Beiträge von Titus Aurelius Ursus

    "Da hast Du natürlich vollkommen recht", nickte Ursus, denn er war keinem der Ämter gegenüber wirklich abgeneigt. Gemütlich entstieg er dem Wasser. "Aber einen Favoriten habe ich dennoch: Am liebsten würde ich als decemvir litibus iucandis eingesetzt werden." Er griff nach seinem Handtuch und begann, sich abzutrocknen.

    Da kein Widerspruch kam, erhob sich Ursus lächelnd. "Dann entschuldigt mich bitte einen Moment."


    Lächelnd ging der junge Aurelier zu den beiden Verwandten. "Prisca, Helena... Wollt ihr uns nicht ein wenig Gesellschaft leisten? Ich sitze gerade mit Marcus Decimus Mattiacus und Manius Tiberius Durus zu Tisch. Kennt ihr die beiden schon?" Er war sich nicht sicher, ob die beiden allen Gästen vorgestellt worden waren. Aus der Antwort von Durus meinte er herausgehört zu haben, daß er die beiden noch nicht kannte. "Ihr sitzt hier so allein - und ich glaube, die beiden Herren wollen auch nicht nur über Politik sprechen an so einem Abend." Immerhin sollte so eine Feier eher fröhlich sein.

    Ursus nickte ernst. "Ich werde ganz gewiß nicht vergessen, das Opfer nachzuholen." Er würde zwar in nächster Zeit nicht zum opfern haben, doch es kamen sicher auch wieder bessere Zeiten. Und er würde die Götter ganz sicher nicht vergessen, das hatte er nie.


    "Ja, ich weiß, es ist ein sehr anspruchsvolles Amt, gerade durch die Verdienste der Vorgänger. Ich bilde mir auch nicht ein, daß ich es ihnen gleichtun kann, dafür fehlt mir einfach die praktische Erfahrung. Doch schlecht werde ich es auch nicht machen, ich bin fest entschlossen, mich da durchzubeißen." Er gab sich da keinerlei Illusionen hin. Doch mußte jeder Amtsinhaber sogleich ein Überflieger sein? "Du hast auch vor, ein Militärtribunat anzutreten? Obwohl Du dazu nicht verpflichtet bist?" Er lächelte unwillkürlich. "Ich bin mir allerdings noch nicht sicher, ob gleich im Anschluß an das Amt. Ich weiß nämlich nicht, ob ich es fertig bringe, Rom so bald wieder zu verlassen." Er merkte ja jeden Tag, was für ein großer Fehler es gewesen war, so lange fort zu sein. Und er hing nun einmal sehr an der Stadt.


    Er sah, wie voll es war und seufzte. Das bedeutete nicht nur, daß er noch eine ganze Zeit warten mußte, sondern auch, daß er nicht unendlich Zeit hatte für sein Gebet. "Sag mal, Aquilius, wie gut kennst Du Corvinus eigentlich? Er ist übrigens mein Onkel, nicht mein Vetter..." Was Aquilius natürlich angesichts des geringen Altersunterschiedes nicht wissen konnte.

    In der Familie? Da gab es für Ursus nur Cotta. Und der machte sich im Moment so rar, daß er dafür nicht in Frage kam. Die Cousinen kannte Ursus kaum, sie also mit so etwas belasten? Nein, das konnte er nicht tun. "Ja, hoffentlich", sagte er also nur. Es war verräterisch genug, eigentlich hatte damit schon zuviel offenbart.


    "Du hast recht, es wird einen Grund haben, warum ich hier gelandet bin. Ich danke Dir für Deinen Rat. Ich werde es ohne Opfer versuchen." Wenn kein Mensch zuhören konnte, waren die Götter vielleicht wirklich die richtige Adresse. Die Worte von Aquilius waren für ihn jedenfalls ein Hoffnungsschimmer.


