Beiträge von Flaviana Brigantica

    Den Kleinen hatte ich auf den Stuhl neben mir gesetzt. Er war viel zu groß für ihn. Diarmuid kam mir darauf sehr verloren vor. Doch nichtsdestotrotz stillte er eifrig seinen Hunger. Leise schmatzend saß er da und blickte schon etwas zufriedener drein.


    Hättest du bitte etwas Wasser für mein Kind? Er ist den Wein nicht gewohnt.


    Ich hoffte, ich würde nicht unhöflich erscheinen, wenn ich auch noch Extrawünsche für das Kind anmeldete. Es war mehr als großzügig, was dieser fremde Mann für uns tat. Im Grunde hätte ihm unser Schicksal gleich sein können. Vielleicht wartete ich deshalb noch auf den Haken, der sich noch in irgendeiner Form ankündigen würde. Es musste doch einen Anlass geben, weshalb er sich so verhielt! Niemand tat etwas aus reiner Selbstlosigkeit in dieser Stadt. Aber wie es schien, musste ich das selbst herausfinden.
    Der Fremde stellte sich nun auch vor und ich erfuhr auch, dass er der Wirt dieser Taberna war. Das lenkte mich davon ab, weiter zu sinnieren. Eine Möglichkeit, um einige Antworten zu bekommen, war ein Gespräch zu beginnen, womit er auch gleich begann. Ich lächelte verlegen.


    Nein, ich bin nicht von dort! Ich stamme aus Hibernia, die Insel im äußeren Nordwesten. Vielleicht hast du davon schon einmal gehört. Wenn du vorher in Germanien gelebt hast, dann bist du Germane?


    Je mehr ich redete, desto mehr entkrampfte ich mich und bald machte es mir fast gar nichts mehr aus, hier zu sitzen. Nur wollte ich auch nicht so redselig erscheinen und gleich alles über mich preisgeben. Aber schließlich kam die Frage, die kommen musste und die auch ganz ohne Frage ihre Berechtigung hatte.


    Ich bin heute Morgen losgezogen, um mir eine neue Bleibe und Arbeit zu suchen. Leider war ich erfolglos, wie du siehst. Die meisten hatte es gestört, dass ich ein Kind dabei hatte. Es ist sehr schwer, etwas zu finden.


    Mir grauste es bereits schon bei dem Gedanken, morgen wieder hinaus zu müssen und das gleiche Spielchen wie heute erleben zu müssen. Wenn ich letztlich versagte, dann konnte ich wahrscheinlich nicht einmal mehr zu den Flaviern zurück.

    Der Schmerz saß im Lendenwirbelbereich. Das hatte ich fast schon vermutet. Vielleicht würde ihm fürs erste eine Massage helfen. Aber um massieren zu können, wäre etwas Öl nicht schlecht gewesen. Ich überlegte kurz. In meiner Kammer gab es kein Öl, aber im balneum! Wenn ich Glück hatte, war um diese Zeit das balneum gerade nicht in Gebrauch.


    Bleib hier liegen und warte, ich bin gleich wieder zurück!


    Ich huschte über den Korridor bis hin zum Bad. Langsam und mit einiger Vorsicht öffnete ich die Tür und lugte erst mit einem Auge hinein, um zu prüfen, ob sich niemand darin aufhielt. Im Bad war es ganz still. Einige Kerzen hatte man schon entzündet und begonnen zu heizen. Das bedeutete, es war Eile geboten. Trotz aller Eile fiel mein erster Blick auf die Wandmalereien und Mosaike, die es mir schon von je her angetan hatten. Wie jedes Mal, wenn ich in diesem Raum war, zogen sie mich auch jetzt wieder in ihren Bann. Ganz ergeben hatte sich mein Blick an die wundersamen Wasserwesen an der Wand fixiert. Dieser Raum barg viele Erinnerungen. Hier hatte mein Unglück seinen Anfang genommen und nun stand ich hier ein letztes Mal, bevor ich dieser Villa den Rücken kehrte. Ich begann zu schluchzen und einige Tränen rannen mir die Wange hinunter. Vorbei! Alles vorbei! Heute galt es, einen Schlussstrich unter all das zu ziehen!


    Endlich konnte ich mich losreißen. Ich wendete mich dem Schrank mit den Ölen zu und griff nach einem schlichten Olivenöl, dessen Geruch wenig Aufsehen erregte. Schließlich wollte ich nicht, dass Phraates noch Ärger bekam, weil er ich an den wertvollen Ölen der Herrschaft vergriffen hatte.
    Ich schaute nicht noch einmal zurück, als ich das balneum verließ.


    Zurück in meiner Kammer, sah ich Phraates noch immer auf meinem Bett liegen. Ich trat zu ihm, öffnete das Fläschchen und goss ein wenig Öl auf seinen Rücken.


    So, das wird dir gut tun!


    Mit meinen Händen begann ich, das Öl in die Haut einzumassieren. Ich konzentrierte mich nicht nur auf die akute Stelle, in der der Scherz saß, sondern bearbeitete den ganzen Rücken. Um die Lendenwirbel herum verstärkte ich den Druck etwas.


    Ist es gut so? erkundigte ich mich.

    Im Dunkeln hatte ich nicht genau erkennen können, was das für ein Haus war. Mittlerweile war ich aber an einem Punkt angelangt, an dem Müdigkeit, Erschöpfung und Hunger ihr übriges taten, um mit allem zufrieden zu sein.
    Im Inneren erkannte ich dann, dass es sich um ein Wirtshaus handeln musste. Diarmuid hatte sich wieder beruhigt und darum war ich aus sehr froh. Seine Äuglein sahenso müde aus. Er schaffte es aber nicht, wieder einzuschlafen.
    Der Mann bot mir an, mich zu setzten. Ich zögerte nicht lange und nahm auf einem der Stühle. Die um einen großen Tisch standen Platz. Er war indessen hinter der Theke verschwunden und kam kurze Zeit später mit zwei Bechern und einem Teller mit gefülltem Fladenbrot wieder zurück.


