Beiträge von Decima Seiana

    Seiana zog erneut die Unterlippe zwischen die Zähne, als aus Archias herausbrach, was ihn so störte. Und sie konnte ihn so gut verstehen – sie begriff auch nicht, warum Vespa nicht einmal reagiert hatte, als sie die Glückwünsche von ihm bekommen hatte. Leider hatte ihr Erklärungsversuch auch keinen Erfolg. Natürlich hätte er als erster mitbekommen, wenn irgendetwas mit der Post passiert wäre, aber sie hatte ihn irgendwie aufmuntern wollen. Allerdings, bei dem was offenbar alles an ihm nagte, war es momentan nicht wirklich möglich, ihn aufzumuntern. „Es tut mir leid, Archias. Ich kann’s nicht so ganz verstehen, um ehrlich zu sein.“ Dann zog sie die Augenbrauen hoch. „Der Irre im Fass? Wer ist das denn?“ Von so einem hatte sie noch nie gehört, aber andererseits war sie auch nicht sonderlich lange in Rom gewesen, bevor sie beschlossen hatte nach Alexandria zu reisen. Die Anfrage des Konsuls allerdings, ob Archias nicht wieder nach Rom kommen wolle, weckte in ihr auch gemischte Gefühle. Noch hatte er sie nicht gefragt. Genauer gesagt hatten sie seit jenem Gespräch bei ihrer Ankunft überhaupt nicht mehr wirklich darüber gesprochen, was nun zwischen ihnen war. Ob er noch Interesse hatte. Sie meinte es, sie hoffte es, aber sicher sein konnte sie sich nicht. Und was war, wenn er nach Rom ging und entschied dort zu bleiben, ohne sie vorher gefragt zu haben? Was sollte sie dann tun? Unbewusst nagte sie weiter an ihrer Unterlippe.


    „Mh… Vielleicht fühlt er sich allein. Ich meine, Familie ist einfach… Unterstützung, Rückhalt und…“ Sie verstummte kurz, als ihr klar wurde, dass Archias genau das im Moment eher nicht bekam von seiner Familie. „Weißt du, Quarto hat es sicher nicht einfach, er ist der Bruder des Kaisers, er ist Konsul, die Menschen erwarten viel von ihm, seine Familie macht da sicher keine Ausnahme. Vielleicht braucht er jemanden, mit dem er sich austauschen kann, auf gleicher Ebene, jemand, der ihn als Mensch sieht und nicht als Konsul oder so.“ Erneut berührte sie kurz seine Hand, und es war ihr anzusehen, dass sie völlig ernst meinte, was sie sagte. Archias konnte sie immer aufheitern, wenn etwas war. Im nächsten Moment runzelte sie aber fragend die Stirn. „Äh, Dis… Disput? Meinst du Dispens?“ Ohne auf seine Antwort zu warten, nickte sie. „Sicher kann er ein gutes Wort für dich einlegen, warum sollte er nicht?“

    „Äääh“, machte Seiana zweifelnd auf Archias’ Vorschlag hin, sie sollte zu ihm springen. Zwar passten durchaus zwei Menschen auf eine dieser Platten, aber das war ihr dann doch zu unsicher – jedenfalls jetzt am Anfang, wer wusste schon, was dieser Spielplatz noch alles zu bieten hatte 8)
    Bevor sie jedoch ihren Zweifel lautstark zum Ausdruck bringen konnte, verwarf Archias seine eigene Idee bereits wieder und begann, weiter zu springen, und Seiana tat es ihm nach, ohne dabei aber seinem Weg zu folgen. Es gab weit mehr als eine Möglichkeit, das andere Ufer zu erreichen – und es gab fast ebenso viele Möglichkeiten, in irgendwelchen Sackgassen zu enden. Häufig deshalb, weil die nächste Plattform um ein winziges bisschen zu weit weg war, als dass man sie halbwegs trockenen Fußes erreichen konnte – was man raffinierterweise in der Regel erst dann sehen konnte, wenn man auf der Holzplatte davor stand. Seiana sprang hin und her und achtete bald gar nicht mehr auf Archias, sondern bemühte sich, ihr Gleichgewicht so gut wie möglich zu halten. Auch sie hatte schon bald die Erfahrung gemacht, dass es einfacher war, wenn man mehrere Plattformen in einem Schwung hinter sich brachte, dennoch kam es gelegentlich vor, dass sie stehen bleiben musste, weil der Untergrund zu wackelig war für einen weiteren Sprung.