    Sie erreichten den Altarraum und Ursus bedauerte diese Tatsache irgendwie. War dieses angenehme Gespräch damit doch vermutlich so gut wie beendet. "Das ist allerdings eine Veränderung zu Deiner bisherigen Tätigkeit, ich hätte nicht gedacht, daß Du gerade dieses Amt bevorzugen würdest. Faszinierend ist es ganz sicher und es würde mich durchaus auch reizen. Doch eigentlich würde ich vorerst lieber das Amt des decemvir litibus iucandis ausüben. Es bietet einen guten Einblick in die Gesetze und in die Verwaltungsstrukturen. Außerdem komme ich dadurch mit vielen Menschen in Kontakt." Die Gerichte waren ein Bereich, dem er sich dann später widmen wollte. Immer einen Schritt nach dem anderen. Dieser erste war unter den gegebenen Umständen schon schwer genug. Er wollte sich erst einmal voll auf diesen konzentrieren.

    Die freundlichen Worte von Aquilius hätten Ursus beinahe dazu gebracht, ihm sein Herz auszuschütten. Doch es wäre nicht richtig. Er durfte es nicht nach außen tragen! Sein Schritt stockte, er atmete tief durch, um die Kontrolle über sich zurück zu gewinnen. Dann wandte er sich Aquilius zu. "Ich bin mir sicher, daß Du mir ehrlich versuchen würdest zu helfen, Aquilius. Und für diese gute Absicht danke ich Dir sehr. Doch selbst wenn Du nicht mit Corvinus befreudet wärest... Ich darf Familieninterna nicht nach draußen tragen. Und damit scheiden auch Deine collegi aus. Ich weiß nicht mal, warum ich hergekommen bin. Vielleicht hatte ich einfach gehofft, daß ich an diesem Ort meine Gedanken ordnen könnte. Ich wüßte auch nicht, was ich beten sollte. Und ein Opfer habe ich auch nicht dabei." Als er aus dem Haus ging hatte er nicht nur seinen Mantel vergessen, sondern auch alles andere.


    "Ja, eines Tages werde ich wohl vor so einem Problem stehen. Ich hoffe nur, daß ich dann die richtige Entscheidung treffen werde." Zumal er niemanden um Rat fragen konnte. "Du kandidierst auch, nicht wahr? Welches Amt würdest Du bevorzugen? Oder ist es Dir gänzlich egal?" Er war froh, das Thema wechseln zu können. Denn wenn Aquilius mit seiner überaus gewinnenden Art noch viel länger weitergemacht hätte, wäre er am Ende doch noch weich geworden und hätte geredet.

    "Habt ihr etwas gegen ein wenig nette weibliche Gesellschaft einzuwenden? Ich würde euch gerne meine beiden Cousinen Prisca und Helena vorstellen." Er deutete zu dem Tisch, an dem die beiden hübschen Damen ohne weitere Gesellschaft saßen, und blickte seine beiden Gesprächspartner fragend an.


    Außerdem hatte er vor dem Servieren der Fleischplatten noch etwas wichtiges zu tun.

    "Danke, das ist wirklich freundlich von Dir", lächelte Ursus dankbar und lenkte seinen Schritt in die gleiche Richtung wie Aquilius. Der Flavier hatte bei seinem Namen ein wenig gezögert, ob er sich nicht sicher war, ob er Ursus war? Ursus entschied, das einfach zu übergehen. Er wußte ja selbst, wie schwer es war, die Leute, die man nur einmal gesehen hatte, auseinanderzuhalten.


    "Ich... könnte tatsächlich jemanden brauchen, der mir zuhört. Aber... bitte nimm das jetzt nicht persönlich, ich fürchte, Du bist dafür absolut nicht der richtige." Ursus seufzte und schüttelte den Kopf. "Ich habe mich mit Corvinus überworfen. Sehr gründlich sogar. Es ging... um Familieninterna. Ich bin auf ihn wirklich nicht gut zu sprechen", das war die Untertreibung des Jahrhunderts, "und ich weiß, Du bist sein Freund. Ich möchte Dich in diesen sehr unschönen Streit lieber nicht mit hineinziehen." Solche Dinge trug man auch nicht aus der Familie heraus. Nach außen sollte man schließlich immer einen starken und einigen Eindruck machen. "Es... es wird schon wieder." Was eine glatte Lüge war, denn Ursus glaubte dies absolut nicht.

