Beiträge von Titus Aurelius Ursus

    Ursus schüttelte den Kopf und sagte ganz sanft. "Oh, doch. Du wirst glücklich sein. Eines Tages. Ich wünsche es mir, Cadhla. Wie Du sagst, ich werde nie allein sein. Und genauso wirst Du nie allein sein. Ein Teil von mir ist immer bei Dir. Und wenn ich weiß, daß Du glücklich bist, werde ich auch glücklich sein." Er streichelte weiter ihr Gesicht und konnte sich gar nicht sattsehen an ihr. Diesen Anblick, diesen Moment wollte er niemals in seinem Leben vergessen. Er wußte, so etwas würde vermutlich niemals wiederkommen.


    Ihre weiteren Worte zeugten davon, daß sie in der Zeit, in der sie ihm aus dem Weg gegangen war, viel nachgedacht hatte über sich und ihre Zukunft. Und das war gut so. Sie konnte nicht in ihr altes Leben zurück, das war ihr klargeworden. Jedenfalls nicht genau so, wie es früher gewesen war. Es war ein logischer Schritt, damit abzuschließen. Und doch mußte er unglaublich schwer sein.


    Es erfüllte ihn mit unglaublicher Freude, daß sie ihn ausgewählt hatte, um am Beginn ihres neuen Lebens teilzuhaben. Das bedeutete ihm sehr viel. Zu viel, um es in Worte kleiden zu können. Und nun wollte sie ihm auch noch das kostbarste Geschenk machen, das sie zu verschenken hatte.


    Natürlich wäre es gelogen, wenn er behaupten würde, daß er dieses Geschenk nicht sehr gerne annahm. Doch fragte er sich, ob sie wirklich schon so weit war. Ob er nicht den von ihr geplanten glücklichen Anfang ihres neuen Lebens zerstören würde anstatt ihn zu schaffen. Schließlich war das erste mal für eine Frau nicht nur von reiner Freude gekennzeichnet. Sie nahm ihm seine Unsicherheit durch sehr eindeutige Taten. Sie küßte seine Fingerspitzen, legte seine Hand auf ihre Brust und hielt sie dort fest. Ihr Herz pochte unter seiner Hand. Oder war es sein eigener Puls, den er in seiner Hand fühlte? Er war sich nicht mehr ganz sicher. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, im gleichen Takt wie das ihre.


    Nur schwer fand er Worte und sie schienen ihm so unzureichend, um sich auszudrücken. "Das... das ist das schönste, was je jemand zu mir gesagt hat. Und ich weiß, wie wahr diese Worte sind. Ich wünschte, ich könnte Dir ein Geschenk machen, das so groß ist wie Deines. Doch... ich habe nichts, was dem entsprechen würde. Nur mein Herz, doch das besitzt Du schon lange." Er ließ seine Hand auf ihrer Brust liegen, um weiter ihren Herzschlag zu spüren. Dann streichelte er ihr Gesicht mit der anderen Hand, küßte sie abemals auf ihre Lippen und drückte sie dabei mit den Händen sanft nach hinten, so daß sie auf dem Bett zu liegen kamen.

    Also wirklich. Die eigentlich im Scherz gestellte Frage wurde bejaht und Ursus kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Was für verborgene Talente Varus wohl sonst noch so in sich trug? Er war auf jeden Fall ein erstaunlicher Mann, der ausgesprochen ungewöhnliche Wege ging, um was auch immer es sich drehte. Das zeigte ja auch seine ausgeprochen ungewöhnliche Zukunftsplanung.


    Der Ball landete im impluvium, was sie beide zum lachen brachte und sie dann zu der fast kindlichen Bemühung veranlaßte, vom Beckenrand aus nach dem - noch - schwimmenden Ball zu angeln. Doch der dümpelte ganz gemütlich ausgerechnet in die Mitte des Beckens, wo ihre Arme nun einmal nicht hinreichten. Ursus lachte abermals. "Ich komme mir vor wie ein 10jähriger und hoffe irgendwie, daß nicht gerade jetzt Corvinus das atrium betritt." Er zog kurzerhand seine Sandalen aus, legte seine Toga ab und raffte die Tunika soweit, daß er in das doch ziemlich kalte Wasser steigen konnte, um den Ball herauszufischen. Natürlich hätte er dies auch einem Sklaven befehlen können, doch auf die Idee kam er irgendwie gar nicht.


