Beiträge von Straton

    Der Grieche hatte den wechselseitigen Worterguss der drei Parteien recht unbewegt verfolgt - und war dann innerlich erleichtert, dass es anscheinend glimpflich abgelaufen war. Bei einem Flavier konnte man nie so genau wissen, was aus den einfachsten Dingen werden würde - er hatte einfach schon zu viele Katastrophen erlebt, um zu blauäugig auf das Beste zu hoffen.
    "Natürlich, ich werde den dominus gleich in Kenntnis setzen." Der junge Flavier hatte also anscheinend nicht einmal einen Leibsklaven dabei, was Straton angesichts der doch recht offenkundigen Verpeiltheit des jungen Mannes nicht wirklich erstaunte. Mit einem letzten Blick auf das widerliche Matschpamps, das hier als puls durchgehen sollte, nickte er auch Severus und Bridhe zu. "Wir sehen uns sicher noch, ihr beiden." Dann wandte sich Straton aus der culina heraus und war froh, dieses Sammelsurium an schmierigem Fett und Dreck hinter sich lassen zu können. Hier würde er garantiert nicht essen, ohne sich übergeben zu müssen!

    "Komm, ich zeige es Dir," sagte Straton schlicht und trat zurück ins Arbeitszimmer, um sich am Schreibtisch niederzulassen. Er notierte die derzeit eingestellte Zahl auf den Rand eines Papyrusblatts, das ohnehin schon ziemlich verschmiert war, und schob dann die Kugeln in den Rillen wieder an den richtigen Ausgangsort.
    "Im Grunde ist es gar nicht so schwer, Du musst Dir nur merken, welche Einstellung dieser Holzkugeln für welche Zahl steht. Wenn Du also diese Kombination einstellst -" Stratons Finger schoben zwei Kugeln in den Rillen umher. "- symbolisiert dies die Zahl neun. So viele Finger, wie deine beiden Hände haben, minus einen. Möchte ich zu dieser Zahl noch etwas hinzufügen, sagen wir eine drei -" damit hob er drei Finger, "- fügt man den Kugeln für die neun noch das Symbol für die drei hinzu und hat am Ende das Ergebnis, das man haben möchte - zwölf. Nach diesem Prinzip kannst Du mit Zahlen arbeiten, die so groß sind, dass man sie nicht im Kopf behalten kann - solange Du Dir nur merkst, welche Kugeln an welchem Ort für welche Zahlen stehen. Mit einiger Übung wird man darin so schnell,. dass man nicht mehr erst überlegen muss, welche Kugeln wofür stehen, sondern dass man die Zahl, die man eingestellt hat, sofort sieht."


    So, wie sie nun neben ihm stand, konnte er ihren Geruch einatmen - und sie wohl den seinen, der eine vage Andeutung einer hebren Sandelholznote beinhaltete. Es war für einen Augenblick der Hauch einer seltsamen Intimität vorhanden, die ihn in seiner Erklärung innehalten ließ, dann jedoch straffte er seine Gestalt wieder und blickte sie aus fast unbewegter Miene an. "Im Grunde kann das jeder lernen, der sich ein bisschen darin übt, sich Dinge zu merken. Wenn Du willst, bringe ich es Dir bei - es ist ziemlich nützlich, wenn man nicht von jedem Händler übers Ohr gehauen werden will."

    "Wir haben etwas gemeinsam?" wiederholte Straton mit einem vagen Klang des Zweifels in seinen Worten. Mit dieser Frau hatte er seiner Ansicht nach nur so viel gemeinsam, dass sie anscheinend beide demselben Herrn gehörten und beide dunkles Haar hatten. Nein, der Gedanke war schon fast lächerlich, und so trat er etwas beiseite, um auf den Abakus zu zeigen. Die Blöße, sie direkt nach der gemeinten Gemeinsamkeit zu fragen, wollte er sich vorerst nicht geben.
    "Das ist ein Abakus, er erleichtert einem das Rechnen größerer Zahlenbeträge," damit deutete er auf die einzelnen Holzperlen. "Was Du da wohl gehört hast, war, dass ich diesen Abakus benutzt habe. Er dient letztendlich als Gedankenstütze, denn je größer die Zahlen werden, mit denen man arbeitet, desto eher macht man einen Fehler, wenn man sich nicht ein bisschen hilft. Und gerade, wenn es um alle Rechnungen der letzten Zeit geht, um zu sehen, wieviel Geld der Herr eingenommen hat und wieviel ausgegeben, ist es wichtig, keine Fehler zu machen." Und da wartete noch ein ganzer Berg Arbeit. Straton mochte Zahlen. Aber am liebsten mochte er Zahlen, die ordentlich waren, nicht dieses Zahlenchaos des Aquilius.

