Beiträge von Flaviana Brigantica

    Offenbar nicht! Youens Antwort war wie ein Tritt in meine Eingeweide! Er war immer noch wütend auf mich. Vermutlich würde das auch für immer so bleiben. Ich spürte den Drang, aufzustehen und zu gehen und wenn er mir nicht so viel bedeutet hätte, dann wäre ich auch aufgestanden und gegangen. Ich blieb aber und wartete nur darauf, bis der nächste Tritt oder der nächste Schlag in verbaler Form auf mich nieder prasselte. Er machte sich nicht einmal die Mühe, nach meinem Kind zu schauen. Das verletzte mich noch mehr, als seine Worte es getan hatten.
    Meinen Blick richtete ich demonstrativ auf meinen Brei, der noch dampfend vor mir stand. Der Appetit war mir längt vergangen. Ich hatte ihn sowieso nicht gemocht. Ich aß ihn, weil ich etwas essen mußte. Doch jetzt wollte ich nicht mehr essen. Warum saß ich also noch hier?
    Genau das gleiche fragte sich auch Youen und packte es in Worte, die nicht beleidigender hätten sein können. Ein Schlag ins Gesicht! Mein Gesicht erstarrte. Ich erstarrte.
    Ich erinnerte mich an Sverus´ Schlag, an diesem verhängnisvollen Morgen, der mein Leben so nachhaltig verändert hatte. So hart hatte er mich geschlagen. Da war Blut.
    Ich stand auf.


    Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht belästigen.

    Im Grunde hatte sich recht! Dieser Name, das war nicht ich. Er klang römisch. Aber römisch, das war ich nicht und wollte es auch nie sein. Bridhe, das war ich! Das war, wie die grünen Hügel Taras und das graublaue Meer an einem verregneten Sommertag!
    Seit meiner Freilassung hatte ich niemals gezeigt, wie sehr ich das alles vermisste! Diese Sehnsucht war nun stärker denn je, wahrscheinlich weil ich war es, die eine Rückkehr unmöglich gemacht hatte. Ich ließ mir nichts anmerken. Stattdessen machte ich eine freudestrahlende Miene, wenn man mich auf meine Freilassung ansprach, oder ich Aquilius begegnete. Ja, ich musste mächtig stolz sein! Nein, das war ich nicht! Ich war nicht stolz. In einem gewissen Maße fühlte ich mich erbärmlich! Eigentlich hatte ich gehofft, dieses Gefühl nach der Geburt meines Sohnes hinter mir zu lassen. Von nun an wird alles besser, hatte ich mir immer wieder vor gesagt! Meine Einsamkeit, tief im Inneren meines Herzens aber blieb. Mein Sohn konnte diese Leere meist füllen, doch in den stillen Augenblicken des Abends, wenn er schlief und ich meinen Gedanken freien Lauf ließ, dann tat sich wieder diese unendlich tiefe Grube auf. Genau an diesem Abend war es wieder einmal so weit gewesen. Die Erinnerungen an schönere Zeiten taten ihr Ihriges dazu.


    Du kannst mich gerne Bridhe nennen, wenn du möchtest!


    Das klang fast schon wie eine Bitte. Trotz allem noch den vertrauten Namen zu hören, war tröstlich.


    Ja, ein Feuer, antwortete ich. Ich starrte einen Moment in die Leere, so als könne ich das Feuer des vergangen Jahres genau vor mir sehen. Wie schön es gewesen war! Wir waren fröhlich und tanzten, bis…


    Ja, damit sie den Weg zu denen finden, die an sie denken.


    Epicharis, die Römerin, verstand nicht viel von dem was wir glaubten. Wenn ich mich daran erinnerte, wie Aquilius es abgetan hatte, als ich ihm von Brigid, meiner Göttin erzählte, dann war es nicht verwunderlich.


    An Samhain treffen Ende und Anfang aufeinander. In dieser Nacht sind die Tore zur Anderswelt nicht verschlossen. Die Geister unserer Ahnen können deshalb ungehindert zu uns kommen. Deswegen das Feuer und die Lichter!
    Mein Licht ist für meine Mutter. Sie ist gegangen als ich dreizehn war. Seitdem vermisse ich sie sehr.


    Ich deutete auf die flackernde Kerze, die auf dem Tisch stand und vor sich her brannte. Dann sah ich sie verblüfft an, als sie zu kichern begann. Die Tatsache, dass ein Ring im Brot versteckt war, fand sie witzig.


    Ach so, du bist schon verheiratet! Dann werde ich ihn ganz bestimmt finden, obwohl ich gar keinen Bräutigam habe.


    Das klang spaßig, das war es aber nicht. Trotzdem deutete ich ein Lächeln an.
    Nachdem ich ihr schon einiges über Samhain berichten konnte, wollte ich nicht vor dem Geheimnis des Apfels Halt machen.


    Den Apfel scheidet man in zwei Hälften und dann kann man anhand des Gehäuses die Zukunft für das bevorstehende Jahr deuten.


    Das musste alles ganz fremd für sie klingen. Vielleicht sogar barbarisch. Obwohl, in der Zeit, in der ich nun hier war, hatte ich gelernt, wie abergläubisch auch die Römer sein konnten. Vielleicht hatte sie ja dafür Verständnis. Überhaupt war ihr Interesse sehr groß.


    In meiner Heimat opfert man den Göttern an diesem Abend. Priester führen diese Opferungen durch. Früher habe ich oft zugesehen.