    Danke! sagte ich. Meiner Stimme konnte man durchaus mein Erstaunen entnehmen. Entweder war das nur ein sehr realistisch wirkender Traum oder ich hatte es hier wirklich mit einem guten Menschen zu tun, der mir Schutz, Unterkunft und Nahrung bot.
    Zu guter Letzt legte er mir sogar noch eine warme Decke über mich, damit ich nicht mehr fror und nahm dann mir gegenüber Platz.
    Erst zögerlich bediente ich mich an dem Brot und dem Hühnchen. Zuerst stckte ich dem Kleinen ein stücken vom Fleisch in den Mund. Danach nahm ich mir erst selbst etwas. Auch wenn es kalt war, es schmeckte einfach herrlich. Ich war noch nicht oft in den Genuss dieses Fleisches gekommen.
    Im Becher befand sich stark verdünnter Wein. Ich trank ein wenig davon und ließ mir nicht anmerken, dass ich Wein im Allgemeinen nicht besonders mochte.
    Der Mann beobachtete mich die ganze Zeit, sagte aber nichts, so als würde er auf eine Erklärung warten. Darauf hatte er auch ein gutes Recht!


    Das ist wirklich sehr gut! Nochmals danke dafür! Mein Name ist übrigens Bridhe und das ist mein kleiner Sohn. Er heißt Diarmuid.


    Ob ich ihm nicht besser meinen römischen Namen hätte sagen sollen? Das wäre vielleicht geschickter gewesen, um Missverständnissen vorzubeugen. Am Ende glaubte er noch, ich sei eine Sklavin auf der Flucht.

    Ein endlos langer Sandstrand, feinkörniger Sand, mit Gras bewachsene Dünen und das Meer, das am Morgen meist ruhig daliegt, so als könne es nichts und niemandem etwas zuleide tun.
    Am Horizont wähnt man bereits die sanften, saftiggrünen Hügel, durch die sich ein schmales blaues Band zieht. Das Ufer des Flusses ist gesäumt von Bäumen und Büschen. Schilfgras wächst an den seichten Stellen. An einigen günstigen Stellen haben sich die Menschen mit ihren einfachen, teils aus Stein, teils aus Lehm gebauten Hütten angesiedelt. Das Land bietet viel Platz. Über allem thront ein meist Wolken verhangener Himmel, der manchmal dunkel drohend wirkt, der sich aber auch von seiner schönen Seite zeigen kann. Ein leichter, zuweilen auch stärkerer Wind, der vom Meer herkommt, weht immer über das Land und spielt mit dem offenen Haar der jungen Mädchen.


    Ich hatte noch gute Erinnerungen an meine Heimat, wusste noch, wo jener Baum und jener Busch zu finden war. Nur hatte ich feststellen müssen, dass mit der Zeit die Gesichter der Menschen, verblassten, die ich einst gekannt hatte und mit denen mich etwas verband. Ich konnte sie einfach nicht mehr fassen. Sie entfernten sich immer weiter von mir weg.
    Immer wieder, wenn ich von zu Hause erzählte, erweckte ich meine Erinnerungen für kurze Zeit zum Leben. So auch jetzt, als ich im Halbdunkel der Küche saß. Wahrscheinlich würde ich niemals über meinen Verlust hinwegkommen, auch nach all den Jahren nicht. Ich wurde dann immer ganz still. Im Laufe der Zeit hatte ich gelernt, meine Sehnsucht hinunterzuschlucken. Es gab kein Zurück mehr. Jetzt nicht mehr! Damit musste ich einfach leben.
    Dass ich mit den wenigen Bemerkungen über meine Familie sein Interesse geweckt hatte, überraschte mich. Aristides Frage kam zögerlich, begleitet von einem leisen Räuspern, was mich darauf schließen ließ, dass es ihm ein leichtes Unbehagen bereiten musste. Wofür ich aber gar keinen Grund sah. Ich nahm es niemandem übel, dass ich hier war, weder Aquilius, der mich einst als Sklavin gekauft hatte, noch sonst jemandem in der Familie der Flavier, die mich danach behandelt hatten, was ich war. Es waren nur die Männer, die mich einst geraubt hatten, denen ich alles Übel der Welt wünschte.


    Ja, sie leben noch dort, am Ufer der Bóinne. Mein Vater und meine Geschwister. .Mein kleiner Bruder dürfte jetzt fast schon neun oder zehn Jahre alt sein und meine beiden Schwestern sind wahrscheinlich schon verheiratet und haben Kinder.


    Wehmut lag in meiner Stimme und die Hoffnung, dass es ihnen im Leben gut ergangen war, dass sie es geschafft hatten, sich mit dem Verlust, den auch sie hatten hinnehmen müssen, abzufinden.
    Vielleicht würde es mein kleiner Sohn eines Tages leichter haben. Wenn er nicht in einem fremden Land aufwachsen musste, in dem er niemals als vollwertig galt. Das wünschte ich mir und daran setzte ich all meine Hoffnungen. Es erleichterte mich, dass Aristides mich darin unterstützen wollte.


    Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass der heutige Tag nicht spurlos an seinem Bein vorbeigegangen war. Auch ich spürte kaum noch meine Füße vom vielen stehen und laufen. Jetzt wurde mir klar, genauso wie ihn die Folgen seiner Verletzung für den Rest seines Lebens begleiten würden, so würden auch mich die Narben, die mir das Leben zugefügt hatte, begleiten.
    Bei seiner Frage blickte ich zu ihm hinüber. Es war schon so lange her, seit man mich in dieses Haus gebracht hatte und trotzdem konnte ich mich fast noch an jede Einzelheit erinnern.


    Ich war siebzehn, fast achtzehn, als sie mich von zu Hause weg brachten. Jetzt bin ich zweiundzwanzig. Seit vier Jahren bin ich schon hier.


