Beiträge von Aureliana Siv

    Sie hatten kaum das Atrium verlassen, als Nuala sie ebenfalls begrüßte – auf Germanisch. Siv blieb abrupt stehen und starrte die andere Sklavin an, während sie begriff, warum Trautwini sie geholt hatte. "Du… kommst aus Germanien?" Sie sprach einen anderen Dialekt als sie, einen, den sie in Mogontiacum oft gehört hatte, der römische Dialekt, wie sie ihn insgeheim getauft hatte. Den die Germanen sprachen, die sich an römisches Leben angepasst hatten. Aber die Sklavin sah nicht aus, als sei sie Germanin. Langsam ging sie weiter, während sie Nuala von der Seite musterte. "In Ordnung… ich bring dich zuerst in die Küche, wo du schlafen wirst und die Villa kann ich dir danach zeigen."


    Siv sparte es sich, Nuala unterwegs schon auf verschiedene Dinge hinzuweisen, was sich hinter den Türen verbarg, die vom Gang abzweigten. Sie konnte sich noch zu gut an ihre eigene Ankunft hier erinnern, und am Anfang hatte ihr so der Kopf geschwirrt, dass es ihr bald zu viel geworden war – was aber auch daran gelegen haben mochte, dass sie zum einen die Sprache nur schlecht verstanden hatte und zum anderen sie einfach neu als Sklavin gewesen war, voller Widerstand und Wut. Nuala machte nicht den Eindruck, als ob sie erst gestern Sklavin geworden wäre. Sie bemerkte nicht, dass der anderen etwas auf dem Herzen lag, dass sie etwas fragen wollte – erst als Nuala Mut fasste und sie schließlich ansprach, merkte Siv nicht nur an ihren Worten, sondern auch am Tonfall, dass ihr die Antwort wichtig war. Die sachte Berührung an ihrem Arm wäre kaum nötig gewesen, damit die Germanin auch stehen blieb. Sie schwieg einen Moment, bevor sie schließlich antwortete. "Gut." Wieder eine kleine Pause. Siv verdrängte, wie die letzte Zeit für sie gewesen war. Stattdessen versuchte sie zu lächeln und nickte. "Gut. Die Aurelier sind nett. Ich meine, sie sind Römer… und wir sind Sklaven. Aber sie behandeln Sklaven gut. Keiner verlangt etwas unmögliches oder so. Es wird keiner geschlagen, jedenfalls nicht seitdem ich hier bin. Wir kriegen frei, ab und zu…" … jedenfalls die anderen … "… wir kriegen alles, was wir brauchen… Das hier ist… Ich war nie woanders Sklavin. Trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass es woanders kaum besser sein kann. Orestes kenne ich noch nicht so gut, er ist erst seit kurzem hier, und ich weiß auch nicht was er von dir will, da wirst du abwarten müssen… Aber eigentlich kann’s dir nur noch besser gehen, wenn du keine normale Haussklavin bist."

    Siv runzelte die Stirn, und das aus zweierlei Gründen. Zum einen irritierte sie, wieso Fhionn vom Garten sprach. Die Gartenarbeit fand sie überhaupt nicht schlimm, auch wenn es manchmal in ziemlicher Schufterei ausarten konnte – sie konnte ein Lied davon singen, immerhin war der Garten ihr anvertraut, und sie erledigte dementsprechend auch die meiste Arbeit dort. Das war aber der Teil ihrer Aufgaben, den sie liebte – der einzige derzeit. Wäre sie nicht so gut in dem, was sie dort leistete, wäre ihr das sicher auch verboten worden. Sie sagte allerdings nichts dazu, und das lag an dem zweiten Grund für ihr Stirnrunzeln: Caelyn. Sie machte den Eindruck, dass sie tatsächlich nicht reden wollte, und sie machte das recht deutlich mit dem, was sie sagte. Und Siv war nicht gewillt, sich das gefallen zu lassen. Louan hatte sie um einen Gefallen gebeten, und sie hatte zugesagt, ja – aber beschimpfen lassen musste sie sich deswegen nicht. Sie hatte es versucht, mehr konnte Caelyns Bruder nicht verlangen. Und langsam dämmerte ihr, warum er nicht selbst mit seiner Schwester sprach. Er kannte sie, er musste gewusst haben, wie sie reagieren würde.


    "Wenn Nähen ist schlimmste, dann du musst froh sein, dass du kriegst andere Arbeit", antwortete Siv, ihr Tonfall nun selbst ziemlich gereizt. Caelyns nächste Worte aber ließen sie innehalten. Sie sprach von dem, was vorgefallen war, sie erzählte es, und sie erzählte auch, was dazu geführt hatte, dass sie zum Nähen verdonnert worden war. Einen Moment flackerte eine Erinnerung auf. Corvinus’ Gesicht zog an ihr vorüber. Aber sie verdrängte es. Stattdessen musterte sie Caelyn und zuckte dann die Achseln. Auch wenn sie nun angefangen hatte zu reden, schien sie es nur getan zu haben, um dann ihre Ruhe zu haben – und nicht weil sie tatsächlich reden wollte. Und so sehr sie verstehen konnte, wie Caelyn sich gerade fühlen mochte, sie hatte keine Lust, sich anmotzen zu lassen – davon abgesehen, dass sie auch diese Reaktion verstehen konnte, hätte sie doch nicht anders reagiert. Mit dem kleinen Unterschied, dass sie nichts gesagt hatte. "In Ordnung. Du nicht willst reden – fein." Und Siv machte Anstalten, aufzustehen.

    Sie war nervös. Corvinus hatte sie noch nie zu einer solchen Feier mitgenommen, und auch wenn sie ihn vor einigen Monaten durchaus häufiger begleitet hatte zu wichtigen Besuchen und Anlässen, war der letzte nun schon eine Zeit her. Und Siv hatte da schon lange gebraucht, bis sie sich daran gewöhnt hatte, an alles – daran ihn zu begleiten, als Sklavin, im Hintergrund zu bleiben, sich keinen Fehler zu erlauben, nichts zu tun außer darauf zu achten, ob er etwas brauchte… und letztlich eines seiner Statussymbole darzustellen für die anderen. Sie wusste das wohl, auch wenn ihr klar war, dass zumindest Corvinus sie nicht so sah. Nicht ganz, jedenfalls. Aber er hätte nicht sie mitnehmen müssen. Siv konnte in Gedanken ein halbes Dutzend Sklavinnen aufzählen, die in ihren Augen besser geeignet waren als sie, ihn hierhin zu begleiten, aber er hatte sie mitgenommen, und sie wusste auch, was das in ihrem Fall hieß. Es war nichts anderes als ein Vertrauensbeweis – ein Vertrauen, das noch so frisch und neu war, dass sie Angst hatte, sie könnte es – und sei es durch ein so dämliches Missgeschick wie mit dem Leibwächter der Braut – sofort wieder zerstören. Überhaupt schien ihr ihr Verhältnis, ihr Annähern, noch vorsichtig zu sein. Sie jedenfalls war vorsichtig. Es kam ihr wie der empfindliche Trieb einer zarten Pflanze vor, der durch eine winzige Unachtsamkeit schon eingehen konnte. Am liebsten wäre sie in der Villa geblieben, um dieser Pflanze in Ruhe beim Wachsen zuzusehen, anstatt sie, im übertragenen Sinn, irgendwohin zu schleppen, wo sie irgendwelchen Strapazen ausgesetzt wurde. Aber sie hatte sich fest vorgenommen sich zusammenzureißen, ihr Temperament zu zügeln, nichts zu tun, was ihn blamieren könnte. Was vor allem zu einem führte: Sie war nervös.


