Faustus Decimus Serapio
Cohortes Urbanae
Rom
Lieber Faustus,
ja, dass Du inzwischen in Rom bist, habe ich mitbekommen – nur ein paar Tage nachdem ich den letzten Brief losgeschickt hatte, so kann’s gehen, aber zum Glück hat Dich der Brief doch noch erreicht. Jedenfalls: herzlichen Glückwunsch, natürlich dazu, dass Du in Rom bist (das geht ja gar nicht, Du in einer Stadt, in der nichts los ist? Kann ich mir nicht vorstellen), aber vor allem zu Deiner Beförderung! Optio, das ist großartig! Mutter wäre begeistert, wenn sie das miterleben könnte, sie wäre stolz auf Dich, und ich bin es noch viel mehr. Und das Beste ist Dein Titel bei den Kohorten, finde ich – ganz ehrlich, Princeps Prior klingt doch viel besser, oder?
Aegyptus ist fantastisch. Alles hier. Ich mag das Wetter, das Land, die Leute… Also, erst mal zum Wetter: es ist hier noch heißer als in Italia oder Hispania, aber die Luft ist auch viel trockener, daher lässt sich das leichter aushalten, finde ich jedenfalls. Und ich mag die Hitze einfach, jedenfalls, wenn ich nicht gerade zur Mittagszeit irgendwo auf den Märkten unterwegs bin. Aber auf den Märkten bin ich ohnehin nur dann unterwegs, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, das weißt Du ja. Dann das Land: ich könnte nur schwärmen. Ganz ehrlich. Ich war bisher fast nur in Alexandria unterwegs, aber allein was es hier alles zu sehen und zu entdecken gibt… Alles Dinge, von denen ich früher gelesen habe, und noch viel mehr, und alles ist so anders bei uns zu Hause. Oh, und ich habe noch einiges vor hier, ich möchte gerne die Pyramiden sehen, was zugegebenermaßen etwas gefährlich sein soll, aber ich werde gemeinsam mit dem Aelier und ein paar anderen dorthin reisen, und nach Memphis möchte ich genauso wie nach Theben – letzteres soll heute nur noch ein kleiner, ärmlicher Ort sein, aber trotzdem, was dort alles passiert ist und was drum herum ist, allein dieses Wissen macht Theben unglaublich aufregend. Und die Menschen sind, meistens, sehr freundlich. Die Ägypter, denen ich begegne, sind schon ein eigenes Völkchen, haben ihre eigene Art und reagieren in meinen Augen manchmal trotz aller Freundlichkeit seltsam, aber ich wäre nicht hier, wenn ich nicht auch das erleben wollen würde, weißt du? Dann gibt es viele Griechen hier, was meinen Sprachkenntnissen sehr gut tut – ich wusste gar nicht, wie viel ich schon wieder vergessen hatte von meinem Griechisch-Unterricht, aber hier konnte ich es inzwischen so sehr aufpolieren, dass es weit besser ist als früher.
Was das andere angeht, das du angesprochen hast… Ich will ehrlich sein, zuerst wollte ich gar nichts dazu schreiben. Aber ich kann verstehen, dass Du Dir Sorgen machst. Nur, das ist einfach etwas, was ich tun muss, verstehst Du das? Mein Leben lang habe ich davon geträumt, das zu tun, was Du und Appius getan haben. Nicht auf andere zu hören oder das zu tun, was sich schickt und angeblich richtig oder das Beste wäre, sondern meinen eigenen Weg zu gehen, selbständig zu sein! Genau das tue ich jetzt. Ich weiß wohl, was ich mir und meiner Familie schuldig bin, der engsten Familie genauso wie dem Namen Decima. Und ich passe auf, auf mich und auf das was ich tue, ich versuche immer, mich in dem Rahmen zu bewegen, der möglich ist. Aber ich habe das Gefühl, dass ich zum ersten Mal wirklich frei bin. Weißt Du, wenn ich ganz ehrlich bin, dann habe ich manchmal ziemliche Schuldgefühle deswegen. Immer dann, wenn ich an Mutter denke, oder an Vater. Das hier, was ich jetzt habe, das wäre nie möglich gewesen, wären sie noch am Leben, und wenn ich an sie denke, dann schäme ich mich dafür, dass es mir hier so gut geht, weil ich mir doch eigentlich wünsche, dass sie noch leben… Aber dann wäre ich kaum hier, dann könnte ich mich kaum so frei fühlen, vielleicht wäre ich dann noch nicht einmal nach Rom gekommen – oder vielleicht doch, als Braut eines Mannes, den ich erst im Verlauf der Ehe kennen lernen kann. Ich weiß einfach nicht, was ich dann denken soll, wenn das über mir hereinbricht, ich fühl mich dann so zerrissen und elend.