    Ich sah zu meinem Kind hinüber, das in Epicharis Armen lag. Der Kleine war friedlich und fühlte sich sichtlich wohl. Etwas was in mir eine Art Unruhe auslöste. Ich verwarf den Gedanken gleich wieder. Nein, mein Kind würde mir niemand mehr wegnehmen können. Jetzt nicht mehr! Deshalb war ich Brigantica geworden. Nur deshalb!
    Ihre nächste Bemerkung um Aquilius´Sklavin, erschütterte mich und ich fühlte mich wieder um Monate zurück geworfen.


    Ja, ich meine nein. Ich war es. Jetzt nicht mehr.


    Etwas mehr Freude hätte in meinen Worten widerspiegeln können. Im Prinzip war ich es noch immer, auch wenn ich nach ihrem Gesetz frei war. Doch nicht frei genug, um nach Hause zu können.
    Dem kleinen Diarmuid war das alles gleich. Er liebte es, gleich ob es Römer, Kelte oder Gemane, frei oder unfrei war, bewundert zu werden und strahlte und gluckste fröhlich. Er war wirklich mein Sonnenschein!


    Er ist fast drei Monate alt.

    Ich weiß nicht, ob dir meine Heimat gefallen würde. Dort ist es nicht so wie hier oder wie in einer eurer Provinzen. Wir haben keine Hauser aus Stein und auch nicht solche Strassen, wie ihr sie habt, gab ich zu bedenken. Dafür gab es viele Hügel in allen Grüntönen, noch mehr Steine, dafür weniger Bäume, viel Moor, das das Wasser der Flüsse braun färbte und das Meer, dass ich so liebte! Solange die Römer die Insel nicht in ihren Besitz nahmen, würde auch alles so bleiben.
    Ob ich meine Heimat jemals wieder sehen würde? Im Augenblick sah es nicht danach aus, denn ich hatte ein Versprechen abgegeben. Daran wollte ich mich halten.


    Ich kenne nur Rom. Einmal war ich auch in Ostia, aber das ist schon eine Weile her. Ich habe euer Meer gesehen. Aber es ist nicht mit unserem zu vergleichen.


    Die hibernische See war besonders in den Wintermonaten unberechenbar und forderte jedes Jahr seinen Tribut unter den Fischern. Doch die Erinnerungen an meine Heimat schützten mich nicht vor seinen fragenden Blicken. Wieder war es mein neuer Name und mein Unvermögen, endlich zu akzeptieren, das es nun mein richtiger Name war, was ihn stutzig werden ließ und ihn zum Nachfragen brachte.


    Doch, eigentlich bin ich schon glücklich, diesen Namen tragen zu dürfen. Denn wenn ich ihn nicht tragen würde, dann hätte das vielleicht schlimme Folgen für mein Kind! Er ist nur noch so ungewohnt für mich, so römisch!
    Ich hoffte, ich hatte ihn damit nicht beleidigt. In letzter Zeit hatte ich nämlich die besondere Gabe, jemanden unwissend zu beleidigen, nur weil ich sagte, was ich dachte und fühlte.

    Wiegend und Tätschelnd war es mir gelungen, den Kleinen zu beruhigen. Meine Besucherin probierte derweil etwas von dem Brot. Interessiert richtete ich meinen Blick auf sie, während ich meinem Kind zärtlich die Stirn küsste. Ihre Frage verwunderte mich, aber ich begriff schnell, dass es als ein Kompliment gemeint sein musste. Der Koch und ich, wir waren nicht wirklich Freunde geworden. Er konnte deshalb getrost auf meine Hilfe verzichten und ich auf ihn.
    Nein, das würde ihn wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben, scherzte ich. Das Brot musste ihr wirklich geschmeckt haben, denn sie ließ nur einige Krümel davon übrig. Auch der keine Ring war nicht in ihrem Stück versteckt gewesen. Also konnte ich noch immer der Finder des Ringes werden und somit stiegen auch meine Chancen wieder auf eine baldige Heirat. Jetzt musste nur noch der Richtige vorbei schauen…
    Wegen meines Namens hatte ich sie neugierig gemacht. Aber jeder andere hätte sich auch nach meinem neuen Namen erkundigt! Von daher hatte ich mit dieser Frage gerechnet.


    Brigantica heiße ich jetzt.


    Das Flaviana hatte ich einfach unterschlagen. Sie hatte mir ja auch nur ihr Cognomen verraten. Wahrscheinlich wusste sie aber sowieso, wer ich war. Dass sie mich allerdings für eine Sklavin hielt, ahnte ich nicht. Wobei dies bis vor einigen Monaten gar nicht so abwegig gewesen war.
    Was in ihr vorging, als ich von einem Fest sprach, konnte ich nur ahnen. Ich wusste nicht, dass es bei den Römern ein ähnliches Totenfest gab, das man allerdings zu einer ganz anderen Jahreszeit feierte. Deswegen war mir Lemuria kein Begriff. Doch Samhain war nicht nur ein Totenfest. Es war auch ein Fest der Hoffnung und der Freude, auch wenn von beidem an diesem Abend bei mir nicht viel zu spüren war. Früher jedoch, als ich noch zu Hause lebte, war es anders gewesen. Da war es der Höhepunkt, bevor die dunkle Jahreszeit kam.


    Ich kenne euer Lemuria nicht. An Samhain versammelt sich immer das ganze Dorf und man entfacht ein großes Feuer. Das macht man, um die Geister, die einem nicht wohl gesonnen zu vertreiben und den Geister der Ahnen den Weg zu leuchten. Es gibt auch verschiedene Bräuche in der Familie. Einer davon ist dieses Brot. Es ist nicht einfach nur ein süßes Brot. Die Früchte darin erinnern an den Sommer der vergangen ist und der Ring, der darin verborgen ist, deutet darauf hin, was im nächsten Jahr geschieht. Wer ihn findet, der heiratet im nächsten Jahr. Auch der Apfel weiß, was die Zukunft bringt.


