Beiträge von Aureliana Siv

    Wieder so eine Antwort, die alles und nichts sagte. Pyrrus kam also mit, weil Corvinus ihn brauchte. Aber für was? Warum musste sie dann dabei sein? Aber sie fragte nicht weiter. Corvinus würde nichts sagen, das wusste sie, und irgendwie fand sie dämlich, ihn mit Fragen zu löchern, wenn sie doch keine Antwort bekommen würde. Also bedachte sie ihn nur mit einem etwas skeptischen Blick und folgte ihm dann auf die Straßen hinaus, während Pyrrus ihnen hinterher lief, sichtlich nicht begeistert von der Tatsache, nach draußen zu müssen. Zu Fuß suchten sie sich ihren Weg durch die Straßen, hin zum Forum, während Siv versuchte, sich nicht den Kopf zu zerbrechen über das, was Corvinus wohl erledigen musste – und es natürlich doch tat. Die ganzen letzten Tage hatten sie kaum ein Wort gewechselt, und jetzt nahm er sie auf einmal mit in die Stadt. Noch dazu, wie sie kurze Zeit später feststellte, in ein höchst imposant wirkendes Gebäude. Siv konnte noch nicht einmal sagen, ob sie schon mal hier gewesen war bei einem der zahllosen Male, bei denen sie Corvinus bisher begleitet hatte, oder nicht. Nach all der Zeit in Rom sahen die Gebäude für sie nach wie vor alle gleich oder zumindest ähnlich aus.


    Corvinus führte den Weg und gesellte sich schließlich zu einer Gruppe von Menschen, die zu warten schien, und Siv stellte sich dazu, so, dass sie nicht allzu nah bei den anderen war. Pyrrus wirkte jetzt schon ungeduldig. Und Siv hatte immer noch keine Ahnung. Was sie hier erwarten könnte, würde, damit hatte sie sich bisher noch nie wirklich beschäftigt, nicht in der Form, wie es in der Realität tatsächlich ablaufen würde. Sie öffnete den Umhang, weil ihr warm wurde, und verschränkte dann die Arme, während sie hin und her trat. Und dass sie nicht ruhig stehen blieb, lag nur zum Teil daran, dass ihr inzwischen bereits nach kurzer Zeit die Füße begannen weh zu tun, wenn sie einfach nur herumstand, vor allem wenn es warm war.

    Als sie wiederkam, legte auch er seinen Mantel an, aber auf ihre Frage hin gab er keine klare Antwort. Stattdessen ging er nur voran Richtung Atrium, stoppte allerdings wieder, um etwas aus seinem Arbeitszimmer zu holen und Pyrrus gleich mit. Für Siv wurde das Ganze immer mysteriöser. Wenn Corvinus irgendeinen offiziellen Besuch zu erledigen hätte, hätte er das nicht einfach so spontan entschieden, ganz im Gegenteil. Warum Pyrrus allerdings sonst mitkommen sollte, was er zu tun hatte, war Siv schleierhaft. Etwas ratlos und mehr als nur etwas verwirrt hörte sie dem kurzen Wortwechsel zu, aus dem sie auch nichts schließen konnte, und folgte Corvinus dann. Sie wusste es besser, als Corvinus zu fragen was er vorhatte – wenn er sich so aufführte wie jetzt, würde kein Sterbenswörtchen über seine Lippen kommen über das, was er zu tun gedachte. Sie erreichten das Atrium und durchquerten es, und Siv schloss mit ein paar schnellen Schritten zu Corvinus auf und fragte nun doch etwas. "Warum kommt Pyrrus mit?" Sie war sich nicht so ganz sicher, ob sie dabei sein sollte – wollte –, bei was auch immer Corvinus seinen Schreiberling brauchte, schon gar nicht in ihrem Zustand.

    Kurzzeitig war Siv etwas abgelenkt, als es erneut flatterte. Und ihr lag schon auf der Zunge, Corvinus davon zu erzählen, ihn zu drängen, seine Hand auf ihren Bauch zu legen und herauszufinden, ob er etwas spürte, ob sie sich das nur eingebildet hatte vorhin oder nicht, aber sie sagte dann doch nichts. Die Stimmung zwischen ihnen war seltsam, im Moment, jedenfalls kam es ihr so vor, und es wäre denkbar unpassend gewesen, jetzt von so etwas anzufangen. Fand sie. Vielleicht hätte auch genau das dazu beigetragen, die Stimmung zu lösen, aber sie fand auch nach wie vor, dass sie eigentlich eine Entschuldigung verdient hatte. Oder wenigstens die Zusicherung, dass er seine Worte nicht so gemeint hatte. Das zu erwähnen, zu fordern, erschien ihr aber genauso unpassend, nicht nur weil sie nicht schon wieder streiten wollte, sondern auch, weil es… nun ja, nicht gepasst hätte. Und wie sie aus dieser Zwickmühle herauskommen sollte, war ihr im Moment völlig unklar. Also beschloss sie, sich treiben zu lassen. Einfach abzuwarten, was passieren würde. So seltsam die Stimmung sein mochte zwischen ihnen, immerhin… sprachen sie miteinander.


    "Ich weiß nicht genau. Ich denke, in… zwei Monaten. Ungefähr." Als Corvinus auf ihre Frage zunächst so perplex reagierte, wurde Sivs Schmunzeln, erneut fast gegen ihren Willen, noch breiter. Sie wusste nicht, wo er gedanklich gerade war, aber ihren Kommentar konnte er offensichtlich zunächst nicht einordnen. Und als er es dann konnte, zeigte sich auf seinem Gesicht ein Grinsen, das sie selten an ihm sah. "Nicht-Germane", grinste sie, behielt den Mantel aber, weil sie wusste, dass er ihn kaum angenommen hätte. Dennoch, während sie sich umdrehten und zum Haus gingen, konnte sie es sich nicht verkneifen hinzuzufügen: "Mir ist nicht kalt." Als sie dann in der Exedra standen und kurz innehielten, war sie – für Siv jedenfalls – wieder da, die seltsame Stimmung. Oder besser: sie kündigte sich wieder an, weil sie nicht weiter wusste. Und dann überraschte er sie. "Wir… was? Wir gehen in die Stadt?" wiederholte sie etwas ungläubig, aber dann, nach einem weiteren Moment, gab sie ihm seinen Mantel nun doch zurück und wandte sich um, um sich selbst etwas zu holen – etwas, das auch seiner Definition von etwas Warmes zum Anziehen standhalten würde. Kurze Zeit später stand sie wieder vor ihm. "Wo willst du hin?"

    Siv war sich nicht ganz sicher, aber sie hatte den Eindruck, dass er sich irgendwie über etwas amüsierte. Sie wusste nur nicht recht, worüber, aber als sich dann ein Lächeln auf seinem Gesicht zeigte, konnte sie es nicht mehr leugnen, dass es so war. Was sie eindeutig verwirrte. Sie hatte gedacht, dass Corvinus und sie gerade nicht unbedingt in einer Phase waren, in der so etwas möglich war. Oder wollte er einfach nur so tun, als sei nichts gewesen? Siv ließ ihren Blick wieder kurz durch den Garten schweifen, während sie seine Zusicherung hörte, dass es nicht mehr allzu lang dauern konnte. Bis auch sie wieder hier draußen arbeiten konnte. Bis das Kind da war. Wieder legte sich ihre Hand auf ihren Bauch. "Nein. Dauert nicht mehr so lang." Sie räusperte sich und musterte ihn wieder, und dann geschah etwas, was ihrer Vermutung, er wollte so tun als sei nichts gewesen, einen deutlichen Riss zufügte. Die Frage war unbeholfen formuliert – nicht unbedingt Gelegenheit um zu reden hätte Siv unter anderen Umständen zum Lachen gebracht in Anbetracht der letzten Tage –, aber sie meinte zu verstehen, was dahinter lag. Oder vielleicht hörte sie auch einfach nur das, was sie in den Worten hören wollte. Sie wollte ein Versöhnungsangebot von ihm, mehr als alles andere. Sie wollte sich wieder mit ihm vertragen.


