Beiträge von Aureliana Siv

    Sivs Hände ballten sich zu Fäusten, als ihr Matho antwortete, und mit einem Ruck stand sie auf. Sie selbst konnte zwar nicht sonderlich gut Latein, aber sie verstand wenn sich jemand über sie lustig machte. Bevor die Germanin allerdings irgendetwas Dummes tun konnte, lenkte sie der Becher ab, der über Tillas Decke rollte. Geistesgegenwärtig griff sie danach und fing ihn auf, aber dennoch war es ein Glück, dass er schon fast leer war, denn ansonsten hätte sich trotz Sivs schneller Reaktion der Inhalt über das Bett ergossen. So waren es nur ein paar Tropfen, die die Decke dunkler färbten. Siv drehte den Becher in ihren Fingern und lauschte der kurzen Unterhaltung zwischen Hektor und Matho, und wieder ballten sich ihre Hände – die eine um den Becher, die andere erneut zur Faust, und ihre Knöchel traten weiß hervor. Was bildete Matho sich ein? Er hatte überhaupt keine Ahnung, was sie heute schon getan hatte, oder Hektor. Und was Tilla betraf, sie war einfach noch nicht in der Lage zu arbeiten. Aber der Maiordomus schien vom Gegenteil überzeugt zu sein – Sertorio tauchte auf, und sogar für Siv waren Mathos weitere Worte verständlich. Er wollte Tilla tatsächlich wieder zum Arbeiten schicken.


    Mit einem Knall setzte Siv den Becher auf dem kleinen Nachttisch ab und stellte sich dann mit einer entschlossenen Bewegung vor Tillas Bett. Sie verschränkte die Arme und musterte Matho finster, während sie ihn anfauchte. "Tilla sein, ist krank. Sie noch nicht gut sein, nicht so gut, für Arbeit." Ihr Tonfall hatte etwas Endgültiges, und ihre Augen funkelten wütend. Sie wusste, dass Matho mehr zu sagen hatte, dass er sie herumkommandieren konnte – er mochte ebenfalls ein Sklave sein, aber er hatte eine ganz andere Stellung als sie, er war verantwortlich für den Haushalt. Aber Tilla konnte noch nicht wieder arbeiten. "Wenn du wollen hast Sklave für Arbeit, dann ich arbeite. Das… das was Tilla machen soll. Ich machen Arbeit von mir, und Arbeit von Tilla. Aber sie bleibt hier."

    Siv schwieg, während Severus sprach und dabei den Bereich für die Opferung vorbereitete. Sie wunderte sich ein wenig, dass keiner der beiden anderen an das Opfer gedacht hatte – für sie wäre es undenkbar gewesen, ein Fest wie Jul zu feiern, ohne den Göttern ein lebendes Opfer zu bringen, dessen Blut noch hell und frisch war. Sie musterte Fiona kurz, die seltsam abwesend zu sein schien, dann wanderte ihr Blick wieder zu Severus. "Sie… Was? Sie wollten was mit dir machen?" Siv konnte mit den Wörtern einkerkern, Fluch und kreuzigen nichts anfangen, aber sie verstand den Schluss. "Wieso du… denkst du sein Ende, haben Ende? Ein Jahr vor jetzt?" Wäre ein Römer anwesend gewesen, hätte Siv sich einen Dreck darum geschert, auf Latein zu fragen, wenn sie es auch auf Germanisch hätte tun können. Fiona war aber keine Römerin, und so bemühte sie sich, auf Latein zu begreifen, um was sich die Unterhaltung gerade drehte. Um es wirklich zu verstehen, würde sie um ihre Muttersprache wohl nicht herumkommen, aber sie wollte wenigstens ihren guten Willen zeigen. Sie lächelte kurz, um dann aufzustehen und nach Ästen zu suchen, die Severus benutzen konnte um die Grasnarbe zu halten. Kurz darauf war sie wieder da und reichte ihm zwei, beide gegabelt, und legte außerdem drei Steine vor den Zwischenraum, der entstanden war durch die gelöste Grasnarbe.


    Sie ließ sich wieder nieder, zwischen dem Feuer und der vorbereiteten Opferstätte, und dachte an die verschiedenen Bestandteile der Opferung. Sie wusste im Schlaf, was dazu gehörte, was sie zu tun oder zu sagen hatte, hatte oft genug solchen Festen beigewohnt. Aber selbst die zu sein, die das Blót durchführte, war etwas anderes als nur dabei zu sein. Auf Minnas Frage hin deutete sie auf das Gefäß, aus dem sie gerade noch getrunken hatten, und meinte: "Der Becher geht doch. Trinken können wir daraus nachher immer noch, oder eben direkt aus der Flasche." Als Severus fertig war, kniete Siv sich vor der Stelle nieder, in einer schnellen, aber bestimmten Geste zeichneten ihre Finger in der Luft das Zeichen des Hammers, Thors Zeichen, in die Luft über der Grasnarbe, um die Stelle zu heiligen. Währenddessen lauschte sie Fionas Worten, aber erst, als sie mit der Segnung fertig war, sah sie auf und die Keltin an. "Es immer… gibt Sonnenaufgang." Sie war betroffen über die Bitterkeit, die sie in Fionas Stimme zu hören meinte, aber sie versuchte es sich nicht zu sehr anmerken zu lassen. Sie konnte nachvollziehen, wie die andere Sklavin sich fühlen musste, machten sie doch alle dasselbe durch – die Hilflosigkeit, die Wut, die Ohnmacht… Aber trotz allem war da doch immer noch Hoffnung. "Römer… haben alle nehmen. Von uns allen. Aber trotzdem… Trotzdem gibt es Hoffnung, die gibt es doch immer. Deswegen feiern wir Jul. Und die Götter wollen, dass wir Hoffnung haben, gerade wenn sie uns auf die Probe stellen." Siv hätte gerne Fionas Hand genommen und sie kurz gedrückt, aber dafür kannte sie sie nicht lange genug.

    Siv strich über Tillas Haare lächelte ihr zu. Sie war sich nicht ganz sicher, was die Gesten des Mädchens bedeuteten, aber sie nickte ihr beruhigend zu und bot ihr noch einmal etwas zu trinken an. Hektor war inzwischen eingetreten und näher gekommen, und die Germanin lächelte ihn müde an. "Ich… in Ordnung? Ja. Gut, alles gut, bei mir. Ich bin nur müde, das ist alles. Müde. Ich… Arbeit, und Tilla…" Sie gestikulierte kurz, aber ihr fehlte einfach der Wortschatz um auszudrücken, dass sie und Cadhla auch weiter hatten arbeiten müssen, und zumindest seit gestern nur noch ihre Pausen nutzen konnten, um nach Tilla zu sehen. "Cadhla und ich, bei Tilla, sein. Ist in Ordnung." Sie lächelte erneut und drückte kurz Tillas Hand, während Hektor sich zu ihnen setzte und anfing sich mit Tilla zu unterhalten. Die Germanin lehnte sich etwas zurück und schloss für einen Moment die Augen, und erst als Hektor sie wieder ansprach, öffnete sie sie wieder. "Ja. Tilla… müssen Ruhe."


    Kurz darauf kam Matho herein, und Siv spannte sich praktisch sofort an. Sie war erst vor kurzem mit ihm zusammengestoßen, genauer, er hatte einen ihrer Ausbrüche in der Küche mitbekommen. Und seitdem… schien er ihr zu misstrauen. Stirnrunzelnd beobachtete sie, wie der Maiordomus das Fenster aufriss, und sie wusste nicht ob sie froh war, dass sie nicht ganz verstand, was er sagte. Vermutlich sollte sie froh sein – sie verstand immerhin genug um zu wissen, dass sie sich über das ärgern würde, was er sagte. "Tilla sein krank", sagte sie betont. "Und ich sein, haben, Pause. Ich sein dürfen hier, ich, ich, ich kann in meinen Pausen ja wohl noch machen was ich will!" Ihr Tonfall wurde wieder heftiger, und ohne es selbst zu merken fiel sie wieder ins Germanische, wo es ihr so viel leichter fiel sich auszudrücken.

    Siv musterte Straton, während er dazu ansetzte, seine Worte von zuvor zu erklären – jedenfalls ging sie davon aus, dass es eine Erklärung dazu war. Sie zog den linken Teil ihrer Unterlippe zwischen die Zähne und zog leicht die Augenbrauen zusammen, während sie sich auf das konzentrierte, was er sagte. Obwohl er diesmal wieder einfachere Worte wählte, fiel es ihr nicht leicht, genug zu verstehen, um wirklich den Sinn nachzuvollziehen. "Sie… Römer zahlen… für Römer Spiele? Und Essen?" Siv runzelte die Stirn in ihrem Versuch zu begreifen, was er über das römische Gesellschaftssystem erzählte. Die Menschen hungerten und langweilten sich, und andere, die Reicheren, zahlten für sie. Weil viele Kraft besaßen? Etwas verwirrt strich sie sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. "Römer haben Kraft? Viel Kraft? Oder… oder du meinst wie, wie… Wie eine Kampftruppe – je mehr sie sind, desto stärker werden sie? Aber wieso lassen sich die Menschen-" Sie unterbrach sich selbst und versuchte, Worte auf Latein zu finden. "Warum Menschen nicht mehr haben Zorn, wenn, wenn andere Römer zahlen Essen? Ich meine… wenn Zorn echt, und tief, und heiß, dann… dann ist nicht so einfach. Nicht einfach Zorn zu, zu… zu besänftigen." Sie konnte ein Lied davon singen, wie schwer es sein konnte, sich unter Kontrolle zu bekommen, wenn man wirklich wütend war. Und sie konnte es sich nicht so ganz vorstellen, dass es so leicht sein sollte, Menschen, eine Menge Menschen, die zornig waren, mit Essen und Spielen zu besänftigen, vor allem wenn es so war, wie Straton sagte – dass es sogar Sklaven besser ging als ihnen. Und das warf noch mehr Fragen bei ihr auf. Was waren die Römer für ein Volk, wenn Sklaven, manche zumindest, besser behandelt wurden als ihresgleichen? "Die Römer… die die… sagen. Befehlen. Sie… haben Angst? Angst vor Römer, vor, vor Menschen, die… die sein ihr Volk?" Das war etwas, was sie noch viel weniger begriff.


