Beiträge von Flaviana Brigantica

    Es freute mich sehr, wie gut die Suppe sowohl bei Timoxenus wie auch bei Glabrio ankam. Aber sie musste auch Glabrios Kundschaft schmecken und das war das wichtigste überhaupt! Wer einmal enttäuscht wurde, der kam selten ein zweites Mal wieder und wenn keine Kundschaft da war, gab es für mich auch keine Arbeit. So simpel war das. Im Moment allerdings gab es Arbeit reichlich. Die Mittagszeit war angebrochen und die Leute kamen, um sich zu stärken oder um Essen zu kaufen. Vom Schankraum her kommend, konnte man schon die Stimmen und Rufe der Gäste hören.
    So wie es Glabrio gesagt hatte, richtete ich das Essen an und arbeitete eine Bestellung nach der anderen ab. Das war gar nicht so schwierig, jedenfalls so lange nicht, wie niemand mich dabei unterbrach.
    Dem kleinen Diarmuid hingegen, hatte es gar nicht gepasst, dass niemand ihm mehr größere Beachtung schwenkte. Weder Timoxenus noch ich hatten die Zeit dazu. Zuerst zerrte er noch an meiner Tunika, um damit meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Als das nicht wirklich fruchtete, setzte er sich schmollend in der Ecke. Ich versuchte ihn mit Worten zu beschwichtigen und versprach ihm, später, wenn Zeit war, mit ihm zu spielen. Immer wieder sah ich zu ihm hinüber. Aber irgendwann war er verschwunden.

    Oh nein! sagte ich eigentlich mehr zu mir. Diarmuid?!


    Ich konnte so viel rufen, wie ich wollte, Diarmuid kam nicht. Er war wie vom Erdboden verschluckt! Dieser kleine Bengel, dachte mir. Wegen seinem Eigensinn verliere ich noch meine Arbeit. Eigentlich war ich mehr besorgt als verärgert. Allerdings musste ich auch etwas unternehmen. Ich musste den Kleinen suchen gehen. Also ließ ich alles stehen und liegen und lief in den Schankraum hinaus. Nervös schaute ich mich um. In jeder Ecke, unter jedem Tisch oder sogar draußen vor der Taberna konnte er sein. Dieser Bengel, dachte mir. Na warte, wenn ich dich erwische, Bürschchen!
    Den Gästen schenkte ich bei meiner Suche nicht wirklich große Beachtung. Schleunigst meinen Sohn zu finden und mit ihm wieder in die Küche zu verschwinden war mir am wichtigsten. Eine Bestellung tönte mir entgegen, als ich an einem der Gäste vorbei lief.


    Ja, kommt sofort, antwortete ich prompt, wenn auch etwas unwirsch und sah unter dem Tisch nach. Genau dort hatte sich Klein-Diarmuid versteckt.


    Komm sofort da unten raus, Diarmuid! rief ich. Ich war in Rage und hatte das Latein längst hinter mir gelassen. Ich bediente mich meiner Muttersprache, denn so konnte ich noch besser schimpfen! Das Schimpfen unterließ ich im Schankraum. Meinem Jungen wollte ich nicht vor allen Leuten die Leviten lesen.
    Kichernd kam der Kleine unter dem Tisch hervor. Mit seinem frechen Grinsen konnte man ihm nicht lange böse sein. Hoffentlich hatte Glabrio nicht allzu viel davon mitbekommen, sonst saß ich früher als erwartet wieder auf der Straße.

    Es war doch erstaunlich, wie sich manche Menschen ändern konnten. Die Flavia war nicht mehr dieselbe, die ich noch vor einigen Monaten kennengelernt hatte. Sie war menschlicher geworden. Manchmal mussten eben erst schlimme Dinge geschehen, bis man seine Umgebung mit anderen Augen sehen konnte. Die Flavia sah mich zum ersten Mal als Mensch und nicht als Sklavin. Sie ignorierte mich nicht mehr. Sie war sogar froh, dass ich bei ihr war.


    Ja, ich habe davon gehört, domina.


    Die Entführung und die anschließende Rettung war das beliebteste Tratschthema im Sklaventrakt gewesen. Es war schwierig gewesen, die Gerüchteküche zu ignorieren oder ihr gar aus dem Weg zu gehen. Besonders die Küchensklaven hatten die Entführung und den vermeintlichen Tod der Flavierin ausgiebig breit getreten. Auch das Schicksal der Leibsklavin der Flavierin hatte mich getroffen. Ich hatte Ylva nie richtig kennengelernt. Aber ein so schreckliches Ende hatte niemand verdient.
    Die Flavia griff nach meiner Hand. Sie weinte. Ich verweigerte sie ihr nicht. Wenn ihr das Halt gab, dann war es das, was ich für sie tun konnte.

