Beiträge von Titus Aurelius Ursus

    Ursus nickte. Sie hatte recht. Wer fähig war, alles einzusetzen, was für ihn erreichbar war, war im Grunde nie wehrlos. Und die Überraschung des Gegners konnte den notwendigen winzigen Augenblick ausmachen, den man brauchte, um den anderen zu besiegen.


    "Ich habe nur gelernt, was alle jungen Römer beigebracht bekommen: die Grundlagen des Schwertkampfes und des Ringens. Das liegt daran, daß ich kein Soldat bin und auch nie vorhatte, die militärische Laufbahn einzuschlagen. Allerdings habe ich vor, ein Jahr lang als Tribun zu dienen. Dabei werde ich zwar auch hauptsächlich mit Verwaltungstätigkeiten beschäftigt sein, doch ich möchte eigentlich nicht als kämpferischer Vollidiot dort auftauchen. Bis dahin habe ich jetzt ein Jahr. Das sollte doch eine Zeit sein, in der man so viel lernen kann, daß man sich nicht bis auf die Knochen blamiert, oder?" Natürlich hatte er immer Sport getrieben und war alles andere als ein Schwächling. Doch er war sich im Klaren darüber, daß er gegen einen ausgebildeten Kämpfer keine wirkliche Chance hätte.


    Wie anders sie doch auf einmal sprach und sich benahm. Gar nicht mehr befangen wie vorhin noch. Man merkte sehr deutlich, daß kämpfen ihr Steckenpferd war, vielleicht ihre Bestimmung.

    Ursus grinste breit. "Na, wenn er so selbstzufrieden ist, soll er seine Selbstzufriedenheit behalten. Du hast recht, wer kann schon von sich behaupten, mit sich im Reinen zu sein?" Er selbst bestimmt nicht. Nicht nach den Ereignissen dieses Tages.


    So aussehen wie der wollte Ursus jedenfalls nicht. So ein Körper wie der von Aquilius war erstrebenswerst. Gerade jetzt, wo sich der Flavier in Bewegung setzte, zeigte sich, wie gut gebaut er war. Ursus mangelte es bezüglich seines Aussehens sicher nicht an Selbstbewußtsein, doch er mußte zugeben, daß er sich mit Aquilius nicht messen konnte.


    Die liefen in einem Tempo, das gut lange zu halten war. Eher auf Ausdauer, als auf Geschwindigkeit. Das war Ursus für den Einstieg ganz recht. Einen Sprint konnten sie dann ja am Ende noch einlegen.


    Im Moment fand er es überaus befriedigend, einfach so gleichmäßig vor sich hinlaufen zu können, den Körper langsam zum Schwitzen zu bringen und alle Last einfach hinter sich zu lassen. Kurz nur blickte er zu dem neben ihm laufenden Aquilius herüber. Der sah inzwischen auch recht gelöst und zufrieden aus. Irgendwie war es schön, nicht wie sonst immer allein zu laufen. Auch wenn sie gerade nicht sprachen, war es dennoch ein miteinander.


    Runde um Runde drehten sie stumm und zufrieden um das Trainingsarreal. Und sie konnten gut beobachten, daß sich das Gedränge bei den Ringern nach und nach langsam lichtete. "Ich glaube, wir können bald", bemerkte Ursus und deutete auf den Sandplatz.

    Ruhig und mit unbewegter Miene hörte sich Ursus den recht emotional vorgebrachten Vortrag an. Eine Diebin, jetzt sprach sie es gar offen aus. Sogar die Anführerin einer Bande! Da hatte er sich ja was ins Haus geholt...


    "Nun, Caelyn, ich muß Dir da leider etwas sehr unangenehmes mitteilen. Du BIST tatsächlich eine Sklavin. Und ich bin Dein Herr. Das bedeutet, ich kann völlig frei über Dich verfügen, ganz wie es mir gefällt. In jeder Beziehung."


    Er machte eine Pause, damit diese Worte in ihren Verstand vordringen konnten. Wenn sie die Anführerin der Bande gewesen war, konnte man wohl davon ausgehen, daß sie kein Dummkopf war.


