Beiträge von Claudia Callista

    The Muses, still with freedom found,
    Shall to thy happy coast repair;
    Blest Isle! With matchless beauty crowned,
    And manly hearts to juide the fair.
    Rule, Britannia! Britannia, rule the waves:
    Britons never will be slaves.
    - Rule Britannia, T.A. Arne





    Weiße Gischtkronen fliegen die Steilklippen hinauf. Branden gegen die hellen Klippen. Fallen zurück in das eisig graue Wasser, das die grüne Insel umgibt. Bleierne Wolken hängen am Himmel. Drücken auf die Gemüter der Menschen. Insbesondere auf das Sentiment der Callista. Am Bug des Schiffes steht sie und späht auf das konvergierende Land. Der Ort ihrer Verbannung. Das Exil. Der Käfig. Noch nicht mal golden ist er. Grün, grau, grässlich trüb.
    Hoch und runter. Runter und rauf. Stetig hebt sich das Schiff durch die wilde See. Pflügt mit dem Bug durch die dämmergraue See. Schneidet wie ein stumpfes Messer durch die Wogen des Wassers. Zusammen gepresst sind die Lippen der Callista. Sie schlingt den dunklen Umhang mit dem dicken Pelzfutter fester um sich. Es fröstelt ihr dennoch. Ihre Augen wandern über die Küste hinweg. Das nasse Grün erscheint ihr sehr triste. Callista seufzt.
    Schrecklich! Wie soll ich das nur ertragen?
    Mit Würde, Callista. Mit Gravität.
    Das wird schwer.
    Annähernd lautlose Schritte nähern sich Callista. Sie spürt die Präsenz ihrer Sklavin an ihrem Rücken. Devot. Demütig. Ergeben. Wie eh und je. Aber woran liegt es? Dass sie ihre Sklavin nicht lange ertragen kann? Callista wölbt ihre Lippen mit einem nachdenklichen Zug. Der Blick ihrer Sklavin ruht auf Callistas Rücken. Callista kann die Wärme der Inderin durch den dicken Pelz spüren. Doch Callista schweigt. Beachtet auch die lauten Rufe der Seeleute um sich herum nicht. Ruder tauchen in das Wasser. Segel sind gebläht. Das Schiff gleitet an der schroffen Küste entlang. Weiter in den Norden. Tiefer in die graue Wolkendecke hinein. Die tosende und wilde See. Die so gänzlich anders als das wunderschöne Mittelmeer scheint. Callistas Lippen werden zu einem schmalen Strich. Sie dreht sich um und schreitet unter Deck. Die Haltung einer Pharaonin im Exil beweisend.


    Eine Reise ohne Ende scheint die Überfahrt zu sein. Erst ein Tag später läuft das Schiff näher an die Küstenlinie heran. Der Anker wird in die graue See geworfen. Ein Beiboot über Seile auf die sich bauschende See hinab gelassen. Kisten verstaut. An Land gebracht. Schließlich folgt eine indignierte Patrizierin.
    Ein leerer Strand. Steinig. Unwirklich zieht er sich an hohen Klippen entlang. Callista dreht sich um. Ihre Stola ist von dem salzigen Nass getränkt und selbst der dicke Umhang mit dem Pelz vermag sie wenig zu wärmen. Das Schiff zieht den Anker hoch. Die Ruder tauchen in das Wasser. Es entschwindet. Hilflos muss Callista das verfolgen.
    Erst jetzt vermag sie ihrem Erstaunen Ausdruck zu verleihen.
    "Wo ist der Hafen?"
    Benohé schüttelt mit dem Kopf.
    "Es gibt keinen Hafen, Herrin."
    "Keinen Portus?"
    Anklagend sieht Callista zu den Klippen empor, an deren Spitzen sich graue Wolken türmen.
    "Kein Hafen. Was für eine grässliche Provinz."
    Benohé verzichtet darauf, Callista zu belehren. Ihr zu berichten, dass Britannia durchaus Häfen besitzt. Nur nicht hier. Die claudische Patrizierin dreht sich auf dem Strand um. Viele Kisten liegen um sie herum verstreut. Aber sonst ist nichts zu sehen.


    "Was folgt?"
    Eine Welle bricht sich am Strand. Schaumkronen fliegen in den Himmel.
    "Wir werden hier abgeholt, Herrin."
    Erwartungsvoll sucht Callista den Strand ab. Menschenleer.
    "Wann?"
    "Ich weiß es nicht, Herrin."
    Fröstelnd. Defätistisch. Indigniert. Eine Woge von üblen Empfindungen und Regungen durchfährt Callista. Sie sinkt auf eine schwarze Kiste hinab. Zieht den Umhang fester um ihren Körper und zittert heftig.
    "Das werden sie noch bereuen. Sie alle. Wie ich Männer doch hasse!"
    Benohé schweigt.

    Geltungsdrang. Ambition. Ehrgeiz. All jene Tugenden besitzt Callista. Hingegen sind die Ziele ihres Erfolgsdrangs nicht sehr tugendhaft. Ein Zweifel an dem Erfolg um eine Jagd hegt Callista nicht. Sie bekommt, was sie wünscht. Ob Männer, Geschmeide oder das Wild in den Weiten Ägyptens. Nur zwei Dinge sind ihr nicht vergönnt. Die Freiheit über ihr Leben zu erringen. Oder die Unsterblichkeit und ewige Jugend. Beide Wünsche wird sie indes niemals aufgeben.
    Callista mea?
    Sein. Sie. Sein?
    Nein.
    Niemals.
    Callistas Lippen wölben sich pikiert. Geübt darin, ihre Regungen zu verheimlichen, lässt sie daraus ein Lächeln entstehen.
    "Fordere nicht die Götter heraus. Diana ist launisch. Diana ist eifersüchtig."
    Callista öffnet mit den Fingerspitzen den hölzernen Kasten. Sie lässt die Kuppen auf dem Holz ruhen und betrachtet den Korpus von Aquilius Den sehnigen und muskulösen Leib. Der sich aufreizend vor ihren Augen räkelt. Als ob er sich seiner Schönheit bewusst ist. Callista ist sich hiezu selbstgewiss. Er weiß es. Darum zeigt er es ihr. Ihre Mundwinkel heben sich. Arme umschlingen Callista. Begehren ihren Leib. Geschmiegt an warme, männliche Haut. Callista gibt sich dem willig hin und folgt dem Ziehen. Der Kasten legt sie auf den Tisch neben das Bett und sinkt in die weichen Kissen. Von der eine Feder aufsteigt und auf ihre bronzene Haut herab fällt. Leuchtendes Weiß auf goldener Haut. Es kitzelt Callista wohlig.
    "In Achaia!"
    Ihr Bruder hat in Achaia gelebt. Hat es ihm dort gefallen?
    Callista hat es vergessen. Schließlich hat er dort ohne sie gelebt. Frauen in den Armen? Die Tränen des Mondes im Blute? Orgien? Orgien in Achaia? Das vermag selbst im Nachhinein die Eifersucht in Callista zu schüren. Eine eifersüchtige Callista kann unerträglich werden. Eine Furie. Eine Rachsüchtige. Ihr Lächeln schmälert sich. Aber sie will den Abend nicht trüben. Der von dunklen Wolken bedeckt ist.


    Ihre Lippen suchen nach dem Lustkelch von Aquilius. Ihre Zunge versinkt zwischen seinen Lippen. Sie atmet schwer und löst sich ungerne. Ihre Augen ziert ein dithyrambisches Funkeln.
    "Die Nacht mit fremden Feuern zu versehen,
    die unterwerfen, was in Sternen schlug,
    darf meine Sehnsucht als ein Brand bestehen,
    der neunmal weht aus deinem runden Krug.


    Du musst der Pracht der heißen Mohns vertrauen,
    der stolz verschwendet, was der Sommer bot,
    und lebt, dass er am Bogen deiner Brauen
    errät, ob deine Seele träumt in Rot.


    Er fürchtet nur, wenn seine Flammen fallen,
    weil ihn der Hauch der Gärten seltsam schreckt,
    dass er dem Aug der süßesten von allen
    sein Herz, das schwarz von Schwermut ist, entdeckt."

    Die Worte wispert Callista. Lässt sie leicht wie der Hauch der Sommerbrise aus ihren Lippen entweichen. Die über rote Felder hinweg streichen. Sanft mit den roten Blüten des Mohnes spielen. Die schwarzen Herzen erzittern lassen. Das rote Gold aus dem die roten Träume entstehen. Sofern eine Seele noch zu träumen vermag. Callista liebt jene Stunden. Es entrückt sie von der Welt. Von der Monotonie und mag ihrer Phantasie Flügel zu verleihen. Und wenn Callistas eine gute Eigenschaft hatte, dann ist es ihre Fähigkeit zu Träumen. Ansonsten ist ihre Seele vertrocknet. Ihr Gemüt gehässig und ihre Launen grauslich.


    "Ja. Das möchte ich."
    Ein seliges Seufzen. Ein Verlangen zu vergehen an diesem Abend. In Lust, Träumen und der völligen Leichtigkeit.
    "Lass uns dem leichten Flug folgen, den die roten Flügel uns bereiten. Lass uns zergehen, bis wir nicht mehr wissen, was Traum und Wirklichkeit ist. Ein Abend, den man nicht vergisst. Aber eine Nacht ohne Trivialität. Wo wir nie wissen werden, was wahr war und was nicht."
    Callista greift nach einer langen, schlanken Pfeife. Aus Elfenbein und Kupfer ist sie gemacht. Ägyptische Symbole zieren die Pfeife. Sie stammt auch aus Ägypten. In der wunderbar verruchten Stadt Kanobos hat sie die Pfeife erworben. Welch eine aufregende Nacht hatte sie damals erlebt. Callista erinnert sich jedes Mal daran. Wenn ihre Finger sich um die Pfeife schließen. Wenn sie die Lippen darum legt.
    Kein Handgriff geht fehl. Es ist geübt. Die schwarzen Perlen. Die in die Pfeife kommen. Die Glut, die Callista mit einem Zedernholz erzeugt und an den Kopf hält, der einer Schlange nachgeahmt ist. Schon bald steigt eine Rauchfahne in die Luft. Ohne Hast legt Callista ihre Lippen um die Pfeife und zieht den würzigen Arom in ihre Lungen ein. Der Mohn knistert. Er duftet. Er mundet. Er erhebt Callista. Mit einem sinnlichen Lächeln auf den Lippen reicht sie die Pfeife an Aquilius.


    Schon bald taucht Callista in die Welt der Träume. Vermengt sich mit der Sinnlichkeit, die die Wirklichkeit ihr bietet. Zug um Zug nähert sie sich dem Reich, in dem ihre Gedanken verschmelzen mit den Worten. In dem sie redet, ohne einen Sinn zu erkennen. In dem sie blind ist und doch die Wahrheit erkennt. In dem sie sich der Lust hingibt und völlig sich vereinnahmen lässt. Berauscht und jenseits davon noch klaren und vernünftigen Verstandes zu sein. Die Stunden rieselten dahin. Was weiter in jener Nacht geschah? Callista träumt manchmal davon. Doch sicher, ob es geschehen ist, das wird sie wohl niemals mehr sein. Auch nicht, ob Aquilius bei ihr war.