    "So, da ist der Übeltäter", sagte er und stellte fest, daß der Ball vor Nässe nur so triefte. Hm... Kindisch waren sie im Moment ja eh und dieser nasse Ball war einfach zu verführerisch. Mit Unschuldsmiene stieg Ursus aus dem Becken, ließ die Tunika fallen und warf dann in einer plötzlichen Bewegung den triefend nassen Ball in die Richtung von Varus. Zum Glück stand dieser nicht in der Nähe irgendwelcher zerbrechlicher Gegenstände.

    "Deine gute Meinung über mich ehrt mich", lachte Ursus und zwinkerte Clara zu. "Aber ich fürchte, Du hast doch ein etwas falsches Bild von mir, so sehr es mir auch schmeichelt." Sie war eine freundliche und sehr bescheidene Frau, die anscheinend nie etwas für sich selbst verlangte.


    Über ihre Zukunft schien sie sich noch nicht recht im klaren zu sein. Das wunderte ihn ein wenig, denn bisher machte sie einen sehr entschlossenen und zielstrebigen Eindruck auf ihn. "Du wirst gewiß etwas finden, was zu Dir paßt und Dir Freude macht. Es gibt gerade hier in Rom unendlich viele Möglichkeiten. Auch für eine Frau."


    Gerade wollte er noch ansetzen, etwas hinzuzufügen, doch da erschien Prisca und wie es schien, war sie glänzender Laune. "Salve, Prisca", lächelte Ursus bei ihrem temperamentvollen Auftritt. Da Prisca sich bereits selbst vorgestellt hatte, brauchte er also nur noch Clara vorzustellen. "Darf ich Dir Duccia Clara vorstellen? Sie ist ein Gast von Corvinus und ich habe ihr gerade das Haus gezeigt." Ihr Anliegen sollte Clara lieber selbst vortragen, fand er.

    Ursus schloß für einen Moment die Augen. Es war so schwer, sich richtig auszudrücken. "Wenn ich genug Geld hätte, um Dich zu kaufen, würde ich es versuchen. Es ist zwar unwahrscheinlich, daß Corvinus sich darauf einlassen würde, doch ich würde es versuchen. Damit ich Dir die Freiheit wiedergeben könnte, denn Du verdienst es, frei zu sein." Es war müßig, darüber nachzudenken. Seine paar hundert Sesterzen reichten nicht für eine Sklavin wie Cadhla. Und das wenige Geld, das sein kleines Stück Land abwarf, war kaum der Rede wert. Andere Einkünfte hatte er nicht, das Amt wurde nicht entlohnt.


    "Ja, eine gemeinsame Zukunft ist uns verwehrt, egal wie wir es drehen und wenden. Selbst wenn Du heute noch frei werden könntest. Sogar wenn Du das römische Bürgerrecht erhalten würdest, es wäre unmöglich, weil ich Patrizier bin. Eine Ehe ist undenkbar. Und Dich als Geliebte nebenher... Nein, das wäre Deiner nicht würdig. Also muß ich Dich gehen lassen, Cadhla. Es tut weh, schrecklich weh, - aber es bleibt mir nichts anderes übrig. Aber auch wenn ich weiß, daß es das richtige für Dich ist... Ich..." Er rang nach Worten. "Ich hoffe, daß Du eines Tages wieder glücklich sein kannst. Richtig glücklich." Es war schwer. Unendlich schwer.


    Er atmete tief durch. "Aber in einem irrst Du. Ich werde zwar sicherlich eines Tages eine Frau haben. Und ich werde sie gewiß auch anlächeln. Doch... lieben werde ich immer Dich. Egal wo Du bist." Natürlich verstand er, daß sie das nicht mit ansehen wollte. Es war ein wirklich verständlicher Wunsch. Doch sie sollte wenigstens wissen, daß sein Herz immer ihr gehören würde. "Ich verstehe Dich. Und ich könnte auch nicht mit ansehen... Ich... ich bitte Dich nur um eines: Laß hin und wieder von Dir hören, ja? Damit ich weiß, wie es Dir geht." Sie konnte ja jetzt schreiben, auch wenn es noch etwas holprig war.


