Beiträge von Flaviana Brigantica

    Gespannt sah ich Catubodus nach, wie er sein Zimmer betrat. Hoffentlich gefiel es ihm. Zufrieden konnte ich aber feststellen, dass es das tat. Er drückte mir gleich einige Münzen in die Hand für die Miete und den Met. Lächelnd dankte ich ihm und war froh, dass er die kommende Woche hier sein würde. Er sagte für die erste Woche, als er mit das Geld gab. Das ließ mich darauf hoffen, er könne vielleicht noch länger hier bleiben. Diarmuid mochte ihn und vielleicht konnte er ab und zu etwas Zeit erübrigen. Wenn ich meinen ersten Lohn hatte, konnte ich mich dafür auch erkenntlich zeigen.
    Doch dann geschah etwas, was meine ganzen Hoffnungen mit einem Mal in Frage stellte. Diarmuid hatte Catubodus Zimmer als Spielplatz auserkoren. Ich hatte den Jungen schon zurecht gewiesen und zum Glück konnte ich den Göttern danken, dass er sonst ein folgsames Kind war. Etwas verdrossen oder sogar enttäuscht sah der Kleine mich an, als ob ich ihm gerade sein Spielzeug weg genommen hätte. Doch dann griff Catubodus nach ihm und hob ihn vom Bett herunter. Sein ganzes Wesen hatte sich binnen weniger Sekunden geändert. Ganz plötzlich war er nicht mehr der nette Mann, der gut mit Kindern konnte. Seine Stimme klang eisig, sein Blick war unheimlich. Er machte dem Kleinen Angst, so dass er zu weinen begann.


    Komm Diarmuid!


    Ich streckte ihm meine Hand entgegen, die er auch gleich ergriff. Ich fragte mich, ob ich mich so sehr in dem Fremden getäuscht hatte. Wohl oder übel musste ich realisieren dass er doch ein Fremder war auch wenn er für eine Zeit lang nett und freundlich zu dem Kleinen gewesen war.


    Es tut mir leid, wegen meinem Sohn. Er wollte dich bestimmt nicht stören! erklärte ich distanziert.


    Wir lassen dich jetzt alleine. Wenn du noch etwas brauchst, dann findest du mich unten.

    Ich war weit davon entfernt, mich wohl zu fühlen in meiner Haut. Dieser Mann machte mir Angst. Seine Stimme, sein Blick, sein Aussehen, alles an ihm wirkte kaltherzig auf mich. Er ließ uns nicht im Zweifel, wie unerwünscht wir hier waren. Ich konnte mir nicht erklären, was zwischen diesem Mann und dem Flavier stand, doch er schien es voll auskosten zu wollen, dass der Flavier es war, der in der Bittstellerrolle stand. Dabei bat er nicht für sich selbst, sondern für meinen Sohn. Jedoch konnte ich mir vorstellen,dass es genügend Leute gab, die die Flavier nicht besonders mochten, warum auch immer. Sie waren eine reiche einflussreiche Familie und manchem ein Dorn im Auge.


    Ich stand noch immer halb verdeckt hinter Aristides und hoffte still, dass ich nicht allzu lange hier bleiben musste, da es doch nur eine Formalität war, wie ich glaubte, die schnell erledigt war. Allerdings wurde ich das Gefühl nicht los, dass es hier um viel mehr ging.
    Spätestens als Carteius den Flavier völlig ignorierte, nachdem der ihm erklärt hatte, weswegen wir eigentlich hier waren, und mich direkt ansprach, blieb mir fast das Herz stehen. Damit hatte ich am wenigsten gerechnet. Wenn ich jetzt etwas Falsches sagte, dann war alles vertan.
    Ich hasste solche Situationen, auch wenn man mir schon oft gesagt hatte, ich solle mich meinen Ängsten stellen. Diesmal übertrugen sich meine auf mein Kind. Der Kleine wurde auf einmal unruhig, begann zu quengeln und wandte sich in meinen Armen. Ich versuchte ihn zu besänftigen, was sich als sehr schwierig herausstellte.
    Carteius konfrontierte mich mit einem Schwall voller Fragen, die ich ganz einfach hätte beantworten können, aber es ging plötzlich nicht mehr! Vielleicht lag es an dem quengeln des Jungen oder einfach an dem Unbehagen, das der Mann ausstrahlte. Ich jedenfalls starrte ihn nur an, mit offenem Mund auch noch und musste auf ihn, wie eine Irre wirken.
    Die kleinen kalten Augen des Mannes suchten meinen Blick. Er musterte mich und wartete auf Antworten, die ich ihm nicht schuldig bleiben durfte, wollte ich etwas erreichen. Dabei fand er daran gefallen mich noch zu verunsichern, als ich es eh schon war.


