An
Decima Valeria
Museion
Alexandria
Privincia Aegyptus
Ein kühler, winterlicher Hauch ist's, der die sommerliche Wärme Alexandrias durchteilen mag, getränkt vom süßen Duft der Honiggebäckstücke, gereicht zu den Saturnalia, verfeinert mit dem verlockenden Aroma des Würzweins, welcher uns in Italia die Abende zu versüßen weiss.
Wenig gibt es, das mich mehr in Erstaunen versetzt hätte als Dein Schreiben, werte Valeria, und doch siehst Du mich als einen glücklichen Empfänger Deiner Worte, die mir eine Ferne verheißen, gegen die mir vieles in Roma schal und leer erscheint. Sandelholz und Orangenduft liegt mir tatsächlich in der Nase, fast scheint es mir, als sei Dein papyrus ein wenig noch davon getränkt, um mir die Worte aus der Ferne ungleich köstlicher zu machen, welche mein sehnsuchtsvolles Auge ob Deiner Zeilen lesen durfte. Ich hoffe, Du hast die ersten Tage und Wochen genossen, die Du in Alexandria verbracht hast, fern der Deinen, und auch fern jener Pflichten, die, wie wir beide wissen, bisweilen beschwerlich und voller Sorgen sein können. Gerade der Lebensweg eines Priesters entbehrt viel des Dankes und des Ruhmes, den man an anderer Stelle mit Leichtigkeit ernten könnte, doch sollte es niemals daran hindern, das zu tun, wonach es einem verlangt, solange man dabei nicht vollends unglücklich wird.
Einerseits ist es sehr schade, Dich als geschätzte Kollegin verloren zu haben, schienst Du mir doch im Geiste Iunos vieles bewirken zu können, andererseits kann ich sehr wohl nachempfinden, wie schmerzlich es sein muss, auf Dauer keinerlei Anerkennung für geleistete Dienste zu erhalten, nur Missgunst und Worte, die Dich lieber an den heimischen Herd verbannen wollen.
Wenn Dich Deine Entscheidung zufriedener gemacht hat, so war es gewiss die richtige, auch wenn sie Dir sicherlich nicht leicht gefallen ist, wie alle Entscheidungen, denen es vergönnt ist, die Weichen des Lebens neu zu stellen. Aber ausgerechnet Alexandria! Hätte es nicht Athen sein können, welches man auf einer Reise bedeutend leichter erreichen kann? So wird wohl unser Gespräch in geschriebenen Worten fortgesetzt sein müssen, und ich muss den Anblick Deines Lächelns eine Weile missen, bis uns die Wege des Schicksals erneut zusammenführen. Scheue Dich nicht, mir ein wenig mehr von Deinem täglichen Leben zu berichten, es wird etwas Licht in mein derzeit sehr durchwachsenes Dasein bringen.
Du irrst nicht, ich habe tatsächlich kandidiert, nachdem der Kaiser mir die Gunst gewährt hat, mich in den ordo senatorius zu erheben, und die Senatoren schlossen sich ganz offensichtlich der Meinung des imperators an und bestätigten meine Wahl durch eine große Mehrheit der Stimmen, auf die ich, wie ich schamvoll zugeben muss, durchaus stolz bin. Nun habe ich mein eigenes officium in der Basilica Ulpia, und durchstreife die Straßen Roms per pedes als tresvir capitalis, stets begleitet von meinem Neffen Flavius Lucanus, der als mein scriba personalis die nötige Erfahrung für eine eigene Kandidatur in angemessener Zeit sammeln soll.
Du willst sicher wissen, ob ich schon einen haarsträubenden Kriminalfall bearbeitet habe, doch leider sieht der Alltag eines tresvir capitalis deutlich nüchterner und weniger glanzvoll aus - meine größte Tat war es bisher, einen jungen Mann vor seiner künftigen Schwiegermutter zu retten, die den Urtypus einer erschreckenden matrona darstellte, jene Art von Frau, die es einem Manne innerhalb kürzester Zeit verleiden kann, überhaupt an eine Ehe zu denken. Ansonsten könnte ich nur das heldenhafte Erklimmen eines gar fürchterlichen Aktenberges berichten, ich schätze, es wird noch einiges an Zeit ins Land gehen, bevor ich Dir spannenderes schreiben kann als die Bewältigung alltäglicher Aufgaben. Erzähle mir, was Du als Iatros erlebst, Valeria, und ich will Dir im Austausch meine spannendsten Erlebnisse auf der Flucht vor matronae, die mich an Breite und Körpergewicht ungefähr um das Doppelte übertreffen, nicht vorenthalten. Ansonsten geht in Rom alles seinen gewohnten Gang, wenngleich ich fürchte, dass die Götter uns derzeit zürnen, die vielen Anschläge und jener blutige Selbstmord auf den Stufen des Senatsgebäudes müssen ihre Spuren hinterlassen haben. Doch dazu mehr, wenn der Ausgang des Sühneopfers feststeht - man sollte das Unglück nicht dadurch beschwören, dass man es mit zuvielen Worten an die Welt der Lebenden bindet.
Es gibt Abende, an denen ich ebenfalls den flackernden Lichtschein betrachte, den mir eine Öllampe spendet, und die Gedanken wandern lasse, und sei Dir gewiss, die Erinnerung an einen sonnigen Tag, die Du ebenso teilst, gehört ebenso zu den Dingen, über die ich sinniere, wie auch jene Worte, die wir wechselten. Ich kann Dir nicht sagen, was geschehen wäre, wärst Du weniger tugendsam gewesen und hättest Du meinem Angebot nachgegeben, aber eines weiss ich gewiss: Ich hätte es sicherlich ebensowenig vergessen können unser harmloses Gespäch an einem Brunnen. Wenige Menschen bleiben einem im Strom des Alltags überhaupt im Gedächtnis, und noch weniger bleiben einem angenehm in Erinnerung. Allerdings wage ich zu behaupten, dass Du weit weniger Gelegenheit gehabt hättest, über flackernde Kerzen zu sinnieren, da Du sicherlich keineswegs dazu gekommen wärst, überhaupt viel nachzudenken, das liegt in der Natur der Sache, wenn man ein wenig Vergnügen miteinander teilt (oder sollte es zumindest!). Mögen Deine Nächte, wenn Dich dieser Brief erreicht, weniger einsam sein, und die Männer in Alexandria weder blind noch dumm (denn nur ein Blinder und Dummer könnte übersehen, was er mit Dir vor sich hat) - ich werde sicherlich auch weiterhin meine Gedanken in die Ferne senden und mir überlegen, wie es Dir wohl gerade ergehen mag.
Doch nun muss ich leider, ob der lästigen Pflicht wegen, für den heutigen Tag schließen und hoffe, dass Dich dieser Brief bei guter Gesundheit und noch besserer Laune erreicht. Nutze die Tage der Sonne, und bewahre sie in Deinem Lächeln - es schließt mit den besten Segenswünschen
Aquilius