Beiträge von Titus Aurelius Ursus

    Gemeinsam mit Mattiacus schlenderte Ursus zu einer anderen Gruppe, in der gerade viel gelacht wurde. Und das war zu dieser Stunde auch viel angenehmer als politische Themen.


    Inzwischen hatten sich die meisten Gäste von den clinen erhoben, einige waren in den Garten gegangen, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Nach dem reichlichen, guten Essen mochte man sich eben ein wenig bewegen oder wenigstens stehen, damit das Essen besser sacken konnte. Was niemanden daran hinderte, doch noch die eine oder andere mit Honig kandierte Frucht oder andere kleine Köstlichkeiten zu naschen, oder sich am Wein gütlich zu tun.


    Die Gespräche wurden im Laufe des Abends immer lockerer, man könnte auch sagen, alberner, wie das eben so war, wenn Wein in größerer Menge floß. Das fröhliche Gelächter wurde mit der Zeit immer lauter, die Gäste hingegen immer weniger, denn nach und nach verabschiedeten sie sich, um den Heimweg anzutreten.


    Es war schon sehr spät, als die Familie schließlich allein zurückblieb. Viel der Worte wurde nun nicht mehr gemacht, alle sehnten sich nach der wohlverdienten Ruhe. Es war ein rundum gelungenes Fest gewesen, nunja, abgesehen von..., aber da niemand mehr ein Wort darüber verloren hatte, würde es hoffentlich keine negativen Konsequenzen nach sich ziehen. So lächelten sich die Gastgeber einfach noch kurz zu und zogen sich in ihre Zimmer zurück.


    Das Chaos des Festes zu beseitigen, oblag nun den Sklaven, auch wenn sie sich wohl nicht weniger nach ihren Betten sehnten. Schon am Morgen würde kaum noch etwas auf das rauschende Fest hinweisen. Doch in Erinnerung bleiben würde es wohl noch lange.


    Hoffentlich in guter Erinnerung.

    Als Ursus eintrat, wusch sich der Senator gerade die Hände, um sie anschließend gründlich abzutrocknen. "Salve, Senator", grüßte Ursus höflich und war zugegebenermaßen ein klein wenig verwirrt angesichts dessen, daß der Senator in rege Betriebsamkeit ausbrach ohne ihn anzusehen.


    Doch natürlich gab er sich alle Mühe, sich diese leichte Verunsicherung nicht anmerken zu lassen. Auf eine nochmalige Vorstellung verzichtete er, da er davon ausging, daß der Ianitor seinen vollständigen Namen genannt hatte. Zudem war er dem Senator ja durch das Fest zur meditrinalia durchaus bekannt.


    Bevor er weitersprach, wartete er, bis der Senator den Wein eingeschenkt hatte und sich ihm zuwandte. "Bitte verzeih, daß ich so unangemeldet hier auftauche. Ich hätte Dich gerne in Deiner Eigenschaft als princeps factionis der factio aurata gesprochen und hoffe, daß Du einen Moment Zeit für mich hast."

    Ziemlich schweigsam, das Mädchen, kein Gruß, kein nichts. Sie mußte wirklich außergewöhnlich schüchtern sein. Warum man gerade sie für den Dienst an der Tür eingeteilt hatte?


    Es war schon ein etwas eigenartiges Gefühl, hier einfach vor der Tür auf den Stufen warten zu müssen. Und so ging Ursus ein paar Schritte hin und her, während er darauf wartete, daß sich die Tür wieder öffnete. Pyrrus hingegen hatte sich auf den Stufen niedergelassen. Der ging wirklich keinen einzigen Schritt mehr, als er unbedingt mußte. Aber wenigstens murrte er nicht mehr und das war auch schon viel wert, wie Ursus fand.

    Interessiert beobachtete Ursus seinen Besucher. Beim Eintreten hatte er etwas angespannt gewirkt, doch davon war ihm jetzt nichts mehr anzumerken. "Danke für die Glückwünsche", sagte Ursus lächelnd und wartete dann die weiteren Worte des Iuliers ab.


    Und dachte auch erst daraüber nach, bevor er antwortete. "Einen weiteren scriba können wir eigentlich schon brauchen." Schließlich war er nicht der einzige hier im Haus, der einen scriba brauchte. Wenn Cotta zurückkam würde der Bedarf auch nochmals steigen.