    Männliche Fingerbeeren fahren über weiche Haut, die nur Seide kennt. Weiche Milch, warmes Wasser oder leidenschaftliche Küsse erfahren hat. Niemals die Grobheit der Arbeit oder die rauhen Widrigkeiten eines verzehrenden Lebens. Die Hülle ihres Korpus reckt sich wohlig unter den Berührungen des Aquilius. Ein Seufzen des Wohlgefallens offerieren ihre feucht schimmernden Lippen. Letzte Kunde von verzehrenden Küssen. Dunkle Wimpern umkränzen die Spiegel ihrer Seele, die okkasionell ihren Gemütszustand verraten, oft auch zu täuschen vermögen. Ihre Haare umspielen ihre Wangen, die einen bronzenen Hauch bedecken.
    Mein Gemahl ist zu beneiden?
    Eher zu bemitleiden, Callista.
    Traun.
    Ein boshaftes Lächeln entzündet sich an ihren Mundwinkeln. Erhält jedoch keine Erlaubnis sich auszubreiten und ihre Gedanken diesbezüglich zu verraten. Einem Gemahl würde Callista indes niemals Leidenschaft offerieren. Abgesehen von der Passion des Furors. Der Inbrunst ihres Hasses. Geschmeichelt ist Callista durchaus. Gleichwohl sie sich das selber einredet. Ein Verhängnis der Männer zu sein. Jedes Wort glaubt sie Aquilius. Weil sie es will. Zumal es ihrer Eitelkeit entspricht. Die ursprünglich Boshaftigkeit des Freudenzeichens wandelt sich in ein ergötztes Lächeln, das nun die Gelegenheit erhält ihre Lippen zu schmücken und zu bekränzen.
    Fidel erhebt Callista ihre Wange von Aquilius Brust. Betrachtet seine schönen Lippen. Die derart burleske Sätze formen. Aussagen von sich geben, die Callista amüsieren. Als ob Aquilius sie schon Jahre kennen würde. Solcher Art spricht er mit ihr. Irrtümer über ihre Person aufzuklären ist indes nicht Callistas Bestreben. Das, was die Männer auf der Oberfläche ihres Selbst erkennen wollen, wünschen und vermögen. All das Nämliche oblässt Callista ihnen. Bis zu dem Zeitpunkt einer Kränkung ihrer Person. Dann wird Callista gnadenlos. Aber es sind Schmeicheleien. Die Callista umweben, sie einspannen und umgarnen. Callista lächelt entzückt.
    "Die Jagd nach Herausforderungen? Die Früchte einer erlangten Beute, die mit einem Mal schal wird? In dem Moment der Sättigung? Eventual."
    Callista folgt mit ihrem Finger seinem Brustbein. Verharrt am Angulus. Lässt ihre Haare auf seiner Brust kitzeln. Schnurrt wohlig. Bei jeder sanften Berührung an ihrem Leibe. Ihre Gedanken entschweben. Flatterhaft wie bei einem Schmetterling. Herausforderung. Männer errringen. Sie fallen lassen. Sie erbeuten. Jagen. Jagd? Des Menschen liebstes Vergnügen. Es entsinnt sie an ihn. Abenteuer. Die Hatz, insbesondere auf Sklaven, aber auch das exotische Getier von Ägypten. All das Nämliche hat sie mit ihm erlebt. Ihre ungezügelten Seiten konnte sie ausleben. Wilden Zeiten hat sie mit ihm gefrönt. Leidenschaft. Glut. Das wahre Feuer in ihrem Leben. Callistas Mund verzieht sich melancholisch. Sie verbirgt es mit einem Kuss auf die Brust von Aquilius.
    "Ob man in Britannia jagen kann?"
    Ein sanftes Murmeln. Ein Hauchen über die männliche Haut. Wilde Ungeheuer. Ungezähmte Tiere. Das gibt es mit Sicherheit in Britannia. Aber was ist all die Vergnüglichkeit ohne ihn? Callistas Unterlippe erbebt. Schrecklich wehleidig bemitleidet sie ihre tragische Figur in dem Stück ihres Lebens. Geliebt sollte sie werden. Umsorgt. Umhegt. Ist sie nicht eine Claudia, die das von ihrem Geburtsrecht aus verdient? Schon will ihre Stimmung herab sinken. Aber Aquilius hindert sie daran.
    Callista hebt ihren Kopf an. Richtet die Augen auf Aquilius berückende Gesichtszüge. Herb männlich. Schön geschwungen. Harmonisch im Aufbau. Aber nicht ausdruckslos. Callista versinkt in dem Anblick von Schönheit. Die Formvollendung. Die Erhabenheit der Form. Die Perfektion des Werkes der Götter blendet Callista. Lenkt sie ab von all den Worten, die von des schönen Mannes Lippen gesprochen werden.
    Dunkelheit? Wovon spricht er?
    Wie schön seine Augen doch sind.

    Von Dir, Callista.
    Oh.
    Callista schenkt ihm ein entzücktes Lächeln. Weil sie Aquilius seiner Gestalt wegen bewundert. Den Worten schenkt sie keine große Beachtung. Denn Callista sieht an sich keine Schwächen, darum glaubt sie natürlich von all ihren Stärken zu wissen. Nur der Makel ihrer Größe, aber auch ihr Hang zur Fettleibigkeit sind unbedeutende Flecken auf ihrem Wesen und Sein, das sie selber gerne verherrlicht und darum alle Schmeicheleien liebt. Die ihr diesbezüglich geschenkt werden.
    Callista mea?
    "Caius?"
    Ein Hauchen. In dem zarten Atmen, der den Namen formt. Darin schwingt ein Hauch von Amüsement mit sich. Callista lässt alle Gedanken hin fort gleiten. Schickt sie mit den Flügeln der Phantasieschmetterlinge in den unendlichen Äther. Begnügt sich mit dem Sinnen über die Form seiner Nase. Fährt mit ihrer Fingerspitze über seine Unterlippe. Die sich wundervoll wölbt. Wenn er nachdenklich wirkt.
    "O Caius."
    Sie liebt es seinen Namen zu nennen. Doch schon scheint sein Gedankengespinst vollendet zu sein. Die Webearbeit findet den Weg zu seinem wundervollen Mund. Callista betrachtet ihn fasziniert. Als er sich bewegt, rundet, spitzt, in die Länge zieht um danach zu seiner vollendeten Form zurück zu kehren.
    Oh. Was hat er gesagt?
    Lausche ihm aufmerksamer, Callista.
    Ich will es doch. Ich versuche es.
    Callista reißt sich zusammen. Löst sich von dem wundervollen Anblick. Konzentriert sich auf die letzten Worte, die Aquilius spricht. Er bietet ihr Hilfe an? Nun sind es Callistas Lippen. Die sich spitzen. Ein einziges Wort formulieren.
    "Oh."
    Oh, nur ein Oh, Callista? Was für eine schnöde Antwort.
    Callista leckt sich über die Lippen. Zaubert ein Strahlen auf ihr Gesicht. Ihre Augen erfüllt ein munterer Glanz. Mit einem langen Kuss belohnt Callista die Worte von Aquilius. Wenngleich sie keines davon für bare Münze nimmt. Männer versprechen viel. Halten wenig davon. Zudem braucht sie in den nämlichen Tagen Hilfe. Die Aquilius ihr nicht zu geben vermag.
    "Caius, o Caius. Gewiss werde ich das stets in mir tragen. Das Angebot gereicht Dir zu höchster Ehre und erfüllt mich mit Dankbarkeit. Bin ich in Not, werde ich Dich davon wissen lassen."
    Gelogen ist jedes Wort. Dafür jedoch mit einem lauteren Antlitz geformt. Einer talentierten Mimin offeriert. Schließlich lebt Callista stetsfort in einem goldenen Käfig. Nur wenige Jahre ihres Lebens waren ihr in scheinbarer Freiheit vergönnt gewesen. Sie sind vorbei. Solange sie den Namen Claudia trägt. Eine Frau ist. All die Zeit wird sie stets ein Paradiesvogel in einem grausamen Gefängnis der römischen Welt sein. Zu deprimierend ist der Gedanke. Den Callista nicht an sich heran lassen will. Genauso wenig die Erkenntnis, wie hohl ihr Leben ist. Insbesondere ohne ihn.
    Ihre Sklavin möchte Callista heran winken. Aber es ist keine Serva im Cubiculum. Enttäuscht seufzt Callista. Geschmeidig erhebt sie ihren schlanken Oberkörper. Stützt sich neben Aquilius ab und streicht sich mit einer Hand die ebenholzfarbene Haarmähne zurück.
    "Die Zeit der schnöden Unwiderlegbarkeit eilt herbei. In grausam flinken Schritten."
    Eine schwarze Haarsträhne kringelt sich keck um Callistas Kinnlinie. Ihre Augen funkeln vergnügt. In Erwartung des Kommenden.
    "Lass uns die kostbaren Moment nicht mit dem schrecklichen Sein verbringen."
    Ein Suchen mit ihren dunklen Augen. Eine Kiste aus Zedernholz wird ausgemacht. Elfenbeinverzierung schmücken die Ecken und den Verschluss. Wohlgemut zeichnet sich der Erdbeermund der Callista. Erforschend sieht Callista zu dem schönen Flavier.
    "Frönst Du bei weilen den Perlen des Mondes, o Caius?"
    Callista kann es sich nicht anders vorstellen. Jemand wie Aquilius tut das Nämliche gewiss von Zeit zu Zeit. Leicht einer Feder similär erhebt sich Callista. Ohne Scham und nur von ihrem Haupthaar bedeckt setzt sie einen Fuß nach dem Anderen über den warmen Boden. Der von heißem Dampf angenehm ist. Über die Trümmer schreitet sie hinweg. Schwebt an einer umgefallenen Vase vorbei. Liebkost mit ihren Fingerspitzen den Korb mit der Spinne. Vor der Kiste bleibt sie stehen und sieht über ihre Schulter hinweg zu Caius.
    "Findest Du Gefallen an Spielen, o Caius? Oder hat das auch in Deinem Leben keinen Platz mehr?"
    Ihre Hände umfassen das Holz, das Glänzende. Erstaunt über die Schwere ist Callista. Hebt sie hoch und wendet sich zu Aquilius um. Den Weg zurück zum Lager findend.

    Staubkörner tanzen in den Strahlen der Sonne. Die sich durch das Dach des Atrium hinein stehlen. Sanft über den Marmorboden ergießen. Den Stein liebkosen und in dem güldenen Schmuck der Callista glänzen. Die Saphire an ihren filigranen Ohrringen funkeln als das Licht sie berührt. Klimpern als Callista ihren Kopf zur Seite neigt. Die seltsamen Gebarden der schönen Serva verfolgt Callista mit den Augen. Erkennt den Sinn dahinter nicht. Gebärdensprache ist Callista fremd. Sie würde es ihren Sklaven verbieten. Es aus ihren Leibern heraus peitschen. Sollten sie es wagen, diese zu lernen. Schließlich hat es seinen Sinn, dass ihre Sklaven stumm sind.
    Lügen. Verbergen. Geheim halten.
    Bereitwillig überlässt Callista die Tabula dem jungen Mädchen. Damit sie ihren Wunsch zu äußern vermag. Eine Gänsehaut beschleicht Callistas Arme. Als sie das Quietschen der Kreide vernimmt. Ruhig indes wartet Callista. Spielt mit den silber goldenen Reifen an ihrem schmalen Handgelenk. Liest auf dem Antlitz der jungen Frau. Betrachtet die glänzenden Haare von Tilla. Die sanft geschwungenen Lippen. Die feine Nase.
    Eine schöne Sklavin.
    Versuche sie doch zu kaufen, Callista.
    Was für eine exquisite Idee. Das muss ich unbedingt versuchen.
    Neugierig ergreift Callista die Tabula. Überfliegt die Zeilen. Liest die Worte dann genauer. Verwundert blinzelt Callista. Geld. Schmuck. Süße Waren. Feiner Stoff. Damit hat Callista gerechnet. Aber das? Nein. Unverschämt ist es hingegen nicht. Darum weiß Callista in dem Moment nicht, ob sie erzürnt sein soll oder amüsiert. Letztlich entscheidet sie sich für das Letzte. Ihre Mund offeriert ein dezentes Lächeln.
    "Meinen Sohn möchtest Du sehen? Ihn gar besuchen und in der Schrift unterweisen. Dabei hat er einen griechischen Hauslehrer."
    Eigentlich in Alexandria. Es sollte der Lehrer sein, der ihrem Bruder wohl so viel bedeutete. Es stand damals außer Frage, dass jener Hellene ihren Sohn unterrichten würde. Aber jetzt haben sich die Dinge geändert.
    "Aber er ist weit fort. Warum also nicht? Solange Dein Herr darüber nicht erzürnt ist. Ich möchte nicht, dass er denkt, ich würde versuchen, mir Deine Dienste zu erstehlen."
    Sie reicht die Tabula an Tilla zurück.
    "Solltest Du freie Stunden erübrigen und die Villa verlassen dürfen, so lasse meine Sklavin davon wissen. Benohé. Sie wird es arrangieren, dass Du meinen Sohn besuchen darfst."
    Das ist ein Wunsch, der einfach zu erfüllen ist. Callista ist eine Claudia. Sie hält sich an ihr Wort. Darum gewährt sie der jungen Frau die Bitte. Sanft legt Callista den Finger unter Tillas Kinn. Hebt ihr Gesicht etwas an und betrachtet die junge Frau im güldenen Schein.
    "Schön bist Du."
    Ein entrückter Schleier legt sich über die dunklen Augen von Callista. Ein traumverlorener Ausdruck. Sodann sinkt Callistas Hand hinab.
    "Apart."
    Einen Schritt tritt Callista zurück. Sie tritt an Tilla vorbei. Neben ihr verharrt Callista. Lächelt zu der jungen Sklavin.
    "Mein Sklave wird Dich nach Hause bringen, damit Dir kein Leid geschieht, artige Serva."
    Kein Abschied. Außer dem verhaltenen Lächeln, das eine Seltenheit ist. Callista ist kühl und reserviert gegenüber Sklaven. Sieht in ihnen nur mehr oder minder nützliche Arbeitstiere. Manche sind edle Tiere, andere nur grobes Vieh. Tilla ist bereits in das vornehme Geblüht jener Schichte gewandert. Denn sie hat den Sohn der Callista nach Hause gebracht. Und sich tadellos benommen.
    Gewänder rascheln. Callista entschwindet aus dem Atrium. Der Dunkelhäutige sieht Tilla fragend an. Deutet mit der Hand zur Tür, um auch dem Befehl der Herrin nachzukommen.

