochten, nämlich einen decurio, einen Reiteroffizier, in den carcer führen zu müssen. Jedoch der tribunus hatte es befohlen.


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    Als erster sah Equitanus, der sich mit dem vexillarius unterhielt, seinen decurio. Vor Überraschung blieb sein Mund offenstehen. Dann faßte er sich.
    "Decurio? Decurio Cursor? Cursor?"
    Er rief so laut, daß es alle hören konnten.
    "Alle herhören: Der decurio ist wieder da!"
    Bald hatten es alle mitbekommen. Jeder der XXII. schlug mit dem, was er erreichen konnte, auf die Gitterstäbe ein und dann schrieen sie sich ihre Freude aus den Leibern. Aus fünfzehn Reiterkehlen dröhnte es durch den Carcer.
    Cursor, Cursor, Cursor ...
    Dessen Augen leuchteten. Das waren sie: das waren seine equites, die hinter ihm standen und auf die er sich verlassen konnte. Und er sah auch, daß irgendjemand dafür gesorgt haben mußte, daß es seinen Männern dem Umständen entsprechend gut ging.
    Mit einem Mal wurde es still, unheimlich still.
    Der decurio nahm vor dem vexillarius Haltung an und grüßte.
    "Decurio Decimus Cursor, LEGIO XXII DEIOTARIANA, turma I, Gefangener der legio II, vexillarius."

    Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem Equitanus nichts, aber auch überhaupt nichts mehr verstand.
    Daß der fremde decurio der Cousin seines praefectus war, das wußten sie alle. Und nun dieser vexillarius, der wiederum beider Cousin war.
    Equitanus schüttelte den Kopf und sah den vexillarius ratlos an.
    Auf der einen Seite dieser unheilvolle Marschbefehl seines praefectus, der ihn und seine Kameraden und seinen decurio die Freiheit kostete, auf der anderen Seite der fremde decurio und der vexillarius, die beide, so wie es aussah, alles daransetzten, das Beste aus dieser Lage zu machen und diese ihm und seinen Kameraden zu erleichtern.
    Und wenn schon der fremde decurio vertrauenswürdig erschien, dann war es der vexillarius und sein Cousin nicht minder.
    Dankbar sah Equitanus den vexillarius an und erwiderte.
    "Wir werden, wie bisher auch, die Anweisungen deiner equites befolgen und wir werden uns, auch wir sind equites, wie Ehrenmänner verhalten, dafür stehe ich ein, vexillarius."

    Aus dem Dunkel der Zelle trat ein eques an den Fragesteller heran. Höflich und ruhig beantwortete er die Fragen in der Reihenfolge ihrer Stellung.


    "Eques Equitanus. Es liegt uns fern, dich, wie du es nennst, verkackeiern zu wollen. Wie Constantius bereits sagte, wir sind fünfzehn equites, die vom praefectus der LEG XXII DEIOTARIANA zu dieser Mission beordert wurden.
    Was das Schwermachen betrifft: Dazu hatten wir keine Gelegenheit. Seit wir in diesem castellum sind werden uns Schwierigkeiten gemacht. Seit Tagen werden wir mit der Begründung festgehalten, daß der Verdacht besteht, wir seien Deserteure.
    Einen Dienstältesten gibt es bei uns nicht. Alienus, Caecus, Constantius und ich traten zur gleichen Zeit in die XXII. ein. Altersmäßig bin ich zwar der Älteste, was jedoch in keiner Weise von Bedeutung ist.
    Unseren decurio haben wir seit unserem Einsitzen hier im carcer nicht mehr gesehen. Ist dir vielleicht sein Verbleib bekannt?"

    Alienus erhob sich von den muffig riechenden Stroh und wollte zu dem Fragesteller als ihn Constantius zurückhielt.


    "Bleib`!" zischte er ihm zu und beantwortete kurz die Frage des Fremden.


    "Wir sind nur equites, fünfzehn an der Zahl, und warten auf unseren decurio, der ebenfalls hierher gebracht werden sollte."

    Alienus fuhr auf.


    "Vielleicht sind die wenigen Windungen da oben in deinem Kopf schon so verbraucht, daß du vergessen hast, daß nicht wir es waren, die um ein besonderes Essen gebeten haben. Und wenn du glaubst, daß du ..."


    Weiter kam er nicht, denn da fuhr ihm der Ellbogen seines Freundes Constantius in die Rippen.


    "Halt endlich deinen Mund. Merkst du nicht, was die da vorhaben? Und ab jetzt mit denen keine weiteren Gespräche!"


    Das wirkte. Alienus zog den Kopf ein.


    "In Ordnung. Ich habe verstanden.Und was machen wir?"