    "Das ist sicherlich kein leichtes Schicksal. Doch wäre es Dir lieber gewesen, Deine Hände zu verlieren oder gar am Kreuz zu enden? Du hast immerhin Verbrechen begangen." Von Unrechtsbewußtsein konnte er jedenfalls bisher nichts entdecken. "Bei allem Unglück hast Du immerhin auch Glück gehabt. Denn die Sklaven in diesem Haus bekommen gut zu essen, ein bequemes Bett und anständige Kleidung. Und bei besonderem Fleiß oder sonstigen Verdiensten auch mal eine Belohnung. - Doch wir verlangen von unseren Sklaven, daß sie gehorsam und fleißig sind. Und sich stets bemühen, diesem Haus Ehre zu machen. Du kannst es hier bei uns wesentlich besser haben als da draußen auf der Straße. Also, sage mir jetzt, ob Du bereit bist, mir und damit auch der gesamten Gens Aurelia zu dienen. Wenn nicht, werde ich Dich dorthin zurückbringen, wo ich Dich herhabe. Dann kannst Du erneut Dein Glück versuchen."


    Ernst blickte Ursus die junge Frau an. Was erwartete sie denn eigentlich? Sie war eine Verbrecherin. Daß sie nur wenige Sesterzen und mal was zu essen gestohlen hatte, wagte er zu bezweifeln. Denn dann wäre sie gewiß mit einigen Peitschenhieben davongekommen.

    Ursus runzelte die Stirn. Zum einen bezweifelte er, daß sie das mit der Toga wirklich beherrschte, denn so einfach, wie es aussah, war es wahrhaftig nicht. Zum anderen überraschte ihn natürlich die heftige Antwort.


    Im ersten Moment wollte er nicht weniger heftig antworten. Aber dann schüttelte er den Kopf. "Da haben wir also schon das erste Problem. Willst Du mir nicht mal erklären, warum Du damit so ein Problem hast?" Sie war eine Sklavin und doch sicher auch nicht erst seit gestern. Dies gehörte zu den grundsätzlichen Dingen, die jeder Sklave so ziemlich als erstes lernte. "Es ist so üblich Caelyn. Betrachte es einfach als eine Art Namen. Du mußt Dich dabei ja nicht auf den Boden werfen, wie das bei einigen Völkern üblich ist. Es ist eine Anrede. Nichts weiter."

    Das sah tatsächlich gar nicht übel aus. Und duftete noch besser. Auch Ursus brach sich etwas Brot ab und nahm sich eine Wachtel. Er knabberte genüßlich an dem Vögelchen und biß dann herzhaft vom Brot ab. Auch wenn er in einem Laden wie diesem lieber nicht wissen wollte, wie es im Kochbereich aussah, so mußte er doch zugeben, daß Marsus nicht zuviel versprochen hatte.


    Er kaute natürlich erst aus und schluckte hinunter, bevor er antwortete: "Du bringst doch wegen einer verlorenen Wahl nicht gleich Schande über Deine Familie! Ich bitte Dich! Du stehst noch ganz am Anfang, nur wenige kennen Dich. Und viel leisten konntest Du auch noch nicht. Unter diesen Umständen eine Wahl zu verlieren, ist absolut keine Schande. Also, wenn ich nicht gewählt werde, dann suche ich mir eine andere Betätigung. Vermutlich werde mich dann im Cultus Deorum umsehen, ob sie nicht kurzfristig jemanden gebrauchen können. Die Probatio rerum sacrarum I habe ich ja schon. - Und natürlich daran arbeiten, mich bekannter zu machen. - Eine verlorene Wahl kann man nur als Herausforderung sehen, sich noch mehr anzustrengen. Und nicht als Schande für die Familie. Zumindest nicht, wenn man nicht irgendetwas unehrenhaftes getan hat, was die Leute davon abhält einen zu wählen."

    Na, das sollte wohl ein Ja auf die Frage sein, schmunzelte Ursus in sich hinein und musterte Marsus. Sehr gesprächig war der Octavier im Moment ja nicht gerade. "Woran denkst Du? Du scheinst mir irgendwie sehr in Gedanken. Vorhin in den Thermen schienst Du doch noch bester Laune zu sein?"


    Auch Ursus nahm noch einen Schluck von der Cervisia. Mit jedem Schluck schmeckte sie doch besser. Erstaunlich. Oder lag es daran, daß sie langsam abkühlte?

    "Sachen organisieren?", fragte Ursus und seine Augenbraue hob sich skeptisch. "Also, hier werden keine Sachen organisiert. Wenn Du lange Finger machst, wirst Du das sehr bereuen. Hat Dir schon mal jemand gezeigt, wie man jemandem eine Toga anlegt?" Das würde sie bei ihm sicher mehr als einmal am Tag tun müssen. Wenn sie es nicht konnte, mußte sie es eben lernen.