    Weiße Lauterkeit ergießt sich auf steinernen Boden. Ein rotes Band aus Blut fließt sich über das Weiß, mischt sich mit dem Schaum von gewebten Wasser in dem blaue Blüten treiben. Stoff vereint sich mit Stoff. Ein seidenes weißes Frauengewand mit floralen Stickereien liegt unter einer Amtstracht mit einem purpurnen Streifen.
    Matt glänzt das Licht der Öllampen auf dunklen Fensterläden. Es rüttelt. Es schüttelt. Der Wind treibt seine neckischen Spiele mit dem schützenden Holz. Im Raume indes ist es behaglich. Der Boden wärmt es. Heißer Dampf erhitzt den Stein. Aber auch das Reigen auf weichen Kissen. Zwischen zarten Decken. Fliegenden Federn. Es erfüllt den Raum mit Leibeswärme. Der Odeur der Passion verströmt sich. Vermengt sich mit dem zarten Geruch der kleinen Rauchsäulen, die von den Öllampen ausgehen und vereinigen sich mit dem Wohlduft von verbrannten Kräutern.
    Reigen. Tanzen. Walzen. Wälzen. Lippen, die über Haut gleiten. Weiches Licht, dass sich auf Körpern abzeichnet. Schnell ist die Kleidung entledigt. Kein Wort will Callista mehr verschwenden. Schlechte Stimmungen beherrschen sie genug in jenen Stunden. Darum will sie dem Schönen frönen. Der Lust. Der Wollust. Stoff reißt. Ist es ihr Kleid? Das Gewand von Aquilius? Callista merkt es nicht. Versunken ist sie in dem Moment. Fähig alles unwichtige auszublenden, denn in dem Augenblick zählt nichts mehr auf der Welt als die Freude am Leben. Das mit jeder leidenschaftlichen Berührung, jeder Vereinigung der Lippen und der Zungen intensiver auflodert. Einem Succubus similär zieht Callista Aquilius in den lodernden Tanz. Lässt nicht von ihm ab. Kostet von dem Labsal als ob es die letzte Freude ihres Lebens ist. Ihre letzte Nacht vor einer schrecklichen Einöde. Ihre glatte Haut schmiegt sich an die Warme von Aquilius. Ihre Beine umschlingen ihn. Keuchend erklingt sein Name auf ihren Lippen. Das Flehen aus ihrer Kehle nach der Stillung ihres Sehnens. Oblässt Aquilius die Führung. Überlässt sich ihm willig, um gleich darauf das Blatt zu wenden. Wild über ihn. Unter ihm. Vor ihm.
    In all der Zeit klopft kein Sklave. Keine Störung unterbricht sie. Erst die Erschöpfung. Die süße Frucht des heißblütigen Spiels entlässt Callista aus dem Bann. Schwer atmend und mit einem verschwitzen Körper verharrt sie. Über Aquilius. Ihre Finger ruhend auf seiner Brust. Bißspuren zeigen sich an seinem Hals. Abermals hat Callista ihn gezeichnet.
    Ungebändigt umwallen Callistas schwarze langen Haare ihren Leib. Ihre roten Lippen malen ein ergötztes Lächeln auf ihrem Gesicht. Verzückt. Verträumt. Genießerisch. Langsam taucht Callista auf. Ihre Augen klären sich. Ein wildes Flackern haben die dunklen Seelenspiegel zuvor gezeichnet. Der Wahn unbedingt alles zu erleben. Keine Spur der Vita zu verpassen. Niemals von Genuss abzulassen und alles zu vereinnahmen. Callista besitzt gerne. Auch einen Mann. Selbst wenn es nur für einen Augenblick ist. Eine Nacht. Eine Woche. Flüchtig ist es mit einem Mann, der frei ist. Darum umso interessanter für Callista. Was ist schon ein Sklave dagegen?
    "Caius. Caius. Caius. Schön ist Dein Name. Schön ist Deine Gestalt. Wundervoll Dein Korpus. Göttlich Deine Kunst zu Lieben. Deine zukünftige Frau wird sich glücklich schätzen können."
    Callista lacht. Dunkel.
    Sie gleitet von Aquilius Leib herunter. Streckt sich auf ihren Rücken und sieht sinnend zur Decke hinauf. Bunte Bilder zieren die Decke. Dezent in goldenen Farben bemalt. Güldene Ranken erstrecken sich über ihr. Callista rollt sich zur Seite. Ihre Finger streichen über Aquilius Haut. Ihre Lippen kosten seinen Salzgeschmack. Sie spielt zärtlich mit ihrer Zunge über seine Brust hinweg. Reizt ihn noch ein wenig, um dann ihre Wange darauf zu legen.
    Langsam tropfen die Worte in Callistas Geist. Die Aquilius vor ihrer Leidenschaft gesprochen hatte. Es scheint bereits Jahre her zu sein. Callista würde Aquilius nicht in so einem Moment widersprechen. Ob er sie wirklich kennt? Callista weiß es nicht. Möchte es lieber nicht erfragen. Am Ende tut er das tatsächlich. Dann kann er all das Hässliche in ihr hervor holen. Alles, was Callista vornehmlich zu verbergen sucht. Leider oftmals mit wenig Erfolg. Manche ihrer abstoßenden Züge kennt sie nicht.
    "Ein Jammer ist es."
    Callista bedauert sich. Gerade, wo es derart vergnüglich ist. Natürlich ist Callista bewusst, dass sie irgendwann sich auch bei Aquilius langweilen würde. Das war jedes Mal der Fall. Aber es hätte eine Weile vorgehalten. Callista seufzt theatralisch.
    "Aber sei unbesorgt, Caius. Du trägst keine Schuld an der Strafe, die mich ereilen wird. Es ist ein Anderer, der das auf sich nehmen muss."
    Gnade ihm die Götter sollte jener Mann zu Callista zurück kommen. Erstmal würde sie versuchen ihm die Augen aus zu kratzen. Dafür, dass er sie im Stich gelassen hat.
    Er wird nicht kommen.
    Trübe ist der Gedanke. Den Callista schnell in den hintersten Teil ihrer Gedankenwelt zurück schiebt, die unendlich und bunt schillernd erscheint.
    "Deinen Namen werden die Römer gewiss nicht vergessen. Er wird nicht wie ein flüchtiger Hauch in den Äonen verschwinden, Caius. Dafür bist Du zu außergewöhnlich. Aber lasse nicht zu, dass die Welt Dich aushöhlt, schöner Mars. Berückender Caius."

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    Matt hebt Nero seinen Kopf, als sich andere Hände nach ihm ausstrecken. Ein Lächeln. Es malt sich um seinen kleinen Mund herum. Er schenkt es Tilla. Ehe die Sklavin Benohé ihn ergreifen will. Aber Tilla lässt ihn herab. Auf die Zehenspitzen stellt sich Nero. Erwidert die Umarmung mit einem sonnigen Strahlen auf dem Gesicht. Sodann hätte sich Nero am Liebsten auf den Marmorboden gesetzt. Erschöpft richtet sich Nero auf. Will nicht zu deutlich zeigen, dass ihn das Abenteuer derart mitgenommen hat. Obwohl es schon um ihn schwankt. Aber an die Worte seines Großvaters erinnert sich Nero gut. Er mag seinen Großvater sehr. Er versteht all die bösen Worte, die über ihn gefallen sind, nicht mehr. Schließlich hat der ältere Mann ihm immer bereitwillig geantwortet und war sehr freundlich zu Nero. Geduldig. Wie wenige der Erwachsenen. Tilla ist auch so. Wenn Nero es sehr schade findet, dass er sie nicht immer verstehen kann. Als sie mit der Kreide über die Tafel gleitet, da beschließt Nero. Er muss schnell Lesen und Schreiben lernen. Noch mehr als bis anhin. Wenn er Tilla das nächste Mal sieht, dann möchte er sie alles fragen können und ihre Antworten verstehen.
    Erstaunen zeigt sich indes bei Callista. Die Kreide quietscht. Sie kratzt und schließlich erhält sie das vollgeschriebene Objekt. Ihre Augen wandern über die Zeilen. Die Verwunderung bleibt in ihrem Gesicht haften. Nero nutzt den stillen Augenblick. Er lässt sich den Umhang reichen.
    "Danke schön. Aber brauchst Du ihn nicht selber?"
    Er will nicht, dass Tilla friert. Denn er weiß noch nicht mal, wo sie zu Hause ist. Schritte entfernen sich. Benohé hat ebenfalls dem Moment des Lesens genutzt. Sie kommt zurück mit einem Beutel, gefüllt mit schweren Münzen. Den sie dem Verwalter des Hauses abgeluchst hat. Mit einer unbewegten Miene reicht sie das Geld an den Soldaten.
    Catius nimmt es entgegen. Da wird sich sein Bruder freuen. Catius wird sich vielleicht ein neues Stück davon leisten können. Oder einer Theatervorstellung frönen. In einer der ersten Reihen. Sonst kann er sich das nicht leisten. Hat er jedoch Geld, dann bewahrt er es nicht lange auf. Sondern nutzt es für solche geistigen Delikatessen. Er verbeugt sich andeutungsweise vor Callista.
    "Habe Dank, werte Dame."
    Die Dame indes registriert ihn nicht mehr. Nur ein akzidentelles Nicken gewährt sie dem Soldaten. Der sich davon nicht einschüchtern lässt. Vor Nero und Tilla verbeugt es sich etwas tiefer. Mit einer theatralischen Armbewegung.
    "Habt auch ihr Dank, o ihr Mimen des Lebens. Ein großes Vergnügen war es mir, solche aufgeweckten Künstler des Lebens zu begleiten. Vale, Asella und Lucius. Mögen die Musen euch stets gewogen sein."
    Ein schelmisches Glitzern in den Augen des Soldaten. Als er sich aufrichtet. Ein Sklave deutet ihm dem Weg zum Ausgang und Catius lässt sich nicht lange bitten. Seine Schritte lenken sich hinaus. Er zwinkert Tilla noch einmal zu, dann ist der Soldat verschwunden.
    Callista lässt die Tabula sinken. Sie deutet Benohé mit einer Geste. Benohé versteht. Sie hebt Nero hoch, der sich an die Schultern von der Leibsklavin klammert und dabei den Umhang nicht los lässt.
    "Bringe ihn ins Bett, meine Benohé. Außerdem soll der Medicus später vorbei sehen."
    Nero will anfangen zu quängeln. Er will nicht den pieksenden Mann sehen. Ein Blick von seiner strengen Mutter genügt. Nero wagt nicht zu widersprechen.
    "Wir sehen uns bald wieder, ja?"
    Die Worte wispert er noch schnell Tilla zu. Ehe Benohé sich von ihnen löst. Sein Lächeln ist Tilla gewidmet. Den ganzen Weg als Benohé ihn durch das Atrium trägt. Als sie durch einen Gang verschwinden, winkt er noch mal.
    Callista seufzt. Weil ihr das Leben solche schwierigen Prüfungen mit ihrem Sohn bereit hält. Callista tut sich selber ganz schrecklich Leid. Der Knabe braucht einen Vater. Das findet Callista.
    Wenn doch nur Lucius hier wäre.
    Er wüsste, was zu tun wäre, Callista.
    Traun.
    "Richte Deinem Herrn meinen Dank aus."
    Callista unterbricht sich.
    "Dein Herr weiß wahrscheinlich nicht davon? Dann vergesse meine Worte."
    Aurelius Corvinus. Callista sinnt einen Augenblick über den Namen. Ehe es ihr einfällt. Der schöne Magistrat von dem Feiertag. Und dem schönen Fest. Callistas Lippen erhalten den Hauch von einem Lächeln. Jener Abend würde ihr unvergesslich bleiben. Der berückend berauschende Vinicier. Callista seufzt nun entzückt. Ehe sie sich der jungen Sklavin erinnert.
    "Eine stumme Sklavin? Beweist also Dein Herr letztendlich doch einen exquisiten Geschmack. Wahrlich. Schön bist Du. Und artig im Benehmen. Das gefällt mir."
    Nero zu strafen, steht indes außer Frage. Aber darum kümmert sich Callista später.
    "Meinen liebsten Schatz hast Du mir zurück gebracht, schöne Serva. Darum bin ich gnädig gestimmt. Spreche einen Wunsch aus und ich werde ihn Dir gewähren."
    Sofern er nicht zu unverschämt ist. Doch das versteht sich für Callista von selbst. Auch für Tilla?