    Ja, sie wollte sich wieder mit ihm vertragen. Und trotzdem… "Reden?" Etwas ungläubig musste sie wohl klingen. "Nein, das hatten wir nicht." Was nicht ihre Schuld gewesen war, lag ihr auf den Lippen, aber das verschluckte sie, weil sie durchaus wusste, dass es doch ihre Schuld war. Immerhin war sie ihm ja aus dem Weg gegangen, auch wenn er bisher genauso wenig Anstalten gemacht hatte, etwas an dem Zustand zu ändern. "Reden. Mir… geht es gut. So weit", antwortete sie dann also doch auf seine Frage, anstatt weiter auf dem Punkt herumzureiten, was seit ihrem Krach gewesen war. Sie sah Corvinus an und zog währenddessen die Unterlippe kurz zwischen die Zähne. Und dann war es an ihr zu lächeln. Sie wollte nicht, aber sie konnte nicht anders, als sie sah, wie er fröstelte. Ersatzweise senkte sie leicht den Kopf, als ein Schmunzeln über ihre Lippen huschte, aber sie sah gleich wieder auf und machte eine leichte Kopfbewegung zu ihrer Schulter hin, wo der Stoff seines Mantels war. "Willst du ihn wieder zurück?"

    Einen Augenblick herrschte Schweigen, bevor Corvinus auch ihren Namen sagte. Und dann war es wieder still. Siv hatte das Gefühl, sie müsste etwas sagen, irgendetwas, aber immer noch fiel ihr nichts ein, und so schwieg sie stattdessen – und begann zu überlegen, wie sie verschwinden konnte. So sehr sie ihn vermisste, so sehr sie unter der Distanz litt, so wenig wollte sie das hier. Bei ihm, mit ihm herumstehen und nicht wissen, was sie sagen sollte, so dass die Zeit einfach nur in unangenehmem Schweigen verging. Da war es besser, ihm aus dem Weg zu gehen, ihm einfach gar nicht zu begegnen. Dennoch blieb sie stehen, musterte zuerst ihn, dann ihre Fußspitzen und den Garten, und sah schließlich wieder, etwas überrascht, zu ihm, als er von etwas recht Belanglosem anfing. Und noch dazu von etwas, was eigentlich nicht so wirklich stimmte, fand sie, denn so furchtbar kalt war es dann doch nicht, ganz davon abgesehen dass sie sich nicht auch noch vorschreiben lassen würde, im Winter das Haus überhaupt nicht mehr zu verlassen. Und, wie ihr erst nach einem Lidschlag bewusst wurde, er fing ein Gespräch an, indem er ihr Vorwürfe machte. Sie öffnete den Mund, um zu widersprechen, aber in dem Moment hatte Corvinus bereits seinen Mantel gelöst und ihn ihr um die Schultern gelegt, und das ließ sie dann doch wieder kurzfristig sprachlos zurück.


    "Ehm. Danke", murmelte sie und zog den Stoff etwas enger um ihre Schultern. "Ich war…" Sie gestikulierte zum Garten hin. "… habe nachgesehen, ob alles in Ordnung ist. Wegen dem Sturm. Und für den Winter. Die anderen haben, in letzten Tagen, den Garten fertig gemacht. Ohne mich." In den letzten beiden Worten schwang fast so etwas wie Trotz mit, gemischt mit Sehnsucht.

    In warme Sachen gepackt, wanderte Siv durch den Garten und sah sich an, was andere Sklaven auf ihre Anweisung hin getan hatten. Sie sehnte sich danach, endlich wieder selbst hier arbeiten zu können. Selbst wenn es nur darum ging, den Garten winterfest zu machen, vor allem den Teil mit den empfindlichen Gewächsen aus südlichen Gefilden, was beileibe keine allzu schöne Arbeit war, juckte es in ihren Fingern. Stattdessen konnte sie nur sagen, was gemacht werden sollte, und musste im Übrigen zusehen – und sogar das hatte sie in den letzten Tagen und Wochen nicht lange gekonnt, weil Brix darauf hingewiesen hatte, dass Herumstehen in der Kälte wohl nicht unbedingt das Beste für sie war. Vermutlich hatte er auch geahnt, dass sie kaum brav dastehen und nur zusehen würde, wenn sie die ganze Zeit dabei war. In jedem Fall hatte Siv sich, wenn auch nur ungern, zurückgezogen, und jetzt lief sie durch den Garten und, ja, überprüfte noch mal alles. Vor ein paar Jahren hätte sie das nie für möglich gehalten, dass sie so etwas tat, dass sie so… pflichtbewusst sein könnte, aber der Garten war etwas Besonderes. Er war ihr anvertraut, seit sie hierher gekommen war, und er war ihr ans Herz gewachsen. Sie überblickte den orientalischen Teil, und ein teils zufriedenes, teils wehmütiges Lächeln huschte über ihre Lippen. Die empfindlichsten Pflanzen waren hier ohnehin nicht direkt ins Erdreich gesetzt worden, sondern in große Gefäße, so dass sie im Winter ins Haus gebracht werden konnten, in die Exedra, wenn sie etwas Kälte vertrugen, ins Haus selbst, wenn sie sehr empfindlich waren. Der Rest war so geschützt, wie es nur ging. Und auch was der Sturm angerichtet hatte, war nicht mehr zu sehen. Oh ja, sie konnte zufrieden sein, aber sie hätte einfach so gerne mitgemacht…


    In diesem Moment spürte sie wieder dieses Flattern. Das hieß, eigentlich war es schon gar kein Flattern mehr. Innerhalb kürzester Zeit, so schien es ihr jedenfalls, war es stärker geworden, und inzwischen war es eindeutig, dass es nicht ihr Magen war, der erneut verrückt zu spielen begann. Allerdings war das nun eher ein Grund dafür, dass ihr Lächeln verschwand. Seit dem Krach in der Nacht waren Corvinus und sie sich mehr oder weniger aus dem Weg gegangen. Sie ihm, hieß das, ob es umgekehrt auch so war, konnte sie nicht sagen. Ich kann dich nicht gebrauchen. Der Satz bohrte in ihr wie eine vergiftete Speerspitze. Sie konnte sich noch so oft sagen, dass er es nicht so gemeint hatte, aber er hatte es ausgesprochen, und das allein schon tat weh. Und sie hasste es, wenn sie sich stritten. Vor allem, weil es dann immer eine Zeitlang dauerte, bis sie sich wieder vertrugen. Weder sie noch er waren Menschen, die leicht einen Streit überwanden, und dabei spielte es, zumindest bei Siv, keine große Rolle, ob sie sich im Recht oder im Unrecht fühlte. Wenn sie sich im Recht meinte, sah sie es nicht ein, den ersten Schritt zu tun, wenn sie sich im Unrecht fühlte, weigerte sie sich häufig, weil ihr Stolz nicht zuließ, das zuzugeben. Und es war so einfach, sich aus dem Weg zu gehen. Die meiste Zeit lebten sie in völlig unterschiedlichen Welten, in denen jeder von ihnen genug zu tun hatte. Solange sie nicht bewusst entschieden, Zeit miteinander zu verbringen, die Gegenwart des anderen zu suchen, lief es eben einfach so vor sich hin. Und dennoch, obwohl auch sie in den letzten Tagen, vor allem morgens, wenn sie ihm beim Ankleiden behilflich war, keine Anstalten gemacht hatte die Distanz zu überbrücken zwischen ihnen, litt sie darunter. Vor allem in Momenten wie diesen, wenn es eigentlich etwas gab, was sie ihm unbedingt erzählen wollte.