    Aber ihr gefiel die Tunika, die sie bekommen hatte für diesen Anlass, vor allem die Farbe, auch wenn sowohl Schnitt als auch Stoff ungewohnt waren für sie, weil es schlicht besser war als das, was sie normalerweise trug, selbst wenn sie keine Arbeitstunika trug, sondern eine von denen, die eher zum Vorzeigen gedacht waren. Das Blau ihrer Augen wurde noch unterstrichen, während der Gegensatz des dunklen Stoffs ihre Haare, die nur durch zwei Spangen an den Seiten etwas zurückgehalten wurden, beinahe leuchten ließ. Sie wusste, dass auch das letztlich dazu diente, seiner Stellung gerecht zu werden – als seine Sklavin musste sie nach irgendwas aussehen, sonst hätte er sie nicht mitgenommen. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass es ihr gefiel, für ihre Verhältnisse so herausgeputzt zu sein, so ungewohnt es auch sein mochte – und auch wenn es nichts im Vergleich war zu Kleidern und Schmuck der Römerinnen. Sie folgte ihm durch den Garten hindurch, beeindruckt von der Pflanzenpracht, die sie umgab, und nickte. Sie wusste, wie römische Hochzeiten gefeiert wurden, aber sie fand das hier wesentlich besser. "Ja, hier feiern ist schön." Allerdings dürfte es für Corvinus nicht wirklich eine Überraschung sein, dass sie einem Garten, und dann noch einem solchen, den Vorzug gab. Sie gingen weiter, näherten sich einer Terrasse, und Sivs Hand, die unwillkürlich zuerst nach seiner greifen wollte, änderte im letzten Moment die Richtung und legte sich an ihren Hals, wo das silberne Pferd an einem Lederband hing. Im nächsten Moment sank ihre Hand wieder hinab. Ihr Blick glitt über die Römer, bevor sie sich daran erinnerte, dass sie als Sklavin ihren Blick besser senkte – aber es reichte noch, um Flavia Celerina zu erkennen. Ihr Magen schien auf einmal aus Eis zu bestehen, aber sie bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. Sie folgte Corvinus und blieb schließlich stehen, ein paar Schritte von ihm entfernt, aber doch nah genug, dass sie sofort sehen würde, wenn er ihr signalisierte dass er etwas wollte.

    Siv musterte die Anwesenden und fragte sich kurz, was sich zuvor wohl abgespielt haben mochte – die neue Sklavin strahlte, als ob der Aurelier ihr verkündet hätte, er hätte sie nur gekauft um sie freizulassen. Dann wanderte ihr Blick wieder zu Orestes, als er sie ansprach. Gut, sie sollte der Neuen also die Villa zeigen, das war durchaus machbar, auch wenn sie auf so etwas weniger Lust hatte – erklärte aber immer noch nicht, warum Trautwini sich ausgerechnet sie geschnappt hatte. Oder war sie ihm nur zufällig über den Weg gelaufen? Aber er hatte recht deutlich geklungen, als er meinte, dass sie kommen sollte. Dann zuckte sie andeutungsweise die Achseln. Auch egal. Irgendwie war ihr in letzter Zeit recht viel recht egal. Möglicherweise war es nur eine andere Art von Schutzschild, den sie aufgezogen hatte, nachdem die Wut sie des Öfteren im Stich gelassen hatte. Sie nickte nur, so wie sie überhaupt etwas wortkarg geworden war, deutete gegenüber der Neuen aber ein leichtes Lächeln an. Nachdem Trautwini und Orestes verschwunden waren, trat sie etwas näher auf die andere Sklavin zu. "Nuala? Ich bin Siv", stellte sie sich vor. "Komm, wir gehen in Küche. Du hast Hunger, oder?"

    Siv strich sacht über Tillas Haar, während diese in ihrem Arm lag. Sie hielt sie, beobachtete wie sie gestikulierte im Schlaf, hatte aber im Dunkeln Mühe zu verstehen, was sie ausdrücken wollte. Jemand war da? Siv strich ihr weiter über das Haar und dann über das Gesicht des Mädchens. Im nächsten Moment hielt sie irritiert inne. Unter ihren Fingern spürte sie Feuchte – Tilla schien aber schon länger im Stall zu sein und war auch sonst trocken, als konnte es nicht vom Regen sein. Hatte sie etwa geweint? Bevor Siv irgendwie auf diese Erkenntnis reagieren konnte, gestikulierte Tilla wieder, dann wachte sie auf. Sie sah zu Siv hoch, und in ihren Augen schienen Tränen zu schimmern. Sie begrüßte sie, dann löste sie sich aus den Armen der Germanin und stand auf, ging hinüber zu Luna. Siv beobachtete sie, blieb aber selbst am Boden sitzen. Sie zog die Knie an den Körper und musterte das Mädchen, das ihr daraufhin die Lösung eines Rätsels gab, an dem sie damals im Baum herumüberlegt hatten. Wie lange war das schon her? Es musste inzwischen über ein Jahr vergangen sein. So viel war seitdem passiert… Siv seufzte, lächelte Tilla dann an und legte ihre Arme locker auf ihre Knie. "Ein Eichhörnchen? Ja, das passt." Ihr Latein war auch wesentlich besser geworden seit damals. Wieder sah Tilla sie an, und sie schien sich so hilflos zu fühlen wie Siv in letzter Zeit selbst viel zu oft. Die Germanin dachte zurück an den Alptraum, der sie überhaupt erst geweckt hatte, und sie unterdrückte ein Schaudern, als sie an die Hilflosigkeit gedacht hatte, die damit einher gegangen war. Dann schob sie die Gedanken weg und konzentrierte sich wieder auf Tilla. Sie fragte sich, ob sie zu ihr gehen und sie erneut in den Arm nehmen sollte, aber das Mädchen hatte sich gerade erst von ihr gelöst, und Siv wusste nicht so recht, ob sie nicht etwas Abstand wollte. "Was ist los, Tilla?"

    Caelyn warf Siv einen Blick zu als wollte sie sagen: Ey Mädel, dasselbe könnte ich auch dich fragen! :D Sie wusste nicht, ob sie die Stirn runzeln oder ihr Zunge rausstrecken sollte. Bei ihr war das selbstverständlich etwas völlig anderes. Zum einen hatte Caelyn sie nicht gefragt, zum zweiten hatte Siv keinen Bruder – nicht hier –, der ihr jemanden auf den Hals hetzen konnte, und zum dritten… weil eben.


    Kaum hatte Caelyn geantwortet, kam Fhionn auch herüber und stellte sich ans Kopfende. Siv zog ihre Füße noch etwas enger an den Körper und runzelte nun doch die Stirn. Sie war sich nicht sicher, ob es das Richtige war, Caelyn so in die Zange zu nehmen. Aber Fhionn hatte vermutlich mehr Erfahrung als sie in so etwas. Sie hatte immer nur Liebeskummergeschichten von ihren Brüdern anhören müssen, und die hatte sie meistens nur damit aufgezogen. Davon abgesehen war es etwas anderes bei Frauen, jedenfalls dachte Siv das, und die Situation war etwas anderes, weil sie Caelyn helfen sollten… wollten… Oh warum hatte sie nur ja gesagt? Caelyn wollte offensichtlich keine Hilfe, wollte nicht reden, wollte einfach nur ihre Ruhe, und Siv konnte sie verstehen, ging es ihr doch haargenau so. Wäre Siv jetzt allein, hätte sie Caelyn vermutlich doch noch in Ruhe gelassen. Aber Fhionn stand nun da und hakte ebenfalls nach – was aber nur eine erneute, noch pampigere Antwort zur Folge hatte. "Ah", meinte sie nur ironisch. "Blendend. Wirklich."


    Es dauerte nicht lange, und Caelyn platzte erneut, diesmal aber etwas informativer. "Nähen? Du magst lieber Latrine putzen? Das kannst du haben, ich reiß mich nicht drum", meinte Siv. "Ich nähe, du putzt. Morgen."

