Beiträge von Aureliana Siv

    Siv biss sich kurz auf die Lippe, als Corvinus Ragin ansprach. Für den Bruchteil eines Moments musste sie gegen das Gefühl ankämpfen, dass er – ein Römer – nicht das Recht hatte, von Ragin zu sprechen, und auch nicht ihre Situation beurteilen konnte. Aber sie gewann den Kampf, auch wenn sie Corvinus nicht ansah, als sie antwortete. "Ja. Menschen erwarten. Aber, was ich tun … das, das nicht immer dann, was Menschen erwarten. Ich nicht können tun, was Menschen erwarten, nicht von alle. Weil alle erwarten anders. Ich nicht, nicht… können sein, auf fünf Art verschieden." Sie spielte mit einer Strähne ihres Haars. "Anpassen… ja. Aber wie sehr ist gut. Wie sehr… anpassen. Und noch bleiben selbst." Nachdenklich hing sie für Augenblicke ihren eigenen Gedanken nach, während sie sich an ihn lehnte, und wurde daraus gerissen, als er sich kurze Zeit später bewegte und ein Stück von ihr fortrückte. Erst in diesem Moment wurde ihr klar, was sie gerade getan hatte, und ihr Gesicht überzog sich erneut mit einer leichten Röte. Gleichzeitig fragte sie sich, was sie dazu gebracht hatte, diese vertrauliche Haltung zu suchen. Er war und blieb ein Römer, und sie war seine Sklavin, wie sonst sollte er darauf reagieren? Wahrscheinlich fragte er sich gerade, was sie sich dabei gedacht hatte – das fragte sie sich ja selbst. Die simple Wahrheit war: nichts. Sie hatte einfach agiert, ohne nachzudenken.


    Bevor ihr die Situation aber wirklich peinlich werden konnte, bevor sie anfangen konnte sich über sich selbst zu ärgern oder ähnliches, griff Corvinus – der sich inzwischen an den Baumstamm gesetzt und die Beine aufgestellt hatte – nach ihr und zog sie zu sich. Siv war im ersten Moment zu überrascht, um sich zu wehren oder überhaupt etwas zu tun, und so folgte sie einfach nur dem leichten Druck, den seine Hände auf sie ausübten. Erst als sie schon zwischen seinen Knien saß, fragte sie sich, was da gerade geschah. Sie hatte nicht mit dieser Reaktion gerechnet, und hätte sie vorher darüber nachgedacht, hätte sie sich gar nicht erst an ihn gelehnt. Aber er schien nichts dabei zu finden… Hätte Siv gewusst, was er gerade dachte, dass seine Überlegungen von Wörtern wie Illusion, Inszenierung und Spiel beherrscht wurden, wäre sie nun gegangen, wütend, aber vor allem verletzt und enttäuscht. Was auch immer zwischen ihnen sein mochte, für Siv war es authentisch. Sie hatte beileibe ihre Probleme damit, mit einem Römer, dem sie nach römischem Recht noch dazu gehörte, so vertraut umzugehen, ihn zu mögen. Aber sie fühlte sich einfach wohl in seiner Gegenwart, meistens jedenfalls, sie hatte das Gefühl, verstanden zu werden… und das war etwas, wogegen sie sich auf Dauer nicht wehren konnte. Sie konnte nicht künstlich eine Abneigung konstruieren, wo keine war, auch wenn sie es zumindest anfangs gerne getan hatte. Als sie nun also endgültig nachgab und sich an seine Brust lehnte, ihren Kopf unter seinem Kinn, fühlte sie sich tatsächlich geborgen, und ihre Hand tastete nach seiner, um etwas von diesem Gefühl zurückzugeben.


    Ihr Blick glitt wie seiner über den Himmel, wo die Sterne ausgebreitet waren wie funkelnde Steine auf schwarzem Samt. Manche Konstellationen erkannte sie wieder, und das hatte etwas Tröstliches, während die Worte, die an ihr Ohr drangen, eher dazu führten, dass sie erschauerte. Sie verstand nicht alles, aber was sie verstand, genügte. Ihre Finger verschränkten sich mit seinen und drückten sie kurz in dem Versuch, ihm Trost zu spenden, aber sie sagte nichts. Was hätte sie auch sagen sollen? Sie kannte ihn oder seine Familie nicht gut genug, um beurteilen zu können, ob er die Wahrheit sagte. Und sie wollte auch nicht irgendetwas Heuchlerisches von sich geben, etwas wie, dass alles schon nicht so schlimm sein würde wie er sich das gerade einrede… Sie wusste nicht, ob es so war. Nur seinem letzten Satz konnte sie voll und ganz beipflichten. "Nein. Leben nicht gerecht. Aber auch nicht immer… schlecht. Leben ist, ist… ein ständiges Auf und Ab. Oben und unten." Ebenso versonnen wie er das Sternbild anstarrte, hörte sie ihm bei dessen Beschreibung zu. Ihr war neu, dass mit Sternen Geschichten verbunden waren, und sie war fasziniert von der Geschichte. "Ich nicht kennen die Geschichte. In Germanien, Sterne sein, sind… Funken. Kleiner Feuer, sehr sehr klein. Götter nehmen kleiner Feuer, und… tun an Himmel. Am Anfang." Einen Moment schwiegen beide und sahen einfach nur das Sternbild an, dann spürte die Germanin eine Bewegung hinter sich, und seine Frage machte sie wieder nachdenklich. "Was bewegen…" Sie drehte ihren Kopf zur Seite, so dass ihre Wange nun an seiner Brust lag, ihr Ohr knapp über seinem Herzen, so dass sie es schlagen hören konnte. Seltsamerweise beruhigte sie das. "Du reden von anpassen. Anpassen… wichtig, ja. Nötig. Aber was wenn, wenn nicht wollen? Aber… einfach tun? Du ge, ge… gewöhnen an viel, ich gewöhnt an viel. Ich… Mein Leben hier so, so anders sein. Ich, ich nicht wollen… sein zufrieden hier. Nicht in Rom, nicht sein Sklave. Nicht gewollt. Aber hier Menschen sein, die ich mag. Und sein viel, viel interessant." Siv seufzte leise. Das allein war schon ein Zwiespalt, der sie stark beschäftigte – wie sollte sie ihre ablehnende Haltung aufrecht erhalten, wenn sie doch inzwischen Menschen hier hatte, die sie mochte, mit denen sie Spaß hatte? Und das war noch lange nicht alles. Wieder fiel es ihr nicht leicht, das zu sagen, aber sie hatte nun mal angefangen. "Römer immer… sein schlecht, für mich. Aber ich weiß, dass nicht so sein. Ich nie wollen sein, dass wahr, aber… Ich immer noch hassen Soldaten, die fangen. Aber nicht Rest. Nur… sein einfach, mehr einfach, wenn können hassen alle. Ich hassen Römer, früher, alle. Denken Germanen sein besser. Weil ich gewollt, dass so sein. Ich sein so stolz. Aber…" Siv schwieg erneut einen Moment. Sie hatte keine Ahnung, ob er auch nur ansatzweise verstehen würde, wie sehr sie mit sich und ihrem Stolz zu kämpfen gehabt hatte, um überhaupt an diesen Punkt zu kommen, an dem sie nun war. Überhaupt darüber nachzudenken, dass Römer nicht alle gleich waren. Und das nicht nur vor sich selbst, sondern vor einem anderen, gar einem Römer, zuzugeben – was in der Konsequenz auch bedeutete zuzugeben, dass sie im Unrecht gewesen war. Und nicht zuletzt hatte sie Probleme auszudrücken, was sie empfand, was ihr im Kopf herum ging – es wäre ihr auch in ihrer Muttersprache nicht leicht gefallen, die richtigen Worte zu finden, weil sie ja selbst noch nicht mit sich im Reinen war. Auf Latein war es ungleich schwerer. Wie sollte er da verstehen können, was es für sie bedeutete, wie schwer ihr das alles fiel? Trotzdem versuchte sie es weiter. "Wenn, wenn, wenn wir… so stark wie Römer. Wir tun gleich. Nicht ich, oder von mir Familie, aber andere. Menschen so sein. Ich nicht will, dass so sein, nie wollen… zugeben, dass… Germanen tun gleich, was Römer tun. Wenn können. Ich nicht will denken das, aber ich weiß, dass so sein. Und jetzt…"

    Diesmal schien die Gischt golden zu sein, die sie vorwärts trieb und alles um sie herum auszufüllen schien. Alles in ihr konzentrierte sich nur auf ihn, auf seine Nähe, seine Berührungen, von denen jede einen prickelnden Schauer auslöste. Seine Augen, sein Gesicht, seine Hände, sein ganzer Körper sagten ihr, was er wollte, und ihr Körper reagierte, hätte auch ohne ihr Zutun reagiert, aber sie trieb ihn und sich bewusst weiter, weil sie es wollte, und daran ließ sie ebenso wenig Zweifel wie er. Die Leidenschaft hatte sie ausgefüllt und jeden anderen Gedanken hinweggefegt, als existiere die Welt nicht mehr. Nur noch sie und er zählten, ihre Vereinigung, nach denen sie sich beide so sehnten in diesem Augenblick. Noch hielt er sich zurück, wartete, nahm sich nicht, was sie ihm so bereitwillig anbot. Noch schien er sie reizen, mit ihr spielen zu wollen, und sie ging darauf ein und spielte ebenso, ließ ihre Finger über seinen Körper wandern wie ihre Lippen über sein Gesicht.