    Der Name sagte Ursus durchaus etwas. Er hatte in der letzten Zeit bei den Senatssitzungen zugehört, wenn sie öffentlich waren. Trotzdem wollte er sich einer Meinung über den Senator noch enthalten, solange er keine Gelegenheit hatte, ihn persönlich kennenzulernen. So nickte er nur, als Marsus fragte.


    "Ja, das sind alles gute Gründe, Marsus. Hast Du eigentlich schon ein bestimmtes Amt im Auge oder ist Dir völlig egal, wo Du eingesetzt wirst?" Sie paddelten nun schon eine Weile im Kaltwasserbecken herum und Ursus schwamm nun langsam mal an den Beckenrand zurück.

    Noch in der Nacht hatte Ursus sein gesamtes Geld zusammengesucht. Selbst wenn er nur diese drei einzelnen Sesterzen behielt, reichte es leider nicht für alles. Aber immerhin war es ein großer Teil und irgendwann würde er schon zu Geld kommen, damit er den Rest begleichen konnte.


    Er nahm den Beutel mit den 50 Sesterzen, der ihm erst gestern zugestellt worden war vom Verwalter seines kleinen Grundstücks und heftete einen Zettel daran: "Kostgeld Ursus". Der zweite Beutel enthielt seine Ersparnisse, magere 330 Sesterzen. Auch der bekam einen Zettel: "Rückerstattung Geldgeschenk Ursus, 1. Rate"


    Beide Beutel platzierte er im Büro seines Onkels mitten auf dem Schreibtisch. Corvinus konnte sie also nicht übersehen, wenn er das nächste mal hereinkommen würde.

    Ursus hatte tatsächlich überhaupt nicht bemerkt, daß er dabei war, den öffentlichen Bereich des Tempels zu verlassen und Gefilde zu betreten, die für die Öffentlichkeit gesperrt waren. Auch wenn Aquilius mitten im Weg gestanden hätte, wäre er von Ursus nicht bemerkt worden, wenn er das Wort nicht an ihn gerichtet hätte. So wenig Aufmerksamkeit hatte der junge Aurelier momentan für seine Umgebung übrig und das allein zeigte schon, wie sehr er von der ganzen Angelegenheit aus der Bahn geworfen worden war.


    Die Stimme, so freundlich sie auch sprach, riß ihn nun gewaltsam aus seinen unfrohen Gedanken und er blickte den Sprecher ein wenig desorientiert an. Es dauerte einen Moment, bis er wußte, mit wem er sprach. Er hatte ihn auf dem Fest kennengelernt. Und er war ebenfalls eines der Spottopfer im Theaterstück gewesen. "Ähm.... Salve, Flavius Aquilius", grüßte er erst einmal höflich und blickte sich dann verstohlen um. In diesem Bereich des Tempels war er definitiv noch nie gewesen. "Es... tut mir leid. Ich wollte keinesfalls in unzulässige Bereiche eindringen. Ich war einfach derart in Gedanken, daß ich gar nicht auf den Weg geachtet habe." Aquilius war ein Freund von Corvinus, erinnerte sich Ursus. Und er hatte gehört, daß Aquilius ebenfalls als Vigintivir kandidieren wollte.


    Ursus atmete tief durch, drängte seinen Gedankenwirrwarr gewaltsam beiseite und lächelte schließlich. "Wenn Du mir bitte kurz zeigen würdest, wie ich in den öffentlichen Bereich des Tempels zurückkomme?"

    Einige Stunden war Ursus durch die Stadt geirrt. Er war völlig durchgefroren, als er den Tempel des Mars betrat. Was genau er hier wollte, wußte er selbst nicht. Weder hatte er ein Opfer dabei, - wie auch bei seinem impulsiven Aufbruch aus der Villa, - noch wußte er, um was er die Götter überhaupt bitten wollte. Vielleicht um innere Ruhe? Um klare Gedanken? Um Erleuchtung, was nun Wahrheit und was Irrtum war?


