Beiträge von Straton

    Sinnierend betrachtete der Grieche das Schuckstück. Er hatte schon Sklaven wegen geringeren Werten in deren Händen sterben sehen, und es würde schwer sein, einem neuen Sklaven überhaupt verständlich zu machen, in welche Gefahr sie sich damit begaben. Wie abhängig sie letztendlich vom guten Willen ihres Herrn waren und dass es schlichter Wahnsinn war, nicht zu versuchen, die eigene Lage durch Wohlverhalten zu verbessern.
    Sollte er Aquilius von dieser Sache in Kenntnis setzen? Er war immerhin der Verwalter seines Haushalts, und damit auch derjenige, der die Aufsicht über die Sklaven zu führen hatte, die ihm unterstanden. Aber so wie es aussah, war Bridhe auch Willens, den unangenehmen Teil an der Sache selbst zu klären. Vorausgesetzt, niemand würde herausfinden, dass sie dieses Schmuckstück besaß, das einer reichen Plebejerin würdig gewesen wäre. Was musste man in Rom tun, um so etwas kaufen zu können? Die Auswahl dessen war sehr gering, empfindlich gering, und für einen Moment lang fröstelte es den Griechen.
    "Bridhe, beruhige Dich. Bisher ist ja noch nichts passiert," beschwor er sie mit dunkler Stimme. "Wenn Du möchtest, kannst Du Dein Schmuckstück auch aufbewahren lassen - ich denke, es sollten sich Plätze finden lassen, an denen der Herr nie suchen würde."

    "Salve und auch einen guten Morgen!" Soviel Höflichkeit musste schon sein. Und öhm ja, was wollte sein Herr eigentlich? Straton blickte sich kurz und fragend zu Aquilius um, eine Braue hebend. Und nachdem der Flavier genickt hatte, tat der Grieche das Ergebnis der nonverbalen Kommunikation auch gleich kund: "Mein Herr wird die domina Aurelia Prisca sicher gern in ihrem eigenen Haus begrüßen, auf der Straße ist dazu nicht der geeignete Ort." So etwas musste ja auch nicht sein, die Begrüßung einer Frau aus gutem Haus auf die Straße zu verlegen. So trat Straton zurück, um seinem Herrn Platz zu machen, der bereits von seinem riesigen Pferd herabgerutscht war - er selbst blieb bei den wartenden Sklaven und achtete darauf, dass kein Schindluder mit der Sänfte getrieben wurde. Manchmal kamen Sklaven da auf die seltsamsten Ideen.

    So viele Fragen stellte ein Mensch, ohne Worte zu benutzen, und Flavius Gracchus bildete darin keine wesentliche Ausnahme. Nicht, dass Straton es anders erwartet hätte, die wenigsten Menschen waren imstande, ihre Bedürfnisse verbal zu formulieren. Die meisten ließen ihre Körper, ihre Gesten sprechen, und ebenso verrieten sich die meisten durch die Sprache ihrer Körper sehr deutlich. Was dieser Flavier wollte, war offenkundig. Dafür waren seine Finger zu kundig, diese Überbrückung zwischen zwei sich fremden Menschen kam sehr schnell und vor allem sehr früh. Seine Finger fragten etwas, was seine Lippen wohl nicht formen wollten - oh, Straton kannte dies nur zu gut. "Ich gehörte vor ihm seinem Vater, und in seinem Besitz bin ich seit dem Tode des dominus Flavius Atticus. Meine Familie dient der gens Flavia nunmehr seit vier Generationen, dominus. Wir sind gemeinsam aufgewachsen."


    Es stellte klar, dass er kein Feld-, Wald-, Wiesensklave war, und dass es eine Grenze dessen gab, was vielleicht für den Flavier zu holen war - altgediente Sklaven genossen immer das Vertrauen ihres Herrn, und wurden sie misshandelt, würde es Unstimmigkeiten nach sich ziehen. Zudem war dies das einzige, was einen Sklaven vor zu rauhen Händen anderer Familienmitglieder einigermaßen zu schützen vermochte. Den Blick an Gracchus vorbei gerichtet haltend - noch wollte er dem Flavier den Triumph nicht gönnen, sich nach ihm umzublicken, verharrte der Grieche aufrecht stehend, wenngleich er doch damit kämpfen musste, die vage Gänsehaut zu unterdrücken, die seinen Rücken in jenem Moment entlang gerast war, als der Flavier sein Ohr berührt hatte. Zärtlich, sachkundig, wissend, wie man eine Berührung dosieren musste, um den maximalen Effekt zu erzielen.