    "Was soll die Frage? Wir befolgen die Anweisungen unserer Bewacher."


    Ohne auf weitere Scherze ihrer Bewacher einzugehen taten die XXIIer wie ihnen geheißen.

    Alienus, der es einfach nicht schaffte, seinen Mund zu halten, frozzelte durch die Gitterstäbe.


    "Es ist doch eigentlich ganz einfach. Schon daß war durch eueren decurio zusätzliches und besseres Essen bekommen als es Gefangenen sonst zusteht dürfte man wohl meinen, daß von uns keinerlei Gefahr ausgeht. Folglich könnten wir, natürlich in Begleitung, die Latrine aufsuchen, was wiederum zur Folge hätte, daß das umständliche Abprotzen in die Stinkeeimer entfiele. Zudem hätten wir hier stets frische Luft und könnten uns durch ein intensives Zellenreinigen die Langeweile vertreiben."


    Gespannt, wie er reagieren, würde, sah Alienus seinen Gegenüber an.

    Die Bewacher hatten das Essen gerecht verteilt. Keiner bekam mehr, keiner bekam weniger.


    Und wieder fing Alienus an.


    "Dieser fremde decurio hat zwar versprochen, daß er Essen herbeischaffen läßt. Gut, er hat sein Versprechen gehalten. Aber was ist, wenn man uns nur herausfüttert und dann ... ?"


    Constantius versuchte seinen Freund zu beruhigen.


    "Du solltest nicht so schwarz sehen. Und außerdem, ich finde, daß es der fremde decurio mit uns ehrlich meint."


    "Vielleicht hast du recht. Aber wo bleibt dann unser decurio?"


    Hierauf wußte Constantius keine Antwort. Statt dessen rief er so laut, daß es alle XXIIer hören konnten.


    "Heute ist heute und jetzt ist jetzt, langt kräftig zu, wer weiß, was morgen ist, bene comedite!"


    Sprach`s und ließ sich den köstlichen Eintopf munden.

    Verräterisch klapperten die Würfel über den Tisch. Manch einer der Inhaftierten bekam lange, wenn nicht sogar Stielaugen. Da mitwürfeln zu dürfen, das käme gleich nach dem von dem fremden decurio versprochenen Essen.


    "Wer hindert uns eigentlich daran, da mitzuwürfeln?" flüsterte Alienus seinem Freund Constantius zu.


    "Im Grund genommen niemand. Aber erinnere dich an unsere Mission damals in der Wüste mit decurio Tiberius. Wie war das denn, als wir mit den Gefangenen ins Gespräch kamen und sicher waren, daß wir nichts Unverfängliches redeten und dann dieser Oberbandit unser Lager angriff?" gab Constantius ebenso leise zurück.


    "Das ging damals gerade noch glimpflich für uns ab."


    "Siehst du! Und woher willst du jetzt wissen, ob sich die da draußen nicht genauso verhalten? Und das mit dem Trauen ist sowieso so eine Sache!"


    "Hast ja recht," gab Alienus klein bei.


    ... und die Würfel klapperten weiter über den Tisch, die Bewacher lachten und die XXIIer sahen verbittert zu. Aber sie schwiegen!

    Die XXIIer schwiegen weiter. Sie wollten sich auf keinen Fall provozieren lassen. Daß dieser Titus Recht hatte, das ist ihnen in der Zwischenzeit klar geworden. Hier wird in der Tat etwas ganz besonders gebacken. Aber was? In erster Linie war für sie von Bedeutung, daß ihr decurio zurückkam. Dann wollten sie weitersehen.


    Aber bis dahin herrschte eisiges Schweigen.

    Die dauernden Fragen des tribunus, der seit Betreten des Lagers eine gewisse Antipathie gegen die "Deserteure" nicht verleugen konnte, begannen dem decurio lästig zu werden.


    "In der Lage, in die ich hier gebracht wurde, steht mir nichts mehr zu. So bitte ich die Antwort auf deine Frage zur Erwähnung meiner Lage dir selbst zu überlassen. Was du Livianus schreiben wirst, kann ich nicht beeinflussen, egal was ich möchte oder nicht, tribunus."

    Die inhaftierten equites sahen den fremden decurio an. Keiner sprach ein Wort. Aber alle dachten das Gleiche. Auf der einen Seite war da diese plötzliche Festnahme, deren Anlaß sie nicht verstanden, auf der anderen Seite dieser decurio, der sich von einer Seite gab, die allem bisher Erlebtem gegenüberstand. Konnten sie ihm trauen? Ihr decurio war mit dem tribunus verschwunden. Was wäre, wenn über ihn schon vorher ein Schuldspruch gefällt werden würde?


    Derartige Gedanken konnte auch das versprochene Essen des fremden decurio nicht verscheuchen.