    Der Blick des Griechen glitt durch das halb aufgeräumte cubiculum, dann schüttelte er leicht den Kopf. Wie so oft hatte Aquilius ein wahres Schlachtfeld an wild durcheinander liegender Kleidung hinterlassen, und eigentlich juckte es Straton sogleich in den Fingern, das Chaos schnellstmöglich zu beseitigen - wie immer, wenn er die wüste Nichtordnung seines Herrn sah. Es war schon kein angenehmer Gedanke mehr, dieser Zwang zum Ordnungmachen, und gerade hinter Aquilius konnte man andauernd herräumen, wenn er einen schlechten Tag hatte.


    "Du weisst schon, dass Flavius Aquilius unangenehm werden kann, wenn er Dich in seinem cubiculum erwischt und er Dich nicht dorthin befohlen hat, oder?" Wahrscheinlich gehörte sie zu den Sklaven, die hier im Haushalt aufräumten, so musste es sein - und wenn, dann hatte sie hier wirklich noch einiges an Abreit vor sich. Auf ihre Frage hin deutete er lässig mit dem Daumen hinter sich Richtung Arbeitszimmertür. "Ich prüfe die Bücher meines Herrn. Dafür hat er mich schließlich herbestellt, dass ich ihm in Zukunft seinen Haushalt organisiere. Wohl wegen der Hochzeit, die bevorsteht." Durch die geöffnete Türe war der Abakus noch recht gut zu sehen, und auch die inzwischen zum Teil geordneten und entknitterten Rechnungen, die sich angehäuft hatten. "Wem gehörst Du eigentlich?"

    Von der villa her kommend, wo Straton den Besucher samt seines begleitenden Sklaven aufgelesen hatte, ging der Grieche dem Aurelius Corvinus in großen, aber nicht zu schnellen Schritten voran. Der begleitende Sklave war elegant in Richtung der culina umdirigiert worden, denn für die meisten Gespräche brauchte ein Patrizier seine Begleitung nicht, aufgrund der Statur war ohnehin zu vermuten, dass der Sklave eher dem Schutz des Besuchers gedient hatte denn anderen Zwecken. Am ersten Ausläufer des Gartens, eines schön anzusehenden Zierbrunnens, umgeben von Rosenrabatten, die einen verlockenden Duft verströmten, hielt der Grieche inne.


    "Ich habe den dominus vorhin in den Garten gehen sehen, aber wo genau er sich befindet, kann ich Dir leider nicht sagen. Ich kann Dich natürlich noch hindurch führen, wenn Du es wünscht, doch besteht auch die Möglichkeit, einfach dem Weg zu folgen, der durch sämtliche Gartenbereiche führt - Du kannst ihn so im Grunde kaum verfehlen." Er überließ dem Patrizier die Entscheidung, und blieb abwartend stehen, den Aurelier dabei unauffällig musternd, sowohl die stattliche Gestalt, als auch das helle Haar.

    Straton sah den mißliebigen ianitor einen Moment lang an - bevor er nickte und sich den Abakus unter den Arm klemmte. Aus irgendeinem Grund war sein Herr heute zuhause geblieben und verweigerte jedes Gespräch - aber wie es Stratons Art war, hatte er ihn nur im Blick behalten, ihn nicht bedrängt. "Natürlich," sagte er schließlich und neigte den Kopf höflich in Richtung des Aurelius Corvinus. "Wenn Du mir bitte folgen würdest, der dominus befindet sich im Garten."

    Mathematik hatte dem eigentlichen Leben gegenüber einen entscheidenden Vorteil - die Probleme, die einem begegneten, waren lösbar, und man musste zwar bisweilen kreativ sein, aber dafür blieben gelöste Probleme in der Regel auch gelöst. Probleme des wirklichen Lebens hatten die unangenehme Eigenschaft, sich nach einer Weile zurück zu entwickeln und wieder Probleme zu machen. Etwas, was den empfindlichen Ordnungssinn des Griechen ziemlich störte. Was seinen Sinn für Ordnung ebenfalls zu stören vermochte, waren die Rechnungen seines Herrn. Wie konnte man nur eine so katastrophale Buchführung zusammenwirtschaften? Sicher, es war nie Aquilius' Art gewesen, sich mit Rechendetails auseinanderzusetzen, er hatte eher die schöngeistige Art seiner Mutter geerbt, aber so wenig Talent konnte doch eigentlich kein Mensch für Zahlen haben. Stöhnend legte Straton eine Rechnung beiseite, die so mit Nebenrechnungen verschmiert war, dass man die eigentlichen Ziffern nicht mehr lesen konnte. Es war nicht die erste in diesem Zustand.