    Noch ein Flattern, ein Beben, und Sivs Hand legte sich unwillkürlich auf den Bauch, aber nach außen war der Tritt noch nicht als solcher zu spüren. Oder doch? Sie runzelte leicht die Stirn, nicht sicher, ob sie sich das eingebildet hatte durch den dicken Stoff hindurch, aber es kam nichts weiter, und so drehte sie sich schließlich um – und erstarrte, als sie Corvinus nicht weit von ihr stehen sah. Es waren Situationen wie diese, in denen sie nicht wusste, was sie tun, wie sie reagieren sollte. Einfach zu gehen wäre unhöflich gewesen und ihr zudem lächerlich vorgekommen. Aber was sie sagen sollte, wusste sie auch nicht. "Marcus", meinte sie dann einfach nur, leise. Sie war durch den Garten gegangen im Verlauf der letzten Stunde, sie wusste, dass niemand hier war, niemand der sie hören konnte. Das waren die einzigen Momente, in denen sie sich erlauben konnte, ihn so zu nennen, und Siv achtete genau darauf, dass ihr da kein Fehler passierte.

    Sim-Off:

    Sorry, ganz übersehen :(


    Es gab Menschen, die mochte man nicht, ohne dies genau bestimmen zu können. Und es gab Menschen, die mochte man nicht, und man konnte bestimmen, warum das so war. In Sivs war Fall war es, was die Flavia betraf, letzteres. Sie konnte sehr genau sagen, warum sie sie nicht mochte, und es lag nicht einfach nur daran, dass sie einen denkbar schlechten Start gehabt hatten, sobald Siv erfahren hatte, dass Corvinus gedachte sie zu ehelichen. Es lag auch nicht einfach nur daran, dass Sivs Gemütsverfassung zu jenem Zeitpunkt denkbar elend gewesen war. Beides hätte, auf längere Sicht, die Chance gehabt keine Rolle mehr zu spielen – Sivs Lage hatte sich wieder geändert, deutlich zum Besseren, und mit der Tatsache, dass Corvinus heiraten würde, musste, hatte sie sich abgefunden. Wie die Flavia sie allerdings behandelte, wie sie sie von Anfang an behandelt hatte, so als ob sie nicht mehr als Dreck sei – wie sie sich gab, so als ob sie der Archetyp eines Römers oder einer Römerin war, so wie Siv dieses Volk früher immer gesehen hatte… Das war es, was Siv nicht leiden konnte. Sie hatte es noch nie leiden können, wenn man ihr gegenüber herablassend war, und Herablassung war etwas, was die Flavia perfektioniert zu haben schien. Siv war niemand, der so etwas so leicht vergab. Genauso wenig wie eine Ohrfeige. Nein, Siv hatte mehr als genug Gründe, die Flavia nicht zu mögen, und sie vom Gegenteil zu überzeugen, würde einiges bedürfen. Es interessierte sie nicht, dass sie nicht in der Position derjenigen war, die überzeugt werden musste, nicht so wie die Dinge lagen, nicht sie als Sklavin und die andere als Herrin. Es interessierte Siv nicht. Was sie zurückhielt, war einzig das Wissen, dass Corvinus wohl ein Problem haben würde, wenn sie es mit der Flavia zu weit trieb – und das war auch der Grund, warum sie ihr bisher so penibel aus dem Weg gegangen war.


    Das kühle Lächeln erwiderte Siv nicht. Ihr war nicht Lächeln, also lächelte sie nicht, so einfach war das – und diese Maskerade, die die Römer so gut beherrschten, nicht nur die Flavia, sondern auch Corvinus und viele andere, gehörte zu den Dingen, die Siv bisher nicht gelernt hatte und auch nicht wirklich nicht lernen wollte. Ihre Augen blitzten nur auf, als die Flavia davon sprach, dass sie ihr und ihrem Kind das Leben zur Hölle machen könnte. Sie war sich sicher, dass sie das nicht konnte, dass Corvinus das nicht zulassen würde, aber dennoch war es Wut, die in ihren Augen schimmerte, Wut darüber, dass die andere Frau es wagte, ihr Kind zu bedrohen. Ihr Kind. Niemals würde sie zulassen, dass jemand Hand an ihr Kind legte, eher würde sie sich zerreißen lassen, wie die Wölfin, die ihr Junges verteidigte. Ohne hinzusehen, streckte Siv die Hand aus und zog eine Schriftrolle aus einem Regal, die sie der Flavia hinhielt. Es war ihr gleichgültig, ob es eine war, die sie schon gelesen hatte oder nicht. Sie konnte inzwischen alles hier lesen, manches schneller, manches weniger schnell, was nicht nur am Schwierigkeitsgrad lag, sondern auch daran, wie interessant Siv den Text fand, aber sie konnte es lesen, das war es, was zählte. "Herrin", sagte sie betont, ähnlich dem Tonfall, in dem Römer das Wort Sklave aussprechen mochten.


    Als die Sprache dann wieder auf ihr Kind kam, presste Siv die Zähne aufeinander, so fest, dass sie beinahe knirschten. Ein Sklave. Ihr Kind, ein Sklave. Sie mochte nicht daran denken, sie dachte auch einfach die meiste Zeit nicht daran, hatte Corvinus sich doch bis heute nicht klar zu diesem Thema geäußert. Sie konnte nicht daran denken, denn allein der Gedanke, dass ihr Kind ein Sklave sein würde, verschaffte ihr schlaflose Nächte. Es war ihr gleichgültig, als was ihr Kind geboren war – es zählte, was es später sein würde. Sie machte sich keine Gedanken darüber, dass es, wenn es als Sklave geboren war, in Rom, im römischen Reich, keinerlei Chancen auf einen nennenswerten Aufstieg haben würde. Das war es nicht, was in Sivs Augen zählte. Freiheit an sich war es, die Freiheit zu tun und zu lassen, was ihr Sohn, ihre Tochter wollte, das war es, was sie für ihr Kind wollte, und es würde ihr schon reichen, Corvinus’ Zusicherung zu haben, dass es so kommen würde, auch wenn er es erst irgendwann nach der Geburt tun würde. Sie vertraute ihm. Allein dass sie diese Zusicherung noch nicht hatte, dass er sich jedes Mal aus dem Thema herausgewunden hatte, bereitete ihr Magenschmerzen, aber selbst damit konnte Siv, noch, fertig werden – weil sie ihm vertraute. Es war ihr gemeinsames Kind. Er würde nicht wollen, dass es in Sklaverei lebte, noch dazu in seiner Sklaverei, davon war sie überzeugt. Aber sie antwortete nicht auf die Worte der Flavia, weil sie es mit jedem Wort nur schlimmer gemacht hätte. Sie konnte ihr nicht sagen, dass sie nicht davon ausging, dass ihr Kind kein Sklave sein würde. Und sie wollte ihr nicht zeigen, wie sehr es sie schmerzen würde, wenn es doch so kam. Und dann hob sie den Kopf, einmal mehr mit diesem germanischen Stolz, der ihr bis heute nicht genommen worden war. Kurz erinnerte sie sich daran, wie sie früher auf diese Frage reagiert hatte, in den Monaten nach ihrer Gefangennahme. Wie sie mit dem Gedanken gespielt hatte, Hel zu sagen. Die Göttin der Unterwelt, ihre Schutzgöttin, die das gesamte römische Reich zerschlagen könnte, wenn sie wollte… Sie hatte es nie getan, niemals. Ihr Respekt war zu groß gewesen. Fast, nur fast, war Siv versucht zu lächeln. Ihr Respekt wäre auch heute noch zu groß, um das zu tun, aber heute würde sie gar nicht mehr auf so eine Idee kommen. Sie war stolz auf ihren Namen, den ihr Vater ihr gegeben hatte. Es gab keinen Grund, ihn nicht zu nennen, und sie hoffte, ihr Kind würde eines Tages genauso denken. "Ich bin Siv. Von den Chatten." Sie wusste gar nicht, warum sie nun, in diesem Augenblick, den Namen ihres Stammes nannte, aber es schien ihr einfach richtig zu sein.