    Ob er auch anderes so einzusetzen wusste wie diesen zartfühlenden Finger? Nun tat er es doch, wandte sich langsam in die Richtung seines Gegenübers, und in den dunklen, bohrend blickenden Augen des Griechen stand die Antwort auf eine wortlos gestellte Frage von Seiten Flavius Gracchus'. Und es geschah noch etwas, verbunden mit einem Seltenheitswert, das es schon fast zu einer Art Geschenk machte: Straton lächelte. Verhalten, diegeschwungenen Lippen kaum wirklich bewegend, aber unzweifelhaft ein Lächeln.

    "Ich denke, angelogen hat er Dich nicht." Severus wirkte auf Straton nicht wie ein Mann, der bei einer so wichtigen und anscheinend von Herzen kommenden Sache log. "Stehlen passt nicht zu ihm, also bleiben noch die Möglichkeiten, dass er das Geld von jemandem als Dank erhalten, es verdient oder es schlichtweg beim Spiel gewonnen hat. Hast Du daran schon gedacht? Vielleicht will er vor Dir nicht wie ein Spieler dastehen, auch wenn er seinen Gewinn gleich in ein Geschenk investiert hat."
    Zugegeben, auch der Grieche hielt es für unwahrscheinlich, dass es ein Gewinn war, aber zumindest die Möglichkeit bestand. In Rom konnte man, wenn man Glück hatte, aus wenig Geld viel machen - und entsprechend Pech vorausgesetzt, in Windeseile aus viel Geld nur noch Schall und Rauch formen. "Und warum er es macht? Das ist, denke ich recht einfach: Er will Dir zeigen, dass Du wichtig für ihn bist. Welcher Mann will nicht der Frau, die er liebt, diese Liebe unter Beweis stellen? Als Sklave hat man nur leider weit weniger Möglichkeiten dazu. Immer nur Worte sind mit der Zeit einfach zu wenig." Erinnerungen kehrten zurück, die er am liebsten vergessen hätte, aber so gnädig war das Schicksal ihm nie gewesen. Auch er hatte einmal seine Liebe ausdrücken wollen, und weniger als nichts dafür gehabt. "Letzten Endes werdet ihr dem Herrn sagen müssen, dass Du dies Schmuckstück besitzt und woher es kam. Meinetwegen als Spielgewinn getarnt - wenn es irgendwer an deinem Leib findet, der Dich nicht kennt, wird vermuten, Du hättes gestohlen, und das hätte unangenehme Folgen."

    Es war wie gehabt - Straton war der Bote für seinen Herrn, aber diesmal war es ihm leider nicht möglich gewesen, allzu viel Zeit damit zu verbringen, Roms Schönheit zu betrachten. Dieses Mal befand sich sein Herr auf einem ehrfurchtgebietenden, riesigen Pferd hinter ihm und wartete, genau wie einige andere Sklaven des flavischen Haushalts, die eine Sänfte flankierten. Wofür die Sänfte? hatte er noch gefragt, aber da man nicht sicher wusste, ob die domina Aurelia Prisca reiten konnte, hatte man sich eben auf alle Eventualitäten vorbereitet. Und nun blieb es - wieder einmal - bei Straton, zu jener verschlossenenn Türe zu schreiten und die Hand zu erheben. Ein kräftiges Klopfen ertönte und während sein Herr anscheinend nichts besseres zu tun hatte, als mit diesem riesigen Ding von Pferd zu sprechen, wartete der Grieche geduldig ab, ob sich im Inneren der villa etwas rührte.