    War Siv gerade noch gerannt, was ihre Beine hergaben, schimpfte sie nun fast mehr als Lunge und Stimmbänder leisten konnten. Sie presste ihre Hände vors Gesicht, und wäre sie nicht so beschäftigt mit Fluchen gewesen und damit, den Blutstrom zu stoppen, hätte sie dem Leibwächter der Claudia mit Sicherheit noch mehr Schwierigkeiten dabei bereitet, ihr aufzuhelfen. So aber zuckte sie nur ein paar Mal unwillig mit den Armen und versuchte mit dem Ellenbogen nach ihm zu stoßen, was allerdings nicht einmal im Ansatz gelang, hielt sie sich doch mit den Händen ihre Nase und weigerte sich, loszulassen, so als ob sie die Befürchtung hegte, sie könnte sonst abfallen. Erst als die Römerin ihr ein zartes Taschentuch reichte, löste sie eine Hand und nahm es. "Bange", nuschelte sie, ihre Aussprache nun noch mehr gehandikapt. Sie hielt den verzierten Stoff unter die Nase und tastete mit der anderen Hand vorsichtig darüber. "Ooouh", stöhnte sie. Gebrochen. Gebrochen? Nein, bitte nicht… Sie tastete noch einmal, und obwohl es weh tat, bildete sie sich wenigstens ein, dass sie nicht gebrochen war. Sie schien jedenfalls nicht schief zu stehen. Vielleicht war sie nur angeknackst. Siv hätte am liebsten noch mal gestöhnt. Da hatte sie Brix überredet ihr diesen Auftrag anzuvertrauen, und ihm hoch und heilig versprechen müssen, dass sie diesmal nichts, aber auch GAR nichts anstellen würde, und nun würde sie nach Hause kommen und so aussehen, als hätte sie sich mit jemandem geprügelt. Großartig.


    Als die Claudia sie ansprach, sah Siv zu ihr und versuchte mühsam, zu lächeln, was hoffentlich zur Geltung kam, obwohl es halb von dem Taschentuch verdeckt war. Die Römerin wirkte so, als ob ihr das aufrichtig leid tat, und für Siv war das Balsam, obwohl es ja nicht ihre Schuld war – und noch nicht einmal wirklich die ihres Leibwächters. Jedenfalls nicht zur Gänze. "Nain. Sonsd isd in Odnung. Ich bin. Du bisd Ebi… Glaudia Ebichais?"

    Corvinus schwieg. Er hatte sie nicht unterbrochen, das war immerhin etwas, aber er forderte sie auch nicht auf weiterzusprechen. Und Siv schwieg. Sie schwieg, und sie weigerte sich aufzusehen. Ihr Atem ging zitternd, und ihre Hände bebten sacht, während sie wartete, auf was wusste sie selbst nicht so genau. Auf irgendeine Reaktion. Sie rechnete schon damit, dass er erneut aufstand und diesmal wirklich ging. Als er dann aber etwas sagte, war es etwas, was sie zutiefst überraschte. Ihr Kopf flog erneut hoch, während sie ihn verwirrt und sogar etwas erschrocken anstarrte. Skradan? Er nannte sie Skradan? Woher kannte er dieses Wort? Einige Momente lang starrte sie ihn einfach nur an, ihr Mund leicht geöffnet, während er weitersprach. Skradan… Waldteufel. Ihr Vater hatte sie immer so genannt. Wie in jenem Traum, den sie gehabt hatte in Germanien, einer von denen vielen, in denen sie Corvinus geträumt hatte. Von ihnen beiden. Aber sie konnte sich nicht daran erinnern, ihm jemals davon erzählt oder ihm auch nur dieses Wort beigebracht zu haben. Auf einmal fiel es ihr noch schwerer zu atmen. Dieses Wort zu hören, das für sie immer einer Liebkosung gleich gekommen war, und das aus seinem Mund… "Skradan? Was, woher…? Woher hast du…?"


    Siv schluckte mühsam. Sie wusste nicht, woher er dieses Wort hatte, aber er konnte nicht wissen, was es ihr bedeutete. Immer noch fühlte sie sich so hilflos und verletzlich, nicht zuletzt, weil Corvinus nichts tat, um ihr irgendwie zu helfen, weil er ihr keinen Schritt entgegen kam. Siv war versucht, einfach zu gehen. Er hatte nachgefragt, aber gleich darauf schüttelte er den Kopf, und er machte nicht den Eindruck auf sie, als ob er noch mehr hören wollte. Sie war versucht, aufzugeben. Was für einen Sinn hatte es denn, ihm zu erklären, was in ihr vorgegangen war, wenn er es doch nicht verstand? Wühlte sie nicht gerade dadurch wieder den Schmerz auf? Aber sie war niemand, der davonlief. Sie hatte ihre Fehler, aber Aufgeben gehörte nicht dazu, genauso wenig wie die Augen vor der Wahrheit zu verschließen, wenn sie sie einmal erkannt hatte. Und er hatte sie Skradan genannt… Vielleicht war es ein Zeichen ihres Vaters, das er schickte, oder der Götter… Ein Zeichen, dass sie weitermachen sollte. Sie sah ihm in die Augen, auch wenn es ihr schwer fiel, seinem Blick standzuhalten, der so seltsam zu sein schien. "Weil sie Soldaten sind."


    Ihre Stimme schwankte. So einfach war dieser Satz gewesen, und doch sagte er alles aus, für sie. Und was jetzt kam, fiel ihr noch schwerer. Einzugestehen dass sie Angst gehabt hatte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, je zugegeben zu haben, dass sie vor etwas Angst hatte. "Ich… habe sie geseht. Sie sind da, sie… wollen reden mit, mit mir. Und ich… habe Angst. Da ist, da war nur… Panik." Ihre Stimme brach beinahe, während sie sich durch die Worte quälte. Sie hatte Corvinus nie erzählt, was sie genau erlebt hatte, auf dem langen Weg nach Rom. Nur von diesem einen Überfall, bei dem ihr Vater ums Leben gekommen und sie in Gefangenschaft geraten war, hatte sie ihm erzählt, sonst nichts verlauten lassen, höchstens Andeutungen gemacht. Sie sprach nicht gern darüber. Genauso wenig wie sie gern über ihre Ängste sprach. "Nur Panik. Da ist immer nur Panik, wenn… Römersoldaten da sind", flüsterte sie, seinem Blick zwar nicht ausweichend, aber ihrer schien seltsam blicklos zu sein, verlor sich in schmerzhaften und demütigenden Erinnerungen. "Ich bin gelaufen. Ich war… bei Karren. Eine Frau hat helfen gewollt, hat gewollt mich verstecken, in Karren von ihr." Jetzt fanden ihre Augen wieder in die Realität zurück, sahen ihn an. "Da war Gedanke, zuerst, erstes Mal. Da war Panik, und ich, ich wollte weg, von Soldaten. Aber da war Gedanke an dich…" Sie biss sich auf die Lippen. Es wäre so leicht zu verschweigen, dass da auch noch andere Gedanken waren – aber selbst wenn sie nicht ein so ehrlicher Mensch gewesen wäre, in diesem Moment hätte sie die Wahrheit gesagt. "Da war auch… Gedanken an Heimat. An meine Familie. Aber du, du… warst stark. Stärker." Ihr Blick glitt durch das Balneum, nun wieder unfähig, seinem zu begegnen. Noch mehr Angst als vor römischen Soldaten hatte sie in diesem Moment vor seiner Reaktion. Davor, was er nun sagen würde. " Ich wollte nicht weg… von dir. Also bin ich gebleibt. Bis Soldaten da waren. Aber dann, hatte ich wieder Angst, Panik, vor ihnen."

    Siv war gerade im Haus unterwegs von A nach B – genauer gesagt vom Garten in die Küche –, als sie Trautwini über den Weg lief. Im Gegensatz zu Brix hatte sie mit diesem Germanen nicht sonderlich viel Kontakt. Sie wusste nicht, wie lange er schon Sklave war oder unter welchen Umständen er zu einem geworden war. Er erzählte so gut wie nichts über sich, und er schien auch eher ein Einzelgänger zu sein. Jetzt aber sagte er ihr, dass die neue Sklavin da sei, und dass es wohl klug wäre, wenn sie mal ins Atrium ginge und ihre Hilfe anbieten würde. Womit er verschwand, in Richtung Atrium. Siv war irritiert. Sie wusste weder, um was für eine Sklavin es sich handelte, noch warum ausgerechnet sie ihre Hilfe anbieten sollte. Aber schließlich zuckte sie die Achseln und folgte dem Leibwächter, nur um kurze Zeit später selbst das Atrium zu betreten. Orestes war da und unterhielt sich mit einer jungen Frau, fast noch ein Mädchen – das musste die neue Sklavin sein, von der Trautwini gesprochen hatte, und offenbar hatte Orestes sie gekauft. Siv sah sie kurz an, ohne neugierig oder aufdringlich zu wirken, dann wanderte ihr Blick zu Trautwini und schließlich zu dem Aurelier. Lautlos seufzte sie. Sie hasste es, wenn sie nicht wusste, weshalb sie irgendwohin kommen sollte und dann nachfragen musste. Trautwini erntete erneut einen Blick, diesmal einen finsteren, dann wandte sie sich endgültig dem Aurelier zu. "Du brauchst?"