    Siv erstarrte kurzzeitig, als Corvinus das Atrium betrat. Seit dem Krach, den sie vor ein paar Tagen, oder eher Nächten gehabt hatten, hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt. Siv hatte in der folgenden Nacht auch noch bei den anderen Sklavinnen geschlafen, bevor sie wieder ihre eigene Kammer genutzt hatte – aber die Verbindungstür zu Corvinus’ Räumen war geschlossen geblieben. Siv hatte sie nicht geöffnet, und wenn sie morgens zu ihm gegangen war, um ihm behilflich zu sein, dann nur durch die Haupttür, zum Gang, und auch nicht alleine. Sie war absichtlich früh aufgestanden in den letzten Tagen – zugute kam ihr dabei, dass sie zur Zeit ohnehin nicht sonderlich lange schlafen konnte –, so dass sie bereits im Haus unterwegs war wenn es Zeit wurde, zu ihm zu gehen. Und irgendwer fand sich immer, der mitkam und mithalf. Siv war ganz definitiv nicht glücklich mit der Situation, wie sie war, aber sie sah auch nicht ein, nun den ersten Schritt zu tun. Was sie von ihm erwartete, war im Grunde eine Entschuldigung, und so lange nicht einmal ansatzweise etwas kam von ihm, irgendetwas, so lange er so tat, als sei nichts gewesen, brachte sie es nicht über sich, auf ihn zuzugehen. Es wäre etwas anderes gewesen, wenn Siv sich wirklich schuldig gefühlt hätte, aber außer dass sie ihn nicht von vornherein einfach hatte gehen lassen, hätte sie nicht zu sagen gewusst, was sie nun konkret in dieser Situation falsch gemacht hätte. Es war doch schlicht so: sie konnte nichts dafür, genauso wenig wie er oder Celerina.


    Einige Momente blieb Siv noch stehen, während Corvinus nach einem kurzen Blick zu ihr sie einfach ignorierte und zu dem Neuankömmling ging. Dann, als sich ein Gespräch zwischen den beiden zu entwickeln begann, ohne dass einer von ihnen irgendetwas von ihr zu wollen oder sie auch nur zu beachten schien, beschloss Siv, dass es Zeit war zu gehen, was sie auch möglichst unauffällig in die Tat umsetzte.

    Siv stand da und starrte die Flavia an. Ihre Augen funkelten genauso wie noch zuvor, wenn nicht sogar noch mehr, und sie war immer noch so fassungslos von der Ohrfeige, dass sie nach wie vor nicht so recht wusste, wie sie darauf reagieren sollte. Aber eines stand fest: diese Aktion war etwas, was sie nicht so leicht vergeben würde. Schon gar nicht ohne eine Entschuldigung. Siv war absolut der Meinung, dass sie sich nichts hatte zuschulden kommen lassen – sie war Corvinus’ Leibsklavin und inzwischen Brix’ Assistentin, wenn sie nicht nachts in die Bibliothek gehen durfte, wer, oder besser, welcher Sklave, dann? Nein, Siv war sich in keinster Weise irgendeiner Schuld bewusst. Sie musste sich nicht vorwerfen lassen, dass sie stahl, nicht einmal die Andeutung dessen gefallen lassen. Und es wurde nicht besser – die Flavia ignorierte zwar den Kommentar, den Siv von sich gab, aber was sie selbst sagte und vor allem der Ton, den sie dabei anschlug, ließ Sivs Wut nicht geringer werden. Erst diese Ungläubigkeit, dass Siv lesen konnte – sie war doch nicht dumm, nur weil sie keine Römerin war! Nur weil sie woanders aufgewachsen war und in ihrer Kindheit andere Dinge gelernt hatte, hieß das doch noch lange nicht, dass sie blöd war und nichts Neues lernen konnte! Und dann der Spott bei der Nachfrage, was sie denn las, der genauso wie der Unglauben zuvor in Sivs Ohren nichts anderes bedeutete als: eine Barbarin wie sie konnte doch nie und nimmer lesen. "Nein, ich kann nicht lesen, ich tu nur so – aber ich seh mir gern die Bildchen an, weißt du?" zischte sie, unwillkürlich ins Germanische fallend. "Ich lese, was interessant ist." Der feindselige Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.


    Und dann, urplötzlich, wechselte die Flavia das Thema. Siv konnte ihre Überraschung im ersten Augenblick nicht verbergen, aber sofort überwog das Misstrauen. Was wollte sie nun wissen, warum interessierte sie sich für ihre Schwangerschaft? Die Germanin runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. "Offensichtlich", antwortete sie, fast ebenso harsch wie die Flavia gefragt hatte. Zwei oder drei Monate dürfte es noch dauern bis zur Geburt, schätzte Siv, aber in diesem Moment würde sie sich eher die Zunge abbeißen als der Flavia das freiwillig zu erzählen. Es ging sie nichts an, überhaupt nichts, nicht das Geringste. Siv verdrängte bewusst den Gedanken daran, ob die Flavia womöglich etwas über den Vater wusste, von irgendwem, irgendeinem der anderen Sklaven gehört hatte, dass Corvinus als Vater zumindest in Frage kam. Immerhin, sie war nicht nur seine Sklavin, sie war seine Leibsklavin, und sie hatte von Anfang an, auch als sie noch eine normale Sklavin gewesen war und bei den anderen geschlafen hatte, nicht jede Nacht in ihrem Bett verbracht. Wenn die Flavia das herausgefunden hatte und eins und eins zusammengezählt hatte… Siv wollte gar nicht daran denken, was wäre, wenn sie das wusste, jetzt, in diesem Moment, wo sie allein mit ihr war.

    Die Flavia stand auf, kam ihr näher und näher, bis sie schließlich direkt vor ihr stand. Siv rührte sich nicht. Sie fühlte sich weniger wert als Celerina, aber das hieß nicht, dass sie das eingestand, indem sie auch nur einen Fingerbreit zurückwich vor der Römerin. Siv war gar nicht bis ins Letzte bewusst, wie viel Glück sie eigentlich gehabt hatte, bei den Aureliern gelandet zu sein. In anderen römischen Familien – und vermutlich auch hier, hätte sich ihr Verhältnis zu Corvinus nicht in diese Richtung entwickelt – wäre sie mit ihrem Verhalten nicht lange durchgekommen, hätte sie kaum die Gelegenheit bekommen, auf ihre Art und langsam zu lernen, sich anzupassen an ihr neues Leben. Bei jemandem wie Celerina hätte Siv wohl nie gelernt, sich irgendwann so zu verhalten, wie es erwartet wurde. Stattdessen wäre sie wohl irgendwann, nach zahllosen Bestrafungen, auf der untersten Stufe in einem Haushalt gelandet, oder vielleicht sogar sonst wohin gebracht worden, auf irgendein Landgut, wo sie hätte arbeiten müssen – was in der gedachten Situation für sie mit Sicherheit nicht das Schlechteste gewesen wäre. Nein, Siv dachte in der Regel selten darüber nach, und sie tat es schon gar nicht in diesem Moment, der ihr so deutlich aufzeigte, dass sich mit dem Einzug der Flavia auch hier, in der Villa Aurelia, die Dinge ein wenig änderten.