    Mir kam es vor, wie eine Ewigkeit.

    Was er nur mit den Dämonen meinte? Der Sklave musste ja sehr seltsame Vorstellungen von meiner Heimat haben. Aber war es mir früher nicht genauso gegangen, damals, zu Hause in Èirinn?
    Ich selbst hatte oft die seltsamsten Geschichten über die fernen Länder auf der anderen Seite des Meeres gehört. Auf dramatische Weise hatte ich feststellen müssen, dass sie alle nicht der Wahrheit entsprachen.


    Er war damit einverstanden, entkleidet zu werden. Behutsam versuchte ich, ihm die Tunika überseinen Kopf zu ziehen. Selbst dabei hatte er Schmerzen. Das war die reinste Tortur für ihn.
    Schließlich kam sein nackter Rücken zum Vorschein. Mit bloßem Auge war auf der hellbraunen Haut nichts zu erkennen. Keine Schürfwunde, kein Bluterguss, nichts! Nicht einmal eine Narbe, ein Andenken an den Krieg, konnte ich entdecken.
    Vorsichtig legte ich meine Hände auf seine Schulterblätter und begann sie langsam nachunten zu führen. Die Haut war ebenmäßig und zart, so als war sie einst gut gepflegt worden. Da wurde mir wieder bewusst, dass auch er eine Geschichte mit sich trug, der er nur noch nachtrauern konnte, so wie ich es noch immer tat.


    Wo tut es am meisten weh?


    Stück für Stück tastete ich seine Wirbelsäule ab, bis zu den Lendenwirbeln . Ich war kein Experte. Nur durch das reine Fühlen, konnte ich nicht feststellen, wo der Schmerz steckte.

    Ob ich wirklich die richtige Wahl getroffen hatte, ich wusste es nicht. Besser mit dem Fremden gehen und nicht mehr auf der Straße schlafen zu müssen, war im Augenblick die beste Wahl. Ich hatte schon so viel erlebt, in meinem kurzen Leben. Eigentlich konnte mich nichts mehr erschüttern.
    Der Fremde nahm mein Handgelenk und zog mich mit sich. Mich beunruhigte es, dass er in die Richtung ging, aus der uns kurze Zeit später der Betrunkene entgegenkam. Er aber lief unbehelligt weiter. Diarmuid kam einfach nicht zur Ruhe. Das musste die meine Angst sein, die sich auf ihn übertrug.
    Der Betrunkene kam in Sichtweite. Lallend torkelte er über sie Straße. Meine Schritte wurden schneller. Nur weg von hier dachte ich. Es war ein Glücksfall, dass der Fremde mich gefunden hatte. Nicht auszudenken, wenn ich dem Betrunkenen alleine ausgeliefert gewesen wäre!
    Hoffentlich war er so besoffen, dass er uns gar nicht bemerkte. Meine Hoffnung zerschlug sich aber im nächsten Moment. Er hatte uns entdeckt und sprach mich an, dabei kam er immer näher auf mich zu. Vor Schreck bleib ich stehen. Mir war, als gefriere mir das Blut in den Adern. Nichts ging mehr. Meine weitaufgerissenen Augen starrten auf den näherkommenden Mann. Ich konnte bereits seinen stinkenden Atem riechen und rechnete damit, jeden Augenblick von ihm angepöbelt zu werden.
    Auf einmal wurde ich zur Seite geschoben. Ich realisierte gar nicht, was geschah. Es war der Fremde gewesen. Der Betrunkene traf statt auf mich, auf den Fremden, dessen Kleidung dabei in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich konnte gar nicht begreifen, was soeben geschehen war. Das Entsetzen stand in meinem Gesicht. Der Betrunken stürzte schließlich und ich wurde mit meinem Kind von hier fort gezogen, bis ich vor der Tür eines Hauses stand.

    Die Stimme des fremden Mannes klang mit einem Mal so anders. Freundlich und zart, gar nicht mehr bedrohlich und rauh. Er sagte, er wolle mir helfen, mir und meinem Kind.
    Ein Teil in mir wurde gleich misstrauisch und wollte nachhaken, warum er ausgerechnet mir helfen wollte. Er kannte mich doch gar nicht. Aber ich begriff auch sehr schnell, dass ich es mir auf Dauer nicht leisten konnte, misstrauisch zu sein. Die Nacht war frisch und unsere beiden Mägen waren leer. Ich spürte das Hungergefühl schon gar nicht mehr. Ich hatte es hinuntergeschluckt. Aber mein Kind zeigte mir deutlich, dass es den Hunger spüren konnte.
    Meine Muskeln lockerten sich. Ich versuchte nicht mehr, mit aller Gewalt zurück zuweichen.
    Mir war zwar der Sinn dessen nicht ganz klar, was er noch über denjenigen sagte, den er gesucht hatte, aber sein lächelndes Gesicht sah nicht nach dem eines irren Perversen aus, der es auf junge Frauen mit Kleinen Kindern abgesehen hatte, die auf der Straße übernachten mussten.
    Behutsam griff er nach meinem Arm und wollte mir auf helfen. Ich wusste, es stimmte, was er sagte. Es war gar nicht klug, die Nacht auf der Straße zu verbringen. Es war sogar sehr gefährlich! Er bot mir an, mit ihm in seine Taberna zu gehen, wo wir bleiben konnten und wo es etwas zu essen gab. Aber ich war mittellos. Nicht eine Sesterze hatte ich einstecken, womit ich bezahlen konnte.
    Das näher kommende Gegröle eines Betrunkenen, half mir, letztendlich schnell eine Entscheidung zu treffen. Wenn ich dieses überaus großzügige Angebot annahm, dann hatte ich die Gewissheit, diese Nacht einigermaßen gut zu überstehen. Auch dem Kind würde nichts zustoßen. Wenn ich aber jetzt nein sagte, dann war ich in Kürze dem Betrunkenen ausgesetzt.