Wie auch immer… es geht mir gut hier. Ich bin hauptsächlich wegen Archias hierher gekommen, das stimmt, aber ich baue mir hier auch mein Leben auf, weißt du? Ich möchte für die Schola arbeiten, mit dem Rector habe ich bereits einige Briefe ausgetauscht. Und für das Museion möchte ich auch arbeiten, das werde ich demnächst in Angriff nehmen, also dorthin gehen und mich dort bewerben. Ich war schon mal dort und habe mich umgesehen, und ich glaube, das könnte mir wirklich gut gefallen, ich meine jeden Tag dort zu sein und da zu arbeiten und zu unterrichten. Da ist es mir egal, was die Leute in Rom dazu sagen, dass ich hier bin und arbeite und mein Geld verdiene und mich gut dabei fühle. So lange es nicht so weit geht, dass es tatsächlich der Familie schadet (und ich gehe davon aus, in diesem Fall würden Du und Onkel Meridius mich rechtzeitig zurückholen), habe ich beschlossen, auf solches Geschwätz nicht zu hören. Und was Archias angeht… (ja, er ist ein richtiger Aelier!) Ich mag ihn. Er bringt mich zum Lachen. Ich verbringe gerne Zeit mit ihm. Er kommt aus einer Familie, die unserer angemessen ist, und, was für mich persönlich noch wichtiger ist, er ruht sich nicht auf seinem Namen aus, sondern möchte selbst etwas erreichen. Warum glaubst Du, ist er ausgerechnet nach Aegyptus gegangen, in eine so entfernte Provinz? Die erste Zeit habe ich bei ihm gewohnt (ich seh schon wie Du den Kopf schüttelst…), inzwischen wohne ich im selben Haus, aber ein Stockwerk darüber, in der Wohnung einer älteren Witwe.* Seit ihr Mann gestorben ist, sind ihre Räumlichkeiten ohnehin zu groß für sie, sie kann das Geld gebrauchen, und sie freut sich über ein wenig Gesellschaft – und vor allem achtet sie auf meinen Ruf noch weit besser als Elena oder ich das je könnten, Du kannst also beruhigt sein. Ich weiß nicht, was daraus wird, aber ich habe ein gutes Gefühl dabei, und im Übrigen mache ich mich ja nicht von ihm abhängig oder setze alles auf eine Karte. Oder doch, alles auf eine Karte gesetzt habe ich ja mit meiner Reise hierher, aber ich habe hier inzwischen einige neue dazu bekommen, die sehr gut aussehen. Oh Faustus, im Grunde kannst Du doch verstehen, was mich antreibt – wenn nicht Du, wer dann? Lass doch einfach außen vor, dass ich eine Frau bin, oder was Mutter gesagt hätte. Denk einfach nur an früher, was wir alles erlebt haben. Denk an das, was Du getan hast. Ich war so lange so wütend auf Dich, weil Du getan hast, wonach Dir war, und noch viel mehr auf mich, weil mir der Mut gefehlt hat und ich keine Möglichkeiten gesehen habe. Wenn ich eines gelernt habe daraus, dann, dass ich es nicht wieder so weit kommen lassen darf, dass ich auf Dich oder einen anderen Menschen, der mir nahe steht, wütend werde, nur weil ich unzufrieden bin mit meinem Leben. Wenn Du darauf bestehst, wenn Du Dir dann weniger Sorgen machst, werde ich mir hier noch einen Sklaven kaufen, einen männlichen, als Leibwächter möglicherweise, aber bitte, freu Dich einfach mit mir. Du und Deine Meinung bedeuten mir wirklich viel, Faustus, von allen denkbaren Gründen, die gegen meinen Aufenthalt hier sprechen, bist Du der einzige, der für mich wirklich zählt.
So, jetzt ist der nächste Morgen, gestern Abend wollte ich nicht mehr weiter schreiben – es ist richtig spät geworden gestern, und ich war ziemlich müde. Was gibt es noch zu erzählen? Oh ja, die Acta – ja, für die schreibe ich inzwischen schon länger. Und der Auctor ist mein Patron, habe ich Dir das eigentlich schon erzählt? Ich weiß es beim besten Willen nicht mehr, entschuldige bitte! Was ich Dir da allerdings noch gestehen muss, dieser Artikel über die Prima… der war von mir. Und es tut mir wirklich leid, dass Du ihn so aufgefasst hast, das musst Du mir glauben! Ich wollte mit Sicherheit nicht abfällig über Dich oder Deine Kameraden schreiben, ganz bestimmt nicht, ich hatte einfach nur kurz davor die Imago gelesen, und ich habe daran denken müssen, wie viel Angst ich um Dich gehabt habe, und an all die Menschen, die in diesem Krieg einen lieben Verwandten verloren haben… Ich mag bis heute nicht daran denken, was ich getan hätte, wenn Du in Parthia gestorben wärst. Und Onkel Livianus ist immer noch dort, ob tot oder verschollen, weiß keiner, oder nicht? Noch mal: es tut mir wirklich leid, ich wollte über die Prima nichts Schlechtes schreiben, ich habe nur aus meinem Blickwinkel geschrieben. Das ist wohl etwas, was ich als Subauctrix noch lernen muss. Neutraler zu werden. Eine Sache aus allen möglichen Standpunkten zu betrachten, um mich dann bewusst für einen zu entscheiden. Nicht dass ich was dagegen habe, manchen Leuten auf die Füße zu treten, aber es sollte mir nicht mehr passieren, dass ich jemanden ungewollt verletze.
Im Serapeion war ich noch nicht, aber das steht auch auf meiner Liste – ein Amulett bringe ich Dir auf jeden Fall mit dann! Und erzähl mir, was es Neues gibt in Rom - was ist mit dem Rennen, durftest Du mitmachen? Hast du ein Aurata-Gespann bekommen? Was macht Onkel Meridius und der Rest der Familie? Gibt es Neuigkeiten von Onkel Livianus, ich meine, richtige Neuigkeiten, die vielleicht nur der Familie mitgeteilt worden sind?
Ich drück Dich auch, und sende Dir ganz liebe Grüße (auch von Elena),
Deine
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Sim-Off:*Antwort bitte trotzdem an die mansio oder die habitatio Aeliana – ich weiß noch nicht, ob ich dafür einen Extra-Thread aufmache…