    Dann allerdings hielt er inne. Hatte er nicht etwas gehört? Ach was, sagte sich Straton, du musst dich getäuscht haben. Um diese Zeit war Aquilius längst aus dem Haus, und ansonsten war ja niemand anwesend. Wieder vertiefte er sich in die nächste Rechnung und war gerade dabei, einem Fehlbetrag nachzuforschen, als er aus dem Nebenraum wieder etwas hörte. Waren das Schritte gewesen? Nein, so laut ging doch niemand. Es hatte sich eher angehört, als hätte jemand etwas abgestellt. Hm. Langsam stellte er den Abakus ab und erhob sich so lautlos wie möglich aus dem Stuhl am Schreibtisch, um zur Tür zu schleichen. Es waren doch hoffentlich jetzt nicht irgendwelche anderen Sklaven im Bett seines Herrn zugange, während er nicht im Haus war? Es passierte viel, wenn die Herrschaft gerade nicht so genau hinsehen konnte, und überrascht hätte es den Griechen nicht. So riss er mit einem Mal die Tür in seine Richtung auf und spähte forschend in den Nebenraum - nur um dort jemanden zu entdecken, den er schon kannte.
    "Bridhe? Was machst Du denn hier?"

    Seit sein Herr ihn aus Hispania zurückgerufen hatte, hatte sich Straton Gedanken darüber gemacht, warum es ausgerechnet jetzt erfolgte. Seine Mutter war krank und würde bald über den Styx segeln, und eigentlich hatte Aquilius von diesem Umstand gewusst - dass er ihn nun doch gerufen hatte, war eine Unbekannte in dieser großen Rechnung voller Variablen. Der Haushalt der villa Flavia Felix war zwar groß, aber durch die verschiedenen Haushaltsmitglieder doch in kleinere Teile unterteilt, es konnte kaum sein, dass es so vieles zu verwalten gab, dass seine Rechenkünste gebraucht würden. Wie so oft hatte Straton auf seine Fragen keine wirkliche Antwort erhalten, in dieser Disziplin - ausweichende Antworten - war Aquilius ebenso gut wie die anderen Flavier. Und so hatte der Grieche die morgendliche Stunde genutzt, und sich ins Arbeitszimmer seines Herrn begeben, um sich an die Buchführung des Aquilius zu machen, jetzt schon insgeheim davor schaudernd.


    Es gab Menschen, die Ordnung deswegen hielten, weil sie ihnen unerlässlich schien, um Klarheit über die Geschäfte zu haben, die sie tätigten. Es gab Menschen, die Ordnung hielten, weil ihnen Ordnung an sich gefiel - zu diesen Menschen zählte Straton - und es gab Menschen, die überhaupt keine Ordnung hielten, und leider zählte Flavius Aquilius zu eben jenen. Rechnungen hatte er früher schon überall dort deponiert, wo gerade Platz gewesen war, in Blumentöpfen, in Kachelritzen oder einfach irgendwo in die Ecke geknüllt, und das hatte der bisherigen Buchführung nicht unbedingt gut getan. Es herrschre einfach zu wenig Klarheit darüber, wieviel Geld sich in Aquilius' Haushalt wirklich bewegte, und zumindest Straton hatte bisweilen den Eindruck gewonnen, es war genauso schnell wieder weg, wie es hereingekommen war. Wenigstens hatte sein Herr ein festes Einkommen durch seinen Landbesitz.


    Gemächlich nahm Straton am Schreibtisch Platz und zog sich den Kasten mit Schriftrollen heran, in dem die wüsteste Unordnung herrschte - erfahrungsgemäß war auch dies der Ort, an dem die meisten verborgenen Ausgaben lauerten. Seufzend griff der Grieche nach seinem Abakus und begann, die ersten Aufstellungen nachzuzählen und nachzurechnen - eine ganze Weile lang konnte man nur das Klackern der Holzperlen hören, während Straton angestrengt rechnete. Dass sich im Nebenraum - dem cubiculum - jemand befand und ihn hören könnte, kam ihm erst gar nicht in den Sinn, im Augenblick war er zu sehr mit der chaotischen Buchführung seines Herrn beschäftigt.