    Die Germanin griff nach den Früchten, die Straton ihr empfahl, und obwohl sie sie bereits kannte, war sie doch immer noch fasziniert von deren Fremdartigkeit. Genauso faszinierend war, wovon der Grieche sprach – Menschen mit dunklerer Haut und wieder einer anderen Sprache, Menschen wie Leone… In ihr erwachte die Sehnsucht danach, diese Länder zu sehen, während einige Bewohner des Landes in ihrem Kopf dunklere Haut bekamen. "Leone auch kommen von da. Und, und er sagt dass da viel mehr heiß wie hier. Und kein Winter, kein… kein kalt." Sie lutschte das süße Fruchtfleisch einer Dattel, während sie sich überlegte, wie heiß es wohl tatsächlich sein mochte in solchen Ländern. Die nächsten Worte brachten sie aber wieder zum Lachen. "Du Laub musst weg tun, wenn im Garten. In Wald nicht. Natur nicht, nicht… will dass du Arbeit hat. Oder Fragen. Natur ist da. Und du, du… du läufst rum, und genießt es, und versuchst mit ihr zu leben und das zu von ihr zu kriegen, was du kannst, was du brauchst um zu überleben. Das ist Arbeit, ja, aber man macht sich doch nicht extra Arbeit, um irgendwelches Laub im Wald zusammen zu sammeln oder Zweige oder so, nur damit es, ich weiß nicht, besser aussieht. Vor allem denk ich gar nicht mal, dass das besser aussieht. Natur sein… frei. Tun was will. Daher hier das, und da… anders. Ich finde das sein, ist gut. Interessant. Spannend."

    Siv hätte beinahe mit den Zähnen geknirscht bei seiner Antwort. Natürlich. Sein Garten. Wie hatte sie das nur vergessen können. Einmal mehr wünschte sie sich, ihr Latein wäre besser, gut genug, um ihm die ironischen Worte um die Ohren zu schlagen, die ihr auf der Zunge lagen. So waren es nur ein paar germanische Sätze, die sie vor sich hinmurmelte. "Ja, Herr und Meister. Dein Garten. Sicher. Wie konnte ich das nur übersehen und so frech sein zu fragen." Etwas lauter und in seiner Sprache sagte sie: "Garten ist auch schön wenn Nacht." Und sie war auch nicht hier um etwas zu sehen, aber das verschwieg sie. Bisher war er offenbar noch nicht darauf gekommen, dass sie vorhatte hier zu schlafen, trotz der recht dicken Decke, die sie mitgenommen hatte, um sich vor der kühlen Nachtluft zu schützen. Und es war ihr lieber, wenn es dabei blieb, weil sie keine Ahnung hatte, wie er reagieren würde. Sie hatte nicht umsonst keinem erzählt, dass sie gelegentlich draußen schlief, nicht einmal Cadhla, und ihr hatte sie sogar Bescheid gesagt wegen des Julfestes gestern.


    Als das Silberpferd zu Boden fiel, rührte Siv sich erst mal gar nicht, sondern starrte nur hinunter – und bevor sie reagieren konnte, hatte Corvinus sich schon gebückt und den Anhänger aufgehoben. Die Germanin wurde noch eine Spur röter, als er zunächst die Kette, dann sie betrachtete und schließlich zu ihr trat, um sie ihr um den Hals zu legen. Siv bewegte kaum einen Muskel, als er ihre Haare zur Seite strich, um das Band in ihrem Nacken zu verknüpfen, und starrte auf seine Brust. Erst als er einen Schritt zurück trat, sah sie wieder auf, seufzte leise und musterte ihn. Sie wurde aus ihm einfach nicht schlau. Mal war er freundlich und zugänglich, und sie konnte sich mit ihm unterhalten und sogar lachen – zum Beispiel wenn sie gelegentlich abends beisammen saßen und sie versuchte, ihm Germanisch beizubringen. Und wenn sie mit ihm das Bett teilte, hatte sie nie das Gefühl, sie wäre eine Sklavin und würde nur benutzt werden, einfach weil es, aus seiner Sicht, ihre Pflicht war für ihn da zu sein. Er zwang sie nie zu etwas, er bereitete ihr ebenso viel Lust wie sie offensichtlich ihm, und obwohl sie noch nicht allzu lange hier war, war schon ein oder zweimal sie diejenige gewesen, die den ersten Schritt gemacht hatte. Aber dann wieder gab es Momente, in denen er einfach nur ein Römer war, arrogant und herablassend – genau so, wie sie dieses gesamte Volk einschätzte.


    Ihre Hand wanderte indessen zu dem kleinen Pferd an ihrem Hals und tastete kurz darüber, während sie Momente lang einfach nur schwieg, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte. Und irgendwie schienen Worte auch fehl am Platz zu sein, in dieser Atmosphäre, die im nächtlichen Garten herrschte – die Gewächse, die in der Nacht zu etwas anderem zu werden schienen, die Schatten, die auf die verschlungenen Pfade geworfen wurden, das silbrige Mondlicht, in das alles getaucht war, was einigermaßen frei oder weit genug oben lag, der Teich, der nicht weit entfernt in eben diesem Licht schimmerte. Siv senkte schließlich kurz den Blick, sah zum Wasser hinüber und dann wieder Corvinus an. "Danke", meinte sie, eher unbewusst leise, und der Klang ihrer Stimme fügte sich in die Stimmung ein anstatt sie zu stören. Ihren folgenden Worten war anzuhören, dass sie ehrlich gemeint waren. "Das… Schön. Schön Geschenk ist. Ich… freue mich." Obwohl ihr die ganze Zeit, seit sie das Geschenk geöffnet hatte, die Frage nach dem Warum auf der Zunge gebrannt hatte, stellte sie sie nicht, nun da sie die Gelegenheit dazu hatte. Sie konnte nicht einmal sagen warum nicht – möglicherweise, weil sie bisher von Corvinus selten eine wirklich zufriedenstellende Antwort bekommen hatte, wenn sie fragte, warum er sie behandelte wie er es nun einmal tat. Warum er mit ihr Germanisch lernte, warum er ihr Münzen auslieh, warum er sich mit ihr manchmal so zwanglos unterhielt… Es war immer dasselbe, er wich aus oder antwortete allgemein, und ihr Latein war bei weitem nicht gut genug, um ihn auf eine konkrete Antwort festzunageln. Und eine solche Unterhaltung wollte sie jetzt nicht. Also ließ sie es einfach.

    Einige Tage waren verstrichen, und Tilla war immer noch krank. Sie hatte einen Ausschlag bekommen, mit kleinen Blasen, an denen sie immer zu kratzen versuchte, vor allem wenn sie im Fieber nicht klar denken konnte, und jeder, der gerade bei Tilla war und sich um sie kümmerte, hatten seine liebe Mühe damit, das Mädchen daran zu hindern, sich die eigene Haut blutig zu kratzen. Aber es ging ihr inzwischen doch deutlich besser – das Fieber war lange nicht mehr so stark wie in der ersten Nacht, und Tillas Schlaf war insgesamt ruhiger geworden. Als Hektor – der Sklave, der Tilla gebracht hatte in Sivs erster Nacht – an der Tür klopfte, saß gerade wieder die Germanin am Bett des Mädchens und leistete ihr etwas Gesellschaft, als sie gerade eine Pause in ihren täglichen Arbeiten hatte. Zuerst hatten vor allem Cadhla und sie selbst die Erlaubnis gehabt, sich um Tilla zu kümmern, aber gestern hatte Matho vorbei gesehen und befunden, dass es dem Mädchen wieder gut genug ging, dass niemand mehr auf sie aufpassen müsse, und so hatten sie wieder ihrer normalen Arbeit nachgehen müssen.


    Diesmal klopfte Hektor an, was Siv allerdings kaum auffiel – sie hätte sich auch nicht sonderlich daran gestört, wenn er so herein gekommen wäre. Die Germanin sah auf, als das Geräusch ertönte. "Komm… komm rein", meinte sie. Als Hektor den Raum betrat und sich ihnen näherte, lächelte sie ihm, etwas müde, zu. "Tilla… besser. Sein besser. Aber nicht, nicht… noch nicht wirklich gesund… Nicht gut, ganz gut. Sie müssen hat Ruhe." Siv strich dem Mädchen ein paar Strähnen aus der Stirn und bedeutete Hektor mit der anderen Hand, sich auf den Stuhl neben das Bett zu setzen, wenn er wollte.

    Sivs Finger fuhren nach wie vor beinahe zärtlich über den Anhänger, während ihre Gedanken weiter herumschweiften. Ihre Freude überwog die Verwirrung letztlich bei weitem, und ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen. Erst als sie auf einmal ein Knacken hörte, wie ein Ast der zerbrach, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Der Kopf der Germanin fuhr mit einem Ruck hoch. Sie runzelte die Stirn und sah in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, um zu erkennen, wer es versucht haben mochte, als eine Gestalt hinter einer Platane hervor und ins Mondlicht trat. Corvinus. Im ersten Moment war sie so verblüfft, dass sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Sie hatte nicht erwartet, dass überhaupt jemand kam, aber mit ihm hatte sie am allerwenigsten gerechnet. Zuerst starrte sie ihn nur an, während er auf sie zukam und schließlich kurz vor ihr stehen blieb. Dann wurde ihr auf einmal klar, wer vor ihr stand, und sie sprang hoch. Das Papier fiel dabei unbeachtet zu Boden, während der Anhänger in ihrer Hand baumelte. "Ich… ich…" Diesmal stotterte sie tatsächlich, weil sie überrascht und verlegen war, und nicht weil sie nicht die richtigen Worte wusste. "Ich… bin gern… draußen. Im Garten." Sie machte eine Handbewegung, die ihre Umgebung einschloss. "Und du?" Gegenangriff war immer gut, wenn man selbst nicht weiter wusste.