    "Und was hast Du bereits an Erfahrungen und Kenntnissen? Bist Du schon einmal als scriba personalis tätig gewesen?" Es war schließlich wichtig zu wissen, was man ihm zutrauen konnte. Gerade diese Erbschaftsangelegenheiten mußten sehr sorgfältig bearbeitet werden. Und die Anschreiben mußten auch besonders behutsam formuliert sein.

    Na, immerhin elf Buchstaben. Nicht mal die Hälfte, doch besser als nichts. Und es war ja auch zu erwarten, daß die Erinnerung wiederkam, wenn man sie mit den Buchstaben aufs Neue vertraut machte.


    "Na, das ist ja schon gar nicht so schlecht." Abgesehen davon, daß die Buchstaben wirklich grauslich aussahen. Doch auch das konnte nur viel Übung ändern. Und die würde er ihr schon verschaffen, ganz ohne Zweifel.


    Sie hatte eine ganze Weile gebraucht für die Liste, so daß Pyrrus wieder hereinkam, als Ursus sich gerade die Wachstafel ansah. "Hier ist die Liste", sagte der scriba und gab Ursus die Liste.


    "Und hier habe ich eine Liste für Dich", sagte Ursus und gab Pyrrus im Gegenzug eine Tafel mit den Buchstaben. "Dies sind die Buchstaben, die Caelyn bereits beherrscht. Ich möchte, daß ihr euch an den Tisch dort setzt und daß Du ihr die anderen Buchstaben zeigst und erklärst."


    Der scriba schnappte hörbar nach Luft und lief puterrot an. Er setzte dazu an, etwas zu sagen. Doch dann - überraschenderweise - nickte er und setzte sich an den Tisch.

    Ursus war gerade dabei, die gesetzlichen Erben derjenigen Verstorbenen zu ermittlen, bei denen die Familienverhältnisse nicht ganz so einfach waren. Dementsprechen lag eine größere Anzahl von Listen auf seinem Schreibtisch ausgebreitet. Doch von Chaos konnte man dabei dennoch nicht sprechen, es war deutlich zu erkennen, daß dem ganzen ein System zugrunde lag.


    Als Leone mit dem Besucher eintrat, nickte Ursus ihm zu. "Danke, Leone", sagte er und der Ianitor zog sich auf diese Entlassung hin auch gleich zurück. Ursus hingegen wandte sich freundlich an den Iulier. "Ich bin Titus Aurelius Ursus. Sehr erfreut, Dich kennenzulernen. Möchtest Du Dich nicht setzen?" Er deutete auf einen bequemen Stuhl vor seinem Schreibtisch. "Was genau kann ich für Dich tun, Iulius Cincinnatus?", fragte er, obwohl Leone ja schon etwas angedeutet hatte. Er wollte es eben genau wissen und aus dem Munde seines Gegenübers.


    Ein Hauch von Griechenland ging von dem Iulier aus. An der Art, wie er seine Kleidung trug, konnte man griechischen Einfluß wirklich nicht verleugnen. Zu lange war Ursus in Griechenland gewesen, um so etwas nicht gleich zu bemerken.

    Nach einer Weile wurde die Tür geöffnet und ein junges Mädchen schaute sie fast ein bißchen erschrocken an. Was sie wohl fürchtete? Niemand wäre so wahnsinnig, einer Vestalin auch nur in Gedanken ein Härchen zu krümmen.


    "Salve", grüßte Ursus höflich und trat einen Schritt vor. Dem alten Griesgram Pyrrus traute er nicht zu, mit angemessener Freundlichkeit vorzugehen. "Mein Name ist Titus Aurelius Ursus. Ich bin amtierender decemvir litibus iudicandis und hätte gerne Einsicht in die hinterlegten Testamente. Hier ist eine Liste der kürzlich Verstorbenen, deren Nachlaß ich derzeit zu regeln habe."