    Ich gab Epicharis auf ihre Bitte hin noch ein Stück Brot und deutete auf den Apfel, der noch unangetastet auf dem Tisch lag und den ich im Laufe des Abends noch aufschneiden wollte.


    Meine Aufgaben? Im Augenblick kümmere ich mich hauptsächlich um mein Kind. Ich kann es noch nicht alleine lassen. Deshalb trage ich es jeden Tag in einem Tragetuch mit mir. Früher war ich für Aquilius´ cubiculum zuständig. Jetzt kümmere ich mich zwar immer noch darum, aber nicht mehr in dem Maße, wie früher.


    Ihr Vorschlag, einmal als Bäckerin zu arbeiten, fand ich gar nicht so abwegig. Backen machte mir Spaß, allerdings nur, wenn ich nicht dutzende von Broten den ganzen Tag backen musste. Das hatte aber noch Zeit. Wegen meiner beruflichen Zukunft machte ich mir vorerst noch keine großen Gedanken. Zuerst musste mein Kind noch etwas größer werden.


    Der kleine Diarmuid lag nun wieder ganz friedlich in meinen Armen und himmelte mich an. Es hatte den Anschein, als liebte er seine Mama heiß und innig.
    Epicharis hatte wohl noch keine eigenen Kinder. Ihrem Blick konnte ich aber entnehmen, wie gerne sie ein Kind gehabt hätte. Als sie mich fragte, ab sie ihn einmal nehmen dürfe, zögerte ich erst kurz, reichte ihr aber dann mein Kind.

    Wir mussten gar nicht lange warten, bis man uns zu einem Mann, mittleren Alters führte, der, wie ich später erfuhr, der Praetor war.
    Ich wusste nur wenig bis gar nichts darüber, wie man vom Sklaven wieder zu einem freien Menschen wurde und warum uns Aquilius´ Klient begleiten musste.
    Als wir vor dem Praetor zum stehen kamen, herrschte betretene Stille. Niemand sagte etwas, bis der Praetor den Grund unseres Besuchs wissen wollte. Statt Aquilius, begann sein Klient zu sprechen. Ich wunderte mich nur noch, hörte aber auch gespannt zu, was jetzt passierte.
    Der Mann behauptete, ich sei frei, worauf Aquilius nichts erwiderte. Erst als der Praetor sich wieder zu Wort meldete, nickte Aquilius nur, nannte seinen Namen und bestätigte es damit. Dann sah er flüchtig zu mir her und ich stand nur da, mit offenem Mund und verstand die Welt nicht mehr. War es das, worauf ich so lange gehofft hatte, dass es mir eines Tages widerfuhr?
    Der Praetor meinte dann, ich wäre nun frei und fragte nach meinem Namen.
    Ich wusste, ich bekam mit der Freiheit einen neuen Namen. Einen römischen, der allerdings nichts anderes bedeutete, wie der, den ich bisher getragen hatte.


    Flaviana Brigantia, sagte ich unsicher und sah zu Aquilius, so als wartete ich auf eine Bestätigung damit ich auch ja nichts Falsches gesagt hatte.

    Die Kälte und der Zynismus, die in seinen wenigen Worten lagen und die seine ganze Abneigung mir gegenüber widerspiegelte, versetzten mir einen ordentlichen Schlag. Ich wusste es ja, ich hatte ihn gekränkt! Auch wenn ich ihn gar nicht kränken wollte. Doch er hatte meine Worte so aufgefasst. Vielleicht konnte ich ihm ja jetzt, nachdem einige Wochen vergangen waren, seit unserem letzten Treffen, begreiflich machen, wie ich es meinte, was ich gesagt hatte. Vielleicht gab er mir die Möglichkeit, mich zu erklären.
    Ich überhörte den Spott und nahm auf der gegenüberliegenden Bank Platz, stellte die Schale mit Essen vor mir ab, sah auf den Brei, dann zu meinem Kind, das in seinem Tragetuch selig schlief und dann zu Youen. Er wirkte verkrampft und angespannt. So, wie er im Augenblick da saß, gefiel er mir überhaupt nicht. Er stopfte überstürzt sein Essen in sich hinein um möglichst schnell fertig zu werden, damit er von mir weg kam.


    Möchtest du ihn einmal sehen? Er schläft gerade, fragte ich ihn freundlich und hoffte, ich könne mich ihm so wieder etwas annähern. Seit mein Kind auf der Welt war, gab es mir wieder Halt und ich empfand so etwas wie Freude und Zuversicht. Dieses kleine Bündel, das so eng an meinem Körper lag, hatte mir ein neues Leben beschert. Vielleicht konnte ein Funke davon auch auf Youen übergehen, wenn er das wollte.

    Die Frau nahm an der anderen Seite meines Tisches Platz. Sie wirkte freundlich, so hatte es den Anschein. Ich jedoch blieb stehen und betrachtete sie. Auf sie musste ich einen verängstigten Eindruck machen. Allerdings verlor ich mit der Zeit meine Angst. Das ließ mich auch wieder lockerer werden. Nach einer Weile erst, fragte sie, ob es mir recht sei. Was hätte ich darauf antworten sollen? Sie war mein Gast, dem ich meine Gastfreundschaft nicht entziehen konnte.


    Nein, bitte bleib doch!