    Straton hob seine Brauen, aber er sagte, wie sie es wollte: "Kein Wort zum Herrn." Was sie da dann allerdings auspackte, ließ ihn kurz schlucken. Es war ein teures Schmuckstück, und nichts, was man einfach so hinterher geworfen bekam. Nichts, was eine Sklavin für sich selbst besitzen durfte, ausser ihr Herr erlaubt es. Und nichts, was ein Sklave einfach so kaufen konnte ... sein Blick schweifte von dem Schmuckstück zurück zu Bridhe, er zog die Brauen auf der Stirn zusammen.


    "Es ist teuer, sehr teuer, und von guter Qualität, die Steine sind echt. Ich nehme an, Severus hat es Dir geschenkt? Hat er Dir gesagt, woher er es hat? Denn wenn der Herr das nicht weiss und man es bei Dir findet, wird es sicherlich übel werden. Nicht zuletzt, weil ich kaum glaube, dass ihr beiden genug Geld aufbringen könnt, das zu bezahlen. Es muss einiges gekostet haben ..."
    Wieder betrachtete er die funkelnden Steine. Sollte er ihr sagen, wie die rechtliche Lage war? Dass sie es vielleicht in Händen hielt, aber es letztendlich ihrem Herrn gehören würde? Wo auch immer es herstammte, es würde, wenn ein anderer Sklave des Haushalts es finden würde, einen enormen Ärger heraufbeschwören, und man würde sehr schnell einen Diebstahl vermuten. "Wo bewahrst Du es bisher auf? Findet man es bei Dir, wirst Du in Schwierigkeiten sein, das weisst Du doch?"

    Verliebte waren, was ihre Gefühle anbelangte, zumeist vorhersehbar. Zuerst gab es die Phase hochfliegender, rosiger Träume, welche die vorhandene restliche Welt in Zuckerguss zu hüllen imstande war und in welcher man die Fehler und charakterlichen Nachteile des Partners meist übersah - und Straton resümierte, dass sich Bridhe mitsamt Severus wohl nun in der zweiten Phase befinden musste: Das allmähliche Erkennen dessen, dass nicht alles Gold sein musste, was zuvor verführerisch geglänzt hatte. Eine zwangsläufige Entwicklung, welche auch immer entschied, ob eine Liebe Zukunft hatte. Ob der eine Teil bereit war, die Fehler des anderen zu akzeptieren, und vice versa. Oder hätte sie sonst überhaupt davon angefangen zu sprechen, dass eine Liebe auf der Probe stand?


    "Manchmal erkennt man auch nur durch Schwierigkeiten, wie tief die Gefühle reichen, und ob sie ausreichen, um darauf mehr zu bauen als einige Tage voller Freude und Lust," sagte Straton schließlich nach einiger Zeit des Überlegens und Abwägens seiner Gedanken. "Erst wenn es schwierig wird, sieht man, ob man wirklich ernsthaft liebt, ob die Empfindungen auch eine Probe überstehen - Liebe ist wankelmütig, sie wird uns nicht immer in gleichem Maß geschenkt, und letztendlich auch nicht immer in gleicher Stärke. Was bedrückt Dich, Bridhe?" Er steuerte das Thema lieber direkt an. Es würde ihr sicher eher helfen, als wenn sie nun stundenlang um den heißen Brei herumreden würden.

    "Ich weiss es nicht," sagte Straton wahrheitsgemäß auf ihre Frage und hob die Schultern dazu etwas an. "Wahrscheinlich ist das bei verschiedenen Menschen verschieden. Manche lieben ihr Leben lang und sind damit glücklich, wie meine Eltern beispielsweise, andere springen von Verliebtheit zu Verliebtheit, und wieder andere haben die Möglichkeit, ihre Liebe irgendwann einem anderen Menschen zu schenken, wenn aus der ersten nichts wurde - das zeigt wohl nur die Zeit."
    Wie es für ihn selbst war, wollte er nicht sagen, und es war auch besser so. Ihr Tod hatte eine Wunde gerissen, die nie verheilt war, und es war besser, alles vom Gras bedeckt zu lassen, das darüber gewachsen war. An manchen Dingen durfte man einfach nicht rühren.
    "Die Philosophen sind dazu geteilter Ansicht, und wie bei allen Themen des Lebens könnte man darüber sehr lange streiten. Was meinst Du? Kann man im Leben mehr als einen Menschen wirklich lieben?" Es schien fast, als hätten die dunklen Augen des Griechen bei diesen Worten eine Tiefe gewonnen, die ihnen bislang gefehlt hatte.