    Mein Sohn… er heißt nach seinem Vater. Sein.. sein Vater ist Caius Flavius Aquilius.


    Leise und mit belegter Stimme brachte ich schließlich einige Worte hervor. Doch die nächsten Fragen stürzten mich in wahre Bedrängnis. Aquilius hatte nur in meiner Gegenwart das Kind als seines anerkannt. Es gab keinen Zeugen. Mich verließ der Mut.

    Zeugen..? fragte ich deshalb zögernd und blickte hilfesuchend zu Aristides.

    Ich hatte keine Ahnung, was in Catubodus Kopf vorging, an wen ich ihn erinnerte oder wie ich auf ihn wirkte. Das war vielleicht auch ganz gut so. Schließlich war ich hier, um zu arbeiten, damit ich meinem Sohn ein einigermaßen erträgliches Leben bieten konnte und nicht um mit dem erstbesten Kerl anzubandeln. Keine Frage, ich fand ihn nett und ich war froh, dass er auf meinen Jungen aufgepasst hatte. Aber ich musste mich gleich von dem Gedanken verabschieden, dass das immer so war.


    Catubodus folgte mir, nachdem er sein Gepäck unter der Bank hervorgeholt hatte. Wahrscheinlich waren das alles seine Habseeligkeiten.
    Ich öffnete die Tür zu seinem Zimmer und trat zur Seite, damit er eintreten konnte. Es war ein heller, einfach gehaltener Raum, der aber sauber und aufgeräumt war. Die Wände waren mit weißer Farbe getüncht, die an einigen Stellen schon leicht abgebröckelt war. An der Seite neben der Tür befand sich ein hölzernes Bett auf dem ein Kissen und eine Decke bereit lagen. Neben dem Bett befand sich eine kleine Nische in der Wand, in der eine kleine Öllampe stand. Dann waren da noch ein kleiner Tisch und ein Stuhl der neben dem Fenster stand. Darauf stand eine Schüssel und ein Krug mit frischem Wasser, das zum Waschen gedacht war. Unterhalb des Bettes befand sich noch eine Truhe, die dazu diente, um die Kleidung der Gäste aufzunehmen. Alles in allem erinnerte mich das Zimmer ein kleinwenig an die Kammer, in der ich in der Villa Flavia gewohnt hatte.


    Ich hoffe, es gefällt dir? Kann ich noch etwas für dich tun?


    Ehe ich mich versah, hatte auch Diarmuid das Zimmer betreten und das erste was er tat, war auf das Bett zu klettern. Das glaubte ich jetzt nicht! Das war mir furchtbar peinlich. Aber der Kleine hatte an dem Fremden einen Narren gefressen. Er wollte nicht mehr von ihm weg.


    Diarmuid wirst du wohl? rief ich erbost.

    Es war doch wesentlich bequemer, den Weg zum Forum Romanum in der Sänfte zurückzulegen. Auch das Innenleben der Sänfte war prachtvoll ausgestattet. Man saß weich und komfortabel und konnte, während man durch die Stadt getragen wurde, durch den dünnen durchsichtigen Stoff nach draußen schauen. Allerdings blieb dadurch der Einblick für allzu neugierige Passanten verwehrt.
    Ich empfand es noch immer als sehr ungewohnt, in der Sänfte zu sitzen und nicht neben ihr herlaufen zu müssen, so wie ich es die letzten Jahre immer getan hatte. Daran würde sich auch vermutlich nichts ändern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich noch oft in den Genuss einer Sänfte kam, war doch eher gering.
    Der Kleine bekam davon nicht viel mit. Er schlummerte sanft in meinen Armen. Erst als wir an unserem Bestimmungsort angekommen waren und es ans Aussteigen ging, wurde er wach, öffnete seine Äuglein einen Spalt und gähnte einmal kräftig. Als er nach einem kurzen Moment richtig wach geworden war, verfolgte er alles mit seinen Augen, was um ihn herum geschah.
    Aristides half mir aus der Sänfte. Seitdem ich ihn und er mich, an den Saturnalien richtig kennen gelernt hatte, war er immer freundlich und zuvorkommend zu mir. Dafür und auch weil er heute hier war, war ich ihm unendlich dankbar. Wäre ich auf mich alleine gestellt gewesen, dann wäre ich auf ganzer Linie verloren gewesen.


