Beiträge von Flaviana Brigantica

    Schlagartig verschwand das Lachen aus meinem Gesicht, als Epicharis´ Stimme sich änderte. Hatte ich etwas falsches gesagt? Aber ich merkte gleich darauf, es war nur als Scherz gemeint. Das war sehr aufregend. Wahrscheinlich weil es einen Neuanfang darstellte. Ganz alleine auf eigenen Beinen zu stehen, das war ungewohnt. Deswegen machte ich mir auch ein bisschen Sorgen, denn es war so vieles, an das man denken musste und ja, es stellte eine Herausforderung dar, die erst noch gemeistert werden musste. Das Leben hier war ganz anders, alsdas,was ich früher kannte. Ob ich das alles alleine schaffte? Wohl kaum! Ich verfügte über keinerlei Mittel und noch weniger Erfahrung. Was, wenn niemand mein Brot kaufen wollte?
    Epicharis klang so zuversichtlich und überschüttete mich mit Informationen, so als wolle sie gleich anfangen. Sie war kaum zu halten! Vor allem sagte sie immer "wir". Sie und ich?


    Ja das könnten wir, antwortete ich ihr unsicher. Das kam alles sehr überraschend für mich. Vor mehr als einer Stunde war ich noch eine Frau ohne große Perspektive gewesen. Jetzt schon fast eine Bäckeribesitzerin. Das musste sich erst setzten. Morgen sah das vielleicht schon anders aus, wenn ich es richtig realisieren konnte.


    Was ist denn mit meinem Namen?


    "Bridhes Bäckerei" war jetzt nicht wirklich originell. Aber andererseits das war doch mein Name!

    Die erwartungsvollen Gesichter als ich das Triclinium betreten hatte, gaben mir einen Moment der Zufriedenheit. Genau das war der Lohn für den harten Tag in der Küche, die freudigen Blick, beim Anblick der leckeren Happen, die lediglich nur eine Vorhut dessen waren, was noch kommen sollte. Jedoch allzu lange war es mir nicht vergönnt, so zufrieden da zu stehen. Als wie aus dem Nichts dieser Sklave auftauchte, wollte mein Herz stehen blieben. Diesen Mann hatte ich schon einmal gesehen. Auch noch nach Jahren würde ich sein Gesicht nicht vergessen und als er dann noch das Geheimnis um seine Person lüftete, wer er war, da war ich mir vollkommen sicher, dass ich recht hatte. Es war zwar schon mehr als ein Jahr her, aber diejenigen, die mir nach dem Leben getrachtet hatten, vergaß ich nicht so schnell. Vielleicht mochte er sich meiner gar nicht mehr erinnern. Ich aber kannte ihn und mir war es, als spürte ich sein Messer immer noch an meiner Kehle.
    Ich hatte Mühe, die Panik, die in mir entstand, zu verbergen. Nur schnell weg hier! Als Epicharis dann auch noch meinen Namen nannte und ihre Hilfe anbot, hätte ich mich am liebsten in einer Ecke versteckt, wo niemand mich finden konnte.


    Ach, nein, nein. Das schaffen wir schon, sagte ich ruhig. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Wahrscheinlich wäre auch Aristides in seinem Stolz getroffen worden, wenn seine Frau nun auch noch in der Küche half.
    Ich lächelte etwas gequält und trat dann sofort den Rückzug in die Küche an, ehe Furianus´ Sklave mich noch richtig wahrnahm und sich erinnerte.
    Aristides kam mir mit dem nächsten Tablett schon entgegen. Dann konnte ich also ohne weiteres in der Küche verschwinden. So kam ich dann auch nicht in die Verlegenheit, Gracchus´ Frau, Antonia zu begegnen, mit der ich auch ungute Erinnerungen verband.

    Ich versuchte zu lächeln, wenn das überhaupt ging, denn mein Blick war eher ehrfürchtig. Es war gar nicht so einfach, zwanghaft die Mundwinkel nach oben zu schieben. Nicht etwa, weil ich mich über die eigenartige Aussprache lustig machen wollte. Mir war ja bewusst, woran das lag. Meine Aussprache und mein Tonfall mussten auch ungewohnt für römische Ohren klingen.


    Gracchus, sagte ich schließlich schüchtern und wartete ab, was daraufhin passierte. Es passierte gar nichts! Das waren die Saturnalien und mein Gegenüber war ein Anhänger dieses Festes. Ob er es auch noch wenn er selbst aktiv werden musste, denn dieses Fest konnte auch sehr leicht unangenehme Formen annehmen, sollte sich am heutigen Tag noch zeigen.
    Der Flavier betrachtete andächtig die Rübe, die von mir geschält worden war. Dann nahm er sich ein Herz und versuchte es selbst einmal. Mir war es nicht entgangen, wie unangenehm es ihm sein musste, wenn ich ihm dabei zu sah. Artig nickte ich ihm zu und verdrückte mich wieder zu meinem Brotteig.
    Einstweilen knetete ich den Teig gut durch und formte kleine Leiber daraus. Immer wieder warf ich kurze unauffällige Blicke zu Gracchus und Aristides hinüber. Der eine schälte die Rüben, bis fast nichts mehr von der Rübe übrig war und der andere quälte das Huhn, das zu seinem Glück eh schon tot war. Ein wahres Küchenidyll! Ich musste schmunzeln. Das hätte ich niemals gedacht, den heutigen Tag mit Gracchus und Aristides gemeinsam in der Küche zu verbringen.
    Dann aber geschah etwas, was mich ganz schnell wieder in die Realität zurück brachte. Ich hörte nur ein gestöhntes "Marcus" und schon kippte der Pontifex aus den Sandalen. Ich ließ ab von meinem Brot und rannte zu Gracchus. Auch Aristides war sofort zur Stelle und hatte seinen Verwandten aufgefangen. War das etwas, was mit seiner Krankheit zu tun hatte? Einfach so wurde man doch nicht ohnmächtig!


    Ich weiß nicht! Eben hat er noch die Rüben geschält und jetzt. Oh sieh nur, da ist Blut!