    Er gab Pyrrus einen Wink und dieser überreichte der jungen Priesterin daraufhin die entsprechende Liste:



    Aegimus Castor
    Kallydianos Nikias
    Trucidator
    Decius Metellus
    Livia
    Aquilia Flavia Agrippina
    Appius Iunius Lucullus
    Caius Antonius Flavus
    Gaius Petronius Curio
    Aulus Octavius Avitus
    Artoria Crista
    Quintus Antonius Peticus
    Quintus Caecilius Metellus
    Marcus Hadrianus Pictor
    Lucius Iulius Tacitus
    Lucius Redivivus Callidus
    Quintus Annaeus Galba
    Lucius Aurelius Commodus

    Ursus war dem Sklaven durch das Haus gefolgt. Es war wirklich geschmackvoll eingerichtet und ausgestattet, das konnte man nicht anders sagen.


    Schließlich hatten sie das officium des Senators erreicht. Da der Sklave sich gleich wieder davonmachte, klopfte Ursus einfach an und wartete auf die Aufforderung zum Hereinkommen.



    Ursus wunderte sich schon ein wenig, daß er nicht ins atrium gebeten wurde, aber das würde schon seine Gründe haben. Irgendwie.


    "Ja, sicher", nickte Ursus und blickte dem Ianitor, der ziemlich erkältet wirkte, nach.


    Hoffentlich hatte der Senator einen Moment Zeit für ihn. Sehr lange wollte er ihn eh nicht aufhalten. Er rechnete nicht damit, länger als ein paar Minuten zu benötigen.

    Nun, dies war der Moment, wo er wirklich ein wenig enttäuscht war. Denn daß sie zumindest Wörter langsam zusammenstottern konnte, damit hatte er dann doch gerechnet. Er ließ sich davon nichts anmerken. "Hier, nimm die Wachstafel und schreib dort alle Buchstaben auf, bei denen Du Dir sicher bist, sie zu kennen." Er reichte ihr die Wachstafel und rief dann nach dem Scriba.


    "Pyrrus, ich brauche noch die Liste mit den Betrieben, Du hattst sie doch schon besorgt? Und zwar gleich. Beeil Dich damit, denn ich habe dann noch eine Aufgabe für Dich." Besser er verriet dem Mann nicht gleich, was es sein würde, sonst würde er vermutlich erst in einigen Stunden mit der Liste zurück sein.


    "Die Betriebeliste. Jawohl." Pyrrus verzog das Gesicht, ging aber dann, um die Liste zu besorgen. Von wo er sie außerhalb des officiums holen mußte, war Ursus wirklich schleierhaft.


    "Also, schreib auf, was Du noch weißt, Caelyn." Er nickte ihr aufmunternd zu, während er begann, die Namen der Verstorbenen aufzulisten, deren Vermögen gleich an den Staat ging, da es weder ein Testament, noch Blutsverwandte gab.

    "Ich glaube, daß Du mindestens neunzig Prozent meines Handelns nicht kennst", stellte Ursus fest. Und er glaubte auch nicht, daß Corvinus irgendeine Ahnung hatte, was er für ein Mensch war. Nicht im geringsten.


    "Ich habe mich meiner Meinung nach sehr deutlich ausgedrückt. Ich habe Dir mehrfach gesagt, daß ich mich in sämtliche Familienangelegenheiten einarbeiten möchte. Daß ich administrative Kenntnisse erwerben möchte. Woher soll ich präzisere Forderungen als diese stellen können? Das würde Kenntnisse erfordern, die ich nicht haben kann, weil ich eben nicht in diese Familienangelegenheiten involviert bin. Worum ich widerum gebeten habe."


    Es war absolut müßig, Corvinus irgendetwas klarmachen zu wollen. Und Ursus gab das jetzt auch auf. "Ich werde mir die aktuellen Unterlagen heute noch holen." Bevor Corvinus auf einmal nichts mehr von dieser Zusage wußte.


    Ob Cotta bereits alles gekonnt hatte, als Corvinus ihm die Finanzen übertrug? Wohl kaum. Soweit Ursus wußte, war Cotta erst kurze Zeit hier gewesen. Und Corvinus gerade erst aus Germanien zurück und frisch gewählt. Doch Cotta hatte natürlich einen ganz anderen Start gehabt. Als er hier angekommen war, hatte das Haus praktisch leergestanden. Er hatte seinen Platz einfach einnehmen und behaupten können. Während Ursus in ein Haus zurückkehrte, in dem bereits alle Positionen belegt waren.