    "Ich erwarte von Dir Gehorsam, Fleiß und Respekt. Du hast mich mit dominus anzusprechen. Das gleiche gilt natürlich auch für die anderen Familienmitglieder, denen Du ebenso gehorchen wirst."


    Er blickte die junge Frau ernst an. Ihre Aussprache gefiel ihm nicht, aber das mochte natürlich daran liegen, daß es nicht ihre Muttersprache war. Ein wenig Umgang mit Menschen, die sich ordentlich auszudrücken wußten, würden auch ihren Ausdruck verbessern. "Damit wir uns von vornherein recht verstehen, Caelyn. Ich werde mich im allgemeinen nicht lange mit irgendwelchen Mißhandlungen aufhalten, denn solche Dinge kann ich nicht sonderlich leiden. Wenn Du nicht gehorchst, werde ich Dich zu Deinem Händler zurückbringen. Oder Dich an sonstwen verkaufen." Und das war keine leere Drohung. Er hatte ein gewisses Maß an Geduld. Doch wenn sie das überschritt, würde er sie einfach wieder weggeben.


    Obwohl es natürlich schade wäre. Sie war außerordentlich hübsch. Und daß sie nicht begeistert war von ihrem Schicksal, war ja durchaus verständlich.

    Zunächst sah es ganz und gar nicht gut aus für den Speerwagen. Der Schildwagen hatte den klaren Vorteil. Doch dann erwies sich der Fahrer des Speerwagens doch noch als fähig und geschickt. Er holte deutlich wieder auf!


    "Jaaaaa! Genau! Und jetzt zieh an ihm vorbei! Du schaffst es!", brüllte Ursus zusammen mit den anderen Speerwagenanhängern. Die aufgewühlte Menge johlte, brüllte und lachte um die Wette. Niemanden störte der Lärm oder der aufgewirbelte Staub. Die ganze Aufmerksamkeit der Zuschauer war auf das Geschehen dort unten auf der Bahn gerichtet.


    "Speer! - Speer! - Speer!", brüllte die Menge um Ursus herum und er brüllte natürlich mit. Seine Stimme konnte er morgen vermutlich vergessen. Doch wen interessierte das schon! Jetzt und hier war wichtig. Was für ein Rennen!

    Ursus hatte sich einen der ohnehin kaum genutzten Empfangsräume als zukünftiges officium auserkoren und auch die Möblierung ein wenig umgeändert. Immerhin brauchte er Regale für die Unterlagen und einen ordentlichen Schreibtisch, da ja einiges an Schreibarbeit auf ihn zukam.


    Und er hatte sich den Luxus geleistet, sich eine Sklavin anzuschaffen. Nicht, daß die Arbeit der Sklaven im Haus zu wünschen übrig ließ. Doch die meisten waren der persönliche Besitz von Corvinus und über die konnte er dementsprechend nicht frei verfügen


    Hübsch war sie ja, das konnte man nicht anders sagen. Blieb zu hoffen, daß sie nicht zu aufsässig war, wenngleich er kleine Rangeleien durchaus zu schätzen wußte.


    Es verging ein Weile, während er sie einfach so musterte. "Nun, woher stammst Du und wie lautet Dein Name? Und was kannst Du wirklich alles?" Seine Stimme klang nicht unfreundlich. Eher sachlich und interessiert.


    Der Händler hatte natürlich tausend Eide geschworen, daß sie fließend Latein konnte. Aber man wußte ja, was man auf derlei Versprechungen geben konnte. Selbst die kleine Sprechprobe konnte auswendig gelernt sein. Wenn der Mann gelogen hatte, würde Ursus ihm morgen das Fell abziehen. Betrügen ließ er sich nicht. Eine Gallierin sei sie. Und gehorsam, fleißig, aber durchaus nicht ohne Temperament, hatte der Mann versprochen. Was abzuwarten war.

    Ursus folgte dem Blick von Aquilius und mußte lachen. "Na, bei den Gewichten lohnt sich vermutlich nicht mal das Warten. So wie der aussieht, verbringt er Stunden mit Gewichtheben. Und er fängt ja gerade erst an." So wollte er wahrhaftig nicht aussehen. "Was an so einem Körper noch ästhetisch sein soll, entzieht sich meiner Vorstellungskraft." So wenig er Dickbäuche mochte, so wenig mochte er Muskelprotze. Es war einfach nur Angabe und alles andere als schön.