    Ich musste ein wenig schmunzeln, über die Vorstellungen dieser Südländer und was in ihren Köpfen vorging, wenn sie etwas über die kleine grüne Insel im Nordwesten hörten. Meine Heimat war alles andere als eine eiskalte unwegsame Gegend. Manchmal war es im Winter sogar etwas wärmer, wie in Italia. Zumindest war es, was die Wintermonate anging, nicht wirklich kälter als hier. Das mit dem Regen stimmte. Oh ja, der Regen. Den hatten wir in allen Facetten und in verschiedenen Intensitäten. Aber sehr viel kälter? Nein, nicht wirklich. Gut, wir hatten in den Sommermonaten nicht mit der Hitze Italias zu kämpfen. Aber die Sommer konnen wunderschön sein, wenn auch sehr wechselhaft.


    Ja, das ist sehr weit weg von hier. Du hast recht, das Wetter ist anders als hier. Unsere Sommer sind meist verregnet und im Vergleich zu Italia kühl. Aber dafür sind die Winter mild. Wenn es einmal schneit, dann bleibt der Schnee nie sehr lange…


    Ich konnte meinen Satz nicht mehr ganz zu Ende bringen, denn in dem Augenblick erschien Glabrio in der Küche. Ich dachte mir, es wäre nicht besonders von Vorteil, wenn er mich beim schwätzen erwischte. Obwohl ich ja währen des Erzählens weiter meine Arbeit gemacht hatte.
    Das Esssen war soweit fertig. Die Suppe war abgeschmeckt. Das Huhn wartete nur noch darauf, den Ofen endlich verlassen zu dürfen und der gegrillte Fisch duftete nach den Kräutern mit denen er gefüllt war.


    Also ich wäre soweit. Die Bestellungen können kommen. Ich habe auch alles vorbereitet, falls ich für Nachschub sorgen muss.


    Es gehörte schon ein wenig Organisationstalent dazu, wenn man in größeren Mengen kochen musste. Glücklicherweise hatte ich diese Gabe von zu Hause mitgebracht, was es mir um einiges leichter machte, mich zurecht zu finden.
    Der Duft des Essens hatte Glabios Neugier geweckt. Es verstand sich von selbst, dass es ihm zustand, von den Speisen zu probieren. Ich reichte ihm einen frischen Löffel.


    Aber sicher doch! Bitte bedien dich!


    Gespannt wartete ich auf sein Urteil, welches ausschlaggebend dafür war, ob ich hier bleiben durfte, oder wieder gehen musste.
    Inzwischen war mein Junge wieder zu mir gelaufen und spielte eine Art Versteckspiel mit Timoxenus. Diarmuid versteckte sich hinter mir und warf dann immer wieder einige schelmische Blicke zu dem Mann, den er als sein Opfer ausgewählt hatte. Hoffentlich hatte Glabrio nichts gegen seine Spielchen.

    Es war, wie ich es vermutet hatte. Die Narbe stammte aus dem Krieg. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass sie dazu beigetragen hatte, dass er jetzt hier war - als Sklave. Deshalb empfand er sie wohl nicht als ein Heldenmal, sondern eher als ein Schandmal, das ihn zwar ständig begleitete, worauf er aber niemals stolz sein konnte. Er gehörte auch zu den Heimatlosen und Entehrten, von denen es hier eine Unzahl gab. Ich gehörte auch zu ihnen. Umso mehr wunderte ich mich über seine Frage, die in meinen Ohren fast schon naiv war.
    Ich hatte niemals auch nur ansatzweise versucht, mein Kind als Schandmal zu sehen. Aber in meiner Heimat würde man das mit Sicherheit. Ein dunkles Kind, mit dunklen Haaren, dunklen Augen, dunklem Teint. Man würde ihn und mich ausstoßen. Vielleicht hätte mein Vater Verständnis für mich. Doch insgeheim würde er daran zerbrechen.


    Weil ich es versprochen habe. Dem Vater meines Kindes. Mein dominus ist… Deshalb bin ich jetzt frei!