    Ich deutete auf einige rote Flecke am Boden und fand auch schnell heraus, woher sie stammten. Er hatte sich in den Finger geschnitten. Einfach nur geschnitten und fiel dann in Ohnmacht? Jetzt begriff ich, Gracchus entstammte einer anderen Welt, fernab jeder Realität.
    Ich stand ziemlich hilflos daneben, während Aristides versuchte, seinen Vetter anzusprechen. Aber das alleine nützte nichts. Was konnte ich nur tun? Das Fest stand auf dem Spiel! Etwas scharfes zum riechen! Ja! Aber was denn? Was gab es da? Ich strengte mein Hirn an und versuchte krampfhaft zu überlegen, was in diesem Fall half.


    Ähm, wie heisst das noch gleich?


    Mir fiel nur das hibernische Wort dafür ein. So etwas gab es doch in jeder Küche, in der auch gebacken wurde. Erst kürzlich hatte ich doch das Früchtebrot gebacken. Da hatte ich es auch gebraucht. Ich sah bei den Backzutaten in der Speisekammer nach und wurde dort auch schnell fündig.Ich rannte wieder zurück zu dem Bewusstlosen. Etwas von dem weißen Pulver hatte ich in ein Schälchen gefüllt.


    Hier, das hilft! Das ist, ähm Salz vom Horn eines Hirsches.

    Nicht nur mir, auch Youen war die Erleichterung anzusehen. Wahrscheinlich hätte er sich jetzt wieder seinem Essen gewidmet,hätte da nicht meine letzte Bemerkung noch im Raum gestanden. Er hatte richtig gehört, ich wollte gehen. Ich konnte jetzt gehen, auch wenn ich nicht wusste, wohin es mich führen würde. Die Welt da draußen war immer noch so fremd für mich. Dieser Welt als Sklavin zu begegnen, hatte ich lernen müssen. Jetzt, auf eigenen Füßen stehen zu müssen, war etwas Neues für mich. Diese scheinbar vertraute Welt, sah auf einmal ganz anders aus. Ich hatte nichts außer meinem Kind und mir selbst. Das war nicht gerade viel, um die nächsten Wochen zu überleben. Der Winter war auch nicht zu unterschätzen.


    Ja, ich werde gehen.


    Das klang so selbstverständlich, als ob es nichts anderes gäbe und doch musste ich mit mir kämpfen, die Fassung nicht zu verlieren. Das es einmal so weit kommen würde, hätte ich mir niemals träumen lassen.


    Oder was glaubst du, wie lange man mich und mein Kind hier noch dulden wird? Für mich gibt es hier nichts mehr. Aquilius hat sich aufs Land zurückgezogen und hat uns nicht mitgenommen. Ich werde hier nicht mehr gebraucht.


    Das hatte ich mir eingestehen müssen, so schmerzlich dies auch war. Diesen hatte ich mir Schritt gut überlegt. Betteln wollte ich nicht. Ein bisschen Stolz war mir noch geblieben.

    Nach mehreren Stunden harter Arbeit, glich die Küche mehr einem Schlachtfeld. Viel Blut und Schweiß war vergossen worden und nicht alle Lebensmittel, die zur Verköstigung der Saturnaliengäste dienen sollten, waren durchgekommen. Aber eines konnten wir behaupten, es gab keine Gefangenen! Jeder Fisch, jede Muschel, jede Ente und jede Gans, ja sogar jedes einzelne Gemüse war verarbeitet worden. Inwieweit das Resultat den Gästen munden würde, blieb abzuwarten. Doch wir hatten unser bestes gegeben und würden es auch weiterhin tun, bis der letzte Hunger und das letzte Gelüst der illustren Runde im Triclinium gestillt war.


    Als ob ich es geahnt hätte, dass man mich oder zumindest die Vorspeise sehnlichst erwartete, griff ich beherzt zu einem großen Tablett bestapelte dies mit einem großen Brotkorb, in dem das frischgebackene Brot lag, das ich am Morgen gebacken hatte. Meine Mitstreiter hatten verschiedene Kleinigkeiten in Schälchen gefüllt, die uns als amuse bouche sinnvoll erschienen. Gefüllte Oliven, Feigen im Speckmantel, gefüllte Sardellenröllchen, um nur einiges zu nennen. Dafür, dass wir uns ab dem heutigen Tage Freizeitköche nennen konnten, war dies ein gelungener Auftakt zu einem Mahl, das die eine oder andere Überraschung noch bereithielt.
    Ich schlug den Weg zum Triclinium ein, von wo aus man schon ein Stimmengewirr vernehmen konnte. Außer den beiden Helden in der Küche, waren die Herrschaften vollzählig. Oh nein, die Dame des Hauses fehlte noch und deren kleiner Filius. Meiner lag friedlich in der Küche und schlief, was ich unter anderem den hilfreichen Tipps von Aristides zu verdanken hatte. Ob alle geladenen Sklaven anwesend warten, konnte ich nicht so richtig beurteilen. Doch noch länger zu warten, wäre womöglich fatal gewesen. Niemals hätten wir es verantworten können, wäre einer der Gäste verhungert.


    Io Saturnalia! rief ich allen, die dort saßen und lagen, fröhlich zu. Trotz das ich fast den ganzen Tag in der Küche gestanden hatte, war ich guter Stimmung und freute mich jetzt richtig auf das gemeinsame Essen. Ich lud das Tablett auf dem Tischchen in der Mitte ab.


    Bitte greift zu! Es gibt noch reichlich!


    Bevor ich wieder in der Küche verschwand, blieb ich noch einen Moment stehen um zu schauen, wie der erste Streich unseres Werkes ankam.