    Danke vielmals!


    Ich lächelte ein wenig unsicher zurück und folgte ihm einfach in das Gebäude. Hier war ich vorher noch nie gewesen. Alles war so fremd. Nur der Geruch von Schriftrollen erinnerte mich ein wenig an die Bibliothek in der Villa, in der ich einige Male gewesen war, als ich Lesen gelernt hatte. Meine Augen musterten ganz genau jede Einzelheit, die mir auf dem Weg auffiel.
    Wir betraten einen Raum, in dem es nichts anderes außer Regale mit Schriftrollen zu geben schien. Kurz schweifte mein Blick zu der Statue des Kaisers, wurde aber ganz schnell wieder abgelenkt, als ich die Stimme eines Mannes hörte, der den Flavier zu kennen schien. Allerdings machte Aristides nicht den erfreutesten Eindruck, den Mann wieder zu sehen. Ein wenig eingeschüchtert stellte ich mich hinter Aristides und verfolgte das Gespräch. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei. Womöglich konnte dieser Mann meinem Sohn doch noch sein Recht verwehren.

    Ich ging in eines der freien Zimmer und öffnete als erstes das Fenster, um ein wenig den muffigen Geruch los zu werden. Diarmuid begleitete mich. Er wollte mir helfen, sagte er. Und wirklich, er gab sich große Mühe, mir beim Bettenmachen zu helfen. Besonders toll fand er es, die Kissen auszuschütteln. Manchmal flogen dann einige Federn durch die Luft, die er dann versuchte, weg zu pusten. In der Zwischenzeit bereitete ich alles vor, damit der Gast das Zimmer beziehen konnte. Auch darin hatte ich im Laufe der letzten Jahre Übung bekommen.
    Es hatte nicht sehr lange gedauert, bis alles fertig war. Jetzt musste ich nur noch Catubodus holen. Er saß noch immer an seinem Platz in der Schankstube und wartete. Ich ging zu ihm.


    Dein Zimmer wäre soweit. Darf ich dich gleich hin bringen?

    Diarmuid hatte kein Glück. Auch Catobodus gab ihm zu verstehen, dass er nun zu seiner Mutter zurück müsse. Ich rechnete schon jeden Augenblick damit, es würde gleich ein großes tränenreiches Geschrei geben. Aber das blieb glücklicherweise aus. Irgendetwas war an dem Fremden, was den Kleinen so faszinierte, dass er glatt das Heulen vergas. Artig kam er und wartete zusammen mit mir, bis sich Catubodus äußerte. Mir kam es so vor als sei er tief in Gedanken versunken. Dabei hatte er mich richtiggehend angestarrt, als habe er einen Geist gesehen. Ich ließ mir nichts anmerken und erst recht nicht sprach ich ihn darauf an.
    Wenig später teilte er mir dann mit, er wolle hier auch übernachten. Zumindest für eine Woche wäre er dann wahrscheinlich noch hier. Unauffällig sah ich zu meinem Sohn hinunter und lächelte.


    Der Met kommt sofort! Ich mache mich dann gleich an die Arbeit. Wenn dein Zimmer fertig ist, komme ich zurück und hole dich.


    Diarmuid ließ ich noch kurz bei Catubodus stehen und ging zum Thresen hinüber. Dort füllte ich den Honigwein in einen Becher und brachte ihn Catubodus. Erst dann nahm ich den Kleinen mit.

    Der Junge lachte vor Freude. Als er mich jedoch sah, verstummte sein Lachen, denn er wusste, dass es jetzt Abschied nehmen hieß, von dem fremden Mann. Catubodus war sicher auch heilfroh, den Kleinen los zu werden.
    Zu meiner Überraschung hatte es aber keine Schwierigkeiten gegeben. Es hatte sogar den Anschein, als hätte Catubodus Spaß dabei gehabt. In diesem Moment war ich froh und betrübt zugleich. Es würde für mich nicht jeden Tag jemanden wie ihn geben, der auf mein Kind aufpassen würde. Bereits an meinem ersten Tag hatte ich erkennen müssen, wie schwierig es war, Kind und Arbeit unter einen Hut zu bekommen. Es ging einfach nicht, dass Diarmuid unbeaufsichtigt blieb, während ich arbeitete. Ich nickte dem Kleinen zu, dass er sich bei dem netten Mann verabschieden sollte.