    Meine Tränen verrieten, wie sehr dieses Versprechen auf mir lastete. Es war Ironie! Während meiner ganzen zeit in der Sklaverei, hielt ich mich mit dem Gedanken am Leben, eines Tages wieder nach Hause zu können. Nun war ich frei und alle Türen waren mir verschlossen.
    Seine Aufforderung war nett gemeint, und ich wusste auch, dass er nicht alleine dies Meinung vertrat, auch wenn er "nur" ein Sklave war. Aber ich schüttelte den Kopf. Ich wusste genau, es ging nicht. Ich brauchte Abstand, um letztendlich nicht noch ganz den Verstand zu verlieren. Vielleicht… vielleicht würde ich eines Tages wieder zurückkommen, wenn ich versagt hatte. Dann war die Villa mein letzter Zufluchtsort.


    Nichts zu danken! Leb wohl!


    Ich nahm die Hand des kleinen Diarmuid. In der anderen hatte ich die Tasche mir meinen wenigen Habseligkeiten. Ich wollte schon gehen, doch dann hielt ich noch einmal inne.


    Ach bitte, würdest du das dominus Aristides und domina Epicharis geben?


    Ich hielt ihm eine kleine Wachstafel entgegen, worauf ich einige Zeilen gekritzelt hatte.



    Dominus, domina!
    Bitte verzeiht mir, wenn ich nun gehe. Doch ich hielt es für das Beste.
    Ich möchte euch noch dafür danken, dass ich nach meiner Freilassung noch hier wohnen durfte.
    Mögen euch eure Götter beschützen.
    Bridhe

    Im Prinzip war es keine große Kunst, eine Suppe zu kochen. Das konnte bestimmt jeder. Timoxenus schmeckte sie und er lobte mich dafür. Ich war natürlich davon geschmeichelt, tat es vor ihm als nichts Besonderes ab.


    Das Geheimnis liegt in der Würze, meinte ich schmunzelnd. Was völlig überzogen war, denn ich hatte die Suppe mit nichts ungewöhnlichem gewürzt. Ich wollte mich nur anstrengen, denn ich brauchte diese Arbeit!


    Ich hoffe, er wird damit zufrieden sein, denn sonst…


    Das Schmunzeln schwand wieder aus meinem Gesicht und ich blickte wieder ernst drein. Nein, daran wollte ich nicht denken. Wieder mit dem Kind auf der Straße zu landen, das hätte ich nicht ertragen.
    Timoxenus hatte gar nicht auf meine Frage geantwortet. Ich hatte Verständnis dafür. Es gab Dinge, über die man nur ungern sprach. Stattdessen stellte er mir eine Frage zu unseren Namen. Ich spielte schon mit dem Gedanken, ihm unsere römischen Namen zu nennen. Aber ich ließ es. Flaviana Brigantica – niemals würde ich mich an einen solch monströsen Namen gewöhnen können. Mit dem Namen meines Sohnes verhielt es sich ähnlich. Er hieß wie sein Vater. Das alleine bereitete mir schon Kummer.


    Ja, du hast recht! Wir… ich stamme aus Hibernia. Mein Sohn wurde hier geboren.


    Im nächsten Augenblick beschlich mich das dumpfe Gefühl, er würde doch nicht annehmen wollen, wir wären geflohene Sklaven oder dergleichen. Aber ach was! Warum sollte er? Außerdem konnte ich es ja beweisen, dass dem nicht so war. Auch wenn ich dann meine ganze Gesichte preisgeben musste. Denn auch ich hatte einiges, über das ich nicht gerne sprach.

    Man sah es Timoxenus an, wie ihm das Wasser im Mund zusammen lief. Der Duft des Essens ließ ihm auch keine Chance, gerade dann wenn er auch noch Hunger hatte.


    Möchtest du einmal probieren?


    Es war immer besser, sich eine Zweitmeinung einzuholen, was den Geschmack betraf. Ich reichte ihm einen Löffel, damit er die Suppe kosten konnte. Dann konnte er sich auch gleich äußern, ob noch etwas fehlte, was den Geschmack noch verbesserte.
    Im Laufe der Zeit hatte ich ein Gehör für fremde Namen bekommen. Oft konnte ich deren Herkunft zuordnen. Mit meinem Tipp lag ich also gar nicht so verkehrt. Bei Timoxenus´ letztem unvollendeten Satz sah ich auf. Er sprach von seiner Familie in der Vergangenheit. Etwas musste geschehen sein.


    Was ist denn mit ihnen passiert?


    Ganz vorsichtig fragte ich nach und hoffte, ihn damit nicht zu kränken. Manchmal konnten die Erinnerungen an die verlorene Familie auch noch Jahre danach schmerzen. Davon konnte ich selbst ein Lied singen. Gelegentlich half es aber auch, wenn man über tragische Dinge sprach, die man erlebt hatte.
    Diarmuid rettete mit seinem Erscheinen die Situation. Es war mir erst gar nicht aufgefallen, dass er sich selbstständig gemacht hatte und non auf Entdeckungsreise ging. Erst als Timoxenus mich nach dem Kind fragte, wurde ich auf ihn aufmerksam.


