Abermals rührte Siv sich eine ganze Weile nicht. Der Becher war noch in den Händen, die wieder in ihrem Schoß ruhten. Die Kohlen verglühten immer mehr, bis sie irgendwann ganz verloschen. Wind strich durch die Pinien und spielte mit ihren Haaren, ließ goldfarbene Strähnen hochflattern und wieder niedersinken. Siv saß einfach nur da. Sie dachte nichts, in diesen Augenblicken, nichts bewusstes jedenfalls, ihr Kopf schien leer zu sein, während ihr Geist in Gefilden schwebte, die sie nicht wahrzunehmen imstande war. Der Wind zerrte etwas stärker an ihr, ihren Haaren, dem Stoff ihrer Tunika, und ohne dass Siv sich dessen bewusst wurde, begann sie etwas zu frösteln, als es kühler wurde. Sie bemerkte es nicht, ebenso wenig wie sie das Erlöschen der letzten Funken bemerkte oder das Abflauen des Windes nach einiger Zeit. Der Himmel im Osten färbte sich schon rosa, als sie aus ihrer Starre erwachte. Sie blinzelte ein paar Mal, sah auf die nun kalte Feuerstelle hinunter, etwas verwirrt, brauchte eine Weile, bis sie ins Hier und Jetzt zurückfand. Ihre Brust hob sich unter einem tiefen Atemzug, die Lungen weiteten sich und sogen die kühle Luft ein. Ihre Nasenflügel bebten leicht. Wieder nahm der Wind etwas zu, zupfte an Strähnen, ließ sie abermals frösteln. Und dann, plötzlich, lag inmitten des kühlen Luftstroms ein warmer Hauch. Ein kleiner Luftwirbel nur, der sich lediglich durch seine Temperatur von dem Wind abhob, von dem er ein Teil war. Er tanzte um die Germanin herum, wie das Versprechen des Frühlings, das in den letzten Winterstürmen schon zu schmecken war, auch wenn alles noch unter Schnee begraben lag. Man konnte ihn riechen, dann, den Vorboten des Frühlings, eine leichte, tanzende Brise, die im Sturm mitzog und von neuerwachendem Leben kündete, für alle, die es vernehmen konnten. So ähnlich empfand Siv jetzt. Ein warmer Hauch lag in dem kühlen Wind, ganz sacht nur umspielte er sie, kaum spürbar, und doch war sie sich sicher, dass er da war. "Danke", wisperte sie. "Danke."
Einen Moment blieb sie noch sitzen, dann erhob sie sich und streckte ihre Beine, die steif geworden waren. Sie wandte sich der Opferstelle zu, brachte die Steine weg und legte die Äste beiseite, zeichnete dann wieder Symbole in die Luft, die die Heiligmachung rückgängig machen sollte. Anschließend verwischte sie die Spuren des Feuers und packte ihre Sachen weg, den kleinen Metschlauch, der noch zur Hälfte gefüllt war, den Becher, das Messer. Zum Schluss nahm sie die Überreste des Kaninchens und legte sie auf die Stelle, an der sie das Opfer abgehalten hatte, brachte sie als Geschenk dar für die Götter und die Ahnen, die da gewesen waren. Zwei Schritte ging sie rückwärts, ihr Blick noch darauf geheftet. Ein letztes Mal murmelte sie etwas, lautlos bewegten sich ihre Lippen, dann drehte sie sich um und machte sich auf den Heimweg.