    Siv verschwieg, dass sie auch in den Garten gegangen war, um allein zu sein – aber dieser Gedanke erinnerte sie wieder daran, weswegen sie ausgerechnet heute hier war. Der Anhänger. Den Corvinus ihr geschenkt hatte. Den sie immer noch in ihrer Hand hielt, die Finger verschlungen um das Band, an dem er befestigt war, während das kleine Pferd knapp darunter baumelte. Siv wurde rot, als ihr die Situation bewusst wurde, und sie konnte nur hoffen, dass er das im Mondlicht nicht sah. Aber sie war in den Garten gekommen, nicht nur um hier zu schlafen, sondern auch um endlich das Päckchen öffnen zu können, alleine, ohne beobachtet zu werden… Und dann kam ausgerechnet Corvinus heraus. Sie war verwirrt, wusste nicht, was sie von dem Geschenk halten sollte, und sie wollte nicht dass er das bemerkte. Und sie freute sich über das Geschenk – und dass er das sah, wollte sie ebenfalls nicht, jedenfalls nicht wie sehr. Er war ein Römer… Ihre Finger schlossen sich um den Anhänger, um ihn ganz in der Hand zu verbergen – das hieß, sie versuchten es, aber ihre Hand zitterte leicht, und das einzige was sie erreichte war, dass sich das Band von ihren Fingern löste und mitsamt dem Anhänger fiel. Ihre andere Hand versuchte noch, die Kette aufzufangen, aber sie kam zu spät, und das Pferd landete vor Corvinus’ Füßen auf dem Boden.

    Siv war betroffen, als Cadhla ihr so deutlich sagte, dass sie allein gelebt hatte, seit sie Kriegerin war. So sehr kämpfen hatte lernen wollen, so sehr sie es immer noch lernen wollte, wusste sie doch nicht, ob sie dafür wirklich diesen Preis hätte zahlen wollen. Alleine sein? Sie war in einer großen Familie aufgewachsen, sie war nie wirklich allein gewesen, erst als sie verschleppt worden war, hatte sie festgestellt wie es war, niemanden mehr zu haben außer sich selbst. Und es hatte ihr nicht gefallen. Sie hatte sehr schnell zu den anderen Gefangenen Kontakte geknüpft, soweit die Soldaten das zuließen – weil sie im Grunde ein offener Mensch war und es ihr leicht fiel, auf andere zuzugehen, wenn sie wollte. Aber in dieser Zeit hatte sie festgestellt, dass es ihr nicht nur leicht fiel, sondern dass sie es brauchte. Sie brauchte die Gesellschaft anderer, sie konnte nicht allein sein, nicht völlig allein. Sie musste nicht viele Freunde haben, aber ein, zwei gute, mit denen sie wirklich reden konnte, brauchte sie. Siv musterte die Keltin nachdenklich und grübelte kurz, aber sie war sich nicht sicher, was für eine Entscheidung sie unter diesen Umständen getroffen hätte. "Ich nicht weiß… was ich tun. Dass ich Kriegerin sein, wenn dafür allein. Ich weiß nicht ob ich das könnte, ob es das wert wäre…"


    Die Germanin hatte nicht wirklich damit gerechnet, aber Cadhla nahm ihr Angebot an. Tatsächlich schien sie sogar darauf gewartet zu haben, so sehr sprudelten die Worte auf einmal aus ihr heraus. Siv stützte sich auf den Rechen und hörte aufmerksam zu, konzentrierte sich noch mehr als normalerweise, um so viel wie möglich zu verstehen. Nur leider gab es herzlich wenig, was sie ihr sagen konnte. Sie hatte ja selbst keine Erfahrung mit Liebe – sie war mal verliebt gewesen, in Vilmar. Aber das war eigentlich keine Verliebtheit gewesen, sondern bloße Schwärmerei… Vilmar hatte sie mit 13 Jahren angehimmelt, als sie gerade mal an der Schwelle zur Frau gestanden hatte, und er hatte nie wirklich Augen für sie gehabt, niemals. Irgendwann war ihre Schwärmerei abgeflaut, auch wenn sie nie ganz das Interesse verloren hatte, aber erst als sie Ragin versprochen worden war, schien Vilmar auf einmal auf sie aufmerksam zu werden. Als Ragin dann gestorben war, hatte es nicht allzu lange gedauert, bis sie und Vilmar dann zueinander gefunden hatten, aber ihre Schwärmerei für ihn hatte sich nicht von neuem entzündet – es war bei körperlicher Anziehungskraft geblieben. Dennoch hätte sie Vilmar vielleicht geheiratet, denn lange hätte sie nicht Witwe bleiben können, wenn nicht die Römer gewesen wären… Kurz, Siv konnte Cadhla nicht wirklich helfen. Aber sie versuchte es.


    "Ich… ich nicht weiß, wie Liebe… sein. Aber ich glaube nicht, dass man es sich aussuchen kann… Jedenfalls haben mir das immer alle anderen erzählt, wenn ich gesagt hab dass ich mich nie verlieben will…" Sie streckte ihre Hand aus und nahm Cadhlas erneut in ihre. In Ursus hatte sie sich also verliebt, und woran Siv gar nicht gedacht hätte, machte die Keltin gleich darauf klar – die Komplikationen die es gab, weil nicht Ursus, sondern Corvinus ihr Herr war. Allerdings leuchtete ihr der Grund nicht ganz ein. Selbst wenn er Cadhla für sein Bett wollte, offenbar akzeptierte er ein Nein – und es war ja nicht so, dass er sonst niemanden hatte, mit der er das Bett teilen konnte. "Oh, ich habe Mann, aber nicht brauchen Mann für sagen was tun… Mann kann sein gut für andere Dinge," meinte die Germanin trocken. Sie kam gar nicht auf die Idee, dass Cadhla noch nie bei einem Mann gelegen hatte. Sie zuckte die Achseln. "Corvinus dann nicht erfahren dürfen", meinte sie pragmatisch. Was die Keltin aber dann sagte, machte sie betroffen. Sie kannte zwar nicht, was die Keltin beschrieb, aber es klang gut – und doch hörte sie den Schmerz, der aus ihren Worten klang. "Was… was er denken? Er weiß? Er… dich lieben auch?" Dass sie als Sklavin kaum mit ihm würde glücklich zusammenleben können, selbst wenn er ihre Gefühle erwiderte, ließ Siv für den Moment außen vor.

    Siv warf ihrem Begleiter einen halb verständnislosen, halb grübelnden Blick zu. Im Grunde verstand sie nur den Teil mit dem ‚faule Menschen gibt es überall’ wirklich, der Rest strotzte von Wörtern, die sie nicht wusste. Die Wahl zwischen einem Leben und einem anderen. Redete er von Sklaven und Freien? Aber es war nicht wirklich so, dass Sklaven die Wahl hatten. "Was für Leben du meinst? Die du hast Wahl? Die du, die du… kannst wählen? Faule Menschen ja, gibt es. Aber in Germanien, du nicht… du kommst einfach nicht weit wenn du faul bist. Dafür muss zu viel gemacht werden. In Heimat wir müssen arbeiten. Können nicht faul sein, weil sonst… sonst… nicht gehen. Es zu viel Arbeit sein, und wer faul ist… bleibt auf der Strecke, irgendwann. Spätestens wenn die anderen die Lust verlieren, für ihn mitzuarbeiten." Stratons nächste Worte machten sie nachdenklich. "Wertvoll…" Natürlich wurde der Wert eines Menschen immer auch daran bemessen, was er konnte, zumindest von den meisten. Das war bei ihnen zu Hause nicht anders. Die, die nicht so viel zur Gemeinschaft beitragen konnten wie andere, hatten nicht dasselbe Ansehen – abgesehen von den Alten, die bereits ihren Teil getan hatten, und den Kindern, die noch alles vor sich hatten. Aber jemand wie sie beispielsweise, der nichts konnte oder aus Faulheit nichts tat, hatte auf Dauer keinen leichten Stand. War, letztlich, weniger wert – auch wenn dieser Wert nicht in Gegenständen bemessen wurde, wie die Sklaven hier in Münzen. Siv machte sich gern nützlich, und sie lernte gern – aber hier bedeutete das, dass sie für Römer wertvoller wurde. Selbst wenn das für sie Vorteile bringen mochte, wollte sie das wirklich? Sie seufzte fast unhörbar und schob auch diese Gedanken fort. Es hatte keinen Sinn darüber zu grübeln, weil sie zu keinem Ergebnis kommen würde. Und letztlich, da kannte sie sich gut genug, würde sie das tun, wonach ihr war, was sie wirklich wollte – ihr Interesse an dem, was zum Beispiel Straton zu erzählen hatte, war weit größer als ihr Trotz gegenüber den Römern.