    Sim-Off:

    Reserviert :)

    Nachdem der Brief am Morgen eingetroffen war, legte Straton diesen für seinen Herrn auf dessen Schreibtisch, auf dass er diese wichtige Post nicht übersehen würde.



    M. AELIUS CALLIDUS PROCURATOR A LIBELLIS PALATII
    SACERDOTI PUBLICO C. FLAVIO AQUILIO


    Du wirst hiermit, Caius Flavius Aquilius, auf das palatium gebeten. Lass dich dort beim procurator a libellis melden.


    --- PROCURATOR A LIBELLIS ---
    ADMINISTRATIO IMPERATORIS


    [Blockierte Grafik: http://pages.imperiumromanum.net/wiki/images/5/5d/Siegel_Administratio_Impera.gif]


    Er war also Flavius Gracchus, Straton hatte sich nicht in seinem Gegenüber getäuscht. Denn eine Lüge wäre wohl schnell herausgekommen, und die wenigsten Römer waren dumm genug, sich die Insignien eines Senators anzulegen. Wahrscheinlich in einer kontemplativen Laune, auf ein Gespräch schien der Flavier jedenfalls nicht aus zu sein, überlegte der Grieche, während sich aus den Tatsachen, die er als bekannt nun einordnen konnte, ein ganzer Schwarm kaleidoskopartig auf ihn hereinbrechender Vermutungen ersann. Intensiv war der Blick des Senators, forschend sogar, wenn er sich nicht irrte, und aus irgendeinem Grund fiel es Straton schwer, diesem Blick auszuweichen. Normalerweise ließ er sich von Menschen weniger beeindrucken, es war leichter, sie nur zu beobachten, denn wirklichen Kontakt zu pflegen, der über Nichtigkeiten hinausging. Er sehnte sich nicht nach Nähe irgendeiner Art, weil er festgestellt hatte, dass sie einen zumeist nur verwirrte, die Klarheit der Gedanken zerstörte.


    "Mein Herr ist Caius Flavius Aquilius, dominus. Er hat mich von seinem Anwesen in Hispania hierher gerufen, um in Zukunft seinen Haushalt zu führen," antwortete Straton höflich. Auch das gehörte zu den Dingen, denen sich kein Sklave entziehen durfte - die Frage nach seinem Besitzer war stets zu beantworten. Still glitt der Blick des Griechen über das ebenmäßige Gesicht des Flaviers, über die aufrechte, gestraffte Gestalt, die sich unter seiner tunica und der toga dennoch abzuzeichnen wusste. Die lautlose Neugierde, die sich mit in die Beobachtungen einschlißch, unterdrückte er noch, denn sie stand ihm nicht zu, zumindest nicht auf eine direkte Art und Weise. Noch konnte er auch sein Gegenüber nicht einordnen, seine Launen nicht, seine Handlungen nicht, diese Variable war für sichere Vorausberechnungen einfach noch nicht bekannt genug. Die Blicke der beiden Männer begegneten sich weiter, ohne dass sich Straton abgewandt hätte, Furcht empfand er nicht, vertraute er doch meist auf seine Erfahrung, sich aus Probleme herausreden zu können - mit den Jahren als Sklave lernte man dergleichen, wenn man überleben wollte. Sein Körper drehte sich indes gen Gracchus, als dieser näher trat, straffte sich desgleichen, als ob er etwas erwarten würde ... nur was?

    "Entschuldige, dominus, aber wieso lässt Du dies nicht Deine Mutter selbst entscheiden?" Ruhig war die Stimme des Griechen zu hören, der den Vorschlag in den Raum geworfen hatte, die Stille durchschneidend wie ein Messer eine reife Frucht durchtrennte. "Sie ist es, deren Ehre verletzt wurde, und wenn Du nicht entscheiden möchtest, wäre vielleicht ein Opfer vor dem Familienaltar angebracht, bei dem ihr Ahnengeist um Rat gefragt wird."
    Jedes römische Haus hatte einen Hausaltar, und besonders alte Familien brüsteten sich damit, die Ahnenmasken aller Verwandten im Schrein aufzubewahren - so auch die Flavier. Wie auch sein eigenes Volk waren die Römer mit ihren Göttern stark verbunden, ebenso mit ihren Ahnen, und vielleicht war dies der Ausweg, der dem jungen Mann gestatten würde, sein Gesicht zu wahren - und Severus, seine Haut zu retten. "Mein Herr ist Priester, vielleicht würde er Dir bei dieser Angelegenheit auch zur Seite stehen, wenn Du ihn danach fragst."