    …und Siv knallte mit voller Wucht gegen die Hand. Natürlich hatte sie den Bremsvorgang nicht rechtzeitig eingeleitet, war ihr die finstere Miene des Leibwächters doch nicht aufgefallen, und hatte sie auch seine entschlossene Haltung nicht wahrgenommen. Und selbst wenn er sich nicht so aufgebaut hätte, wäre die Sache kaum gut gegangen – Siv war gerannt, was ihre Beine hergegeben hatten, und den Teil ihrer Aufmerksamkeit, der nicht auf den Weg gerichtet gewesen war, hatte sie auf die Claudia fixiert. Ihr sollte sie die Nachricht ja auch überbringen. Bremsen war nichts, was zu diesem Zeitpunkt Platz gefunden hatte in ihren ohnehin eher flüchtigen Überlegungen – äußerst flüchtigen Überlegungen. So flüchtig wie Gedanken in einem Kopf nun einmal waren, wenn der dazugehörige Körper sich mit rasanter Geschwindigkeit fortbewegte.


    Während ihr Oberkörper schon radikal gestoppt wurde durch die Hand in ihrem Gesicht, bewegten sich die Füße der Germanin noch ein Stück vorwärts, bevor sie gegen die Beine des Leibwächters prallten. Ihre Arme hoben sich leicht an, und ihr blieb die Luft weg, als irgendetwas bedenklich zu knirschen schien, dann verlor Siv das Gleichgewicht und sackte zu Boden. Einen Augenblick blieb sie liegen, unfähig sich zu rühren, spürte, wie etwas Warmes aus ihrer Nase rann, an den Lippen entlang und weiter hinunter. Als sie den Mund leicht öffnete, schmeckte sie den metallischen Geschmack von Blut. Im nächsten Moment kam der Schmerz, gefolgt von einem Schwall der unflätigsten Flüche, die sie in ihrer Muttersprache auf Lager hatte.

    Schweigen. Es herrschte Schweigen, und für Siv wurde es innerhalb weniger Lidschläge beinahe unerträglich – aber sie brach es nicht. Es hätte so viel gegeben, was sie hätte sagen können, hätte sagen wollen, aber nichts davon kam über ihre Lippen. Ihre Kehle schien wie zugeschnürt zu sein, und sie hatte das Gefühl, sich nicht rühren zu können unter seinem eindringlichen Blick. Im Gegensatz zu ihm war ihr nicht mehr bewusst, dass er nackt war. Sie war gefesselt von seinem Blick. Als er sich dann erhob, wich sie unwillkürlich einen Schritt zurück, aber als er sich anschließend abwandte, da hob sie halb die Hand, wie um ihn aufzuhalten. Für einen Augenblick war sie sich sicher, dass er gehen würde. Dass er sie allein lassen würde. Sie wollte ihn zurückhalten, wollte ihn beim Namen nennen, aber weder konnte sie sich bewegen, noch kam ein Ton über ihre Lippen. In ihrem Inneren schien auf einmal nur Leere zu herrschen, während ihre Hände kraftlos an ihren Seiten hinunter sanken. Es war zu spät. Was auch immer sie hätte tun können, tun müssen, um irgendetwas zu verbessern, es war zu spät dafür.


    Nur einen Augenblick später war die Leere in ihrem Inneren auf einmal wieder gefüllt, mit Hilflosigkeit, Verwirrung und einer Sehnsucht, die immer stärker wurde. Sie folgte Corvinus mit Blicken, beobachtete, wie er wieder zurückkam, und kämpfte mit dem Impuls, ihn zu berühren – und gleichzeitig noch weiter zurückzuweichen. Er kam ihr so fremd vor in diesem Moment. Sie tat nichts, gab keinem der beiden Impulse nach, sondern sah ihm nur zu, wie er sich auf die Liege setzte, die etwas erhöht war, so dass er immer noch ein bisschen größer war als sie. Sie stand nur einen Schritt entfernt, hätte sie den Arm ausgestreckt, hätte sie ihn berühren können. Aber sie tat es nicht. Und als er dann endlich etwas sagte, holte sie zitternd Atem. Was ihr leid tat? Sollte sie ihm alles aufzählen, was sie falsch gemacht hatte? Irgendwo in ihr blitzte ein Hauch von Trotz auf, weil er offenbar keinen Gedanken an das verschwendete, was er falsch gemacht hatte, dass er ihr nie die Gelegenheit gegeben hatte, sich zu entschuldigen. Aber dieser Hauch erstickte unter einer Last von Schuldgefühlen und Reue. "Alles." Sie machte eine vage Handbewegung und musste auf einmal wieder mit den Tränen kämpfen, verfluchte sich selbst dafür und senkte den Kopf, in der Hoffnung, dass er nichts gesehen hatte. Dass ihre Stimme verdächtig zitterte, konnte sie aber nicht verhindern.


    "Mir tut leid. Heute, im Garten. Und die Küche. Die Tunika von Artorius." Sie konnte sich für alles rechtfertigen, in ihren Augen zumindest. Ihr Temperament war nie einfach so herausgebrochen, es hatte immer einen Anlass gegeben. Aber darum ging es nicht, und das wusste sie auch. Und das war auch nicht das einzige, noch nicht einmal der Hauptteil, was ihr leid tat. "Das… was in Mogontiacum ist. Gewesen ist." Sie war nicht geflohen. Sie hatte nicht fliehen wollen. Sie hatte einfach nur in den Wald gewollt… ohne weiter nachzudenken. Und das tat ihr leid, dass sie nicht überlegt hatte, und dass sie die Beherrschung verloren hatte, kaum dass die Soldaten auf sie aufmerksam geworden waren. Sicher war da, als sie den Soldaten zunächst entkommen und erst einmal draußen gewesen war, der Gedanke da gewesen zu fliehen. Aber sie hatte es nicht getan. Jetzt flog ihr Kopf wieder hoch, sie sah ihn an, mit brennenden Augen, in denen immer noch Tränen schimmerten, aber das war ihr egal in diesem Augenblick. "Ich wollte nicht fliehen. Ich… ich wollte in Wald, ich habe Wald gesehen, beim Tor… Und ich… habe nicht gedacht. Da war kein Gedanke, an nichts… Nur, nur Wunsch, wieder in Wald zu sein, einen Tag, wie früher…" Sie verstummte, suchte in seinem Gesicht, seinen Augen nach einem Zeichen, das ihr zeigte, dass er verstand. Oder dass er wenigstens gewillt war, ihr diesmal zuzuhören. Aber bevor sie womöglich etwas fand, was ihr das Gegenteil von dem zeigte, was sie sich wünschte, senkte sie ihren Blick erneut und starrte auf den Boden.

    Siv bemühte sich, jeden Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen, während sie sich auf Corvinus’ Schultern konzentrierte, versuchte sogar sich vorzustellen, ein anderer würde dort liegen – was ihr aber nicht gelang, hatte sie doch nie jemanden anderen außer ihn massiert, war noch nicht einmal einem der anderen Aurelier im Bad zur Hand gegangen, weil Corvinus recht früh bestimmt hatte, dass das nicht zu ihren Aufgaben gehörte. Darüber hinaus schien Corvinus sich auf einmal zu versteifen, jedenfalls waren seine Muskeln nach der kurzen Unterbrechung angespannter als zuvor, und während sie noch darüber grübelte, warum – immerhin war er davor völlig entspannt gewesen –, drehte er auch schon den Kopf auf die andere Seite und sah sie. Sah sie an. Nun war es Siv, die versteifte. Corvinus wirkte… sie konnte es nicht sagen. In jedem Fall wirkte er nicht so, als ob er erwartet hätte sie zu sehen. Allerdings konnte das nicht sein, denn immerhin hatte er sie doch rufen lassen. Wieso sollte er nun erstaunt sein, sie zu sehen?