    Mama, da bleiben!, protestierte der Kleine und sah erwartungsvoll zu Catubodus, in der Hoffnung, er würde etwas dazu sagen. Allerdings sagte er nicht das, was sich der Junge erwartet hatte. Vielmehr stellte er mir eine Frage.


    Äh, ja! So viel ich weiß, kostet es fünf Sesterzen die Woche. Soll ich dir ein Zimmer fertig machen?


    Meine Müdigkeit war auf einmal verflogen. Brigid, lass ihn hier bleiben, bat ich im Stillen. Hätte ich mich in diesem Moment selbst sehen können, so hätte ich feststellen können, wie ich Catubodus ansah. Ich himmelte ihn an, obwohlich ihn doch gar nicht kannte. Wenn er noch einige Tage blieb, dann konnte er mir vielleicht helfen und ich konnte ihn noch etwas besser kennen lernen.

    Mit einer gewissen Erleichterung war ich wieder in die Küche zurückgekehrt. Glabrio hatte mich nicht auf die Straße gesetzt, noch nicht und Diarmuid war erst einmal versorgt. Ich vermied es, den Gedanken weiterzuspinnen und mich zu fragen, was ich da soeben getan hatte, nämlich dass ich mein Kind einem Fremden anvertraut hatte, der, wenn es ihm gefallen hätte, mit meinem Sohn einfach türmen und ihn womöglich auf dem nächst besten Sklavenmarkt zu Geld machen konnte. Eine Weile hielt ich es durch, diesem Fremden mein Vertrauen zu schenken. Aber dann quälte mich die Vorstellung so sehr, Diaruid zu verlieren, das ich alles stehen und liegen ließ, und zur Küchentür hinauslugte. Da war er noch, dieser Catubodus und erzählte dem Kleinen etwas, der ihn nur mit großen Augen ansah. Vielleicht war ich ja wirklich an jemanden geraten, der es ehrlich mit mir meinte und dem ich vertrauen konnte.
    Weitaus beruhigter ging ich wieder an die Arbeit. Jetzt wollte mir alles viel leichter von der Hand gehen und dadurch verging die Zeit, wie im Fluge. Nachdem ich die letzte Bestellung gerichtet hatte, das schmutzige Geschirr und die Küche gesäubert hatte, zog ich mir erschöpf die Schürze aus und legte sie beiseite. Sie war ganz schmutzig geworden. Auch mir hing noch der Geruch von Essen an. Was hätte ich jetzt für ein Bad gegeben! Das musste aber noch warten. Zuerst wollte ich nach meinem Jungen sehen. Die Gutmütigkeit des Fremden wollte ich auch nicht überstrapazieren.
    Er saß noch an seinem Platz und Diarmuid bei ihm. Lächelnd trat ich zu den beiden. Diarmuid machte einen glücklichen Eindruck. Ihm hatte es offenbar bei dem fremden Mann gefallen.


    So, da bin ich wieder! Ich hoffe, er hat dir keinen Ärger gemacht.

    Der Junge ließ sich nicht groß stören. Er schlummerte ruhig weiter in meinem Arm. Ich jedoch, die ich überhaupt keine Ahnung davon hatte, wie diese ganze Prozedur von Statten ging, nickte nur, als Aristides mir erklärte, wie einfach es doch war. Nur eine Formsache, meinte er. Ich war wirklich froh, dass er sich überhaupt dieser Sache angenommen hatte. Alleine wäre ich komplett verloren gewesen. Mich schmerzte es schon etwas, dass es nicht der Vater meines Kindes war, der mich begleitete. Aber damit musste ich mich eben einfach abfinden. Ich hatte im Laufe der Zeit gelernt, in allem und jedem das Gute zu entdecken. Das hatte mir schon oft geholfen. Ohne dies hätte ich kaum die schwierigsten Zeiten in meinem Leben überstanden. Nur mit dem Leben zu hadern hätte mich wahrscheinlich irgendwann um den Verstand gebracht.
    Ich nickte auch, als er vorschlug, die Sänfte zu nehmen, um zum forum romanum zu gelangen. Schon immer hatte ich mich gefragt, wer auf die absurde Idee gekommen war, so etwas, wie eine Toga zu erfinden. Sie war nicht nur unpraktisch, sondern sah auch schrecklich unbequem aus. Da lobte ich es mir, eine Frau zu sein und noch dazu keine Römerin. Allerdings in einer Sänfte zu sitzen und nicht neben ihr her laufen zu müssen, daran fand ich schon mehr gefallen. Obwohl immer noch so etwas wie das schlechte Gewissen mitschwang. Während ich in der Sänfte saß, mussten andere, die ich ja größtenteils kannte und die mich auch kannten, durch die Gegend schleppen. Aber vielleicht musste man diesen Gedanken auch einfach nur ausknipsen. Wenn man das tat, war vieles im Leben leichter.