    "Ich nicht weiß… ich will… ob ich will wertvoller werden. Für Römer. Aber ich will gern neue Sachen wissen, interessante." Siv zuckte leicht die Achseln, um anzudeuten, dass sie es dafür wohl in Kauf nehmen würde, Römern mehr zu gefallen. Dann lachte sie. "Berge? Oh ja, Berge ich sehe auf Weg hier. Ich mag Berge." Siv lächelte bei dem Gedanken daran. Nicht dass sie die Gelegenheit gehabt hatte viel zu sehen, aber es war genug gewesen um ihr zu helfen – zu helfen die Reise und die Soldaten einigermaßen auszuhalten. Anschließend schüttelte sie den Kopf. "Eis hier bringen. Das ist doch verrückt, warum? Das, das… sein… irr." Sie waren inzwischen zu dem Teil des Marktes gekommen, wo es frisches Obst gab, und Siv hatte inzwischen einen Trick gefunden, wie sie sich leichter durch die Menschen bewegen konnte – sie hielt sich dicht bei Straton, etwas schräg hinter ihm. Das machte es zwar etwas schwieriger sich zu unterhalten, aber auf diese Art lief sie weit weniger Gefahr, von irgendwelchen Menschen angerempelt zu werden. Schließlich erreichten sie den Stand, der Stratons Ziel gewesen war, und wo er wie schon zuvor in einem Tonfall, der im Grunde nichts anderes als befehlend zu nennen war, Kostproben verlangte. Siv allerdings achtete im ersten Moment nicht wirklich darauf. Dass es Wald hier gab, wusste sie, sie war ja beim Julfest dort gewesen. Aber seitdem hatte sie keine Gelegenheit mehr gehabt, dorthin zu gehen… Es war, wie Straton so schön sagte, wieder eine Sache, bei der sie würde fragen müssen. Wie eigentlich bei allem. Sie verdrehte kurz die Augen, ging aber nicht mehr darauf ein. Stattdessen lachte sie erneut bei seinem letzten Satz. "Unordentlich? Natur unordentlich?" Der Gedanke, Natur unter solchen Aspekten zu betrachten, war ihr neu und amüsierte sie. "Du nicht kannst Natur… sagen dass ordentlich, oder unordentlich. Natur ist. Du auch nicht kannst gehen und, und… machen Wald ordentlich. Wald nicht ein Zimmer ist, oder ein Haus. Aber du recht bist, wenn du sagst dass, dass… Frage was du kennen. Ich nicht kennen Stadt, du nicht kennst Wald."

    Weg in den Garten, tief wie ein langes Getränke,
    leise im weichen Gezweig ein entgehender Schwung.
    Oh und der Mond, der Mond, fast blühen die Bänke
    von seiner zögernden Näherung.
    Rainer Maria Rilke


    Siv war gut gelaunt, als sie sich spät an diesem Abend hinaus schlich in den vom Mond erhellten Garten. In der letzten Nacht hatte sie das Julfest gefeiert, und sie war erst in den frühen Morgenstunden wieder zurück gekommen. Auf sie gewartet hatte keiner, und auch den heutigen Tag über hatte sie niemand darauf angesprochen, also standen die Chancen gut, dass keiner ihre Abwesenheit gemerkt hatte. Bei den Nächten, die sie im Garten schlief, dachten die anderen Sklavinnen auch in der Regel, dass sie sie bei ihrem Herrn verbrachte, also warum hatte es gestern anders sein sollen – es sei denn Corvinus hatte tatsächlich nach ihr rufen lassen. Und da nach wie vor diese Saturnalien gefeiert wurden, hatte sie den Vormittag genutzt, Schlaf nachzuholen, bis über Mittag hinaus. Normalerweise schlief sie nie so lange, selbst wenn die Nacht lang oder anstrengend gewesen war, aber sie hatte ja ohnehin nichts zu tun – unter anderen Umständen wäre sie in den Wald gegangen und einfach herumgelaufen, oder ausgeritten, aber das kam hier kaum in Frage. Den Nachmittag hatte sie sich dann auch eher gelangweilt, hatte sich mit den anderen unterhalten, hatte, wie bereits öfter, die Münzen betrachtet, die Corvinus ihr ausgeliehen und die Brix ihr inzwischen noch einmal auf Germanisch erklärt hatte, war im Stall gewesen und hatte sich schließlich Brix geschnappt, um ihn über ein paar Worte auszuquetschen – unter anderem hatte sie ihn endlich gefragt, was Corvinus hieß. Der Gedanke daran ließ sie wieder grinsen. Kleiner Rabe. Amüsiert schüttelte sie den Kopf und breitete die Decke unter dem Baum aus, unter dem sie für gewöhnlich schlief. Den Tag über hatte sie noch etwas anderes verfolgt, ebenso wie die letzten Tage, und zum Teil hatte sie sich einfach Beschäftigungen gesucht, mochten sie noch so sinnlos sein, um sich davon abzulenken. Die Germanin setzte sich hin und zog nachdenklich das kleine Päckchen aus der Tasche, das Corvinus ihr bei der Saturnalienfeier gegeben hatte.


    Sie hatte es bisher nicht geöffnet. Die anderen während der Feier mochten gedacht haben, sie lege keinen Wert auf Geschenke der Römer, und das stimmte im Prinzip auch, aber hier lag der Fall anders. Sie war neugierig, was in dem Päckchen sein mochte. Aber… sie wollte alleine sein, wenn sie es aufmachte. Sie wusste nicht warum; sie wusste nur, dass sie nicht wollte, dass ihr andere dabei zusahen, wusste, dass sie diesen Moment für sich allein haben wollte. Gleichzeitig machte sie diese ungewohnte Gefühlsregung nervös, und obwohl sie seit der Feier oft genug an das Päckchen hatte denken müssen, das seitdem in ihrer Tasche gewesen war, hatte sie bisher doch nicht nach einer Gelegenheit gesucht, es öffnen zu können. Jetzt saß sie unter dem Baum und ließ ihre Finger darüber streichen, immer noch ohne es zu öffnen, bis eine innere Stimme sie einen Feigling schimpfte. Das gab den Ausschlag. Behutsam schlug sie das rote Papier zurück. Als sie den Inhalt im Licht des Mondes sah, der heute besonders hell zu sein schien, war sie sprachlos. Ihre Finger glitten über den kostbaren Anhänger; wer auch immer ihn angefertigt hatte, musste ihn in mühevoller Feinstarbeit geformt haben. Siv hatte keine Ahnung davon, dass das Pferd aus Silber war, und wie viel es allein deswegen wert war. Aber sie konnte die Mühe einschätzen, die nötig gewesen war, es zu fertigen. Jede Einzelheit schien zu stimmen, und wenn sie genau hinsah und den Anhänger leicht hin und her bewegte, bildete sie sich sogar ein, die feinen Muskelstränge sich bewegen zu sehen. Das Pferd wirkte so lebendig, als wolle es im nächsten Moment losgaloppieren.


    Hatte er geraten? Hatte er blind getippt, was ihr gefallen könnte, oder einfach irgendetwas gekauft? Unbewusst schüttelte sie den Kopf. Sie hatte gesehen, was er Cadhla und den anderen geschenkt hatte – jeder hatte von ihm etwas anderes bekommen, und es schien, als ob er sich bei jedem Gedanken gemacht hätte. Aber woher sollte er wissen, was ihr gefiel? Bisher hatte sie ihm gegenüber noch nicht erwähnt, wie sehr sie Pferde liebte, und sie glaubte nicht, dass er mitbekommen hatte, dass sie sich zu den Stallungen schlich, wann immer sich ihr die Gelegenheit bot, seit sie erfahren hatte, dass es sie gab. Sie war vorsichtig dabei, übervorsichtig, wollte sie doch nicht das Risiko eingehen, dass es irgendjemand bemerkte – und ihr womöglich verbot, als Strafe für irgendetwas oder, noch schlimmer, generell. Also, woher wusste er davon? Und warum… hatte er ihr diesen Anhänger geschenkt? Die anderen hatten Dinge bekommen, die zwar schön waren, die sie aber auch gebrauchen konnten… Das hier war nur schön, hatte keinen anderen Nutzen als den, schön zu sein. Zu gefallen. Siv war verwirrt, und das nicht nur, weil das Geschenk von einem Römer kam. Sie hatte bisher selten etwas bekommen, was keinem Zweck diente außer einfach nur eine Freude zu machen. Die meisten Geschenke, ihres Vaters, ihrer Brüder und sogar Ragins, hatten immer auch einen Nutzen, was nicht hieß, dass Siv sich weniger gefreut hätte. Und jetzt saß sie da und wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte, dass Corvinus ihr etwas derartiges geschenkt hatte, und nicht auch etwas was sie irgendwie gebrauchen konnte und möglicherweise sogar ihm Nutzen brachte, so wie Caelyns Geschenk… Siv hätte beinahe laut angefangen zu lachen, als die andere Sklavin ihr erzählt hatte, was auf der Schriftrolle stand, aber sie hatte sich noch rechtzeitig zusammengerissen, und so war aus dem Lachen ein Prusten geworden, was auch nicht viel besser gewesen war. Aber nein, er hatte ihr einen Pferdeanhänger geschenkt. Und sie freute sich darüber und war gleichzeitig verwirrt, über das Geschenk, über den von dem es kam, und über ihre eigene Reaktion.



    Sim-Off:

    reserviert :)

    Siv nickte bei den Anweisungen des Römers. Da er recht langsam sprach, einfache Worte wählte und dazu Gesten machte, begriff sie sofort, was er meinte. Auch den Rest konnte sie weit genug nachvollziehen, um zu verstehen, was er sagen wollte. "In Ordnung." Für einen Moment war sie versucht zu fragen, wie sie jemandem Bescheid sagen sollte ihr zu helfen, wenn sie auf die Römerin aufpassen sollte, aber das war purer Trotz, und sie wusste es auch. Selbst gegenüber einem Römer und so müde wie sie war wäre es ihr kindisch vorgekommen, das zu sagen. Es würde keine Rolle spielen, wenn sie die Römerin kurz alleine ließ.