    Forschend sah ich in sein Gesicht, das nur noch ratloser wirkte. Ich wusste, er hatte seine Ansichten und ich hatte meine. Mein Bestreben war es auch nicht, ihm meine Ansichten aufzudrängen. Ich bat ihn nur darum, zu verstehen, warum ich sagte, was ich gesagt hatte. Auch wenn er mir jetzt für immer böse sein sollte, konnte ich es nicht ändern. Ich wollte einzig und alleine, dass niemand Groll gegen mich hatte, wenn ich nun mein Leben selbst in die Hand nahm.
    Hier im Speisesaal der Sklaven war so manches widerfahren und hier hatten wir uns kennen gelernt, vor scheinbar ewig langer Zeit. Damals war ich am Tiefpunkt meines Lebens angelangt. Ich hatte alles, von dem wenigen, was ich noch besessen hatte, verloren. Nur mein Leben, das ich versucht hatte, wegzuwerfen, war mir noch geblieben. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich darauf getrost verzichten können, weil ich noch nicht ahnen konnte, dass bereit ein neues Leben in mit keimte. Hier und heute sollte das, was damals begonnen hatte, nicht enden! Ähnlich wie damals stand ich heute erneut wieder an einem Scheideweg. Nur die Gegebenheiten waren andere. Der Vater meines Kindes hatte es vorgezogen, sich aufs Land zurückzuziehen und hatte mich zurückgelassen. Deswegen konnte ich ihm nicht böse sein, denn das wäre zu vermessen gewesen. Tief in mir drinnen tat es mir aber weh, dass das Lächeln seines kleinen Sohnes ihn nicht erweichen vermocht hatte.
    Ich hatte es satt, ewig die Verlassene zu sein, alles was ich wollte, war ein bisschen Glück. Außerdem hielt ich es nicht für richtig, noch länger hier zu bleiben und in diesem Haus zu wohnen, in dem es eigentlich für mich keinen Grund mehr zur Duldung gab.


    Plötzlich begann sich Youen zu regen. Versöhnliche Worte waren es, die aus seinem Mund kamen auch wenn seine Physiognomie nicht so recht dazu passen wollte. Vergessen und vergeben? Ich brach nicht in Freude aus. Ich umarmte ihn auch nicht aus Dankbarkeit. Ich lächelte nur zufrieden. Mehr konnte ich nicht erwarten.


    Danke Youen! Dann kann ich beruhigt gehen.

    Vermutlich mussten erst Tage wie die der Saturnalien heran brechen, um die wahren Menschen, die hinter den Flaviern steckten, hervorzubringen. Ich hatte Arisitides bisher nur in seiner Rolle als despotischen Herrn wahrgenommen, hinter dessen scheinbarer Freundlichkeit sich seine ganze Gefährlichkeit versteckt hatte. Jetzt erlebte ich ihn ganz anders, als freundlich netten Mann, der mich ohne Hintergedanken in seiner Nähe duldete. Dass er es damals, als ich ihm bei seinem Mahl Gesellschaft leisten musste, auch anders gewesen sein konnte, war aus meinem damaligen Blickwinkel nicht ersichtlich gewesen. Dieser ganzen Familie ging ein gewisser Ruf voraus und wenn man ihnen auch noch rechtlos ausgeliefert war, dann lebte man in ständiger Sorge um sein eigenes Wohlergehen.
    An seiner Reaktion war es leicht, festzustellen, wie unbedeutend für ihn dieser Vorfall vor einigen Monaten gewesen sein musste. Er konnte sich schon gar nicht mehr daran erinnern. Das war für mich Anlass, einen Schlussstrich darunter zu ziehen und ein neues Kapitel aufzuschlagen. Unmerklich fiel die Furcht, die ich zu Beginn in Gegenwart dieses Mannes gefühlt hatte, ab. Er war ein ganz normaler Mensch und allem Anschein nach, heilfroh, mich getroffen zu haben, denn mit seiner Kochkunst schien es nicht weit her zu sein. Ich hatte keine Ahnung, wovon sich einfache Soldaten ernährten. Mit Sicherheit waren es keine Gänse und Enten, die sie tagtäglich in ihren Kochtöpfen versenkten.


    Nein, mit Enten und Gänsen habe ich keine Probleme, gab ich grinsend und weitaus gelöster, zu. Sah man einmal davon ab, wie selten solche Vögel auf meinem heimischen Speiseplan gestanden hatten und ich wenig Erfahrung mit ihrer Zubereitung mitbrachte. Wenn man ein Leben nah am Wasser gewohnt war, dann bestand das Hauptnahrungsmittel aus Fisch und Meeresfrüchten.
    Nun begann er aufzuzählen, was alles vorrätig war. Im Grunde fehlte wirklich nichts, was nicht auch an einem anderen, gewöhnlichen Tag da war. Das waren doch ganz gute Voraussetzungen, auch wenn der Profi in der Küche am heutigen Tage Ausgang hatte.


    Ach das macht nichts! Das schaffen wir schon!


    Ich zögerte nicht lange und band mir eine Schürze um, bereit für alles, was auf mich zukam. Da lagen sie schon, die leblosen Körper der Enten und Gänse. Wenigstens waren sie schon tot. Allerdings waren sie noch ungerupft und nicht ausgenommen. Beides waren Tätigkeiten, denen ich zwar nachgekommen wäre, wenn er mich dazu aufgefordert hätte, die allerdings nicht wirklich zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehörten. Umso erstaunter war ich, als er mir vorschlug, mit dem Backen zu beginnen. Er selbst wollte die Aufgabe übernehmen, den Tieren an die Federn zu gehen. Ich war erleichtert. Vielleicht konnte man mir das auch ansehen, denn Backen lag mir wesentlich mehr.
    Ich schritt sofort zur Tat und besorgte mir eine große Schüssel, holte das Mehl und ein wenig Wasser und Olivenöl herbei und wollte schon mit dem Mischen der Zutaten beginnen, als auch ich die nahende Stimme hörte. Ich wusste, zu wem sie gehörte und genau das ließ mich auch wieder versteifen. Dem Hausherrn war ich in der ganzen Zeit als Sklavin nie direkt begegnet. Immer hatte ich ihn nur von weitem gesehen und das, so glaubte ich jedenfalls, war auch gut so. Ich ließ von meiner Tätigkeit ab und wagte es nicht, ihn anzusehen, als Aristides uns vorstellte. Meinen Blick hob ich erst an, als mich Aristides nach dem Namen meines Kindes fragte. Ich war verwirrt und wäre beinahe mit dem Namen herausgerückt, dem ich ihm selbst gegeben hatte.