    Wie sehr sie sich änderten, das bekam Siv gleich darauf zu spüren. Was es bedeutete, dass die Flavia ausholte, das realisierte sie erst, als deren Hand mit einem klatschenden Geräusch auf ihrer Wange landete. Ihr Kopf flog auf die Seite, und ein brennendes Gefühl breitete sich dort aus, wo sie getroffen worden war. Einen Moment lang starrte Siv die Flavia einfach nur an, fassungslos über das, was gerade geschehen war. Mal abgesehen von Matho hatte sie noch nie, niemals, jemand in diesem Haus so behandelt – und selbst Matho hatte es nicht gewagt, sie so offen zu ohrfeigen. Keiner der Aurelier hatte jemals die Hand gegen sie erhoben. Sicher war allen Sklaven klar, dass die Möglichkeit der körperlichen Züchtigung bestand, aber es war auch klar, dass die Aurelier zu denen gehörten, die eine derartige Form der Bestrafung nicht wirklich billigten, schon gar nicht in nichtigen Situationen – geschweige denn sie bevorzugten. Sivs Wangenmuskeln spannten sich an, als sie die Kiefer aufeinander presste, während sie die Flavia nach wie vor einfach nur anstarrte. Sie ließ sich nicht schlagen. Sie ließ sich nicht unterdrücken. Sie war Sklavin, ja, aber weil sie das Glück gehabt hatte, hier zu landen, hatte sie die Chance bekommen sich auf ihre Art damit zu arrangieren – und sie hatte niemals ihren Stolz nicht verloren. Das war mit ein Grund gewesen, warum sie so ein hervorragendes Ziel für Matho gewesen war – weil sie sich ihm nicht untergeordnet hatte, weil sie sich gewehrt hatte. Und eine Ohrfeige, ein Schlag ins Gesicht… es gab wenig, was demütigender war für Siv. "Ich wollte lesen." Ihre Stimme zitterte vor unterdrückter Empörung, Wut und Demütigung, während eine Hand sich in einer schützenden Geste auf ihren Bauch legte. "Aber vielleicht ist Dreck wegräumen auch nötig." Es gehörte wohl nicht viel dazu sich vorzustellen, was oder besser wen Siv mit Dreck meinte in diesem Augenblick. Ihr Blick wanderte kurz zu der Schriftrolle, die am Boden lag, aber sie rührte sich nicht. Ganz egal, was sie sich damit einhandelte – sie brachte es nicht über sich. Sie konnte einfach nicht der Flavia jetzt zu Diensten sein, nachdem diese sie geohrfeigt hatte, und das noch dazu völlig grundlos in ihren Augen – immerhin war es die Flavia gewesen, die beleidigend geworden war, Siv hatte nur gesagt, dass sie noch nie gestohlen hatte, was auch die Wahrheit war. Brix, Corvinus, ihr Vater und ihre Brüder hatten es ihr alle prophezeit, dass ihr Stolz ihr irgendwann noch einmal das Genick brechen würde, aber auch wenn sie im Grunde ihres Herzens wusste, dass sie in der unterlegenen Position war, dass es das Beste wäre, nichts zu erwidern, ruhig zu bleiben, zu tun, was die Flavia sagte – Siv konnte es einfach nicht.

    Siv hatte ja fast erwartet, dass der Aurelier nur abwinkte auf ihre Frage hin, ob sie noch etwas tun könne. Immerhin hatte er bisher wenig von sich gegeben. Als er jetzt allerdings nach ihrem Namen fragte, oder besser: ihn schlicht wissen wollte, biss Siv sich kurz auf die Zunge. Oh ja, sie hatte ihre Gründe, warum sie nicht gern an der Tür war, oder generell sich um Gäste kümmerte. Die Zeiten, in denen sie absichtlich unhöflich, fast unwirsch gewesen war, oder es spätestens dann geworden war, wenn die Römer entsprechend arrogant gewesen waren, waren vorbei – nun, nicht wirklich, aber Siv hatte sich wesentlich besser unter Kontrolle. Es passierte ihr wesentlich seltener inzwischen, dass ihr Temperament mit ihr durchging. Dennoch gab es in diesen Situationen häufig etwas, was sie vergaß. So wie dieses Mal. Sich vorzustellen war für eine Sklavin, die an die Tür ging, eigentlich selbstverständlich. Siv unterdrückte ein Augenrollen, als sie daran denken musste, was sie sich wohl würde anhören dürfen, wenn Brix davon erfuhr – oder Corvinus. Und dabei hatte sie das noch nicht einmal mit Absicht gemacht, sie hatte nur einfach… keine Lust gehabt. Und keine Lust zu haben war es so was von nicht Wert, sich deswegen eine Diskussion mit Brix einzuhandeln. Oder Corvinus. Oder sonst wem. Denn darauf hatte sie im Augenblick noch viel weniger Lust.


    "Siv", antwortete sie daher. "Mein Name ist Siv." Jetzt hätte sie am liebsten irgendetwas, womit sie ihre Hände beschäftigen konnte, aber nachdem der Aurelier nur einen Schluck getrunken hatte, konnte sie noch nicht einmal nachschenken. "Ich bin die Leibsklavin von Corvinus. Und kümmere mich um den Garten und helfe Brix, dem Maiordomus." Sie zögerte einen Moment, dann gestikulierte sie in die Richtung, in der die Tür lag. "Ich, vorhin, da ich bin nur eingesprungen, für Leone. Den Ianitor."

    Der Römer – und auch sein Gefolge – ließen kein Wort verlauten, während Siv sie zum Atrium führte. Auch als sie ihn nach seinen Wünschen fragte, war er… nun, sehr zurückhaltend. Und das war etwas, was Siv eher ungewohnt war – und sie damit ein wenig neugierig machte. Sie musterte den Aurelier kurz, bevor sie dann jedoch nur nickte. "Wie du wünschst." Sie wandte sich um und verließ das Atrium. In einer unbewussten Geste, die sich wie von selbst eingeschlichen hatte bei ihr in den letzten Wochen, strich sie über ihren Bauch, während sie sich bewegte, und fragte sich, ob der Römer tatsächlich so ruhig war, wie es den Anschein hatte, oder ob es womöglich nur an der Erschöpfung lag. Oder an etwas anderem. Vielleicht hielt er sich ja absichtlich zurück, weil er erst alles kennen lernen und einschätzen wollte.


    Sie erwischte Dina auf dem Weg und schickte sie los, um Corvinus zu suchen und ihm Bescheid zu geben. Dann machte sie sich auf den Weg in die Küche und richtete ein Tablett her mit Wein, Wasser und ein paar Nüssen und getrockneten Trauben, das sie wieder ins Atrium brachte. "Hier", meinte sie, nachdem sie das Tablett auf einem Tischchen abgestellt und dem Aurelier einen Becher mit Wein gereicht hatte. Und dann begann der Moment, den sie am wenigsten leiden konnte in solchen Situationen. Sie fühlte sich irgendwie fehl am Platz. Sie hatte sich nie daran gewöhnen können, einfach nur stumm da zu stehen und geduldig zu warten, bis sie angesprochen oder gebraucht wurde. Das war einfach nicht sie. Aber gerade in Momenten wie diesen war es genau das, was sie zu tun hatte. Hatte sie sich vorher noch ein bisschen darüber geärgert, dass sie Leone hatte vertreten müssen, jetzt wünschte sie sich fast. Aber der Ianitor war ihr auf dem Weg begegnet, der war inzwischen wieder selbst auf seinem Platz. Und sie war hier und würde wohl einfach abwarten müssen. "Kann ich noch etwas tun?"