    Als der Römer den Raum verlassen hatte, seufzte Siv leise und räumte auch noch den Rest weg, der herumlag. Die benutzten Laken und Stoffreste stapelte sie neben der Tür, sie würde sie später wegbringen. Dann trat sie zu der Römerin ans Bett, zog die Decken zurecht, brachte die Steine um ihren Körper in eine neue Position und hob ihr verletztes Handgelenk mit einer erstaunlichen Sanftheit an – die sie vermutlich nicht an den Tag gelegt hätte, wäre die Römerin wach gewesen –, um ein kleineres Kissen darunter zu legen. Wenn die Wunde erhöht lag, wurde der Blutfluss langsamer und Druck, der auf der Naht lastete, geringer, und das würde die Heilungschancen erhöhen. Danach ließ sie sich müde auf einen Stuhl neben dem Bett sinken. Draußen ging bereits die Sonne auf, und Siv versuchte sich daran zu erinnern, wie viel sie geschlafen hatte in der Nacht – es konnte nicht wirklich viel gewesen sein. Sie musterte die Gestalt der Aureliern, die ruhig in ihrem Bett lag, und dachte noch daran, dass sie sich endlich waschen und die blutverschmierten Sachen loswerden musste, aber sie konnte sich nicht dazu aufraffen aufzustehen. Ihre Augenlider wurden immer schwerer, und bevor sie etwas dagegen tun konnte, waren sie ganz zugefallen. Ihr Kopf sank zur Seite, und sie schlief in dem Stuhl ein.

    Die Ganzen waren schöner? Siv glaubte kaum, dass das tatsächlich der Grund war, wenn es denn überhaupt einen Grund gab, aber ihr gefiel der Gedanke. Auf ihre Frage nach ihrem Wert bekam sie erst mal keine Antwort, denn der Römer ließ sich Zeit, bis er schließlich das Wort ergriff. Nicht viel und nicht wenig. Während Siv nebenbei diese Umschreibung für das ihr bisher unbekannte Wort ‚durchschnittlich’ irgendwo in ihrem Kopf verstaute, war der Großteil ihrer Aufmerksamkeit geteilt zwischen dem was er weiter sagte, und dem was sie noch beschäftigte. 42 Aurei, so viel war sie wert, das war ihr Preis, wie er selbst sagte. Das Wert nicht unbedingt dasselbe wie Preis bedeutete, wusste sie nicht, und abgelenkt wie sie in diesem Moment ohnehin war, fiel ihr auch nicht auf, dass er von zahlen sprach – was sie unter anderen Umständen vielleicht auf den Unterschied zwischen diesen Worten gebracht hätte. Dazu kam, dass sie eigentlich gar nichts anderes erwartete als die Bestätigung, dass diese 42 Aurei ihr Wert waren. So hing sie ihren eigenen Gedanken nach, und sein Moment der Verwunderung ging vorbei, ohne dass es ihr wirklich aufgefallen wäre.


    Siv ging der kurze Wortwechsel von zuvor wirklich nicht aus dem Kopf. Sie mochte aufbrausend sein und manchmal schneller aussprechen was ihr auf der Zunge lag als gut war, aber im Grunde war sie ein anständiger Mensch. Sie stand für ihre Fehler ein. Als sie nun anfing zu sprechen, kam das, was sie sagte, einer Entschuldigung so nahe wie es für ihre Verhältnisse ging – und es fiel ihr nicht leicht, erst recht nicht in dieser Situation. Allerdings schien Corvinus das nicht wirklich so zu sehen. Siv blinzelte irritiert, als er sie zunächst nicht einmal ansah, und seine darauf folgenden Worte lösten bei ihr Unverständnis aus. Hatte sie sich falsch ausgedrückt? Oder warum ging er so gar nicht auf ihre Worte ein, auf das was sie gemeint hatte? Und was meinte er damit, nicht nur Sklaven waren einsam… War es das? Redete er nur mit ihr weil er sich einsam fühlte, weil sonst keiner da war – oder weil ihm langweilig war? Irgendwas in ihrem Magen zog sich zusammen bei dem Gedanken, aber sie konnte ihn auch nicht abschütteln. Sie war seine Sklavin, warum sollte sie mehr sein als ein Lückenfüller. Wenn er die Wahl hätte, würde er sich doch bestimmt nicht mit ihr zusammensetzen. Er war ein Römer, so einfach war das. Sie musste vorübergehend verwirrt gewesen sein, in ihm etwas anderes zu sehen als das. Und vermutlich musste sie es ihm sogar noch anrechnen, dass er sie nicht ausgelacht hatte oder schlimmeres, sondern auf ihre Worte gar nicht wirklich einging, sondern sie einfach nur so abtat. Nur warum hatte sie dann das Gefühl, dass es ihr die Kehle zuschnürte und sie Tränen unterdrücken musste? Sie konnte doch nicht ernsthaft enttäuscht sein, nicht wegen einem Römer. Die Germanin presste die Lippen aufeinander, um das Zittern zu verhindern, und sagte sich, dass nichts anderes passiert war als das, was sie erwartet hatte. Sie starrte ihn an und suchte nach Worten, wollte sich aufregen, ihn anfauchen, ihn beschimpfen. Aber es war einer der seltenen Momente in ihrem Leben – die sich in letzter Zeit, in seiner Gegenwart, zu häufen schienen –, in denen sie keine zu finden schien. Sie war erleichtert, als Corvinus sie entließ, so sehr, dass sein Tonfall sie gar nicht mehr wirklich störte, und sie verließ den Raum so schnell, dass es beinahe einer Flucht glich.

    Siv musste für einen Moment mit sich kämpfen, um ihre Fassung wieder zu bekommen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, so dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Die Erinnerung an die Soldaten, an ihre Gefangennahme und Reise nach Rom wühlten sie mehr auf, als sie wollte, mehr als sie zeigen wollte, aber wie meistens konnte sie kaum verhindern, dass ihre Emotionen relativ deutlich auf ihrem Gesicht zu lesen waren. Was sie ahnte und wofür sie sich gleichzeitig verfluchte – aber es war bisher einfach noch nie nötig gewesen, ihre Gefühle vor anderen zu verbergen. Sie hatte kaum mit Menschen zu tun gehabt, vor denen sie hatte verbergen wollen, wie sie sich fühlte. Am liebsten hätte sie Corvinus an den Kopf geschleudert, was Soldaten waren, was sie getan hatten, aber wenigstens so weit hatte sie inzwischen Kontrolle gelernt. Dabei half auch, dass er nichts weiter sagte, sondern sie nur musterte und einfach weiterreden ließ. Bei ihren nächsten Worte allerdings veränderte sich sein Gesichtsausdruck etwas, und wenn Siv es nicht besser gewusst hätte, hätte sie gesagt, er sah etwas betroffen drein. Siv runzelte leicht die Stirn. Offene Betroffenheit über etwas, was sie im Zorn oder ohne Überlegen einfach so sagte, war eine der wenigen Reaktionen, die sie innehalten und nachdenken ließen. Seine Antwort kam leise und erst nach einiger Zeit, in der sie sich einfach nur angesehen hatten, und jetzt war es an ihr, betroffen zu sein. Sie hatte nicht sagen wollen, dass er einer von diesen Römern war. Im Gegenteil, sie hatte damit eigentlich das Geständnis gemacht, dass sie ihre Meinung über Römer zu ändern begann, über manche jedenfalls. Dass sie begann zu differenzieren.


    Siv sagte dazu erst mal gar nichts, sondern wandte sich ebenfalls wieder den Münzen zu. Corvinus hatte sie falsch verstanden, das war offensichtlich. Aber wollte sie, dass er sie richtig verstand? Wollte sie, dass er wusste, dass sie ihn für anders hielt, dass sie anders über ihn dachte als über die meisten Römer? Sie wusste es nicht, und es war wesentlich einfacher für sie und ihr inneres Gleichgewicht, diese Gedanken zu verdrängen und sich auf die Münzen zu konzentrieren. Allerdings klappte es mit der Konzentration nicht so richtig, weil sich die Situation von gerade eben immer wieder dazwischen schob. Er hatte nachdenklich ausgesehen, fast ein bisschen traurig, und dieser Anblick verfolgte sie. Sie konnte damit umgehen, wenn jemand wütend auf sie war. Aber sie hasste es, wenn jemand wegen ihr unglücklich war. Und da spielte es auch keine Rolle, dass er ein Römer war, nicht wenn sie es eigentlich gar nicht gewollt hatte. Ihre Finger glitten über die Münzen, hoben ein paar an und drehten sie hin und her, während ihr Geist anderweitig beschäftigt war. Allerdings bemühte sie sich immer wieder, ihm aufmerksam zuzuhören, und sie rutschte etwas weiter in dem Sessel vor, um die Münzen besser begutachten zu können. "Warum sie mache wenig… mehr wenig von Halbe wie von, von diese da? Wenn nicht wichtig mit, mit… was Münze du zahlst?" Sie sah auf und stellte einigermaßen überrascht fest, dass er ihr näher war als sie gedacht hätte. Etwas verlegen schob sie ein paar Haarsträhnen zurück und setzte sich etwas auf, rutschte aber nicht wirklich zurück. Als er auf ihre Frage antwortete, warf sie ihm zunächst nur einen verständnislosen Blick zu, erst als er die Zahl die er meinte mit seinen Fingern verdeutlichte, begriff sie langsam. Er hatte seine Hände oft gehoben – und er hatte von den goldenen Münzen gesprochen.