    "Und diese Nacht... es würde mich sehr freuen, wenn Du sie hier mit mir verbringen würdest. Wenn uns schon nur noch so wenig Zeit bleibt, sollten wir wenigstens beeinander sein." Er war sich nur nicht sicher, ob sie meinte, die Nacht mit ihm zu verbringen, - oder... die Nacht mit ihm zu verbringen. Sie hielt ihren Blick immer noch gesenkt. Warum sah sie ihn nicht an? Fürchtete sie, daß er die Situation ausnützen würde? Kannte sie ihn so schlecht? "Cadhla", sagte er leise und legte sanft seinen Arm um sie. Mit der anderen Hand hob er leicht ihr Gesicht an. Einen Moment lang blickte er sie nur zärtlich an, dann legten sich seine Lippen sanft auf die ihren.

    Es war unglaublich. Nicht ein einziges mal kollerte der Ball zu Boden. Und die Bewegungen waren schnell und sicher, kaum konnte Ursus mitverfolgen, wie Varus das eigentlich machte. Es war wirklich ein Kunststück und das Gleichgewichtsgefühl von Varus war außergewöhnlich. "Joglierst Du auch?", fragte Ursus grinsend und meinte die Frage nicht ganz ernst, auch wenn er durchaus für möglich hielt, daß Varus das ebenfalls beherrschte.


    Nun setzte sich Varus und übergab ihm den Ball mit der Aufforderung, sein Glück zu versuchen. "Na, das wird jetzt aber ganz anders ausgehen", lachte Ursus und nahm den Ball entgegen. Dann stand er auf und suchte sich einen Platz, wo die Möglichkeit, etwas zu beschädigen, eher gering war.


    Er warf den Ball, schaffte es aber wieder nicht, ihn mit dem Fuß aufzufangen. Doch so leicht war er nicht zu entmutigen. Er versuchte es einfach wieder. Und noch einmal. Beim fünften Versuch schließlich schaffte er es und fing den Ball mit dem Fuß. So, da hatte er ihn nun. Und was jetzt? Er versuchte, es Varus gleich zu tun und warf ihn mit dem Fuß wieder in die Luft. Doch natürlich flog der Ball ganz und gar nicht so, wie Ursus das vorgehabt hatte. Mit einem hörbaren "Glumpsch" landete der Ball im impluvium.

    Ursus nahm den Becher entgegen und atmete den Duft des durch lange und richtige Lagerung geedelten Weines ein. Er hatte noch nicht oft Gelegenheit gehabt, solch einen Tropfen zu genießen. Und natürlich vergaß auch er nicht, den Göttern ihren Anteil zukommen zu lassen, bevor er einen ersten Schluck nahm und genüßlich über die Zunge rollen ließ, um den Geschmack voll auszukosten. Er nickte. "Ein wahrlich edler Tropfen", stellte er fest und atmete tief durch. Ein Zeichen, daß er sich etwas entspannte, denn Corvinus schien nicht auf Streit aus zu sein. Vielleicht kam ja doch mal ein ganz normales Gespräch zwischen ihnen zustande?


    Zur Frage nach den Sklaven schüttelte Ursus den Kopf. "Wie schon gesagt, ich weiß es selbst erst seit ein paar Stunden. Und ich hatte eigentlich schon nicht mehr damit gerechnet. Als ich den Brief schrieb, lebte der Kaiser noch. Ich vermute sogar, daß er ihn noch erhalten hat. Als dann die Nachricht kam, daß er gestorben ist und die Wahlen vorübergingen, ohne daß eine Antwort kam, bin ich davon ausgegangen, daß die Angelegenheit sich erledigt hat. Von daher habe ich mir noch nicht die geringsten Gedanken darüber gemacht, wen ich mitnehme. Wir haben ein Haus in Mogontiacum, oder? Was meinst Du, ob ich da wohnen kann oder ob ich wohl im Castellum leben muß? Wo hast Du gewohnt?" Er wußte praktisch nichts über das Tribunat von Corvinus. Naja, kein Wunder, sie sprachen ja normalerweise nicht miteinander. Nicht mehr als das nötigste zumindest.


    Die nächste Nachricht war da schon wesentlich erstaunlicher."Appius reist nach Ägypten?", fragte Ursus überrascht. Er hatte von dem Vetter schon länger nichts mehr gehört und er fand es schade, daß er Rom so lange fernblieb. Doch natürlich konnten solche Reisen sich für seine Zukunft als sehr nützlich erweisen und er gönnte ihm die Erfahrung.