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    Das schwere Holz öffnet sich lautlos. Die Tür gleitet in den Fauces mit einem sanften Schwingen. Zwei Männer wollen die Villa Claudia verlassen. Als sie der Drei vor der Tür gewahr werden stocken sie. Der Erste, ein groß gewachsener Dunkelhäutiger in einer groben Tunika, runzelt die Stirn. Natürlich erkennt der erste Mann den Knaben wieder. Er soll ihn suchen gehen. Der ägyptische Sklave lächelt erfreut. Seine weißen Zähne blitzen auf. Er wendet sich an den hellhäutigen Servus hinter sich. Deutet stumm auf den Jungen. Der erwidert die Geste gleichermaßen lautlos mit seinem Kopf.
    Catius drängt sich an einer Marmorstatue vorbei.
    "Verzeihung."
    Ein Murmeln zu Tilla und Nero.
    "Salve. Ich bin Miles Aspus Catius. Den jungen gesuchten Patrizier bringe ich zurück. Und -ähm- seine Schwester."
    Der Dunkelhäutige lauscht dem Latein. Betrachtet verwundert die junge Tilla. Er deutet auf den Fauces. Kariert gafft Catius den Sklaven an.
    "Kann der auch nicht sprechen?"
    Nero hebt seinen Kopf.
    "Alle Sklaven meiner Mutter sind stumm. Außer die Leibsklavin."
    Catius reißt verblüfft die Augen auf. Patrizier scheinen alle seltsamen Launen zu frönen. Die Einen haben nur Germanen. Andere nur stumme Sklaven. Was für eine seltsame Brut. So findet Catius.
    "Dann bist Du eine Sklavin?"
    Die Frage ist an Tilla gerichtet. Doch Nero schüttelt energisch den Kopf.
    "Nein. sie ist keine Sklavin."
    Bitterböse funkeln Neros Augen. Den Mund zu einer schmalen Linie verzogen.
    "Ist schon gut."
    Abwehrend hebt Catius die Hand und tritt in den Fauces hinein. Der Hellhäutige führt. Der Dunkelhäutige wartet ab, dass auch die junge Frau mit dem Knaben eintritt. Ehe er die Tür hinter ihr schließt.


    Neid spricht aus den Gesichtszügen des Soldaten. Als er das schöne Atrium betrachtet. Rotbrauner Marmor. Schwarze Adern ziehen sich durch das Gestein. Weiße Säulen von einer Insel im schwarzen Meer gebrochen. Goldene Blätter und bemalte Blumen ranken sich um das Capitellum, das in einer Volute endet. Ein Sklave eilt hin fort.
    Nero beißt sich auf der Unterlippe herum. Es dauert nicht lange und es nähern sich Gestalten. Eine Sklavin mit einer Karamell farbenen Haut und in einem knielangen güldenen Kleid. Ihr folgt eine nicht groß gewachsene Frau in einem dunkelblauen langen Gewand, das silberne Bänder um ihre Taille schnüren.
    Zorn blitzt aus den Augen der zweiten Frau.
    "Nero."
    Einem Peitschenhieb similär knallt ihre Stimme durch das Atrium. Nicht weil sie laut ist. Sondern dem Furor in dem Ton wegen.
    Unmut brodelt in Callista. Die letzten Schritte bringt sie hinter sich und bleibt vor Tilla stehen. Fixiert indes nur ihren Sohn.
    "Wo hast Du Dich herum getrieben, Nero?"
    Sie lässt ihm keine Zeit zum Antworten.
    "Du hast mich zu Tode erschreckt, junger Mann."
    Callista hat dieses Gefühl gar nicht gemocht. Es versetzt sie in Aufregung. Es ist unangenehm. Dabei wollte sie am Vormittag einen schönen Spaziergang durch die Horti machen. Nero hat all dem schönen Treiben einen Strich durch die Rechnung gemacht. Darum ist Callista erregt. Erst dann bemerkt Callista die zwei Fremden.
    "Wer seid ihr?"
    Eine herrische Frage. Ihr Tag ist ruiniert. Darum ihre Höflichkeit nicht mehr eminent ausgeprägt. Catius neigt eine Verbeugung an.
    "Gestatten? Miles Aspus Catius. Von der Cohortes Urbanae, werte Dame. Ich bringe den Jungen zurück."
    Callista kann den Mann einordnen. Sie wendet sich ihrer Leibsklavin zu.
    "Zahle ihm die Belohnung aus. Dann soll der Mann gehen. Richte ihm meinen Dank aus."
    Catius rollt mit den Augen. Die Patrizier. Er kennt sie schon. Vorsorglich reicht er die Tabula an Tilla zurück.
    "Hier. Du wirst es sicherlich wieder brauchen."
    Und dem ist auch so. Callista widmet ihre Aufmerksamkeit der jungen Tilla.
    "Wer bist Du?"
    Benohé, die Sklavin, tritt an Tilla heran. Streckt die Arme aus, um Nero an sich zu nehmen.

    Similär einem Stern leuchtet das Fell der Katze. Schnurrend umstreicht sie Callista. Das Tier wird der Patrizierin lästig. Sonach hebt sie das Samtpfötchen hoch und setzt sie auf dem Sims des Pavillons ab. Pikiert wendet sich das Tier ab und streicht an dem wilden Wein entlang. Mit einem weichen Sprung entschwindet es in der aufkommenden Nacht. Kein Rascheln. Kein Maunzen lässt sie ertönen.
    Enthusiasmiert ist Callista. Die Worte zergehen einer ambrosischen Kost similär. Schöner in der Klangfarbe als jede euphonischeTöne. Zarter als deliziöser Odeur einer Rose. Ein König der Expression ist Gracchus. Ein Künstler der edlen Sentenzen. Callistas Wimpern erzittern. Es bebt tief in ihr als all die schönen Worte sie betören. Ein Geschenk macht ihr der schöne Flavier damit. Somit ist die Absage, die sie justament erhält, weniger schlimm. Eine derart schöne Zurückweisung hat Callista noch nie erhalten. Es hebt sie hoch. In den Himmel. Eine göttliche Erscheinung. Derart fühlt sich Callista durch die Komplimente, die mit jedem Term mitschwingen. Ihre Lippen malen eine beseelte Glückseligkeit. Durch den sanften Schwung ihres vollen Mundes.
    "Insistieren werde ich verbürgt nicht, ob eines Lohnes. Der Dir zusteht für die arrivierte Jagd, o Faunus."
    All dem schönen Fabulieren zum Trotz zuckt ein Wort durch Callistas Geist. Ein Name.
    Zephyrus?
    Welch befremdlicher Vergleich, Callista.
    In dem Zusammenhang. Traun.
    Kein schöner Hyacinthus ist Callista. Kein Sendbote des edlen Apoll. Ihre Lippen öffnen sich eine Nuance. Prüfend betrachtet sie das Antlitz von Gracchus.
    Kann es sein?
    Er ist verheiratet, Callista.
    Traun. Ich irre mich.
    Jeglicher Gedanke wird aus ihrem aufgewühltem Geist verscheucht. Als sie die dezente Berührung an ihrem Ohr erfühlt. Jeglicher Zweifel an den Gründen schwindet. Ein Edelmann. Ein Genießer. Der in ihr die Chloris sieht. Das muss Gracchus sein.
    Callista gleicht einer Lautenseite. Angespannt. Zum Zerreisen ist sie. Eine sanfte Berührung vermag sie zum Beben bringen. Ein harmonisches Schwingen ihrer Seele. Euphorisch der glockenreine Ton. Callista wagt nicht zu atmen. Als die Lippen sich nähern. Mehr versprechen als schenken. Callista schließt die Augen. Bis lange nachdem sie das warme Hauchen an ihrem Hals fühlt. Das Rascheln eines Gewandes. Schritte entfernen sich. Callista spürt immer noch die Reminiszenz an ihrer Haut.
    O ihr Götter. Was für eine Prüfung.
    Schwer saugt sich die Luft in ihre Lunge. Nach einer halben Ewigkeit. Wie Callista erscheint.
    "Zu gern koste ich die Bitternis. Erfahre ich den Hauch der Ambrosia."
    Die Worte werden vom Wind mitgerissen. Ein verhaltenes Flüstern ist ihre Stimme. Ihre Wimpern heben sich. Kein Licht spiegelt sich in den dunklen Augen wieder. Sie verzehren alles, was leuchtet. Was strahlt. Die begehrenden Augen richten sich auf den Rücken von Gracchus. Ein unaussprechliches Tabu liegt in der Luft. Callista erhebt sich. Sonst ungenierlich gegenüber von Regeln, befindet sie es als unpassend. Die Bitte des Kavalier nicht zu entsprechen. Bewundernd bleibt ihr Blick auf seinen schönen Schultern ruhen. Fährt über sein Profil.
    "Das Sternenlicht hat die Nymphe bald zu teilen. Sieh, Venus hat ihre Illumination schon auf die irdischen Gefilde gesandt. Auch ich muss in brevi entschwinden. Darum lass uns die irdischen Hüllen in sichere Reviere tragen, o Faunus."
    Keine Elegie spricht aus Callista. Launig ist ihr Antlitz. Ihre Schritte federleicht, die leichthin bis zu dem Boote wandeln. In Gestalt einer dahin schwebenden Okeanidin anmutend.
    Huldvoll wartet sie Gracchus ab und lässt ihn zurück rudern. Schemen sind die Rosensterne auf dem Wasser. Verschluckt die verwandelten Geister im Wasser. Diamanten funkeln auf schwarzer See. Es sind die leuchtenden Sterne des Firmamentes. Sie spiegeln sich nun auch auf Callistas Augen wieder. Das Boot stößt an das andere Ufer. Beflügelt erreicht Callista das Land. Sanft erzittert das Seegras neben ihren Füßen. Callista wendet sich um.
    "O Geliebter der schönen Kunst, Dir will ich ein Geschenk machen. Ehe Nox mich raubt. Mein Leuchten fern sein wird."
    Callista greift um ihren schlanken Hals. Die goldsilberne Kette öffnet sie. Reicht die Nämliche an Gracchus. Ein Anhänger aus etruskischer Machart ziert das Kettenwerk. Ein strahlend blauer Saphir schwebt in der Mitte.
    "Es ist ein Segment meines Korpus, Edelmütiger. Betrachte ihn und Du erkennst ein Teil von mir."
    Ungewöhnlich ist das Geschenk. Callista nimmt Trophäen. Vergibt hingegen keine. Schnell löst sie ihre Augen von Gracchus. Eilt dem leuchtenden Licht entgegen, das vom Hause stammt. Sanft und scheinend umfängt die strahlende Corona Callista.
    "Da seid ihr ja wieder."
    Ein Kichern löst sich aus der Menge.
    "Wir haben schon das Verruchteste vermutet."-
    "Tun wir das nicht noch immer?" -
    "Still, Fausta."-
    Lachen übertönt die mahnende Stimme der Sorana. Die Lustbarkeit vergnügt.