    Als er dann schließlich doch die letzte Barriere überwand, blieb Siv für einen Moment der ohnehin schon keuchende Atem weg, bevor er wieder einsetzte, noch schneller als zuvor. Haut an Haut bewegten sich ihre Körper nun in einem gemeinsamen Rhythmus, verloren sich in einem wilden, schwebenden Tanz zu einer unhörbaren Musik, und mit jedem Mal, mit dem er die größte Nähe zu ihr suchte, sandte er sie weiter, taumelnd, lodernd, jede seiner Berührungen eine Flammenspur auf ihrer Haut. Ein Gluthauch hüllte sie ein und schien sie um den Verstand zu bringen, und als er für Momente inne hielt, dachte Siv im Traum nicht daran, ihm diese Ruhe zu gönnen. Sie drängte sich noch mehr an ihn, kam ihm entgegen, ließ ihre Hände weiter wandern und schien sich zum Ziel gesteckt zu haben, keinen Bereich seines Körpers unberührt zu lassen. Ein langgezogenes Seufzen kam über ihr Lippen, als er ihren Tanz weiterführte, die süße Qual verlängerte, während sie unter ihm bebte. Ihre Lippen wanderten seinen Hals hinab bis zur Beuge, ihre Zunge kostete von seiner Haut, nahm den salzigen Geschmack auf, und hier bekam er ihre Zähne zu spüren, als sie sie an seine Schulter presste in dem Versuch, einen Aufschrei zu unterdrücken. Haut an Haut bewegte sich, Herzen rasten, Atem vermengte sich und Lippen verschmolzen wieder miteinander – und Siv hatte auf einmal das Gefühl, in einem schillernden Funkenschauer zu zerbersten. Die Welle überrollte sie erneut und trug sie mit sich, riss sie den Abgrund hinunter und gleichzeitig in luftige Höhen, wo die Welt um sie herum leuchtete.


    Sivs Atem beruhigte sich nur langsam wieder, und ebenso langsam nur löste sich der Griff ihrer Beine um ihn. Sie spürte sein Gewicht auf ihr, konnte seinen Herzschlag fühlen, während sein Kopf auf ihrer Haut ruhte und ihre Hand langsam begann durch sein Haar zu gleiten. Ihre Brust hob und senkte sich immer noch vergleichsweise schnell, als Corvinus schließlich etwas aufrichtete. Sie konnte nicht anders als sein Schmunzeln zu erwidern. Dass er Römer war, spielte nach wie vor keine Rolle, ja, war immer noch wie verschwunden aus ihren Gedanken. Hätte sie seine Gedanken lesen können, hätte sie ihm nur beigepflichtet: ein guter Start in den Tag. Sie fast ein wenig traurig, als er sich von ihr herunter und auf die Seite bewegte, aber sie folgte der Bewegung insofern, als dass sie sich leicht auf die Seite drehte, um ihn weiter ansehen zu können. Ihre Züge waren entspannt und zeigten nur das, was sie gerade empfand – Zufriedenheit und eine wohlige Erschöpfung. "Guten Morgen", erwiderte sie leise, ohne dass es ihr wirklich auffiel in ihrer Sprache. Sie hob ihre Hand und wiederholte spiegelverkehrt, wie er sie berührt hatte – ihre Fingerspitzen glitten seinen Kieferknochen entlang, bogen dann aber ab, bis sie zu seinen Lippen kamen und sacht darüber fuhren.

    Siv bemerkte seine kurze Verwirrung nicht, als sie nun doch gesagt hatte, dass sie draußen schlief, und er ging nicht weiter darauf ein. So merkte sie gar nicht, dass sie gerade zugegeben hatte, was sie eigentlich hatte verschweigen wollen. Sie sprach einfach weiter und hielt erst dann verblüfft inne, als er nach ihrer Hand griff und sie angrinste. Auf seinen Kommentar hin machte ihr Herz einen kleinen Sprung und klopfte dann schneller, und auch auf ihren Lippen breitete sich ein Grinsen aus. So hatte sie nicht gemeint, was sie gesagt hatte, aber korrigieren würde sie ihn nicht. Stattdessen setzte sie zu einer frechen Antwort an, als er schon weitersprach und mit seinen nächsten Worten bewies, dass er sie durchaus richtig verstanden hatte. Siv wusste im ersten Moment nicht, ob sie peinlich berührt sein sollte oder nicht, aber sie entschied sich für letzteres und lachte leise. "Ja. Reiten kann sein schön. Du nur musst… haben… richtig, richtig Lage. Richtig Situation." Sie schmunzelte, als er ihr zuzwinkerte.


    Über das Thema Römer zu reden, und noch dazu mit ihm, fiel ihr wirklich nicht leicht. Immer noch war da so viel in ihr, was gegen ihre gegenwärtige Situation rebellieren wollte, was sie dazu anstacheln wollte, nichts anzunehmen, was in irgendeiner Form dazu führen könnte, dass sie es angenehmer fand. Aber faktisch war sie schon längst dabei. Sie war auch nur ein Mensch, sie musste irgendetwas haben, woran sie Freude fand – andernfalls würde sie verbittern oder daran zugrunde gehen. Cadhla hatte ihr das klar gemacht, hatte Worte gefunden, die sogar deutlich genug für sie waren. Und da sie eigentlich recht fröhlich war, arrangierte sie sich nicht nur, sondern versuchte das Beste aus ihrer Situation zu machen. Nur hatte sie ihren inneren Zwiespalt noch lange nicht überwunden. Für einen Teil von ihr waren die Römer nach wie vor das so verhasste Volk, dem sie nur Verachtung entgegenbrachte, entgegenbringen wollte. Zu merken, dass sie das nicht mehr konnte, wühlte sie manches Mal mehr auf, als gut war, was dann wieder in Zornausbrüchen resultierte. Diesmal aber blieb sie ruhig. Es stimmte, was sie gesagt hatte – sie mochte Corvinus tatsächlich, ob Römer oder nicht. Und sie wollte, dass er verstand, was in ihr vorging, wie sie sich fühlte, ohne überhaupt zu wissen, warum sie das wollte. Sie hatte einfach das Bedürfnis, es ihm zu erklären. Und er nahm ihre Worte einfach hin, ohne großartig etwas dazu zu sagen, wofür sie dankbar war.


    Nachdem sie geendet hatte, schwieg die Germanin eine Weile und starrte weiter vor sich hin, weigerte sich, ihn anzusehen. Sie gestand sich nicht ein, dass sie Angst hatte, seine Reaktion könnte – in ihren Augen – typisch römisch ausfallen. Dann, auf einmal, hörte sie ein leises Geräusch, und nur einen Wimpernschlag später legten sich kühle Finger unter ihr Kinn und zwangen es sanft nach oben. Langsam folgte sie dem Druck und hob ihren Kopf, bis sie ihm schließlich in die Augen sah. Sie erwiderte seinen Blick und wartete einfach ab, aber was dann kam, erstaunte sie zutiefst. Corvinus beugte sich vor und küsste sie. Ein einziges Mal, bevor er sich wieder zurückzog. Siv blinzelte, verwirrt ob dieser zärtlichen Geste. So simpel. Die Geste war so simpel, und fast schon beiläufig ausgeführt. Und überraschte sie gerade deswegen so sehr. Sprachlos starrte sie ihn einfach an, und einen Moment später ergriff er das Wort und antwortete doch noch, aber nicht direkt auf ihre Worte, wie es schien. Dass er verstanden hatte, was sie sagte, daran hatte sie nach dem Kuss keinen Zweifel. Aufmerksam hörte sie ihm zu – das Thema war ihr wichtig, sie wollte wissen was er zu sagen hatte, aber wie immer gab es Worte, die sie einfach nicht verstand, Kombinationen, die fremd waren, Satzstrukturen, die ihr unbekannt vorkamen. Dennoch verstand sie ihn im Wesentlichen, meinte sie zumindest, von den Worten her – aber der Inhalt ließ sie dann doch wieder grübeln, was er sagen wollte.