    Sivs Hände blieben noch auf seinem Rücken – warum, wusste sie selbst nicht so genau zu sagen, aber wenn sie ehrlich zu sich gewesen wäre, hätte sie zugeben müssen, dass sie es zu sehr genoss, seine Haut unter ihren Händen zu spüren. Aber sie hatte aufgehört, zu massieren, während sie seinen Blick erwiderte. Sie war ratlos, fühlte sich hilflos. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie sehnte sich so danach, dass zwischen ihnen wieder alles in Ordnung kam, aber sie wusste einfach nicht, wie sie das erreichen sollte. Er hatte ihr bis jetzt nicht zuhören wollen, hatte sie erst heute morgen abgewiesen, und sie fühlte sich so verletzlich in diesem Moment. Noch eine Zurückweisung von ihm, noch ein Nein, noch mal die Worte: du hast mich enttäuscht, ich will nichts weiter von dir wissen… Sie sah ihn an, zog ihre Hände dann doch zurück, und sagte schließlich, was sie ihm seit Wochen sagen wollte. "Es tut mir leid." Leise nur kamen die Worte über ihre Lippen, sie flüsterte sie fast. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, war zu spüren, wie ernst es ihr war. Nicht nur ihre Flucht, sondern all ihre Verfehlungen in der letzten Zeit, einschließlich der des heutigen Tages gegenüber seinem Besuch. Dass Corvinus mit seinem Verhalten einen großen Teil dazu beigetragen hatte, dass Siv so oft die Beherrschung verloren hatte, spielte für sie in diesem Moment nur untergeordnet eine Rolle. Was sie dazu getrieben hatte, war nicht so wichtig, es war immer noch sie gewesen, die sich nicht hatte kontrollieren können. Sie flehte nur die Götter darum an, dass er sie verstand. Dass er sie endlich verstand.

    Mitten in der Nacht wachte Siv auf, schweratmend und mit rasendem Herzen. Im nächsten Moment krachte ein Donnerschlag und ließ sie vor Schreck einen Satz machen, der sie beinahe aus ihrem Bett zu Boden befördert hätte. Sie hatte geträumt, sie wusste nicht mehr was es war, aber die Angst, die sie im Traum gehabt hatte, verfolgte sie bis ins Wachsein. Einen Moment saß sie einfach da, starrte ins Dunkle und schloss dann geblendet die Augen, als der nächste Blitz vor dem Fenster aufloderte, das Servitriciuum aus der Finsternis riss und für den Bruchteil eines Augenblicks beinahe taghell erleuchtete. Wieder dröhnte Donner, und als der nächste Blitz einschlug, war Sivs Bett leer. Der Alptraum lastete schwer auf ihrem Gemüt, so sehr, dass sie Angst hatte sie würde gleich weiterträumen, wenn sie jetzt sofort wieder einschlief. Davon abgesehen gefiel ihr das Wetter. Sie war Siv, sie trug den Namen der Frau Thors, des Donnergotts! Wenn sie bei ein solches Wetter nicht genoss, wer dann? Also schlich sie sich hinaus, in den Garten, und blieb dort stehen, mitten im Regen, mit ausgebreiteten Armen. Um sie herum krachte und blitzte es. Die Germanin wusste um die Gefahr, die von den Blitzen ausging, aber sie ignorierte sie. Wenn es Thor gefiel, sie mit einem seiner Blitze zu treffen, sollte es so sein. Aber sie glaubte nicht, dass das passieren würde, hielt der Donnergott doch das Zentrum des Gewitters fern von ihr. Sie legte den Kopf in den Nacken und begann langsam, sich zu drehen, hieß den Regen willkommen wie ein Geschenk.


    Wie lange sie dastand, wusste sie nicht, aber irgendwann war das Gewitter vorübergezogen, und auch der Regen wurde langsam schwächer. Siv begann die Kälte zu fühlen, aber sie verspürte immer noch keine Lust, sich wieder schlafen zu legen, also wandte sie sich dem Stall zu. So selten hatte sie Gelegenheiten gehabt, sich dorthin zu schleichen, zu Idolum… Ohne einen überflüssigen Laut zu verursachen schlüpfte sie hinein, ging an den Boxen vorbei, begrüßte die Tiere, die wach waren, und rief leise Idolums Namen. Der Hengst wieherte leise, und Siv strahlte, während sie ihn liebkoste. Eine Weile stand sie so da, versunken, dachte an nichts und spürte nichts, bis langsam die Kälte so sehr in ihre Knochen kroch, dass sie sie aus ihrer Versunkenheit herausriss. Siv löste sich von Idolum und ging zum Ende des Stalls, wo sie sich eine der rauen Decken holte, die für die Pferde gedacht waren, wenn sie nass in den Stall kamen. Fest wickelte sie sich darin ein und wollte gerade zurückgehen zu Idolum, als ihr auffiel, dass Luna nicht stand. Siv runzelte die Stirn. Pferde schliefen im Stehen, sie legten sich in der Regel nur hin, wenn sie alt waren oder krank. Besorgt trat sie an die Box heran und spähte hinein, um zu sehen, was mit Luna los war – sah im spärlichen Licht, das von außen herein drang, einen Menschen an die Stute gekuschelt liegen. Die Germanin öffnete die Tür, trat auf eine der Papyrus-Rollen, die über das Stroh verteilt herumlagen und die sie nicht gesehen hatte, und kniete sich hin. Betroffen stellte sie fest, dass es Tilla war, die dort lag. Vorsichtig berührte sie das Mädchen an der Schulter. "Hey. Hey, Tilla!" Luna schnaubte leise, und Siv tätschelte ihr kurz den Hals. Wenn die Stute schon lange so dalag, dann musste sie langsam steif werden. Vorsichtig schob Siv einen Arm unter Tillas Rücken, zog sie zu sich und lehnte sich dann an die Boxenwand, das Mädchen im Arm. Luna schnaubte erneut, etwas lauter diesmal, und rappelte sich auf. Sie schüttelte sich ausgiebig, dann trat sie einen Schritt vor, reckte den Hals und schnupperte an Tillas Haaren.

    Sim-Off:

    [SIZE=7]Ich mag die Zickentour :D[/SIZE]


    Hatten die Götter ihr Flehen erhört? Hatte Corvinus ihren Blick richtig gedeutet, oder war er ihrer nur einfach überdrüssig geworden, weil ihr Verhalten so zu wünschen übrig ließ, wenn man denn die perfekte Sklavin haben wollte? Siv wusste es nicht. Der Blick, mit dem er sie maß, schien beinahe verständnisvoll zu sein, aber seine ganze restliche Körperhaltung zeigte, dass es ihm nur um eines ging – mit der Flavia allein zu sein. Es traf sie zu sehen, wie vertraut er seine Hand auf die der Römerin legte, und kurz musste sie wieder an Brix’ Worte denken. Er hatte sie hinausgeschickt, hatte versucht ihr Mut zu machen, hatte auf ihr Wissen bezüglich des Gartens hingewiesen und schien, zumindest meinte sie es, damit sagen zu wollen, dass sie nicht aufgeben sollte. Aber sie konnte nicht mehr. Sie hatte das Gefühl, dass sie dieser Situation nicht gewachsen war, und dieser Römerin schon gar nicht. Sie würde den Kürzeren gegen sie ziehen, sie zog ja schon laufend den Kürzeren gegen sie – das hier war ihr Terrain. Sie spielten nach Spielregeln, die Siv fremd waren, weil es römische waren, während die Flavia mit diesen nicht nur aufgewachsen war, sondern noch dazu allein durch ihren und Sivs Stand in dieser Gesellschaft einen gewaltigen Startvorteil hatte.