    Diarm.., ähm nein. Er heißt Caius, so wie sein Vater.

    Ich sah und spürte, wie Gracchus´ Blicke auf mir lasteten und ich glaubte auch zu wissen, was er dachte. Ich kam mir vor, wie ein Insekt, über dessen Schicksal noch entschieden wurde, ob man es zertreten sollte oder hinaus in den Garten setzte.
    Als schließlich ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen erschien, das dann auch noch von einem freundlichen Bona Saturnalia gefolgt wurde, brach meine Starre auf.


    Salve, dominus! Das wünsche ich dir auch, antwortete ich lächelnd und um einiges erleichtert.


    Der kritische Punkt, so schien es, war überschritten. Geschäftigkeit trat wieder ein. Auch ich ging wieder an meine Arbeit. Aristides verteilte sogleich die Arbeit an seinen Vetter, der sich die größte Mühe gab, darin nicht zu überfordert zu wirken.
    Aus meinem Blickwinkel beobachtete ich ihn, wie ehrerbietig er mit jedem einzelnen Gemüse umging, so als wären es wertvolle Kultgegenstände, die er seinen Göttern anschließend opfern wollte. Er wusch die Rüben, polierte sie, ließ aber das überflüssige Grünzeug daran stehen. Das beruhigte mich wieder, denn es zeigte mir, er war ein gewöhnlicher Sterblicher, der auch nur mit Wasser kochte, wenn er denn überhaupt kochen konnte, was ich stark bezweifelte.
    Eine innere Kraft drängte mich dazu, einzuschreiten und ihn auf den richtigen Weg zu bringen, denn so wurde das nichts!


    Ähm, dominus, bitte verzeih mir, aber das Grünzeug muss ab! Das muss man nicht mitwaschen. Und extra abtrocknen ist auch nicht notwendig. Dann wird das Gemüse geschält.


    Ohne vorher gefragt worden zu sein, griff ich nach einer polierten Rübe und enthauptete sie mit einem ordinären Küchenmesser, dann begann ich sie mit demselben auch noch zu schälen und legte die nun splitternackte Rübe beiseite. Ein weitere Rübe zu ergreifen, wagte ich nicht, denn im gleichen Moment kam es mir in seiner Nähe so vor, ein schreckliches Sakrileg begangen zu haben, das mich für alle Zeit in Verdammnis stürzte. So ich ließ von den übrigen Rüben ab.

    Während er mir ein feuriges Plädoyer für sein Sklavendasein hielt, versuchte ich den Kleinen wieder zu beruhigen der in einem fort schrie und gar nicht mehr aufhören wollte. Meine aufgewühlten Gefühle hatten sich auf ihn übertragen und jetzt entluden sie sich.
    Ich konnte es Youen eigentlich gar nicht so richtig abnehmen, was er da behauptete. Freiheit sollte für ihn die Hölle sein! Wie konnte er nur so etwas behaupten? Er hatte sie doch noch nie zuvor geschmeckt, die wahre Freiheit und was hatte das mit seinen Talenten und seiner Stärke zu tun? Wenn das seine Meinung war, dann konnte ich nichts dagegen tun. Ich beschloss, nichts mehr dazu zu sagen, denn alles was ich gesagt hatte, erzeugte nur Unmut. Er würde immer wieder etwas anbringen, um sich einzureden, wie glücklich er doch war, auch wenn er ganz selten wirklich glücklich aussah. Doch eines musste ich ihn noch fragen!


    Hast du dich jemals gefragt, wie deine Mutter sich gefühlt hat, als sie dich hergeben musste?


    Mehr sagte ich nicht. Mehr musste ich nicht mehr dazu sagen, denn es sagte alles, weswegen unser Streit begonnen hatte.


    Mein Kind schluchzte nur noch ein wenig nachdem ich es in meinen Armen gewogen hatte. Dieses kleine Wesen war mein ein und alles geworden.


    Du bist mir nicht böse?


    Ich sah überrascht auf und fand einen Youen vor, der einfach nur ratlos wirkte. Er tat mir so leid. Deshalb ging ich auf ihn zu und ergriff seine Hand.


    Bitte nimm meine Entschuldigung an! Ich möchte deine Freundin bleiben, so wie es früher war. Bitte!

    Ich wischte mir die letzten Tränen aus den Augen. Das war wirklich mehr,als ich erwarten konnte und jemals erwartet hätte. Die einsame Kerze, die ich am Abend entzündet hatte, hatte mir tatsächlich jemanden zu mir geführt. Ich war mir eine Ehre, Epicharis als Gast zu haben. Sie war so freundlich, wie ich es hier nur selten erlebt hatte. Sie wollte mir helfen, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen und was sie sagte, klang aufrichtig. Wenn es eines Tages wirklich jemanden gab, der mir das geben könnte, was man zum Leben brauchte, dann würde ich auch wieder glücklich werden, so wie ich es einst gewesen war. Das würde sich auch auf mein Kind übertragen und ihm nur zu gute kommen. Ein Kind brauchte einfach einen Vater, der es liebte und immer verfügbar war, wenn man ihn brauchte, auch wenn es nicht der leibliche Vater war.


    Danke, ich möchte deine Hilfe gerne annehmen.


    Ich ließ mich von Epicharis aufmunterndem Lächeln anstecken und auf einmal sah alles viel weniger schlimm aus, als es noch zu Beginn meiner kleinen Feier gewesen war.Die war ein wahres Samhainfest! An diesem Abend endete das, was gewesen war und etwas Neues begann zu keimen, was eines Tages Früchte tragen würde.


    Es würde mir wirklich viel Spaß machen und ich könnte etwas mit meinen Händen machen. Du bekämest natürlich das Brot und das Gebäck umsonst, scherzte ich. Eines Tages, konnte ich alles zurück zahlen, was man mir zur Verfügung stellte, um eine eigene Existenz aufzubauen.