    Oh, ja! Das ist Diarmuid, mein Sohn, sagte ich ganz stolz. Timoxenus kniete sich zu ihm hin und erzählte mit ihm. Das gefiel dem Kleinen besonders. Weder das Kind noch ich bemerkten etwas von Timoxenus´ beinahe-Versprecher. Wir schöpften keinen Verdacht, wer er wirklich war und was ihn hierher getrieben hatte.

    Ich sah ihr mit gemischten Gefühlen zu, wie sie mit meinem Kind neckte. Sie nannte ihn einen süßen Wicht. Ihre Stimme klang mit einem mal viel höher, als sonst. Sie verhielt sich auch ganz anders, als ich es von ihr gewohnt war. Ich hatte schon davon gehört, dass sich manche Menschen änderten, wenn sie es mit kleinen Kindern zu tun bekamen. Es machte sie ein Stückchen menschlicher.
    Der Kleine reagierte ganz unbefangen auf sie. Woher hätte er denn auch wissen sollen, in wessen Armen er gerade lag. Diarmuid schenkte ihr ein zahnloses Lächeln und brabbelte dabei lustig vor sich hin.
    Langsam lockerte sich meine Angespanntheit, besonders dann, als sie mir erklärte, ich müsse mich vor ihr nicht fürchten und ich solle doch bei ihr bleiben. Ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, was diesen Sinneswandel bei ihr herbei geführt hatte. Im Augenblick wirkte sie auf mich wie ein hilfloses Bündel. Aber weshalb ihr ausgerechnet meine Gegenwart so wichtig war, verstand ich auch nicht. Oder war das einfach nur eine List, um es mir zu zeigen, was sie tatsächlich von mir hielt? Aber da war etwas an ihr, was mir sagte, dass ihre Bitte echt war.
    Nach einer Weile gab sie mir den Kleinen wieder. Sehnsüchtig warf er der fremden Frau noch einen Blick zu. Aber er hatte auch nichtsdagegen, wieder in Mamas Armen zu liegen.


    Wenn du es wünschst, bleibe ich gerne noch etwas.


    Ich versuchte wenigstens ansatzweise zu lächeln. Es ging einfach nicht, dass ich auf Kommando meine Furcht vor ihr ablegte. Denn die war ja nicht unbegründet gewesen. Das musste sie doch verstehen. Dafür brauchte ich Zeit, um neues Vertrauen zu fassen. Aber wahrscheinlich hatte sie längst unsere letzte Begegnung vergessen. Genauso wie sie meinen Namen vergessen hatte, den Namen einer fremden Sklavin.


    Ich heiße Bridhe, domina, sagte ich artig und schlug meine Augen nieder.

    Ja, so werde ich es machen, antwortete ich nickend Glabrio und arbeitete dann weiter.
    Wenig später, nachdem ich die Vorbereitungen abgeschlossen hatte, ging ich, um nach Diarmuid zu sehen. Der Kleine war jetzt wach. Ich nahm ihn mit zurück zu mir in die Küche und gab ihm dort etwas zu essen. Vorerst wollte ich ihn in meiner Nähe wissen. Ob das gut ging, musste sich noch zeigen. Wegen meinem Kind hatte ich schon ein schlechtes Gewissen. Wenn ich den ganzen Tag arbeitete, dann konnte ich mich kaum um ihn kümmern. Dann blieb nur der Abend.


    Ich war gerade dabei, das Hühnchen vorzubereiten, als plötzlich die Tür aufging und Timoxenus in der Küche stand.


    Nein, ich weiß nicht. Das ist heute mein erster Tag.


    Ich warf dem jungen Mann einen freundlichen Blick zu. Er war in einer ähnlichen Lage, wie ich es war, so glaubte ich. Auch er arbeitete auf Probe.


    Timoxenus, ist das ein griechischer Name? fragte ich, während ich nebenbei das Fleisch würzte.
    Mein kleiner Sohn hatte zu Ende gegessen und begann nun die Küche zu erkunden. Auf einmal stand er vor Timoxenus und schaute ihn mit seinen großen dunklen Augen an.

    Die Zwiebeln hatten mir die Tränen in die Augen getrieben. Ich hörte Schritte und auch Glabrios Stimme. Ich drehte mich zu ihm hin und beinahe hätte ich mir die Tränen mit der Hand abgewischt, in der ich zuvor die Zwiebel gehalten hatte. Glabrio kam in die Küche und er war nicht allein. Ich legte das Messer beiseite und wischte die Tränen mit dem Handrücken der anderen Hand weg.
    Glabrios Kompliment ließ mich verlegen lächeln, während der fremde Mann, der Timoxenus hieß, mich begrüßte.