    "Nun, wenn Du Dich mit Kräutern auskennst, wird es Dir nicht schwer fallen, die hiesigen zu lernen - und vielleicht lassen sich auch welche von jenen hier anbauen, die Du kennst. In diesem Haushalt fehlt ohnehin jemand, der sich um den Kräutergarten kümmert, ich denke, der dominus wird dem nicht abgeneigt sein, wenn Du Interesse bekundest. Je mehr Dinge Du erlernst, die besser sind als das Aufräumen und ähnliches, desto weniger wirst Du davon tun müssen - es ist im Grunde sehr einfach. Ich habe seit Jahren nicht mehr viel aufgeräumt, weil ich schreiben und rechnen kann, sehr nützliche Dinge, sobald ein Haushalt aus mehr als einer Person besteht," erklärte Straton und das war im Grunde auch der Knackpunkt der Sklaverei. Ein Sklave konnte angenehm leben und viele Freiheiten genießen, wenn er bereit war, aus sich etwas zu machen - wer keine Talente besaß, die nützlicher waren aus putzen und aufräumen, blieb natürlich auf ewig jemand, der putzte und aufräumte, von dieser Sorte waren wohl die meisten Sklaven. Aber wer mehr wollte, musste sich aus der Masse herausheben.


    Das Thema Liebe allerdings ... Frauen. Eigentlich hätte er es wissen müssen. Frauen unterhielten sich so schrecklich gerne über Gefühle und Kinder, all diese eigentlich unnützen Sachen, die einem das Leben nur unnötig schwer machten. "Sie war eine Patrizierin, und Du kannst Dir sicher vorstellen, dass es unter diesen Voraussetzungen keine glückliche oder erfüllte Liebe war," sagte Straton nach einer langen Pause schließlich widerstrebend. "Sie war eine sehr besondere Frau. Intelligent, warmherzig, mit viel Humor und Freundlichkeit. Und sie ist tot." Der brüske Abschluss des ganzen sollte ihr eindeutig klarmachen, dass er sich darüber eigentlich nicht weiter unterhalten wollte. Es gab bessere Themen, und dieses Thema hatte er eigentlich nie wirklich aufgreifen wollen. Er würde es auch nie wieder von selbst erwähnen.

    "Das ist bei uns ähnlich. Auch die Römer opfern verschiedenen Göttern, meist Göttinnen, Blüten und Blumenkränze. Im Grunde gibt es kaum einen Feiertag ohne irgendwelche Blumen ...die Opfertiere werden auch damit geschmückt," erzählte Straton und stellte wieder einmal fest, dass sich die meisten Kulturen im Grunde wohl nicht besonders voneinander unterschieden. Menschen taten es auch nicht, egal wo man sich befand. Alle wollten gut leben, zufrieden sein, glücklich werden.
    "Ich werde mir etwas ausdenken, aber es wird ein bisschen Zeit brauchen - und die nötigen Rohstoffe, ich habe nicht mehr alles vorrätig, was ich für einen Frauenduft brauchen würde. Wenn Du also ein paa Tage Geduld hast, werde ich Dir sicher etwas geben können, das Dir gefällt."
    Die Frage nach dem Verliebtsein allerdings überraschte Straton kurz, bevor er darüber nachsann, ob es klug war, darüber überhaupt zu sprechen. Aber wahrscheinlich würde sie ihn ansonsten löchern bis in alle Ewigkeit, so sagte er nur, mit einem kleinen Seufzen: "Ja, das war ich. Es ist einige Jahre her."

