Etwas eingeschüchtert blickte ich immer wieder zu ihm hinüber und musste ihn zwangsläufig beobachten, wie er aß. Wie es schien, war dieser Mann völlig ausgehungert und hatte schon seit Wochen nicht mehr gegessen, warum auch immer. Es verursachte mir ein Gefühl des Ekels, wenn ich sah, wie er alles Mögliche so in sich hinein stopfte, schmatzend seine Finger ableckte und nicht darauf achtete, wenn ein Teil des Essens zu Boden ging. Doch auch meine Abscheu versuchte ich vor ihm zu verbergen, denn man konnte ja nie wissen, was geschehen würde, wäre er erst einmal verärgert. Allerdings überkam mich so langsam das Gefühl, dass es sich bei diesem Exemplar von einem Flavier um keinen der gemeingefährlichen Sorte handelte. Sein Gemüt schien doch wohl eher freundlicher Natur zu sein, so zumindest machte er bis jetzt noch den Eindruck. Von diesem Gedanken beseelt, versucht ich etwas lockerer zu werden, denn diese Verkrampftheit, in der ich mich befand, war alles andere als angenehm.
Weiterhin wortlos beobachtete ich nur und, tat und sagte auch nichts, als er plötzlich nach Schnecken verlangte. Schnecken? Warum nicht gleich Frösche oder Würmer? Abermals streiften sich unsere Blicke und er sah mich mit einer gewissen Erwartungshaltung an, als ob er auf eine Äußerung meinerseits wartete. Etwa zu den Schnecken? Der Gedanke daran, diese schleimigen kleinen Dinger essen zu müssen, schüttelte mich.
Mit meinem Versuch, mich zu entspannen, war es nicht weit hergeholt, denn kurze Zeit später zuckte ich ängstlich zusammen, als er seine flache Hand auf meinen Bauch legte, um zu fühlen, was es damit auf sich hatte.
Ich erwarte ein Kind, begann ich, eher aus Verlegenheit, denn aus Gesprächigkeit zu erklären, obwohl dies mittlerweile nicht mehr zu übersehen war.
Im Sommer wird es soweit sein, fuhr ich fort, doch ehrlich gesagt, glaubte ich nicht fest daran, dass er für diese Neuigkeit ein besonderes Interesse hegte. Allerdings war es mir wichtig, dass diese Schwangerschaft ohne Zwischenfälle verlief oder einen vorzeitigen Abbruch zur Folge hatte, denn das Kind unter meinem Herzen, würde mir die ersehnt Freiheit bringen. Außerdem half es mir, um in meiner jetzigen Situation noch ein wenig mehr loslassen zu können. Doch irgendetwas lag heute in der Luft, was mich ständig von neuem daran hinderte, ich selbst zu sein. Die Krönung des Ganzen war schließlich, als er so nebenbei bemerkte, dass es Schwanenfleisch war, das ich gegessen hatte.
Schwanenfleisch?! Entfuhr es mir gänzlich entsetzt. Alles in mir begann sich gegen diese Tatsache zu wehren. Schwanenfleisch! Ich hatte Schwanenfleisch gegessen, zwar unwissentlich, doch ich hatte es getan! Wie schändlich! Diese Barbaren! Wie konnten sie nur einen Schwanen töten und dann auch noch essen!
Hastig und ungefragt, griff ich zu einem der silbernen Pokale, der mit Wein gefüllt war und nahm einen großen Schluck. Ich wollte versuchen, den Geschmack des Fleisches aus meinem Mund zu bekommen. Dabei nahm ich gerne den widerlichen Geschmack des Weines in Kauf. Mit verzogenem Gesicht versuchte ich meinen Mund mit der Flüssigkeit zu spülen. Natürlich schluckte ich den Wein nicht unter, sondern tat es dem Flavier gleich, indem ich den Inhalt meines Mundes in dem bereitgestellten Spucknapf entsorgte.
Angewidert sah ich auf die Platte, auf der sich die Reste des Schanes befanden. Der gefüllte Schweinseuter, dem er sich nun zugewendet hatte, ließ meinen Mund allerdings auch nicht sonderlich wässrig werden, geschweige denn die Schnecken. Mir kam plötzlich der Gedanke, dass diese Barbaren, die offenkundig vor nichts zurückschreckten und alles aßen, was nicht bei drei auf den Bäumen war, wohl auch vor Menschenfleisch nicht Halt machen würden. Gepökelter Sklave, gut abgehangen. Einfach nur widerlich!
Vielleicht hatte er ja meine Abneigung bemerkt und begann deshalb, eine Geschichte zu erzählen, die er von seiner parthischen Sklavin hatte. Aufmerksam begann ich ihm zuzuhören, um all die „delikaten Köstlichkeiten“ um mich herum zu vergessen.
Ein Mann der über hundert Frauen hatte? Der arme Kerl konnte einem wirklich leid tun, dachte ich scherzhaft bei mir. Aber was hatte er mit jenen getan, derer er überdrüssig geworden war? Hinrichten lassen? Sollte das etwa der berühmte Wink mit dem Zaunpfahl sein? Langweilte ich ihn etwa auch und er wollte mir dadurch einfach sagen, was passieren konnte, würde ich ihm erst einmal überdrüssig. Vielleicht sollte ich mein Urteil über ihn noch einmal überdenken. Vielleicht war es ja doch so, dass es sich bei diesem Exemplar eines flavischen Mannsbildes doch um einen Irren handelte!
Dann endlich sagte er es frei heraus. Ich langweilte ihn, doch welches Glück, dass es Römer waren, die mich versklavt hatten und keine Parther! Dort wäre ich jetzt sicher des Todes gewesen!
Zugegebenermaßen war ich momentan nicht wirklich eine Stimmungskanone, doch konnte man mir diesen Zustand auch nur einen Augenblick übel nehmen, nach all den Erfahrungen, die ich machen musste?
Als er mir die Wahl ließ, etwas zu seiner Unterhaltung beizutragen oder wieder dorthin zu verschwinden, woher ich gekommen war, brauchte ich nicht lange zu überlegen. Ich entschied mich fürs hierbleiben. Wenn ich erzählte oder sang, konnte ich nichts von diesem üblen Zeug essen und außerdem wäre ich auch an der frischen Frühlingsluft und bekäme auch etwas Sonne ab. Auch diese bequeme Kline war nicht zu verachten!
Ich kann singen und kenne auch einige Geschichten aus meiner Heimat, die ich dir erzählen kann. Tanzen kann ich auch ein wenig, doch mit meinem Bauch werde ich sicherlich nicht so ansehnlich sein. Wenn du es wünschst, dominus, aknn ich dir die spannende Geschichte von Lír und dessen Kindern erzählen, quoll es förmlich aus meinem Mund heraus.
Hätte ich zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass die junge Frau, die den parthischen König besänftigen konnte, 1001 Nächte dafür benötigte, um aus seiner Gewalt zu entfliehen, wäre ich wahrscheinlich nicht so euphorisch gewesen.
Doch was war das? Mit einigem Getöse kam urplötzlich der junge Serenus mit seinem Wagen, auf dem auch noch Dido saß,vorbeigerast. Papa?! Nein, dieser Flavier war sicher keiner von der ungefährlichen Sorte! Bei dem Jungen! 