    "Und ich werde Dich in Zukunft präzise fragen, denn in Zukunft werde ich nicht mehr unwissend sein." Er würde lernen. Und wie er das tun würde. Von jetzt ab würde er seinen Tag minutiös planen, um alles bewältigen zu können. Damit er baldmöglichst einen Überblick hatte und die nötigen Kenntnisse erwarb.

    Ursus verkniff es sich, zum Thema Kampf noch etwas zu sagen. Ihm fehlte da die praktische Erfahrung, die hatte sie ihm nun einmal voraus. Wie ein Volk mit solchen Ansichten und Grundsätzen überleben konnte, war ihm schleierhaft. Wenn man stärker war als der andere, gab man diese Stärke doch nicht einfach so auf? Doch das war eh jetzt unwichtig.


    "Du bist nicht schwach, Cadhla. Nach Deinen Worten von neulich Nacht nahm ich an, daß eine Heimkehr für Dich nicht ohne weiteres möglich ist. Jetzt sagst Du, Du möchtest nach Hause. Gut. Ich glaube, dann hast Du jetzt ein Ziel. Um es zu erreichen, brauchst Du Geld, möglichst ein Pferd, - und vor allen Dingen die Freilassung. Der Weg zu all dem führt über guten, treuen Dienst in diesem Haus. Das wird natürlich lange dauern." Aber was so etwas anging, war Corvinus kein Unmensch. Er hatte schon Sklaven freigelassen. - Natürlich nach Jahren guten Dienstes.


    "Natürlich kannst Du auch versuchen zu fliehen. Aber die wenigsten Sklaven schaffen es, die meisten erleiden einen wahrhaft unwürdigen und schrecklichen Tod. Das Imperium ist sehr groß und der Weg in Deine Heimat sehr weit und überall wird Ausschau gehalten nach Entlaufenen. - Ich kann Dir nur raten: Mach Dich nicht unglücklich. Versuch es auf dem ehrlichen Weg. Am besten sprich mit Corvinus. Vielleicht nicht gleich. Aber wenn die Gelegenheit mal günstig ist. Er wird Dir sagen, ob eine Chance besteht und was er dafür erwartet."


    Was das andere betraf, so blickte er sie nun wieder an. In ihre grünen Augen, so unbeschreiblich... "Woher willst Du wissen, was ich will? Cadhla, es ist nicht das Fleisch. Nicht allein zumindest. Du denkst, es sei kein richtiges Gefühl? Aber genau das ist es. Wie durcheinander Deine Gefühle vorher gewesen sein mögen. Mit dem richtigen Partner... ist es die Vollendung der Freude und des Gefühls. Tierisches Schnauben? Schwitzende Körper? Ja, das auch. Aber das sind doch nur Randerscheinungen. Cadhla, ich respektiere es, wenn Du Jungfrau bleiben willst. Aber solltest Du diesen Schwur eines Tages doch aufgeben, solltest Du mit einem Mann, dem Du tiefe Gefühle entgegenbringst, auch die körperliche Vereinigung wagen, dann wirst Du wissen, was ich meine. Man kann es nicht so beschreiben, daß es jemand wirklich erfaßt, der es nie erlebt hat. Wenn alles paßt, dann... dann ist es die reinste, wahrste Freude." Er hob seine Hand und nahm mit seinem Finger ganz sanft den feinen Blutsfaden auf. "Tu Dir nicht auch noch selbst weh, Cadhla."

    Ursus schüttelte den Kopf. "Nein, nicht vorlesen. Lies es für Dich, so oft Du magst, bis Du es verstanden hat. Und wenn Du es verstanden hast, sagst Du mir Bescheid. Wenn es gar nicht klappt, werde ich Dir erst nochmal die Buchstaben zeiten." Sie sollte es erst einmal versuchen. Wenn sie schlicht ungeübt war, würde sie mit der Zeit zurechtkommen. Wenn ihr Wissen fehlte, dann mußte das eben erst aufgebaut werden. Ganz einfach.


    Er würde jetzt erst einmal prüfen, ob sie gut genug lesen konnte, um den Text zu verstehen. Dafür hatte er extra eine sehr klar und ordentlich geschriebene Rolle herausgesucht, mit einem möglichst nicht so langen Text. Sie sollte es ja nicht unnötig schwer haben, immerhin bemühte sie sich wirklich und das bewertete er durchaus positiv.