    Als Corvinus davon sprach, daß er vorgehabt hatte, ihm die Finanzen zu übertragen, preßte Ursus kurz die Lippen zusammen. Doch er überspielte die aufsteigende Bitterkeit schnell damit, daß er den Becher an seine Lippen führte und einfach noch einen Schluck nahm, während sich seine Gedanken überschlugen. War ja klar, jetzt wo es unmöglich war, bot er ihm diese Aufgabe an. Da war es nur ein schwacher Trost, daß er ihm anscheinend jetzt endlich ein Mindestmaß an Vertrauen entgegenbrachte. "Ich hätte diese Aufgabe sehr gerne übernommen, zumal ich mich mittlerweile gut eingearbeitet habe. Aber zumindest für die kommende Amtszeit ist es mir nun nicht möglich."


    Ursus blickte in seinen Becher, als könnte er darin etwas besonders interessantes entdecken. "Nun, ein Jahr ist keine Ewigkeit. Und ich habe Helena und Minervina schon versprechen müssen, regelmäßig zu schreiben. - Wen würdest Du mir denn empfehlen, mitzunehmen?"

    Als sie die Villa wieder erreichten, war sogleich jemand da, der ihnen ihre Mäntel abnahm und etwas zu trinken anbot. Ursus ließ sich einen Becher mit verdünntem Wein geben und wandte sich wieder an Varus. "Also, jetzt zeig mal richtig, was man damit alles anfangen kann, damit ich weiß, wie das Endergebnis aussehen muß." Die Vorführung auf der Straße war ja wohl nur ein Vorgeschmack gewesen.


    "Ich glaube ja nicht, daß ich Deine Geschicklichkeit damit erreiche. Aber es sieht aus, als könnte es Spaß machen. Versuchen werde ich es jedenfalls." Er ließ sich auf einer der Bänke nieder und erhoffte sich nun eine kleine Vorführung von Varus. Immerhin würde er sich danach auch zu einem Versuch hinreißen lassen und sich mit Sicherheit nicht wenig blamieren. Aber dafür sollten sie dann wohl doch besser in den Garten gehen.

    Varus führte sein kleines Kunststück vor und Ursus staunte nicht schlecht, welche Geschicklichkeit er dabei an den Tag legte. Er bezweifelte sehr stark, daß er das auch schaffen würde und äußerte das auch gleich.


    "Das sieht wirklich nicht ganz so einfach aus. Und ja, wir üben das vielleicht doch lieber zuhause, dann blamiere ich mich nicht so." Er lachte, griff aber trotzdem nach dem Ball und konnte es nicht lassen, gleich einen ersten Versuch zu starten.


    Gut, er traf seinen Fuß, aber er konnte den Ball nicht wirklich auffangen und halten, so daß er davonkullerte. Und es war auch nicht wirklich leicht, dabei das Gleichgewicht zu behalten. Im Ganzen sah er bei dem Versuch alles andere als elegant aus. Ein ziemlich komischer Anblick für die Passanten, von denen auch einige breit grinsten oder gar lachten.


    "Nein, das war der Beweis: So etwas sollte man nicht in der Öffentlichkeit versuchen", lachte er nochmal und lief hinter dem Ball her, um ihn wieder aufzuheben. "Wie bist Du darauf gekommen, so etwas damit anzufangen?" Während sie sich unterhielten, erreichten sie die Villa Aurelia und wurden auch sogleich eingelassen.

    Ursus lachte. "Da hast Du mich ja schön an der Nase herumgeführt. Bei einem Geflügelhändler hätte ich wohl als letztes nach so etwas gesucht." Irgendwie war es nett von Varus, daß er ihn so zu überraschen versucht hatte. Was ihm auch gelungen war.


    Neugierig betrachtete Ursus das Ding in seinen Händen und befühlte es auch eingehend. Nettes Teil irgendwie. Er war schon sehr gespannt, was Varus damit für gewöhnlich anfing. Da dieser seine Bereitschaft, die Vialla Aurelia wieder aufzusuchen, signalisiert hatte, führte Ursus sie auf kürzestem Weg vom Markt fort und wieder in Richtung der Villengegend, wo er zuhause war.


    Je weiter sie sich vom forum romanum und dem Markt entfernten, umso ruhiger wurde es in den Straßen. Es war jetzt viel weniger auf den Straßen los, als auf dem Hinweg. In einigen Stunden würde sich das wieder ändern. Wenn das Nachtleben begann.