    "Lilien ... sie stehen für die Reinheit des Herzens ...eine schöne Wahl. Kennst Du die Sprache der Blumen? Einige findige Dichter ordnen den Blüten verschiedenster Pflanzen eine Bedeutung zu, und manches Mal kannst Du durch das Geschenk einer Blüte eine versteckte Botschaft senden. Rosen haben je nach Farbe gar eine eigene Bedeutung. Manche Liebespaare, die sich vor der Öffentlichkeit verstecken müssen, nutzen dies gar, um miteinander zu sprechen - ohne dass man versteht, was sie wirklich sagen. Eine interessante Sache, die Sprache der Blüten," sagte Straton und steckte schließlich das Tuch wieder in seinen Gürtel zurück. Sie wirkte ein wenig sonniger als zuvor, und insgeheim war er erleichtert darüber, bedurften weinende Frauen doch einer Behandlung, die eher bei ihrem Liebsten aufgehoben war denn bei einem anderen. Auch wenn es ihm im Augenblick zweifelhaft erschien, dass Severus genug Feinfühligkeit besitzen würde, um sie richtig zu trösten.
    "Nun, vielleicht wirst Du Gefallen an dieser Sitte des Parfums finden, Bridhe, wenn Du möchtest, stelle ich Dir einen Duft zusammen. Im Grunde benutzt hier fast jeder irgendeinen Geruch für sich, und sei es nur, um die Wirkung auf andere zu vervollkommnen. Auch der Herr hat seinen persönlichen Duft, den ich nur für ihn mische."

    "Wie jeder Mensch anders ist, wird auch hier in jedem Haus anders mit Sklaven umgegangen. Senator Flavius Felix soll ein grausamer Herr gewesen sein, der seine Sklaven oft hat wegen geringen Dingen peitschen lassen, mein Herr - unser Herr - ist eher in vielem sehr gutmütig. Aber eines ist ihnen wohl allen gemeinsam, den Flaviern - sie haben nur begrenzte Geduld, und ist diese aufgebraucht, will man ihnen nicht begegnen. Wenn man das weiss, kann man mit ihnen umgehen. Du hast es in diesem Haushalt nicht zu schlecht getroffen, auch wenn das nicht wirklich eine Nachricht ist, die Dir gefallen wird. Es gibt viele weitaus schlimmere," sagte Straton sinnierend und blickte die junge Frau nachdenklich an, bevor er sein Tuch zurücknahm. Jetzt würde er es wieder waschen müssen, aber wenigstens schien die schlimmste Krise beigelegt. Als sie ihn auf den Geruch ansprach, war er darüber nicht unfroh.
    "Das ist Sandelholz, eine seltene Essenz aus dem Osten. Sie ist noch viel ferner hergereist als Du es bist, und sehr teuer. Ein Geruch, mit dem sich die Reichen schmücken, oder auch die edlen Frauen vieler Völker. Hast Du einen Lieblingsduft?"

    Frauen waren in sehr vielen Dingen höchst komplizierte Wesen. Stratons bisherige Erfahrungen hatten ihn dies gelehrt, und die jetztige Szenerie mit einer wütend-verletzten Bridhe, die nun auch noch zu weinen begann, bestätigte ihm seinen Eindruck einmal mehr. Eine gewisse Hilflosigkeit bemächtigte sich des Griechen, denn seine letzte Tändelei mit einer Frau war eine gute Weile her - die wenigsten Frauen interessierten ihn wirklich tiefgreifend, was aber für alle Menschen galt und keine geschlechsspezifische Entwicklung war - und hatte sich in ein wenig gemeinsam genossener Leidenschaft entwickelt, aber sicher nicht in irgendwelchen Gefühlsduseleien. Ein falsches Wort, und eine Frau entwickelte sich von einem normalen, verständnisvollen, vielleicht sogar witzigen Wesen zu einer kreischenden (oder weinenden) Furie. Bridhe schien da keine Ausnahme zu bilden, in der Art, wie sie Straton gerade ihre Wut verbal um die Ohren schlug. Er hörte ihre Worte an, doch seine Miene veränderte sich nicht wesentlich.