    Sie ahnte durchaus, was sie begünstigte, indem sie ging. Jetzt, wo sie es wusste, wo Sofia es in der Küche hinaus geplärrt hatte, war es auch für sie offensichtlich. Und obwohl allein der Gedanke daran ihr nach wie vor die Luft abschnürte, war sie dankbar endlich gehen zu können – nein, gerade weil es so war. Sie wollte sich nicht weiter mit ansehen müssen, wie Corvinus diese Frau umwarb, und sich zwischendurch ihre Sticheleien anzuhören, ohne kontern zu können. Sie erwiderte Corvinus’ Blick einen Moment lang, bis sie es nicht mehr aushielt und weg sah. Sie konnte seinen Blick nicht deuten, sie meinte Verständnis zu sehen, und sie wünschte sich so sehr, dass es das war, aber sie konnte nicht daran glauben, nicht nach allem, was passiert war in der letzten Zeit. Aber er ließ sie gehen, aus welchen Gründen auch immer – er verzichtete darauf, sie weiter zu zwingen hier zu bleiben. Und dieses Mal, das zumindest meinte sie zu spüren, schickte er sie nicht fort, um sie zu treffen. Sie vermied es, die Römerin anzusehen, und nickte nur. Dann, ohne noch ein Wort zu sagen, drehte sie sich um und ging zur Terrasse, langsam zuerst, doch sobald sie außer Sichtweite war, begann sie zu rennen, während Tränen ihre Sicht zu verschleiern begannen, die sie jedoch mit aller Gewalt unterdrückte, was ihr – noch – gelang.

    Siv hörte sich stirnrunzelnd an, was Louan zu sagen hatte. Ihre eigene Aussprache mochte noch weit davon entfernt sein, wirklich gut zu sein, aber sie war inzwischen lange genug hier, um so wie gut alles verstehen zu können – auch die feineren Zwischentöne. Und Louan schien recht deutlich zu versuchen, sich herauszuwinden. Aber sie sagte nichts mehr darauf. Sie hatte keine große Lust, sich jetzt zu streiten, obwohl ihre Stimmung gerade an einem Tiefpunkt war, was sie normalerweise häufig dazu trieb, Streit zu suchen. Normalerweise hieß in diesem Fall früher. Vor ihrer Reise nach Germanien. Sie unterdrückte einen Laut, der eine Mischung aus Knurren und Seufzen geworden wäre, und zuckte schließlich die Achseln. "Wir machen schon, ja." Nähen? Caelyn war zum Nähen verdonnert worden? Siv wusste nicht, ob sie sie bemitleiden oder beneiden sollte. Auf der einen Seite konnte sie Nähen selbst nicht ausstehen. Auf der anderen Seite würde sie Nähen eindeutig einigen ihrer derzeitigen Aufgaben vorziehen – die Überreste vom Schlachten fortzubringen und den Ort zu säubern, zum Beispiel, oder die Latrinen zu reinigen, das war ihr ganz persönlicher Favorit auf der Liste der zehn unbeliebtesten Sklavenarbeiten. Und vermutlich nicht nur ihrer. Es gab Tage, da hatte Siv das Gefühl, dass sie den Gestank der Latrinen nie mehr losbekommen würde. Nein, nein, so wenig sie Nähen leiden konnte, sie fand, dass Caelyn doch Glück gehabt hatte.


    Wie Fhionn schon angekündigt hatte, kamen sie im Lauf des Tages nicht dazu, Caelyn aufzusuchen. Erst am Abend, schon nach dem Essen, als sie sich erschöpft von der Arbeit wieder im Schlafraum trafen, bot sich eine Gelegenheit. Caelyn kam hereinmarschiert, brummte etwas und legte sich auf ihr Bett. Siv war versucht, sie einfach in Ruhe zu lassen – wieso noch mal hatte sie sich dazu breitschlagen lassen, Caelyn ausgerechnet in Liebesdingen zu helfen? –, aber sie hatte es versprochen. Mit einem angedeuteten Achselzucken, das eigentlich nur für sie selbst gemeint war, ging sie hinüber zu der anderen Sklavin, setzte sich ohne zu fragen und ohne sonst ein Wort zu verlieren auf den Bettrand, lehnte sich mit dem Rücken an Pfosten am Fußende und zog ihre Beine hoch, so dass ihre Füße hintereinander auf der Bettkante zu stehen kamen. Ihre angewinkelten Knie umschlang sie mit den Armen, während sie Caelyn musterte. "Was ist los?" fragte sie schließlich, sich durchaus der Ironie dieser Situation bewusst – hätte ihr in den letzten Tagen und Wochen jemand diese Frage gestellt, sie hätte den Betreffenden entweder ignoriert oder zu Hel gejagt.

    Sivs Herz hatte unwillkürlich angefangen stärker zu klopfen, je mehr sie sich dem Balneum näherte, und als sie es schließlich betrat, verharrte sie mitten im Schritt. Corvinus befand sich auf der Liege, die in der Nähe des Wasserbeckens stand, offensichtlich bereit massiert zu werden. Er sah weder hoch noch sagte er etwas zu ihr, und Siv spürte erneut, wie schon öfter an diesem Tag, wie sich ihre Kehle zuschnürte. Er hatte offenbar beschlossen, ihr nicht mehr aus dem Weg zu gehen – aber er ignorierte sie immer noch. Sie biss sich auf die Unterlippe. Immerhin hatte sie ihm heute ja deutlich genug gezeigt, dass das für sie eine noch größere Strafe war. Aber sie sagte nichts. Sie sehnte sich nach einem freundlichen Wort von ihm, sehnte sich noch mehr danach, endlich, endlich erklären zu können, was in ihr vorgegangen war in Mogontiacum, und was jetzt in ihr vorging, aber sie brachte kein Wort über die Lippen. Sie wusste nicht, ob sie heute noch eine Zurückweisung aushalten würde, und sie wollte nicht vor ihm in Tränen ausbrechen. Schweigend ging sie hinüber zu dem Regal, in dem verschiedene Badeutensilien sowie Öle – sowohl für das Bad als auch für Massagen – untergebracht waren. Ohne nachzudenken wählte sie unter denen, die Corvinus bevorzugte, dasjenige aus, das auch ihr am liebsten war – ein Massageöl mit einer herberen Duftnote, mit Zusätzen von Tannennadeln und einem Hauch Citrus.


    Anschließend wandte sie sich um und trat zu der Liege. Ihr Blick glitt über seinen Körper, während sie den kleinen Flakon öffnete und etwas Öl auf die Hände gab, um diese dann aneinander zu reiben – zum einen um das Öl zu verteilen, zum anderen um sie zu erwärmen, damit die Temperatur des Öls und ihrer Hände angenehm auf seiner Haut sein würden. Ohne es zu wollen wanderten ihre Gedanken dabei zu anderen Gegebenheiten, bei denen sie ihn massiert hatte. Bevor sie nach Germanien gedurft hatte, war es zumeist sie gewesen, die er gerufen hatte für diese Dinge. Sie wusste, wie er am liebsten massiert wurde, sie hatte Gelegenheiten genug bekommen, um es herauszufinden – und nicht nur dafür. Sachte, zärtlich berührte sie mit ihrer Linken seine Schulter, ließ die Fingerspitzen zur Wirbelsäule gleiten und dann langsam daran hinunter. Einen winzigen Moment lang gab sie sich ihrem Tagtraum hin, in dem alles so war, wie es vor ihrer Abreise gewesen war, und als das Zwischenspiel in ihren Gedanken eine Wende nahm, die es auch in der Realität nicht selten genommen hatte, seufzte sie, leise nur, aber wohl doch laut genug, dass er es hören konnte. Dann, plötzlich, fand sie wieder in die Realität zurück. Fast erschrocken zog sie für den Bruchteil eines Augenblicks ihre Hand zurück, die schon über die Höhe der unteren Rippen hinausgewandert war und verfluchte sich lautlos. Gleichzeitig legte sie die Hände auf seine Schultern und begann, ihn zu massieren.