    "Wer angreift, muß in der Überzahl sein, sonst kann er nicht siegen, da die Verteidiger, wenn sie geschickt sind, immer die stärkere Position haben. Wenn ihr auf ein anderes Heer zugeht und stellt fest, ihr seid mehr als die, schickt ihr dann die Überzähligen heim?" Wohl kaum. Aber langsam wurde Ursus neugierig auf das Land, aus dem Cadhla stammte. Es war wirklich staunenswert, was sie erzählte. Noch nie hatte er etwas vergleichbares gehört.


    "Ich weiß nur von ganz wenigen Gelegenheiten, wo die Legionen gegen Frauen und Kinder gekämpft haben. Und in den Berichten darüber ist das immer verurteilt worden. Wenn Du lesen kannst, werde ich Dir gerne diese Berichte geben, damit Du es selbst lesen kannst."


    Sie sah so wütend aus und klang dann doch so traurig. "Cadhla... Im Krieg geschehen auf allen Seiten schreckliche Dinge. Du sagst, ihr tötet auch alle Römer, die ihr erwischt. Das ist natürlich euer gutes Recht. Doch auch unter ihnen gibt es gute Menschen. Auch unter ihnen sind sicher welche, die eben keine Frau und kein Kind getötet haben, vielleicht sogar Frauen und Kindern die Flucht ermöglicht haben. Ist das nicht auch ein bißchen ungerecht, sie einfach zu töten? Du hast außergewöhnlich schlimme Dinge erlebt und hast sicher Grund, mein Volk zu hassen. Aber wenn Du einzelne Menschen kennenlernst, siehst Du dann nicht die Unterschiede? Gerne würde ich Dich mal mit in die Stadt nehmen, um Dir die verschiedenen Seiten zu zeigen. Die guten wie die schlechten. Und die dazwischen."


    Daß es schwer war, daran zweifelte Ursus ja gar nicht. Ganz sicher würde er ein vergleichbares Schicksal nicht erleiden wollen. "Ich glaube Dir, daß Dir alles fremd ist. Wenn Du also keinen Weg hier siehst, wie sieht es dann mit einer Rückkehr in die Heimat aus? Würdest Du das wirklich wollen?" Unmöglich war das nicht. Aber um die Freiheit zu erlangen, würde sie einiges an Geduld aufbringen müssen. Aber nach allem, was sie erzählt hatte... "Soll das Dein Ziel sein, Cadhla?"


    Als sie sagte, daß sein Blick ihr unangenehm war, wandte er schweren Herzens seinen Blick auf einen Busch. "Ich werde Dir nichts tun, Cadhla. Ich finde Dich begehrenswert, ja. Sehr sogar. Aber Du mußt nicht fürchten, daß ich... den Beischlaf von Dir erzwingen würde. Du magst eine Sklavin sein. Aber selbst wenn Du nicht das persönliche Eigentum von Corvinus wärest, sondern eine allgemeine Haussklavin... Selbst wenn Du meine persönliche Sklavin wärest... So etwas brauche ich nicht zu erzwingen, verstehst Du? Entweder eine Frau schenkt mir freiwillig ihre innigste Umarmung - oder es ist eben nichts damit. Für mich hat das etwas mit Freude zu tun. Auf beiden Seiten. Jemanden zu zwingen, würde alles zerstören."


    Oh, es war doch jemand da. Gerade hatte Ursus sich schon abwenden und wieder gehen wollen, da öffnete sich die Tür unerwarteterweise doch noch. "Salve. Mein Name ist Titus Aurelius Ursus und ich hätte gern Senator Maximus Decimus Meridius gesprochen."

    Ursus lachte. "Na, das ist ja mal ein vernichtendes Urteil. Alle Römer kämpfen also unehrenhaft? Na, ob Du da nicht etwas arg schnell urteilst? Gibt es nicht in jedem Volk solche und solche?" Es war anscheinend zwecklos. Sie warf den Römern vor, andere Völker rücksichtslos zu unterdrücken und keine andere Kultur zu respektieren, doch daß sie auf ihre Weise das gleiche tat, merkte sie gar nicht.