    Ja, ich bin bereit! antwortete ich lächelnd. Schließlich begaben wir uns zur porta, wo die besagte Sänfte und deren Träger bereits auf uns warteten.

    Ich nickte, als Glabrio sich noch einmal versicherte, ob er richtig gehört hatte. Welchen Eindruck musste er nun von mir gewonnen haben? Das war mir nun alles sehr unangenehm. Man konnte es Glabrio ansehen, wie sehr ihn das beschäftigte. Er war aber ein besonnener Mann, sonst hätte er mich längst samt meinem Sohn hochkant aus seiner Taberna geworfen. Stattdessen rief er seine Gäste zur Ruhe auf und besänftigte alle Gemüter wieder.
    Mein Blick ging wieder auf Catubodus, der bereits echte Freundschaft mit meinem Sohn geschlossen haben schien. Was doch ein wenig Aufmerksamkeit doch ausmachte! Damit konnte man bei Diarmuid immer landen.
    Doch der Fremde, der nun eigentlich gar kein Fremder mehr war hatte es nicht nur auf den Jungen abgesehen, so hatte ich jedenfalls den Eindruck. Ihm gingen keineswegs die Argumente aus, wieso er nicht auf Diarmuid aufpassen sollte.


    So, interessante Geschichten kennst du auch!, bemerkte ich und hatte dabei Mühe ein Lächeln zu unterdrücken. Etwas Besseres konnte mir im Augenblick nicht passieren. Ich konnte den Jungen nicht den ganzen Tag mehr oder weniger sich selbst überlassen. Richtig Zeit, mich um ihn zu kümmern, hatte ich während meiner Arbeitszeit nicht. Für die Zukunft musste ich mir etwas einfallen lassen. Nicht jeden Tag würde einer wie Catubodus in der Schankstube sitzen und auf meinen Jungen aufpassen wollen.
    Natürlich hatte ich mich die ganze Zeit über mit Catubodus in meiner Sprache unterhalten und ich hatte vollkommen verdrängt, dass ein Großteil der restlichen Bewohner dieser Stadt dieser Sprache nicht mächtig war. Genau aus diesem Grund protestierte Glabrio und seine erzürnte Stimme ließ mich erschreckt aufsehen. Ich blieb erst einmal regungslos stehen und wartete ab, was noch geschah. Seine weiteren Worte klangen dagegen weitaus versöhnlicher.


    Oh, bitte verzeih. Das war keine Absicht. Es tut nur so unglaublich gut, einmal wieder die eigene Sprache sprechen zu können.


    Catubodus hatte bereits alles weitere erklärt, auch dass er auf meinen Jungen aufpassen wollte. Dafür war ich ihm sehr dankbar. Ich musste mir etwas einfallen lassen, wie ich mich später noch bei ihm erkenntlich zeigen konnte.


    Ich werde dann mal wieder in die Küche gehen. Diarmuid, du bist schön brav und ärgerst den netten Mann nicht!


    Dann ging ich und sah mich noch einmal um, bevor ich die Küchentür hinter mir schloss.