    Nachdem Siv den Garten – langsam zunächst, dann rennend, sobald sie sich außer Sicht- und Hörweite wähnte – durchquert und die Terrasse wieder erreicht hatte, blieb sie für einen Moment stehen. Wohin sollte sie gehen? So aufgewühlt, durcheinander und verletzlich, wie sie sich im Moment fühlte, wäre ihr erster Zufluchtsort Garten oder Stall gewesen. Beides kam derzeit nicht in Frage. Im Garten, obwohl sehr groß, war die Gefahr zu groß, dass sie Corvinus und seiner Besucherin über den Weg lief und sich die Frage gefallen lassen musste, was sie noch dort zu suchen hatte, und um in den Stall zu gelangen – der ihr ohnehin nach wie vor verboten war – musste sie ebenfalls durch den Garten hindurch. Und sie wollte um keinen Preis das Risiko eingehen, noch einmal den beiden zu begegnen. Für heute hatte sie wahrhaftig genug, genug an seelischem Aufruhr, genug an Gefühlschaos, genug… einfach genug. Sie konnte nicht mehr. Sie konnte nicht einmal Wut in sich schüren über diese arrogante Römerin, die sich für so viel besser hielt, und die sich so selbstverständlich an Corvinus Seite bewegte, als sei sie dafür geboren worden… was sie im Grunde ja auch war. Siv rang nach Luft, und das Geräusch, das sie dabei machte, klang nach einer Ertrinkenden. Hilflos ballte sie die Hände zu Fäusten, und im nächsten Augenblick hatte sie sie wieder vor den Mund gepresst, biss in die zarte Haut ihres rechten Handrückens, um den Schrei zu ersticken, der sich diesmal nicht mehr unterdrücken ließ. Aber immerhin waren nur gedämpfte Laute zu hören, nichts, was über die nächste Umgebung hinaus zu hören war. Und kaum war der Schrei verklungen, wurde er abgelöst vom ersten Schluchzer. Während die Tränen über ihr Gesicht rannen, lief sie ins Haus und suchte nach einer Nische, einem unbeobachteten Winkel, in dem sie sich verstecken konnte, und fand ihn schließlich beim Hausaltar.


    ~~~
    Die Sonne scheint, der Tag ist wie neu
    Keinen Augenblick den ich bereu'
    Das Gewitter ist weg und war wichtig für jeden
    Die Luft ist feucht, es riecht noch nach Regen
    Ich hab Angst gehabt, als es über mich hereinbrach
    Mich gefragt, ist das heute wirklich dein Tag ?
    Nicht gewagt, mich den Wolken zu stellen
    Hielt ich es fest an Momenten um mich noch zu erhellen
    Doch ich war zu verschwommen in alledem
    Mit Sicherheiten so angenehm
    Da wurd' mein Leben leider zu bequem
    Und überraschend wie'n Schaltjahr war Zahltag
    Alle hatten's kommen sehen, ich stellte mich dumm
    Hatte Angst zu versagen und das machte mich stumm
    Jedoch mich nicht zu verschonen war richtig
    Denn die Lektionen des Lebens war'n wichtig


    Es ist klar - der Regen wäscht auf jeden Fall
    Weg was war - und es erscheint mir überall
    Schenkt er auch neues Leben - 'ne neue Chance für jeden
    Wenn Sonnenlicht durch Wolken bricht, wie nach 'nem Sommerregen
    ~~~


    Siv wusste nicht genau, wie viel Zeit vergangen war, als sie wieder hervor kam. Die Flavia musste inzwischen schon wieder gegangen sein, und das seit geraumer Weile, denn es war bereits später Nachmittag. Vermutlich hatte in der Zwischenzeit auch schon irgendjemand nach ihr gesucht, weil irgendeine unangenehme Arbeit zu erledigen war – aber momentan war ihr das egal. Sie wollte nach wie vor einfach nur ihre Ruhe haben. Inzwischen hatte sie sich wenigstens etwas wieder gefangen, auch wenn sie um keinen Schritt einer Lösung näher gekommen war, auch wenn sie immer noch das Gefühl hatte, einfach nicht zu wissen, was um alles in der Welt sie tun sollte. Vielleicht wäre es das Beste, Corvinus einfach zur Rede zu stellen. Aber dazu hatte sie im Moment nicht die Kraft, geschweige denn einen möglichen Versuch, mit ihm zu sprechen, erneut scheitern zu sehen. Er wollte nicht mit ihr reden, wollte ihr nicht zuhören, das hatte er in den vergangenen Wochen überdeutlich gezeigt, und sie… konnte nicht mehr. Sie fühlte sich seltsam ausgelaugt, so als ob die Gefühlsausbrüche, die ihr dieser Tag abgenötigt hatte, den letzten Rest an Kraft verzehrt hätten, die sie noch gehabt hatte. Nicht einmal Wut oder Trotz hatten sich einstellen wollen, obwohl sie es beinahe verzweifelt versucht hatte, diese Reaktion in sich zu wecken, und das war, auch für sie selbst, das deutlichste Zeichen dafür, dass es ihr zu viel wurde. Sie hatte die letzten Wochen in einer Art Dämmerzustand verbracht, hatte mehr einem Schatten geglichen denn sich selbst, und jetzt, wo ihr altes Ich wieder hervorgebrochen war, schien alles nur noch schlimmer geworden zu sein. Corvinus hatte sie heute beachtet, was sie sich seit Wochen gewünscht hatte, aber hatte das etwas verbessert? Nein. Es hatte sie nur noch tiefer in Verwirrung gestürzt, zuerst seine ablehnende Haltung zu spüren auf der Terrasse, dann die Wut und der anschließende Ausbruch beiderseitiger Leidenschaft in seinem Cubiculum, nur um danach wieder auf Abweisung und Missbilligung zu stoßen… und Unverständnis über Verhalten, so als ob er nicht die geringste Ahnung hätte, warum sie so durcheinander war nach dem, was passiert war. Hatte stattdessen von ihr erwartet, die brave Sklavin zu spielen vor der Flavia. Aber wenigstens hatte er sie schließlich gehen lassen.


    ~~~
    Der Sonnenschein der uns beiden gefiel
    Brachte allein noch keinen ans Ziel
    Wir gingen zu zweit, um uns zu begleiten
    Mieden den Streit, suchten nur gute Zeiten
    Doch die Spannung bleibt, statt zusammen zu schweigen
    Bedrückende Stille zwischen uns beiden
    Ab wann ist's zu spät, um sich zu begegnen
    Und mein Lebensweg, Baby, sehnt sich nach Regen
    Doch wir mieden den Sturm, blieben daheim
    Wir alle bauen diesen Turm und schließen uns ein
    Um sicher zu gehen, bleibt jeder allein
    Und mit Sicherheit gehen wir genau daran ein
    Komm, wir lehnen uns wieder gegen den Wind
    Und wir erleben im Regen wessen Wege es sind
    Wenn wir schicksalsergeben uns im Tal begegnen
    Um Tränen zu zählen im Rinnsal des Lebens


    Es ist klar - der Regen wäscht auf jeden Fall
    Weg was war - und es erscheint mir überall
    Schenkt er auch neues Leben - 'ne neue Chance für jeden
    Wenn Sonnenlicht durch Wolken bricht, wie nach 'nem Sommerregen
    ~~~