    Salve Timoxenus, erwiderte ich.
    Glabrio teilte dem Mann seine Arbeit zu, die ihn in den Keller führte. Timoxenus machte sich sofort auf den Weg. Ich sah ihm noch kurz hinterher.


    Äh, ja. Ich dachte, ich fange schon einmal an, meinte ich schließlich zu Glabrio, der mir nun meine Aufgaben aufzählte. Die Suppe sollte keine Herausforderung werden und der Fisch auch nicht. Das hatte ich schon oft zubereitet und kannte mich damit auch aus. Dann war schon eher das Huhn eine Hürde, die ich nehmen musste. Bei uns zu Hause hatte es so gut wie nie Huhn gegeben. Das war eine Delikatesse, die für meine Familie nicht erschwinglich war. Ein wenig Erfahrung hatte ich aber in der flavischen Küche sammeln können. Dort gab es solche Speisen täglich.


    Gut, dann werde ich eine Gemüsesuppe kochen. Den Fisch werde ich mit frischen Kräutern füllen und werde ihn anschließend grillen und das Huhn werde ich am besten ganz traditionell römisch zubereiten, damit alle zufrieden sind.


    Im Geiste ging ich schon einmal jeden Handgriff durch, der notwendig war. Doch schon bald stellte sich mir die Frage, mit wie vielen Gästen ich zu rechnen hatte, also in welchen Mengen ich kochen musste.


    Wie viele Gäste kommen denn täglich in deine Taberna?

    Phraates Antwort kam prompt und war eindeutig. Wie ich es mir gedacht hatte, war auch er ein Opfer des Krieges geworden. Ich dachte mir, dass das noch schlimmer sein musste, im Kampf gefangen genommen zu werden und dann als Sklave zu enden, als einfach nur geraubt und seiner Familie entrissen worden zu sein, wie es mir widerfahren war. Mein Volk hegte gegen die Menschen jenseits des großen Wassers keinen Groll, solange sie nicht Wurzeln schlugen, wenn sie auf unsere Insel kamen. Doch sein Volk war der erklärte Feind der Römer und ein ebenbürtiger Gegner.
    Er bedankte sich und drehte sich zu mir um, nachdem er aufgestanden war. Dabei kam eine große Narbe zum Vorschein, die ihm höchstwahrscheinlich zum Verhängnis geworden war. Ich staunte nicht schlecht, als ich sie sah.


    Du bist verletzt worden, im Krieg, mutmaßte ich und konnte gar nicht von der Narbe lassen, bis er sie schließlich mit seiner Tunika wieder bedeckte. Jetzt erst merkte ich, wie ich ihn angestarrt haben musste. Ich sah schnell zu Boden und wollte auf der Stelle mit dem Rückzug beginnen Es war schon Zeit. Ich wollte nicht warten, bis mir alle Flavier über den Weg liefen. Etwas aber hielt mich zurück. Seine Frage, die mehr wie eine Feststellung klang und meine Heimat, die ich verloren hatte.


    Nein, nicht nach Hibernia. Hibernia wird immer für mich verschlossen bleiben, antwortete ich traurig. Ich hatte mit mir zu kämpfen, nicht in Tränen auszubrechen. Immer wieder hatte ich mir gesagt, dass es kein Zurück geben durfte. Als Entschädigung hatte mir Brigid meinen Sohn geschenkt. Und trotzdem war es schwer, sich damit abzufinden, nie mehr die grünen Hügel sehen zu dürfen, die sich in mehr als vierzig verschiedenen Schattierungen dem Betrachter zeigten. Die kleinen wilden Bäche, mit ihrem klaren frischen Wasser, dem das Moor eine braune Färbung verliehen hatte. Das alles war in unendliche Ferne gerückt. Unerreichbar für mich!


    Eigentlich möchte ich ja gar nicht fort. Aber ich muss, hörte ich mich plötzlich sagen. Ich war wieder unverbesserlicher Vogel, der zu lange in seinem Käfig gesessen hatte und jetzt nur widerwillig hinaus wollte, als er die Möglichkeit hatte. Ich sah an mir herab und suchte die Hand meines Kindes.


    Nein, das kannst du nicht! Danke! Ich wünsche dir auch viel Glück.


    Ich vermied es, Phraates direkt anzuschauen, damit er nicht die Trauer in meinen Augen sehen konnte. Er sollte durch mich nicht auch noch seinen letzten Funken Hoffnung verlieren. Ich hatte schon genug Menschen schlimmes angetan.

