Wenn man am Meer aufwächst, dann ergibt es sich unweigerlich, mit Wasser in Berührung zu kommen. Passiert das, ergibt sich beim zweiten Schritt, beim dritten, vierten undsoweiter, daß es angeraten ist, sich jene Technik anzueignen, die gemeinhin als "schwimmen" bezeichnet wird. Sonst wäre man in den Zustand versetzt, daß man den oft größten Teil des örtlichen Universums völlig ignorieren muß, außer, man findet sich damit ab, wegen der Untiefen höchstens bis zu den Knien oder vielleicht zum Bauchnabel auf Entdeckungsreise zu gehen. Allerdings mag man mit Recht einwenden, daß der größte Teil unseres täglichen Kosmos aus Luft besteht, ergo es ein eklatanter Verlust an Lebensfreude und Freiheit ist, wenn man nicht diesen Teil der Welt erforschen kann. Der Mensch ist kein Vogel, kein Mensch kann fliegen. Und auch kein Fisch, werden besonders die Seeleute einwerfen, denn die wenigsten von ihnen können schwimmen.
Meine treusorgende und manchmal ob ihres einzigen Kindes Wohles leicht zu ängstigende Mutter hatte ziemlich resolut darauf bestanden, ich solle schwimmen lernen. 'Wozu?', hatte sie Pedros Vater gefragt, 'soll er nicht Fischer werden?' Nun, ich lernte schwimmen und fischen, wie übrigens Pedro auch, der es leid war, daß ich in eines Elementes Mysterien eigenweiht war, die er täglich vor den Füßen aber ansonsten nur als Nicht-Initiierter betrachten mußte. So sprang er einies fröhlichen Tages hinter mir vom Boot und erbrach bei seinem ersten Vollkörperkontakt mit dem salzigen Naß später nicht ganz die Häflte des ihn umgebenden Atlantiks. In Flaviobriga war man diesem Tag über das Einsetzen der Ebbe zur Unzeit an ernsthaft besorgt.
Wie auch immer - ich lernte schwimmen unter der Anleitung meiner Mutter, die erstaunlicherwiese selbst, in einer knöchellangen Tunika jedem männlichen Fischer an Frivolität hinsichtlich des nassen Elements weit überlegen war, sprich: ich fand, sie war eine herrliche Schwimmerin. Um meine ersten Paddelversuche im Hündenstil zu unterstützen, kaufte sie extra große Korkstücke, die sie zu einem Ring und diesen mir dann um meinen Oberkörper unter die Achseln band. Damit schwamm ich dann wochenlang herum, selbst, als mir die Stütze keine wirkliche mehr war. Mir ging das Ding gehörig auf die Nerven, denn naturgemäß waren damit Tauchgänge völlig ausgeschlossen, was meinen Forscherdrang hemmte und mich in Rage versetzte, wie einen von einer Leine gebändigten Hofhund, der einen Angestellten des cursus publicus eingentlich gebührend hätte empfangen wollen.
Nun, eines schönen Tages sagte dann meine Mutter: "Und nun, mein Seeferkelchen" obwohl ich niemals eine physiognomische oder körperliche Ähnlichkeit mit einem solchen Jungiter aufwies, höchstens, zugegeben, in meinem - epikureischen? - Benehmen, "jetzt versuch' es einmal ohne, ich weiß, Du willst schon lange.", mit diesem Worten schnallte sie mir den Gürtel ab. Ich rannte johlens im, die Metapher ist ja nun nicht völlig aus der Luft gegriffen: im Schweinsgalopp - Oinkoinkoink - ins Meer und ... traute mich nicht weiter.
Kein Schwimmen, kein Tauchen, ich blickte mich hilfesuchend zu meiner Mutter um, die den Schwimmgürtel schon in seine Einzelteile zerlegte (sie sollte später für Pedro einen neuen fabrizieren). Mein Fluchtweg war abgeschnitten, ich trottete zurück an Land. "Zu kalt heute" meinte ich lakonisch und bibberte theatralisch.
Einen ähnlichen Blick schicke ich heute nun meinem Onkel Aquilius hinterher, er geht einfach, er, mein Schwimmgürtel, und überliefert mich hilflosen Tropf den wilden Elementen. Ist das nicht unschicklich? Wie sollte ich für Aurelia Helena Verantwortung übernehmen können? Was mache ich jetzt?
Ich blicke Onkel Aquilius nach wie ein "Mann über Bord" seinem Schiff, das nicht gemerkt hat, daß es einen Passagier verloren hat - oder noch schlimmer, nachdem sie den Lohn für die Überfahrt erhalten hatten ... aber mein Onkel hatte mir Geld hinterlassen. Sollte ich mir einen Becher Birnenwasser kaufen, um meine Verzweiflung darin zu ertränken? Mit einem Spritzer Wein vielleicht sogar, um der Bewußtlosigkeit anheimzufallen? Warum - denke ich in einer klaren Sekunde - ratsche und tratsche ich mit dem weiblichen Personal ohne was, aber in Gegenwart der Aurelia bin ich wie ein Seemann ohne See? Ich fühle mich ziemlich ungelenkig, klapprig, häßlich, bekomme ich etwa gerade einen Pickel auf der Nase? Mundgeruch? Sollten wir nicht beidrehen und in den Hafen zurückkehren?
"Äh, ja. Wir, äh, naja, nicht ganz, nicht? Ich meine, allein, bei den vielen Menschen hier ... Haaaaaallo, ist da wer zu Hause? Don Lucanova? Wie? Unbekannt verzogen, nur sein verblödeter Zwillingsbruder noch da?