    Seit dem völlig verrückten Streit mit Corvinus hatte Ursus keinen klaren Gedanken mehr fassen können. Er hatte versucht, sich in Corvinus hineinzuversetzen. Hatte versucht, davon auszugehen, daß Corvinus es wirklich nur gut meinte.


    Aber da paßte einfach zu vieles nicht zusammen. Schon allein die Tatsache, daß er ihm weiterhin nicht die geringste Chance gab... Wenigstens eine kleine, völlig belanglose Aufgabe hätte er ihm geben können, um ihn zu prüfen. Aber nicht einmal das. Und das konnte doch nur bedeuten, daß Ursus recht hatte.


    Aber was dann tun? Wenn er das nur eher gewußt hätte, wäre er an irgendeinen Ort im Imperium gereist und hätte dort erst einmal völlig eigenständig bewiesen, was in ihm steckte. Was er doch für ein Idiiot gewesen war, gleich nach Rom zurückzukehren. Was er doch für ein Idiot war, daß er auf die Familie gebaut hatte, daß er auf Corvinus gebaut hatte. Die Liebe zu Rom hatte ihn dazu verleitet. Er haßte es eben einfach, von dieser Stadt getrennt zu sein.


    Völlig in Gedanken irrte Ursus durch die Tempelanlage, immer noch unschlüssig, was er tun sollte. Er sollte die Wahl abwarten, sicher. Wenn er gewählt wurde, falls er gewählt wurde, und sich bewährte, dann würde sich vielleicht alles andere auch irgendwie einrenken. Er zweifelte immer noch nicht daran, daß er der Aufgabe gewachsen war, auch wenn er nun auf Ratschläge von Corvinus verzichten mußte. Immerhin hatte er eine umfassende Ausbildung genossen. Und er war festen Willens, alles zu geben, was er zu geben hatte.


    Trotzdem fühle er sich verraten. Den Rückhalt der Familie so verwehrt zu bekommen war etwas, womit er niemals gerechnet hatte. Er war immer zu Loyalität und Treue gegenüber der Familie erzogen worden. Und daß dies auch gleichermaßen zurückgegeben wurde, hatte bisher für ihn völlig außer Frage gestanden.

    Keine Antwort war auch eine Antwort. Und das schlimmste war, daß Corvinus ihm keine Gelegenheit gab, etwas zu erwidern, sondern einfach davon lief. Es würde also kein Vertrauen geben, keine Möglichkeit, sich zu beweisen. Keine Möglichkeit, etwas für die Familie zu tun. Es gab weder einen Hinweis darauf, daß Corvinus darüber nachdachte, sein Bild von Ursus zu überdenken, noch gab es für einen Fehler, ihr Götter, das Fehlen einer Frage!, Verzeihung.


    Corvinus sah nur sich selbst, niemand anderen. Sah nur, was Ursus von ihm dachte und gab nicht eine Sekunde der Überlegung darüber, woher Ursus' Meinung stammen konnte. Ja, Ursus hielt Corvinus weiterhin für eigensüchtig. Seine Worte hatten es doch wieder bewiesen.


    Ursus hob das am Boden liegende Papyrus auf und legte es auf den Tisch zurück. Dann verließ er das Haus, ohne irgendeine Nachricht, ohne sich auch nur wärmer anzukleiden.

    "Dies haben unsere eigenen Köche vollbracht", erklärte Ursus nicht ohne Stolz, auch wenn er ja eigentlich an der erfolgreichen Zubereitung der Speisen keinen Anteil hatte.


    "Warte erst, bis die Fleischplatten kommen. Fasan, Wachteln, Wild, Rind, was immer das Herz begehrt. Und die Desserts sind auch nicht zu verachten." Ursus lachte und nahm einen Bissen Fisch. "Es lohnt sich also, noch etwas Platz zu lassen."