    Es war voraussehbar, dass diese Auseinandersetzung zwischen dem Fremden und mir nicht unbeachtet blieb. Glabrio hatte seine Taberna gut im Griff und dazu gehörte selbstverständlich auch, dass er informiert war, über alles, was dort geschah und war bestrebt, dass es keine Streitereien unter den Gästen gab und schon gar keine Übergriffe, seitens seiner Angestellten. Er hatte es ja selbst mit angesehen, wie ich dem unflätigen Kerl eine Ohrfeige gegeben hatte. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass er nun herbeieilte und sich zwischen mich und Catu stellte. Von dem, was gesprochen wurde, verstand er kein Wort. Im Allgemeinen beherrschten die wenigsten Römer eine andere Sprache als Latein oder Griechisch. Mit Glabrio war es nicht anders. Ein wenig verwirrt sah er mich an. Wahrscheinlich hatte er damit gerechnet, der Kerl hätte mich angegriffen. Es verwirrte ihn bestimmt noch mehr, wenn er erfuhr, dass ich es war, die seinen Gast angegriffen hatte. Meiner Stellung konnte ich dann wohl wieder Lebewohl sagen.
    Inzwischen hatte sich aber die Lage wieder entspannt. Ich hatte mich entschuldigt und erklärt, warum ich auf fremde Männer einschlug. Catu sah mich daraufhin mit einem so seltsamen Blick an, den ich so schnell nicht vergessen würde und entschuldigte sich ebenfalls. Er ging sogar noch weiter, und wollte der Göttin opfern, die er mit seiner losen Ausdrucksweise beschmutzt hatte. Allerdings hatte ich keine Ahnung, mit welcher Gottheit die Römer Brigid gleich setzten.


    Da fragst du mich zu viel! Ich bete immer zu ihr, wenn ich ihre Hilfe brauche, Deshalb muss ich nicht ein einen steinernen Tempel der Römer gehen. Brigid ist überall, im Schein des Feuers oder unter dem saftiggrünen Blätterdach der Birke. Wenn du mit ihr sprechen willst, wird sie dich hören.


    Ich wollte mich abwenden und zurück zur Küche gehen, doch vorher musste ich Glabrio noch besänftigen, der rein gar nichts von dem verstand, was gerade hier vorging.


    Glabrio, es tut mir sehr leid. Das alles war nur ein kleines Missverständnis. Ich war auf der Suche nach Diarmuid und… Ja, ich habe diesen Mann hier geschlagen, weil er etwas sehr frevelhaftes und schmutziges über meine Göttin Brigid sagte. Du verstehst? Birgid – Bridhe. Ich dachte, er meint mich damit. Aber jetzt haben wir alles geklärt.


    Ich versuchte zu lächeln und rechnete mit dem schlimmsten. Dann fing auch noch Diarmuid an zu quengeln. Zum Spielen hatte ich nun wirklich keine Zeit. Aber der Fremde meldete sich wieder und bot sich an. Etwas erstaunt darüber, sah ich zu ihm und dann zu meinem Jungen, der das Angebot ganz toll fand und schon zu jubeln begann. Das konnte doch nicht wahr sein! Abfällig betrachtete ich ihn mir noch einmal, diesen Catubodus.


    Du meinst, ich soll dir mein Kind anvertrauen? Ich kenn dich doch gar nicht. Ich weiß nur, dass du ein loses Mundwerk hast und unanständige Flüche kennst…


    ...und charmant lächeln kannst. Mein Ausdruck milderte sich. Ich beschloss, ihm eine Chance zu geben und meinem Sohn seinen Willen.


    Na schön, Catubodus! Solange du in der Taberna bleibst, kann der Kleine bei dir bleiben.

    Eine Zeitlang starrte ich so vor mich hin. Im Hintergrund konnte ich das geschäftige Treiben der Sklaven erfassen, die damit begonnen hatten, die Räume zu reinigen. Von ihnen schenkte mir kaum einer Beachtung, genauso wenig wie ich ihnen Beachtung schenkte.
    Der Kleine war wieder eingeschlafen. Das frühe Ausstehen hatte ihm gar nicht geschmeckt. Aber jetzt stak er in einer warmen Decke, war satt und zufrieden und wurde von mir gehalten. In Gedanken ließ ich die letzten Monate noch einmal an mir vorüber ziehen. Vom Tag meiner Freilassung an, über dem Tag, an dem mein Kind zur Welt kam, bis heute. Manchmal hielt das Schicksal seltsame Wendungen für uns bereit. Ich hatte noch nicht groß darüber nachgedacht, was einmal aus meinem Sohn werden würde. Wie es sein würde, wenn er einmal erwachsen war. Im Augenblick war er ein kleines schlafendes Bündel in meinen Armen. Bie er einmal groß war, würde noch einige Zeit vergehen. Es lag noch ein langer Weg vor ihm und doch, ehe der Tag zu Ende war, würden ihm sogar noch mehr Rechte zustehen, als sie mir jemals zustehen würden. Dieser Tag würde aus meinem Kind einen Römer machen. Dieser Gedanke aber störte mich nicht. Das Recht, sich Bürger nennen zu dürfen, sollte hoffentlich immer nur ein Segen für ihn sein.