    "Also, dann zeig mal, was Du damit machst. Oder wollen wir damit warten, bis wir wieder in der Villa sind? Im atrium oder im hortus wäre genug Platz." Denn auch wenn Varus für seine Übungen nicht viel Platz benötigte, würde das bei Ursus doch anders aussehen. "Vielleicht doch besser im hortus. Da kann ich weniger kaputt machen." Es wäre schon fatal, wenn der Ball zufällig im Familienaltar landen würde.

    Ursus legte die Sachen kurzerhand auf sein Bett, da war genug Platz. Aufgeschoben war ja nicht aufgehoben, er hatte später noch genug Zeit, weiterzumachen. Er setzte sich in den zweiten Sessel und blickte auf die über den Bechern schwebende Amphore. "Meine Amtszeit ist vorüber, ich habe alle Zeit der Welt. Noch." Er wußte überhaupt nicht, wie er diese Situation zu bewerten hatte und blieb daher vorsichtig. "Siebzehn Jahre alt, meine Güte. Ein wahrhaft edler Tropfen." Und das nur, weil seine Amtszeit vorüber war? "Was hast Du noch auf Lager für den Tag, an dem Du in den Senat berufen wirst?"


    Mit einer ausladenden Geste auf seine verstreuten Sachen erklärte er dann: "Ich habe vor wenigen Stunden erfahren, daß ich nun doch noch ein Tribunat erhalte. In Germanien bei der Legio II. Mir bleiben nur noch wenige Tage in Rom und ich will sehen, was ich noch brauche." Er mußte sich verkneifen zu sagen, daß dies Corvinus doch freuen mußte, da er ihn für ein ganzes Jahr loswurde. Doch er wollte keinen Streit vom Zaun brechen, zumal Corvinus im Moment eher versöhnlich wirkte. "Wahrscheinlich ist es ein Fehler, schon wieder für längere Zeit von Rom fortzugehen. Doch ich halte den Militärdienst für notwendig. Und besser, ich leiste ihm am Anfang meiner Karriere ab als später." Er wußte nicht, ob ihm das Soldatenleben gefallen würde. Bisher hatte er nur wenig mit dem Militär zu tun gehabt.


    "Du bist doch nicht wirklich nur gekommen, um das Ende meiner Amtszeit und den Beginn Deiner eigenen zu feiern, oder? Siebzehn Jahre alter Falerner?" Sie hatten schon über weit wichtigere Dinge nicht miteinander gesprochen. Und schon gar keinen edlen Wein miteinander getrunken. "Gibt es noch irgendetwas zu feiern?" Vielleicht hatte Corvinus ja die Hochzeit von Prisca unter Dach und Fach gebracht? Aber da sollte dann doch der Rest der Familie auch dabei sein, wenn sie das feierten.

    Ursus war gerade dabei, seine Sachen durchzusehen. Was war geeignet mitzunehmen? Was blieb besser hier? Was mußte er vielleicht noch besorgen? Er war gerade eben wieder heimgekommen und eigentlich hätte er gleich Corvinus aufsuchen müssen, um ihn über die neue Situation zu informieren. Doch hatte das nicht wenigstens ein paar Stunden Zeit? Es würde ja doch nur wieder im Streit enden und Ursus wollte sich wenigstens kurze Zeit einfach darüber freuen, daß er einen weiteren Schritt auf dem Karriereweg vor sich hatte.


    Als es klopfte, glaubte er, daß es Caelyn war und ging daher nicht zur Tür, sondern rief einfach nur "Herein" und schloß die Schatulle mit seinen Schreibwerkzeugen. Er notierte auf der Wachstafel neben sich, daß er noch Pergament besorgen mußte und Siegelwachs. Das war hier in Rom sicherlich besser und günstiger zu bekommen als in Germanien.


    Rein gewohnheitsmäßig hob er den Blick, als die Tür sich öffnete und er begann zu sprechen, bevor er überhaupt registrierte, daß es Corvinus und nicht Caelyn war, die hereinkam. "Du kannst dann erst einmal... Oh, Du bist es. Entschuldige, ich dachte, es sei Caelyn. Salve, Marcus." Ein wenig verblüfft bemerkte er die Becher und die Amphore. Was war denn jetzt los? Seine Augenbraue hob sich und verriet seine leichte Verwirrung. Anscheinend hatte Corvinus vor, sich länger hier aufzuhalten.