    Ein medicus war nicht mehr von Nöten. Ich hatte die richtige Stelle getroffen und er spürte eine Besserung. Trotzdem massierte ich noch einen Moment weiter, bis auch das letzte Öl in die Haut eingedrungen war.


    Du bist die körperliche Arbeit nicht gewohnt, hm?


    Wenn er aus Parthien war und erst seit kurzem hier war, dann war er wahrscheinlich auch noch nicht lange Sklave. Ich selbst wusste ja nur zu genau, welch tiefgreifender Einschnitt dies für das Leben bedeutete, wenn man plötzlich über Nacht in diese Rolle hineingedrängt wurde. Man hatte keine Wahl, wenn man leben wollte. Man musste sich dieser Rolle ergeben und darauf hoffen, dass man auf Menschen traf, die es gut mit einem meinten.


    Du kannst dich wieder anziehen!


    Ein letztes Mal strich ich über seinen Rücken. Dann wischte ich mir meine Hände an einem Tuch ab. Jetzt gab es hier nicht mehr viel für mich zu tun, als Abschied zu nehmen.
    Es war eigenartig. Ich fühlte diese Schwere, die mich auf einmal umgab, jetzt als der Moment immer näher kam. Es hatte eine Zeit gegeben, da wäre ich ohne weiteres gegangen, weil ich wusste, es gab ein Zuhause für mich. Aber jetzt wartete nur die Ungewissheit da draußen.


    Als ich hier angekommen bin, beherrschte ich kaum ein Wort ihrer Sprache. Wenn du überleben willst, dann musst du lernen. Ich habe auch vieles lernen müssen. Schade, dass wir keine Gelegenheit mehr haben werden, uns näher kennenzulernen. Ich wünsche dir viel Glück!


    Ich hatte meinen Blick auf Phraates gerichtet, als der sich wieder erhoben hatte. Mein sanftes Lächeln sollte ihm Mut machen. Dann sah ich mich nach meinem Sohn um, der spielend am Boden saß.


    Diarmuid, wir müssen jetzt gehen!


    Der Kleine verzog zuerst das Gesicht, weil er sich in seinem Spiel gestört fühlte. Dann besann er sich aber und stand auf.

    Ein weiterer herber Verlust, den wir hinnehmen müssen und der unsere Spielwelt etwas ärmer machen wird.
    Ich wüsche Dir auf deinem weiteren Weg alles erdenklich Gute! :)

    Das einfallende Licht der Sonnenstrahlen hatte mich geweckt. Ich streckte mich und rekelte mich noch einmal in dem warmen weichen Bett, ehe ich mich dazu aufraffte, aufzustehen. Diarmuid schlief noch. Ich entschied mich, ihn noch schlafen zu lassen. Er hatte noch viel nachzuholen, nach dem gestrigen Tag.
    Nachdem ich mich gewaschen und angezogen hatte, verließ ich das Zimmer, um nach Glabrio zu suchen. Heute war das große Probekochen, das darüber entschied, ob ich die Stelle als Köchin bekam oder nicht.
    Am Abend zuvor hatte ich kaum etwas von dem Haus gesehen, außer dem Schankraum. Dort sah ich nach, fand aber niemanden. Ich ging weiter und kam in die Küche. Aber auch dort war niemand.
    Wenn ich den Wirt schon nicht fand, wollte ich mich wenigstens hier schon ein bisschen umschauen. Ich wusste nicht, ob ich zuerst noch einkaufen musste, oder ob alles vorrätig war, was ich zum kochen benötigte. Am besten wartete ich hier, bis Glabrio kam.
    Als mir das Warten zu lange wurde, sah ich mich nach den Zutaten um und fand verschiedene Gemüse. Ich begann, die Zwiebeln, die Möhren und den Rest des Gemüses zu waschen, zu schälen und kleinzuschneiden. Dann sah ich mich noch nach anderen Zutaten um und wurde fündig.

    Zitat

    Original von Marcus Petronius Glabrio


    Ah ja, verstehe!


    Ich nickte und dachte dabei weiter über die Germanin nach, die ich nur wenige Male getroffen hatte. Ich hatte sie als freundliche und stille, fast verschlossene Frau in Erinnerung. Bei unserem ersten Zusammentreffen hatte ich noch geglaubt, sie wäre eine Konkurrentin für mich, weil ich sie mit Severus gesehen hatte. Aber zu diesem Zeitpunkt war keine Frau mehr eine Konkurrentin für mich, wenn es um ihn ging.
    Es war doch einfach unglaublich! Schon wieder ertappte ich mich, wie ich an Severus denken musste. Es war wohl mein Schicksal, niemals ganz von ihm loszukommen, selbst jetzt, wo ich geglaubt hatte, alles hinter mir gelassen zu haben.