    "Siehst Du, genau das meine ich. Entweder Du gibst gleich auf und beendest Dein Leben, - was ich für eine echte Verschwendung halten würde. Oder Du versuchst, Deine Möglichkeiten kennenzulernen und Dir dann ein Ziel zu setzen. Für mich ist auch nicht alles leicht, auch wenn es so aussehen mag. Bei uns gibt es andere Hindernisse, als eine Übermacht von Feinden mit einem Schwert in der Hand, aber nicht weniger gefährlich oder schwierig zu gekämpfen." Solange sie ziellos war, würde sie auch keine Hoffnung schöpfen können. Und dann war jeder Freiheitswille sinnlos.


    "Du bist es wert, angesehen zu werden. Stört es Dich, wenn ich Dich ansehe?" Sie war schön, aber das wollte sie ja nicht hören.

    "Du hast mich immer noch nicht verstanden", stellte Ursus müde fest. Es war zum auswachsen.


    Hielt er sich eben an dem wenigen fest, was Corvinus gesagt hatte."Gut, ich habe also nun Zugang zu allen Unterlagen? Dann werde ich das heute noch nutzen. Ich darf an Gesprächen mit den Verwaltern teilnehmen? Wirst Du mir wenigstens Bescheid sagen, wenn solche Gespräche stattfinden? - Und zum vierten oder fünften mal die gleiche Frage: Bist Du bereit, Dein Bild von mir zu überdenken? Vielleicht einfach mal eine Weile abzuwarten, bis Du überhaupt mal etwas über mich weißt, was bisher tatsächlich nicht der Fall ist?" Zumal er nicht zuhörte, wenn man ihm was sagte. Er hörte nur Vorwürfe heraus, wie versteckt sie auch sein mochten. Die eigentlichen Aussagen oder gar die Fragen wollte er einfach nicht hören.


    "Ich möchte wissen, was in der Familie los ist, Marcus. Ich möchte wissen, was genau an Aufgaben und Problemen anfällt, was für Entscheidungen gefordert sind. Nicht, wie ein Brief geschrieben wird, das habe ich nun wahrhaftig schon vor Jahre gelernt. Sondern, was in den Briefen drinsteht, die im Zuge der Familienverwaltung anfallen. Ich möche im Notfall in der Lage sein, mich zurecht zu finden und Entscheidungen zu treffen. Die richtigen Entscheidungen, verstehst Du das nicht? Im Sinne der Familie! Du sagst, ich soll mir einfach nehmen, was ich zu brauchen glaube. Ich hätte das also einfach tun sollen? An Dir vorbei? Einfach so? Entschuldige vielmals, wenn mir nicht klar war, daß Du das auf diese Weise wünschst."


    Er atmete tief durch. "Ich hätte niemals nach Griechenland gehen dürfen, es hat mich nicht nur sämtliche Kontakte hier in Rom gekostet, sondern es hat mich durch den Tod meines Vaters während meiner Abwesenheit auch den Anschluß an die Familie gekostet. Ich habe eben getan, was mein Vater mir sagte. Ich habe immer getan, was mein Vater mir sagte, denn er forderte vor allem Gehorsam von mir. Es war vielleicht naiv, nach meiner Rückkehr zu erwarten, daß mir wieder gesagt würde, was ich zu tun habe oder was mir auch nur erlaubt ist zu tun. - Ja, diese Naivität, die muß ich mir wohl auf die Fahnen schreiben. Ich bin es eben noch nicht gewöhnt, anderer Leute Unterlagen einfach an mich zu reißen und sie dann durchzuarbeiten. Ich bin es nicht gewöhnt, eigenmächtig in die Aufgabengebiete anderer einzubrechen. - Aber ich habe nun verstanden, daß dies von mir erwartet wird. Also werde ich nicht mehr danach fragen und auch nicht mehr warten, bis mir Erlaubnisse erteilt werden. Ich werde ab jetzt einfach tun, was ich für richtig halte, ohne auf solche anscheinend unwichtigen Dinge wie zum Beispiel Befugnisse Rücksicht zu nehmen. Ich interpretiere Deine Worte jetzt so, daß ich als Familienmitglied sämtliche Befugnisse besitze. Vielen Dank, das genügt mir so." Und wenn Fragen auftauchten, würde er schon irgendwie an eine Antwort kommen. Corvinus war nun ganz sicher der letzte, den er fragen würde. Von dem war eh keine klare Antwort zu erhalten.