    Da er wußte, daß das Gespräch nicht lange dauern würde, ging der decurio auf die Aufforderung nicht ein und erwiderte.


    "Bevor ich auf die Mission zum Kauf der Pferd beordert wurde, erhielt ich von meinem Cousin Decimus Verus die Einladung zu einem Familienfest in der Familiencasa in Roma anläßlich der Rückkehr von Decimus Livianus, der ich aber nicht Folge leistete, da der praefectus mir deutlich zu verstehen gab, daß mein Platz zum damaligen Stand der Dinge in Nikopolis sei. Wie Livianus den Parthern entkommen ist, entzieht sich daher meiner Kenntnis.


    Ich bin folglich für dich, schon wegen der nicht zu erbringenden Auskunft, wertlos und bitte mich zu meinen equites in den carcer verbringen zu lassen, tribunus."

    Der decurio versuchte trotz allem zu begreifen, was sich hier abspielte.
    Er versuchte zu verstehen, aber er verstand nicht. So sah er nur kurz auf, als sich Caecus, einer seiner speciales an ihn wandte.


    "Der legatus dieser legio gab Befehl, uns alle wegen des Verdachts auf Desertation zu verhaften, ach, nicht daß ich es vergesse, und wegen Urkundenfälschung. Daß diese Beschuldigungen haltlos sind, das wißt ihr. Also, verhaltet euch so, daß ihr nicht auffallt und überlegt euch genau, was ihr sagt, wenn ihr gefragt werdet."


    Dann sah er zu dem tribunus.


    "Decimus Livianus ist wieder zurückgekehrt, tribunus."

    Dem decurio ging so manches durch den Kopf. Die Frage des tribunus streifte seinen Ohren, aber doch noch so, daß er sie wahrnahm.


    "Ich bin mit Decimus Livianus verwandt und auch mit Decimus Meridius, dem ehemaligen legatus dieser legio."


    Emotionslos fügte er hinzu.


    "Demzufolge habe ich es mir wohl als besondere Ehre anzurechnen, gerade hier in den Genuß der Verdächtigung als Deserteur zu kommen, tribunus."

    Der decurio überlegte nicht lange.


    "Selbstverständlich bleibe ich bei meinen equites,"


    antwortete er und fügte sarkastisch hinzu


    "als ebenfalls der Desertation Verdächtiger gehöre ich ebenfalls in den carcer, sicherheitshalber, vielleicht stellt sich noch heraus, daß ich kein Offizier bin und somit unberechtigterweise eine Offiziersunterkunft in Anspruch nahm, tribunus."

    Cursor lachte.


    "Was heißt hier geneigt? Ich sehe es als eine Ehre an, mein lieber Terentius Primus, mit dir und und vor allem im Beisein deiner Gattin einen Happen, wenn du gestattest, es können durchaus auch mehrere sein, einnehmen zu dürfen."


    Er freute sich ehrlich über dieses Angebot, zeigte es ihm doch, daß die anfänglichen Mißverständnisse geklärt zu sein schienen.

    Cursor ging zunächst nicht auf Primus` Frage ein.


    "Meine Reise begann unter ungünstigen Vorzeichen, die sich in Form meines rebellierendes Magens bemerkbar machten. Die Reise als solche verlief verhältnismäßig ruhig und ohne besondere Vorkommnisse. Aber mit und nach meinem Eintreffen im castellum wußte ich Bescheid.


    Zum einen wußte niemand von meinem Eintreffen und dem meiner equites. Ich war mir sicher, daß der praefectus den legatus informiert hatte. Dem war allem Anschein nach nicht so. Nun verstehe ich auch das sonderbare Verhalten des tribunus.


    Zum anderen sprach der praefectus nur von seinem Cousin, der in Germanien eine Pferdezucht aufgebaut hat und dem er zugesagt habe, daß die XXII. bei ihm die benötigten Pferde kaufen werde. Es fiel nicht die geringste Andeutung darüber, daß das Gestüt, aus welchen Gründen auch immer, deiner Gattin gehört.


    Du wirst verstehen, daß ich selbst nicht mehr zu beurteilen vermag, in welcher Lage ich mich, vor allem gegenüber dem legatus, befinde. Ich komme nicht aus dem Gefühl heraus, daß ich dafür ausersehen bin, irgendjemanden voll in den pugio zu rennen."


    Cursor schnaufte ein paar Mal tief durch.


    "So, das mußte ich loswerden. Und jetzt, so ein kleiner Imbiß, und ein paar Worte mit deiner lieben Gattin, die mir hoffentlich meine anfängliche Ruppigkeit nachsieht, dann wäre zumindest hier und in dieser schönen Umgebung die Welt in Ordnung."