    Ich beschloss, mich zu ihr zu setzen. Zwangsläufig fiel mir das süße Brot und der Apfel ins Auge. Es war Brauch, am Samhain Abend, gemeinsam vom Báirín breac, dem süßen Brot zu essen.


    Möchtest du ein Stück? Ich habe es selbst gebacken. Es schmeckt gut, das ist ein süßes Brot mit getrockneten Früchten darin, fragte ich sie. Bevor sie antworten konnte, nahm ich ein Messer und schnitt zwei Stücke ab und legte eines vor sie hin.


    Ja, Diarmuid ist ein keltischer Name. So heißt mein Vater.


    Der Kleine war mit einem Mal wieder munter und spielte mit seinen Händchen in der Luft. Ich wunderte mich, wie ruhig er dabei blieb. Sonst begann er immer bald darauf zu quengeln, wenn er erwachte. Solange er aber schön brav war, ließ ich ihn in der Wiege.


    Mein Name ist.., war Bridhe.


    Dieser neue Name war noch so ungewohnt und er klang gar nicht nach mir. Er klang eher nach einer Fremden.
    Epicharis, so war ihr Name.Er klang fremd in meinen Ohren. Ich hatte ihn noch nie gehört. Gab es eine Bedeutung dafür? Natürlich war sie Römerin. Danach musste ich nicht fragen. Mit Sicherheit war sie ein Mitglied der Familie.Wahrscheinlich war sie zu Besuch.
    Ihr hatte mein Gesang also gefallen. Da war sie nicht die einzige gewesen. Sie wollte wissen, worum es in diesem Lied ging. Ihr war überhaupt nicht bewusst gewesen, welcher Tag, oder besser gesagt, welche Nacht heute war. Natürlich hatte sie auch keine Ahnung, dass sie mitten in meine, wenn auch eher trist anmutende, Samhainfeier geplatzt war.


    Das Lied ist eigentlich gar nicht traurig. Es geht um das Fest, was wir heute Nacht feiern. Oíche Shamhna bedeutet Samhainabend. Es ist ein Kinderlied. Als ich klein war, haben meine Geschwister und ich es oft gesungen, antwortete ich lächelnd und biss ein Stück von dem Brot ab. Ich nahm an, Epicharis hatte noch nie vorher von Samhain gehört. Für die meisten Römer waren unsere Bräuche fremd und barbarisch.

    Samhain ist die Nacht, in der der Jahreskreis endet und wieder von neuem beginnt. Es ist der Abschied vom Sommer und der Einzug des Winters. In dieser Nacht sind uns die Toten ganz nah. Wir feiern mit ihnen.


    Der Kleine nahm es mir übel, dass ich ihm, trotz seines Erwachens kaum Beachtung geschenkt hatte. Ihm war langweilig geworden, in seiner Wiege. Deshalb glaubte er, es sei an der Zeit, sich bemerkbar zu machen, indem er anfing, zu schreien. Natürlich sprang ich gleich auf und nahm ihn zu mir. Ich wog ihn in meinen Armen und schon bald wurde aus seinem schreien ein leises wimmern und verstummte dann ganz.

    Die fremde Frau lächelte mich an und begann zu sprechen. Sie hatte wohl meinen Gesang gehört und sprach freundlich zu mir, was mich aber keineswegs unvorsichtig werden ließ. Mir blieb die innere Anspannung weiterhin erhalten und auch mein misstrauischer Blick.
    Die Fremde blickte an mir vorbei, in meine Kammer hinein. Sie sah, wie ich lebte und wo ich lebte. Ihr musste auch die Wiege neben meinem Bett aufgefallen sein, was ihre Aufmerksamkeit noch steigerte. Ihre Verwunderung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Schließlich bat sie um Einlass. Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht damit. Ich war einfach sprachlos und starrte sie wortlos an, so als hätte sie in einer mir unbekannten Sprache gesprochen. Das leise Niesen meines Kindes holte mich wieder zurück. Besorgt sah ich in die Richtung, in der die Wiege stand. Noch ehe ich etwas auf ihre Bitte erwidern konnte, trat sie ein und ging zur Wiege. Ich sah ihr mit einem unguten Gefühl nach. Ihr Eindringen hatte etwas Bedrohliches für mich, zumal sie sich meinem Kind näherte. Leise schloss ich wieder die Tür und trat zu ihr an die Wiege. Sie hatte sich zu meinem Kind hinunter gebeugt und besah es sich. Ihr offenes Haar fiel nach vorne. Dadurch konnte ich kaum noch ihr Gesicht sehen. Die alte Angst kam plötzlich wieder in mir hoch. War sie da, um mir mein Kind zu nehmen? Nein, das konnte sie nicht! Das durfte sie nicht! Aquilius würde das nicht zulassen! Aber was, wenn doch? Mein Körper verkrampfte und ich kämpfte mit mir, die Fassung nicht zu verlieren. Sie fragte, ob es mein Kind sei und wie es hieß.


    Ja, es ist mein Kind, sagte ich verkrampft. Mein Sohn. Er heißt..


    Ich geriet ins Stocken. Für seinen Vater war es der kleine Caius. Ich hatte meinem Kind den Namen meines Vaters gegeben und so nannte ich ihn auch, wenn Aquilius nicht da war.


    Er heißt Diarmuid*! antwortet ihr schließlich.


    Sim-Off:

    Gesprochen wie engl. Dermot!