    "Nimm doch Platz", forderte Ursus seinen Onkel auf, deutete auf einen Sessel und räumte die Dinge vom Tisch, die er dort ausgebreitet hatte, um sie zu sichten und passend wieder zu verstauen. "Und meine herzliche Gratulation zu Deiner Wahl." Er hatte Corvinus in letzter Zeit kaum zu Gesicht bekommen und daher noch keine Gelegenheit gehabt, ihm zu gratulieren.

    Auch Ursus war gekommen, um der Vereidigung der neuen Magistrate beizuwohnen. Selbst wenn keiner seiner Verwandten oder Freunde gewählt worden wäre, hätte er sich hier eingefunden. Doch natürlich war es eine doppelte Pflicht, da Corvinus und ein enger Freund der Familie, Flavius Gracchus, unter den Gewählten waren. Es war ein feierlicher Moment, als die Eide gesprochen wurden. Und Ursus hörte mit Genugtuung, daß Corvinus mit fester Stimme sprach, ohne sich ein einziges Mal zu versprechen. Nichts war peinlicher als ein dummer Versprecher in solch einem wichtigen Moment.

    Ein wenig nervös war Ursus ja schon, als er nun die rostra betrat, um zum ersten mal hier zu sprechen. Viele Blicke folgten ihm. Er räusperte sich und begann dann mit fester Stimme und weithin hörbar, ohne dabei zu brüllen:


    "Bürger Roms!"


    Er wartete einen Moment, um sicher zu gehen, dass er die Aufmerksamkeit der Menschen hatte.


    "Vor einem Jahr wählte mich der Senat in eurem Namen zum vigintivir und verlieh mir das ehrenvolle Amt eines decemvir litibus iucandis. Damit wurde mir, wie meinen neun Kollegen, die verantwortungsvolle Aufgabe zuteil, die rechtmäßigen Erben der Vermögenswerte der Verstorbenen zu ermitteln. An dieser Stelle, jetzt am Ende meiner Amtszeit, möchte ich mich für das in mich gesetzte Vertrauen bedanken und Rechenschaft über meine Tätigkeit ablegen. Mit Stolz kann ich euch berichten, dass ich bis auf einen einzigen alle mir anvertrauten Fälle abschließend bearbeiten konnte. Bei diesem einen Fall ist noch eine Frist zur Eheschließung gemäß der lex Iulia et Papia zu beachten, daher wird es einem unserer Nachfolger obliegen, diesen Fall abschließend zu bearbeiten.


    Die Tätigkeit umfasste die Forschung nach Testamenten, die Feststellung der Verwandtschaftsverhältnisse, Feststellung der zu vererbenden Vermögenswerte, Anschreiben der möglichen Erben und Klärung bei unklaren Gegebenheiten. Eine besondere Schwierigkeit stellte die Tatsache dar, dass sich während dieser Amtszeit ein paar Regelungen zur Erbschaftsbearbeitung geändert haben, weswegen einige Fälle komplett neu bearbeitet werden mussten. Doch auch diese Hürden sind überwunden, auch diese Fälle sind mittlerweile bearbeitet und die kaiserliche Finanzabteilung entsprechend informiert, so dass die Vermögenswerte auf die Erben übertragen werden können. An dieser Stelle möchte ich mich für die hervorragende Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der kaiserlichen Finanzabteilung und auch bei den geduldigen Priesterinnen des Vestatempels bedanken. Denn die Arbeit der decemviri litibus iucandis wäre kaum zu schaffen, wenn diese Zusammenarbeit nicht so hervorragend funktionieren würde."


    Ursus atmete tief durch. Hatte er noch etwas vergessen? Nein, denn dass er einen neuen Leitfaden für die Erbschaftsbearbeitung verfasst hatte, gehörte seiner Meinung nach nicht hierher. Zudem er noch immer nicht wusste, ob dieser auch so angenommen würde. Er konnte also zum Ende kommen.


    "Sollten noch Fragen bestehen, so stehe ich jetzt gerne für deren Beantwortung zur Verfügung."

    Hatte sich dieser verflixte Blaue doch schon wieder an die Spitze gesetzt! Ursus konnte es nicht fassen.


    "Helios!!! Zurück an die Spitze mit Dir!!


    Aurata! Aurata! Aurata!"