    Glabrio war mit meinem Vorschlag einverstanden, mein Können in einem Probekochen zu testen. Ich konnte es kaum glauben, doch noch eine Aussicht auf Arbeit gefunden zu haben. Morgen würde ich mein bestes geben, um ihn zu überzeugen, dass ich gut genug war, um bei ihm arbeiten zu können. Doch vorher sollte ich mich ausschlafen. Auch der Kleine war todmüde.
    Glabrio führte uns in ein Zimmer, in dem nur ein Bett stand. Das war ausreichend für uns. Es war viel mehr, als ich erwartet hatte. Ich dankte ihm vielmals und wünschte ihm noch eine gute Nacht.
    Esdauerte nicht lange und ich schlief sofort ein, nachdem ich in das frische, gutriechende Bett gestiegen war. Auch mein kleiner Sohn hatte bereits die Augen geschlossen und beide verbrachten wir eine erholsame Nacht, die erst endete, als die ersten Sonnenstrahlen in das Zimmer einfielen.

    Ich war gespannt darauf, wie er meine Geschichte aufnehmen würde. Manche hatten sich lustig über mich gemacht, als ich nur leise andeutete, dass meine Freilassung noch vor der Geburt des Kindes war. Andere warfen mir vor, ich hätte mich vorsätzlich schwängern lassen, um somit eine Möglichkeit zu haben, frei zu kommen. Das war natürlich alles Unsinn. Ich wollte nicht meine Freiheit. Alles was ich wollte, war nur die Freiheit für mein Kind. Mehr nicht. Dass ich damit selbst frei kam, aber mir der Weg nach Hause versperrt war, war einfach nur Ironie. Doch alles was kam, war eine Frage nach einer Sklavin.


    Siv? Nein, bei uns gab es keine Siv.


    Doch, der Name sagte mir etwas. Allerdings war es bereits lange her, dass ich ihn zum letzten Mal gehört hatte. Das war noch vor Diarmuids Geburt. Ich versuchte, mir das Gesicht dieser Germanin vor meinem inneren Auge vorzustellen. Aber ich kam nicht drauf, wer diese Siv war.


    Aber warte! Siv, Siv..., den Namen habe ich schon einmal gehört. Ich kann ihn nur nicht...


    Doch dann, wie ein Geistesblitz, fiel es mir wieder ein! Der Unterricht damals, zu dem auch die aurelischen Sklaven in die Villa Flavia gekommen waren. Da war sie dabei gewesen! Jetzt konnteich mich wieder genau an sie erinnern.


    Ja, doch! Ich kenne eine Siv. Natürlich weiß ich nicht, ob es sich um deine Siv handelt. Die Siv, die ich kenne, ist Sklavin in der Villa Arelia.


    Aber ich wusste noch etwas mehr über sie. Genau, es fiel mir wieder ein, wie sie damals, an den Sturnalien mit Severus gesprochen hatte. Hatte er damals nicht gesagt, sie sei vom gleichen Volk, wie er? Doch, das hatte er!


    Diese Siv, die du meinst, ist sie zufällig Chattin? Aber warum willst du das wissen? Kennst du auch Siv?


    Das klang schon etwas mysteriös. Aber vielleicht war es das ja gar nicht, denn selbst wenn seine Siv Chattin war, wäre es purer Zufall gewesen, wenn es die Siv war, die ich kannte. Schließlich gab es unzählige germanische Sklavinnen in Rom, von denen wahrscheinlich auch viele Siv hießen.


    Doch dann schien es, als sei das Glück wieder zu mir zurückgekommen. Glabrio lächelte erfreut, als er hörte, was ich kann und ihn schließlich fragte, ob er mich gebrauchen könnte.


    Ach ja wirklich? fragte ich. Die wage Hoffnung, hier die ersehnte Arbeit zu finden, ließ mein Gesicht erhellen.


    Ich habe früher zu Hause für meine Familie versorgt, nachdem meine Mutter gestorben war. Alles was ich kann, habe ich von ihr gelernt. Wenn du willst, kann ich morgen ja einmal zur Probe kochen.


    Ich war mir zwar nicht sicher, ob ich seinen Ansprüchen gerecht werden konnte, aber ich wollte mir große Mühe geben und war bereit, auch noch dazu zu lernen.