    Gut. Ich vertraue dir und komme mit.


    Mit seiner Hilfe stand ich auf und versuchte dann den Kleinen wieder zu beruhigen, der immer noch jammervoll schrie. Eines aber sollte er wissen, bevor ich mit ihm ging.


    Aber ich habe nichts. Kein Geld. Nichts Wertvolles. Ich kann dich nicht bezahlen für das Essen und die Unterkunft. Ich habe nichts außer mir selbst und meinem Kind.


    Ob er jetzt immer noch so zuvorkommend war? Ich war doch nur ein jämmerliches Häufchen Elend, das eine große Dummheit begangen hatte. Dieser Tag hatte mir nicht viel gebracht, außer der Einsicht, dass jemand wie ich nicht damit rechnen konnte, jemals eine Chance zu bekommen.

    Eine Weile beobachtete ich noch den Mann, wie er so da saß. Irgendwie konnte ich ihn noch nicht richtig erfassen. Sehr schade, dass ich nicht mehr Gelegenheit hatte, ihn richtig kennenzulernen. Schließlich hatte ich mich heute morgen dazu entschlossen, zu gehen und alles, was mich mit der Villa Flavia verband, hinter mir zu lassen. Ich hatte beschlossen, es aus eigener Kraft zu schaffen, ohne die Hilfe der Flavier, die mich nur wieder in eine weitere Abhängigkeit hinein manöveriert hätte. Nein, es war schon gut so, wie ich mich entschieden hatte. Jedenfalls sah es im Moment danach aus, hier in meiner Kammer.


    DerSklave war schon etwas eigenartig. Trotz der Schmerzen, neckte er mir Diarmuid, der das ganz lustig fand und laut zu lachen begann. Ich liebte das Kinderlachen des Kleinen. Es erinnerte mich daran, dass es auch noch schönes im Leben gab. Der Sklave jedoch blickte betreten nieder, vielleicht weil er dachte, der Kleine könne zu weinen beginnen, wenn er weiter machte. Diarmuid schaute etwas enttäuscht drein, als der nette Mann plötzlich wegsah.


    Zu meiner Überraschung sagte ihm der Name Hibernia etwas. Nachdem der Schmerz ihn wieder durchzogen hatte, sprach er von einem Land, in dem es Dämonen gab. Ich verstand nicht ganz, was er damit meinte.


    Dämonen? Oh, nein nein. Keine Dämonen! erwiderte ich, sprach aber dann nicht weiter, denn ich sah, wie traurig er aussah. Das mussten seine Schmerzen sein, die ihn plagten. Besser, wenn ich mir das einmal ansah! Mein Vorschlag, sich auf mein Bett zu legen, fand bei ihm großen Zuspruch. Wie ausgewechselt, machte er nun einen Eindruck, als sei er plötzlich von Freude erfüllt. Einen kurzen Augenblick fragte ich mich, ob er womöglich meinen Vorschlag ganz falsch interpretiert hatte und nun mit etwas ganz anderem rechnete. Aber Unsinn! Mit einem schmerzhaften Rücken war an solche Aktivitäten gar nicht erst zu denken.
    Er meinte noch, er bräuchte keinen Medicus, währenddessen er sich zu meinem Bett schaffte und sich darauf fallen ließ. Diarmiud hatte ihm interessiert hinterher geschaut und dachte, der liebe Onkel wollte nur spielen. Ganz vergnügt, gluckste er vor sich hin. Dem armen Phraates war sicher nicht zum Glucksen zumute. Ich ging zu ihm, und wollte ihm seine Tunika überziehen, damit ich mir seinen Rücken betrachten konnte.


    Darf ich? fragte ich, bevor ich ihn auszog. Nicht, dass er einen falschen Eindruck von mir erhielt.

    Das plötzlich beginnende Wimmern Diarmuids, welches sich binnen Minuten zu einem Schreien steigerte, hatte mich abrupt aus meinem traumlosen Schlaf gerissen. Ich war zu erschöpft gewesen, um zu Träumen. Jetzt war ich wieder wach und mein Kleiner war es auch. Es dauerte nicht lange, bis ich die Ursache für seinen Protest feststellte. Er hatte sich an den Beinen freigestrampelt und fror jetzt. Wenn das Kind jetzt auch noch krank werden würde, dann war alles aus! Schnell bedeckte ich seine Beinchen wieder mit der Decke, die ich um ihn geschlungen hatte. Damit er sich nun noch beruhigen konnte, wiegte ich ihn ein wenig in meinen Armen. Natürlich war es nicht nur die Kälte gewesen, die ihn hatte so schreien lassen. Es war auch der Hunger, der ihn quälte. Das Stückchen Brot, das die alte Frau ihm geschenkt hatte war längst aufgebraucht. Ich selbst hatte davon kein Stückchen angerührt.
    Fast schon glaubte ich, Diarmuid beruhigt zu haben, da hörte ich ein lautes Schreien. Ein Mann, ein Betrunkener wahrscheinlich, rief nach seinem Herrn. Oh, die bean sidhe sollte ihn holen! Warum konnte er nicht einfach Still sei? Diarmuids Schrein wurde wieder lauter. Der Kleine musste die Angst spüren, die ich auf einmal empfand. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich mich verstecken sollte. Im Schein des Mondes konnte ich keine Fluchtmöglichkeit für mich und mein Kind entdecken. Wenn es mir gelang, den Kleinen zum Schweigen zu bringen, War vielleicht die Chance größer, hier unentdeckt zu bleiben.
    Die Schritte des Schreihalses kamen näher. Diarmuid schrie noch immer und blieb von meinen Bemühungen unbeeindruckt. Ich drückte das Kind ganz dicht an mich, um so sein schreien etwas zu dämpfen. Zu Brigid sandte ich ein Stoßgebet, der Mann möge so betrunken sein, dass ihm Diarmuids Schreien nicht herlocken würde. Doch mein Beten half nicht fiel. Vor mir baute sich eine dunkel Gestallt auf, eingehüllt in einen Umhang mit Kapuze.
    Das war jetzt das Ende! Ich zitterte am ganzen Leib vor Angst. Mir war es gleich, was er mit mir anstellen würde. Meine ganze Sorge galt dem Kleinen. Er durfte ihm nichts zuleide tun!