    Wenn ich an mein bisheriges Leben zurück dachte, so konnte ich sagen, dass es nicht besonders hart oder besonders schlimm gewesen war. Gut, ich hatte früh meine Mutter und damit meine Kindheit verloren. Aber das, was danach kam, hatte mich stark gemacht und selbst später, nachdem ich den Sklavenfängern in die Hände gefallen war, hatte es auch noch schöne Tage in meinem Leben gegeben. Doch an solchen Abenden, wie dem Samhainabend, wurde mir wieder schmerzlich bewusst, was ich alles verloren hatte. Meine Familie fehlte mir so sehr. Wenn ich sie doch noch einmal hätte sehen können. Meine neue Familie, war mein Kind, das noch bei Epicharis saß. Er war wirklich ein Goldstück! Ich konnte es kaum erwarten, bis er groß war und war gespannt, wie er sich dann entwickeln würde. Ob der Vater des Jungen stolz war, konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen.


    Ja, sicher, gab ich mit einem gepressten Lächeln zur Antwort. Sie wusste wahrscheinlich gar nicht, wessen Kind das war.
    Als es schließlich um das Apfelorakel ging, meinte sie, unser Schicksal wäre miteinander verbunden, da sah ich sie erst etwas fragend an. So hatte ich das noch nie gesehen. Gut, es gab eine Verbindung zwischen Aquilius und mir, aber sie? Nur weil wir im gleichen Haus wohnten?
    Epicharis stellte die Frage, die sie über ihre Zukunft wissen wollte. Es war eine der Fragen, die sich die meisten Menschen stellten, wenn sie vor etwas Neuem standen. Das Glück stand immer im Vordergrund. Auch ich hätte es wissen wollen, wäre ich an ihrer Stelle gewesen. Aber dann revidierte sie ihre Frage, gerade in dem Augenblick, als ich den Apfel mit dem Messer teilen wollte. Ich sah sie verwirrt an und legte das Messer noch einmal ab. Mit ihrer neuen Frage brachte sie mich tatsächlich ins Wanken.


    Was?


    Meine Überraschung konnte man mir ansehen. Die Tränen stiegen mir in die Augen.


    Du bist wirklich sehr freundlich zu mir und meinem Kind. Das hilft mir schon ein wenig, die Traurigkeit zu verlieren, denn du bist bei mir. Ich muss diesen Abend also nicht alleine sein. Das hilft mir auch noch. Aber so wie du, suche ich auch das Glück. Du bist bereits glücklich. Ich hingegen, versuche noch, glücklich zu werden. Vielleicht wird mir das auch eines Tages gelingen.


    Der Apfel blieb vorerst unangetastet und bewahrte sein Geheimnis, wie das kommende Jahr werden würde.
    Inzwischen war der Kleine fast schon eingeschlafen. Immer öfter fielen ihm die kleinen Äugelein zu, was durch das hin und her wiegen noch unterstützt wurde. Nicht mehr lange und Diarmuid würde fest schlafen. Der Anblick des halb schlafenden Kindes ließ mich lächeln. Verträumt blickte ich in Epicharis´ Richtung. Ich sah erst wieder auf, als sie mir den Vorschlag machte, Bäckerin zu werden.
    Ich hatte schon immer Freude am Backen gehabt und es würde immer Menschen geben, die frisches Brot oder leckeres Gebäck wollten. Ein eigener Laden! Das hatte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt!


    Meinst du wirklich?

    Tiberius sah etwas nachdenklich aus, als ich ihm gestand, nichts über Mantua zu wissen. Ich hatte zwar das Glück, mich gelegentlich auch in der Bibliothek aufhalten zu dürfen. Aber da hatte ich nie etwas über Mantua gelesen. Doch er erzählte mir dann ein wenig davon und auch von einr Legion, die dort stationiert war. Ich aber schüttelte nur den Kopf.


    Leider weiß ich nicht sehr viel, über die Welt hier draußen. Ich war meistens immer nur in der flavischen Villa, um dort zu arbeiten. Manchmal bin ich auch zum Markt gekommen. Das war aber auch alles.


    Ich wusste, für meine Unwissenheit musste ich mich nicht schämen. Auch wenn es sich für mich im Augenblick so anfühlen musste. Umso mehr freute es mich, dass es für ihn keinen Unterschied zu machen schien, weil ich vor noch gar nicht allzu langer Zeit, Sklavin gewesen war.


    Danke für deine Freundlichkeit, sagte ich und fügte ein schüchternes Lächeln hinzu.


    Es ist alles so unfassbar, was so ein kleines Stück Papier alles ausmacht, auf dem steht, dass man jetzt wieder frei ist. Dabei hat sich eigentlich gar nicht viel geändert. Ich bin die gleiche, die ich vorher war und doch entscheidet dieses Papier über das Leben meines Kindes!


    Ich hatte dies mehr zu mir selbst, als zu ihn gesagt. Er konnte bestimmt wenig damit anfangen, was ich empfunden hatte, als ich mit Aquilius und seinem Klienten zusammen vor dem Praetor Urbanus stand, der mir erklärte, ich sei jetzt frei.

    Ich hatte zuerst Bedenken, als ich mein Kind aus den Händen gab. Männer gingen zuweilen nicht so vorsichtig mit so zarten kleinen Wesen um. Bei dem Flavier war es aber ganz anders! Er hatte ja auch schon Erfahrung gesammelt, im Laufe seines Lebens. Es war richtig rührend, ihm zuzusehen, wie er den Kleinen für sich begeisterte. Diarmuids Weinen hatte aufgehört. Der Mann, der ihn an seiner Nase stupste, die lustigen Töne von sich gab und dabei auch noch so drollig aussah, war viel interessanter und machte die Zahnschmerzen für eine Weile vergessen. Sein kleines Mündchen formte sich sogar zu einem süßen, noch zahnlosen Lächeln.
    Aristides sah mich an. Er erinnerte sich an mich. So lange war es ja auch noch nicht her. Vielleicht erinnerte er ja auch noch an das gemeinsame Mahl, zu dem ich ihm damals Gesellschaft leisten musste. Ich hatte jedenfalls nichts davon vergessen.
    Seinem Gesichtsausdruck und dem darauffolgenden Glückwunsch nach zu urteilen, hielt er nicht viel von meiner Freilassung. Das machte aber nichts. Solange es deswegen meinem Kind gut ging, war es mir egal, was andere darüber dachten.