    Während Diarmuids Mutter fort war, blieb der Kleine zurück. Zuerst wollte er schon losheulen, als seine Mutter einfach aus der Kammer lief, ohne ihn mitzunehmen. Doch dann fiel ihm ein, dass er doch nicht ganz alleine war. Der lustige Mann lag ja noch auf Mamas Bett. Kaum hatte er ihn mit seinen kleinen dunklen Augen angeschaut, begann der mit ihm zu erzählen. Es stimmte, Diarmuid verstand kein Wort und doch fand er den Mann interessant. Seinerseits brabbelnd lief er zu dem Mann. Dabei fiel er einmal hin. Aber das konnte ihn nicht erschüttern! Er stand wieder auf, lief weiter und lächelte ihn an, so dass seine drei Zähnchen sichtbar wurden, die er bereits hatte.
    Als Diarmuid endlich das Bett seiner Mutter erreicht hatte, streckte er seine Fingerchen nach dem Mann aus und packte ihn an seiner Nase, als ob er testen wollte, ob sie auch echt war. Der Kleine fand das so lustig, dass er laut zu lachen begann. Als die Nase nicht nachgab, ließ er sie wieder los und betrachtete den Mann.


    Mama Haia! sagte er auf einmal. Es klang fast vorwurfsvoll. Allerdings konnte er an dem Zustand nicht viel ändern. Der fremde Mann auf Mamas Bett blieb trotzdem liegen. Der Kleine verlor allmählich das Interesse an dem Mann, denn er schnitt keine lustigen Grimassen mehr. Schließlich trotte er davon. Es dauerte nicht lange, bis er etwas Neues zum spielen fand.



    Von dem, was der kleine Diarmuid getrieben hatte, während ich das Öl geholt hatte, wusste ich natürlich nichts. Inzwischen saß er schon wieder auf dem Boden und spielte mit einer einfachen Puppe, die ich ihm genäht hatte.
    Meine Hände glitten indessen über den Rücken des Sklaven. Mit kreisenden Bewegungen massierte ich das Öl ein und stieß dabei bald auf die schmerzende Stelle. Den Rest seines Rückens vernachlässigte ich nun und konzentrierte mich ganz auf diese Stelle. Ich intensivierte den Druck.


    Spürst du schon eine Besserung?

    Ich sah ihm nach, als er Wasser für den Kleinen holte. Seine Gastfreundschaft war scheinbar grenzenlos, was für mich unerklärbar war. Dankend nahm ich den Becher und versuchte meinem Kind das Wasser schluckweise einzuflößen. Er hatte großen Durst, nachdem er fast den halben Tag nichts zu trinken hatte. Aber ich sah auch, wie Diarmuids Augen immer kleiner wurden. Das Kind war sehr müde und inzwischen auch satt. Er würde bestimmt bald einschlafen, selbst hier auf dem Stuhl. Sanft strich ich ihm über sein Köpfchen, während ich dem Mann zuhörte.


    Ja, westlich davon. Es ist sehr weit weg. Außerhalb eures Imperiums.


    … und unerreichbar für mich. Aber das gehörte nicht hierher. Vielmehr hörte ich der Geschichte des Mannes interessiert zu. Wie mir schien, war er viel herum gekommen und war wieder zurückgekehrt, in seine Heimat. Dort hatte er eine Aufgabe für sich gefunden. Wirklich beneidenswert!
    Jetzt war ich wieder am Zuge. Seine Frage verriet es bereits. Er wollte noch mehr von mir erfahren. Lange konnte ich ihm meine Geschichte nicht mehr vorenthalten. Weshalb sollte ich auch? Ich hatte nichts zu verbergen und es gab nichts, wovor ich mich schämen musste.


    Ich bin schon seit einigen Jahren hier. Männer hatten mich geraubt und von meiner Insel fortgebracht. Ich bin als Sklavin nach Rom gekommen. Bevor mein Kind geboren wurde, bin ich freigelassen worden. Und jetzt möchte ich mein neues Leben beginnen. Allerdings hatte ich bisher wenig Glück.


    Genaugenommen war das Glück mir schon vor längerer Zeit abhanden gekommen. Vielleicht lag es aber auch nur an mir, wie ich meine Umgebung wahrnahm und die allesbeherrschende Freiheit, die mich seit längerem umgab.


    Als Amme? Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht, gab ich zu.


    Ich nehme jede Arbeit, die ich bekomme. Also fast jede. Ich weiß, was alles im Haushalt zu tun ist und ich kann auch kochen und backen. Du brauchst nicht zufällig jemanden in deiner Taberna?
    Das wäre gut. Dann konnte ich mich für alles revanchieren, was er für mich tat.