    "Denken nicht überall auf der Welt die Menschen zumeist an ihr persönliches Wohl?" wandte er schließlich doch ein und trat dann an ihre Seite, in den Tiefen seines Tunicagürtels nach dem Beutel wühlend, in dem er seine persönlichen Dinge aufbewahrte - und förderte schließlich ein sauberes Tuch zutage, das er meist benutzte, um Becher oder Teller auszuwischen, wenn er irgendwo auswärts aß - es war frisch gewaschen und sonderte denselben Geruch nach Sandelholz ab, der auch den Griechen umgab. Dann - mit einem vagen inneren Seufzen - zog er sie sanft an den Oberarmen zu sich, reichte ihr sein Tuch und bot ihr seine Schulter stumm an, um Halt zu finden.

    Keuchend hatte Straton schließlich auch noch dieses Gebäude gefunden, die curia der palatinischen Salier. Bei der nächsten verdammten Wahl würde er sich vor dieser Aufgabe drücken, soviel war sicher! Oder jemanden mitnehmen, der ihm den vermaledeiten Farbeimer schleppen würde. Zumindest hier war die Schrift nicht so gestochen scharf wie an den anderen Wänden, und insgeheim sehnte sich der Sklave auch nach einem großen Krug Wein.


    EIN KLVGER MANN FVEHRT DIESES HAVS
    SO FVELLT ER AVCH EIN AMT BALD AVS
    ALS VIGINTIVIR IST ER EIN MVSS
    WAEHLT C' FLAVIVS AQVILIVS!

    Diese übervolle Wand war wirklich schwierig. Aber für einen Griechen gab es keine Herausforderung, die er nicht annehmen würde, ohne eine Idee für eine Lösung zu haben: Kurzerhand hatte er ein Bündel Papyrus organisiert, aus Mehl und Wasser ein Leimgemisch fabriziert und die Papyri einfach an die Wand geklatscht, dort, wo ohnehin schon eine Menge Gekritzel daraufgeschmiert war, das man nicht mehr lesen konnte. Nach der Wahl würde er die Zettel wieder abziehen und keiner konnte sich beschweren.


    ERWEIST DEN GOETTERN RESPEKT MIT VERSTAND
    VND GLAVBT DEN WORTEN VON DIESER WAND:
    FVER DAS AMT DES VIGINTIVIR IST ER DAS MVSS
    WAEHLT C' FLAVIVS AQVILIVS!

    Ein weiteres Haus trug diese grausige Handschrift. Man sollte dem Germanicus wirklich einmal empfehlen, einen Klienten loszuschicken, der keine Sauklaue hat, überlegte der pingelige Grieche und betrachtete missfällig die Farbklekse auf dem Boden, die von der anderen Aufschrift übrig geblieben waren. Und es sieht so unordentlich aus! Mit einem eleganten, aber nicht farbverschwendenden Pinselschwung klatschte der Grieche schließlich sein Sprüchlein daneben, ein bisschen größer, ein bisschen sauberer. Wahrscheinlich hätte er ausser seiner Handschrift wohl jede als hässlich empfunden.


    IM ZEICHEN DES MARS DIENTE ER DEM STAAT
    NVN SCHAVT, WAS ER ALS VIGINTIVIR
    NOCH ZV BIETEN HAT!
    WAEHLT C' FLAVIVS AQVILIVS!

    Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete der Grieche das Werk eines anderen Wahlwerbungsschreiber und schüttelte den Kopf. Wirklich nicht schön, die Schrift. Er konnte das wahrlich besser. Zumindest würde er nicht so viele Farbklekse auf dem Boden hinterlassen! Wenig später hinterließ Straton folgende Aufschrift auf der Mauer, die ein bisschen sauberer und ordentlicher aussah als die andere:


    IM GEISTE KLAR, IM HERZEN REIN
    LASS DEINE WAHL DIE
    DES C' FLAVIVS AQVILIVS SEIN!

    Als die Patroullie an einer etwas breiteren Fläche vorbeiging, die an vielen Stellen schon mit anständigen und unanständigen Bildern vollgekritzelt war, fiel dem einen oder anderen vielleicht auch die recht sauber und ordentlich gepinselte Schrift ins Auge, welche folgendes zu lesen preisgab:


    MIT IHM ALS VIGINTIVIR KEIN VERDRVSS
    WAEHLT C' FLAVIVS AQVILIVS!