    Straton blieb ruhig, denn es war das Einzige, das Beste, was in dieser Situation zu tun war. Wenn Rutger reagierte, in irgendeiner Form die Hand gegen den Flavier erhob, konnte er damit rechnen, den Tag nicht zu überleben, und die meisten Germanen waren unbeherrscht. Jedenfalls jene, die er als Sklave bisher kennengelernt hatte. Es durfte nicht noch mehr Öl ins Feuer gegossen werden.
    "Dominus, wenn Du möchtest, führe ich Dich zu Deinem cubiculum, ich bin mir sicher, er hat mit keinem Wort die Ehre Deiner Mutter angreifen wollen, indes, die Unwissenheit führt die Zunge oft in die falsche Richtung." Keine Ahnung, wo es war, aber Villen unterschieden sich nicht grundlegend, er würde es finden.


    Nicht wahr?! Sein Blick ging zu Severus, eindeutig scharf nun. Entschuldige Dich, Idiot, wenn Du leben willst! lag in diesem Blick, denn anders würde sich diese Sache nicht mehr hinbiegen lassen. Die meisten Flavier waren enorm nachtragend und vergaßen Beleidigungen niemals, selbst wenn sie ungewollt ausgesprochen worden waren. "Die ehrenwerte Fosila Milonia war eine gerechte und anständige Frau, die das Andenken ihres Gemahls sehr hochgehalten hat, nur wer sie nicht kannte, kann irrtümlich so etwas vermuten." Beruhigend sprach er, als müsse er ein Pferd bändigen, das kurz davor war, durchzudrehen. Das flavische Blut - immer hatte es etwas Unstetes besessen, etwas wildes, nahe am Wahn - aber auch das gehörte zu den Eigenschaften eines guten Sklaven, die Herren vor sich selbst zu beschützen ...

    Er hatte doch recht gehabt. Ein Flavier. Der Hinweis, warum er dies sicher sagen konnte, war schnell gekommen, schneller, als Straton es gedacht hatte - und 'Luca' hatte ihn selbst gegeben. Eine Spionageaktion war es wohl nicht, eher ein weiterer Beweis für die bisweilen ausgesprochen exzentrischen Handlungen der Flavier, man war es ja gewöhnt. "Natürlich kenne ich Flavius Furianus. Der senator weilt derzeit in der villa Flavia, es geht wohl kein Weg daran vorbei, ihn kennenzulernen, wenn er dort wohnt. Und ein Bastard ist er nicht, sondern ein Mitglied der gens Flavia," sagte Straton in 'Luca's Richtung mit einem leichten, vagen Heben der Mundwinkel. "Ich denke, Du bist Cnaeus Flavius Lucanus, Sohn des längst verstorbenen Gaius Flavius Maximus, und Sohn der jüngst verstorbenen Foslia Milonia. Die Familienähnlichkeit ist unverkennbar, der hispanische Zweig hat seine Merkmale stets recht deutlich vererbt."


    Er blickte sich kurz um, und die letzten der eiligen Mittag-puls-herunterschlinger waren recht eilig verschwunden, als sie gemerkt hatten, dass sich jemand hier befand, der eventuell zur gens Flavia gehören konnte. Die Familie war nicht umsonst für ihre Unberechenbarkeit bekannt, am einen Tag schien die Sonne, am anderen konnte es ordentlich krachen. "Dominus, dies ist nicht der richtige Ort für Dich - und dieses Essen ist sicher auch nicht für Dich gedacht gewesen. Möchtest Du etwas zum nachspülen haben?" Sicher war sicher, gutes Wetter war schnell gemacht und vor allem kostete es ihn wenig. Gleich am ersten Tag hier musste es ja nicht unbedingt irgendwelchen Ärger geben.