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    Das Fispern wird von dem Murmeln der Menschen, dem Lachen und dem lauten Gestampfe hunderter Füße um sie herum verschluckt. Vom Wind hoch gehoben und grausam zerfasert. Catius hingegen erreicht es nicht mehr. Sein verwirrter Ausdruck zeugt davon. Auch wie er die Tabula betrachtet. Mit einem Schulterzucken steckt er sie sich an seinen Gürtel. Eine Tabula mehr oder weniger. Es ist ihm gleich. Er kann sie indes gut zu Hause gebrauchen. Schließlich ist das Gehalt eines Soldaten besser als das vieler Römer, aber nicht so gut, dass es seine Extravaganzen gut sponsort.
    "Nicht so böse gucken, junger Mann."
    Die Worte richtet er an Nero, der den Soldaten finster anstarrt. Als ob Catius ein Störenfried ist. Catius verzieht das Gesicht. Mimt groteske Masken. Hüpft auf einem Bein hin und her und ahmt ein Huhn nach. Wider Willen muss Neros Mundwinkel Bewegungen vollführen. Sie heben sich nach oben. Ein Kichern entfleucht dem Knaben. Zu Dritt stehen sie auf dem Forum Romanum. Der wichtigste Tempel der Stadt ragt in ihrer Nähe in die Höhe. Es ist der Tempel der Vesta. Der das heilige Feuer hütet. Geht das Feuer aus, so ist Rom verloren. Catius besinnt sich auf seine Rolle als ernsthafter Soldat. Er sieht Tilla an und versteht sie nicht.
    "Er ist kein Zauberer."
    Nero legt seine Ärmchen um ihre Schultern und schmiegt sein Gesicht an ihre Schulter. Er wird langsam müde. So viel Aufregung erlebt er nicht oft. Seine Mutter ist sicherlich böse auf ihn, wenn er nach Hause kommt. Und der Medicus wartet gewiss auch darauf. Ihn zu piksen. Dann wird er noch müder und schläft lange.
    "Lass uns schnell weiter gehen, Tilla. Ehe der böse Mann wieder kommt."
    Schläfrig ist die Stimme von Nero. Er späht zu Catius hinüber. Der mit einem Hauch von Triumph im Gesicht grinst. Breit lächelt.
    "Das ist ihr Spitzname."
    Schnell fügt Nero die Ausrede an.
    "So. So."
    Das erntet er als Antwort von Catius.
    "Welcher böser Mann?"
    Catius sieht sich suchend auf dem Forum um. Aber es tummeln sich stets seltsame Gestalten auf dem Forum. Ein Redner wettert von einer Bühne hinunter. Von seltsamen philosophischen Lehren will der Bärtige die Römer überzeugen. Die lieber einer Frau mit zerzausten Haaren zuhören, die von der Sinnlosigkeit des Krieges in Parthia spricht. Ihr Sohn ist dort gefallen. Zwei Männer in Toga treten auf die Bühne. Schleifen die Frau hinunter. Catius Mundwinkel zucken heftig.
    "Immer diese Togaträger."
    Er wendet sich Nero und Tilla zu.
    "Keine Sorge. Ich bringe euch schon sicher nach Hause. Und wenn der Kerl auftaucht. Dieser böse Mann, dann verhafte ich ihn."
    Er legt eine Hand beruhigend auf Tillas Schulter. Mit einem munteren Summen auf seinen Lippen führt er die beiden auf die Via Sacra zu, die bis zum Kolloseumsplatz führt. Von wo es zur Villa Claudia gehen soll. Das Menschendrängen wird nicht weniger. Denn heute sind erneut Spiele im Amphitheatrum Flavum. Kleinere, aber die Römer verpassen nichts, was ihnen Kurzweile bringt. Catius schiebt sich durch die Menschenmengen und die fliegenden Verkäufer.
    "Feigen. Süße Feigen für die Tierhatz." -
    "Wein, der beste Wein des Südens. Heute zu einem Sonderpreis." -
    "Süßes Brot mit Datteln. Süßes Brot mit Trauben." -
    Zahlreiche Stimmen ertönen um sie herum. Catius dreht sich zu Tilla um.
    "Seid ihr wegen der Spiele unterwegs?"
    Nero hebt müde den Kopf. Er ist froh, dass er nicht laufen muss. Aber er antwortet dem Soldaten nicht. Das geht den nichts an, so findet Nero zumindest. Dann haben sie das Kolloseum hinter sich gelassen. Von nun an ist das Schreiten einfacher. Es geht Gassen hoch, Straßen hinunter und an einigen hohen Insulae vorbei. Bis sie ein vornehmes Viertel erreichen. Natürlich kennt Catius die Villa Claudia. Wenn man hier Streife geht, dann hat man einen guten Tag.
    Nero legt den Kopf zur Seite.
    "Meine Mutter wird böse sein."
    Ein Flüstern. Das nur Tilla gilt.
    "Ich bin nämlich ganz alleine weg."




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    Indigniert starrt Nero der Frau hinter her. Wie sehr er es doch hasst, wenn ihm jemand in die Wangen kneift. Die Frau erinnert ihn an seine Amme und das mag er gar nicht. Denn seine Amme ist ihm zuwider. Eine träge, dicke Frau, die immer auf gutmütig tut. Ihn knuddelt und herzt, knufft und abschmatzt. Nero erschaudert. Den Ärger richtet er gegen die Soldaten. Funkelt sie böse an. Schweigt jedoch und verfolgt die Handbewegungen der jungen Tilla. Ebenso die Soldaten. Der Optio sieht die junge Frau ratlos an und wendet sich an seinen Handlanger.
    "Was meint sie?"
    Catius zuckt mit der Schulter.
    "Ich weiß nicht."
    Verdattert sieht Titus den Beiden hinter her. Während Nero seine Arme um Tillas Schultern legt und zufrieden lächelt. Als die Soldaten hinter ihnen sind.
    "Du bist sehr mutig, Tilla."
    Ernsthaft betrachtet Nero das Gesicht von Tilla. Vielleicht ist sie ein überirdisches Wesen. Gesandt von den Göttern, um auf ihn aufzupassen. Schließlich betont seine Mutter stets, dass er etwas ganz besonderes ist. Dann müssen die Götter doch immer ein Auge auf ihn haben. Neros Mundwinkel heben sich. Er spielt an der Kordel von Tillas Umhang herum.
    Titus Mund öffnet sich und bleibt offen wie ein Scheunentor. Ein dämlicher Laut entfleucht der Öffnung.
    "Aber die Belohnung?"
    Catius richtet sich auf.
    "Ich kümmere mich darum, Optio."
    Eilenden Schrittes folgt Catius der jungen Frau und dem Knaben. Titus gafft auf die Stelle, die eben noch Tilla als Standplatz nutzte. Dann zuckt er mit der Schulter. Er hat besseres zu tun als zwei Kindern hinter her zu jagen. Immerhin muss er für die Sicherheit Roms sorgen.
    "Weiter geht es, Milites. Keine Müdigkeit vorschützen."
    Schon drängt sich Titus weiter.
    "Aus dem Weg. Macht Platz für die Cohortes Urbanae."


    Die genagelten Stiefel von Catius nähern sich eilends der jungen Tilla. Er holt auf bis zu ihrer Seite. Mit einem bauernschlauen Grinsen auf den Lippen reicht er die Tabula an Tilla zurück.
    "Das gehört Dir. Ganz schon einfallsreich, Asella."
    Den erbosten Blick und den Schmollmund von Nero ignoriert Catius. Schließlich winkt eine gehörige Summe Geld, wenn er die Beiden oder zumindest den Jungen an der Porta der Villa Claudia abliefert. Das will sich Catius natürlich nicht entgehen lassen.
    "Es wird Dir wohl nichts ausmachen, wenn ich mitkomme? Rom ist ein gefährliches Pflaster für zwei junge Menschen wie euch."
    Catius Grinsen wird nicht weniger.
    "Was sind das für Handgesten, die Du benutzt? Willst Du damit etwas sagen?"
    Neugier spricht aus der Stimme von Catius.




    Traumgespinste weben sich vor Callistas Augen. Phantasiegestalten flechten die Traumfarben zu einem numinosen Traumbild. Golden erstrahlt der Himmel. Polychrom irisiert das Kolorit der Erdformen. Zwischen all dem reiten sie auf einem ätherisch weißem Ross, dessen Flügel weit ausgestreckt sind. Das Pferd, was sie Beide in die Freiheit führt. In ein Land, das dem Elysium gleicht. Ohne den Schrecken des Todes und der Ewigkeit zu gebähren. Heil in perpetuum. Freude ohne Leid. Leidenschaft im Leben. Das Leben voller Lust. Callista ist ergötzt von der Vorstellung. Träumt mit offenen Augen. Wähnt sich einem Abenteuer entgegen zu schreiten.
    Träume fliegen hoch. Der Phantasiereisende fällt indes tief. Er zerplatzt mit furchtbar nüchternen Worten, die sich tief in Callistas Seele hinein bohren. Ablehnung. Das hasst Callista. Kann sie furchtbar erzürnen. So blitzt es in ihren Augen auf. Callista ist fern jeder Vernunft. Die grausam kalte Realität, die sie stets umschlungen hält und nur mit den Tränen des Mondes entrückt werden kann.
    "Mir dünkt, Du hast Dich der falschen Illusion hingegeben, Caius. Zudem säumst Du einer Okkasion. Die Du eventual niemals wieder erhalten wirst."
    Hybrid ist Callista natürlich. Von sich und ihrer Wirkung auf Männer. Sie tritt einen Schritt zurück.
    "Womöglich hast Du auch die richtige Wahl getroffen, Caius. Denn wenn Du das Träumen verlernt hast, mein schöner Mann der Politik und der kalten und grausamen Existenz. Dann wird Du bald vergehen in Langeweile. Wirst Dich in die Reihen all jener Menschen gesellen, die leere Hüllen sind. Marionetten der Erwartungen, die andere Hüllen an sie stellen. Dann interessierst Du mich nicht mehr, Caius."
    Nüchtern ist der letzte Satz gesprochen. Mit einer scheinbar gleichgültigen Haltung wendet sich Callista ab. Geht unruhig in dem Raum auf und ab. Vor einem weiteren Korb bleibt sie stehen. Hebt den Deckel an und greift hinein. Es ist ein anderer Liebling, der ihr noch viel näher ist. Acht Augen starren Aquilius an. Acht Spinnenbeine bewegen sich träge auf Callistas Handrücken. Samtig schimmert das Licht der Öllampen auf dem rotbraunen Fell der Vogelspinne.
    "Meine Sinuhe. Die Königin bist Du."
    Ist das ein liebevoller Klang, der in der Stimme von Callista schwingt? Sanft streicht Callista mit ihrer Fingerspitze über das weiche Fell der sanftmütigen und trägen Spinne. Die die Wärme von Callistas Korpus liebt.
    "Ich wurde verraten, Caius. Wahrscheinlich eine Sklavin. In den letzten Tagen."
    Die Amme vermutet Callista. An den Verrat von Benohé glaubt Calllista nicht. Sie weiß, dass ihre Leibsklavin sie liebt. Abgöttisch und verzehrend. Callista hat es oft erprobt. Benohé hat ihren Spielen stand gehalten. Callista sucht in den schwarzen Auge des Spinnentiers nach einer guten Antwort. Auf Aquilius Frage.
    "Liebe? Liebe. Womöglich kann ich nicht lieben, Caius."
    Callista wendet sich zu ihm. Ein perikulöses Glitzern überzieht das Dunkel ihrer Augen.
    "Möchtest Du wirklich wissen, ob es noch einen anderen Mann in meinem Leben gibt?"
    Callista hat nicht das Bedürfnis, ihre Geheimnisse offen zu legen. Sie zeigt sie hin und wieder. Hat es mit dem Toben im Zimmer bewiesen. Mit dem Tod des Sklaven. Der augenscheinlich nicht dem schönen Vingintivir entgangen sein kann. Aber von ihm? Nein. Über Nämlichen spricht sie nicht. Außer zu ihrer Sklavin. Die all ihre düsteren und lichten Seiten kennt. Und sie trotzdem liebt. Was Callista oft wundert. Callista hebt die Spinne empor. Küsst mit ihren Lippen das Getier. Legt sie gleich darauf in ihr Heim zurück.
    "Oder eine Frau?"
    Ein schelmisches Glitzern in Callistas Augen. Sie wandelt gemächlich zu Aquilius zurück. Der Ärger über die Ablehnung ist gebändigt. Sie möchte nicht mehr ihre Fingernägel in sein berückendes Gesicht bohren. Ihm das Fleisch aufreissen und sich an seiner Pein laben. Sie gleitet auf das Bett. Katzenhaft. Geschmeidig.
    "Womöglich tust Du gut daran, Caius. Nicht ein Leben mit mir zu wählen. Es wäre leidenschaftlich. Es würde Dich berauschen. Kurz hingegen währen."
    Ein gurrendes Lachen wird ihren Lippen entlockt. Callista kriecht einer gefährlichen Schlange similär über Aquilius.
    "Darum, schöner Flavius, zehre von meinem Feuer. Diese Nacht. Ein letztes Mal, ehe die Grausamkeit der Verbannung mich ereilt."
    Bis vor seine Lippen nähert sich Callista mit ihrem Gesicht. Schwebt vor dem Quell ihres Begehrens. Haucht sanft über sein Gesicht. Versinkt in dem Anblick seiner Augen.

