Ursus lachte und nahm ihr ihren Spott nicht übel. Warum auch? "Nun, ich glaube, ich ziehe die neugierigen Blicke der holden Weiblichkeit dann doch dem mitleidigen Seufzen vor und nehme die dafür notwendige Anstrengung in Kauf. - Immerhin hat regelmäßiges Training auch einen weiteren Vorteil, den man nie unterschätzen sollte: Zeit, in der man seinen Gedanken freien Lauf lassen kann und in der man nicht gezwungen ist, eine Maske zu tragen." Ja, vielleicht war das sogar einer der Hauptgründe, warum er das regelmäßige Training nicht aufgeben mochte. Blieb zu hoffen, daß seine Pflichten ihn nicht eines Tages so sehr in Anspruch nahmen, daß schlicht die Zeit für so etwas fehlte.
"Du wirst schon sehen, wie unentspannt der Heiratsmarkt ist. Wenn sich erst herumspricht, daß die Gens Aelia eine schöne junge Witwe vorzuweisen hat, wirst Du Dich vor Angeboten vermutlich kaum retten können." Das war nicht einmal ein Scherz. Besser, sie machte sich darauf gefaßt, denn er merkte schon, daß sie eine Heirat für sich selbst vorerst nicht in Betracht zog. Was er nach ihren Andeutungen über ihre bisherigen Erfahrungen durchaus verstehen konnte. Schade, er fand sie gar nicht so unpassend. Doch vorerst war daran wohl nicht zu denken.
Er empfand das Gespräch als sehr angenehm und ja, durchaus freundschaftlich. Erstaunlich, wenn man bedachte, wie sich sich begegnet waren und daß sie sich erst kennengelernt hatten. "Du magst recht haben, was den Geschmack angeht. Doch was mir fehlt, und was mein Vater gehabt hätte, sind die vielen Beziehungen, die einem überhaupt erst einmal die Türen öffnen. Väter von jungen Frauen verhandeln eben nicht gerne mit jungen Männern, sondern lieber mit deren Vätern. Daran ändert auch die Tatsache, die Ämterlaufbahn zu beschreiten, kaum etwas. Wie Du siehst, zusammen ist es das beste. Ein Vater, der die Türen öffnet und ein Sohn, der sich selbst umschauen darf. - Bitte erinnere mich an diese Sätze, sollte ich selbst einmal einen Sohn im heiratsfähigen Alter haben." Falls sie sich in dieser gedachten Zukunft überhaupt noch kennen sollten. Aber Ursus war optimistisch genug, davon auszugehen. Oder es sich zumindest zu wünschen.
Auch wenn ihre Worte über ein Leben als vestalische Jungfrau ganz offensichtlich als Scherz gedacht waren, so schaute Ursus doch sehr erstaunt drein, als sie dies äußerte. "Was genau macht denn eigentlich den Reiz aus, als vestalische Jungfrau zu dienen? Sicher ist der Dienst für die Götter immer eine sehr große Ehre und eine wichtige, ständige Pflicht. Aber das ganze Leben allein dem zu weihen? Was bringt ein junges Mädchen, das sein ganzes Leben noch vor sich hat, dazu, sich ein solches Leben zu wünschen?" Vielleicht konnte er dies als Mann nicht verstehen. Vielleicht mußte man eine Frau sein, um so etwas nachvollziehen zu können.
"Den Göttern kann man doch auch sehr verbunden sein und ihnen trotzdem nur einen Teil seines Lebens widmen. So wie Du es jetzt als Möglichkeit in Betracht ziehst. Der Cultus Deorum sucht immer Menschen, die dazu bereit sind. Und es stellt ja auch eine der wenigen Möglichkeiten dar, als Frau eine gewisse Position im öffentlichen Leben zu erlangen." Vor allem, wenn man so redegewandt und klug war wie sie.
Traurig klangen ihre letzten Worte auf jeden Fall, auch wenn der Tonfall nicht dem entsprach. Hatte sie wirklich schon derart resigniert? "Vielleicht begegnet Dir eines Tages ein Mann, bei dem Du feststellst, daß er genau so beschaffen ist, daß Du Dir eine neue Ehe mit ihm gut vorstellen kannst. Ich wünsche Dir jedenfalls dieses Glück und hoffe, daß Du dem Schicksal entgehst, ein weiteres mal gegen Deinen Willen verheiratet zu werden."