    "Zweiund… vier… zig? Das sein… viel?" Sie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Oder was es bedeutete. Zu wissen, wie viel sie wert war… für den Sklavenhändler. Und für Corvinus? "So viel bin ich also wert? Das sein Wert, von mir?" In ihrer Stimme mischte sich Bitterkeit mit so etwas Unglauben, darüber, tatsächlich für einen festen Preis verkauft worden zu sein, nicht mehr zu sein als eine Ware, ein Stück Vieh, ein Gegenstand… Ihre Zähne mahlten für einen Moment aufeinander, und sie starrte auf die Münzen hinab. Wie seltsam war es doch, wenn das eigene Leben mit diesen kleinen runden Metalldingern bemessen werden konnte, wenn man Sklave war und ein anderer nur genug davon hatte… Aber Siv ging auch immer noch etwas anderes im Kopf herum, und inzwischen war sie an dem Punkt angelangt, an dem sie es loswerden wollte. Dass sie, sobald sie erst einmal als Sklavin verkauft worden war, wie ein Gegenstand einen gewissen Wert hatte, hatte sie schon länger gewusst, und es war einfach müßig, darüber zu grübeln, auch wenn es sie nach wie vor manchmal traf. Aber was gerade eben passiert war, konnte sie nicht einfach so stehen lassen. Das hatte sie noch nie gekonnt. Mit einem Ruck sah Siv wieder hoch und Corvinus in die Augen, und ihr Blick war aufrichtig. "Ich nicht will sagen, vorher, dass du so sein. So bist. Dass, dass… Sklaven schlecht sein, für dich. Ich…" Sie stockte kurz und fuhr sich kurz mit der Zunge über die Lippen, während ihre Hände auf dem Tisch lagen und an den Münzen herumfingerten. "Ich weiß, dass nicht alle so sein. Ich… weiß, dass du… nicht so sein. Ich will denke schlecht Römer, alle Römer… Aber… du, du reden, mit mir. Du wollen lernst Germanisch. Du zeigen Münzen. Du… gleich bei Anfang… Du alberst mit mir rum. Das hast du schon am ersten Abend gemacht." An den Morgen dachte sie lieber nicht, aber sie tat es natürlich trotzdem, und der Anflug eines zufriedenen Schmunzelns spielte für einen Moment um ihre Mundwinkel. "Du einfach… anders wie ich denken."

    Siv zuckte leicht mit der linken Achsel bei Stratons Feststellung. Sie war stolz, und sie wusste das auch – und zumindest in ihrer Heimat war sie damit nicht immer auf Gegenliebe gestoßen. Aber ihr Begleiter klang nicht so, als wollte er ihr aus dieser Eigenschaft sofort einen Strick drehen, also ging sie nicht weiter darauf ein. Dafür hörte sie mit einiger Überraschung, wie er über die Römer sprach. Einige von diesem Volk schienen wesentlich bessere Eigenschaften zu besitzen, als sie ihnen zugetraut hätte, aber auf der anderen Seite wies es auch mehr an Verrücktheiten auf. "In Germanien… viele nicht gern bitten." Sie runzelte leicht die Stirn, während sie versuchte zu verstehen, was Straton erzählte. "Nicht dann, wenn… wenn andere möglich. Wenn möglich selbst machen. Römer…" Siv schüttelte abwertend den Kopf. "Ich nicht verstehe wie können leben so. Nicht verstehe wie… wie nicht machen selbst. Ich meine wenn, wenn können." Sie seufzte leise, als Straton bestätigte, was sie letztlich wusste: dass sie würde bitten müssen, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb. Was aber dann kam, war interessant. Siv sah ihn überrascht an. "Ge… beten? Sie… bitten mich? Wenn ich weiß viel? Aber… wieso?" Sie wollte gerne mehr wissen, einfach weil es ihr Spaß machte, aber sie hatte während ihres Gesprächs mit Straton bisher noch nicht wirklich darüber nachgedacht, was das für sie bedeuten konnte. Ihre Stimme klang etwas zweifelnd. Wie viel konnte eine Sklavin denn erreichen? "Du denken, denkst, ich dürfe mehr nur weil mehr weiß?"


    Siv beobachtete, wie der Sklave neben ihr dem Händler anwies, einen weiteren Käse einzupacken, und ebenso behandelt wurde wie am vorigen Stand, während sie über ihre Heimat sprach. Von Germanien erzählte sie gerne, stellte Siv fest, jedenfalls wenn sie einen Zuhörer hatte wie Straton, der aufmerksam war – wirklich aufmerksam, und nicht nur so tat. "Eis", wiederholte sie, um es sich besser merken zu können, dann zog sie überrascht die Augenbrauen hoch. "Eis hier? Von… Alpen? Was Alpen? Und… hier viel warm, zu warm, für Eis. Sie… Römer können… bringen Eis hier?" Für einen Moment war Siv gegen ihren Willen beeindruckt, als sie sich fragte, was um alles in der Welt dieses Volk noch zustande brachte. Aber sie verscheuchte dieses Gefühl recht schnell wieder. Inzwischen verließen sie den Stand wieder und gingen zum nächsten, und Siv verbrachte erneut mehr Zeit damit, Menschen auszuweichen oder im Weg zu sein als mit normalem Gehen. Sie wusste einfach nicht, wie die Leute es hier zustande brachten, sich so fließend und ohne größeres Stocken aneinander vorbei zu bewegen. Aber was sie am besten gefallen hatte, war nicht schwer zu sagen. "Wald. Der Wald. Die, die… Wilde. Leben mit wild, und Wald…" Sie seufzte. "Im Wald du frei bist. Frei von alles. Frei von… von dem, was die anderen von dir erwarten. Was du tun sollst, was du lassen sollst… Andere Menschen wollen, wollen dass man tut Sachen… Wald will nichts. Will nur, nur sein. Ich weiß, dass Leben mehr sein, dass mehr… muss. Aber sein in Wald ist… gut. Gut wenn alles zu viel."

    Die Keltin ließ Sivs Hand schließlich los, aber die Berührung, wie sie sie gehalten hatte, war seltsam vertraut gewesen, so als ob sie sich schon viel länger kennen würden… Cadhla hatte Recht, dass es ein Unterschied war, ob sie es selbst wollte. Siv hatte sich bisher selten an die Wünsche und Erwartungen anderer angepasst, und sie hatte nicht vor das zu ändern. Aber Siv wollte so sein, wie Cadhla es beschrieben hatte. Sie lächelte die Keltin an. "Ja, sein Unterschied. Aber ich wollen sein wie du denken. Was du denkst ich bin, das… das ist gut. Ist… ist gut zu sein. Ich will so… so sein." Sie musterte Cadhla, und erneut kam ihr der Gedanke, wie aufrecht, stolz und unabhängig die Keltin doch wirkte, wie unantastbar… Und das trotz allem, was ihr widerfahren sein mochte. Siv war sich durchaus im Klaren darüber, dass Cadhla vermutlich auch ihre Probleme hatte mit ihrer Situation klar zu kommen – sie musste einfach Probleme damit haben, alles andere hätte Siv verzweifeln lassen –, aber sie schien ihr Schicksal einfach mit… so viel Würde zu tragen, dass es Siv vorkam, dass die Keltin mit allem fertig werden konnte, egal wie schwer es für sie sein mochte.


    Sivs Fragen brachten das Gesprächsthema an einen Punkt, an dem wenigstens ansatzweise zu merken war, dass Siv Recht hatte in ihrer Annahme, Cadhla habe ebenso wie sie mit ihrer momentan Lage zu kämpfen. Dennoch sprach die Keltin ruhig über das, was ihr am Herzen lag, was sie sich wünschte, was in ihrer Vergangenheit gelegen hatte… Siv nickte anfangs nur. Sie konnte gut nachvollziehen, was Cadhla meinte. Auch wenn Siv sich nicht danach sehnte, irgendwann mit einem Mann zu leben oder Kinder zu haben, sehnte sie sich nach dem, was darunter lag – das Leben selbst bestimmen zu können. Dann wurde die Germanin ebenfalls nachdenklicher, als Cadhla von ihrem bisherigen Leben sprach. "Immer allein? Du nicht leben… bei Familie, Vater, Mutter?" Kriegerin zu sein war wohl nicht ganz so, wie Siv es sich vorgestellt hatte. Sie wusste nicht, ob sie wirklich hätte allein leben wollen. Jetzt war es Cadhla, die etwas verloren klang. Und ihre nächsten Worte machten Siv betroffen. Einen Moment sah sie sie einfach nur an und schwieg, dann fragte sie zögernd: "Du… du lieben Mann? Hier? Aber nicht dürfen?" Abgesehen davon, dass sie sich ohnehin nicht vorstellen konnte, einen Mann zu lieben, auf die Art von der Cadhla sprach – sie konnte es sich nicht vorstellen, wie es sein mochte, zu lieben und es nicht zu dürfen. Es nicht leben zu dürfen. Aber auf wen traf das zu? Inzwischen wusste Siv, dass Beziehungen unter den Sklaven durchaus toleriert wurden. Und das ließ eigentlich nur einen Schluss zu. Ihr Magen zog sich etwas zusammen, als sie begriff, dass Cadhla von einem Römer sprechen musste. Ihre erste, spontane Reaktion war, verständnislos den Kopf zu schütteln. Aber dass es ausgerechnet Cadhla war, die das sagte, hinderte sie daran – die Keltin hatte ihr so sehr geholfen, hatte ihr so viel Mut gegeben, wirkte so stolz, aufrichtig und anständig… Siv konnte nicht anders als sie ernst nehmen. "Er sein… sein Römer, ja?" Es war mehr eine Feststellung denn eine Frage. "Ich… ich wünsche ich könne helfen. Aber ich… nicht habe viel, viel… Wissen für Liebe. Aber wenn du, du willst reden… Ich höre. Ich versuche helfen. Ich da sein."

    Dass sie alles bekommen würde, was sie brauchte, diese Erfahrung hatte Siv bereits gemacht – im Grunde mehr als sie brauchte, denn von der Hälfte der Dinge, die sie in den Unterkünften, der Küche und dem Bad gesehen hatte, hatte sie bis vor kurzem noch nicht einmal gewusst, dass es sie gab. Wie beispielsweise die Seife, mit der die Germanin mehr als nur das eine Abenteuer erlebt hatte, dass an ihrem ersten Tag stattgefunden hatte. Aber als Corvinus davon sprach, dass sie mit Matho reden sollte – warum begriff sie nicht ganz, aber sie ging davon aus, dass es sich um eben diese Dinge drehte, die sie möglicherweise brauchte –, schnitt sie eine Grimasse. Sie würde mit Matho nicht reden, wenn es sich nicht unbedingt vermeiden ließ. Und sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als ihn um etwas zu bitten. Ach was, sie würde eher einen Römer bitten als Matho! Aber auch das nur, wenn es wirklich nicht anders ging. Prinzipiell bat Siv niemals um etwas, wenn es sich nicht vermeiden ließ.