    „Na ja, was heißt faule Tricks… Hast du erwartet, dass das einfach wird?“ grinste sie in Archias’ Richtung, dann setzte sie zu einem neuen Sprung an. Noch einer. „Ich und schummeln, für wen hältst du mich?“ Und noch einer. Noch zwei Sprünge. Dann geschah es. Sie setzte zum vorletzten Sprung an, der sie zu der für sie letzten Holzplattform bringen würde vor dem Ufer. Ob die nun nass gewesen war oder Seiana einfach falsch aufkam, wusste sie nicht, aber fest stand: sie rutschte ab. „Wuah“, machte sie erneut, schwankte gefährlich und ruderte mit den Armen, aber das brachte nichts, weil ihre Fußsohle keinen Halt hatte. Unerbittlich glitt ihr Fuß auf den Rand zu, und Seiana ging schließlich in die Knie und hielt sich mit beiden Händen am Holz fest, um die Platte gemeinsam mit ihrem anderen Fuß, der noch fest darauf stand, im Gleichgewicht zu halten. Was ihr nach etwas weiterem Gewackel auch gelang – allerdings war die Rettungsaktion für ihr rechtes Bein zu spät gekommen. Das befand sich nun bis fast zur Mitte ihres Oberschenkels im Wasser. „So ein Mist“, schimpfte sie lachend, während sie das Bein aus dem Wasser zog und sich nach Archias umsah.

    Jetzt war es Seiana, die ein unbestimmtes „Mhm“ von sich gab. Sie wusste nicht, was sie sonst hätte sagen sollen – Archias sagte zwar, dass er seinen Vetter kaum gekannt habe, aber irgendetwas schien ihm auf dem Herzen zu liegen, hatte sie das Gefühl. Allerdings wusste sie nicht, ob das nicht doch am Tod seines Vetters lag, oder an etwas anderem. Erst als er weitersprach, meinte sie zu begreifen, was ihn bedrückte – aber auch hier wusste sie nicht recht, welche Worte sie wählen sollte, um ihn etwas aufzumuntern. „Hör mal… ich bin mir sicher, dass sie es nicht böse meinen. Ich bekomme auch selten Briefe von meiner Familie, abgesehen von Faustus. Wer weiß, vielleicht ging die Einladung ja auch verloren… Gerade bei so einer Schiffsreise kann doch viel passieren.“ Seiana biss sich auf die Unterlippe und musterte ihn. Sie versuchte überzeugend zu klingen, aber sie wusste nicht, wie gut ihr das gelang – und sie konnte verstehen, dass er sich Gedanken wegen seiner Familie machte.
    Gerade wollte sie ihm erneut versichern, dass seine Familie doch sicher warten würde, wenn er zu der Beerdigung kommen wollte, als Archias plötzlich das Thema wechselte. Etwas irritiert erwiderte sie sein Blinzeln, fast spiegelbildlich. „Ja, heute gekauft. Ich… findest du? Danke.“ Sie grinste leicht und zupfte etwas verlegen die Tunika an den Knien glatt. „Heißt das, du wartest bis du wieder von Quarto gehört hast, bevor du dich entscheidest wegen der Reise?“

    Seiana ließ sich noch nicht nieder, sondern schenkte sich mit Wasser verdünnten Wein ein. „Du auch?“ fragte sie, da Archias noch nichts hatte, und auf ein unbestimmtes Brummen hin füllte sie einen zweiten Becher, bevor sie zu den Klinen ging und Archias einen der Becher reichte. Anschließend ließ sie sich ebenfalls nieder, setzte sich allerdings vorerst nur auf die Liege. Im nächsten Moment wurde ihr Gesichtsausdruck ernst. „Dein-“ Sie verstummte, als Archias schon weiter sprach und die ihr auf der Zunge liegende Frage damit beantwortete. Kurz blickte sie in die hellrote Flüssigkeit hinab, drehte den Becher etwas in ihren Fingern, dann sah sie ihn wieder an. „Das tut mir leid. Ich meine… auch wenn du ihn nicht so gut gekannt hast, er hat doch zur Familie gehört.“ Ohne einen Schluck getrunken zu haben, stellte sie den Becher zur Seite und beugte sich dann vor, um seine Hand kurz mit ihren Fingern zu streifen, bevor sie sich wieder aufrichtete. Auch sein nächster Satz ließ sie zunächst etwas zögern. Sie war sich nicht ganz sicher, was sie von der Ankündigung halten sollte. Eine Reise nach Rom war weder kurz noch gänzlich ungefährlich. „Wegen der Beerdigung, nicht? Wann… wann weißt du, ob du fährst?“

