Myron rudert über den See. Ruderschlag um Ruderschlag gleitet das Boot über die gleissende Wasserfläche. Mittag ist es, kein Lufthauch regt sich. Die Insel kommt näher, knirschend schiebt sich der Bug auf den Strand. Der kleine Grieche steigt an Land. Wischt sich die schweissnasse Stirn. Und erstarrt. Seine Augen weiten sich. Was ihm ein kahler Baum dünkte, ist in Wirklichkeit ein Kreuz. An dem jemand hängt. Und unter dem jemand wacht.
Myron umgreift das Amulett des Hermes auf seiner Brust fest mit der Hand. Flüsternd bittet er den flügelfüssigen Schutzherren der Boten, ihn vor dem Zorn des Claudiers zu bewahren. Wenn er ihm die Nachricht überbringt.
Der Weg zur Villa ist schnell zurückgelegt. Myron bringt sein Begehr vor. Unruhig wartet er in der kühlen Säulenhalle, bis er vor den Hausherren geführt wird. Der empfängt ihn in seinem Studierzimmer, umgeben von halbausgepackten Kisten, seltsamen Pflanzen und Steinen, Tierhäuten und Vogelbälgen. Er zeichnet an einer Karte. Leise schabt die Feder über das Pergament. Die Fensterläden sind halb geschlossen, durch die ausgesparten Ornament fällt das Licht und malt verschlungenen Formen auf den blanken Mamorboden. Myron verbeugt sich tief.
"Servus. Du kommst aus Athen, von meinem Vilicus?"
"Ja Dominus Claudius. Ich habe das Meer überquert, und dem Sturm getrotzt, um Dir Botschaft von ihm zu bringen."
Myron zeigt den Brief, in gewachstes Segeltuch eingeschlagen. Er möchte ihn dem Claudier überreichen, um sich sogleich wieder aus dem Staub zu machen. Wenn der Herr ihn liest, will er am liebsten schon wieder auf der Rückreise sein.
"Warum schreibt er mir?" forscht Cethegus, "Hat mein Vater endlich wieder Geld geschickt?"
"N-Nein Dominus. Dein werter Vater, der erhabene Augur hat uns keinerlei Nachricht gesandt. Es kam uns zu Ohren, er habe seiner Ämter entsagt und sich nach Campanien zurückgezogen."
Kein Geld. Kein Wort. Der alte Knauser. Der Cethegus immer noch in der Fessel seiner Patria Potestas hält. Aber kein Geld rausrückt! Cethegus' Finger pressen sich um die Feder. Ihre Spitze bohrt sich ins Pergament, und vertieft ein Wadi bei Napata zum Kratersee. Seine Stirn ist umwölkt. Wäre das Pergament doch Myrtilus' Herz, und die Feder ein Dolch...
"Warum also? Rede!"
"Ehrwürdiger Herr, es kam eine Nachricht aus Rom. Ein offizielles Schreiben betreffs eines... Nachlasses. Erlaube mir, Herr, Dir untertänigst mein tiefstes Beileid auszusprechen, es ist..."
Cethegus winkt unwirsch ab, ob der Impertinez des Sklaven. Doch jäh erfasst ihn ein heilloser Schrecken.
"Wer ist gestorben? Doch nicht etwa... nicht meine Mutter!"
Er greift sich an die Schläfen. Verspürt schon den bohrenden Schmerz. Nein! Ist es nicht genug der Schicksalschläge?!
"Nein Dominus, nein! Die edle Dame Cornelia Coriolana erfreut sich bester Gesundheit. Sie hat den letzten Sommer auf Paros verbracht und sich dort in Mamor meisseln lassen. Ein Standbild von überwältigender Schönheit, wie man allenthalben hört!"
Cethegus atmet auf. Der Schmerz verfliegt. Und er entsinnt sich wieder des unverschämten Boten, der einfach nicht auf den Punkt kommt.
"Wer ist gestorben?"
"Dein Bruder, Dominus, der hochedle Tiberius Claudius Severus, möge sein Ruhm niemals verblassen, ist vor seiner Zeit zu den Schatten hinabgestiegen. Allseits betrauert. Er stand am Beginn einer glänzenden Karriere."
Myron schwitzt. Und friert. Eine elende Aufgabe, diese Todesnachricht zu überbringen. Man weiss doch wie labil die Herrschaften Claudier sind. Er sieht sich schon am Kreuz. Hält die Augen niedergeschlagen und schielt vorsichtig zum Herrn.
Der reisst den Brief auf. Und liest. Der Nachlass ist beträchtlich. Ein ansehnliches Landgut in den Sabiner Bergen und viel Geld. Genug um seine Schulden zu bezahlen und mehr. Des Claudiers Antlitz verzeiht sich zu einer Grimasse. Ein abgehackter Laut kommt aus seiner Kehle. Myron erbleicht. Es folgen weitere Laute, rauh und spröde, bis sie sich zu einem Gelächter vereinen.
"Hahaha... Tiberius... der Spassvogel!"
Cethegus lacht herzhaft, krümmt sich zusammen. Schüttelt heiter den Kopf, die Locken fliegen um sein Haupt. Welche Ironie! Welch köstlicher Widersinn. Er hat seinen Halbbruder nicht gerade gehasst, doch stets eine unüberwindliche Abneigung gegen ihn verspürt. Seitdem der Jüngere ihn in ihrer Kindheit einmal kaltblütig ans Messer geliefert hat. Damals behauptete der kleine Tiberius, der kleine Lucius sei derjenige, der das Gartenhaus angezündet habe. Das war die Wahrheit. Cethegus, schon damals von grenzenlosem Forscherdrang beseelt, wollte nur sehen ob es brennt. Es brannte sehr gut. Nun hat der Verräter von damals ihn zu seinem Alleinerben eingesetzt. Er muss mehr Humor gehabt haben als Cethegus ihm zugetraut hat. Oder er gönnte das Erbe seinen anderen Verwandten noch weniger.
"Ja", seufzt der Claudier dann. "Mein armer Bruder. Ich werde seiner stets gedenken..." wenn ich sein Geld ausgebe.
Er greift in einen Kasten. Aus einer Laune heraus schnippt er dem Boten einen Aureus zu. Ungläubig fängt Myron das Geldstück auf.
"Und Du bleibst hier. Ich kann einen sprechenden Sklaven zur Zeit gut gebrauchen."
Nur mit Stummen, mit Männern aus Lybien die bloss ihre eigenen seltsamen Sprachen sprechen, mit meroitischem Rohmaterial und mit groben Aufsehern, die sich nicht zu artikulieren wissen, lässt sich nicht arbeiten. Und den einzigen, der noch brauchbar gewesen wäre, den ägyptischen Gespielen seiner Schwester hat Cethegus am Morgen gekreuzigt. Er hat sogar schon seinen Lycidas als Boten in die Stadt schicken müssen, da es eine Aufgabe von höchster Dringlichkeit zu erledigen gilt. Da kommt der Laufbursche gerade recht. Er ist zwar nicht schön, doch er spricht ein gutes Attisch und scheint nicht dumm. Das wird fürs Erste genügen müssen.
"Sehr wohl Dominus."
Myron verbeugt sich erneut. Tief. Die Münze scheint zu brennen, in seiner Hand. Als der Claudier ihn entlässt, zieht der Sklave sich eilig zurück. Für den Moment erleichtert. Doch was die Zukunft angeht, so plagen ihn dunkle Vorahnungen.