    Sein Blick fiel auf seine Cousine Helena, die mit Prisca fast schon versteckt etwas entfernt an einem der Tische saß. Warum setzten die beiden sich nicht zu den Gästen?


    Edit: Aus stehen mach sitzen

    "So, ich verstehe. Ich bin also ein fauler Hund und leiste nichts. Gut, dann werde ich das mal im Hinterkopf behalten als Deine Meinung über mich. Wenn dem so ist, so solltest Du doch erfreut sein zu hören, daß sich dies in diesem Moment schlagartig ändert. Welch Wunder doch noch geschehen." Ursus war eisig kalt, sein Zorn war wie weggeblasen. So wurde seine abwartende Haltung also beurteilt? Eine eisigere Dusche hätte er nicht bekommen können. Er fühlte sich ernüchtert und gleichzeitig fühlte er, daß er etwas verloren hatte. Etwas wichtiges, das er in diesem Moment nicht genau bezeichnen konnte.


    Gut, dann würde er diesen Fehler des Abwartens kein weiteres mal machen.


    "Ich hätte Dich also fragen sollen, ja? Dann habe ich also anscheinend einen Fehler gemacht und hole diese lange überfällige Frage jetzt und hier nach: Bist Du bereit, mir eine Aufgabe und damit Verantwortung zu übertragen?" Was für eine überflüssige Frage. Jetzt kam garantiert wieder: Dafür bist Du noch nicht reif, beweise Dich erst einmal.


    Wo sollte man sich denn zuerst beweisen, wenn nicht im relativ geschützten Bereich der Familie, wo normalerweise Fehler auch mal verziehen wurden, so daß jemand Unerfahrener die Möglichkeit bekam, zu lernen? Das war doch alles ein schlechter Scherz hier! Ihm wurde sicher nichts verziehen, soviel war klar.


    "Ja, ich halte Dich noch immer für überheblich und intrigant, Marcus. Deine Worte bestärken mich nur in diesem Glauben. Ich glaube noch immer, daß dies alles hier Berechnung von Dir ist, um mich auszubremsen. Vielleicht ist mein Bild von Dir falsch. Aber alles, was Du bisher gesagt und getan und nicht getan hast, ergibt dieses Bild. Wenn es falsch ist, und das kannst im Moment nur Du selbst wissen, dann denk auch mal über Dein Bild von mir nach. Vielleicht stimmt dann damit ja auch etwas nicht." Er nahm Corvinus den Vergleich mit Appius' Onkel wirklich übel und würde ihm dies ganz sicher nicht so schnell verzeihen. Aber Ursus zog zumindest die Möglichkeit in Betracht, daß er sich in Corvinus irrte. Etwas, was Corvinus ihm offenbar nicht zugestand.


    "Deine Ungehaltenheit verzeihe ich Dir, ich bin ja ebenso ungehalten. Aber ich stelle bei dieser Gelegenheit einfach mal fest, daß Du innerhalb von Minuten derart wütend und ausfallend wurdest, - während ich dafür Monate gebraucht habe. Wessen Verhalten ist unreifer und unbeherrschter, Marcus?" Dieses mal war kein Sarkasmus in seiner Stimme, sondern reine Sachlichkeit. Er hätte seine Worte und seinen Tonfall so wählen können, daß er nun die Lehrerrolle übernommen hätte. Einfach um Corvinus zu zeigen, wie man sich fühlt, wenn man ohnehin schon sehr wütend ist und dann dies auch noch dazu kommt. Doch das wäre eine allzu billige Retourkutsche gewesen. Corvinus würde es auch so verstehen. Hoffentlich.

    "Meine Familie unterstützt die Aurata. - Und die sind selbstredend die besten." Ursus lachte, um zu zeigen, daß er das trotz allem keineswegs verbissen sah. "Direkt Mitglied bin ich nicht. Zumindest noch nicht. - Du wirst sehen, es wird Dir gefallen. Allein die Stimmung unter den Zuschauern ist unglaublich mitreißend. Ich hoffe, es macht Dir nichts aus, unter den Anhängern der Aurata zu sitzen?"