    Bitte! Bitte tu meinem Kind nichts! Ich bitte dich!


    Mit meinen Füßen versuchte ich mich noch weiter nach hinten an die Wand zu drücken, um seinen Übergriffen zu entgehen. Er kniete sich zu mir hinunter und zog seine Kapuze herunter. Das änderte nichts an meiner Angst und an meinem Zittern. Doch dann sagte er etwas, was sich anhörte, wie, wir sollten uns nicht fürchten und er würde uns nichts tun. Ich war mir unschlüssig, ob ich ihm glauben sollte. Leute, die nachts durch die Gassen zogen und laut schrien, waren in meinen Augen nicht sehr vertrauenswürdig.


    Warum schreist du hier so herum? Suchst du jemanden? Außer uns beiden ist hier niemand!

    Ziellos streifte ich weiter durch die Straßen der Stadt. Längst hatte ich die Orientierung verloren. Die Umgebung, in der ich mich schließlich wieder fand, erschien mir so fremd. Dieser Teil der Stadt hatte rein gar nichts mehr mit den feinen Wohngegenden zu tun, in denen sich die herrschaftlichen Villen der Großen der Stadt, befanden. Die Häuser wirkten düster und schmutzig und ein übler Geruch, der entsteht, wenn viele Menschen dicht aufeinander leben mussten, hing in der Luft. War ich hier am Ziel angekommen? War es das, wonach ich insgeheim gesucht hatte? Ich konnte mich nicht wirklich mit dem Gedanken anfreunden, hier meine Zukunft finden zu können. Es war einfach nur hochmütig von mir gewesen, das Angebot des Fremden abzulehnen. Ich konnte es mir einfach nicht mehr leisten, auf Almosen zu verzichten. Doch diese Chance war vertan. Je größer der Hunger wurde, desto größer wurden auch meine Selbstvorwürfe, die ich mir machte. Ich musste mir selbst die Frage stellen, was mich nur dazu getrieben hatte, mein bisheriges Leben abzustreifen und einfach so wegzuwerfen, in dem ich doch eigentlich alles hatte, was man brauchte, um zu leben. Ich hatte ein schützendes Dach über dem Kopf und regelmäßiges Essen gegen die Ungewissheit einer unbestimmten Zukunft eingetauscht. Wahrhaftig, ich musste verrückt sein!
    Nicht nur mir knurrte der Magen unerbittlich. Auch der Kleine wurde zunehmend unruhiger. Er wimmerte vor Hunger vor sich hin. Das Schlimmste war für mich, dass ich ihm nicht helfen konnte. Eine alte Frau, von der ich es am wenigsten erwartet hatte, zeigte schließlich Mitleid, obwohl sie doch selbst kaum etwas hatte. Sie steckte dem Kleinen ein Stück Brot zu. Das stillte für eine Weile seinen Hunger.


    Ich musste mich fragen, ob es nicht selbstsüchtig von mir gewesen war, den Kleinen mitzunehmen. Er hatte nun unter meiner Unzulänglichkeit am meisten zu leiden. Es wäre für ihn besser gewesen, in der Villa zu bleiben, oder sogar von einer anderen Mutter geboren worden zu sein, während ich begann, mich ins Unglück zu stürzen. Ich war mir am Morgen nicht über die Folgen meines Tuns im Klaren gewesen. Im Angesicht meines Scheiterns fragte ich mich, was aus meinem Söhnchen wurde, wenn ich zugrunde ging. Wer würde sich seiner annehmen? Dieses schutzlose kleine Wesen, das vor Erschöpfung in meinen Armen eingeschlafen war, war dann einer erbarmungslosen Welt ausgeliefert, die nicht davor zurück schreckte, ihm sein höchstes Gut zu nehmen, seine Freiheit! Dann war alles umsonst gewesen. Ja, ich hatte versagt! Auf ganzer Linie hatte ich versagt, weil ich nur an mich gedacht hatte. Wieder war ich dabei, ein Leben zu zerstören. Diesmal war es das meines eigenen Sohnesm, dem, dem ich das Leben doch erst vor Monaten geschenkt hatte. Hätte mich doch damals nur die Mórrígan geholt!


    Der Tag war verloren, der Abend brach schon an und ich hatte noch immer keine Unterkunft. Wie sehr sehnte ich mich doch nach einem Ort, wie der stickigen Sklavenunterkunft in der Villa Flavia! Nicht einmal das hatte ich auftreiben können, für mein Söhnchen und mich. So bleib mir nichts anderes übrig, als mich auf eine Nacht unter freiem Himmel einzustellen. Es war für mich nicht das erste Mal, dass ich draußen schlief, wohl aber für mein Kind. Die Nacht würde frisch und ungemütlich werden, das war gewiss. Wenigstens wollte ich mich nach einem geschützten Plätzchen umsehen.
    Im Dunkel sahen die Häuser alle gleich aus. Die Ruhe der hereinbrechenden Nacht breitete sich allmählich über das Viertel aus. Die Geschäftigkeit des Tages war auf mysteriöse Weise verschwunden. Das Kindergeschrei hatte sich erheblich auf ein Minimum reduziert. Hier und da hörte man das Geschrei von streitenden Katzen. Der Mond war zu meiner einzigen Leuchte geworden. Er hatte mir schließlich den Weg zu einer geschützten Nische zwischen zwei Häusern gewiesen. Dort ließ ich mich endlich nieder, kurz bevor meine Füße endgültig versagten. Mein Kind schmiegte ich dicht an mich, damit ich ihm wenigstens etwas Wärme geben konnte. Irgendwann war auch ich eingeschlafen, obwohl ich schon ahnte, der morgige Tag würde mich nur noch tiefer in die Misere treiben.