    "Aber… es, es… es ist schade, wenn Mensch nicht kann sein… nicht sein kann, wie, wie er ist. Ich nicht finde dass Mensch soll sein, wie… wie andere Menschen ihn sehen. Soll sein, was selbst sehen. Weil andere Menschen… Nur als Bespiel, wenn du, wenn du sein wie ich dich sehen, bei Anfang, wir nicht sitzen hier und reden." Siv schüttelte leicht den Kopf, nicht ganz sicher, ob sie ihn wirklich richtig verstanden hatte. "Und sein müssen vier, fünf, sechs und, und mehr Menschen, weil wenn sein wie andere Mensch denkt. Aber das… das nicht gehen. Und gleich nicht sein. Wir nicht gleich. Andere nicht gleich." Siv musterte Corvinus, während dieser seine Hand hob, kurz zögerte und dann sacht über ihre Wange strich. Wieder sagte er etwas, was sie betroffen werden ließ. "Du hilflos?" Sie hatte inzwischen mitbekommen, dass für ihn, oder die anderen reichen Römer, lange nicht alles so einfach war, dass ihnen lange nicht alles in den Schoß fiel, oder zumindest nicht jedem von ihnen. "Zorn macht stark. Aber auch macht schwach. Ich weiß das. Und ich…" Diesmal war sie es, die sanft über seine Wange strich. "Hilflos sein nicht schön. Aber du, du… können was tun. Müssen was tun. Gegen hilflos sein." Mit einem Seufzen schloss Siv die Augen und lehnte sich, ohne bewusst darüber nachzudenken was sie gerade tat, an ihn. Ihr Oberkörper schmiegte sich etwas an seinen, während ihr Kopf an seiner Schulter lag. "Ruhe gut, ja. Ich, ich… sehne Ruhe. Für, für… nach Ruhe. So viel zu denken. So viel, so viel… Arbeit, in Kopf und Herz." Wie schon einmal stellte sie fest, dass sie sich – so unterschiedlich sowohl ihre Herkunft als auch ihre momentanen Lebensumstände auch sein mochten – in manchen Dingen ähnelten, in jedem Fall aber offenbar in der Tatsache, dass sie beide auf die ein oder andere Art mit sich selbst zu kämpfen hatten. "Was dich macht haben Zorn? Und fühlen hilflos und… zer-, zer-… zermürbt?"

    "War – ist gewesen," wiederholte Siv. "Tilla… ist krank gewesen." Seltsamerweise machte es ihr bei Corvinus nicht so viel, Fehler zu machen, nicht mehr jedenfalls – vielleicht, weil er mit ihr Germanisch lernte und in ihrer Muttersprache noch mehr Fehler machte als sie in seiner, da sie einfach weiter war. Seine Verbesserungen akzeptierte sie einfach und bemühte sich, sie zu merken. Sie nickte, als er über Tilla sprach, auch wenn sie wieder ein paar Worte nicht verstand – verschleppt zum Beispiel. Aber sie fragte nicht nach. Sie verstand auch so, was er sagen wollte, und sie fand es hätte die Stimmung zerstört, die momentan herrschte, wenn sie ihn nun mit Fragen löcherte. "Ja, Tilla ausruht. Wir, wir, wir sorgen schon dafür. Arbeit von Tilla, das wir machen. Und sie hat Ruhe." Siv musste ein Kopfschütteln unterdrücken, als sie an den Vorfall von vor ein paar Tagen zurückdachte. Da hatte Tilla noch Fieber gehabt, und Matho hatte sich eingebildet, sie wäre wieder gesund… Aber gut, gelöst hatten sie das auch irgendwie. Und die Panik, die dann von den Männern verbreitet worden war, von Hektor und Alexandros – als würden die Sklavinnen noch gesund herumlaufen, wenn Tilla wirklich etwas Ansteckendes hätte, schliefen sie doch im selben Raum, selbst die, die sich nicht direkt um das kranke Mädchen kümmerten.


    Hernach legte sie den Kopf leicht auf die Seite, wieder bemüht, so viel wie möglich von dem zu verstehen, was er von sich gab. Sie war ein wenig erstaunt, als sie begriff, wie groß seine Angst vor dem Reiten offenbar wirklich war, und sie nickte langsam. "So ich sein… sein gewesen, Anfang, in Stadt, in Haus." Die Germanin wich seinem Blick aus und musterte ihre Hände, als sie dieses Geständnis machte – es fiel ihr nicht leicht, einzugestehen, dass es etwas gab vor dem sie Angst hatte. "Hände feucht, und Herz, Herz… klopft, schnell, und Gedanken… viele Gedanken, und sind auch schnell." Dann sah sie auf, und ein Lächeln flog über ihr Gesicht. "Aber… man gewöhnt sich dran. Man, ich, kenne jetzt. Ich… ge, ge… gewonnen? Gewohnen? Gewöhnen! Ich gewöhne daran. Und jetzt, ich merke wenig, bei Arbeit jedenfalls. Nur wenn schlafen, wenn Ruhe, dann ich mag sein… draußen lieber. Sonst träume schlecht oft." Dass sie sich damit im Grunde selbst verraten hatte, fiel ihr in diesem Moment gar nicht auf. Zu sehr beschäftigte sie gerade der Gedanke, dass sie, wenn sie bei ihm die Nacht verbrachte, selten schlecht träumte, was sie aber geflissentlich nicht erwähnte. Stattdessen stieß sie diesmal ihm einen Ellenbogen leicht in die Seite und grinste übermütig. "Du vielleicht, vielleicht doch reiten… bei mir. Mit mir, auf Pferd. Dann egal wenn Hände feucht. Du einfach nur, nur… sitzen und… genießen. Freuen. An Pferd, an, an… an schnell sein, und Bewegung."


    Siv zog die Knie an und schlang die Arme darum, als das Gespräch sich Römern zuwandte. Ihr gefiel das Thema nicht wirklich – aus dem einfachen Grund, weil Corvinus sie immer mehr in eine bestimmte Ecke drängte. Selbst wenn sie sich weigerte zu antworten, oder wütend wurde, zwang er sie dazu, nachzudenken. Und so stur sie manchmal sein konnte, so ehrlich war sie auch. Sie konnte nicht mehr so einfach behaupten, dass sie Römer an sich hasste. Sie wollte es nicht zurücknehmen, wollte es nicht richtig stellen, aber sie konnte es einfach nicht so stehen lassen, wenn er sie so darauf ansprach. Siv kaute auf ihrer Unterlippe, wich erneut seinem Blick aus und schwieg erst mal. Ich bin auch nur ein Römer… Sie wusste das, eigentlich. Aber wie oft war es ihr schon passiert war, dass sie das einfach vergessen hatte? Und was bedeutete das? Hieß das nicht letztlich, dass die Tatsache, dass er Römer war, weniger zählte als die Tatsache, was für ein Mensch er war? Siv kämpfte mit sich, heute nicht zum ersten und auch sicher nicht zum letzten Mal, und dieser Kampf wurde manchmal sehr erbittert geführt. Sie war noch nicht soweit, fühlte sich noch nicht soweit, ihre Vorurteile gegenüber den Römern als Volk aufzugeben. Dass sie ihm inzwischen zugestand, anders zu sein, es auch noch laut sagte, war schon ein großer Schritt gewesen, aber durch seinen Hinweis, dass er nach wie vor Römer war, zwang er sie dazu, auch den nächsten zu tun, und daran hatte Siv zu knabbern. Schließlich holte sie Luft und sah auf, sah ihn an. "Ich weiß. Ich weiß, dass du Römer bist." Sie ließ bewusst das 'nur' weg, das er noch erwähnt hatte. "Ich… Römer sind… Römer…" Siv holte erneut Luft, etwas zittrig diesmal. "Ich so lange denke, dass Römer schlecht… So lange… haben Zorn, und Hass, als, als… Halt. Ich zornig weil, weil… … weil sie töten, meine Volk. Weil sie kommen und, und erobern, und denken sie haben das Recht dazu, und uns nicht einfach in Frieden leben lassen können. Aber…" Was jetzt kam, war wirklich schwer, und das sah man ihr an. Wieder senkte sie ihren Blick. Aber sie hatte einmal damit angefangen, und jetzt kam für sie nicht mehr in Frage, aufzuhören. Es wäre feige gewesen, und das war etwas, was sie unter keinen Umständen auf sich sitzen ließ, nicht einmal wenn dieser Vorwurf nur von ihr selbst kam. Das war auch der Grund, warum sie bewusst vermied, Germanisch zu reden. Sie hoffte nur, dass er sie auch weiterhin nicht unterbrechen, sondern einfach reden lassen würde. "Aber das nur manches, manches Römer, manches in, an Rom. Nicht alles. Lange nicht alles. Ich, ich… nie sehe, gesehen Unterschied, bis, bis hier sein. Nie haben gesehen wollen. Ich nur gesehen Römer, nicht, nicht Mensch. Aber hier… Ich vergesse, dass du Römer. Ich… denke… Ist das, heißt das, dass Mensch wichtig, mehr wichtig, wie sein Römer? Ich, ich weiß es nicht!" Ihr Tonfall wurde kurzfristig etwas heftiger, beruhigte sich aber sofort wieder. "Ich… weiß aber, dass du bist Römer. Und trotzdem… ich… mag dich. Ich kann lachen, und reden, mit dir. Ich…" Sie wagte es immer noch nicht, ihn anzusehen, aber ihre Stimme offenbarte die Hilflosigkeit, die sie empfand, und der Kampf, der in ihr tobte, genauso wie ihr Gesicht, vor allem ihre Augen. "Ich… weiß nicht. Es sein so schwierig, weil Halt fehlt, weil Zorn fehlt. Aber ich nicht haben kann Zorn, wenn ich weiß, dass nicht Recht. Und bei dir… Ich weiß nicht. Ich fühle… hilflos. Manchmal. Aber dann, wenn mit dir, fühle… ich gut. Ich… ich weiß nicht."