    "Dann also laufen", nickte Ursus zustimmend und setzte sich in Bewegung. Dabei konnten sie vor allem auch gut im Auge behalten, wann ein Bereich frei wurde. Allerdings war eine Unterhaltung beim Laufen leider auch nicht so gut möglich. Aber dazu hatten sie dann ja später noch Gelegenheit.

    Ursus lachte ebenfalls und wischte sich mit der Hand über den Mund. "Na, wenn wir wegen der tollen Wachteln hergekommen sind, dann wollen wir sie doch auch probieren, oder? Nach den Thermen habe ich eh immer Hunger. Du nicht?"


    Meistens hatte er auch schon Stunden vor einem Thermenbesuch nichts gegessen, so daß er das eigentlich ganz normal fand. Allerdings wußte er nicht so recht, ob er in dieser Kaschemme ordentliches Essen erwarten konnte. Wenn Marsus nicht so vertraut mit dem Laden scheinen würde, würde Ursus auf das Abenteuer verzichten, aus dieser Küche etwas zu probieren.

    Das war wirklich eine dicke, eklige, schleimige Kröte, die Cadhla ihm da zu schlucken gab. Doch hier erwies sich, daß er konnte, wenn er wollte. Er zuckte nicht mal mit der Wimper, selbst seine sonst so verräterische Augenbraue hatte er dieses mal unter Kontrolle. "Sicher. Ich gebe Dir dann Bescheid", sagte er leichthin. Innerlich sträubte sich natürlich alles in ihm. Augerechnet von Corvinus etwas erbitten zu müssen! Doch sie hatte Recht. Sie gehörte nicht zu den allgemeinen Haussklaven, sondern war der persönliche Besitz von Corvinus. Und über den durfte Ursus selbstverständlich nicht einfach verfügen.


    Ob Corvinus wirklich von ihren Fähigkeiten wußte? Irgendwie bezweifelte Ursus das. Sonst würde er sie wohl entsprechend einsetzen oder zumindest dafür sorgen, daß sie trainierte. Eine Frau, die so kämpfen konnte, war doch ungemein wertvoll! Von Fremden konnte sie nicht als Gefahr erkannt werden, so konnte sie als unauffälliger Schutz dienen. In höheren Ämtern wurde man schließlich unweigerlich zu einer Zielscheibe. Hatte Corvinus sich da je Gedanken drüber gemacht?


    "Welche Waffen und Kampfarten beherrschst Du?", fragte er dann lieber neugierig nach und schob den Gedanken an Corvinus erstmal wieder weit weg.

    Ursus hob wieder seine Augenbraue und schnupperte mißtrauisch an dem Inhalt seines Kruges. So wie Marsus sich benahm, war er wohl nicht zum ersten mal hier. "Wenn diese finsteren Gestalten nicht für unseren Tod verantwortlich sein werden, dann garantiert dieses eigenartige Gebräu hier", scherzte er trocken.


    Aber tapfer hob er den Krug an und murmelte seinen Trinkspruch in seinen nicht vorhandenen Bart, direkt bevor er den Krug vorsichtig an die Lippen hob und probierte. Naja... irgendwie bitter... das lauwarme störte irgendwie. Er versuchte noch einen Schluck. Na, ging... wenn man nicht zu genau darüber nachdachte, was da wohl alles drin war.

    Die eine Augenbraue hob sich, als Ursus sah, in was für eine Kaschemme Marsus ihn da führte. Die Blicke einiger der sehr zwielichtig aussehenden Gäste waren auch alles andere als vertrauenerweckend. In diesem Moment war er richtig froh, nur sehr wenig Geld dabei zu haben.


    "So... sollen sie?", fragte er zweifelnd, als Marsus vom guten Ruf der Wachteln in diesem Haus sprach. Er folgte dem Octavier durch die herumstehenden Leute und paßte dabei gut auf seinen Geldbeutel auf.


    Endlich erreichten sie den Tisch, den Marsus angesteuert hatte. "Eigentlich wollte ich die Wahl gewinnen und dann das Amt auch antreten. Ein vorheriges Begräbnis hatte ich nicht eingeplant, Marse." Es klang scherzhaft, aber es war durchaus ernst gemeint.