    Opportun wäre Callista die Gestalt einer Druádes. Einem nymphischen Wesen. Sein Refugium ist in dem Stamm einer mächtigen Eiche. Verborgen vor den Blicken der Jagenden. Der Fauni. Oder zu den melischen Nymphen möchte Callista ihre Wurzeln zurück verfolgen. Herzförmige Blätter, deren Kolorit mit der Farbe des Lebensodem getränkt sind, rascheln im Wind. Ein Gesicht sieht Callista entgegen. Aus roten Blättern und Haaren von weißen Blüten. Ihre Schwester zwinkert Callista verschwörerisch zu. Ehe sie im Laub des Baumes entschwindet. Die Stimme des Faun vertreibt sie. Neckische Worte will Callista erwidern.
    Wie schön er die Worte setzt. Echo will ich spielen.
    Still, Callista. Du bist die Jägerin.
    Traun.
    Erregung beherrscht ihre Gedanken. In der Simplizität findet Callista den Quell großer Freude. Er erheitert ihr diesen Tag. Erhebt ihn weit über all die Schwestern und Brüder des Nämlichen. Strahlend und leuchtend vermag Gracchus ihr die Zeit zu vertreiben. Dazu hin findet Callista immer mehr gefallen an seinem berückenden Anblick. Ehe sie ihre Beute habhaft wird, ist sie erneut das Wild. Der Jäger scheint raffiniert zu sein. Durchschaut die Finte und wendet es zu Callistas Nachteil. Antlitz erscheint vor Antlitz. Ebenholzfarbene Augen versinken in samtig schimmernde braune Augen.
    Ein schöner Mann.
    Gefällig ist der Klang ihres Namens aus seinem Mund. Die Intonation von bezaubernden Reiz. Einer Woge aus Schönheit similär erscheint ihr Name. Geformt durch seine geschwungenen und begehrenswerten Lippen. Er schwebt in der Luft. Zerfasert durch den Abendodem der Windgeister. Die im Angesicht so viel inspirierender Beauté den Atem anhalten und andächtig seufzen. Apart setzt er die Worte. Callista ist fasziniert. Ihre Augen wendet sie nicht ab von seinem edlen Gesicht. Von der Gestik, die seine schönen Hände vollführen. Seiner aufrechten Art, sich zu halten. Desillusion birgt indes der Sinn hinter all den erhabenen Formulierungen. Es ist eine Absage. An die Frucht einer solchen Jagd. Das Vergnügen, das dem Kitzel folgen darf.
    Er will mich nicht?
    Die sanfte Röte von ihren Wangen schwindet. Ihre Augen betrachten Gracchus prüfend. Es ist der erste Mann, der eine derartige Gelegenheit, einen Kuss von ihren Lippen zu erringen, verstreichen lässt.
    Was für ein Edelmann, Callista. Bestimmt würde er Dich zu gerne küssen.
    Es muss so sein.
    Tatsächlich erfolgt die Erleichterung. Der Flavier scheint ein Mann der alten Schule zu sein. Sein Gehabe und Gebarden unterstreichen es. Selbst in der rückschauenden Betrachtung.
    "Kallisto. Callista. Jeder Sterblicher gibt mir einen anderen Namen. Des Tages wandel' ich auf der Welten Flur. Mische mich unter die Sterblichen. In der Nacht hingegen."
    Callista verstummt bedeutungsvoll. Sie löst sich von dem roten Laub. Wandelt um Gracchus herum. Ihre Fingerspitzen berühren Gracchus neckisch an der Schulter. Tolldreist. Mit Schalk und Freude in den Augen. Die Katze springt vom Sims des Pavillon. Schreitet hinter Callistas Füße. Einem geisterhaften Diener similär. Callistas Fingerspitzen fegen rotes Laub von einer Bank. Geschmeidig nimmt sie auf der Sitzgegelenheit Platz.
    "Des Nachts ist mein Schicksal der Fluch der Iuno. Es führt mich an die ewige Finsternis. Umstrahlt von all den schönsten Gebilden, die die Götter hervor gebracht haben. Die funkelnden Sterne, die des Nachts unser Gemüt erhellen. Rufe nach Callista, schöner Faunus. Trage den Namen Kallisto auf den Lippen. Eventualiter ist es der Nymphe möglich, Dir zu erscheinen."
    Heiter sind die nach oben geschwungenen Lippen der Callista. Die ihre Freude und den Schalk bezeugen.
    "Es ist indes allfällig, dass Du mich niemals zum zweiten Mal erblicken wirst. Mein Rat, o berückender Faun, nutze die Stunde. Lebe heute. Erlebe. Genieße."

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    Argwöhnisch beäugt der Optio die Tafel, die Tilla ihm vor das Gesicht hält. Unerfreulicherweise, für den Optio, ist sein Lesevermögen mehr von Manko, denn von großem Ingenium behaftet. Grübelnd starrte er auf die Kreidezeichen. Der Miles, der jüngere Bruder des Optio, hat schnell ein Einsehen mit seinem älteren Verwandten. Er ergreift die Tabula und studiert die Zeichen. Perplexität kennzeichnet sein Antlitz. Sein Mund mit den schmalen Lippen öffnet sich. Schließt sich wieder. Einem dämlich glotzenden Fisch gleichend. Sodann prustet es aus ihm heraus. Wiehernd lacht der Soldat, Catius ist sein Name. Karierte Ausdrücke erntet Catius von seinen Mitsoldaten, sowie dem Optio. Sonach liest er das Geschriebene noch mal vor. Der Optio taxiert Catius einen Moment. Andere Soldaten zucken ratlos mit der Schulter.
    "Was ist so lustig daran?"
    Catius seufzt leise. Er weiß, es wird oft von seinen Commilitones nicht verstanden.
    "Es ist derart abwegig. Zwillingsbruder. Vertauschte Tuniken. Das könnte Stoff für mein...ein Stück sein. Eine Komödie um Verwechslung. Aber egal."
    Catius wendet sich an Tilla.
    "Sodenn erklärt es nicht den Halbmond auf dem Schuh, Mädchen. Der Bruder Deines Bruders ist auch Dein Bruder. Wenn Du verstehst, was ich meine?"
    Der Optio kommt eindeutig nicht auf den Trichter. Man sieht es an seinem ratlosen Gesichtsausdruck.
    "Nehmen wir mal an, Deine Geschichte ist wahr."
    Catius findet die Beiden eigentlich recht amüsant. Er mag Spiele mit den Worten. Leider ist das ein vergeudetes Talent bei der Cohortes. Darum schreibt er Abends noch an seinen Versen und Theaterstücken. Was natürlich keiner der anderen Soldaten erfahren darf. Außerdem hält sich Catius, bei aller Liebe zu seiner eigenen Kunst, nur für einen mediokeren Schreiber.
    "Wenn Dein Bruder ein Patrizier ist. Dann bist Du es auch. Welcher Familie gehört ihr beide an?"
    Einige Hühner werden von den Zuschauern aufgescheucht. Die sich um den Trupp an Soldaten versammeln. Welcher Römer nutzt nicht die Gelegenheit zu gaffen? Schadenfreude zu frönen, wenn es andere betrifft. Eine dickliche Frau mit einem Korb voller Gemüse sieht mitleidig auf Nero und Tilla.
    "Optio. Das sind doch nur Kinder."
    Ihr Ruf schallt über das muntere Geschwätz der Zuschauer hinweg. Ebenso die Frage, die Catius noch stellen möchte. Der Optio dreht sich um und will schon ein Donnerwetter von sich geben. Er mag es ganz und gar nicht, wenn sich Zivilisten in seine Arbeit einmischen. Gleich darauf erkennt er die Frau.
    "Rosea. Du erblühst jeden Tag noch prächtiger, Weib. Wie geht es Deinem Bruder?"
    Die üppig kurvenreiche Frau lacht warm. Ihre braunen Augen funkeln wohl gelaunt. Ihre rotbraunen Haare schimmern sanft im Sonnenlicht und ihr rundes Gesicht wirkt sehr gutmütig.
    "Er säuft sich immer noch jeden Tag unter den Tisch. Wann kommst Du mal wieder zum Essen? Wir haben Dich schon lange nicht gesehen."
    Rom ist doch manchesmal immer noch nur das kleine Dorf.
    "Nächste Woche vielleicht. Aber Du entschuldigst, Rosea? Die Kinder sind wohl ausgebüxt. Ich soll sie wieder zu ihrer Mutter bringen."
    Rosea drängt sich an einigen Menschen vorbei und bis zu Tilla und Nero. Mit einem wonnevollen Strahlen auf dem Gesicht kneift sie Nero mütterlich in die Wangen.
    "Was für ein Wonnepropen. Ein kleiner drolliger Spatz. Sei lieb zu ihnen, Titus. Ja?"
    Der Optio lächelt ganz eingenommen.
    "Natürlich, Rosea."
    Der jungen Tilla schenkt Rosea noch einen sonnigen Gesichtsausdruck, gepaart mit einem kordialen Strahlen ihrer Lippen.
    "Keine Angst, Liebes. Titus tut manchmal ganz brummig. Aber er ist ein herziger Bursche."
    Sie winkt Titus noch mal zu, dann ist Rosea entschwunden. Jetzt ist es aber an den anderen Soldaten, leise zu prusten oder zu kichern. Bis sie des Optios Blick gewahr werden. Der Optio räuspert sich kräftig, um seine Autorität zurück zu gewinnen. Nachdem er als Bursche tituliert wurde ist das natürlich ein schwieriges Unterfangen.
    "Also, ihr Beiden, ihr könnt jetzt entweder mit zur Castra kommen. Oder wir gehen gleich zu der Villa Claudia. Dann werden wir das Missverständnis aus der Welt räumen. Sofern es eines ist."




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    Dicht gedrängt laufen die Menschen um Nero und Tilla herum. Nero drängt sich enger an Tilla. Er sieht misstrauisch zu den Menschen hinauf, die auf Kinder wenig obacht geben. Ihn an rempeln, wenn er nicht aufpasst. Oder ihn zur Seite stoßen. Minutiös achtet Nero auf die Gestik der jungen Frau. Er betrachtet den Tempel des Romulus Divus und deutet mit seinem Kopf die Zustimmung an. Ein feines Lächeln spiegelt sich auf seinem Antlitz wieder. Er mag Tempel. Besucht sie sehr gerne. Oft überlegt er sich, dass er eines Tages gerne ein Priester werden würde. Wenn seine Mutter ihm das erlaubt.
    "Romulus. Weißt Du, wer das ist?"
    Nero weiß nicht, dass der Tempel nicht dem Romulus geweiht ist, sondern einem Knaben, der zu früh den Styx überquert hat und seinem Onkel entrissen wurde.
    "Er ist der Gründer Roms. Er hat seinen Bruder getötet. Und alle finden das gut, dass er das getan hat."
    Das hat Nero immer gewundert. Warum wird der eine Mord gesühnt, der Andere jedoch zu einer Heldentat empor stilisiert? Nero findet die Welt der Erwachsenen oftmals höchst sonderbar.
    "Ich habe noch Geld übrig. Wir können danach dann auf die Trajanischen Märkte gehen? Vielleicht opfern wir Romulus oder Jupiter in dem Tempel?"
    Neros Augen glitzern frohgemut auf. Er findet es schön, mit Tilla all diese Dinge zu unternehmen. Sie hält seine Ideen offenbar nicht für dumm, stört sich nicht an seinen Fragen und ist stets gewogen und kordial. Nero ist hochgestimmt. Jeder Schritt ist ein sachtes Hüpfen. Er summt leise vor sich her.
    Die Soldaten sehen sich nach Übeltätern auf dem Forum um. Diebe, die den rechtschaffenen Bürgern den Beutel schneiden wollen. Trunkenbolde, die schon am Tage ihren Rausch in Gewalt ausarten lassen. Betrüger, die sich an diesem Ort doch zahlreich tummeln. Ein Mann mit einem fliehenden Kinn, in Soldatenkleidung, lässt seine Augen schweifen. Betrachtet Tilla und Nero und will schon im Zug weiter marschieren. Im zackigen Schritt, den die Soldaten einschlagen mit ihrem genagelten Schuhwerk. Falten erscheinen auf der Stirn des Mannes.
    "Optio."
    Ein Ruf. Ein Deuten auf Nero und Tilla. Der dicke Optio, der sich schnaufend durch die Menschenmenge bahnt, wird den Beiden gewahr. Ein triumphales Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus.
    "Donnerlittchen. Tatsache. Los, schnappt euch den Bengel."
    Erstaunlich behände kommt der Optio auf Tilla und Nero zu. Die anderen Soldaten nähern sich von der anderen Seite. Klick. Klack. Die Nägel schlagen auf das Pflaster.
    "Halt. Stehen geblieben."
    Tief und sonor, aber auch nasal, ertönt die Stimme des Optio. Massig und breit baut sich der Optio vor Tilla und Nero auf, der eingeschüchtert zu dem fremden Mann hoch sieht.
    "Bist Du Nero Fabius Damio?"
    Neros Hand klammert sich fest an die von Tilla.
    "Nein."
    , piepst er leise.
    "Was hast Du gesagt, Jüngelchen?"
    Laut dröhnt die Stimme. Nero kaut an seiner Unterlippe herum. Nervös und grübelnd.
    "Nein."
    Seine Stimme, hell und rein, erhebt sich kräftiger.
    "Ich heiße Lucius. Das ist meine Schwester Asella. Wir wollen zu den Märkten. Unsere Mutter schickt uns."
    Treuherzig ist der Ausdruck auf Neros Gesicht. Der Optio sieht den Jungen verwirrt an. Der Miles, der Nero entdeckt hat, deutet mit dem Kinn auf den Knaben.
    "Und warum, Junge, trägst Du dann den Halbmond an Deinem Schuhwerk? Deine Schwester hingegen nicht? Das Monogramm am Rande Deiner Tunika zeugt auch nicht von einem Lucius. NFD. Nein, da finde ich keinen Lucius darin."
    Der Optio nickt. Dankbar, dass ihm sein Untergebener zur Hilfe geeilt ist.
    "Was sagst Du, Jüngelchen? Und Du, Mädchen, wer bist Du?"