    "Natürlich, was wäre anderes zu erwarten gewesen, als daß Du mir nun Unfähigkeit vorwirfst?" Ursus blickte Corvinus an und schüttelte den Kopf. "Wir spielen hier kein rhetorisches Spiel, Marcus. Ich zumindest nicht. Ich habe Dir ehrlich und offen gesagt, was mich zornig macht, weil Du danach gefragt hast." Sonst hätte er weiterhin nichts gesagt. Warum auch? Jeder Versuch, etwas zu sagen, wäre genau mit einem solchen Gespräch ausgegangen, wie es jetzt stattfand.


    "Ich fasse mal kurz zusammen: Du gibst mir zuerst keinerlei Möglichkeit, etwas sinnvolles zu tun. Werde ich nach Monaten deswegen wütend und sage es Dir auf den Kopf zu, dann benehme ich mich unreif und beweise damit, daß ich keine Verantwortung übernehmen kann. - Ja, war schon klar, daß Du es so darstellen würdest, damit Du weiterhin dafür sorgen kannst, daß mir die nötige Erfahrung versagt bleibt. Eine schöne, an den Haaren herbeigezogene Begründung. - Es ist ein mieses, intrigantes Spiel, das Du hier spielst. Gegen Deine eigene Familie. Mein Vater dreht sich in diesem Moment wahrscheinlich gerade im Grabe um." Ursus trat mit wenigen Schritten langsam auf einen Sessel zu und setzte sich. Er wäre lieber stehen geblieben, denn stehend fiel es ihm leichter, sich unter Kontrolle zu halten.


    "Du willst wissen, warum ich bisher nichts gesagt habe? Weil ich wußte, daß genau das hier folgen würde: Daß Du einfach behauptest, ich sei unreif und könne keine Verantwortung tragen, weil ich es wage, Verantwortung zu fordern. Wovor hast Du eigentlich solche Angst, daß Du glaubst, mich mit aller Gewalt klein halten zu müssen? Wenn mein Verhalten unreif sein soll, wie ist Dein Dein Verhalten mir gegenüber zu werten?"

    War Ursus bis jetzt zornig gewesen, so war es nun eisige Kälte, die ihn erfüllte und aus seinen Augen und seiner Miene sprach. "Du machst es Dir ein wenig zu einfach, Corvinus. Mich in diesem Gespräch in die Rolle des Kindes zu zwingen und Dich selbst zum Lehrer aufzuschwingen, macht die Sache nicht besser. Auch dieser Versuch zeigt nur zu deutlich, was Deine Absicht hinter all dem ist." Nicht umsonst war er jahrelang in Athen gewesen und in all diesen rhetorischen Tricks und Kniffen geschult worden. Daß sein eigener Onkel diese nun gegen ihn anwandte, erfüllte ihn einfach nur mit Abscheu.


    "Ein konstruktives Gespräch willst Du also führen? Unter diesen Voraussetzungen jedenfalls verzichte ich da dankend drauf. Ich bin kein Kind mehr, auch wenn Du das gerne so hättest. Vielleicht solltest Du erst einmal von Deinem Podest heruntersteigen, bevor Du irgendwelche Forderungen an mich stellst." Es war einfach eine Unverschämtheit, wie Corvinus sich über ihn zu stellen versuchte. Er mochte das Familienoberhaupt sein und Ursus hatte sich dem bisher auch weitestgehend gefügt, doch solch eine Behandlung brauchte sich Ursus von einem Mann, der nur wenige Jahre älter war als er selbst, nicht gefallen lassen. Immerhin war Corvinus nicht sein Vater.

    "Verkauf mich nicht obendrein noch für dumm, Marcus." Ohja, Ursus war wütend. Wie sehr, merkte er erst jetzt, wo die Schleusen sozusagen geöffnet waren. Und nun tat Corvinus auch noch unwissend!