    Was Belohnungen waren, wusste Siv nicht, und sie fragte auch nicht nach, denn Corvinus nahm ihren Kommentar über die Soldaten zum Anlass, etwas dazu zu sagen. Wieder verstand sie nicht alles, aber es reichte ihr. Unwillkürlich fuhr ihre rechte Hand zum linken Oberarm, auf der noch einer der wenigen Blutergüsse zu sehen war, die noch nicht verblasst waren. "Wild?" In ihrer Stimme war beißender Spott zu hören, aber auch Wut – und die Verzweiflung, das Gefühl des Verletztseins, das sie immer unterdrückt hatte. "Wald ist wild. Tier ist wild. Aber Mensch? … Kind, vielleicht. Aber Soldat? Soldaten sind nicht wild. Sie denken nach, sie entscheiden, sie handeln. Sie müssten nicht-" Siv brach ab, wandte den Kopf zur Seite und presste die Lippen aufeinander. Selbst wenn sie hätte ausdrücken können, was sie meinte, wem glaubte sie das hier erzählen zu können? Der Mann vor ihr war immer noch Römer, auch wenn sie sich immer mehr dazu zwingen musste, sich das in Erinnerung zu rufen. Sie schloss die Augen, als sie sein Versprechen hörte, und biss für einen Augenblick die Zähne zusammen. Er konnte viel versprechen, aber selbst wenn er es hielt – ihr wäre wohler zumute, wenn sie es gar nicht nötig hätte, ein solches Versprechen zu bekommen. Weil sie frei war zu gehen, wohin sie wollte… Siv sah Corvinus erst wieder an, als er weitersprach. "So ich denke, von Römern. Dass Sklaven sein schlecht, mehr schlecht wie Hund." Sie zögerte einen Moment. "So ich denke … bis jetzt."


    Ihr für sie selbst überraschendes Geständnis – und noch überraschender für sie war, dass sie es auf Latein gesagt hatte, so dass er sie verstehen konnte – kam genau in dem Moment, in dem es an der Tür klopfte. Matho kam herein, und Siv hoffte, dass der Römer durch die Anwesenheit des anderen Sklaven abgelenkt genug war, um nicht zu merken, dass sich ihre Wangen leicht rot färbten. Der Maiordomus schien es zu merken, dem Lächeln nach zu schließen, das er ihr zuwarf, aber Siv funkelte nur zurück, und im nächsten Augenblick war Matho schon wieder verschwunden. Was danach kam, führte dazu, dass der Germanin der Kopf zu schwirren begann. "Oh. Das sein Münzen? Äääh…" Sie legte ihre Rechte auf den Tisch und berührte mit den Fingern nacheinander die Münzen. "Aureus… Denar… Sesterze… As…" Sich die Reihenfolge zu merken war nicht schwer, immerhin lagen sie so da. Aber was sie wert waren? Siv war nicht dumm, aber auf diese Art war sie noch nicht mit Zahlen umgegangen, und dazu kam, dass sie gleichzeitig Schwierigkeiten mit der Sprache hatte. "Sesterze… wichtig. Auf Markt sein?" wiederholte sie und sah ihn fragend an. Die goldene Münze war also am meisten wert, aber es waren die Sesterzen, die offenbar wichtiger waren. Die nächste Erklärung verwirrte sie erst recht. "Halben Wert? Ich… was, was… Wieso diese da", sie deutete auf die Münzen, die jeweils dazwischen lagen und deren Namen Corvinus nicht genannt hatte, "nicht wichtig? Wenig wichtig wie, wie Aureus, oder Denar?" Siv begriff nicht ganz, warum für die Römer offenbar die einen Münzen von Bedeutung waren, aber die anderen nicht. Offenbar konnte man doch – wenn man es begriffen und sich gemerkt hatte, jedenfalls – sehr genau sagen, welche Münze wie viel im Vergleich zu den anderen wert war, also war es doch eigentlich egal, welche man benutzte… Siv sah überrascht hoch, als Corvinus ihr anbot, die Münzen vorerst zu behalten. "Du meinst… lernen? Ich lerne, was… Münzen wert sein?" Sie verstand nicht ganz warum er ihr das anbot, aber sie fragte nicht nach, weil ihr in diesem Moment ein anderer Gedanke kam. Zögernd ließ sie ihre Hand sinken und musterte ihn. "Wenn du kaufen… Wenn Matho und Brix kaufen, mich… für dich. Wie viel du geben, davon?"

    Siv warf Straton einen kurzen Blick zu, während ihre Finger das Stück Käse zerkrümelten, das sie in der Hand hielt. Nachdenklich starrte sie dann auf das Ergebnis in ihrer Handfläche und bewegte ihre Finger, so dass die kleineren Bröckchen hin und her wanderten. Die Gedanken an ihren Herrn wollte sie lieber beiseite schieben, zu vieles war da, was sie nicht verstand, was sie verwirrte. Sie hatte sich immer noch nicht ganz an den Gedanken gewöhnt, dass sie ihn, nun ja, ganz sympathisch fand – und das, obwohl er Römer war. Einer von dem Volk, das das ihre überfiel, unterdrückte, versklavte. Sie wollte ihn nicht mögen, wollte sich nicht ihm verstehen. Es war schon schlimm genug, dass sie gelegentlich das Bett ihm teilte und sie es gern tat, aber das war immerhin etwas, womit sie inzwischen klar kam, was sie vor sich selbst rechtfertigen konnte. Warum sollte sie nicht ihren Spaß haben? Aber für solche Stunden bei ihm zu liegen war eine Sache. Eine ganz andere, die ganze Nacht in seinem Bett zu verbringen, und es zu genießen, wenn er sie einfach nur im Arm hielt. Oder sich gern mit ihm zu unterhalten, gern in seiner Nähe zu sein… Sie wollte es nicht genießen. Und doch tat sie es seltsamerweise. Es gab Momente, in denen sie sich nicht einmal wirklich wie eine Sklavin vorkam, und doch war sie eine, und das machte es nur noch schwieriger. Wie konnte sie vergessen, dass sie sein Besitz war, jedenfalls in seinen Augen und denen aller anderer? Dass sie sich nicht als sein Besitz sah, spielte keine Rolle, nicht hier. Und ihn um etwas bitten… Siv seufzte. "Ich nicht gerne bitte. Ich wolle, will… für mich, ich will tun, was ich will." Das war es nicht, was sie eigentlich meinte, und die Germanin verzweifelte mal wieder an der Sprache, was sie aber nicht davon abhielt, es noch einmal zu versuchen, langsam, stockend, auf der Suche nach den richtigen Worten. "Was ich will… Ich will… dass ich… erreiche. Ohne bitten. Und Römer bitten ich, ich nicht will. Mehr wenig will als andere."


    Aber Siv wusste nur zu gut, dass sie jetzt in einer Situation war, in der sie gar nicht anders konnte. Sie durfte nichts, es sei denn es wurde ihr erlaubt, und selbst wenn sie nicht jedes Mal bitten musste, war doch alles, was sie tat oder bekam, nichts anderes als etwas, das ihr gewährt worden war. Und Achaia klang schön… Die Germanin schüttelte leicht den Kopf und vertrieb die trüben Gedanken. Stück für Stück aß sie den zerkleinerten Käse und lächelte, als sie an ihre Heimat dachte. "Wild, ja. Rau?" Sie überlegte, wusste aber nicht was das Wort hieß. Etwas wie wild, vermutete sie. "Winter sind kalt, viel kalt. Sehr kalt. Und lang. Und viel Schnee." Sie deutete mit der Hand die ungefähre Höhe an, die Schnee im Winter normalerweise erreichte. "Und Wasser ist… Gewässer gefrieren, und auf dem Eis kannst du rumrutschen. Wasser… Schnee? Nicht, nicht weiß und… leicht, aber… fest. Du kannst laufen, auf Wasser, im Winter." Fragend sah sie Straton an. "In Germanien auch, auch viel Tier. Es Gefahr, alle sein, sein… müssen sein… aufpassen. Aber schön. Du, du können leben. Du… Du fühlst dich so lebendig, wenn du im Wald herumstreifst." Siv legte den Kopf in den Nacken und sah zum Himmel. Sie seufzte träumerisch, als sie in Gedanken das tat, wovon sie sprach. "Hier viel anders, ja. Sein… seltsam. Ich nicht kann… wissen, wie Sommer hier. Ich kann’s mir nicht vorstellen, meine ich. Es ist ja schon so seltsam, wie der Winter hier ist, aber da kann ich mir noch denken, es wär Herbst oder so… Aber der Sommer? Ich nicht… aach, ich nicht… kann denken so viel heiß. Aber ich erlebe wie sein. Ich viel erlebe seit, seit… hier sein."

    Siv hatte das Gefühl, von einer Flutwelle mitgerissen worden zu sein, hinein in einen Silberregen, dessen funkelnde Tropfen schillerten und zerstieben, während die Gischt über ihr zusammenbrach und sie weitertrieb. Für Momente lag sie einfach nur da, die Augen geschlossen, die Welt um sie herum vergessen, während sich ihre Brust hob und senkte in dem Versuch, ihrem jagenden Herzen nachzukommen. Langsam beruhigte sich ihr Atem ein wenig, genauso wie Herzschlag, und langsam fand sie wieder zurück, konnte ihre Aufmerksamkeit wieder auf andere Dinge lenken. Sie richtete sich halb auf, stützte sich mit einem Ellbogen ab und bemerkte, dass Corvinus sich nicht gerührt hatte, sie nur beobachtete und ihr einfach Zeit ließ, und wenn sie im Moment Platz für solche Gefühle gehabt hätte, wäre sie erstaunt gewesen. Er schien zufrieden zu sein, ebenso wie sie. Von Misstrauen jeglicher Art dagegen merkte sie nichts. Ihre Hand, die sie zuvor zur Seite hatte fallen lassen, hob sich wieder und strich durch sein Haar, sanfter diesmal als zuvor, und sie regte sich ein wenig unter ihm.