    Siv starrte Matho hinterher und wusste nicht so ganz, ob sie weiter lachen oder sich über ihn ärgern sollte. Sie waren dauernd dabei, das Haus zu putzen – jetzt sollten sie die nächsten zwei Tage alles blitzblank kriegen? Wenn ihnen die ganze Zeit Römer zwischen den Beinen herumliefen und alles sofort wieder, nun ja, wenn schon nicht dreckig machen, so doch gebraucht aussehen lassen würden? Das konnte nichts anderes als Ärger geben, wenn die zwei Tage vorbei waren – aber darauf legte Matho es vermutlich ohnehin an, so wie sie ihn einschätzte. Und ihre üblichen Aufgaben würden deswegen auch kaum ruhen, die Römer wollten immerhin trotzdem weiter bedient werden, ihr Essen bekommen, ihre Wäsche, und was sonst noch so anfiel… Oh ja, und Corvinus würde begeistert sein, wenn sie den Garten vernachlässigte. Sie hatte inzwischen gemerkt, dass er ihn nicht nur mochte, sondern dass die verschiedenen Pflanzen aus aller Herren Länder seine Passion waren und der Garten sein Schmuckstück. Das war einer der wenigen Dinge, bei denen er keinen Spaß verstand – wenn sie nicht wusste, wie sie mit die Pflanzen aus den südlichen Ländern pflegen sollte, war das eine Sache, aber wenn er mitbekam, dass sie den Garten bewusst vernachlässigte, aus welchen Gründen auch immer, würde seine Nachlässigkeit ihr gegenüber vermutlich ein Ende haben. Ganz davon abgesehen sah sie auch gar nicht ein, ihre Zeit im Garten kürzen zu müssen, nur weil Matho offenbar von einem wilden Eber gebissen worden war.


    Immer noch schwankend zwischen einem Lachen ob all des Aufruhrs im Atrium und Verstimmung wegen Mathos Gehabe, betrachtete sie, wie die meisten der übrigen Sklaven sich einer nach dem anderen aus dem Staub machten – auch Dina und Soffchen, um sich umzuziehen –, als sie auf einmal spürte, wie ihre Füße nass wurden. Was… Stirnrunzelnd sah sie nach unten und bemerkte, dass Wasser um ihre Zehen spielte. Ein weiterer Blick zeigte, dass das Impluvium gerade überlief. Hektor sprach Tilla darauf an, und Sivs Augenbrauen wanderten nach oben. Tilla? Was sollte Tilla damit zu tun haben? Sie schüttelte kurz den Kopf. "Lass sehen – Wasser, im Wasser. Da muss was sein." Ohne weiter zu zögern, watete die Germanin in das kalte Wasser hinein, bückte sich und fuhr mit ihren Händen darin herum, um zu herauszufinden, was den seitlich angelegten Abfluss verstopfte – und tatsächlich, sowohl die Brotkrümel als auch eine Sandale – Siv vermutete, eine von Soffchen, einfach weil es immer das Soffchen war, wenn etwas schief ging – steckten fest und verhinderten, dass der von oben hereinfallende Regen abfließen konnte, sobald der Stand im Becken eine gewisse Höhe erreicht hatte. Triumphierend hielt sie den Übeltäter hoch, während sie wieder herausgewatet kam. "Da. Und ich mache Atrium sauber. Alle andere ja weg."

    Siv nickte Sertorio dankbar zu, als er die Suppe auf den kleinen Tisch stellte, und schüttelte anschließend nur den Kopf, als sie die beiden Sklaven diskutieren hörte. Der eine schien sich ein bisschen zu ekeln, der andere schien Angst zu bekommen. "Männer", murmelte sie auf Germanisch vor sich hin, während sie sich um das Mädchen kümmerte. Tilla war schon ein paar Tage krank, wäre es wirklich so ansteckend, hätten zumindest Cadhla und sie schon längst erste Symptome gezeigt. Und selbst wenn, es half ja nichts – irgendjemand hatte das Mädchen pflegen müssen, und auch jetzt noch konnte sie nicht die ganze Zeit allein gelassen werden. Siv verbiss sich ein Grinsen, als sie in Hektors Stimme einen leichten Anflug von Panik zu hören meinte, sagte aber nach wie vor noch nichts, sondern wartete noch, bis Sertorio geantwortet hatte, bevor sie sich aufrichtete und ebenfalls etwas sagte. "Kein Raum, für Tilla, für alleine tun, alleine… schlafen. Aber wir, Cadhla und ich, nicht krank sein. Also gut." Sie setzte sich auf die Bettkante, strich Tilla ein paar Haare aus der Stirn und runzelte die ihre. Rot gegen rot? Was meinte Sertorio damit? Und das Wort Erdbeeren kannte sie noch nicht, konnte daraus nicht rückschließen, was er meinte. Aber sie beschloss, darüber hinweg zu gehen, weil sie den Rest immerhin grob begriffen hatte. "Aber Küche nicht gut, ja. Tilla bleiben hier, Bett. Wir schon geben Kräuter. Tilla… Ruhe, ja. Wenn sie sich ausruhen kann, wird sie sicher bald wieder gesund. Und ihre Arbeit kann ich derweil übernehmen, soll Matho doch an mir rummeckern wenn ihm was nicht passt. Macht er eh. Tilla Ruhe, und Arbeit von Tilla ich mache. Dann wieder gut, in, in Tagen." Danach wandte sie sich an das Mädchen. "Tilla, du Hunger?"

    Aufmerksam lauschte Siv seinen Worten, als er von dem geplanten Ausflug erzählte. Mehrere Tage, weg von Rom, von der Stadt, den Straßen, diesem Haus? Es klang fast zu schön um wahr zu sein – Siv hatte das Gefühl, auf einmal ein bisschen freier atmen zu können als bisher. Dass sie, wäre sie keine Sklavin, es gar nicht nötig gehabt hätte sich derart über einen simplen Ausflug zu Pferd zu freuen, der Gedanke kam ihr gar nicht. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit wäre das das erste gewesen, was ihr in den Sinn gekommen wäre. Aber jetzt… wäre es ihr bewusst gewesen, hätte sie nicht sagen können woran es lag – daran, dass sie, trotz aller inneren Gegenwehr, zumindest begann sich an ihr neues Leben zu gewöhnen und sich, wenn schon nicht damit abzufinden, so doch damit zu arrangieren; oder ob es vielleicht daran lag, dass sie inzwischen so viel Zeit in steinernen Wänden verbracht hatte, dass die Freude über Gelegenheit herauszukommen den Trotz überwog; oder ob es die Tatsache war, einen Ausflug mit Menschen machen zu können, die sie in den letzten Wochen lieb gewonnen hatte. Wahrscheinlich war es eine Mischung aus allem – in jedem Fall freute sie sich, als sie realisierte, dass Corvinus es wirklich ernst meinte, und auf ihrem vom Mond beschienenem Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus. "Tilla krank, ja. Ist krank… gesein. Gesein?" Siv runzelte flüchtig die Stirn. Es klang falsch, aber im Moment fiel ihr nicht ein warum. Sie benutzte noch recht selten andere Zeitformen als die Gegenwart, einfach weil es ihr gegen den Strich ging etwas falsch zu sagen – aber sie wollte auch zeigen, dass sie nicht gar nichts gelernt hatte in den letzten Wochen. "Sie, sie ist… nicht gesund, noch nicht. Nicht, nicht… nicht ganz… Halb. Sie halb gesund ist. Sie braucht noch Ruhe, aber wir passen auf, dass sie nichts zu schweres macht und Zeit hat zum Ausruhen. Sie ist jung, sie… Fieber, sie hat Fieber. Normal, ich denke. Nicht, nicht schön, aber normal, im Winter, bei jung."


    Siv grinste, nun übermütig, als sie sein Schmunzeln sah. "Oh, du musst wissen was nötig ist… Mit Pferden kenne ich mich jedenfalls aus. " Sie stimmte in sein Lachen mit ein, als sie seinen Ellenbogen in ihrer Seite spürte und den dazugehörigen Kommentar hörte. "Wenn du das wollen, das willst – gerne. Ich, ich… scheuche? scheuche dich auf Pferd, wenn du Boden. Wie Matho scheucht uns, wenn du wollen. Aber dann du mehr gut… du besser nicht fallst." Sie lächelte ihn, diesmal etwas zaghafter, von der Seite her an. "Vielleicht ich kann dir, dir… Tipps geben." Im nächsten Moment wurde sie rot. Was für Tipps sollte sie ihm schon geben können? In der Theorie wusste er wahrscheinlich sogar mehr über Pferde und Reiten als sie – sie hatte es ja nur durch immer wieder ausprobieren gelernt, und handelte bis heute mehr nach Gefühl als nach Verstand, wenn sie mit Tieren umging. Sie lag damit in der Regel richtig, aber sie konnte nicht sagen warum, geschweige denn jemand anderem etwas zeigen. Und wenn er Pferde einfach nicht mochte, hatte er wohl kaum Chancen, ein wirklich guter Reiter zu werden. Gerade wollte sie, halb im Spaß, sagen, es hätte ja sein können, dass er einmal von einem Pferd getreten worden oder etwas ähnliches passiert war und sie deshalb nicht mochte – unter diesen Umständen wäre ihre Frage nach dem Warum durchaus berechtigt gewesen. Bevor sie aber dazu kam, stellte Corvinus ihr die Gegenfrage, und fügte noch etwas hinzu, was sie im ersten Moment irritiert und im nächsten betroffen werden ließ. Außer uns Römern… Sein Tonfall war leise gewesen, und irgendwie seltsam – Siv hätte beinahe schwören können, dass es ihm etwas ausmachte. Und dabei stimmte es so gar nicht, nicht mehr jedenfalls… Nicht, wenn sie wirklich ehrlich war. Siv wurde nachdenklich. "Ich… Römer nicht alle gleich sein. Ich weiß das. Jetzt. Sein hier, leben hier, zeigen das." Sie zögerte einen Moment, bevor sie schließlich langsam hinzufügte: "Du zeigst das."