    "Bei jeder sich bietenden Gelegenheit läßt Du uns merken, wie schrecklich überlastet Du bist. Du stolperst eine Stufe der Karriereleiter nach der anderen herauf und läßt Dich beweihräuchern. Und Cotta und mich läßt Du währenddessen am ausgestreckten Arm verhungern! Seit Monaten hänge ich in dieser Villa herum und habe nichts, überhaupt nichts sinnvolles zu tun. Es gibt nichts zu tun. Was immer an Aufgaben vorhanden ist, wird von Dir erledigt und Du läßt Dir auch nichts aus der Hand nehmen. Cotta darf sich wenigstens ein bißchen um die Finanzen kümmern... Du gibst uns doch mit voller Absicht keine Gelegenheit, irgendwie Erfahrungen zu sammeln. Uns bleiben trockene Schriftrollen, die wir schon hundertmal studiert haben. - Verdammt, Marcus! Ich sterbe vor Langeweile und Untätigkeit, während Du uns vorführst, wie unersetzlich Du bist! Wieviel mehr unnütz sollen Cotta und ich uns noch fühlen? Was soll ich dem Senat erzählen, wenn ich gefragt werde, was für Erfahrungen ich habe? Daß mir nicht mal die eigene Familie zutraut, auch nur die geringste Verantwortung zu übernehmen? Und da sollen sie mir ein Amt anvertrauen? Ich bezweifle sehr, daß sie das tun werden! Ich weiß nicht, ob ich mir ein Amt geben würde unter diesen Voraussetzungen!"


    Es war eine wahrhaft lange Rede. Da hatte sich seit Wochen eine Menge angestaut und das mußte jetzt einfach heraus. Auch wenn es nichts nutzen würde, denn natürlich wußte Corvinus das alles nur zu genau! Davon war Ursus fest überzeugt.

    Ursus legte seinen Kopf schief. "Sicher strebe ich nach Macht. Und sicherlich auch nach Vermögen. Daran allein finde ich, ist noch nichts verwerfliches und wer behauptet, nichts für sich selbst zu wollen, ist ein Heuchler. Es kommt meiner Meinung nach darauf an, daß man beides erringt, indem man Rom dient. Man darf nicht auf den Fehler verfallen, Rom auszuzehren." Was natürlich ein Gratwanderung war. "Marsus, ich bin Patrizier. Ich kann nur in die Politik, den Göttern dienen - oder Landwirtschaft betreiben. Oder alles drei zusammen. Ich bin von Anfang an auf den Weg in die Politik vorbereitet worden und ich sehe darin auch meine Bestimmung. - - Aber was ist mit Dir? Gab es einen akuten Anlaß dafür, daß Du etwas ändern möchtest? Gab es Senatsbeschlüsse, die Dir zu denken gegeben haben?" Ursus war einfach überrascht darüber, daß Marsus auf einmal diese erstaunliche Leidenschaft zeigte. Bei ihrem ersten Gespräch war davon nichts zu merken gewesen. Seit dem mußte irgendetwas geschehen sein.

    Ursus ließ sich zwar von seinem Onkel ins adedis schieben, löste sich aber dort gleich wieder aus dessen Arm, schüttelte ihn geradezu ab. "Ja, mir ist eine Laus über die Leber gelaufen. Eine gewaltige! Und ja, ich habe ein Problem. Beides trägt einen Namen: Marcus!" Lieblingsbruder? Pah! Davon merkte man wahrhaftig nicht viel, daß Marcus seinen Vater besonders gemocht hatte.


    "Fällt Dir eigentlich überhaupt nichts auf? Gar nichts, Marcus? Bist Du so blind für Deine Umwelt geworden? Achja, ich vergaß, Du hast ja so schrecklich viel zu tun, Du armer Kerl! Kommst ja kaum aus Deinem officium heraus. Und wenn, dann auch nur, weil irgendwelche Pflichten an anderen Orten Dich fordern." Der Tonfall troff nur so vor Sarkasmus und gespieltem Mitleid.


    Er glaubte sowieso nicht, daß Corvinus das Problem nicht kannte. Nach Ursus' Meinung war das alles Berechnung, um Cotta und ihn auszubremsen. Welchen anderen Grund könnte es schon geben?