    "Guten Abend, Helena", grüßte Ursus die Cousine freudig überrascht und erhob sich kurz, als sie eintrat. "Ja, danke." Das war zwar nicht ganz die Wahrheit, aber immerhin war es eine Höflichkeit, zumal er sich nicht darüber auslassen wollte, daß er wieder einmal mit Corvinus gestritten hatte.


    "Die Küche scheint ganze Arbeit geleistet zu haben, denn es duftet wirklich gut. Hoffen wir, daß die anderen bald kommen, es wird ja alles kalt." Ursus lächelte sogar, auch wenn das Lächeln seine Augen nicht erreichte.


    Er wandte sich schnell wieder an Philonicus, damit Helena nicht bemerkte, was los war. Sie war eine Frau und Frauen hatten für solche Dinge irgendwie ein Gespür. Oder vielleicht hatte auch von den Sklaven jemand getratscht.


    "Das war klug, Parthien zu meiden. Aber erzähl, was hast Du alles erlebt? So eine weite Reise ist doch immer mit einer Vielzahl von Erlebnissen verbunden." Und es war sicher unterhaltsam, wenn Philonicus davon berichtete.

    Ursus sprach ein völlig fehlerfreies, flüssiges und korrektes Griechisch, sogar nahezu akzentfrei. Wenn Corvinus ihn nicht oder falsch verstand, lag es sicher nicht an Fehlern, die Ursus machte. Außerdem ging Ursus für seinen Teil davon aus, daß Corvinus des Griechischen ebenso mächtig war wie er. Doch da es nicht den gewünschten Erfolg hatte, - Corvinus hatte ja wieder nicht zugehört, - sprach er nun wieder Latein.


    "Warum kannst Du meine Fragen nicht einfach beantworten, Marcus?", fragte Ursus und schüttelte den Kopf. "Ich soll Dich nicht interpretieren. Also könntest Du bitte ja oder nein sagen zu meinen Fragen?- Vor allem und im besonderen zu meiner letzten Frage? Du forderst nur und gibst nichts." Abgesehen von Geld, das Ursus nie erbeten hatte.


    Er war maßlos enttäuscht. Er hatte die Bitten von Corvinus erfüllt und keine seiner eigenen Bitten wurde erhört. Keine seiner Fragen beantwortet.


    "Was ich tun möchte? Ich dachte, da hätte ich mich klar ausgedrückt. Ich möchte nach und nach alle Bereiche der Verwaltung und Buchführung und den Schriftverkehr in praktischer Arbeit kennenlernen, ebenso auch alle gesellschaftlichen Verpflichtungen und was sonst noch anfällt. Was nützt mir die Theorie, die mir in Griechenland beigebracht wurde, ohne die Anschauung der Praxis? Da Appius gerade die Finanzen verwaltet, wäre es vielleicht erst einmal angebracht, wenn ich mich in die Buchführungen unserer Landgüter einarbeiten könnte. Wenn ich an den Gesprächen mit den Verwaltern teilnehmen könnte und vielleicht das eine oder andere Gut aufsuche, um mir vor Ort ein Bild von den Zusammenhängen und Notwendigkeiten zu machen. Das wäre ein Anfang."


    Ursus wollte eigentlich Corvinus die Wahl des ersten Bereiches lassen, aber wenn der unbedingt eine spezielle Antwort haben wollte, bitte.


    "Warum ich auf Appius wütend sein soll, ist mir völlig schleierhaft. Er hat mir nichts getan und kann schwerlich etwas dafür, daß Du ihm die Möglichkeit gewährst, alle nötigen Dinge zu lernen und für die Familie tätig zu sein, und mir nicht. - Warum Du mich so ausbremst, ist mir ebenfalls schleierhaft. Wäre es Dir lieber, wenn ich jede Nacht die Straßen von Rom unsicher machen und ein Vermögen verjubeln würde? Wenn ich ein Schmarotzer und Faulenzer und eine Schande für die Familie wäre? Warum freust Du Dich nicht, daß es junge Männer in der Familie gibt, Dir lernen und helfen wollen? Warum freust Du Dich nicht, daß ICH lernen und arbeiten will? Andere Familienoberhäupter wären sehr glücklich und stolz und würden alles tun, um dies zu unterstützen. - - Wenn es Dir so sehr quer geht, mich etwas zu lehren, dann gewähre mir wenigstens den Zugang zu den Unterlagen!"