Corvinus reagierte kaum, aber das wunderte Siv nicht wirklich. Es gab einfach nicht viel zu sagen, weder für sie noch für ihn, und sie war beinahe froh darum, dass er nichts erwiderte, hätte sie das doch nur wieder in die Lage gebracht zu überlegen, was sie antworten sollte. Sie wollte ihm helfen, aber sie fand keine Worte, die passend zu sein schienen, vielleicht, weil es schlicht keine gab. Hätte sie geahnt, dass Corvinus ihre Worte über die Götter und deren Willen derart wenig halfen, dass sie sogar eher das Gegenteil von dem bewirkten, was Siv eigentlich hatte bezwecken wollen, hätte sie sich vermutlich innerlich verflucht dafür, dass sie das überhaupt gesagt hatte. Aber auch hier ließ er ihre Worte unkommentiert, schwieg einfach und drehte seinen Kopf etwas näher zu ihr. Siv ließ sich wieder sinken und legte ihre Wange erneut an seine Schulter, während sie das Muster aus Schatten und grellem Licht betrachtete, dass die aufzuckenden Blitze auf den Möbeln im Raum malten, während sie den Regentropfen lauschte, die immer heftiger zu prasseln schienen. Das Geräusch hatte etwas Beruhigendes an sich, fand sie, genauso wie Corvinus’ Nähe, auch wenn der Stimmung etwas Trauriges anhaftete.
Einen Augenblick schwiegen sie einfach beide, dann durchdrang Corvinus’ Stimme plötzlich wieder die Dunkelheit, die im Augenblick herrschte – und sagte etwas, das dafür sorgte, dass Sivs Mund sich verblüfft ein wenig öffnete. "Eh, was?" Die Frage war über ihre Lippen, bevor sie wirklich nachgedacht hatte, dann verdrehte sie ihren Kopf so, dass sie sein Gesicht von der Seite her erneut ansehen konnte. Natürlich wusste sie, wovon er sprach. Und natürlich hatte sie sich bereits Gedanken gemacht über mögliche Namen – auch wenn sie ihm bisher davon nichts erzählt hatte, obwohl sie fand, dass das nicht nur ihre Entscheidung war. Aber in diesem Augenblick hatte sie am allerwenigsten damit gerechnet, dass er danach fragen würde. "Ich… Also…" Sie zögerte kurz, dann fuhr sie fort: "Wenn es ein Mädchen ist, dann dachte ich Eila, vielleicht. Oder Ferun." Eila hieß die Leuchtende, Ferun stand für Freude. Siv fand beides passend, und es war ihr wichtig, dass der Name passte. "Ein Junge…" Hier zögerte sie erneut ein wenig. Sie hielt nicht viel davon, die Namen von anderen zu verwenden – der Name war etwas Besonderes, und sie fand, jedes Kind hatte das Recht auf einen ganz eigenen Namen, einen, der von den Eltern speziell für dieses Kind ausgewählt und nicht einfach nur gegeben worden war, weil der Vater oder die Großmutter oder sonst ein Verwandter diesen Namen bereits vorher getragen hatte. Dennoch brach sie mit dieser Einstellung, irgendwie jedenfalls, bei den Namen, die sie sich gedacht hatte, falls sie einen Jungen bekam – andererseits hatte sie die Namen ganz sicher nicht einfach nur so ausgesucht, sondern bewusst gewählt… Und davon ganz abgesehen hatte sie keine Ahnung, was Corvinus davon halten würde. "Ingraban. Oder Sintram." Der erste stand für Yngwi, Freyr, wie bei ihr Zuhause viele geglaubt hatten, und diesen Gott hatte sie immer gemocht. Der zweite bedeutete Reise, und auch das fand sie passend, hatte sie doch keine Ahnung, wohin es ihr Kind einmal verschlagen würde. Beide Namen jedoch hatten gemein, dass der zweite Teil Rabe bedeutete. Sie drehte ihren Kopf wieder so, dass er normal an Corvinus’ Schulter ruhte. Es war inzwischen schon lange her, dass er das letzte Mal Germanisch gelernt hatte, an das Wort für Rabe konnte er sich wahrscheinlich nicht mehr erinnern. Dennoch fragte sie sich, ob er etwas gegen die Namen hätte, wenn er wüsste, was sie hießen. "Was meinst du? Hast du… mal an Namen gedacht?"