    Als wäre diese Bewegung der Ansporn gewesen, den er gebraucht hatte, löste Corvinus seinen Blick von ihrem, beugte den Kopf hinunter und küsste sie erneut. Die Berührungen seiner Lippen, die über ihren Bauch weiter nach oben wanderten und eine Spur aus kleinen Küssen setzten, entfachten schneller wieder die Lust in ihr, als sie es noch vor Augenblicken für möglich gehalten hätte. Mit einem kehligen Seufzen ließ Siv sich auf das Kissen zurücksinken. Zitternd atmete sie ein und schloss die Augen, während ihre andere Hand nun ebenfalls zu ihm glitt, über seine Wange in seine Haare, von dort zu seinem Hals, um dort schließlich zur Ruhe zu kommen. Ihre Finger liebkosten seinen Nacken und Rücken, während sie ihn weiter gewähren ließ, und ihr Körper, der wie geschaffen zu sein schien für ihn, für seine Berührungen, bebte spürbar, bis er seinen Mund von ihrer Haut löste und seinen Kopf auf eine Höhe mit ihrem brachte. Einen Moment sah Siv ihn einfach nur an, wollte in seinem Blick, in seinem Gesicht lesen, was er sich nun wünschte, wollte sehen, dass er sie wollte. Dann überwand sie den letzten Abstand, und ihre Lippen trafen fordernd auf seine. Der Geschmack, sein Geschmack, den sie schon kannte, gemischt mit etwas anderem, ließ die Glut in ihr zu neuem Feuer auflodern. Und sie hungerte, hungerte nach mehr, hungerte nach allem was er ihr geben konnte. Sie nahm ihn wahr, nahm ihn auf, seinen Duft, seine Bewegungen, seine Berührungen, spürte ihn auf sich und war begierig darauf, ihn in sich zu spüren. Und gleichzeitig wollte sie ihm dasselbe geben, was er ihr zuvor gegeben hatte, wollte ihn an den Rand des Wahnsinns treiben und sehen, spüren, wie er die Kontrolle verlor und mit ihr in den Abgrund fiel, auf den sie gerade schon einen Vorgeschmack bekommen hatte.


    Ihre Lippen trennten sich wieder von seinen, und Siv sah ihn erneut an, ihre Augen dunkel vor Leidenschaft. Wieder erforschten ihre Finger sein Gesicht, zeichneten die Konturen nach, nur um sogleich mit ihren Lippen dem Weg zu folgen, den ihre Finger vorgaben. Sie küsste die Schläfe, die zartere Haut unterhalb des Auges, und zog eine Spur aus Berührungen weiter zum Wangenknochen, die Gelegenheit nutzend, um heftig auszuatmen. Und während ihre Hände schnell tiefer glitten und seinen Oberkörper erkundeten, wanderte ihr Mund weiter, den Kieferknochen entlang zu der Stelle zwischen Hals und Ohr. Sie sehnte sich danach, mit Lippen und Zunge den Rest seines Körpers zu erforschen, so wie ihre Hände es bereits taten, aber sie spürte deutlich, dass sie das würde verschieben müssen. Hitze durchflutete sie, und ihr Körper drängte sich an seinen, ihre Beine umschlangen seine Hüfte und Oberschenkel, in der Absicht, ihn ihr näher, noch näher zu bringen, während ihr Mund wieder zu seinem fand.

    Während Siv im Zimmer herumräumte, behielt sie die Römerin im Auge. Aber die schien, endlich, zu erschöpft zu sein, um noch eine Dummheit anzustellen. Sie hörte, wie sie sagte, dass es ihr leid tue, und die Germanin runzelte die Stirn. Was tat ihr leid, dass sie versucht hatte sich umzubringen? Dass es ihr nicht gelungen war? Dass sie ihnen Mühe machte? Siv hatte keine Ahnung, was im Kopf der Römerin vorgehen mochte, und es war ihr im Moment eigentlich auch egal. Wichtig war dass sie Ruhe bekam und sich erholte. Nicht dass Siv sich wirklich für die ungefähr Gleichaltrige und deren Wohlergehen interessierte, aber sie war nun mal hineingezogen worden, und die Römerin war – auch wenn sich nun, wo sie darüber nachdenken konnte, alles in ihr dagegen sträubte – zu einem Pflegefall geworden, ihrem Pflegefall. Die Götter hatten dafür gesorgt, dass sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen war, um Unsus helfen zu können, und Siv war nicht so dumm, solche Zeichen zu missachten, auch wenn sie selbst eher darüber fluchen wollte, dass sie ausgerechnet in dieser Nacht draußen geschlafen hatte. Und sie hatte etwas dagegen, wenn Menschen dann doch noch starben, um die sie sich gekümmert hatte, schon allein wegen dem Aufwand, den sie investiert hatte.


    Es dauerte nicht lange, bis die Verletzte eingeschlafen war, und der Römer löste sich von ihr und wandte sich nun der Germanin zu. Siv unterdrückte ein Seufzen, als sie seine Worte hörte, und nickte nur ergeben. Sie hatte ohnehin schon geahnt, dass sie in dieser Nacht kaum noch Schlaf finden würde. Sie fragte sich nur, was mit ihren übrigen Aufgaben war, ob die anderen Sklaven das genauso sehen würden, dass sie nach einer Nacht ohne Schlaf und der Pflege der Römerin nicht alles machen konnte. Oder hatte der Römer gemeint, dass sie die ganze Zeit hier bleiben sollte? Siv konnte sich gerade noch davon abhalten, bei diesem Gedanken die Augen zu verdrehen. "Ja, ich bleibe." Ihr Blick fiel zu dem Tiegel, den der Arzt da gelassen hatte, und sie wies darauf. "Ich nicht… nicht verstehen, was Medicus sagen, vorher. Was… was tun, damit?"

    Siv wurde warm, als sie Cadhlas Lächeln sah, und sie konnte gar nicht anders als das ihre zu erwidern. Sie hatte das Gefühl, als ob die Keltin wusste, was sie sagen wollte. Sie fand einfach die Worte nicht, um wirklich auszudrücken was sie fühlte, aber das schien keine Rolle zu spielen. Cadhla verstand sie trotzdem. Und Siv war das eher fremd – sie war zwar oft leicht zu durchschauen, weil sie ihre Gefühle nicht nur lebte anstatt sie in sich zu verbergen, sondern ihnen oft genug auch freien Lauf ließ. Aber es war etwas anderes, tatsächlich über sie zu reden, sich über sie bewusst zu werden. Vor allem wenn so viele verwirrende Faktoren dazu kamen, dass sie sich selbst nicht mehr im Klaren war, was sie eigentlich genau empfand. Und das, worüber sie hier redeten, ihre Mutter, die Situation als Sklavin, wie unsicher sie sich manchmal fühlte, wieso sie sich wirklich so an ihren Zorn klammerte… Wenn Siv derartige Gedanken kamen, dann verdrängte sie sie meistens. Aber Cadhla hatte eine Art an sich, die sie dazu brachte, nachzudenken, tiefer zu gehen. Und es half ihr, jedenfalls fühlte sie sich insgesamt ruhiger, gelassener. Die Germanin nickte, als Cadhla über Mütter sprach – auch wenn sie selbst die ihre nie kennen gelernt hatte, kannte sie doch andere, und davon abgesehen hatte sie eine Familie. Ihr kam die Lebenssicht der Keltin nicht naiv vor, war sie doch ähnlich aufgewachsen wie sie. Natürlich gab es auch in einer Sippe Streit, aber man hielt zusammen – schon allein, weil man anders den Bedrohungen von außen gar nicht widerstehen konnte.


    Siv ließ zu, dass Cadhla ihre Hand nahm und über die Innenfläche strich. Die Hand einer Kriegerin… Siv starrte nachdenklich auf ihre Hand hinunter, die immer noch in der von Cadhla lag. Sie war sich nicht so sicher, ob sie zu denen gehörte, die in Zeiten des Friedens zufrieden sein konnten. Oder in einer schlechten Zeit. Oder ob sie nicht doch eher eine von denen war, die nur glücklich waren, wenn sie kämpfen konnten. Wieso sonst klammerte sie sich so an ihre Wut? Aber es klang gut, was die Keltin sagte. Es klang gut, selbst entscheiden zu können, wann man sich zufrieden fühlte… und nicht zuließ, dass einen die Umstände derart beeinflussten. "Ich… ich nicht weiß… Aber ich versuchen. Versuchen, so sein wie… wie du denken ich bin." Sie lächelte Cadhla an und wurde dann wieder verlegen, als diese von Liebe, von Familie sprach. "Ääähm. Ich… Ich auch nicht weiß, was wünschen. Ich… Gut, wünschen Freiheit, ja. Aber…" Sie zuckte mit den Achseln. Liebe? Ihre Nase kräuselte sich. Sie konnte nicht wirklich viel mit diesem Wort anfangen, nicht wenn es die Liebe zwischen Mann und Frau betraf jedenfalls. Diese Frage hatte sich ihr bisher auch nie gestellt, war ihr Verhältnis zu Ragin doch ein völlig anderes gewesen. Und über Familie hatte sie ebenfalls noch nie wirklich nachgedacht, nicht was sie selbst anging. Sie zuckte die Achseln und musterte Cadhla. "Was mit du? Du wünschen Liebe, Familie?" Zum Teil wollte Siv von sich selbst ablenken, um nicht noch mehr zu entblößen, wie verlegen sie dieses Thema machte, aber zu einem weit größeren Teil interessierte sie einfach, was Cadhla darüber dachte, was sie erlebt hatte, was sie sich wünschte. "Du haben Familie, eigene Familie, haben Mann?"