    Sim-Off:

    Das dhe wird wie j ausgesprochen. Also Briej ;)



    Mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte er sich endlich. Ich machte mir schon einige Sorgen, denn es war ja meine Schuld gewesen, weswegen er gefallen war. Hätte ich die leere Truhe wieder etwas weiter zurückgestellt, wäre er nicht drübergestolpert. Ich machte mir deswegen jetzt richtige Vorwürfe. Er behauptete zwar, er hätte keine Schmerzen mehr, aber sein Gesicht sprach eine andere Sprache. Nein, der Mann hatte sich ordentlich verletzt. Vielleicht war es besser, wenn er sich erst einmal hinlegte.
    Wenigstens Diarmuid hatte ein Einsehen und war artig. Er ließ von dem Tuch ab, auch wenn er es nicht so richtig verstehen konnte, weshalb er ein so schönes Spielzeug aufgeben sollte.
    Wie der Sklave so da saß, machte er einfach nur den Eindruck eines Häufchen Elends. Nicht nur seine Schmerzen waren es, die ihm zu schaffen machten. Auch hatte er mit der Sprache zu kämpfen, die er nicht perfekt beherrschte. Wenn ich da an meine ersten Monate in Rom zurückdachte, konnte ich es gut nachvollziehen, wie er sich fühlen musste. Damals hatte ich nichts außer einigen Wörtern, die ich auf dem Weg nach Rom aufgeschnappt hatte, verstanden. Mein Bestreben war es gewesen, die Sprache so schnell wie möglich zu erlernen. Zu meinem Glück war mir das auch gelungen.
    Wie ich vermutet hatte, war er noch nicht lange hier, sonst hätte ich ihn bestimmt schon einmal vorher gesehen. Wie die meisten hier in Rom, so hatte auch er Probleme mit der Aussprache meines Namens.


    B r i d h e, mein Name ist B r i d h e. Ich komme aus Hibernia. Das ist eine Insel. Sie liegt im äußeren Nordwesten.


    Bestimmt hatte er noch nie etwas von Èirinn gehört, so wie die meisten hier. Woher sollte er auch. Bisher war mein
    Heimatland den hungrigen Fängen des römischen Imperiums entgangen und ich betete zu Brigid, Lugh und Dagda, dass dies auch in Zukunft so bliebe.


    Ich konnte es nicht mehr mit ansehen, wie Phraates, so stellte er sich mir vor, weiterhin litt. Es war besser, wenn er sich ein wenig hinlegt und ausruhte. Vielleicht sollte ich mir auch einmal seinen Rücken ansehen. Ich war zwar keine Heilerin, aber Dank Severus hatte ich einige Massagegriffe gelernt, die dem Parther sicher Linderung verschaffen konnten.


    Phra ates, möchtest du dich nicht auf mein Bett legen, wenn du solche Schmerzen hast? Ich könnte nach deinem Rücken schauen oder notfalls auch einen Medicus holen.


    Ich hatte mindestens genau so viele Schwierigkeiten, seinen Namen korrekt auszusprechen, wie er mit meinem und mit großer Wahrscheinlichkeit war ich auch nicht die Einzige. Also hatten wir beide doch wenigstens eines gemeinsam.

    Auch wenn es sich hoffnungslos anhörte, was ich gesagt hatte, so hatte ich nicht die Absicht, auf diesem Wege zu betteln oder Almosen einzusammeln. Der Mann, der mich angesprochen hatte, war in einer ähnlichen Situation, wie ich selbst. Aus diesem Grund schon, konnte ich sein Angebot nicht annahmen. Doch das war es nicht allein.

    Nein danke für dein nettes Angebot. Aber behalte lieber dein Geld.


    Ich stand auf und ging weiter.

    Das hatte ich befürchtet! Nur ungern gab ich mein Kind her und ihr wollte ich esschon gar nicht geben. Immer noch glaubte ich, man wolle mir das Kind wegnehmen, was sicherlich abstrus war. Aber washättesie tun können? Sie lag hier und war selbst wehrlos. Also reichte ich ihr vorsichtig meinen Sohn.


    Er heißt nach seinem Vater, Caius.


    Ihr wollte ich nicht verraten, wie ich ihn wirklich nannte. Auch wenn sie jetzt viel freundlicher zu mir war, als bei unserem letzten Zusammentreffen, hatte ich kein Vertrauen zu ihr. Deshalb ließ ich Diarmuid keinen Moment aus den Augen, nachdem sie ihn genommen hatte.


    Ja, das hat er. Noch vor der Geburt meines Kindes, antwortete ich, mit einem leicht trotzigen Unterton, der lediglich eine Reaktion auf ihre Bemerkung war. Allerdings tat es mir gleich danach schon wieder leid. In ihrer Umgebung gelang es mir einfach nicht, ich selbst zu sein. Ständig glaubte ich, mich verteidigen zu müssen.
    Als sie mich schließlich fragte, ob ich Angst vor ihr hätte, traf mich diese Frage so sehr, als hätte sie mir soeben eine Maske vom Gesicht gerissen und mich somit enttarnt. Doch jetzt musste ich mich nicht mehr länger verstecken.


    Ja.


    Mehr sagte ich nicht. Ich hatte es offen und direkt hinaus gesagt. Deshalb konnte sie mir doch nichts anhaben.

    Oje, er hatte sich richtig weh getan! Das konnte ich an seinem Gesicht erkennen. Nachdem er sich an meinen Händen hochgezogen hatte, bat ich ihm meinen Stuhl an. Doch er hatte nur Augen für seine Leinentücher, die auf dem Boden verteilt lagen, entschuldigte sich vielmals bei mir und versuchte sofort die Tücher einzusammeln. Das gelang ihm aber nicht, denn er stöhnte vor Schmerz.
    Ich war es nicht gewohnt, dass ein Sklave sich in meiner Gegenwart so benahm. Wahrscheinlich war er neu in der Villa und kannte mich deshalb noch nicht.