    Siv wurde warm ums Herz, als sie Cadhlas Worte hörte. Es kann nicht ganz falsch sein, was du tust… wenn du fühlst dass der Weg richtig für dich ist. Sie lächelte die Keltin an. "Danke. Viel, viel… Dank. Ich nicht weiß was kommen, hier, in Rom… In, als Sklavin. Ich, ich wissen… ich weiß dass Weg, richtiger Weg… schwierig. Mehr schwierig als wie früh, früh… früher. In Germanien. Aber…" Siv wusste nicht warum, aber das Gespräch mit Cadhla gab ihr eine Hoffnung, die sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. "Aber weil schwierig, deshalb muss nicht sein… schlecht. Oder?" Vielleicht hatte es ja irgendetwas Gutes, dass sie hier gelandet war. Es konnte nicht ganz schlecht sein, nicht wenn sie jemanden wie Cadhla hier traf. Aus einem Impuls heraus überwand sie den geringen Abstand zu der Keltin und umarmte sie kurz, aber mit aufrichtig empfundener Freundschaft. Es war neu für sie, eine Freundin zu haben, und sie stellte fest, dass es etwas anderes war, mit einer Frau so zu reden als mit Männern. Schon allein, weil es ihr in Cadhlas Gegenwart scheinbar leichter fiel, bestimmte Seiten an sich zuzulassen – wie zum Beispiel der Teil in ihr, der wenigstens irgendetwas Gutes an ihrer Situation finden wollte, und wenn es nur war, um es für sie selbst erträglicher zu machen.


    Fasziniert lauschte die Germanin dann Cadhlas Erzählungen darüber, wie es sich anfühlte verliebt zu sein. Sie wusste es nicht, hatte so etwas noch nie empfunden. Sicher hatte sie schon für einen Mann geschwärmt – Vilmar vor allem –, aber es war, jedenfalls bei ihr, nie etwas Ernsteres daraus geworden, es hatten sich nie mehr Gefühle entwickelt. "Nein…" meinte sie dann nachdenklich. "Nein, man nicht ändern kann alles. Vielleicht…" Es kam ihr etwas seltsam vor, dass ausgerechnet sie Ratschläge geben sollte – gerade in so einer Situation. Und dann auch noch Cadhla, die so viel… lebenserfahrener zu sein schien als sie. Und was sie aussprechen wollte, würde sie selbst in gewissen Situationen mit Sicherheit nicht hören wollen. Aber sie sagte es trotzdem. "Vielleicht man gar nicht… soll ändern, alles. Ich denke nicht. Und… na ja, es ist halt schwierig, weil er Römer ist… Und Römer bleibt." Siv kam gar nicht in den Sinn, dass er möglicherweise mit Cadhla irgendwohin fliehen würde – bei allen Worten, die die Keltin gerade über Liebe verloren hatte, blieb es für Siv doch nur Theorie. Zu was Liebe manche Menschen bringen konnte, war für sie noch nie nachvollziehbar gewesen, und so dachte sie gar nicht daran.


    Gleich darauf stimmte sie in Cadhlas Lachen mit ein und nickte dann. Es machte Sinn, was sie sagte – wenn eine Kriegerin immer alleine war und Freunde und Familie weitestgehend zurücklassen musste, dann war es auch logisch, dass sie keinen Mann haben durfte. Und auch nie bei einem lag. Cadhlas Stimme klang gleich darauf unsicher, so anders als noch zuvor, wo sie so überzeugt davon gesprochen hatte, dass Siv ihren Weg finden würde… Die Germanin lächelte aufmunternd. "Ich nicht weiß, wie für andere Frau. Ich… es mögen. Liegen bei Mann. Es, es ist…" Siv brach ab. Sie konnte auf Latein nicht wirklich beschreiben wie es war, mit einem Mann zu schlafen – und Germanisch verstand Cadhla nicht. "Wenn, wenn… du bei Mann, erste Mal. Dann tun weh. Aber… nicht viel. Bei mir, jedenfalls. Ragin guter Mann. Und ich, ich … Vertrauen." Ragin hatte gewartet, bis sie ihm vertraute, bevor er mit ihr schlief – und das hatte sehr geholfen. Vilmar dagegen hatte sie nicht unbedingt vertraut, aber ihn hatte sie einfach haben wollen, ebenso wie er sie, und bei ihm hatte sie herausgefunden, dass Vertrauen nicht immer eine wichtige Rolle spielte. Und Corvinus… nun. Sie gestand es sich nur ungern ein, aber ihn wollte sie auch. Und solange er ihr nicht das Gefühl gab, sie müsste ihm zu Willen sein, weil sie seine Sklavin war… akzeptierte sie es einfach und genoss die gemeinsame Zeit. "Wenn du vertrauen, ihm, dann gut. Und dann einfach Spaß. Sein schön." Siv zuckte etwas hilflos mit den Achseln.

    Die Germanin musterte Corvinus einen Moment lang, als ob er nicht mehr alles beisammen hätte. Wieso bitte sollte sie antworten, wenn der Mann an der Tür doch ganz eindeutig ihn angesprochen hatte? Sie runzelte leicht die Stirn. "Aber … sonst… … In Ordnung." Siv zuckte leicht die Achseln, sah dem Sklaven hinterher und ärgerte sich schon wieder, weil sie nicht begriff, was wann von ihr erwartet wurde. Allerdings gab sie es für den Moment auf. Bisher hatte sie nie für ihn antworten sollen, wenn jemand ihn direkt angesprochen hatte, aber vielleicht war das bei Besuchen ja anders. Nur fragte sie sich, wie sich dann ein Gespräch entwickeln sollte. Römer, dachte sie missmutig. Immer dasselbe. Sein Lachen quittierte sie erneut mit einem finsteren Blick, aber seine Antwort ließ ihren Gesichtsausdruck wieder etwas heller werden. Sie lernte gern neue Sachen, und gerade hier, wo es so viel Interessantes zu entdecken gab, hatte sie das festgestellt. Siv war noch lange nicht so weit es wirklich zuzugeben, aber zumindest in manchen Dingen tat es ihr gut, in Rom zu sein – wenn auch als Sklavin. Sie war neugierig, und sie hatte einen enormen Wissensdrang, den sie in Germanien schon lange nicht mehr wirklich hatte befriedigen können. Dass es hier immer noch mehr gab, was sie interessierte, was sie lernen konnte, lenkte nicht nur von ihrem Dasein als Sklavin ab, sondern faszinierte sie tatsächlich. Dementsprechend nickte sie jetzt, allerdings in Kombination mit einem Stirnrunzeln. "Rostet?" fragte sie zunächst, aber sie konnte sich ungefähr denken, was er hatte sagen wollen. "Ich weiß. Und ich, ich… lerne gern. Ich mag das. Mag neu, neu Wissen. Ich mag… mehr wissen."


    Dass sie nervös war, entging Corvinus ebenso wenig wie die finsteren Blicke, die sie ihm zugeworfen hatte, und sie seufzte nur, als er ihr sagte, sie solle entspannt sein. Leichter gesagt als getan, vor allem für ihn. Er war ja kein Sklave, und er war auch bestimmt nicht zum ersten Mal irgendwo zu Besuch. Sie setzte gerade zu einer Antwort an, als jemand das Atrium betrat und Corvinus begrüßte, und Siv stand da und war irritiert. Was war das für eine Situation? Sollte sie antworten, so wie sie es gerade eben hätte tun müssen? Oder nicht? Aber sie hatte ja keine Ahnung, wie lange Corvinus nicht hier gewesen war, und auch nicht ob das schlecht war oder gut, oder… Siv gab sich einen Ruck. Vorhin hatte sie nichts gesagt, und sie hätte antworten sollen, für ihn – da war er deutlich gewesen. Warum sollte es jetzt anders sein? "Salve. Aurelius Corvinus ist jetzt hier, für Salutatio. Er will reden, mit dir."

    Siv verzog das Gesicht, als sie Matho nun an Sertorio herummeckern hörte. Hatte er an allem und jedem etwas auszusetzen? Außerdem er hatte immer noch nicht gesagt, was er überhaupt wollte – aber darauf mussten sie nicht mehr lange warten. Ein Hausputz, von oben bis unten offenbar. Die Germanin unterdrückte ein Stöhnen und zuckte stattdessen mit den Achseln. Meinetwegen, dachte sie etwas säuerlich. Putzten sie eben das ganze Haus, nur weil irgendjemand etwas in eine Ecke geworfen hatte, in die außer Matho niemand sah – wie der Zustand des Brots bewies. Aber dass Römer eine etwas andere Auffassung davon hatten, wann etwas wirklich sauber war, das hatte sie schon in ihren ersten Tagen hier gelernt. Die Germanin beobachtete Matho, wie auf und ab schritt wie ein Krieger vor seiner Truppe. Wäre sie weniger trotzig veranlagt gewesen, hätte der Maiordomus in diesem Moment einen beeindruckenden und vielleicht sogar furchteinflößenden Eindruck auf sie gemacht, aber Siv ließ sich selten von solchem Gehabe beeindrucken, jedenfalls nicht dann, wenn sie glaubte im Recht zu sein.