    Ursus freute sich sehr über das Lob der Cousinen. "Ich danke euch beiden. Hoffen wir, daß ich die anwesenden Stimmberechtigten auch überzeugen konnnte." Er lachte und ließ sich den Becher mit Wein füllen. Jetzt durfte er sich mal einen Schluck genehmigen.


    Über Helenas Bemerkung mit den überraschenden Wendungen war er allerdings weniger glücklich. Aber zum Glück griffen ihre Gesprächspartner dieses Thema nicht auf. Auch wenn Politik ebenfalls kein besonders schönes Thema war, um darüber mit den beiden Damen zu plaudern, war es immer noch besser als diese Peinlichkeit von Theaterstück. JEDES Thema war besser als das Theaterstück.


    "Eine Niederlage kann man aber auch als Herausforderung nehmen, um mit umso mehr Energie einen weiteren Versuch zu starten. Und sollte das nicht funktionieren, - versucht man es eben woanders." Eine Herausforderung konnte auch sein, ein Gesprächsthema zu finden, das sowohl für Damen geeignet war, als auch zwei einflußreiche Männer interessieren konnte. Im Moment fühlte sich Ursus damit etwas überfordert.

    Auch Ursus musterte den Körper des Flaviers mit Aufmerksamkeit. Und neben seinem gebräunten, gestählten Körper, der wirklich ansehnlich war und für das Ringen eine wirkliche Herausforderung versprach, bemerkte er auch die Kratzspuren. Na, der gute Aquilius ließ offenbar nichts anbrennen. Diese Spuren ließen auf eine kürzlich ausgelebte glühende Leidenschaft schließen. Und schon der Gedanke daran, was Aquilius erlebt haben mochte, brachte den ja nun fast nicht mehr bekleideten Ursus ein wenig in Verlegenheit. Zu lange war er enthaltsam gewesen, das rächte sich nun.


    "Ja, wie man auf Dauer solche Kälte aushalten kann, ist mir auch ein Rätsel. Vielleicht muß man dort geboren sein, um das zu verstehen. Vielleicht empfinden sie die Temperaturen schlicht anders." Schnelle Ablenkung sollte helfen.


    Sie schlenderten zusammen in den Gymnastikbereich, der auch insgesamt schon gut besucht war. Auch beim Ringen war einiges los. Sie würden tatsächlich eine Weile warten müssen. Ursus begann erst einmal mit einigen Aufwärmübungen. "Womit wollen wir also anfangen? Du hast nach dem anstrengenden Tag im Tempel mehr Entspannung nötig als ich. Vielleicht erstmal etwas laufen? Diskuswerfen?" Es gab hier so viele Möglichkeiten, daß es manchmal wirklich schwer war, sich zu entscheiden.

    Was für ein Durcheinander! Völlig perplex starrte Ursus die junge Frau an, die sich ihm einfach an den Hals warf. "Na, ich fürchte, da liegt eine Verwechslung vor", sagte er trocken und fand die Situation inzwischen einfach nur noch komisch. Doch das Lachen, das in ihm aufkeimte, unterdrückte er tapfer. Die Toten könnten sich ausgelacht fühlen und das beabsichtigte er ganz sicher nicht. Er mochte ein Römer sein, doch auch die Römer hatten Respekt vor den Toten. Sehr sogar.


    "Könnte es sein, daß eure Feier ein wenig aus den Fugen läuft?", fragte er, als dieser Sklave mit dem haßerfüllten Blick ihm die Frau abnahm, deren Arme er schon sanft von seinem Nacken gelöst hatte.


    "Paß auf, was Du sagst, Sklave", sagte er ruhig zu Rutger, der sich abermals im Ton vergriff. "Ich habe gar nichts gefrevelt. Und wenn diese Frau tatsächlich Fliegenpilz zu sich genommen hat, dann solltet ihr sehen, daß sie viel Wasser trinkt. Das verdünnt das Gift und dämpft die Wirkung." Nun kamen ihm seine jahrelangen Studien doch zugute. Denn bei den Philosophiekursen waren auch einige medizinische gewesen.


    "Wenn die Toten zornig sind, dann sicher nicht wegen mir, sondern wegen dieses Chaoses. Setzt euch ums Feuer und besinnt euch darauf, warum ihr hier seid. Und Du, Sklave, solltest Deinen Haß zügeln. Weißt Du denn nicht, daß die Toten Haß spüren können und von ihm angezogen werden? Sie werden wohl eher Dich verfolgen, denn mich." Irgendwie vergaß er ganz, daß er die ganze Bande eben noch hatte fortjagen wollen, doch auf die weitere Einladung von Minna und Cadhla ging er auch nicht ein.