    Danke!


    Er hatte sich wieder dem Kind zugetan, das fleißig an der Möhre herum knabberte. Das tat dem Kleinen gut und vertrieb die Schmerzen.
    Der Flavier war ganz vernarrt in den Kleinen. So hatte ich ihn oder einen anderen aus seiner Familie noch nie erlebt. Ich hatte immer geglaubt, diese Patrizier würden sich niemals mit ihren eigenen Kindern abgeben, weil sie dafür ja auch Sklaven hatten. Bei ihm musste das aber schätzungsweise ganz anders gewesen sein, als seine Kinder noch klein waren. Dann verblüffte er mich mit der Empfehlung, die er mir gab, ich solle den Gaumen meines Kindes leicht massieren, das würde helfen!


    Ach, ja? Oh, danke für den Tipp!


    Mit der Vorsicht, die er hatte walten lassen, als er ihn an sich genommen hatte, gab er mir den kleinen Diarmuid wieder zurück und sah richtig geknickt aus, nachdem ich die Freien erwähnt hatte, die für gewöhnlich immer für die Saturnalien eingestellt wurden. Ich verstand nicht recht, bis er schließlich mit seinem Geständnis herausrückte. Vermasselt? Jetzt hatte er mich wirklich verblüfft! Vor allem, dass er das so freimütig zugab, dass er es war, der es verbummelt hatte und nicht einer der unzähligen Sklaven, die in der Villa lebten und arbeiteten. Ein bisschen tat er mir sogar leid, ihn so in dieser misslichen Lage zu sehen. Da kam für ihn mein Angebot, zu helfen, wie gerufen! Ich wusste, worauf ich mich einließ. Das war kein Essen für zwei oder drei hungrige Mäuler. Hier ging es um ein Festmahl für eine Gesellschaft von gut zwanzig Personen, die sich nicht nur mit einer einfachen Suppe oder einem Topf Puls abspeisen ließen! Aber als Aristides mich so nett fragte, konnte ich nicht anders.


    Ja, das würde ich! Aber nur unter einer Bedingung, sagte ich mit ernster Miene. Es gibt kein Schwanenfleisch!


    Jetzt begann ich zu schmunzeln. Hoffentlich würde er mir solche Äußerungen nicht übel nehmen. Aber nein, konnte er ja gar nicht. Er hatte ja gar keine andere Wahl!


    Das, was ich kann, habe ich von meiner Mutter gelernt. Ich hoffe, es wird ausreichend sein. Was sollen wir denn Kochen oder besser gesagt, was ist denn zum Kochen und Backen da?


    Ich sah mich um, ob schon einige Zutaten bereit lagen. Wenn ich schon mal voller Tatendrang war, wollte ich auch durch nichts gebremst werden. Aber bevor ich auch nur eine Möhre schälen oder eine Zwiebel schneiden konnte, musste ich erst einen Platz finden, wo ich meinen Kleinen lassen konnte. Vielleicht war es geschickt, ihm eine Decke auf den Boden zu legen, damit ich ihn dort ablegen konnte und er dort spielen konnte. Das war im Augenblick die beste Möglichkeit. Dann hatte ich freie Hand.
    Ich hielt mich nicht lange, holte eine weiche Decke um mein Kind darauf zu legen. Der kleine Diarmuid verweilte sich noch ein wenig mit der Möhre und ich band mir eine Schürze um.


    So! Womit fangen wir an?

    Dicke Tränen kullerten an den Wangen des Kleinen herunter. Seine Bäckchen waren ganz Rot. Mit seinen kleinen Fingerchen, die er sich in den Mund geschoben hatte, versuchte er die Schmerzen zu lindern. Sein Jammern wollte gar nicht mehr aufhören.
    Der Flavier hatte sich zu mir umgewandt. Ich war ertappt! Genau aus diesem Grund blieb ich auch stehen. Ich konnte mich nicht weiter bewegen, starrte ihn nur an, während das Kind ohne Unterlass weinte. Dieses Angstgefühl war immer noch in mir drin. Es war nicht einfach so abstellbar, nur weil ich jetzt frei war.


    Salve, erwiderte ich schüchtern, während er schon auf mich zutrat. Mein Kind musste es ihm angetan haben. Er wirkte gleich viel freundlicher, als er mit dem Kleinen sprach. Ganz anders, wie ich ihn in Erinnerung hatte.


    Das ist… das… äh ja. Ich meine, nein. Bridhe, ich bin Bridhe äh, nein, ich war… Bridhe.


    So viele Fragen auf einmal! Ich wusste gar nicht wo ich anfangen sollte. Was dann aus meinem Mund kam, war nur ein einziges Gestammel. Es war einfach nur grauenhaft. Wie eine Irre musste ich auf ihn wirken. Das war mir so peinlich. Am liebsten wäre ich weg gerannt, was sein Urteil über mich noch bestätigt hätte. Aber mit dem heulenden Kind auf dem Arm, war an wegrennen erst gar nicht zu denken.


    Ich bin nicht mehr seine Sklavin. Er hat mich freigelassen, fügte ich an. In gewisser Weise konnte ich stolz darauf sein. Auf jeden Fall fühlte ich mich wohler in meiner Haut.


    Ja, es ist sein Kind. Der Kleine bekommt seinen ersten Zahn und weint schon die ganze Nacht. Ein bisschen Fieber hat er auch.


    Er war scheinbar richtig besorgt um mein Kind. Als er die Hände nach ihm austreckte und mich bat, ihn nehmen zu dürfen, zögerte ich nicht lange und gab ihm vorsichtig das Kind. Ungerührt von dem Ortswechsel wimmerte der Kleine weiter.


    Ich geh und hole eine Möhre!