    Allerdings musste sogar sie den Kopf schütteln, als sie sah, was im Atrium vor sich ging. Wäre Matho nicht Matho, hätte sie fast Mitleid mit ihm haben können. Sertorio motzte den Maiordomus an, Dhina begann hinter Rollo herzujagen, Hektor brummelte irgendetwas vor sich hin und sogar Tilla schien vor Matho keinen Respekt zu empfinden – sie schnappte sich das Stück Brot und zerbröselte es über dem Wasserbecken. Und im nächsten Augenblick stolperte Dhina, die immer noch hinter Rollo herjagte, über Tilla und landete im Wasserbecken. Und mit ihr Sophia, die das Unheil hatte kommen sehen und hinzugesprungen war, um Dhina noch festzuhalten – aber wie meistens beim Soffchen hatte sie zwar nur die besten Absichten im Sinn, und dennoch ging es schief. Tropfnass kletterten die beiden Sklavinnen wieder aus dem Wasser heraus und standen triefend herum. Und Siv konnte nicht anders als lachen. Es hatte einfach zu komisch ausgesehen, wie Dhina noch einen Moment schwankend und mit rudernden Armen am Beckenrand gestanden hatte, Sophia dazu kam und sie an der Tunika packte, einen Moment beide in der Luft zu schweben schienen und sie schließlich beide fielen. Siv musste so sehr lachen, dass ihr die Tränen kamen.

    Siv war sich nicht ganz sicher, ob er ihr tatsächlich abnahm, dass sie ihn falsch verstanden hatte, aber eigentlich war es ihr egal, aus welchen Gründen er das Thema Wie oft bist du nachts hier draußen und was machst du hier? ruhen ließ, solange es dabei blieb. Genauso wie sie, mit einiger Erleichterung, still für sich feststellte, dass er offenbar nicht wusste, dass sie die gestrige Nacht fast komplett nicht hier gewesen war. Sonst wäre er inzwischen darauf zu sprechen gekommen, jedenfalls ging sie davon aus – er kam ihr nach wie vor noch manchmal unberechenbar vor, handelte oft anders als sie es erwartet hätte, aber sie bevorzugte im Moment einfach, den für sie günstigsten Fall anzunehmen – nämlich dass er nichts wusste, weil er sonst schon längst etwas gesagt hätte.


    Etwas verwirrt runzelte sie anschließend die Stirn, als Corvinus versuchte, ihr auf Germanisch zu antworten. "Ist nah wahr? Was? Warum nah? Es ist wahr dass das alles dir gehört, ja…" Aber sie musste ebenfalls grinsen. Der Unterricht machte ihr Spaß, und obwohl sie in diesem Fall ihm etwas beibrachte, lernte sie selbst auch viel dabei. Er wollte nicht nur Wörter und Sätze lernen, er wollte wissen, wie ihre Sprache funktionierte – worüber sich die Germanin bisher kaum Gedanken gemacht hatte. Es war ihre Muttersprache, sie sprach sie einfach, und fertig. Ihm zu erklären, warum etwas so und nicht anders gesagt wurde, über Regeln und Gesetzmäßigkeiten nachzudenken, die sie so bisher nicht wirklich bewusst erkannt hatte, die ihm aber das Lernen erleichterten, faszinierte sie, und es verhalf ihr nicht nur zu einem besseren Verständnis ihrer eigenen Sprache, sondern für Sprachen allgemein – und damit auch Latein. Mit nach wie vor gemischten Gefühlen, aber doch wesentlich ruhiger ließ sie sich neben ihm nieder. Ein Schmunzeln breitete sich aus, als er versuchte, in ihrem Germanisch einen Sinn zu finden. Es freute sie, dass er sich Mühe gab.


    Unbewusst glitten ihre Finger wieder zu dem Anhänger und spielten damit, während sie ihm zuhörte. Dass er mit Pferden nicht viel anfangen konnte, davon wusste Siv, aber sie hatte sich nicht an dem Gerede mancher Sklaven beteiligt und gab nicht viel auf die Mutmaßungen, die im Haus über die Gründe kursierten. Sie konnte nicht ganz nachvollziehen, wie man Pferde nicht mögen konnte, aber letztlich war das sein Problem, nicht ihres. Als Corvinus dann aber von einem Ausflug sprach, sah sie überrascht hoch, unsicher, ob sie ihn wirklich verstanden hatte. "Ausflug? Du, du meinen, meinst… Wegreiten? Von Stadt weg? Und ich kann mit?" Ein vorsichtiges Lächeln zupfte an ihren Mundwinkeln. "Ich mitkomme gern. Ich würd gern mal wieder reiten, egal wohin… Aber wie… wie ich helfen kann? Für reiten, bei dir? Das wird kaum gehen, es sei denn du setzt dich hinter mich…" Das Lächeln wurde breiter, als sie sich vorstellte, wie er hinter ihr saß, in vollem Galopp. Wie schlecht war er denn tatsächlich? Etwas verblüfft zog sie die Augenbrauen hoch bei seinem ‚Geständnis’."Unheimlich? Pferde sind doch nicht… Pferde sind groß, sind schnell, sind stark – und das, das… das ist toll. Für mich. Ich mag das." Siv musterte ihn. "Warum? Warum Pferde sind, sind… unheimlich für dich? Ich, ich meine, Pferde können sein… gefährlich. Weil groß und stark. Aber unheimlich?"

    Matho musterte sie abschätzig und reagierte auf ihre Frage gar nicht, was Siv zu einem entsprechenden Kommentar veranlasst hätte, wenn nicht nach und nach nun einige Sklaven eintrudelten – Hektor zuerst, dann die Neue, die Siv noch nicht wirklich kennen gelernt hatte, Caelyn, Tilla, deren Lächeln sie erwiderte, und Dina. Und Hektor und Caelyn hatten eine Begrüßung für den Maiordomus bereit, bei der Siv sich gar nicht erst die Mühe machte, das Grinsen zu verbergen. Hektors lautstarker Auftritt war schon amüsant, Caelyns Stein, der Matho traf, ließ die Germanin beinahe loskichern. Als Dina dann auch noch begann, als Antwort auf Mathos Frage auf Rollo hinzuweisen und gleich darauf mit ihm zu schimpfen begann, konnte sie nicht anders als lachen.


    "Lass doch Rollo … er Spaß hat." Gleich darauf tauchte Sertorio auf, der so aussah – und gleich darauf auch erklärte –, dass er gerade vom Schlachten kam. Abwarten, was Matho davon halten würde… aber immerhin hatte Sertorio eine glaubhafte Begründung für sein etwas späteres Erscheinen. Als Matho die Sklaven vor ihm immer noch fragend musterte, zuckte Sofia, etwas verschüchtert, mit den Achseln. "Ich weiß es nicht, wo die anderen sind. Werden sie denn auch gebraucht?" Etwas hilflos betrachtete sie Dina, die immer noch, etwas leiser inzwischen, mit Rollo schimpfte, während Siv nur die Achseln zuckte und gleichzeitig mit dem Kopf schüttelte, um anzudeuten, dass sie keine Ahnung hatte wo die anderen waren.

    Wieder fuhr Siv sich, einigermaßen nervös, mit der Zungenspitze über die Lippen. Einen Moment lang sagte niemand etwas, bevor Corvinus schließlich das Wort ergriff. Hätte sie doch etwas sagen sollen? Ihre Kiefern spannten sich an, als sie die Zähne aufeinander presste. Oh, wie sie solche Situationen hasste, in denen sie so unsicher war… das hatte sie schon immer. Sie war nicht gut darin, Fehler zuzugeben, und sie mochte es nicht, Fehler zu machen – was jetzt dazu führte, dass sie noch unsicherer wurde. Der Ianitor machte eine einladende Handbewegung und hieß sie ins Atrium zu gehen, und wieder stocke Siv, wusste nicht was sie nun tun sollte – vorgehen? Oder auf Corvinus warten? Lerne die Regeln, damit du weißt wie du sie richtig brichst… Siv stöhnte innerlich auf. In der Villa Aurelia kannte sie sich inzwischen aus, wusste was sie zu tun hatte, was von ihr erwartet wurde, meistens jedenfalls… Warum hatte Corvinus sie nicht einfach dort lassen können? Hier gab es wieder so viel, was sie nicht wusste, nicht konnte, und das machte sie fast wahnsinnig, dieses Gefühl, ständig drauf und dran zu sein in ein Fettnäpfchen zu treten oder einen Fehler zu machen. Wenn sie sich bewusst daneben benahm, war es ja eben kein Fettnäpfchen oder Missgeschick, war es nichts wofür sie das Bedürfnis haben würde, sich zu entschuldigen, oder wofür sie sich schämte… Es waren Römer. Trotzdem wollte sie nicht, dass sie sie für dumm oder ungeschickt hielten. Aufsässig, widerspenstig, stur – ja. Aber nicht dumm oder ungeschickt.