    Sie hatte natürlich recht. Wenn man auf der Siegerseite stand, konnte man leicht reden. Und Ursus ließ natürlich einen solchen Gedanken: Wie wäre es, wenn Du in die Sklaverei gerietest?, gar nicht erst zu.


    "Der Stärkere erobert den Schwächeren. Das ist überall so, Cadhla. Und glaube mir: Auch wir sind schon oft besiegt worden und Römer gerieten ebenso in Sklaverei. Überall auf der Welt wird das so gehandhabt. Kriegsgefangene werden Sklaven. - Außer vielleicht gerade bei euch. Aber sieh Dich ansonsten um auf der Welt. Menschen leben so." War das denn nicht alles völlig normal?


    Als sie ihm ihre Hände zeigte, ergriff er eine davon, um sie anzusehen. Sie war wirklich voller Schwielen. Unglaublich, daß eine Frau solche Hände haben konnte! "Du hast recht, meine Hände sind weich von den Jahren des Studiums. An Waffenübungen und Kampfübungen habe ich in den letzten Jahren nur das allernötigste gemacht." Doch immerhin hatte er in der letzten Zeit viel Sport getrieben in den Thermen. Und sich auch im Ringen geübt. Was natürlich lachhaft war im Vergleich zu richtigem Kampftraining.


    "Wie wäre es, wenn Du mich trainieren würdest? Ich weiß nicht, wieviel Zeit ich haben werde, falls ich gewählt werde. Aber einen körperlichen Ausgleich für die Schreibtischarbeit brauche ich auf jeden Fall. Und wenn ich danach ein Tribunat antrete, kann mir dieses Training nur nützlich sein. - Und Du hast die Möglichkeit, offen etwas für Dein Training zu tun. Was sagst Du dazu, Cadhla? Das ist kein Befehl. Ich werde es Dir nicht übel nehmen, wenn Du nein sagst."


    Er konnte selbst nicht sagen, welcher Dämon ihn ritt, daß er einer Sklavin solche Zugeständnisse machte. Tilla hatte ihn aufgeweicht, ganz ohne Zweifel. In letzter Zeit hatte er mit Sklaven ein besseres Verhältnis als mit seiner Familie. Das war irgendwie nicht gut... Vernünftiger wäre es gewesen, sie einfach in sein Bett zu befehlen und dort einen kleinen Kampf ganz anderer Art mit ihr zu führen. ( :D )

    "Es wird in diesem Haus niemand bestraft, der nicht schuldig ist, Cadhla. Es ist bis jetzt nicht geschehen und wird auch nicht mehr geschehen. Finden wir heraus, wer es war, wird derjenige sein blaues Wunder erleben. Und nur derjenige." Ursus sprach ernst und ruhig. Sie war doch schon eine Weile hier, sie müßte das eigentlich schon wissen!


    "Du weißt nicht viel über uns Römer, Cadhla. Wir zwingen niemanden, zu leben wie wir. Ja, wir erobern Länder und Völker. Während der Eroberung werden Gefangene gemacht und versklavt, ja. Aber wenn die Länder erst erobert sind, geschieht das nicht mehr. Ja, wir zwingen sie zu Abgaben, das ist auch unter euren Stämmen üblich, wenn einer den anderen besiegt hat. Viele von den Menschen aus neu eroberten Gebieten wollen von sich aus unsere Lebensweise annehmen. Sehr viele. Wer es nicht will, lebt wie bisher. Betet seine eigenen Götter an, lebt in den alten Häusern, so wie sie es immer kannten. So sehr zwingen wir niemandem unseren Willen auf. Und all das geschieht bei anderen Völkern ebenfalls, wenn sie ein anderes erobern. Würden wir nicht erobern, würde man uns erobern." Er lächelte sie an. "Du meinst, Du bist stärker als ich? Woher nimmst Du diese Gewißtheit?" Das war natürlich ein völlig lächerlicher Gedanke. "Cadhla, was möchtest Du eigentlich? Du sagst, Du bist keine Schildmaid mehr, Du kannst nicht zurück. Freiheit bedeutet Dir nichts mehr. Was willst Du also? Wonach strebst Du nun?"