    Seiana und Elena waren tatsächlich einkaufen gewesen, immerhin, so hatte Elena argumentiert, bräuchte Seiana neue Sachen – wegen der Schola und dem Museion und sowieso und überhaupt. Und was Kleidung betraf, da musste Seiana ihrer Leibsklavin Recht geben, hatte sie sich in Alexandria bisher noch kaum umgesehen – anders sah es da schon mit diversen Gegenständen aus, die sie begeistern konnten. Allerdings, einmal auf dem Markt, wusste Seiana wieder, warum sie bisher so selten hier unterwegs gewesen war, um sich Kleidung zu kaufen. Weil sie es einfach nicht leiden konnte, dieses Rumgerenne, von einem Stand zum nächsten Laden, und dann musste natürlich anprobiert werden, denn wenn sie sich schon etwas Neues kaufte, wollte sie selbstverständlich, dass es auch wirklich passte und gut aussah. Elena hatte diesmal aber nicht locker gelassen – dafür hatte sie im Anschluss mit Seiana erst mal eine Stunde in einem Park im Schatten einiger Palmen verbringen müssen, die die Decima mit dem Schmökern einiger ebenfalls neuerstandener Papyri verbrachte, während Elena, nun ja, da saß und sich im Großen und Ganzen langweilte. Was Seiana nur als gerecht empfand, gemessen an dem Spaß, den Elena die Stunden zuvor gehabt hatte, im Gegensatz zu ihr.


    Jetzt waren sie wieder zu Hause angekommen, hatten die Sachen nach oben gebracht, und während Seiana es Elena überließ, die neuen Dinge aufzuräumen, hatte sie selbst sich kurz gewaschen und eine der Tuniken angezogen, die sie heute gekauft hatte – aus einem leichten, fließenden Stoff, in dunklem Weinrot gehalten, mit unauffälligen Verzierungen am Saum und an den Nähten. Zwei schlichte Spangen hielten die Tunika an den Schultern zusammen, und an der Taille war sie leicht gerafft. So selten Seiana dem Einkaufen selbst etwas abgewinnen konnte, so sehr freute sie sich dann daheim, wenn sie tatsächlich etwas gefunden hatte und die Sachen anprobieren konnte. So verabschiedete sie sich kurz von Elena und ging dann hinunter, um den Abend mit Archias zu verbringen. Kaum hatte sie die Tür geöffnet, hörte sie schon seine Stimme, und sie lächelte, obwohl er das noch nicht sehen konnte. „Ja, ich bin’s.“ Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ging sie hinüber in den Wohnraum. „Wie war dein Tag?“

    Dem Sklaven folgend, kam Seiana recht bald zu dem Zimmer des Sosimos von Korinth. Gerade eben noch im Vorraum hatte sie das Gefühl gehabt, dass sich ihr Magen von innen heraus aufzulösen drohte, so kribbelig war es darin gewesen, aber jetzt, so kurz vor dem Gespräch, wurde das abgelöst von einer Leere. Da, wo gerade noch ihr Magen gewesen war, schien nun ein Loch zu sein. Gedankenfetzen schwirrten durch ihren Kopf, die sie schließlich entschlossen zur Seite schob, als sie den Raum betrat und den alten Mann sah, der dort saß. „Chaire, und die Götter mit dir“, grüßte sie ihn, und blieb weiter in der griechischen Sprache, so wie sie es sich angewöhnt hatte, seit sie in Alexandria angekommen war – wenn sie nicht gerade auf Menschen traf, denen anzusehen war, dass sie Römer waren. Latein sprachen auch einige andere, aber sie fand, dass es einfach höflicher war, die Sprache zu nutzen, die die meisten sprachen. Im Gegensatz zu dem Sklaven hatte ihr Griechisch einen Akzent, der zwar nicht stark war, aber doch die Römerin verriet. „Ich danke dir, dass du es so kurzfristig einräumen konntest, mich zu empfangen.“ Sie machte eine kurze Pause, wartete seine Aufforderung ab und fuhr dann fort: „Ich bin gekommen, um dich um eine Stelle im Museion als Philogos zu ersuchen. Hauptsächlich für den Bereich der Kunst und Literatur, aber ich würde mich gerne auch in anderen Bereichen engagieren – als Lehrkraft, wenn es nötig ist und mein Können dafür ausreicht, oder als Schülerin, um mein Wissen zu erweitern.“

    Seiana wusste im ersten Moment nicht, wie sie auf die Art des Schreibers reagieren sollte, nachdem er zurückkam – natürlich wusste sie, was sie von dem Vertreter des Epistates wollte, und wäre es nötig gewesen für die Voranmeldung, hätte sie es dem Schreiber auch gesagt. Allerdings hielt sie auch nicht viel davon, alles herauszuposaunen, wenn es nicht sein musste.