    Sim-Off:

    Aber gerne doch! :) Da freue ich mich aber! :) Gut erzogen, wie ich nun mal bin, werde ich dir auch gleich öffnen! :D


    Mein Lied war verklungen in der Stille der Nacht. Ich schaute zu meinem Kind hinüber und hatte das Bedürfnis, zu ihm zu gehen. Es schlief friedlich in seiner Wege. Sanft strich ich ihm über sein zartes Köpfchen.
    Ein Klopfen an meiner Tür ließ mich auffahren. Hatte ich jemanden mit meinem Gesang gestört? Wenn, dann konnte es doch nur Aquilius sein! Allerdings hätte er wohl kaum angeklopft, sondern wäre einfach so eingetreten.
    Ich trat an die Tür und öffnete sie leise. Erstaunt schaute ich in ein Gesicht, das ich zuvor noch nicht gesehen hatte. Die Frage, wer das war stellte sich mir erst gar nicht. Die Frau sah nicht aus, als sei sie eine der Sklavinnen des Hauses. Dafür trug sie einen zu edlen Schmuck. Ich zögerte, ehe ich etwas sagen konnte. Falls ich sie gestört haben sollte, hätte sie sicher ihre Sklavin geschickt und hätte sich nicht selbst herab gelassen, um bei mir anzuklopfen.


    Ja, bitte? Was wünschst du? fragte ich endlich, damit das Schweigen gebrochen war. Immer noch sah ich die Dame mit verwunderten Augen an. Mir war dieser eigenartige Besuch nicht ganz geheuer. Die Erfahrungen der Vergangenheit hatte mich gelehrt, Vorsicht gegenüber jedem den römischen Hausbewohner walten zu lassen. Jedes Wort, jede Bewegung, jede Handlung konnte ein Fehler sein. Severus nannte dieses Haus einmal eine Schlangengrube. Damals wusste ich nicht was Schlangen waren und was er damit gemeint haben könnte. Für jemanden, der nie zuvor eine Schlange gesehen hatte, war es nur schwer nachvollziehbar, wie es in einer ihrer Gruben war. Heute wusste ich es. Selbst jetzt noch, nach meiner Freilassung dachte ich so. Vielleicht tat ich der Dame mit dieser Ansicht sogar unrecht. Ich kannte sie ja auch gar nicht.

    In aller Abgeschiedenheit wollte ich das Fest in diesem Jahr begehen. Mit wem sollte ich auch feiern? Nur die Toten und ich. Es gab genug, denen ich gedenken konnte. Neine Mutter, meine Schwester, Freunde, die ich einst hatte und die gestorben waren, wie auch Micipsa, der erst wenige Wochen hinübergegangen war. Es gab aber auch Geister der Vergangenheit, die mir noch immer allgegenwärtig waren. Auch wenn sie nicht wirklich tot waren, so waren sie doch unerreichbar für mich. Ich entzündete die Kerze und blickte in die tanzende Flamme. Das Kind schlief. Es lag in seiner Wiege. Ich sang ein Lied vor mich hin.


    Oíche Shamhna, Oíche Shamhna,
    Aon, dó, trí.
    Cailleach agus Púca
    ina suí.
    Úlla agus cnónna,
    deoch bheag oráiste.
    Éadaí grinn le gléasadh suas.
    Tá na páistí sásta.
    Báirín breac álainn
    i gcomhair an tae.
    Fáinne beag istigh ann.
    Gheobhaidh mise é.


    Ein Lied, das die Kinder in meiner Heimat an Samhain immer sangen und das auch ich und meine Geschwister früher gesungen. Dabei fiel mir ein, wie lange es schon her war, seit ich es zum letzten Mal gesungen hatte.

    Ich zog es vor, immer etwas später in den Speisesaal zu gehen. Dann war ich meist allein, verschont von all den neugierigen Blicken, die auf meinem Kind und mir lasteten. Ich trug mein Kind in seinem Tragetuch, eng an meinen Körper gebunden. So hatte es immer die nötige Wärme, die es brauchte und ich hatte es immer bei mir, wenn ich arbeitete. Üblicherweise aß ich eine Kleinigkeit und stillte dann anschließend mein Kind. Dabei wollte ich gerne ungestört sein.
    Nachdem die große Masse der Sklaven bereits gegessen hatte, fand ich den Speisesaal fast leer vor. Ich ließ mir meine Ration in ein Schälchen geben. Hirsebrei mit Obst gab es heute. Mein Essen war etwas reichhaltiger und etwas besser, als das, was die meisten Sklaven bekamen. Ich sollte jetzt für zwei essen, hatte Cungah mit erhobenem Zeigefinger zu mir gesagt, denn ich musste ja jetzt auch mein Kind versorgen.
    Mit dem Schälchen in der Hand suchte ich mir einen Platz, an den ich mich setzten konnte und an dem ich in Ruhe essen konnte. Geschützt, in einer Ecke, wollte ich mich niederlassen, um zu essen.
    An einem der Tische erkannte ich Youen. Eigentlich wollte ich für mich alleine bleiben. Aber bei Youens Anblick plagte mich mein schlechtes Gewissen. Bei unserem letzten Zusammentreffen hatte ich ihn verletzt, mit dem, was ich gesagt hatte. Mir war es erst gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ich ihn getroffen hatte. Ich hatte ihm doch nur gesagt, meinem Kind solle es nicht so ergehen, wie es ihm ergangen ist, als man ihn als Kind von seiner Mutter trennte und verkaufte. Seitdem war einige Zeit vergangen. Es tat mir leid, dass er mit mir böse war und mich die letzten Wochen einfach übersah. Er war einer der wenigen Sklaven gewesen, mit denen mich eine Art Freundschaft verband. Diese Freundschaft schien nun vorbei zu sein, wie so vieles!
    Ich fragte mich, ob ich mich nicht zu ihm setzten sollte. Entschlossen trat ich zu ihm.