    Mit all seiner Stimmgewalt feuerte Ursus den Fahrer an. Die Stimmung war unglaublich, der ganze circus bebte. Das Rennen war unglaublich spannend und es gab wohl niemanden mehr, der sich nicht für seinen Favoriten die Stimme ruinierte.


    AURATA VICTRIX! AURATA VICTRIX! AURATA VICTRIX!

    Auch Ursus nahm sich etwas zu essen und hörte ansonsten sehr interessiert zu, was Labeo erzählte. Verus war ja wirklich ausgesprochen schweigsam. Doch auch er sah nicht unzufrieden aus und so konnte Ursus hoffen, daß er Caelyns Untat einigermaßen hatte wiedergutmachen können. Ihm war die Sache ungeheuer peinlich, fast als wäre er selbst der Übeltäter.


    "Naja, was würde euch auf den Schiffen auch eine Formation nützen, die für große Ebenen konzipiert wurde? Es ist doch gut, daß es diese Spezialisierungen gibt, so kann jeder in seinem Einsatzgebiet das bestmögliche leisten. Ich hege großen Respekt gegenüber allen Soldaten des Imperium. Wer ist es schließlich, der das römische Reich zusammenhält? Und ich hoffe, daß ich eines Tages ein Tribunat zugewiesen bekomme, damit ich auch mein Scherflein beitragen kann, so klein es auch sein mag." Natürlich war ihm klar, daß er trotz des täglichen Trainings in Kampfesfertigkeiten nicht mit den Leistungen dieser Männer mithalten konnte. Doch Organisation und Verwaltungsaufgaben, und das waren ja die Hauptaufgaben von senatorischen Tribunen, traute er sich ohne weiteres zu.


    "Ward ihr beide schon mal im Kampfeinsatz?", fragte er dann neugierig. Er wußte ja nicht, wie lange sie schon Dienst taten. Zumindest Verus mußte ja schon eine Weile dabei sein, wenn er es schon zum Optio gebracht hatte.

    Ursus lachte. "Worauf Du wetten kannst. Ich habe jedes Ungeheuer, von dem je erzählt wurde, mindestens einmal heldenhaft erschlagen. Und dazu noch ein paar, von denen noch nie erzählt wurde." Der Garten der Villa Aurelia war groß und barg für ein spielendes Kind so manches Monster. Später, als er dann durch die Straßen Roms stromerte, hatten sich die Monstren verändert... Ach, das war schon eine schöne Zeit gewesen, ganz ohne Frage.


    Als Varus ihm den Ball unter die Nase hielt, stand ihm die Verblüffung deutlich ins Gesicht geschrieben. "Was... Ist das der Ball, von dem Du gesprochen hast? Wo hast Du ihn auf einmal her?" Er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hatte Varus nicht vorhin gesagt, daß er seinen Ball gar nicht dabei hatte?


    Er nahm das merkwürdige Ding aus der Hand des Freundes und warf es mal probeweise in die Luft, um es wieder aufzufangen. Das war natürlich kein Problem, doch elegant sah es nicht aus. "Was genau macht man damit? - Öhm, natürlich sollten wir das nicht hier im Gedränge ausprobieren. Wir könnten zurück gehen und Du zeigst es mir. Es ist ohnehin schon ziemlich spät." Die Stände des Marktes würden bald schon schließen.

    Germanien also. Irgendwie schien er stets dazu verurteilt, im Kielwasser von Corvinus zu fahren. Wenigstens hatte mittlerweile der Legat gewechselt, so daß er nicht ständig mit dem Verwandten verglichen werden würde. So hatte er die Chance, durch eigene Leistungen zu überzeugen.


    "Das ist wirklich eine gute Nachricht." Ob Germanien wirklich so kalt war, wie immer alle erzählten? Nun, er würde es bald wissen. "Und hab Dank für Deinen guten Rat, ich werde ihn beherzigen." Wer über Jahre solch ein Klima ertragen mußte, wie es dort herrschte, mußte ja unausgeglichen sein, von daher würde er die Worte von Nonius durchaus ernst nehmen. Wie die Männer dort wohl zu Valerianus standen? Nach den Gerüchten hatten die germanischen Truppen ihm bereits die Treue geschworen. Doch würden sie wirklich fest hinter ihm stehen?