    Kaum hatte ich das gesagt, war ich auch schon in Richtung Speisekammer verschwunden und kam wenig später mit einer Möhre heraus. Dann suchte ich mir ein Messer, schnitt das Grüne ab und wusch das Gemüse. Die noch tropfende Möhre gab ich dem Kleinen in die Hand, der sie auch gleich in sein Mündchen steckte und daran zu knabbern begann. Allmählich ließ sein Jammern nach, bis er irgendwann ganz ruhig, aber voller Leidenschaft an der Möhre nagte.


    Was machst du hier? Sind die Leute, die ihr engagiert habt, noch nicht da?


    Nein, offenbar noch nicht!


    Kann ich dir helfen?


    Ich konnte ja nicht ahnen, dass es dieses Jahr keine Freien gab, die über die Saturnalien eingestellt wurden, um die anfallenden Arbeiten zu verrichten.

    Erschrocken zuckte ich zusammen. So etwas hatte ich von Youen nicht erwartet. Er war immer so zurückhaltend gewesen. Niemals hätte ich geglaubt, dass er zu einer solchen Gefühlregung überhaupt fähig gewesen wäre. Der Schrecken übertrug sich auf mein Kind, das bis dahin friedlich in seinem Tragetuch geschlummert hatte. Es begann zu weinen, während ich noch fassungslos da stand und ihn anstarrte.
    Aber das Schreien des Kleinen rüttelte mich wach. Behutsam nahm ich ihn in den Arm. Ich tat mein Bestes, um ihn schnell wieder zu beruhigen. Youen schenkte ich dabei nur wenig Beachtung. Ich wollte ihm ja nicht noch mehrschlechtes Gewissen aufbürden, wie ich es bereits schon getan hatte.
    Als sich der Kleine langsam wieder beruhigte, weil ich ihn tätschelnd in meinen Armen wog, sah ich zu ihm.


    Was soll ich denn deiner Meinung nach noch tun? Ich habe mich bei dir entschuldigt, für dass, was ich zu dir sagte. Ich wollte dich damit nicht kränken, was ich im Garten zu dir sagte. Das war und ist meine Meinung, zu der ich noch immer stehe. Wenn du dich in deiner Rolle als Sklave so glücklich fühlst, schön für dich! Für mich war es die Hölle und diese Hölle wollte ich meinem Kind nicht zumuten!


    Wahrscheinlich hatte ich es mir mit ihm jetzt ganz verscherzt. Ich hatte versucht, ruhig zu bleiben, war aber doch laut geworden.
    Ich fühlte mich schuldig! Sogar sehr. Ich schlug die Augen nieder. Was hätte ich denn tun können?


    Was du mir einmal über deine Mutter erzählt hast, hat mir Angst gemacht. Mein Kind ist alles, was ich habe. Das wollte ich nicht auch noch hergeben müssen. Bitte, sei mir nicht mehr böse, bat ich ihn leise.


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    Seitdem ich Mutter geworden war, raste die Zeit. Woche für Woche verging und mit jeder Woche wuchs mein Kind ein Stück. Er entwickelte sich prächtig. Die ersten schlaflosen Nächte waren vorüber, in denen er weinend wach gelegen hatte und ich ihn bis zur Erschöpfung umher getragen hatte. Die Koliken waren überwunden. Jetzt begann er zu zahnen!
    Der Arme musste schlimme Schmerzen haben. Wimmernd hatte er die Nacht über in meinen Armen gelegen. Am Morgen war ich aufgestanden, hatte meinen kleinen Jungen auf den Arm genommen und war zu Küche gelaufen. Dort wollte ich um eine Möhre bitten, damit der Kleine darauf herum beißen konnte.
    Noch ehe ich in der Küche war, fiehl mir die seltsame Ruhe auf, die im Küchentrakt herrschte. An jedem Tag war um diese Zeit schon geschäftiges Treiben. Dann fiel es mir wieder ein! Heute war der erste Tag dieses komischen Festes, dessen wahren Sinn ich im letzten Jahr auch schon nicht verstanden hatte. An diesem Tag waren die Sklaven ihren Herrn gleichgestellt und die Herren bedienten ihre Sklaven oder sie stellten Freie ein, die das übernahmen, so wie die Flavier.


    Von den Nöten eines ganz bestimmten Flaviers, hatte ich noch nichts gehört. Ich hatte weitaus wichtigeres zu tun. Der Kleine auf meinem Arm wimmerte immer noch herzzerreißend, so dass es mir selbst Weh tat.
    Ich öffnete die Tür zur Küche. Beinahe wäre mir das Herz stehen geblieben. Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht mit dem Flavier, der dort zugange war und ungewohnterweise versuchte, das Feuer in Gang zu bringen.
    Auch das noch! Ich konnte nicht behaupten, dass ausgerechnet dieser Flavier zu meinen Lieblingen zählte. Er hatte mich vor noch gar nicht allzu langer Zeit zum Schwanenfleischessen gezwungen! Ein Vergehen, das in meiner Heimat schwer geahndet wurde!
    Ich versuchte, mich leise an ihm vorbei zu schleichen. Er war ja so beschäftigt und würde mich bestimmt nicht bemerken. Doch da begann wieder der Kleine zu jammern!

    Ich dachte über das nach, was er gesagt hatte. Besitz und Reichtum, das hatte ich in meiner alten Heimat auch nicht gehabt. Wir hatten so viel, wie man zum Leben eben brauchte, nicht mehr aber auch nicht weniger. Und ich war glücklich damit gewesen, selbst dann, als nach dem Tod meiner Mutter sich alles änderte.
    Wenn ich mich an die Zeit erinnerte, als man mich nach Rom gebracht hatte und ich alles verloren geglaubt hatte, gab es noch etwas, woran ich mich festhalten konnte. Dieser Strohhalm war die Hoffnung gewesen, die Hoffnung, eines Tages wieder die Freiheit zu erlangen. Das hatte mich über Wasser gehalten und auch das Wissen, dass ich geliebt wurde.
    Jetzt hatte ich das eine wiedergewonnen und das andere schon lange verloren. Das Glück war dabei auf der Strecke geblieben. Aber ein klitzekleines Stück vom Glück war mir geblieben – mein Kind!