    Herrjeh, dachte Straton. Was gab es in diesem Haushalt nur für Sklaven? Neben einer hübschen Frau aus den Nordlanden nun auch noch ein schrankbreiter Kerl mit dem Aussehen und Auftreten eines mühsam gezähmten Barbaren. Germane wahrscheinlich, Chatte vielleicht, oder Cherusker, schloss er aus dem Akzent des Mannes und nickte ihm grüßend zu. "Salve, Severus. Ich bin Straton - und nicht aus Baiae, sondern aus Tarraco, der dortigen villa Flavia stammend." Wahrscheinlich wieder einer dieser Wilden, die sie im Feldzug gefangen genommen hatten und dann als Sklaven auf den Markt geworfen. Nordländer eigneten sich wenig für die Sklavenschaft, die Erfahrung hatte er bisher jedenfalls gemacht, sie waren zu aufsässig, zu sehr von sich und ihrer Wichtigkeit überzeugt. Wenigstens hatte man ihm einen römischen Namen gegeben, diese Nordländernamen, besonders die der Männer, waren zumeist unaussprechbar, wenn man Latein gewöhnt war.


    "Du hast dieses Zeug da eben auch gegessen?" Damit deutete Straton in die vage Richtung des Kessels, in dem sich noch ein Rest Mittag-puls befand. "Was muss man vorher trinken, um das herunter zu bekommen? Es sieht hier wirklich furchtbar aus." Wieder blickte er sich um, und schüttelte dann den Kopf. "Das muss sich hier dringend ändern, das sind Zustände wie in Parthia oder Syria." Kurz schmunzelte der Achaier dünn, bevor sich sein Blick wieder auf Severus und Bridhe richtete - anscheinend ein Paar, so besitzergreifend wie er sich benahm, anscheinend noch nicht allzu lange zusammen. Nun, das würde heiter werden, Paare unter Sklaven bedeuteten früher oder später immer Probleme.

    Straton konnte sich nicht so recht Reim auf diesen seltsamen Kerl machen, dessen Gesicht ihn an die Flavier erinnerte, dessen Auftreten aber - wenn er wirklich ein Flavier war - gegenüber einem Sklaven eindeutig zu ehrerbietig war. Die meisten Römer behandelten Sklaven nicht besonders aufmerksam, einige wenige behandelten sie wie Dreck, und ab und an traf man auch einen, der bereit war, in einem Sklaven den Menschen zu sehen - in sofern hatte er wohl mit seinem Herrn ein gewisses Quentchen Glück gehabt.
    "Nein, meine Eltern waren Achaier, und ich selbst bin in Hispania aufgewachsen," erklärte Straton und wandte den Blick zu 'Luca'. "Es ist wohl von allem ein bisschen was drin. Da meine Familie der gens Flavia nun schon in der vierten Generation dient, ist es wohl nicht erstaunlich, dass ich Achaia bisher nur einmal gesehen habe und wenig damit verbinde."


    Wenn 'Luca' ein Flavier war, was machte er hier, in dieser versifften, ekelhaften Umgebung, und das auch noch freiwillig? Er selbst hätte den puls nicht angerührt, den der Fremde so bereitwillig verschlungen hatte, und noch hatte er ihn nicht im hohen Bogen von sich gegeben. Seine Selbstbeherrschung schien wirklich außerordentlich zu sein. "Und, wem gehörst Du?" fragte er schließlich in Richtung Bridhe. Es war ja nicht schlecht, sich schon einmal einen groben Überblick über den flavischen Haushalt und die Besitzverhältnisse zu verschaffen. Etwas sinnierend betrachtete er 'Luca' von der Seite und überlegte, wie er weiter mit diesem seltsamen Mann umgehen sollte, der sich so eigenartig benahm. War das vielleicht ein Test der Sklaven hier im Haushalt? Exzentrisch genug für so etwas waren die Flavier allemal.

    "Er hat sehr weiche Hände für einen Mann, der hier unten isst," gab Straton leise zu bedenken, und straffte sich dann etwas, als er ihren musternden Blick bemerkte. Wohl eine rein instinktive Handlung, ihrem Ton nach zu urteilen, war sie schätzungsweise noch nicht lange Sklavin. Die wenigsten langjährigen Sklaven behielten eine so forsche Art. Sollte sie schon einmal einen Griechen gesehen haben, würde Bridhe wohl gewisse Ähnlichkeiten entdecken - er hatte eine typisch achaisch-markante Nase, das Haar war tiefschwarz und ordentlich zurückgekämmt, die Augen ebenfalls fast schwarz, so dunkel schimmerte das Braun.
    "Und das Zeug da Essen zu nennen, ist schon eine sehr, sehr gutmütige Übertreibung. Gibt es das hier immer?" Schon sein Ton verriet, wie wenig er von der Aussicht darauf begeistert war, diese unmotiviert zubereitete Pampe täglich herunterwürgen zu müssen. Straton hatte gewisse Vorstellungen, wie sein tägliches Leben abzulaufen hatte, und dazu gehörte eigentlich nicht, sich stundenlang wegen mieser Nahrung übergeben zu müssen.