    Das ist wirklich nicht schlimm! Hier, bitte! Setz dich doch! Hast du dir sehr weh getan?


    Diesmal zog ich den Stuhl zu ihm, damit er sich auch tatsächlich setzte.
    Diarmuid fand die Tücher, die auf dem Boden lagen lustig. Eine willkommene Abwechslung, ein neues Spiel, das er noch nicht kannte. Er trottete zu einem der Tücher und hob es auf, um sich damit einzuwickeln. Damit sah er fast aus wie ein kleiner Römer in einer Toga.


    Nein, nein Diarmuid, sagte ich ihm in meiner Muttersprache, was für den Sklaven mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr befremdlich klingen musste, und machte mit meinem Zeigefinger eine verneinende Bewegung. Dann sammelte ich die Tücher ein und legte sie auf dem Tisch ab.


    Du bist noch nicht lange hier, nicht wahr? Ich bin Bridhe und wer bist du?


    Einen Moment rätselte ich, zu welchem Volk er gehörte. Es musste ein Volk aus dem Süden sein. Seinem dunklen Teint zu urteilen, war er vielleicht aus Ägypter oder Parther. Seine Aussprache erinnerte mich ein wenig an Cassim, den Parther, der ebenfalls in der Villa lebte. Allerdings schien er ganz anders als Cassim zu sein. Nicht so arrogant.

    Auch mir fiel es zunehmend schwerer, meine Müdigkeit zu verbergen. Doch hier im Dunkeln zu sitzen, war sehr wohltuend. So konnte man noch einmal den Tag passé laufen zu lassen. Dabei beobachtete ich das letzte vor sich hin glimmende Stück Holz, das langsam erlosch. Mein Blick wich kurz ab, als ich das ächzende Geräusch der Holzkiste vernahm, die Aristides mit seinen Fersen zu sich gezogen hatte, um darauf seine Füße zu lagern. Dabei fiel mir wieder seine Verletzung ein, mit der er damals aus dem Krieg zurückgekehrt war.
    Er lächelte wieder ein wenig. Das war gut, denn was brachte es ihm, wenn er noch weiter mit sich haderte? Was geschehen war, war geschehen und nichts konnte daran noch geändert werden. Lag nicht gerade in der Ursprünglichkeit einer Sache ihr besonderer Reiz? Ich selbst hatte ja bisher nur die voll durchorganisierte Form kennengelernt. Zwar war diese viel prunkvoller gewesen, doch hatte ich daran wenig gute Erinnerungen, die mir noch immer das Herz schwer werden ließen. Doch bevor es diesmal soweit kam, hatte es geschafft, mich mit seinem nächsten Einwurf abzulenken. Denn meinen scherzhaften Vorschlag, die Villa zu verkaufen, erwiderte er mit dem Hinweis auf mögliches Folgen,die das haben konnte. Dass er es nicht wirklich ernst gemeint haben konnte, hörte ich aus seiner Stimme heraus. Dabei hatte er einen Bruder erwähnt, der auf Sardinien wohnte. Ich hatte gar nicht gewusst, dass er einen Bruder hatte. Das musste der Senator Flavius Felix sein, von dem alle immer noch in größtem Respekt und voller Ehrfurcht sprachen. Oder war es eher Furcht, die die langjährigen flavischen Sklaven durchfuhr, wenn sein Name fiel? Wie auch immer, mir der Familie sollte man es sich nicht verscherzen, wenn man in Frieden leben wollte.


    Dann wären wir aber das dreckige Geschirr los! Aber sich einer Schlägertruppe gegenüberstehen zu sehen, ist keine angenehme Vorstellung, antwortete ich grinsend.
    Es war kaum zu glauben, wenn ich darüber nachsann, wie sehr ich ihn falsch eingeschätzt hatte. Bis heute Morgen, bevor ich ihm in der Küche begegnet war, hatte ich so gut wie gar nichts von seiner Gutmütigkeit an ihm entdecken können. Das Gefühl der Angst hatte mich stets mit seinem Namen verbunden und genau diese Angst, war nun wie ein Rauch verflogen. Ob dies so bleiben würde, musste man sehen. Vielleicht war dies auch einfach nur eines dieser Wunder, die gelegentlich zur Saturnalienzeit geschah.


    Ach, das bisschen! meinte ich abschätzig und winkte ab.
    Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber es hat mir sogar Spaß gemacht. Eigentlich koche und backe ich sehr gerne. Das habe ich früher auch schon gemacht. Als damals meine Mutter gestorben war, habe ich mich auch um meine Geschwister und um meinen Vater kümmern müssen und mein jüngster Bruder war damals auch noch ganz klein gewesen.


    Meine Gedanken schweiften ab, zu meiner Familie. Aquilius wollte jemand zu ihnen schicken, um ihnen nach all der langen Zeit ein Lebenszeichen von mir zu senden. Dazu war es nicht mehr gekommen. Wahrscheinlich hatte er es vergessen. Trotzdem verging kein Tag, an dem ich nicht an sie dachte. Mein kleiner Bruder musste bereits ein großer Junge sein und meine Schwester war vielleicht schon verheiratet. Und mein Vater…? Ich seufzte leise, fast unhörbar.


    Ja, eine kleine Pause wäre gar nicht schlecht, meinte ich schließlich bitter lächelnd, um meinen Schmerz unterschlucken zu können. Ich sollte endlich die Vergangenheit loslassen und mich der Gegenwart und der Zukunft hinwenden. Wer zulange in der Vergangenheit lebte, der verpasste seine Zukunft.
    Als er zum zweiten Mal an diesem Abend die Bürgerliste erwähnte, lenkte ich meinen Blick zu ihm. Es musste ihm viel daran liegen, dass mein Kind zu dem kam, was ihm nach römischem Recht zustand. Da schmeichelte mir natürlich sehr.