    Etwas unterkühlt mochte ihre Begrüßung durchaus gewesen sein, aber der Römer hatte sie bis zu diesem ja nicht wirklich beachtet, und sie war auch keine Türsklavin. Hätte sie ihn herzlich willkommen heißen sollen? Vielleicht, aber sie kannte ihn nicht einmal, sie konnte kaum guten Gewissens behaupten, sie freue sich, ihn zu sehen. Also führte sie die Ankömmlinge zunächst einfach nur ins Atrium. Kurz überlegte sie, ob sie einfach verschwinden konnte – immerhin, irgendjemand musste den Sklaven zeigen, wo das Gepäck hinkam, und irgendjemand musste auch Corvinus Bescheid geben. Mit einem lautlosen Seufzen entschied sie sich aber schließlich dagegen. Corvinus würde von ihr erwarten, dass sie sich um den Aurelier kümmerte, wenn sie ihn denn schon in Empfang genommen hatte. Und sie wollte nicht, dass ihr irgendjemand vorwerfen konnte, sie hätte sich gedrückt. Also wandte sie sich im Atrium um, nachdem sie den Sklaven mit dem Gepäck den Weg erklärt hatte. "Ich werde gleich für sorgen, dass Corvinus Bescheid weiß, dass du hier bist." Für einen Moment musste sie daran denken, was der Diener zuvor gesagt hatte, und die Andeutung eines Grinsens umspielte ihre Lippen. Ehrenwerter Senator… "Willst du etwas? Etwas trinken, oder essen?"

    Just in jenem Augenblick, in dem Aurelius Imbrex sich mit seiner Begleitung der Villa Aurelia näherte, verspürte Leone, der Ianitor, ein allzu menschliches Bedürfnis. Weil Siv sich gerade in der Nähe befand, hatte er sie gebeten, kurz für ihn einzuspringen. Und Siv – obwohl sie nicht sonderlich Lust verspürte, an der Tür zu bleiben und dort aufzupassen – hatte eingewilligt. Sie hätte zwar auch jemand anderen holen können, so lange hätte Leone es sicher noch ausgehalten, aber dann wiederum hatte sie, im Gegensatz zu den anderen, eher wenig zu tun. Sie wäre sich reichlich dämlich und verwöhnt noch dazu dabei vorgekommen, Dina oder sonst wen zu bitten einzuspringen, nur weil sie keine Lust hatte, an der Tür zu bleiben und eventuelle Besucher zu empfangen, wenn jeder genug zu tun hatte… Siv seufzte lautlos. So spannend sie die Schwangerschaft, die mittlerweile annähernd ein halbes Jahr andauern mochte, auf der einen Seite auch fand, sie freute sich doch eindeutig auf den Tag, an dem sie vorbei sein würde, was ohnehin noch lange genug dauern würde. Wenn sie dann wieder etwas würde tun können, ohne dass Brix – oder gar Corvinus, wenn er sie erwischte – sie gleich mit diesem tadelnden Blick ansahen. Sie mochte ihre neuen Aufgaben, sie mochte es, Brix zu helfen und Stück für Stück mehr zu lernen, mehr zu erfahren, aber gleichzeitig sehnte sie sich auch danach, wieder im Garten arbeiten zu können. Zu dieser Jahreszeit hätte es ohnehin nicht viel gegeben, was sie hätte tun können, aber sie hatte den ganzen Sommer nicht mehr tun dürfen außer zu planen und dann zuzusehen, wie andere es umsetzten. Siv wusste, dass es wichtig war, dass sie sich schonte, immerhin war eine Schwangerschaft nicht ganz ungefährlich, weder für Mutter noch für Kind. Sie wusste auch, dass sie sich im Grunde glücklich schätzen konnte, dass sie ein Umfeld hatte, dass ihr das ermöglichte – in einem anderen Haus, unter anderen Umständen wäre ihr als Sklavin diese Möglichkeit kaum in dem Maß gegeben worden, und auch in ihrer Heimat wäre es anders gewesen als hier. Und dennoch… freute sie sich, wenn sie wieder aktiver werden konnte, so wie sie es ihr Leben lang gewohnt war. Immerhin war sie ja nicht krank.


    In jedem Fall wäre sie sich lächerlich vorgekommen, hätte sie sich darum gedrückt, Leone zu vertreten, und so war es Siv, die die Tür öffnete. Sie musterte den Diener, der seinen Herrn ankündigte, und ließ ihren Blick dann kurz zu selbigem schweifen. Es war nicht schwer herauszufinden, welcher der Menschen vor dem Tor der Aurelier war – nicht nur anhand seiner Kleidung oder Haltung, die ihn eindeutig als Römer von gehobenem Stand kennzeichneten, sondern auch der Familienähnlichkeit wegen, die bestand. Sie hatte auch davon gehört, dass ein weiterer Aurelier sich angekündigt hatte, aber innerlich schickte sie einen lautlosen Fluch zu Hel, warum er ausgerechnet jetzt ankommen musste. Selbst wenn Leone nun zurückkam, würde sie sich nun erst mal um ihn kümmern müssen, und das war etwas, was sie seit ihrem ersten Tag in diesem Haus gehasst hatte – Wildfremde zu begrüßen, hineinzuführen, zu bedienen. War es bis gerade eben noch ein simpler Gefallen gewesen, den sie Leone erwiesen hatte, war der Nubier ihr nun etwas schuldig. "Salve", erwiderte sie die Begrüßung des Dieners und öffnete die Tür, um die Gäste einzulassen. "Folgt mir einfach."

    Als ein Schrei die Stille in der Bibliothek zerriss, zuckte Siv unwillkürlich erschrocken zusammen – nur um sich gleich darauf zu fragen, was um alles in der Welt die Flavia wohl hatte, dass sie aufkreischte. Ihr fiel es nicht auf in diesem Moment, wie unfair sie eigentlich war, denn bei jedem anderen hätte sie den Gedanken zugelassen, dass sie einfach sehr leise gewesen war und man durchaus erschrecken konnte, wenn jemand so plötzlich auftauchte. Aber sie war der Flavia gegenüber einfach nicht positiv eingestellt, noch nicht einmal neutral – was wohl auch nicht verwunderlich war. Nach der einen Begegnung damals im Garten – der einzigen, bei der sie wirklich mehr miteinander zu tun gehabt hatten –, war Siv auf die Flavia schlecht zu sprechen, noch schlechter als sie es ohnehin gewesen wäre aufgrund der Tatsache, dass sie Corvinus’ Frau war. Immerhin hatte sie es bisher erfolgreich vermeiden können, ihr über den Weg zu laufen, aber dass ihr das nicht auf Dauer gelingen würde, war ihr irgendwie klar gewesen. Nur hatte sie doch gehofft, sie würde nicht mit ihr alleine sein, ohne jede Gesellschaft, und das noch dazu mitten in der Nacht, wo die Chance, dass jemand kam und sie erlösen würde, recht gering war.