    Autsch. Ihre Reaktion bewies, dass sie sich anscheinend Hoffnungen gemacht hatte, es würde bald vorbei sein. Hoffnungen, es wäre ein Traum, der schnell vorüber ging. Innerlich seufzte der Grieche leise, denn das war nun die Art von Situation, die er gerne vermied. Gefühle machten alles nur komplizierter, und junge Frauen verfügten im Allgemeinen über so viel Gefühl, dass es einfach nur noch ein riesiges Wirrwar wurde, wenn man nicht sehr genau aufpasste. Für einen Moment lang fühlte sich Straton alt, alt in einem Sinn, den er lange nicht gespürt hatte. Wie es wohl sein mochte, frei aufzuwachsen? Weniger sicher? Aufregender? Oder geprägt von Sorgen, die man selbst oft genug nicht lösen konnte? Er wusste es nicht, und die Chance, es zu erfahren, hatte er niemals erhalten.
    "Bridhe," sagte er und stemmte den Arm in seine Seite, ihr nachblickend. "Was hast Du geglaubt, würde es bedeuten, Sklave zu sein? Ein spannender Ausflug für ein paar Wochen, den man dann mit einem großen Fest und der Freilassung beendet? So einfach ist es leider nicht, auch wenn ich Dir gerne etwas angenehmeres gesagt hätte."


    Er seufzte dann doch und blieb bei ihr stehen, berührte sie aber nicht. "Du bist nicht alleine hier, Bridhe. Wenn auch alles zu Scherben gehen mag, Du bist nicht alleine. Und wenn es das einzige ist, woran Du Dich halten wirst: Es gibt immer Menschen, die wissen, wie es für Dich ist, weil es für sie genauso ist. Die verstehen. Und die Dir helfen werden, damit zurecht zu kommen. Wenn Du Hilfe brauchst, Bridhe, kannst Du ... auch zu mir kommen." Eigentlich hatte er das nicht sagen wollen. Aber auch Straton war kein Mensch ohne Gefühl, selbst wenn er es vorzog, die emotio der ratio zu unterwerfen. Das stille Leid der Sklavin hätte jedoch wohl auch noch eine Statue gerührt.

    Etwas zweifelnd hatte Straton den Worten seines Herrn (und alten Freundes) gelauscht, die Stirn vage gerunzelt. Verliebt klang er nicht wirklich, also hatte sich an dem, was er ihm einmal geschrieben hatte, nichts geändert - dass er jemanden liebte, den er nicht bekommen konnte. Das Gespräch mit Bridhe kam ihm wieder in den Sinn: So viel Prunk zu haben als Ausgleich für eine unglückliche Kindheit? Wohl war der Prunk nicht einmal ausreichend, die Tatsache auszugleichen, dass man niemals bekommen würde, was man sich ersehnte. Gefühle waren ohnehin nicht rational, und auch wenn er fand, sein Herr maß dem zuviel Bedeutung bei, konnte er doch eine gewisse Neugierde und Anteilnahme nicht unterdrücken. Wärme suchte er bei der Aurelierin, Lebensfreude. Hast Du davon so wenig, Aquilius? Aber diese Frage stellte er wohlweislich nicht laut. Und er hütete sich auch, das Thema nun weiter zu vertiefen, diesen bestimmenden Ton kannte er schon von Aquilius' Vater, und er bedeutete stets, vorsichtig werden zu müssen.


    "Das ist jetzt nicht Dein Ernst, oder?" Entgeistert starrte Straton auf den Fabrkübel und den Pinsel. Dass sein Herr sich auf ein Amt bewarb, wusste er ja, und auch, dass man irgendwann würde Werbung machen müssen - aber dass er in das zweifelhafte Vergnügen kommen würde, der Dumme zu sein, der die Sprüch an die Wand pinseln musste - und sich womöglich auch noch vollkleckern würde - war für den reinlichen Griechen die reinste Horrorvorstellung. "Ich kann doch überhaupt nicht dichten. Und diese Sprüche von wegen 'Blabla sagt, wählt diesen und jenen' sind doch absolut aus der Mode." Das KONNTE er nicht ernst meinen, oder doch? Die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengezogen, sah er seinen Herrn misstrauisch an.