    Darf ich mich zu dir setzten?


    Umgeben von vier Wänden aus Stein. Das Flackern einer einzelnen Kerze, statt eines großen Feuers. Allein, zu zweit. Ein Jahr war vergangen, ein Neues stand vor der Tür und wollte beginnen.
    Wehmütig dachte ich an das letzte Samhain zurück. Ein Fest der Sklaven war es gewesen, im aurelischen Garten. Ein großes Feuer hatte gebrannt, als wir den Toten gedachten. Vieles war seitdem geschehen. Das Jahr hatte genommen und gegeben.


    In diesem Jahr war alles anders. Der, den ich einst geliebt hatte, hatte sich von mir abgewandt. Ich war allein und doch hatte ein neues Leben in meinem Herzen Platz gefunden. Mein Kind war zu dem wichtigsten Teil meines Lebens geworden. Ich war frei und doch hatte ich nicht den Heimweg angetreten. Wie ein Vogel war ich, der lange Zeit in einem Käfig leben musste und ihn nicht verließ, als endlich die Tür seines Gefängnisses geöffnet worden war.


    Ein Tisch. Ein Apfel. Ein süßes Brot. Ein Ring war darin verborgen. Wer ihn findet, wird im nächsten Jahr heiraten. So hieß es.
    Ich würde der Finder in diesem Jahr sein, denn ich war allein.

    Es erstaunte mich schon ein wenig, als er meinte, er hätte von Hibernia bereits gehört. Offenbar war die Insel im äußeren Nordwesten doch mehr Menschen geläufig, als ich es mir vorgestellt hatte, obwohl sie nicht zum Imperium gehörte. In wie weit das beunruhigend war, darüber hatte ich mir nie Gedanken gemacht. Ich freute mich immer, wenn ich jemanden traf, der etwas über meine Heimat wusste oder noch mehr wissen wollte. Ein Hibernia unter römischer Herrschaft, konnte ich mir genauso wenig vorstellen. Wahrscheinlich hätte es einige tiefgreifende Veränderungen mit sich gebracht. Also war nur zu hoffen, Érinn würde noch lange den Dornröschenschlaf im Bewußtseins der Römer schlafen.
    Eigenartigerweise glaubten alle, die nie in Hibernia gewesen waren, dort sei es furchtbar kalt und alles erstarre dort in Eis und Schnee. Aber so war es nicht! Ganz und gar nicht! Für einen Menschen, der die Sonne des Südens gewohnt war, musste unser Sommer vielleicht wie ein Hohn wirken. Doch unsere Winter waren recht mild und selten bedeckte Schnee die Erde für eine längere Zeit.


    Nein, eigentlich nicht, widersprach ich und lächelte unterschwellig.


    Im Sommer ist es nicht zu heiß und im Winter nicht zu kalt. Wir haben viel Regen und am Meer weht ständig eine frische Brise. Das Wetter ist wechselhaft, aber richtig kalt ist es wirklich nur ganz selten.


    Besonders in der Hitze des Sommers, hatte ich mich oft zurück nach Hause gesehnt. Zu viel Sonne vertrug ich nicht. Meine Haut rötete sich dann immer und bei jeder Berührung schmerzte sie dann. Doch den römischen Herbst, mit seinen milderen Temperaturen mochte ich.


    Natürlich hatte mein Interesse geweckt. Jetzt sah er mich fragend an und forderte eine Erklärung.


    Bridhe, das ist mein alter Name, den mir meine Mutter gab. Jetzt trage ich einen anderen und…


    Ich zögerte einen Moment. Dieser neue Name war, als hätte man mir ein Stück von mir selbst genommen. Allerdings hatte man mir dafür auch etwas gegeben. Im Grunde war es ja nur die latinisierte Form meines Namens. Also hieß ich immer noch Bridhe. Man sprach es nur anders aus.


    …und ich habe mich noch nicht so richtig daran gewöhnt.

    *räusper* Wer zu spät kommt, den bestraft die Leber, äh das Leben :D
    Nein, das ist natürlich Quatsch!
    Lieber zu spät, als nie! 8)



    Happy birthday! :) [SIZE=7]...auch wenn es schlappe drei Wochen zu spät kommt, ... kommt es aber von Herzen[/SIZE]

    Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich diese Stadt aus einer Sänfte heraus gesehen. Es war ein ungewohntes Gefühl, zumal es mir unangenehm war, dass die Sänftenträger mich durch die Stadt zu unserem Ziel schleppen mussten. Allerding hätte ich diese Strecke in meinem Zustand laufen müssen, dann hätte ich wahrscheinlich bereits nach wenigen Schritten aufgeben müssen. So war es dann doch besser.
    Ich war anscheinend nicht die Einzige, die aufgeregt war. Wenn ich es alleine gewesen wäre, hätte das bestimmt jeder verstehen können. Außerdem hatte ich ja keine Ahnung, was noch alles auf mich zu kam. Von dem ganzen Prozedere wusste ich rein gar nichts.


    Die Sänfte hielt vor einem großen Gebäude, dessen Namen ich nicht kannte. Es sah nur sehr groß und eindrucksvoll aus. Dort trafen wir einen Mann, den ich auch nicht kannte, der uns aber begleitete.
    Aquilius nahm mich bei der Hand. Das gab mir wieder Sicherheit, mich hier in dieser ungewohnten Umgebung nicht ganz so fremd zu fühlen. Ich sah mich zaghaft um und folgte ihm in das Gebäude. Offenbar waren wir nicht die Einzigen, die heute hier her gekommen waren, um verschiedene Geschäfte zu erledigen.
    Ich musste wahrscheinlich wie ein verängstigtes Tier wirken, das man eingefangen hatte und nun zu Schau stellte. Zu meiner Unsicherheit gesellte sich jetzt auch noch so etwas, wie Angst. Weswegen wusste ich auch nicht.