    Bald hörte ich, wie Schritte heran nahten. Ich wandte mich um und erblickte einen in eine Toga gehüllten Mann - Aristides begrüßte mich freundlich. Ich hielt es für angebracht, aufzustehen, bevor er vor mir zum stehen kam.


    Salve dominus! entgegnete ich mit der gleichen Freundlichkeit. Den Kleinen kümmerte es nicht im Geringsten, ob jemand nach ihm sah oder mit ihm sprach. Solange er es schön gemütlich hatte, auf dem Arm seiner Mutter, konnte ihn so leicht nichts aus der Ruhe bringen. Er hatte lediglich nur einmal kurz seine Äuglein geöffnet, wohlig gegähnt und war schnell wieder eingeschlafen.


    Er ist noch sehr müde, heute Morgen. Aber ich denke, ja, antwortete ich. Diarmuid war wahrscheinlich einerlei, was aus ihm heute wurde, solange er sich dabei nur wohl fühlte.

    Es war einige Tage nach den Saturnalien: Alles ging wieder seinen gewohnten Gang. Alles, was an die Feierlichkeiten noch erinnerte, wurde von dienstbaren Geistern, von denen es eine Unzahl in der Villa Flavia gab, fort geräumt oder entsorgt. Die Erinnerung an das Goldne Zeitalter, eine Zeit in der alles besser war und alle gleich waren, verblassten wieder, bis sie in einem Jahr wieder hervorgekramt würden.
    Für mich waren diese vergangen Saturnalien etwas ganz besonders gewesen. Nicht nur, weil es meine ersten als Freigelassene waren, auch weil ich sie in besonderer Erinnerung behalten würde. Zusammen mit den Herrschaftern hatte ich gebacken und gekocht und hatte vielleicht Flavius Gracchus vor einem größeren Übel bewahrt, nachdem er sich in den Finger geschnitten hatte und beinahe das Bewusstsein verloren hätte. Auch wenn andere das Gegenteil behaupteten, konnte sich unser Mahl sehen lassen, was wir mühevoll und unter den größten Kraftanstrengungen, fabriziert hatten.
    Außerdem hatte ich ein Versprechen erhalten, von Flavius Aristides, der sich für die Belange meines Sohnes einsetzen wollte. Der Eintag in die Bürgerliste stand noch aus. Als Kind einer Freigelassenen stand ihm das römische Bürgerrecht zu, was ich ihm keineswegs vorenthalten wollte. In diesen Dingen kannte ich mich nicht aus. Ich hatte noch gut den Tag meiner Freilassung in Erinnerung und auch den Aufwand, der darum gemacht wurde. Die Römer liebten es, jedes kleinste Detail in ihrem Leben in irgendwelchen Akten und Schriften, am besten noch mit Siegel, festzuhalten. Dem musste man sich beugen, wenn man nach ihren Regeln leben wollte. Umso mehr war ich froh, dass man mir Hilfe angeboten hatte.


    Der Tag war noch jung, als ich mit meinem Sohn das Atrium betrat, um zu warten. In der Nacht hatte es geregnet, das impluvium war fast randvoll. Noch war es sehr frisch, Die Wintersonne hatte Mühe, mit ihren schwachen Strahlen die Luft aufzuwärmen. Eigentlich mochte ich den Winter, denn er erinnerte mich an zu Hause. Einzig vermisste ich das Gezwitscher der Vögel und die blühenden Blumen im Garten. Ich musste mich noch einige Wochen gedulden, bis es so weit war.
    Meinen Sohn trug ich auf dem Arm. Er war noch müde und hätte gerne noch etwas geschlafen. Damit er nicht fror, hatte ich ihn in eine wollene Decke eingehüllt.
    Nach einer Weile setzte ich mich auf einen Stuhl. Es konnte nicht mehr allzu lange dauern. Zuerst hatte ich ja bedenken gehabt, ob ich Aristides wirklich mit meinem Anliegen behelligen sollte. Die Entführung seiner Frau und die Fluch der Sklaven, hatte für große Aufregung gesorgt. Genau zu diesem Zeitpunkt kam dann auch noch ich mit meinen Wünschen. Er hatte aber meine Bitte nicht abgelehnt. Also wartete ich…