    Unschlüssig, wohin sie gehen sollte, stand die Germanin einen Augenblick da, dann wandte sie sich in Richtung der Unterkünfte. Dass sie geweint hatte, musste ihrem Gesicht deutlich anzusehen sein, und sie wollte sich erst das Gesicht waschen, bevor sie irgendjemandem über den Weg lief. Außerdem bewegte sie sich damit lange genug durch das Haus, dass ihr auffallen würde, wenn sie jemand suchte – und wenn das nicht der Fall war, dann konnte sie beruhigt verschwinden. In den Stall würde sie sich schleichen, zu Idolum, und die Nacht in seiner Box verbringen, dem einzigen Wesen, von dem sie momentan das Gefühl hatte, dass es ihr vorbehaltlos vertraute, dass es sie verstand. Selbst Brix, so gut sie sich mit ihm verstand und so sehr er zu ihr hielt, trotz allem, konnte ihr nicht dieses Gefühl geben, vielleicht, weil sie sich selbst nicht verstand. Idolum war einfach da, ohne Fragen zu stellen, ohne bewusst helfen zu wollen, und schon allein dadurch war seine Gegenwart tröstend. Leise zog sie die Tür auf zum Servitricium der Sklavinnen und ging hinüber zu der Waschschüssel, wo sie sich mit beiden Händen mehrmals Wasser ins Gesicht schüttete. Schließlich beugte sie sich vor und tauchte das ganze Gesicht in das kalte Nass, blieb so, bis ihr die Luft ausging, und hob dann prustend den Kopf wieder an. Gerade hatte sie nach einem Handtuch gegriffen und begonnen sich abzutrocknen, als Sofia hereinkam. "Oh, gut, dass ich dich hier treffe. Der Dominus meint er braucht dich, du sollst zu ihm kommen. Im Balneum." Siv erstarrte. Was wollte Corvinus denn noch von ihr? Reichte ihm nicht, was heute alles geschehen war? Die ganzen letzten Wochen hatte er sie ignoriert, obwohl auch ihm aufgefallen sein musste, wie sehr sie unter der Situation gelitten hatte, wenn er nur ein wenig aufmerksam gewesen wäre – und heute konnte er nicht genug von ihr kriegen? Weil er gemerkt hatte, wie groß sein Einfluss auf sie war, mit wie wenig er erreichen konnte, dass sie sich erbärmlich fühlte? Siv biss sich auf die Unterlippe, aber ihr fehlte die Energie, sich zu wehren. Und sie blendete schlicht aus, was es bedeutete, dass er im Balneum war, dass sie ihm nun beim Bad behilflich sein musste, nach allem was heute passiert war. Und Sofia hätte nur dumme Fragen gestellt, wenn sie sich jetzt geweigert hätte. "In Ordnung", murmelte sie schließlich. "Wie war es denn mit der Flavia? Wie ist sie so? Du warst doch mit ihnen im Garten. Oh, und siehst du, das ist doch ein gutes Zeichen, ich bin mir sicher, dass der Dominus jetzt der Meinung ist, du bist genug bestraft worden – er lässt dich den Garten zeigen, wenn er so wichtigen Besuch hat, und jetzt ruft er nach dir, das ist doch eindeutig. Wird auch langsam Zeit, finde ich", plapperte Soffchen weiter. Siv schloss kurz die Augen und nickte nur. Sie bezweifelte das, aber Sofia hatte auch keine Ahnung – wenn sie gewusst hätte, was draußen im Garten vorgefallen war, würde sie nicht so reden. Aber sie wusste es nicht, und im Gegensatz zu Brix hatte Sofia auch keine Ahnung davon, was in Siv wirklich vorging, wenn es um Corvinus ging. Weder hatte sie genug mit der Germanin zu tun, noch hatte sie die dafür nötige Menschenkenntnis, um derlei zu entdecken. Siv zwang sich zu einem Lächeln, hatte sie heute doch schon für genug Aufsehen gesorgt. Kurz fragte sie sich, ob Sofia von dem Vorfall – den Vorfällen – in der Küche wusste, und im nächsten Moment, ob Corvinus davon schon erfahren hatte.


    ~~~
    Nach Wegen gesucht und nicht gleich gefunden
    Den Regen verflucht und doch nie überwunden
    Statt durch Nebel zu gehen auf das was auf uns zukommt
    Haben viele nur einfach Angst vor der Zukunft
    Die Träume, sie enden und scheinen gescheitert
    In Räumen, an Wänden, hier geht es nicht weiter
    Denn wie alles da draußen erblüht unser Leben
    Auch nur durch den Wechsel von Sonne und Regen


    Es ist klar - der Regen wäscht auf jeden Fall
    Weg was war - und es erscheint mir überall
    Schenkt er auch neues Leben - 'ne neue Chance für jeden
    Wenn Sonnenlicht durch Wolken bricht, wie nach 'nem Sommerregen
    ~~~


    Siv seufzte lautlos. Sie würde nur erfahren, was er wollte, wenn sie hinging, und kurze Zeit später stand sie vor der Tür des Balneums, klopfte und betrat dann leise und ohne ein Wort zu sagen den Raum.


    [SIZE=7]Die Fantastischen Vier - Sommerregen[/SIZE]

    Siv sah Fhionn traurig an, als diese ihr versicherte, es sei nicht ihre Schuld. Aber was sollte es sonst sein? Es ging ihr nicht einmal so sehr darum, dass Corvinus ihr vielleicht glauben – ihr vielleicht zuhören würde, wenn sie nicht sein Vertrauen verloren hätte durch ihren Fluchtversuch. Nein. Das war schlimm genug, aber das war nicht der einzige Grund, warum Siv Schuldgefühle hatte. Wenn sie nicht geflohen wäre, dann wäre es nie so weit gekommen, davon war sie überzeugt. Wenn sie Matho nicht die Gelegenheit gegeben hätte, dermaßen den Mistkerl raushängen zu lassen… Wäre sie nicht geflohen und hätte ihm damit Handhabe geboten, sie fast schon zu misshandeln, hätte Fhionn keinen Grund gehabt, sich für sie einzusetzen – und dann wäre Matho nicht auf sie aufmerksam geworden, nicht in dieser Form. Aber sie sagte nichts. Die Keltin klang so überzeugt und dabei so dringlich, als ob es ihr in diesem das Wichtigste wäre, dass sie, Siv, keine Gewissensbisse hatte… Fhionns Worte änderten nichts daran, dass sie sich die Schuld gab, aber sie versuchte sich nichts mehr davon anmerken zu lassen.


    Einen Moment sah sie die Keltin noch an, lächelte traurig, dann wanderte ihr Blick zu ihren Beinen und blieb dort hängen. Unverwandt starrte sie auf ihre Füße, wehrlos den Bildern ausgeliefert, die mit Macht ihren Geist zu erobern schienen. Sie hörte Alexandros sprechen und verstand doch die Worte nicht, sah seinen Blick nicht, registrierte kaum, wie Fhionn zum Fenster ging, um hinaus zu sehen. Erst als die Tür sich erneut öffnete, als Brix den Raum betrat und Alexandros den Kamm fallen ließ, regte sie sich. Nach dem Klappern herrschte für einen Moment eine Grabesstille im Raum. Niemand rührte sich, niemand schien zu atmen. Dann fuhr Sivs Kopf hoch. Jetzt zeigte sich, dass die Germanin doch gehört hatte, wenn auch eher unbewusst, was Alexandros zuvor gesagt hatte. "Er kann nicht anders…" Brix vertraute er. Wenn nicht nur die anderen Sklaven, sondern auch Brix ihre Worte bestätigte… Siv konnte nicht sagen, ob in diesem Moment tatsächlich neue Hoffnung in ihr aufgeflammt war, oder ob sie einfach nur mit aller Gewalt versuchte, die schrecklichen Bilder zu verdrängen, die in ihr tobten, aber im nächsten Augenblick war sie auf den Beinen und bei dem hochgewachsenen Germanen. Von Anfang hatte sie ihn gemocht, und im Lauf der Monate war er so etwas wie ein großer Bruder für geworden, ein Ersatz für die Brüder, die sie verloren, die sie hatte zurücklassen müssen. Sie glaubte an ihn. "Brix." Ihre Stimme klang flehentlich, und sie sprach schnell, in dem Bewusstsein, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. "Brix, du weißt doch auch, wie Matho war… Auf der Reise war es noch viel schlimmer, er hat mich die ganze Zeit im Karren festgekettet, und wer weiß schon, wie er Fhionn unter Druck gesetzt hat. Bitte, du musst uns helfen! Du musst Corvinus sagen, dass er mir glauben muss! Fhionn hat Matho getötet, aber sie hat nicht verdient dafür ans Kreuz zu kommen, wirklich nicht… Und mich trifft genauso viel Schuld, wenn ich nicht versucht hätte zu fliehen, wäre es nicht so weit gekommen…" Jetzt klang ihre Stimme gequält.