    Ich hatte wieder die Augen geschlossen und streckte mein Gesicht, der Sonne entgegen. Es war so schön, hier zu sitzen und ihre letzten kraftvollen Strahlen einzufangen. Auch mein Kleines hatte ein Einsehen mit mir, denn es schenkte mir ein Stück Unbekümmertheit, indem es brav schlief und einmal nicht seine Mutter auf Trab hielt. Die letzte Nacht war anstrengend gewesen. Der Kleine hatte die halbe Nacht geschrien. In den frühen Morgenstunden hatte ich ihn dann doch noch besänftigen können. Dann hatte auch ich wenigstens einige Stunden Schlaf gefunden.
    Das alles war aber nun vergessen. Das Bild des friedlich schlafenden Kindes entschädigte für so manche Strapaze.


    Der junge Mann hatte neben mir Platz genommen. Hätte ich die Augen geöffnet, dann hätte ich wahrscheinlich bemerkt, wie seine Blicke mich streiften. So hatte ich es nicht bemerkt und sah erst zu ihm hin, als er mich ansprach. Seine vorsichtig formulierte Frage ließ mich schmunzeln. Wahrscheinlich war er seiner Sache nicht sicher, obwohl doch mein Akkzent mich bereits mit dem ersten Wort verraten haben musste. Eine echte Römerin hätte jetzt wahrscheinlich lauthals protestiert. Vor mit hatte er aber nichts zu befürchten. Ich schüttelte den Kopf.


    Nein, das bin ich nicht. Ich komme von weit her. Von der Insel, westlich von Britannia. Ihr nennt meine Heimat Hibernia.


    Jetzt wollte ich ihn schon nach seiner Herkunft fragen, doch die Frage erübrigte sich. Er verriet mir seinen Namen, der jeden Zweifel ausschloss. Im ersten Augenblick war ich etwas verdutzt und wusste nicht, wie ich mich geben sollte. Auch sein Angebot, ihn mit seinem Praenomen anzusprechen, minderte das nicht. Ich kannte ihn doch gar nicht. Aber warum nicht!


    Mein Name ist Bridhe, äh ich meine...


    Ich hatte immer noch Schwierigkeiten mit diesem neuen Namen. Er kam noch nicht selbstverständlich über meine Lippen.

    Einfach die Seele baumeln lassen. Die wärmenden Strahlen der Sonne taten ihr Übriges, um das möglich zu machen. Ich wusste nicht, wie lange ich auf der Bank saß und mich sonnte. Eins wusste ich aber, die Unbefangenheit, mit der ich das tat, wäre in der Villa nicht möglich gewesen. In diesem Park lauerte mir wohl niemand auf, der mich dann auch noch zur Rede stellte, warum ich so untätig herum saß. So fühlte sich Freiheit an! Es war eine andere Freiheit, wie ich sie früher gekannt hatte und doch gab es Parallelen. Meinem Kind zuliebe hatte ich endgültig auf mein altes Leben verzichtet. Manchmal, wenn ich alleine war, wollte es mich zerreißen. Aber nicht jetzt! Die Herbstsonne Italiens war doch noch um einiges stärker als die meiner Heimat. Und doch misste ich manchmal das kühle, nasse Klima Érinns. Der Nebel, der am Morgen vom Meer her über das Land zog und der meist am Mittag wieder verschwunden war.
    Hier saß ich nun friedlich, mit geschlossenen Augen und nichts konnte mich aus der Ruhe bringen. Selbst mein Kind nicht. Es schlief ruhig. Noch früh genug würde es seinen Teil fordern. Bis dahin konnte aber noch einige Zeit vergehen, so Brigid wollte.
    Wirklich nichts konnte mich aus der Ruhe bringen? Die leise, Stimme eines Mannes vermochte es. Natürlich hätte ich es wissen müssen, nicht die Einzige zu sein, die an diesem schönen Herbsttag den Park aufsuchte. Ich schlug die Augen auf und erkannte einen freundlich dreinblickenden jungen Mann. Dem Aussehen nach vermutete ich, er sei in etwa gleichaltrig. Er war nur mit einer Tunika bekleidet, was mich vermuten ließ, es handelte sich bei ihm um keinen Römer. Wahrscheinlich hätte Aquilius das Haus niemals ohne eine Toga verlassen.


    Aber bitte! Es ist genug Platz für uns drei.


    Ich lächelte ihm ebenfalls freundlich zu und rückte ein Stück zur Seite, damit er sich setzen konnte. Wahrscheinlich war ihm mein nicht zu verbergender Akzent aufgefallen, der ihm verraten musste, dass Rom nicht meine eigentliche Heimat war.
    Meine Schüchternheit verhinderte es zudem, mich dem Fremden weiter zu öffnen. Statt mit ihm ein Gespräch anzufangen, wollte ich doch lieber wieder die Sonne genießen. Aber auch das gelang mir nicht, denn das betretene Schweigen, das zwischen uns herrschte, gefiel mir auch nicht.


    Schönes Wetter heute, sagte ich schließlich sinnigerweise.