    Melismisch schwingt die Melodei der Natur um Callista. Das liebreizende Tschilpen einer Haubenlerche. Der mehrsilbige klangvolle Ruf entlockt Callista ein distinguiertes Lächeln. Ein Schatten gleitet über den goldenen Herbstboden hinweg, in denen sich die Dolden von er- und verblühten Grashalme wiegen. Einem Reigen gleichend zu dem Schall des Wald und Flur. Ein hoher Laut erklingt. Flügel schlagen. Klauen graben sich in einen Vogelleib. Der Sperber erbeutet die liebliche Haubenlerche. Mit den scharfen Krallen trägt er den filigranen Singvogel davon, um seinen Schnabel an geschützter Stelle in den weichen Korpus zu stoßen. Callista erschauert wohlig bei dem urwüchsigen Akt der Tierwelt. Ihr Herz hüpft wild. Ihr Odem entweicht ihren Lippen mit einem genüsslichen Seufzer. Dort. Sind da nicht Schritte zu hören? Konsonantisch erhebt sich eine Stimme über all der Laute der Flora und Fauna. Dem gelinden Wehen des Windes.
    Euphonisch ist das vife Lachen der Callista. Flink die federleichten Schritte.
    "O Geist des Waldes Du, gefahren in des Mannes' Bild
    der Göttin Zornes ist sicher dem, o Faunus,
    sucht er mich, die Nymphe, als sein erhaschtes Wild."

    Erneut ertönt der Klang ihrer Heiterkeit durch des Haines Flur. Callista eilt hinfort. Preis gegeben hat sie sich mit den wenigen Worten. Den hell schimmernden Schal lässt sie zurück. Sachte weht er hinab. Verfängt sich im Geäst. Hurtig entschwindet sie hinter blühenden Hibiskusbäumen. Deren letzte Blüten im Lichte der Sonne erstrahlen, um schon Tage danach in einem tristen Braun zu vergehen. Schritte lenken Callista an Goldbuchen vorbei. Um einen Rosenbusch. Ihre Finger streifen die goldweißen Blüten der Königin der Blumen. Ihr Atem haucht schnell über ihre Lippen. Fehl gegangen ist Callista. Äonenweit erscheint die Insel im See zu sein. Es knackst um sie herum. Knarrt in dem Gehölze. Ein Rascheln hinter ihr. Callista wendet sich um. Atmet tief ein. Ein Fauchen.
    Ein Ungetier?
    Callistas Odem verharrt in ihrer Brust. Langsam dreht sich Callista um. In himmelsblaue Augen sieht Callista. Weißes Fell leuchtet im milden Lichte. Ein Saphir prangt am flauschigen Hals. Geschmeidig gleiten samtige Pfoten über den Ast einer Birke, deren Blätter silbern im Wind changieren. Das silberne Antlitz wendet das Tier der Callista zu. Tierische Klugheit inspizieren Callista. Callistas Lippen öffnen sich. Ein Deuten ihres Kopfes.
    "Diana. Bist Du herbei geeilt, mich zu führen? Deine Auserwählte?"
    Die Göttin versagt die Antwort. Geschmeidig springt sie von Ast zu Ast. Vertrauensvoll folgt Callista dem Wandeln der Katze. Wähnt sich im Schein der Göttin, die ihre Nymphe in Sicherheit führen will. Fern von jagenden Fauni und boshaften Bestien, die sie den unsterblichen Gefilden entreißen möchten. Eine Zuflucht. Callista eilt in den Pavillon aus weißem Marmor. Weiche Blütenblätter liebkosen ihre geröteten Wangen. Die Aufregung spricht aus ihrem Gesicht. Sachte späht Callista an dem Bewuchs vorbei.
    Wo er wohl wandelt?
    Dort, Callista. Siehst Du nicht seine berückend schöne Gestalt?
    Jedennoch. Welche vornehme Schönheit er ausstrahlt.
    Ein Schnurren streift an Callistas Hand entlang. Die Katze schmiegt sich an ihren Leib. Sucht nach der Belohnung für ihr Unterfangen, Callista vor den grausamen hundertarmigen Hekatoncheiren zu erretten.
    Panurgisch glänzt es in Callistas Augen. Der Jäger wird zum Nachgestellten. Ihr Herz schlägt laut. Callista meint, es wird sie verraten. Einen flachen Stein aus weißer Materie ergreift Callista. Ruhig ist alles in ihr. Das Zittern des Abenteuers, das ihre Seele zum Schwingen bringt, entschwindet. Fein dringen die Strahlen der Sonne durch das Gespinst aus wildem Wein, rot verfärbt, und weißen Rosen. Einem Mantel der Unsichtbarkeit schenkt die Flora der Callista. Kein Singen von einem Vogel ertönt. Es ist das Zeichen, dass ein Jäger bereit ist, das Wild zu schlagen. Perikulös ist das unbeschwerte Bild auf dem rosé farbenen Mund der Callista. Der Stein fliegt in einem hohen Bogen. Deutlich ist der Laut, den er auf dem Stein erzeugt. Callista verharrt in ihrem Versteck. Wartet darauf, ob die Beute in die Falle geht. Katze und Jägerin. Beide lauern geduldig in dem satten Rot und dem strahlenden Weiß.

    Weiß schwebt die Feder in der Luft. Durch das Setzen von Callista ist sie aufgewirbelt worden. Rein und unschuldig sinkt sie hinab. Fällt auf den schlanken Hals von Callista. Kitzelt sie an ihrer zarten Haut. Callista hebt die Hand und die Feder empor. Mit einem Hauchen von ihren Lippen schickt sie das fragile Gebilde, das grausam einer weißen Gans ausgerissen wurde, in die Luft hinauf. Die Reise setzt die Feder fort. Vorbei an dem schönen Vingintivir von Rom. Callista bemerkt zum ersten Mal den im Grunde auffälligen Streifen an seiner Toga. Callista stützt sich mit ihren Ellbogen auf dem weichen Bett ab.
    Das Wort Britannia vermag Callista schon in Grauen zu versetzen. Ödes Land. Felsiger Grund. Eine stürmische See, die nach dem Boden giert. Grobe Menschen in Fellen und ohne Schuhwerk. Ohne Manieren. Mit einem rauhen Bellen als Sprache. Das stellt sich Callista unter Britannia vor. Einzig, dass ihr göttlicher Vorfahre, Gaius Julius Caesar, Britannia bezwungen hat, scheint dem Land den Hauch von Kultur zu verleihen. Aber sie hat schon wild düstere Geschichten von den nackten Eingeborenen dort erzählt bekommen. Die sich bunt bemalen und wie die Tiere kreischen. Eine Gänsehaut spielt über Callistas Haut. Keine Wonnige.
    "Britannia."
    Düster ist das Wort gesprochen. Als ob das schlimmste Unheil von dem Namen ausgeht. Was er für Callista auch tut. Callista entlässt Aquilius nicht aus ihrem Blickfeld. Studiert die Bewegungen des Mannes. Die Regungen des Mars.
    Ob es ihn betrübt?
    Gewiss, Callista. Du bist doch die Schönste aller Frauen.
    Wirklich?
    Ohne Zweifel. Eine Claudia zudem.
    Traun.
    Sind es nicht ihre Worte gewesen? Stand und Ehre bedeuten ihr nichts? Das war gelogen. Aber natürlich ist es Callista viel wichtiger, dass die Männer sie verehren. Sie. Callista. Nicht Claudia Callista. Ihre Eitelkeit. Ihre Selbstverliebtheit sollen sie bestätigen. Deswegen sucht Callista nach Zeichen der Bestürzung. Der Schreck über die tragische Nachricht. Rastlos ist Callista. Sie bemerkt, dass Aquilius sich nicht zu nahe setzt. Ob er bereits abgeschreckt ist? Callista erhebt sich geschmeidig. Ihre Schritte ähneln einem Tiger. Der unruhig im Raum auf und ab geht.
    "Mein Vater kennt viele einflussreiche Männer. Er war einst selber in hoher Position. Aus jenen Tagen hat er noch den einen oder anderen Freund, an den er mich verkaufen kann. Wenn es ihm beliebt. Dann braucht es keinen Tag, bis er es arrangiert hat."
    Callista bleibt mitten im Raum stehen. Sieht auf zwei kleine Blutstropfen, die auf hellem Grund zu leuchten scheinen. Ist das ihr Blut? Sie hebt die Hände. Doch sie sind rein. Makellos. Eventual stammen sie von dem Servus.
    "Patria Potestas. Potestas. Potestas."
    Einen Fluch scheint Callista damit auszusprechen. Ihre schwarzen Augen heben sich und streifen über den Spiegel hinweg. Sie tritt an ihn heran und berührt die große silberne Fläche. Ein Riss hat sich über die ganze Länge ausgebreitet. Verzerrt ihr Spiegelbild, zerschneidet sie in der Mitte. In der Hälfte ihres Scheins. Was auch ihr Sein ist. An ihrem Herzen prangt eine Spiegelblume. Von einer Vase erschaffen, die Callista in ihrem Tobsuchtsanfall gegen die glatte Oberfläche geworfen hat. Callista versinkt in dem Anblick. Der so viel ihrer Seele offenbart. Es ist wohl das erste Mal, dass ein Spiegel das vermag. Ein feines Lächeln ziert nun ihre Lippen. Wird von dem Spiegel verzerrt und zwei geteilt.
    Töte ihn, Callista.
    Die Stimme ist laut. Kalt. Drängend. Grausam. Eine nie gehörte bis anhin. Callista erstarrt. Sieht in ihre eigenen schwarzen Augen. Die die Kälte ihres Inneren widerspiegeln. Nie, niemals hat Callista diesen Wunsch verspürt. Der Hass in ihr währt schon lange. Ihr Zorn ist stets groß. Aber doch liebt sie ihn noch. Ihren Vater. Sofern Callista der Liebe fähig ist und sie nicht von ihm gänzlich absorbiert ist. Callistas Lippen erbeben. Sie sieht einen grausamen Zug um ihren Mund, der ihr selber nicht gefällt. Die Grenze ist beinahe erreicht. Das erkennt Callista selber. Sie dreht sich um. Sucht danach zu lächeln. Den Gedanken zu verdrängen.
    "Ich weiß es auch nicht, Caius. Caius. Caius."
    Der Klang des Namens gefällt Callista in ihrem Munde. Sie findet ihn melodiös. Aber nicht zu schwammig. Mit einer harten Komponente. Wie es zu einem solchen Mann auch passt. Callista tritt zu ihm heran. Bis direkt vor ihn. Keinen Digitus Abstand lässt sie zwischen ihrem Gewand und seinen Beinen.
    "Es ist ein alter Streit. Den mein Vater dazu antreibt. Etwas, was ich getan habe. Was ihm mißfällt. Und er unterbinden möchte. Er glaubt, so es zu schaffen. Aber das wird ihm niemals gelingen. Eher sterbe ich."
    Beschwörend. Schwörend spricht Callista dies. Sie glaubt auch daran. Wenngleich es abwegig ist. Callista fürchtet sich zu sehr vor dem Tod. Nur die romantische Vorstellung davon gefällt ihr. Einen nachdenklichen Blick schenkt sie dem Fenster, hinter dem die Sonne verschwindet.
    Der Tod?
    Vielleicht ist das die Lösung, Callista. Dein Vater hat das noch nicht erlebt.
    Traun.
    Aber Callistas Gedanken können sich nicht auf Schlafmohn, Schierling oder schimmerndes, todbringendes Wasser lenken. Denn der schöne Flavier fordert ihre Aufmerksamkeit. Mit seiner anziehenden Präsenz. Sie beißt sich zart auf die Unterlippe. Ihre Stimmung schwankt herum. So wankelmütig wie Callistas Wesen.
    "Wir könnten durchbrennen. Nach Ägypten. Ich habe dort eine Villa im See. Sie ist ganz wundervoll."

    Silentium. Grabesstille herrscht in dem Garten. Callista vernimmt ihren eigenen Atem deutlich. Sogar ihren Herzschlag. Dann raschelt etwas im Gebüsch. Callista erschrickt. Wo ist ihre Sklavin? Alleine sein. Das behagt Callista nicht. Einsamkeit. Aber auch die Furcht vor dem Unbekannten vermag sie zu schrecken. Die offene Gefahr ist ihr weniger ein Graus. Die subtile Fährnis sehr viel mehr.
    Strahlend glitzern die Sterne am Himmel. Malen mit ihren Lichtern Bilder in das dunkle Firmament. Einen Schmetterling kann Callista erahnen. Sie lenkt sich mit dem Betrachten der Sterne ab. Ein Wispern dringt von ihren Lippen.
    "Vom Feindeswall erblicke ihn des Kriegsherrn Weib, die
    blühende Tochter mit bangem Seufzern,
    Daß ja nicht, ach, der fürstliche Bräutigam,
    Im Kampfe unerfahren, den Löwen reiz,
    den unnahbaren, den der blut'ge
    Zorn durch des Mordens Gedränge treibet."