    Modestus ging also zur Legio I. Er wirkte ziemlich zufrieden, also schien man seinen Wünschen gefolgt zu sein. Ursus gönnte ihm das. Er selbst war ja auch nicht unglücklich mit dem Einsatz in Germanien. Auch wenn er nur ungern von Rom fortging, war in Germanien doch zumindest das eine oder andere Abenteuer zu erwarten.

    "AURATA VICTRIX! AURATA VICTRIX! AURATA VICTRIX!"


    Ursus brüllte mit der Menge, nichts hielt ihn mehr auf seinem Sitz. Er stand da und feuerte die Fahrer der Aurata lauthals an. Was für ein Rennen! Zunächst schien es so, als hätte sich die Aurata im Mittelfeld festgebissen. Runde um Runde kamen sie nicht über den dritten Platz hinaus. Doch dann geschah das Wunder: Helios schlüpfte durch eine Lücke und zog nach vorne. Es war ungeheuerlich wie er, getragen von den Rufen der Aurata-Anhänger, an Tempo gewann und es schaffte, sich an die Spitze des Feldes zu setzen.


    "JAAAAAAA!!!!! Helios! Helios! Helios! AURATA VICTRIX!!", brüllte er und mußte sich schwer zusammenreißen, um nicht vor Freude herumzutanzen.


    AURATA VICTRIX!


    AURATA! AURATA! AURATA!

    Sie sah zwar reuig aus, die kleine Sklavin, doch Ursus war sich nicht sicher, ob sie wirklich bereute. Sie hatten eine andere Geste ausgemacht. Daß sich diese wieder bei ihr eingeschlichen hatte, legte die Vermutung nahe, daß sie diese Geste anderen gegenüber regelmäßig benutzte. Und das widerum verärgerte ihn gewaltig. Er würde das eben beobachten müssen.


    Wenigstens entschuldigte sie sich. Und kümmerte sich auch sogleich um den Auftrag, der ihr erteilt worden war. Das war ja schon mal etwas. Ursus wandte sich wieder an Clara, nachdem Tilla im Haus verschwunden war. "Du darfst Dich im Haus natürlich frei bewegen und den Garten nutzen, wann immer Du möchtest. Auch die Sklaven stehen Dir natürlich zur Verfügung. Caelyn und Tilla kann ich Dir da besonders ans Herz legen. Doch auch Siv und Fhionn, Sertorio und Hektor kannst Du jederzeit rufen. Und ich bin sicher, Helena und Prisca würden auch gern ein wenig Zeit mit Dir verbringen. Auch sie haben einige Zeit in Germanien verbracht. - Was hast Du eigentlich für eine Zukunftsplanung? Entschuldige, diese Frage steht mir natürlich eigentlich nicht zu. Du mußt nicht darauf antworten, ich bin einfach ein schrecklich neugieriger Mensch."


    "Ein Gärtner? Jetzt noch?" Ursus runzelte verwundert die Stirn. Doch, andere Haushalte, andere Sitten, das war nichts, was ihn zu stören hatte. Und so tat er die Sache mit einem Schulterzucken ab, nachdem Lucanus eindeutig signalisiert hatte, daß er nicht im mindesten beunruhigt war. Stimmen waren auch keine zu hören, für Ursus war die Angelegenheit erledigt. Vorerst zumindest.


    "Auch beim Wagenrennen siegt leider nicht immer der Beste", widersprach Ursus, während sie langsam weiter den Kiesweg entlangschlenderten. "Oft genug ist es einfach Pech, eine Beschädigung am Wagen, ein im ungünstigsten Moment scheuendes Pferd... Aber gerade diese Unwägbarkeiten machen es ja spannend. Aber das schönste, - das allerschönste, - ist die Stimmung, wenn tausende Menschen mitfiebern und die eine oder andere factio anfeuern und andere mit wüsten Beschimpfungen und Spottgesängen niedermachen. Der circus maximus ist einfach gewaltig. Und es ist ein ungeheures Gefühl, wenn er allein von jubelnden Stimmen zum Beben gebracht wird." Seine Augen glänzten vor Begeisterung und enthüllten seine wahrlich große Leidenschaft für diesen Sport.


    "Ohne die Anhänger der factiones, die sich gegenseitig niedermachen und ihre eigenen Leute anfeuern, wäre Wagenrennen nur halb so schön. Dabei hat wohl jede factio einen Lieblingsfeind, wenn ich das mal so ausdrücken darf." Er lachte. Lieblingsfeind traf es ziemlich gut, fand er.