    Vielen Dank für dein Angebot! Das weiß ich ehrlich zu schätzen und ich werde es auch gerne annehmen.


    Es gab noch so vieles, von dem ich noch nicht wusste, was wichtig war und worauf ich zu achten hatte. Da war es gut, zu wissen, jemanden an seiner Seite zu haben.


    Wie geht es eigentlich deinem Bein?

    Der Welt um mich herum schenkte ich keine Aufmerksamkeit. Ich kannte hier niemand und niemand kannte mich, was letztlich auch der Grund war, weswegen ich auf lange Sicht scheitern würde. Mein Kind hatte die Augen geschlossen und versuchte zu schlafen. Noch war die Müdigkeit größer als der Hunger. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis das Verhältnis sich änderte. Dann hatte ich eine Sorge mehr! Wenigstens einen Augenblick wollte ich noch innehalten, bevor ich weiter ging.
    Dann hörte ich eine Stimme, die zu mir sprach. Ein Mann, den ich noch nie zuvor gesehen hatte, hatte mich angesprochen. Weshalb sollte ihm etwas an mir gelegen sein? Ich musterte den Mann von oben bis unten. Wie jemand von hier sah er nicht gerade aus. Aber diese Stadt gab so vielen Fremden eine neue Heimat, gewollt oder auch ungewollt.


    Ich bin nicht traurig. Man könnte sagen, ich bin etwas entmutigt, aber traurig bin ich nicht.


    Es war meine eigene Entscheidung, hier zu sein. Eigentlich hätte ich glücklich sein müssen. Aber genauso wenig wie ich am Tage meiner Freilassung glücklich war, war ich auch jetzt nicht glücklich.


    Ich bin auf der Suche nach Arbeit. Für mein Kind und mich brauche ich etwas zu Essen und eine Unterkunft.


    Ich machte mir keine großen Hoffnungen, dass der Fremde der Schlüssel zu all meinen Sorgen war. Aber wer wusste das schon!

    Die Villa hatte ich hinter mir gelassen und damit auch mein altes Leben. Noch war ich guten Mutes, bis am Ende dieses Tages eine neue Aussicht gefunden zu haben. Der kleine Diarmuid tippelte tapfer neben mir her. Auch ihm schien der Ausflug in die Stadt zu gefallen. Für den Kleinen gab es so viel zu entdecken, was er noch nicht kannte.
    Ich hielt die Augen und Ohren auf, um einen Hinweis zu finden, wo es Arbeit mit einem entsprechenden Lohn gab,damit ich Essen kaufen konnte und mich um eine Bleibe sorgen konnte. Dass dies nicht einfach werden würde, hatte ich mir noch vorstellen können. Zwar hatte ich darin noch keinerlei Erfahrung aber so schwer konnte das doch auch nicht sein!
    Einige Stunden später hatte sich mein Enthusiasmus schon etwas gelegt. Bisher hatte ich niemanden gefunden, der für mich Arbeit, geschweige denn etwas zu Essen oder ein Dach über dem Kopf hatte. Der Kleine wollte auch nicht mehr laufen. Mit jedem Schritt wurde er müder und unleidlicher, was zur Folge hatte, dass ich ihn tragen musste. Mein Magen knurrte, aber das versuchte ich zu ignorieren.
    Für einen kleinen Atemzug dachte ich daran, wieder in die Villa Flavia zurückzukehren. Doch den Gedanken verwarf ich ganz schnell wieder. Ganz erschöpft ließ ich mich an einem Brunnen nieder. Das kalte Wasser linderte meinen Durst und vertrieb wenigstens für eine Weile den Hunger. Mutlos starrte ich vor mich hin und begann mir Vorwürfe zu machen. Wie konnte ich nur so blauäugig sein?

    Ob ich nun das Richtige tat oder gerade dabei war, den größten Fehler meines Lebens zu begehen, ich wusste es nicht. Eines konnte man mir jedoch nicht vorwerfen. Ich handelte nicht unüberlegt! Wie viele Nächte hatte ich wachgelegen und darüber nachgedacht, was ich tun sollte? Wie oft hatte ich das Für und Wider meiner Situation abgewägt? Manche würden mich vielleicht als hochmütig und zu stolz titulieren Diejenigen kannten mich nicht und verstanden nicht, worum es mir ging. Andere wiederum würde ich mit meiner Entscheidung zu gehen, vor den Kopf stoßen. Um die tat es mir Leid und das bereitete mir auch ein schlechtes Gewissen.
    Es war zwar bequem, hier im Überfluss zu leben, ein Dach über dem Kopf zu haben und sich keine Sorgen machen zu müssen, ob der nächste Tag genug Nahrung bereit hielt. Ich hatte mich nie vor einer Arbeit gedrückt, weder vor noch nach meiner Freilassung. Und doch gab es Neider, die mir nichts gönnen wollten, die es vorzogen, über mich herzuziehen.
    Sollte ich nicht doch noch einen Brief zurücklassen, indem ich alles erklärte? Noch einmal nahm ich an meinem Tisch Platz und wollte einen Brief aufsetzen. Als die Tür plötzlich auf gestoßen wurde, fuhr ich erschrocken auf.
    Dieser Sklave musste sich in der Tür geirrt haben! Ich machte für gewöhnlich mein Bett selbst. Er aber ließ sich nicht beirren und kam voller Elan hereingestürzt, mit einem Stapel Wäsche in den Armen. Ich konnte nicht nachvollziehen, was geschah, als er mein Bett anteuerte. Der Unglücksrabe stolperte über meine Truhe und ging mit einem Aufschrei zu Boden.


    Oh! rief ich entsetzt. Hast du dich verletzt?


    Ich eilte zu ihm, um ihm behilflich zu sein und reichte ihm meine Hand, auf dass er sich daran hochziehen konnte.