    Das Laub der Bäume begann sich in den schönsten Farben des Herbstes zu färben. Ein Mix aus gelb, rot und braun schmückte die Gärten und Parks der Stadt. Der Sommer ging und eine neue Jahreszeit hielt klammheimlich ihren Einzug. Noch schien die Sonne und man konnte meinen, sie wolle am Sommer festhalten. Aber bei genauem Hinsehen konnte man feststellen, dass sie längst nicht mehr die Kraft aufbrachte, die sie noch vor wenigen Wochen hatte. Es bot sich an, das Haus nicht ohne eine palla zu verlassen.


    Ich hatte mich gut von der Geburt meines Kindes erholt und auch mein kleiner Sohn entwickelte sich prächtig. Keine einzige Minute des Tages wollte ich ihn hergeben. Er war stets bei mir, Tag und Nacht. In der Nacht schlief er in meinen Armen. Am Tage trug ich ihn in einem Tragetuch aus Leinen dicht an meinem Körper. So war ich immer für ihn da, wenn er etwas brauchte. Ich ging in meiner Rolle als Mutter auf. Im Nu hatte ich mich in die kleinen braunen Augen und das kleine Näschen und das süße Lächeln verliebt. Er war ein Geschenk der Götter, wenn ich mich auch manchmal fragte, ob es eher die römischen Götter waren oder doch meine eigenen.


    An diesem goldenen Herbsttag verließ ich Villa zum ersten Mal, ohne einen bestimmten Auftrag zu haben. Ich verließ sie, weil ich es wollte. Es war schon ein seltsames Gefühl. Mein Weg führte mich durch die Straßen, die ich kannte. Doch diesmal waren nicht die Märkte mein Ziel. Ein Park hatte meine Aufmerksamkeit gewonnen. Vielleicht waren es die bunten Farben des Herbstlaubes oder der fröhliche Gesang der Vögel, die mich verführt hatten, näher zu treten. Ich ging ein paar Schritte und sah, welche Ausmaße der Park hatte. Hier wollte ich eine Weile bleiben und das schöne Wetter genießen. Auf einer steinernen Bank ließ ich mich nieder und kostete die Sonnenstrahlen aus, während mein Kind friedlich schlief. Wie schön doch diese Welt hier draußen war! Und wie schön das Leben sein konnte!



    Sim-Off:

    Wer mag? :)

    Ich meinte es wirklich so, wie ich es sagte. Ich war glücklich und ich freute mich tatsächlich. Manchmal hatte ich geglaubt, Glück und Freude gäbe es nicht mehr für mich. Im Laufe der Zeit, seit ich in Rom war, hatten sich an und in mir einige unsichtbare Narben angesammelt. Für andere nicht sichtbar, spürte ich sie ständig in mir. Die schmerzvollsten saßen in meinem Herzen. Ich war dazu verdammt, mit ihnen bis an mein Lebensende zu leben. Doch ich hatte gelernt, mich mit ihnen zu arrangieren. Mir blieb ja nichts anderes übrig. Vielleicht würde mir mein Kind dabei helfen, den schlimmsten Schmerz zu überwinden. Vielleicht würde es eine Lücke füllen. Eine Lücke, die eigentlich ein Abgrund war, im Inneren meines Herzens.
    Ich wusste nicht, was sich alles mit meiner Freilassung änderte, wenn ich als Freie in dieses Haus zurückkehrte. Im Grund war ich danach immer noch dieselbe. Äußerlich würde sich nichts an mir ändern. Man würde sich mir gegenüber vielleicht anders verhalten. Die Sklaven würden mich vielleicht mit anderen Augen sehen, obwohl ich das gar nicht wollte. Ich war nichts Besonderes und wollte es auch gar nicht sein. Einzig die Herrschaften würden ihr Verhalten mir gegenüber nicht ändern, glaubte ich. Eher würde es schneien, im August! Für sie spielte es keine Rolle, ob ich jetzt frei war oder nicht. Aber das machte mir nicht viel aus. Ich würde versuchen, ihnen so gut es ging, aus dem Weg zu gehen,so wie ich es vorher getan hatte, wenn auch nicht immer erfolgreich.


    Aquilius drückte mich noch einmal leicht an sich und dann gingen wir langsam zur Tür. Ich wollte es immer noch nicht richtig wahrhaben. Es fühlte sich fast wie ein Traum an und ich fürchtete mich davon, aufzuwachen.
    Dieses Haus verließ ich zum letzten Mal als Sklavin. Ein sehr ungewohnter Gedanke. So ungewohnt, wie das Leben, das auf mich wartete.
    Dem was er mir beim gehen sagte, schenkte ich meine ganze Aufmerksamkeit. Ich verstand, was er mir damit sagen wollte und es gab mir neuen Mut, dieses neue Leben mit Freuden zu begrüßen und nicht ängstlich davor weg zu laufen. In diesem Moment wusste ich, ich war nicht alleine, weder in meiner neuen Rolle als Mutter, in die ich schon bald schlüpfen würde als auch in anderen Belangen.


    Ich werde nicht aufgeben! Das verspreche ich dir. Ich werde unserem Kind all meine Liebe geben und es zu guten, aufrechten Menschen erziehen und ich werde bei dir bleiben, solange du es willst.


    Eine kleine Träne hatte sich in mein Auge verirrt. Es musste eine Freudenträne sein. Ich sah mich noch einmal um, ein letzter Blick zurück in sein Arbeitszimmer, in dem ich oft genug in weitaus unangenehmeren Situationen gestanden hatte. Das war jetzt vorbei. Die Tür schloss sich hinter mir und wir gingen gemächlich zu der Sänfte, die auf uns wartete.