    "Ich bin aus Hispania hierher angereist, wie es der Wunsch meines Herrn war - ich habe einen Teil seines Hausstands mitgebracht, wegen seiner Hochzeit. Seine Frau soll wohl nicht denken, dass er nichts besitzt oder alles in dieser Villa mehr oder weniger Gemeinschaftsbesitz ist," antwortete er ihr und die Mundwinkel hoben sich zu einer vagen Andeutung eines Schmunzelns. "Welche Aufgaben hast Du hier im Haus, Bridhe?"

    Sim-Off:

    Puh, einen Tag unterwegs und man erkennt die Gegend nicht wieder - ihr seid zu schnell für mich! :D


    Als der andere Mann den Raum betreten hatte, hatte sich auch die Stimmung gewandelt - sicherlich, er hatte eine sympathische Art, etwas, das einen an den etwas verwirrten, etwas chaotischen jüngeren Bruder oder Freund aus der Nachbarschaft denken ließ, aber für die Augen des Sklaven gab es noch etwas, das ihn deutlich vorsichtiger machte: Einen vagen Anklang an die flavische Familienähnlichkeit. Man erkannte sie immer, die Bastarde, verschollenen Verwandten, reiselustigen Onkel und verlotterten Tanten, und dieser junge Mann musste ein Flavier sein. Oder zumindest mit flavischem Erbteil gezeugt. Straton hatte der Unterhaltung gelauscht, und während er im stillen eine Wette abschloss, ob nun das Tuch um die Hüften zu Boden fallen würde oder eben nicht, blickte er sich weiter um. Der Zustand der culina war ekelerregend und er würde sicher nichts essen, was hier gekocht wurde. Selbst in Hispania ging man mit den Sklaven besser um als hier.


    "Nein, wir sind nicht gemeinsam eingetroffen," sagte der Grieche ruhig und fuhr mit einem Finger prüfend über die Oberfläche eines der seitlich aufgestellten Schränke, in denen zweifellos das billige Geschirr der culina lagerte. Ein Gemisch an siffigem Fett und Schmutz blieb an seinem Finger hängen, und das verdarb ihm den Appetit noch ein wenig mehr. Hier würde er nicht essen können, nicht freiwillig. Dass es andere offensichtlich schafften, nötigte ihm eine gewisse Bewunderung ab, aber gleichzeitig fragte er sich, ob es wirklich möglich war, dass der persönliche Geschmack eines Menschen so abstumpfen konnte. "Schön, dich kennenzulernen, Bridhe .. und auch Dich, ... Luca." Eine kurze Kunstpause vor dem Namen des Mannes mochte andeuten, dass er der Sache nicht ganz traute, und insgeheim überlegte der Grieche, zu welchem Teil der Familie er zählen mochte. Hatte er jemanden vergessen? Aber nun stand Bridhe wieder bei ihm, und so kam er dazu, die junge Frau etwas genauer anzublicken. Eine Schönheit, mit berückenden Augen ... nun, vielleicht würde man sich öfter sehen, wer wusste das schon.

    Straton hatte sich den Weg weisen lassen, aber im Grunde unterschied sich die Architektur der Villa Flavia in Rom nicht sonderlich von dem Besitz der Flavier in Hispania. Es war kühler, und er vermisste den Geruch der hispanischen Gräser, aber ansonsten blieb sich im Grunde vieles gleich. Die Intrigen würden dieselben bleiben, das Geschwätz auch, die Menschen im großen und ganzen wahrscheinlich auch, ob nun frei oder nicht frei. Menschen waren zumeist Konstanten in ihrem Verhalten, und er wusste schon zuvor, wie ihm die Mehrheit begegnen würde - mit einer gewissen Ablehnung, mit der man den meisten Angehörigen des hispanischen Haushalts anderswo gegenübertrat. Straton hatte sich daran gewöhnt, und war nun bereit, die anderen Sklaven des Haushalts kennenzulernen. Es würde ihm seine Aufgaben sicherlich erleichtern, und seine Studien desgleichen.