    Der Moment verging, ohne dass Siv sich rührte, und Corvinus betrat schließlich vor ihr das Haus und ging ins Atrium, Siv einen halben Schritt hinter ihm. Sie wusste nicht, ob es schon wieder falsch gewesen war, was sie getan hatte. Sein Flüstern verlangte ihr erst ein Stirnrunzeln hab, bis sie die leisen Worte richtig zugeordnet hatte, dann antwortete sie, ebenso leise: "Wie, dran? Ich… ich soll reden, mit, mit Ianitor? Aber er… er dich fragen, er… Bei den abscheulichsten Kreaturen der Unterwelt, das kann doch nicht wahr sein!" fluchte die Germanin schließlich. Sein Schmunzeln trug ihm einen bösen Blick von ihr ein, weil es das Gefühl gab, dass er sich über sie amüsierte. Vielleicht tat sie ihm unrecht damit, aber sie war gerade etwas empfindlich. "Lernen, ja. So viel zu lernen… ich nur noch lernen, seit in Rom, und für eins was lernen, drei neue da sein." Sie seufzte lautlos und grinste dann schief, während sie ihrem Herrn und dem Ianitor ins Atrium folgte. Letzterer ließ sie gleich darauf allein, und Siv blieb in Corvinus’ Nähe, sah sich um und bemühte sich, alles in allem ruhig stehen zu bleiben – was ihr, bis auf ihre Hände, gelang. Die aber schienen nicht still halten zu wollen, bewegten sich wie kleine, flatternde Vögel, von ihrem Rücken zu ihren Hüften, in einer fließenden Bewegung hinauf zur Taille, verschränkten sich vor dem Bauch, hingen dann an ihrer Seite, nur um sich gleich darauf wieder vor ihrem Bauch regelrecht zu verknoten.

    Siv konnte nicht sagen, ob sie tatsächlich den Weg einer Kriegerin beschritten hätte, unter diesen Umständen. Alleine zu sein, meistens jedenfalls – sie glaubte nicht, dass das etwas für sie war. Und verlor man nicht irgendwann den Mut zu kämpfen, wenn man nicht mehr wusste, wofür man eigentlich kämpfte? Die Germanin war verwirrt, waren das doch Gedanken, die sie sich bisher nie gemacht hatte, wenn es darum gegangen war ob sie Kriegerin sein konnte. Sie hatte immer nur… endlich eine Waffe in der Hand haben wollen. Kämpfen wollen. Sie hatte nie darüber nachgedacht, was es letztlich bedeutete, vielleicht, weil sie ohnehin wusste, dass ihr dieser Weg versperrt war. Jetzt aber wurde ihr zum ersten Mal klar, dass Kriegerin zu sein mehr bedeutete, mehr abverlangte… Und dass man mehr als Beweggrund brauchte als nur den Wunsch, es den Brüdern gleich zu tun und sich mit ihnen auch auf dieser Ebene messen zu können. Siv blähte nachdenklich ihre Nasenflügel. "Ich… bis jetzt, ich… immer gehen Weg, wo… richtig fühlen. Meistens jedenfalls, wenn ich nicht grad… beleidigt war oder so…" Das letzte kam, obwohl sie es auf Germanisch sagte, eher zögernd. Es fiel ihr nicht leicht, das einzugestehen, nicht einmal vor sich selbst.


    Anschließend sah sie die Keltin mitfühlend an, als diese über den Römer sprach, den sie liebte… Siv wusste nach wie vor nicht, was sie sagen oder tun sollte, um Cadhla zu helfen, so gern sie es auch würde. Aber sie hatte keine Idee. Sie selbst war immer gerade heraus, und Cadhla schien ebenso zu sein – nur was tun, wenn Menschen wie sie in einer Situation waren, in der es kein ‚gerade heraus’ gab? Oder besser: in der sie so einfach nicht handeln konnten? Aber immerhin liebte er sie auch – und gerade weil Siv selbst mit Liebe keinerlei Erfahrung hatte, war sie erleichtert, das zu hören. So musste sie sich wenigstens darüber keine Gedanken machen, was sie der Keltin sagen sollte. "Ja, Sklave sein… nicht, nicht einfach. Ich…. ich auch nicht weiß, was du… was du tun könntest. Oder sollst. Ich… … nicht weiß was du tun. Er liebet dich, das… das gut ist, oder? Auch, auch wenn… nicht ein Weg zusammen ist, ist… kann sein. Ich würde sagen, genieß die Zeit, die ihr habt… so lange es möglich ist. Vielleicht… vielleicht gut, du froh sein, für, für… Zeit. Mit ihm. Jetzt. Nicht denken an, an… Zukunft." Siv lächelte aufmunternd und hoffte, die richtigen Worte gefunden zu haben. Was gab es sonst schon zu sagen, in dieser Situation? Im nächsten Moment starrte die Germanin Cadhla verblüfft an. "Du… nie liegen bei Mann?" Das musste sie erst mal verdauen. In ihrer Sippe war es üblich, dass Mädchen im Alter von etwa 14 heirateten – Siv war mit 15 schon älter gewesen als üblich. Mit dem Mann das Bett zu teilen, gehörte einfach dazu, und Siv wollte das auch nicht mehr missen – nicht wenn es ein Mann wie Ragin war. Oder Corvinus… Siv unterdrückte die kleine Stimme in ihrem Inneren und konzentrierte sich auf Cadhla. "Ja, ich haben Mann. Sein Name sein Ragin, aber er nicht, nicht… nicht leben. Er sein tot, von Römer. Das sein vor… vor Römer die, die machen mich als Sklavin."

    Als Siv an diesem Tag aufgestanden war, hatte sie mit der üblichen Routine begonnen, die sich inzwischen eingestellt hatte – so sehr sie anfangs auch dagegen aufbegehrt hatte, irgendwann… gewöhnte man sich einfach daran. Sklave zu sein. Also tat sie, was sie jeden Tag tat – sie wusch sich, sie frühstückte, und danach machte sie sich an die Arbeit, half zunächst in der Küche, brachte Römern Frühstück, sah dann im Garten nach dem Rechten – was sie gerne in die Länge zog, wenn es ging – und kümmerte sich dann, zähneknirschend, um die Wäsche. Heute kam sie allerdings nicht einmal bis in den Garten. Corvinus rief sie nach dem Frühstück zu sich, wo sie zunächst dabei helfen musste, ihm die Toga anzulegen. Zum ersten Mal, und wäre Cadhla nicht da gewesen, hätte das Ganze in einem Fiasko geendet, bei dem sie vermutlich in den Stoffbahnen untergegangen wäre. Aber die Keltin war da, zeigte Siv die Handgriffe – die sie sich allerdings nicht hatte merken können; wozu musste man so ein unpraktisches Kleidungsstück tragen? – und so waren sie doch recht schnell fertig. Danach ließ Cadhla sie allein, und Corvinus eröffnete Siv, dass sie ihn heute begleiten sollte. Wohin auch immer, ganz hatte Siv nicht verstanden, was er mit Patron, Klient, besuchen und Hungaricus meinte, aber sie fragte nicht weiter.


    Und so stand sie jetzt vor diesem Haus, nachdem sie durch Straßen gelaufen waren, die Siv immer noch nicht geheuer waren, und fühlte sich unwohl. Sie war aufgeregt, obwohl sie sich gegen dieses Gefühl wehrte. Sie war inzwischen öfter auf dem Markt dabei gewesen, aber, außer bei der Saturnalienfeier der Flavier, noch wirklich im Haus anderer Römer gewesen, nie auf diese Art. Siv war sich unsicher, wie sie sich verhalten sollte oder was Corvinus von ihr erwartete, und schon allein dafür ärgerte sie sich wieder, weil es für sie eigentlich keine Rolle spielen sollte, was er erwartete. Aber Gedanken machte sie sich trotzdem. Siv musterte ihren Herrn von der Seite, als dieser sie ansprach, und nickte. "In… Ordnung." Andere Sklaven. Das Problem war nur, sie war weder einer der Sklaven dieses Hauses, noch war sie Leibwächter – also konnte sie sich zwar an ihnen orientieren, aber sich wie sie verhalten? Ihre Zungenspitze fuhr nervös über ihre Lippen, und sie zuckte doch tatsächlich – beinahe – unmerklich zusammen, als die Tür aufging und der Ianitor sich, nach kurzer Musterung der Wartenden, zunächst an Corvinus wandte. Und da er ihn direkt angesprochen hatte, beschloss Siv einfach nichts zu sagen. So konnte sie wenigstens nicht viel falsch machen. Ihr Problem war, dass sie – wenn sie sich daneben benahm – das bewusst machen wollte. Weil sie rebellieren wollte, weil ihr irgendetwas nicht passte. Aber nicht, weil sie einfach nicht wusste, was richtig war. Sie konnte es nicht leiden, in einer Situation zu sein, in der sie nicht Bescheid wusste und sich unsicher fühlte.

    Ob sie öfter nachts hier war? Siv öffnete den Mund um zu antworten, klappte ihn aber dann, gerade noch rechtzeitig, wieder zu. Sie tat sich schwer damit jemanden anzulügen, selbst hier, selbst Römer – auch wenn sie sich sagte dass das Blödsinn war, jedenfalls wenn es um Römer ging, aber sie konnte einfach nicht aus ihrer Haut. Und sie war ihr Leben lang ehrlich gewesen, abgesehen von kleineren Flunkereien. Meistens kam es ihr nicht mal in den Sinn, die Unwahrheit zu sagen. Aber jetzt? Sollte sie ihm sagen, dass sie vergleichsweise häufig hier draußen schlief? Eigentlich wann immer sich die Gelegenheit dazu ergab und die Nächte mild genug waren? "Mmh. Garten ist schön. Auch wenn Nacht", wiederholte sie. "Ich mögen hier sein, ja." Wirklich beantwortet hatte sie seine Frage damit nicht, aber sie hatte auch nicht gerade heraus gelogen. Und vielleicht glaubte er ja, sie hätte ihn einfach nur nicht ganz verstanden und nicht, dass sie ihm ausweichen wollte, und beließ es dabei.