    Ja, das stimmt, pflichtete ich ihm bei. Man kann alles verloren haben und doch glücklich sein, wenn man die Liebe gefunden hat.


    Auch ich konnte von mir nicht behaupten, Rom in und auswendig zu kennen. Dafür war ich einfach noch nicht zu lange hier. Außerdem hatte ich bisher nur die Märkte Roms kennengelernt, wenn ich zum einkaufen geschickt worden war.


    Also besonders gut kenne ich mich in Rom auch nicht aus und diese Städte von denen du gesprochen hast, kenne ich überhaupt nicht. Mantua, wo ist das?


    Die ganze Sache um meinen Namen musste ihn sehr verwirrt haben. Zumal ich ihm meinen neuen Namen noch gar nicht verraten hatte. Nur meinen alten Namen kannte er- Brihde, den ich auch insgeheim beibehielt.


    Mein neuer Name ist Flaviana Brigantica. Flaviana deshalb, weil ich seit kurzem eine libertina bin. Brigantica ist mein römischer Name, obwohl ich nicht einmal Römerin bin. Aber dieser Name bedeutet Freiheit für mich und vor allem für mein Kind, das erst nach meiner Freilassung zur Welt gekommen ist.
    Besonders den letzten Satz betonte ich dabei, denn er war der eigentliche Grund meiner Freilassung gewesen. Wenn dieses Kind nicht gewesen wäre, dann wäre alles beim alten geblieben, dann wäre ich jetzt immer noch Sklavin.

    Keine Frage, meine Erzählung über das Fest, war bei Epicharis auf reges Interesse gestoßen. Nicht nur deswegen erzählte ich weiter. Ich tat es, um des Erzählens willen. Es war gut, wenn man mit jemandem sprechen konnte, seine Gedanken teilen konnte und wusste, derjenige hörte auch zu. Das machte das Leben um einiges leichter und hielt die Erinnerungen wach, meine einzige verbliebene Verbindung.


    Ich war dreizehn, als sie starb, kurz nach der Geburt meines kleinen Bruders. Nachdem meine ältere Schwester einige Jahre zuvor gestorben war, musste ich mich von da an, um die Familie kümmern. Ich trat an die Stelle meiner Mutter.


    Der Todestag meiner Mutter begrenzte auch gleichzeitig das Ende meiner Kindheit, die bis dahin recht unbeschwert verlaufen war.
    Bereits als sie erwähnt hatte, sie sei erst frisch verheiratet, begann ich zu überlegen, war aber nicht auf das naheliegenste gekommen. Nämlich die große Hochzeit der Flavier vor einigen Tagen, von der ich viel gehört hatte. Das ganze Haus war seit Tagen schon auf den Beinen gewesen und mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen.


    Nein, ich war nicht dabei. Ich hielt es nicht für angemessen, wegen dem Kind, antwortete ich. Einfach so dort zu erscheinen, wollte ich nicht. Ich war keine Sklavin mehr, die ihren Herrn begleiten musste. Außerdem wäre es auch zu anstrengend für den Kleinen geworden.


    Ja, Aristides kenne ich.


    Ich hatte ihn während meiner Schwangerschaft kennengelernt, kurz nach seiner Rückkehr aus dem Krieg. Das ganze geschah eher unfreiwillig und selbst die Erinnerung an dieses seltsame Treffen war mit einem sehr unguten Gefühl gekoppelt. An diesem Tag hatte ich zum ersten und hoffentlich auch zum letzten Mal in meinem Leben Schwanenfleisch gegessen. Mir war speiübel danach gewesen, was nicht an der Qualität des Fleisches lag, sondern einfach nur an meiner Vorstellungskraft, etwas zutiefst frevelhaftes getan zu haben.
    Gerne wechselte ich das Thema, zu etwas unverfänglicherem, dem Apfelorakel, wenn man so wollte.


    Ja, so sagt man.


    Ich nahm den Apfel und das Messer und sah sie an.


    Wenn unser beider Schicksal miteinander verbunden wäre, dann könnten wir es gemeinsam machen. Was möchtest du über deine Zukunft wissen?


    Bevor ich den Apfel aufschnitt, wartete ich gespannt auf ihre Antwort. Vermutlich war es die Frage, wie viele Kinder sie bekommen würde. Das war die Frage, die meistens die jungen Frauen beschäftigte, besonders dann, wenn sie erst kürzlich geheiratet hatten.
    Die Frage nach dem Opfer war überhaupt nicht verwunderlich. Im Laufe der Zeit, seit ich hier war, hatte ich erfahren, was die Römer ihren Göttern opferten und ich war zum Schluss gekommen, dass es nur wenige Unterschiede gab.


    Speziell an Samhain opfern wir auch den Geistern unserer Ahnen, um sie milde zu stimmen. Das sind kleine Opfer in Form von essbaren Dingen, ein Brot, etwas Fleisch oder Milch. Aber es gibt auch große Opfer, die unsere Druiden darbringen. Eine Kuh, ein Schaf oder eine Ziege.


    In besonders schweren Zeiten, so hatte ich gehört, hatte man auch schon Menschen den Göttern dargebracht. Ich selbst hatte aber noch kein Menschenopfer miterlebt.
    Epicharis lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf meinen Sohn, den sie noch immer auf ihrem Arm trug und dem es bei ihr zu gefallen schien.


    Ja, vielleicht, antwortete ich und deutete ein Lächeln an. Ob er tatsächlich eines Tages Gracchus Minors Spielkamerad werden würde, war noch abzuwarten. Ich vermied es eigentlich gerne, mit der Mutter des Kleinen in Kontakt zu kommen, denn unsere letzte Begegnung hatte ich noch in sehr unangenehmer Erinnerung. Der Claudia würde es da wahrscheinlich nicht anders gehen.


    Im Augenblick arbeite ich noch im Haus mit, so gut es geht. Aber wenn mein Kind etwas größer ist, dann werde ich mir etwas Neues suchen müssen.


    Ich hatte noch keine Vorstellung von dem, was ich dann machen sollte.