    Die Schriftrolle fiel zu Boden, ohne dass Siv Anstalten machte, sie aufzuheben, während die Flavia nun ihre Öllampe anhob, um sie damit anzuleuchten. Die Germanin war drauf und dran, irgendetwas zu murmeln, sich auf dem Absatz umzudrehen und zu gehen, als Celerina plötzlich ein lautes Du??? ausrief. Siv meinte die zahlreichen Fragezeichen dahinter hören zu können. Und sie meinte den Vorwurf darin hören zu können, genauso wie die Arroganz, diese typisch römische Arroganz… Siv spürte, wie ihr Temperament zu brodeln begann, aber noch hatte sie sich unter Kontrolle, genug um zu wissen, was gut war, was intelligent war, genug um immer noch einfach nur gehen zu wollen. Zumindest letzteres verschwand, als die Flavia weiter sprach. "Was? Ich… Ich und stehlen?" Sie starrte die andere Frau an, und ihre Brauen schoben sich über empört funkelnden blauen Augen zusammen. Ihr Körper straffte sich etwas, wurde noch gerader als ohnehin schon, während ihr Kopf sich eine Nuance hob, und ihre ganze Haltung Stolz ausstrahlte. "Ich stehle nicht", fauchte sie zurück und verbiss sich die Gegenfrage, die ihr im Grunde schon fast auf der Zunge gelegen hatte. Die Flavia auch nur danach zu fragen, was sie hier tat, wäre lächerlich gewesen. Sie war die Frau des Hausherrn, war damit selbst Herrin hier, sie konnte tun und lassen was sie wollte. Im Gegensatz zu ihr, der Sklavin. Siv fragte sich, warum sie ausgerechnet in Gegenwart der Flavia so schnell so klar spürte, was sie war – und wie die Römerin es fertig brachte, ihr innerhalb weniger Augenblicke ihre Stellung so zu verdeutlichen. Wie sie es fertig brachte, dass sie, Siv, sich niedriger fühlte, weniger wert. Ohnmächtige Wut kochte in ihr. "Wie kommst du darauf?"

    Jetzt kamen ihr doch Tränen, allerdings waren es – im Moment jedenfalls noch – Tränen der Wut. Aber sie verbiss sie sich, drängte sie zurück, verhinderte, dass sie in diesem ungünstigsten aller Momente sie verraten konnten. Andererseits hätte Corvinus vermutlich nicht einmal dann die Tränen gesehen, wenn sie tatsächlich über ihre Wangen gelaufen wären. Trotzdem ging es ihr ums Prinzip, und das besagte, dass sie sich vor ihm keine Blöße geben wollte, nicht jetzt, nicht in diesem Moment – und es gelang ihr auch. Was ihr nicht gelang war, noch etwas zu erwidern auf seine Worte. Oh, kaum dass die Tür ins Schloss gefallen war, fielen ihr nach und nach eine Menge Dinge ein. Zum Beispiel, dass es auch nicht ihre Schuld war. Oder dass es nicht sie gewesen war, die diese Diskussion angefangen hatte. Dass es sie sehr wohl interessierte, was seine Vorstellungen und Wünsche waren – er aber nie damit herausrückte. Dass er vermutlich selbst gar nicht wusste, was er wollte, weil er seine Familie und seine Stellung und all dieses Zeug, das in Rom und unter Römern so furchtbar wichtig war, selbst so hoch stellte, dass seine eigenen Wünsche irgendwo darunter vergraben waren, jedenfalls hatte sie manchmal diesen Eindruck. Dass sie kein Problem damit hätte, mit ihm irgendwohin zu gehen, weit weg von Rom, aber er ja unbedingt hier bleiben wollte… Aber in diesem Moment, in dem er sie anfuhr, fiel ihr nichts davon ein, und auch wenn sie sich darüber maßlos ärgerte, würde irgendwann, am nächsten Tag, der Moment kommen, in dem Siv froh war, dass sie ihm nichts von diesen Dingen an den Kopf geworfen hatte – weil sie im Grunde ihres Herzens wusste, dass es unfair gewesen wäre, so unfair wie es seine Worte gewesen waren.


    So stand sie nur da, starrte ihn an und brachte nicht mehr hervor als ein paar wütende Worte des Protests, die aber gänzlich untergingen in seiner Tirade. Schließlich, als er dann fertig war, schob er sie unsanft, fast schon grob zur Seite, der Griff, mit dem er ihre Oberarme umfasste, schmerzhaft, aber das war es nicht, was sie endgültig sprachlos werden ließ – es war das, was er noch anfügte. Ich kann dich nicht gebrauchen. Siv stand noch eine ganze Weile da und starrte die geschlossene Tür an, und während die Wut immer noch in ihr kochte, spürte sie auch langsam den Schmerz, den dieser letzte Satz in ihr verursachte. Ich kann dich nicht gebrauchen. Sie biss sich auf die Unterlippe, grub ihre Zähne so fest hinein, dass es weh tat, bis sie sich schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit von der Tür abwandte und in ihre Kammer hastete. Ein flüchtiger Blick streifte die Wiege, die er ihr geschenkt hatte, und für einen Moment musste sie den Drang unterdrücken, dem schönen Möbelstück einen Tritt zu verpassen. Stattdessen kramte sie mit fliegenden Fingern eine warme Tunika hervor, die sie sich über ihre leichte Schlaftunika zog, und verließ die Kammer, die Türen hinter sich offen lassend. Sie hatte nicht vor, hier zu warten, bis Corvinus irgendwann zurückkam – unabhängig davon, ob er zu ihr kommen würde oder einfach nur in sein Bett ging, um sich schlafen zu legen. Sie wollte nicht so nah bei ihm sein, auch nicht im Raum neben ihm, nicht jetzt, nicht in dieser Nacht, nicht nach dem was passiert war, und da der Stall bei dem augenblicklichen Wetter und der Kälte nicht in Frage kam, würde sie sich wohl irgendwann, wenn sie sich abreagiert hatte, in das Zimmer der Sklavinnen zurückziehen, wo es sicherlich ein freies Bett gab. Sie zitterte vor Wut und anderen, unterdrückten Emotionen, wollte schreien und gleichzeitig heulen, tat aber nichts davon. Zum ersten Mal seit langem spürte sie nicht einfach nur den Wunsch, sondern das Bedürfnis, auf einem Pferd durch die Gegend zu stürmen, so schnell, dass der Wind ins Gesicht peitschte und nichts übrig blieb außer der Geschwindigkeit und der Bewegung.

    …als Siv ebenfalls aufsprang – langsamer als er, begann ihr Bauch ihr doch langsam etwas im Weg zu sein – und mit wenigen Schritten ebenfalls an der Tür war. Ohne nachzudenken griff sie nach der Tunika, die er sich gerade überstreifte, und zog daran. "Oh nein", fauchte sie wütend, "nein, du gehst nicht!" Jetzt entzündete sich ihr Temperament tatsächlich. Wer hatte denn bitte mit diesem Thema angefangen? Das war nicht sie gewesen, die schon wieder gesagt hatte, es könne so nicht weitergehen, er könne so nicht weitermachen! Sie wusste nicht im Geringsten, was sie tun oder sagen sollte, aber sie wusste, dass sie im Augenblick auch genug hatte – und dass sie mit Sicherheit nicht den Vorwurf von diesen Streitereien mit Schwangeren auf sich sitzen lassen wollte. In gewisser Hinsicht tat es ihr fast gut, ihrem Temperament mal wieder freien Lauf zu lassen und sich zu fetzen, mit irgendwem, selbst wenn es Corvinus war. Ihn jetzt einfach so gehen zu lassen, wäre nicht nur völlig untypisch für sie gewesen, sondern auch äußerst unbefriedigend.


    "Wenn du wegläufst, was bringt das jetzt? Du sagst, es geht nicht weiter, nicht so, du sagst du kannst nicht weiter machen, so, aber wenn ich sage, was gibt es sonst, dann gehst du! Ich will doch nicht weg hier, aber was ist da noch? Und morgen, oder übermorgen, oder in Woche danach du fängst wieder an!" Siv funkelte ihn an, während die Aufregung ihr Latein verschlechterte und sie gleichzeitig versuchte sich zwischen ihn und die Tür zu drängen, damit er nicht auf die Idee kam doch noch einfach so abzuhauen. "Sag mir was ich soll tun! Was ich sagen soll! Ich weiß doch auch nicht, weiß keine Lösung!"