    Anschließend kräuselte sie, etwas trotzig, die Nase, als sie seine Reaktion auf ihren Dank hörte. Die Germanin wollte nicht, dass ihr sein Geschenk gefiel, und sie wollte nicht, dass ihn freute, dass es ihr gefiel. Aber es war so, und sie konnte es nicht ändern. Nur fragte sie sich im Nachhinein, warum sie sich bedankt hatte. Warum sie nicht einmal bei Römern in der Lage war, sich zu verstellen. Sie beschloss, gar nicht weiter darauf einzugehen, und er erwartete offenbar auch nichts mehr, denn im nächsten Moment fragte er, ob er sich setzen dürfe – nur um sich gleich darauf auf der Decke niederzulassen. Für einen Augenblick starrte sie ihn sprachlos an. "Ja, klar. Wozu fragen? Ist ja deine Decke. Genauso wie der Garten…" So typisch. Typisch für ihn, typisch für Römer. Wäre ihre Position eine andere gewesen, hätte sie ihn nun schon aus Prinzip verjagt. Am liebsten hätte sie das jetzt auch getan, aber sie wusste, dass es zu nichts führen würde, außer dass sie sich schlimmstenfalls Strafarbeiten eintrug, vorerst nicht mehr in den Garten durfte und darüber hinaus einen bisher eigentlich recht schönen Abend zerstörte. Unschlüssig stand sie da, wusste nicht so recht, was sie tun sollte. Sie wollte noch nicht hinein gehen, auch wenn sich das im Garten schlafen nun wohl erledigt hatte. Zumindest für heute, denn wenn sie überhaupt noch verhindern wollte, dass er es herausfand – und ihr möglicherweise verbieten würde –, dann würde sie wohl oder übel hinein gehen müssen, entweder jetzt oder spätestens dann, wenn er auch ging. Sie wollte noch nicht zurück ins Haus, in den Schlafraum, wo sie nach wie vor das Gefühl hatte, dass die Wände sie erdrückten. Ihr Schlaf war tief und erholsam, wenn sie draußen war – oder bei Corvinus –, aber sonst eher unruhig und häufig von wirren Träumen geprägt, an die sie sich zwar nicht immer erinnern konnte, die einen wirklich guten Schlaf aber selten zuließen.


    Seine Frage gab schließlich den Ausschlag. Siv zögerte nur noch einen winzigen Moment, dann ließ sie sich neben ihm auf der Decke nieder, griff nach dem Papier und begann damit zu spielen. "Warum? Na ja, weil… Pferde… sind schön. Schön Tiere. Lieb. Einfühlsam. Und… ich möge reiten. … Ich fühl mich einfach frei, und unabhängig, wenn ich auf einem Pferd sitze und es losrennt, und der Wind mir ins Gesicht schlägt und… Wenn, wenn ich… reiten, wenn Pferd… laufen, schnell laufen, dann alles weg. Ich… bin frei, dann. Von alles. Von, von Pflicht, und… und Erwartungen und Sorgen und allem anderen halt, was so zusammenkommt." Wie viel gäbe sie dafür, mal wieder reiten zu können, die Geschwindigkeit zu erleben, den Wind im Gesicht, in den Haaren zu spüren… Reiten war für sie immer eine Möglichkeit gewesen, allem zu entfliehen, wenn auch nur vorübergehend. Und egal wie es ihr vorher gegangen war, danach hatte sie sich besser gefühlt. Aber im Vergleich dazu, was sie in den letzten Monaten erlebt hatte, was sie jetzt war, erschienen ihr ihre früheren Sorgen und Probleme nichtig. Wie viel mehr würde sie das Gefühl der Freiheit schätzen können, das sie auf einem Pferderücken empfand, jetzt, wo sie Sklavin war… und zum ersten Mal wusste, was es hieß, unfrei zu sein. "Fühlen, sein frei, auf Pferd."

    Siv war bereits in der Nähe des Atriums, als Mathos Gebrüll ertönte – und ihre erste Reaktion war ein genervtes Augenverdrehen. Matho war schlecht gelaunt, das war nicht zu überhören. Ihrer Meinung nach war der Maiordomus meistens schlecht gelaunt, jedenfalls wenn er ihr begegnete, das war nichts besonderes, aber dass er so brüllte, dass man meinte die Wände würden zittern, passierte dann doch eher selten. Sie wollte sich gerade in den Garten verziehen, um später behaupten zu können sie habe ihn einfach nicht gehört, als Sofia auf sie zu kam und sie mit großen Augen anstarrte, als sie sah, dass Siv im Begriff war sich in die genau entgegen gesetzte Richtung zu bewegen. "Ja wo willst du denn hin, Siv? Du musst Matho doch gehört haben!" Siv seufzte ergeben. Sie mochte Soffchen, meistens jedenfalls – man konnte Sofia nicht nicht mögen, dafür war sie einfach zu lieb. Aber mit ihr arbeiten war eine Plage – in der Regel endete es damit, dass sie länger zu tun hatten als wenn die Germanin es gleich alleine erledigt hätte, weil Sofia immer irgendetwas passierte.


    Siv warf einen sehnsüchtigen Blick den Gang hinunter, in die Richtung die von Matho weg führte. Aber Sofia stand immer noch da und sah sie an, auf diese spezielle Art, als könne sie gar nicht glauben dass Siv an irgendetwas anderes dachte als so schnell wie möglich dem Maiordomus Folge zu leisten… Sie konnte trotzdem verschwinden, sicher, und das Soffchen würde sie nicht verraten – nicht absichtlich jedenfalls. Aber wenn Matho fragte wo sie war… Siv seufzte erneut. Selbst wenn Sofia für sie schwindelte, würde es ihr nicht sonderlich gut gelingen. Davon abgesehen konnte und wollte sie von niemandem verlangen, für sie zu lügen. Vor allem nicht wenn es dafür Ärger gab. "Also auf zu Matho… Ich gehe Matho… zu Matho." Mit einem Achselzucken drehte sie sich um und ging mit der Griechin zum Atrium, wo Matho wartete. Allein seine Haltung, wie er da stand, regte Siv schon auf, und sie spürte, wie sich innerlich wieder gegen ihn rebellierte. Sie konnte es einfach nicht ausstehen, auf die Art und Weise herumkommandiert zu werden, die Matho ihr gegenüber für gewöhnlich an den Tag legte. Dementsprechend schroff war ihr Tonfall, als Sofia und sie bei ihm angelangten. "Was ist?"

    Siv schnaubte unwillig, als Matho nur unwirsch Befehle aussprach, aber sie kam nicht dazu, sich wirklich mit ihm anzulegen – was sie am liebsten getan hätte. Noch während Matho sprach, rührte sich Tilla hinter ihr, und Siv war für einen Moment hin- und hergerissen – drehte sich dann aber doch zu dem Mädchen um, das bereits vom Bett heruntergerutscht war und gerade in diesem Moment im Begriff war, unter eben diesem zu verschwinden. "Das darf ja wohl nicht wahr sein! Was machst du denn da?" Siv kniete wieder hin und hielt das Mädchen auf. "Nein, Tilla!" sagte sie streng. Die Germanin verstand, dass das Mädchen etwas verängstigt sein musste, aber sie konnte es nicht ganz nachvollziehen, dass sie auf diese Art reagierte. Und so oder so – irgendwann war die Grenze erreicht. Wenn Tilla gesund werden wollte, musste sie im Bett bleiben. "Reiß dich ein bisschen zusammen, und bleib gefälligst im Bett! Wird ja immer schöner…" Sivs Tonfall war bestimmt und sogar etwas unwillig, und am liebsten hätte sie den Kopf geschüttelt, während sie Tilla hochhob und wieder aufs Bett legte. "Du… in Bett. Verstanden?" Nicht dass sie eine Widerrede geduldet hätte. Sie zog die Decken wieder über Tilla und stopfte die Enden fest, während sie kurz zu den Anwesenden hochsah. "Matho? Matho immer so. Wenn, wenn er… reden mit, mit mir, jedenfalls." Sie fühlte kurz Tillas Stirn und sah dann Sertorio an, mit dem sie bisher noch nicht wirklich etwas zu tun gehabt hatte. "Du brauchen… brauchst helfen, in Küche? Ich gehen in Küche und mache… Arbeit – von Tilla. Und Wäschekammer nachher." Sie wusste, dass Matho sie kontrollieren würde – gerade sie. Es schien, als ob er vom ersten Tag an etwas gegen sie gehabt hätte. Aber sie würde sich weder von ihm unterkriegen lassen noch erlauben, dass Tilla in ihrem Zustand aufstand, geschweige denn arbeitete. Also hieß das, dass die paar Momente gerade eben ihre letzte Pause gewesen waren, vermutlich bis weit in den Abend hinein.