    Die Melodei der Nachtigall ist zu vernehmen. Es beruhigt Callista ungemein. Sie ist nicht alleine im Garten. Der Wind spielt in den Blättern der Bäume. Doch die Laube schützt Callista vor dem nächtlichen Odem. Lautlos treten ihre Füße über den Steinboden. Ihr Kleid raschelt leise. Ihre Sklavin scheint verschollen zu sein. Ist der Löffel derart delikat, dass es großen Aufwandes bedarf?
    Callista spielt mit einem Ring an ihren schmalen Fingern. Die Stimme des Vogels erlischt. Er erhebt sich aus dem dunklen Geäst in ihrer Nähe. Die Flügel rauschen über die Laube hinweg. Dann ist der unscheinbare kleine Vogel verschwunden. Der mit seiner Stimme Könige und Fürsten bezaubern kann. Oder eine Claudia Callista. Die in einem schönen Garten wartet. In einer fremden Villa. Auf ein Stell-Dich-Ein.
    Steine reiben gegen Steine. Wenn Füße den Kiesweg entlang gehen. Das Rascheln von Stoff nähert sich. Eine Präsenz. Callistas Mundwinkel heben sich. Wenn sie auch noch gar nicht weiß, wer es ist. Womöglich ein Aurelier. Der die Zuflucht seines Gartens sucht? Oder ein anderer Gast. Der ein wenig Stille braucht. Callistas Herz pocht.
    Wie aufregend. Was für eine köstliche Spannung.
    Callista raubt sie sich nicht. Indem sie schon vorher sieht. Wer es sein könnte. Nein. Sie wartet geduldig. Lässt den Wind in ihren Kleidern spielen. Erst im letzten Augenblick dreht sie sich um. Als sie schon des Atems gewahr wird. Ein lautloses Jubilieren.
    Er ist es.
    Ganz offensichtlich, Callista.
    Dem spöttischen Unterton in dieser Stimme widmet Callista keine Aufmerksamkeit. Wie auch? Alles verschwimmt in einem Meer aus Aventüre und Labsal. Sie spürt seine Hände, die nach ihr greifen. Fordernd. Wie selbstverständlich. In dem Moment gefällt Callista das ausgesprochen gut. Ihre Nasenflügel erbeben. Erzittern verhalten. Ephemer verspürt Callista ein Beben tief in sich. Das der Alteration Ausdruck verleiht.
    Willig folgt Callista der Führung. Lippen treffen sich. Callista steht auf ihren Zehenspitzen. Gehalten durch die herkulischen Arme des Hungaricus.
    Gustiös erschmeckt Callista die warmen Lippen des Viniciers. Zieht mit jedem Atemzug durch ihre Nase den herben Odeur jenes Mannes ein. Versinkt in der sinnenfrohen Andacht des Kusses. Weich erkosten ihre Lippen die Seinigen. Sie umfängt seine Unterlippe in dem Verlangen mehr zu bekommen. Schon mit seiner ersten Bewegung hat er den wilden Wind beschworen. Der den Sturm einleiten könnte. Und sie im Auge des Orkans.
    Ihre zierliche Physis schmiegt sich an den Körper von Hungaricus. Dick sind die Lagen seiner Toga, die sie trennen. Zart ihre Gewänder hingegen. Schwelgerisch erspürt sie die stattliche Gestalt des Viniciers. Öffnet in dem Moment ihre Lippen. Um mehr zu gewähren. Lässt das köstliche Spiel nicht nur zu. Sondern sucht selber danach zu erkunden. Ihre Fingerspitzen gleiten über die wunderbar kräftigen Schultern hinweg. Fahren zu der Stelle, wo die Toga endlich endet und in den Nacken übergeht. Der Bart des Hungaricus kitzelt auf Callistas Haut.
    Leben.
    Erleben.
    Lebensgierend.
    Gier.
    Nach Leben.
    All das leitet Callista. Während sie sich den Armen dieses im Grunde fremden Mannes ergibt.

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    Der letzte Rest des gelben Pulvers verglüht im Kohlebecken. Der Knabe starrt auf das Feuer. Sucht mit seinen Augen nach Göttern der Unterwelt darin. Die nach oben gestiegen sind, um dem Vogel Leben einzuhauchen. Aus Gründen, die Nero unbekannt sind. Es befriedigt ihn nicht. Einen Blick hinter das Geheimnis werfen zu dürfen. Doch ehe er erkennt, was vor sich geht, wird er erneut zurück gezogen. Der Schleier des Unwissens fällt über alles. Nero presst seine Lippen fest aufeinander und sieht stumm von Isbu zu Tilla. Es drängt ihn, zu widersprechen. Aber von seiner Mutter bekommt er immer eingebläut. Widerspreche den Erwachsenen nicht. Aber gilt das auch für Fremde? Nur für seine Mutter und seinen Onkel? Nero ist sich unschlüssig.
    "Bitte."
    Ein Murmeln. Flehend sieht er zu Tilla. Richtet seine braunen Augen auf Isbu.
    "Bitte."
    , wiederholt der Junge. Isbus Mundwinkel umspielt ein ergötztes Lächeln. Er hebt die Schale mit Kohle zur Seite. Auf eine Halterung, die das gusseiserne Becken hält.
    "Mein Junge, ich vermögen Dir Geheimnis verraten. Aber nur, wenn Du erfüllen einer meiner beiden Bedingungen. Entweder, Du zahlen mir tausend Sesterces. Oder Du dienen mit drei Jahre als Gehilfe."
    Neros Augen weiten sich erschrocken. Drei Jahre erscheinen ihm wie ein ganzes Leben. Es stellt auch gut die Hälfte seiner bisher erlebten Jahre dar. Und all die Jahre, die er bewusst erfahren hat. Tausend Sesterces hat er natürlich auch nicht. Schon ein Viertel seines Vermögens ist dahin geschrumpft. Nero verzieht seine Lippen zu einem Schmollmund. Der Drang zu Quängeln wird nun doch sehr groß.
    "Ich habe Dir schon viel Geld gezahlt."
    Ein Maulen ist nun doch in seiner Stimme zu hören. Isbu lächelt undurchsichtig. Er nickt.
    "So es sein. Dein Vogel leben. Willst Du erfahren Geheimnis, so sein das viel teurer. Ich Dir geben Vogel dafür."
    Aus dem Schatten löst sich die Frau. Deren Lippe durchstochen ist. Sie fängt flink den erschrockenen Vogel ein. Sperrt ihn in das Kästchen. Von innen flattert es. Dann wird es still. Sie reicht die Schatulle an Nero zurück. Der sie nimmt und sich aus dem Schoße von Tilla erhebt. Beleidigt sieht er zu Isbu.
    "Wir sehen uns wieder. Sei gewiss."
    Isbu bemüht sich, nicht in Lachen auszubrechen. Er neigt nur würdevoll das Haupt.
    "So die Götter wollen, mein Herr."
    Nero dreht sich demonstrativ von ihm fort. Er streckt die Hand zu Tilla aus.
    "Komm. Lass uns gehen."
    Fordernd ist der Klang seiner Stimme. Isbu lächelt weiterhin. Neigt zum Abschied den Kopf. Schon strebt Nero hinaus aus dem Zelt. Die strahlende Sonne umfängt das kindliche Gesicht von Nero. Er blinzelt in die strahlende Himmelsscheibe. Zieht die Stadtluft ein. Die köstlich duftet nach dem scheußlichen Gestank in dem Zelt. Noch mehr Menschenhaben sich in dem hinteren Teil des Forums versammelt. In der Ferne drängen sich Soldaten der Cohortes durch einen Pulk von Menschen. Die nur widerwillig den Soldaten Platz schaffen.
    Nero dreht sich zu Tilla um. Er lächelt lieblich. Greift nach dem Kistchen.
    "Schau. Ich werde Dir eine Freude bereiten."
    Er öffnet das Behältnis. Der Vogel kauert sich darin zusammen. Ängstlich. Die Sonne spielt auf seinem hellem Gefieder. Sein Schnabel ist geöffnet. Einen winzigen Spalt breit. Plötzlich schießt er nach oben. Fliegt in den Himmel hinauf. Wie ein kleiner Pfeil. Der die Freiheit sucht und findet. Nero gluckst leise. Verstaut die leere Kiste in seiner Tasche.
    "Wenn er wirklich Brüder hat. Dann kann er sie jetzt suchen. Der Vogel. Oder er stirbt. Weil er nicht weiß, wie er in Freiheit überlebt."
    Erneut sucht Nero nach der vertrauten Hand von Tilla.
    "Was nun?"
    Nero ist sich deutlich unschlüssig.





    Ein eigentümlich fauchender Laut ertönt von der Schlange. Nicht einer Katze similär. Rauher. Schroffer. Sie sperrt ihren Mund weit auf. In das weiche Rosa kann Callista sehen. Sieht die unscheinbaren zwei Hügel. Die Nämlichen können das Gift in einen Körper hinein stoßen, das eine köstliche Agonie auf dem Gesicht eines Menschen hervor zaubert. Callista fühlt sich verbunden mit diesen Tieren. Die so unscheinbar wirken. Schön in der Gestalt. Scheinbar harmlos. Mit den kleinen Zähne können sie indes Tod und Verderben bringen. Zu gerne würde Callista sich selber so sehen. Aquilius tritt zu ihr und hält den Korb entgegen. Wäre Callista nicht schon von dem Sturm der Gefühle überwältigt. Dann würde sie womöglich der dirigierende Tonfall von Aquilius sehr erzürnen. Callista hasst solchermaßen.
    Wofern streicht sie hingegen liebevoll über den Kopf der Schlange. Trocken sind die Schuppen, die so trügerisch glänzen. Die Schlange windet sich um ihr Handgelenk. Unruhig. Von dem ausgestandenen Abenteuer erschüttert. Welches den Sklaven das Leben gekostet hat.
    "Süße Senet. Fürchte Dich nicht."
    Vorsichtig legt Callista den Schlangenleib in den Korb. Der sich windet und zischelt. Callista sieht auf und in die berückend schönen Augen des Aquilius.
    "Schließe den Korb schnell. Sonst stößt sie wie eine Lanze nach oben. Tödlich. Es gibt kein Gegengift für ihren Biss."


    Das Spiel der Atrozität überkommt Callista stets in solchen Augenblicken. Callista lässt den Kopf der Schlange los und zieht ihre Hand hin fort. Ihre Finger heben sich. Sie winkt Benohé zu sich. Ein prüfender Blick. Es entgeht Callista in dem Moment nicht. Dass ihre Sklavin sich befremdlich benimmt. Ihr Gebärde. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht. Das sonst einer Maske gleicht. Callistas Augen verengen sich.
    "Meine Benohé. Kümmere Dich um Senet. Gänseleber wird sie sicherlich beruhigen. Für die nächsten Tage."
    Devot neigt Benohé ihr Haupt. Wenn es ihr auch ein Graus ist, den Korb mit der Schlange ergreifen zu müssen. Die Angst vor den Kriechtieren ist unaussprechlich in der Sklavin. Sie will schon den Raum verlassen. Als sich Callista ihr noch ein weiteres Mal zuwendet.
    "Meine Benohé?"
    Die Sklavin verharrt.
    "Herrin?"
    Callistas Augen fahren über das Antlitz der Sklavin.
    "Ich möchte nicht gestört werden. Du sorgst dafür."
    Es ist die Ruhe in Callistas Stimme. Die die Warnung mit sich trägt. Callista kennt Benohé. Die Sklavin umso besser jede Wandlung ihrer Herrin. Sie versteht. Jeder Plan, den Vater zu benachrichtigen, muss verworfen werden. Denn die Strafe würde Benohé mit aller grausamen Härte treffen.
    Die Sklaven indes zaudern bei den Worten von Aquilius. Ihre Anweisungen sind univok. Callistas Haupt wendet sich den Männern zu. Was die Unfreien schnell zu dem Entschluss kommen lässt, doch lieber den neuen Weisungen zu folgen. Sie ergreifen den toten Leib des Servus. Tragen ihn hinaus.
    "Schließt die Türen hinter euch."


    Wuchtig wird der Zugang zu ihrem Cubiculum verschlossen. Callista atmet erleichtert aus. Die widerliche Meute ist entschwunden. Die sich an ihrem Habe vergreifen möchte. Sie sieht sich in ihrem Schlafgemach um. Es schaudert sie. Sie weiß nicht mehr. Was die Sklaven angerichtet haben. Oder Callista in ihrem ungestümen Zorn. Ihrem zügellosen Wutausbruch.
    Mit einem ermatteten Seufzer auf den Lippen tritt Callista neben das Bett. Dessen Laken ebenso zerrissen sind. Wie die Kissen. Deren Federn an vielen Stellen des Zimmers verstreut liegen. Sie sinkt auf den weichen Untergrund.
    "Mein Vater wird mich einem Manne zur Frau geben. Er hat bereits alles in die Wege geleitet. Erneut."
    Matt ist der Glanz in ihren Augen. Doch der Nämliche schwindet. Denn schon bei jenen wenigen Sätzen erblüht in einem weiteren Frühling der Keim des Unwillen.
    "Ich werde bereits morgen abreisen. Nach Britannia."
    Sie hebt ihr Kinn an. Die dunklen Wimpern.
    "Britannia."
    Ein Wort. Als ob damit alles gesagt werden würde.
    "Dieses Land voller Barbaren. Eine kalte und unwirtliche Welt. Nur, weil mein Vater wütend auf mich ist."