    Als Corvinus ihre Frage beantwortete, war erneut einer dieser Momente gekommen, in denen Siv einfach nur innehielt. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte tatsächlich nicht daran gedacht, und das ließ sie jetzt etwas sprachlos sein. Eigentlich wusste sie ja, wie Corvinus zu diesem Thema stand, und im Grunde – so sehr sie sich wünschte, es wäre anders – hatte sie sich damit abgefunden. Es war einfach nichts anderes möglich, das hatte Corvinus deutlich genug gemacht, und die Momente, in denen sie damit haderte, in denen sich ein Teil ihrer selbst dagegen auflehnte, machte sie mit sich selbst aus – und verschloss sie in sich. Sie konnte mit Corvinus nicht darüber reden, wie denn, wusste sie doch, dass er ohnehin zweifelte an der Richtigkeit dessen was er, was sie taten. Und sie wollte ihm nicht noch mehr Gründe liefern, zu beenden, was auch immer zwischen ihnen war. Sie wollte nicht aufgeben, was sie mit ihm hatte, wollte nicht Gefahr laufen, es zu verlieren. Obwohl genau das normalerweise ganz und gar nicht ihre Art war, schien sie es ihr in diesem Fall einfacher, besser, Stillschweigen zu bewahren.


    Als er sich dann plötzlich aufrichtete, rutschte ihr Kopf von seiner Schulter weg und landete auf dem Kissen. Siv sah den Ärger, der in seinen Augen glitzerte, sah ihn aufleuchten in seinem Gesicht, als ein weiterer Blitz das Zimmer kurzfristig in helles Licht tauchte. Sie unterdrückte ein Zusammenzucken, als er sie nun anherrschte, starrte ihn einfach an und kämpfte darum, ihre überbordenden Emotionen im Griff zu halten. Inzwischen hatte sie sich einigermaßen damit abgefunden, dass sie empfindlicher war als jemals zuvor in ihrem Leben, aber sie wollte auf direktem Weg zu Hel gejagt werden, wenn sie zuließ, dass irgendwelche weinerlichen Gefühle die Kontrolle übernahmen. Wut war eine Sache, damit hatte sie noch nie ein Problem gehabt, aber diese unnötige Empfindsamkeit ging ihr gegen den Strich – gerade weil sie von sich selbst eigentlich anderes kannte. Allerdings traute sie sich selbst nicht so ganz, und davon abgesehen wusste sie auch nicht, was sie antworten sollte. Also schwieg sie zunächst und ließ Corvinus ausreden, sah ihn danach für einen Moment immer noch schweigend an, weil ihr nichts einfiel und weil sie nicht sicher war, dass ihre Stimme sie nicht verraten würde. "Das schon hatten wir", antwortete sie schließlich rau. Sie wusste nicht, warum sie ausgerechnet jetzt ausgerechnet so reagierte. Zu einem großen Teil lag es sicher daran, dass sie sich im Moment so gegen alles wehrte, was ihre Weinerlichkeit nur begünstigen würde. Es war aber auch einfach eine Tatsache: sie hatten das tatsächlich schon gehabt, mehr als einmal. Und ein Teil von ihr war es langsam leid. Sie hatten doch eine Entscheidung getroffen, dachte sie, er hatte eine Entscheidung getroffen, aber trotzdem hatte er ein Problem damit. Sie verstand auch, was sein Problem war, warum, das war mit ein Grund, warum sie ihn liebte – weil er sich Gedanken machte, weil er nichts auf die leichte Schulter nahm, weil er sich sorgte… und niemandem weh tun wollte. Aber sie wollte diese Diskussion einfach nicht schon wieder führen. "Was willst du tun? Ich meine, was gibt es? Mich weg schicken?" Ein Funken von ihrem alten Selbst, von ihrem Temperament begann in ihr aufzuglühen und bekämpfte so wirksam wie sonst nichts die Empfindlichkeit. "Ich weiß, dass du nicht kannst, kannst stehen zu dem Kind! Ich weiß es doch! Aber was gibt es, willst du aufhören, damit, mit uns? Wenn es so nicht weiter geht?" Sie wagte gar nicht daran zu denken, was wäre, wenn er nun mit Ja antwortete, mit einem endgültigen Ja, aber sie wusste einfach nicht, was sie sonst erwidern sollte. Versichern, dass sie es schon irgendwie schaffen würden? Die Situation war verfahren, da hatte er Recht – aber gerade deshalb konnten sie es nur schaffen, wenn sie beide daran glaubten, dass es funktionierte.

    Obwohl Siv sich darüber schon von Anfang an Gedanken gemacht hatte, dass ihr Kind zur Hälfte Römer sein würde – sie hatte immerhin sogar den römischen Göttern geopfert aufgrund dieser Tatsache! –, hatte sie sich seltsamerweise noch keine Gedanken darüber gemacht, dass Corvinus ihrem Kind womöglich einen römischen Namen geben wollen würde. Jetzt allerdings, wo er seine Ideen aussprach, fand sie das nur logisch. Und sie fand es auch logisch, dass ihr Kind, das zur Hälfte römisch war, auch einen römischen Namen bekam – auch, wohlgemerkt. Zwei Namen, ein römischer, ein germanischer… Welchen Rufnamen es haben würde, würde sich dann zeigen, da war sie offen. Allerdings war sie von seinen Vorschlägen… nun ja, nicht sonderlich begeistert. Es fiel ihr durchaus auf, dass es sämtlich Namen aus seiner Familie waren, aber sie wusste genug von der römischen Kultur, um sich darüber klar zu sein, dass es hier einfach so war. Und nicht nur hier, viele handhabten das so. Sie beschloss, dass sie sich damit anfreunden konnte, zumal er nur Namen genannt hatte von denen, die ihm auch etwas bedeuteten. Im nächsten Moment allerdings nahm Corvinus seine Worte schon wieder zurück, und Siv sah ihn erneut an, diesmal ein wenig erstaunt. Sie dachte nicht daran, dass es gerade diese Namen sein würden, die auf den Vater hinwiesen, genauso wie sie erstaunlich gut darin war zu verdrängen, dass Corvinus, wie er es schon mehrmals betont hatte, das Kind nicht als seins würde anerkennen können. "Warum besser nicht?"


    Noch erstaunter war sie, als Corvinus sein Gesicht plötzlich in ihren Haaren vergrub. "Was…" murmelte sie zuerst, dann hörte sie seine Worte. "Was meinst du? Wir…" Etwas irritiert hielt sie inne und überlegte kurz. Dann allerdings fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Was sonst konnte er meinen, wenn nicht die Tatsache, wie es weiter gehen sollte, mit ihm, mit ihr, mit dem Kind und Celerina… Sie schluckte. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Sie hielt allgemein nicht viel davon, allzu viel in die Zukunft zu planen, was sicherlich zum Teil an ihrer Herkunft, ihrer Abstammung lag – was sollte man in Germanien auch großartig in die Zukunft planen, wenn schon der nächste Ausflug in den Wald alles ändern konnte? Sie war zufrieden damit, einfach abzuwarten und die Situationen dann zu nehmen, wie sie waren – wenn sie eintraten. Und in diesem konkreten Fall mochte sie es noch weniger – gerade weil sie wusste, dass es so viele Unwägbarkeiten gab, und so vieles, um dass sie sich wohl eigentlich Sorgen machen müsste. Corvinus allerdings war da anders als sie, auch das wusste sie. Und sie wusste, dass er sich viele Gedanken machte… was einem winzigen Teil von ihr fast weh tat, weil für ihn etwas, das eigentlich Anlass zur Freude sein sollte, ein Anlass zu Sorgen war. "Ich werde es aufziehen", murmelte sie schließlich. "Ansonsten machen wir… nichts anderes als jetzt. Was gibt es sonst zum, zu machen."