    Je länger ich bei dem ordinären Kerl stehen blieb und nach herannahenden, wütenden römischen Wirten Ausschau hielt, schwand mein Ärger und verwandelte sich auf wundersame Weise in ein sich recht unangenehm anfühlendes schlechtes Gewissen. Das war der erste Mann, dem ich seit Jahren eine gescheuert hatte. Als Sklavin hätte man mich wahrscheinlich an den nächsten Baum gebunden und mich ausgepeitscht. Aber jetzt war ich frei und es war auch anzunehmen, dass mein Groll keinen römischen Bürger getroffen hatte. Trotzdem kam ich mir schuldig vor, auch wenn es bis jetzt, außer dem Betroffenen selbst, niemand gestört hatte. Der Mann sah mich ganz verdattert an. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ihn hier jemand verstand. Tja, und ich schlug den Erstbesten, den ich traf, der eine ähnliche Sprache sprach, wie ich selbst. Ja, eine wirklich seltsame Welt war das, voller Überraschungen und dummen Zufällen. Jetzt sprach er mich wieder an, wieder in dieser Sprache, deren genaue Herkunft ich nicht feststellen konnte. Ich konnte von Glück sagen, dass er das verbal klären wollte un nich mir gegenüber tätlich wurde.


    Womit du das verdient hast? Ich habe genau verstanden, was du gesagt hast und deshalb…


    Moment! Eigentlich konnte der Kerl gar nicht wissen, wie mein Name war. Wieso hätte er mich dann also beleidigen können?


    Es tut mir leid. Entschuldige bitte, mir ist einfach die Hand ausgerutscht, weil ich dachte, du wolltest mich beleidigen. Was natürlich völliger Unsinn ist, denn du kennst ja gar nicht meinen Namen. Mein Name…äh, ich heiße Bridhe und das hier ist mein Sohn, Diarmuid. Bitte entschuldige mich, …äh uns, wir müssen wieder in die Küche.
    Die Küche war wohl der beste Platz, an dem ich zumindest am wenigsten anrichten konnte, mal abgesehen vom Essen. :D
    Ich zog den Kleinen leicht an seinem Ärmchen, damit er mitkam. Aber er wollte nicht.
    Nein, jetzt spielen, Mamaí! sagte Diarmuid und lächelte den fremden Mann an.

    Ich hatte mich wieder aufgestellt und wartete ungeduldig, bis das mein Sohn die Güte hatte, unter dem Tisch hervorzukommen. Dem Mann der am Tisch saß, hatte ich keine große Beachtung geschenkt. Noch nicht. Doch das sollte sich schlagartig ändern. Dann würde ihm nicht nur sein Hinterkopf schmerzen! In dem Moment nämlich, als dieser lästerlicher Fluch über seine Lippen kam. Diese Worte entstammten zwar nicht meiner Sprache, doch ähnelten sie sehr den Worten, die einem Fluch, der Brigid und im Grunde auch mich selbst beschmutzte. Völlig entgeistert sah ich den Mann an, nicht etwa, weil er eine ähnliche Sprache sprach wie ich, sondern weil ich mich persönlich angesprochen fühlte.


    Unverschämter Kerl! rief ich und schmierte ihm eine, das es sich gewaschen hatte. Diamuid der inzwischen hervor gekrochen war, sah den Mann ganz verduzt an und dann sah er mich an. Er sah seine Mutter mit einem hochrotem Kopf und einer säuerlichen Miene. Ein Königreich für seine Gedanken! Das musste ganz schön verwirrend für den Kleinen gewesen sein. Er hatte doch nur Verstecken gespielt und dafür wurde jetzt der Mann bestraft. Seltsame Welt.
    Ich wollte meinen Jungen nehmen und schnellstens wieder in die Küche laufen. Mir tat der Schlag schon wieder leid. Das schlechte Gewissen saß mir bereits im Nacken. Ob ich mich entschuldigen sollte? Bei dem Schandmaul? Nein!
    Ich sah mich schnell um, ob Glabrio von diesem Zwischenfall etwas mitbekommen hatte. Es machte sich ja nicht besonders gut, wenn die Köchin die Gäste ohrfeigte!