    Sie entschied sich dann für ein etwas distanziertes, aber doch höfliches Lächeln, das im gleichen Maße freundlicher wurde, in dem die Stimme des Schreibers dies tat. „Ja“, antwortete sie schließlich, ließ aber offen, ob sie damit ihre Zielstrebigkeit meinte oder das genaue Wissen um ihr Anliegen. „Ich hoffe doch, dass mein Anliegen keine Belästigung für ihn darstellt. Ich danke dir“, fügte sie noch hinzu, bevor sie ihm folgte und Sosimos’ Zimmer betrat.

    Erst nachdem Seiana gefragt hatte, ob er vor wollte, fiel ihr auf, dass sie ja auf einem Balken standen. Ein Balken, der zwar breit genug war für solche Aktionen, aber auf der anderen Seite eben doch nicht mehr als ein Balken, was es unmöglich machte, den Abstand zu wahren, den der Anstand gebot. Archias vergewisserte sich denn auch, ob er tatsächlich vorbei sollte – und Seiana, die auf der einen Seite nun keinen Rückzieher machen wollte und auf der anderen einen erneuten Seitenblick auf das nächste Holzstück geworfen hatte, nickte nur. Sonderlich problematisch stellte sich das Aneinander-vorbei-schieben nicht heraus, aber sie war trotzdem etwas verlegen – und musste gleichzeitig albern grinsen.


    Und dann war Archias vorne, und er stieß sich ob. Seianas Mund öffnete sich etwas. Wenn er schon springen musste… Und dann landete er, sicher und souverän, so schien es Seiana, und sie verfluchte innerlich, dass ihre Kinderzeit schon so lange her war, wo sie solche Sachen ständig gemacht hatte. Irgendwo balancieren, auf Bäume klettern, hin und her springen… „Hey, das sah toll aus!“ Und er setzte gleich noch den nächsten hinterher, bei dem zwar etwas Wasser überschwappte, aber dennoch um nichts weniger sicher aussah. „Wau“, machte sie und runzelte dann irritiert die Stirn, als sie sich fragte, wo sie dieses Wort aufgeschnappt hatte. „Ähm. Ob’s klappt? Bei mir? Also, ich weiß nicht…“ Sie sah, etwas sehnsüchtig, den Balken entlang zurück. Führte da nicht auch ein ungefährlicher Weg durch die verschiedenen Stationen…? Aber nein, das war ihre Idee gewesen, kneifen kam jetzt nicht in Frage, und überhaupt: der Weg war es ja nicht, der Spaß machte. Sie grinste schief und räusperte sich. „Also, hrm. Also.“


    Noch ein Räuspern, dann ging sie ein paar Schritte rückwärts, um ein wenig Anlauf zu nehmen. Und blieb wieder stehen, um Mut zu sammeln. Und schließlich legte auch sie los, überwand die paar Schritte, stieß sich ab und segelte durch die Luft zu der ersten Plattform. Und wäre beinahe sofort wieder hinunter gerutscht, auf der anderen Seite, versteht sich – der Schwung, den sie durch den Anlauf bekommen hatte, war eindeutig zu groß gewesen. „Wuaaaah!“ Sie streckte ihre Arme aus und versuchte sich auszubalancieren, tappte mit ihren Füßen hin und her und knickte in den Knien ein, um sicheren Halt zu finden, während das Holz darunter in elliptischen Bahnen hin und her schwankte. Ihr Körper neigte sich ähnlich, mal nach vorn, mal nach hinten, mal zur Seite, während ihre Arme wild ruderten – aber schließlich fand sie ihr Gleichgewicht wieder, und Wasser und Holz beruhigten sich wieder. „Hey! Ich bin nicht reingefallen!“ lachte sie, während sie sich vorsichtig aufrichtete.