    "Salve miteinander," sagte er, als er um die Ecke bog und den Raum betrat, in welchem die flavischen Sklaven ihr Mittagsmahl einnahmen. Es roch weder gut noch sah es gut aus, und dies war ein Umstand, der Straton weder gefiel noch würde er ihn auf sich beruhen lassen. Ein Ort, an dem er zu speisen gedachte, sollte nicht aussehen wie eine billige Hafenspelunke. "Ich bin Straton, und neu hier," stellte er sich den Anwesenden vor. Anscheinend war er passend angekommen, so mancher war gerade hier und schlang seinen Brei eilig hinunter.

    Straton war daran gewöhnt, alles umwandern zu können, was ansatzweise flavischen Geblüts war - wie schon festgestellt, besaß er darin eine lebenslange Übung, geboren aus der harten Schule des Haushalts von Flavius Atticus. Dass ihn aber ein ganz offensichtlich der Familie angehöriger Mann noch überraschen konnte, verzeichnete der Grieche mit einigem, innerem Unbehagen. Es bedeutete, dass ihm auf der Reise wohl die Übung abhanden gekommen war, ein Umstand, der ihm nicht gefiel. Nicht zuletzt, weil Straton es nicht schätzte, überrascht zu werden. Menschen funktionierten zumeist nach sehr ähnlichen Parametern, und wenn man die meisten Variablen kannte, konnte man ihr Verhalten vorherberechnen. Im geistigen Sinne jedenfalls gesehen. Nach einer langsamen, ruhigen Bewegung - denn der Fremde sollte nicht glauben, er fühlte sich in irgendeiner Form ertappt, so etwas schadete nur dem Ruf - blickte er dem Mann entgegen, der sich ebenfalls im hortus wohl der Ruhe und der angenehmen Umgebung hingegeben haben mochte. Seine toga wies den latus clavus auf, also war er ein Senator - auch den senatorischen Ring trug er. Flavius Felix war es nicht, dafür war der Mann zu jung. Flavius Furianus weilte derzeit in Hispania, soweit war Straton ebenso informiert.


    Es musste sich also um Flavius Gracchus handeln, jenen Jugendfreund seines Herrn, den dieser nur selten erwähnte, und wenn, dann nur mit einem seltsamen Unterton - und die Familienähnlichkeit zu Flavius Vespasianus war in jedem Fall vorhanden. Die Flavier waren eine große Familie, aber einige Züge blieben ihnen stets zueigen, was die Arbeit eines findigen Sklaven durchaus erleichterte. Straton legte die Hände hinter dem Rücken ineinander, blieb aufrecht stehen und grüßte höflich: "Salve, dominus Flavius Gracchus." Natürlich war es auch ein gewisses Glücksspiel, denn wenn dieser Mann nicht Gracchus war, dann hatte er sich sicherlich keinen Freund geschaffen. Die Familienähnlichkeit und der latus clavus waren seine besten Würfel in diesem Spiel, und erst jetzt, als er auf eine Reaktion warten musste, erlaubte er sich, die übrigen Details seiner Erscheinung zu registrieren. Gracchus - wenn es Gracchus war - hatte einen fähigen tonsor, aber die Haare im Nacken waren fast etwas zu lang, das sprach dafür, dass der Flavier seinen Morgen gedankenvoll begann - sonst wäre es ihm aufgefallen - und den Tag über so beschäftigt war, dass es ihm nicht auffiel.


    Wenn dieser Mann Gracchus war, war er verheiratet, und dass seine Gattin dagegen keinen Einwand erhoben hatte, ließ auf Gleichgültigkeit in der Ehe schließen, oder aber sie mochte es, wie es war ... nun, es fehlten zu viele Fakten, zu viel Hintergrundwissen lag im Dunklen, aber er würde es noch erfahren. Die sensiblen Hände, der sinnliche Mund kamen noch hinzu, ebenso seelenvolle, trübe glänzende Augen. Ein Hinweis auf Sorgen? Doch der Blick hatte sich etwas aufgehellt, und Stratons Mundwinkel hoben sich zu einer Andeutung eines Lächelns. Wirklich lächelte er nur selten, aber diese Geste ließ sein Gesicht lebendiger wirken, den Blick bohrender, und er wusste es. Der Grieche war, auf seine Weise, ein Spieler. Und er spielte gern, besonders, wenn neue Variablen auftauchten. Eine interessante Variable war hier auf ihn zugetreten, eine Variable, mit der man würde rechnen müssen ... Noch immer roch es betörend nach den dunkelsamtigen Rosen, vermischt mit den würzigen Gräsern, es schien, als wollte dieser Geruch die beiden sich fremden Männer einhüllen und zumindest für den Moment nicht mehr freigeben.