    „Oh, ähm, Katander wird sicher auch noch in den Genuss kommen. Das ist eines der Dinge, die ich Elena versprechen musste, dass sie auch mal mit ihm hierher kann.“ Seiana grinste zurück, völlig unbedarft, wusste sie doch nicht, woran Archias gerade denken musste – hätte sie auch nur die leiseste Ahnung gehabt, wäre sie vermutlich rot angelaufen, aber so blieb ihre Gesichtsfarbe normal. Sie freute sich einfach nur darüber, dass Archias von ihrer Idee begeistert zu sein schien, dass er sich keinerlei Gedanken darüber machte, ob es sich gehörte oder nicht. Immer noch grinsend, ließ sie ihn nach ihrer Hand greifen und sie hinter sich herziehen, über die Hängebrücke hinüber, die sie von dem ganzen Spaß noch trennte. Als Archias dann stehen blieb, wäre sie beinahe in ihn hinein gerannt, konnte aber noch rechtzeitig anhalten. „Äh. Also… Wirklich Ahnung hab ich auch nicht, bin ja auch zum ersten Mal hier. Aber ich glaube, dass egal ist, wo man anfängt – oder wie oft man was macht. Der Eintritt gilt für den ganzen Tag, im Übrigen machen sie hier keinen Unterschied.“


    Sie überlegte kurz und ließ ihren Blick über das Gelände schweifen. Direkt vor ihnen ragte das Gerüst mit den fünf Holzpfählen in die Höhe, die mit Seilen so verbunden waren, dass man hinüber und hindurch klettern konnte. Dafür entschied sie sich allerdings nicht. Nach einem weiteren Augenblick deutete sie nach links – dort musste man zunächst über einen schmalen Balken balancieren, der über eine Wasserfläche führte. Mittendrin hörte er auf, und danach waren nur nach runde Holzflächen verteilt, groß genug, dass zwei Personen knapp nebeneinander stehen konnten. Scheinbar waren sie mit einem Seil im Boden verankert und daher reichlich unsicher, weil sie im Wasser hin und her schwankten – und der Abstand zwischen ihnen war gerade so groß, dass jemand von Seianas Größe ihn mit einem großen Schritt nicht mehr überwinden konnte, sondern einen kleinen Sprung dafür brauchte. „Lass uns damit anfangen“, grinste sie übermütig und wartete eine Antwort gar nicht erst ab, sondern zog diesmal ihn hinterher. Als sie den Balken betrat, ließ sie seine Hand los und fing an zu balancieren, und zunächst ging auch alles gut, abgesehen von einigem Schwanken – dann aber erreichte sie das Ende des Balkens, und als sie den Abstand zum ersten Holzstück sah, verließ sie der Mut. Halb fragend, halb grinsend sah sie zu Archias zurück. „Äh. Du bist größer. Magst du vor?“

    Es gab Momente, da war Seiana ihrer Mutter dankbar dafür, dass sie ihre Erziehung äußerst streng, ab einem gewissen Alter immer strenger gehandhabt hatte und sie schließlich zu Verwandten in der Nähe von Rom geschickt hatte, um ihr auch noch den letzten Schliff zu verpassen. Dies hier war so einer. Innerlich so aufgeregt, dass sie am liebsten wieder kehrtgemacht hätte, schaffte sie es nun dennoch, nach außen hin ruhig und gelassen zu wirken, als die Decima durch das Museion ging und schließlich den Vorraum mit den Schreibern betrat. Lediglich winzige Zeichen mochten ihre Aufregung verraten, das gelegentliche Zurückstreichen einer sich nach vorne verirrenden Haarsträhne hier, ein seltenes Glätten ihrer Tunika da, mehr zeigte sie nicht. „Salve“, grüßte sie den Schreiber, der zu ihr aufsah. Seiana hatte sich vorab erkundigt – sie hasste nichts mehr, als irgendwo schlecht vorbereitet aufzutauchen. Daher wusste sie, dass die Stelle des Epistates derzeit unbesetzt war. „Ich würde gerne mit einem der Vertreter des Epistates tou museiou sprechen. So weit ich weiß, sind das Sosimos von Korinth und Nisoteia. Hat einer von ihnen beiden im Moment Zeit?“

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    Es war Elena, die die Tür öffnete. Genauer gesagt, hastig aufriss. Sie war gerade in der Küche gewesen, denn Ophelia und Firas waren beide heute nicht da, Katander auch nicht, und so blieb es an ihr hängen, für das Essen zu sorgen. Seiana unterdessen hatte es sich im Wohnraum bequem gemacht und war ganz vertieft in irgendwelche Unterlagen, ob es nun die von ihren Geschäften waren, irgendwelche Briefe, oder Dokumente der Schola oder des Museions, wusste Elena nicht. Seit Seiana vorhatte, bei beiden Institutionen angestellt zu werden, vergrub sie ihren Kopf tagsüber fast nur noch in irgendwelche Papyri – jedenfalls solange Archias arbeitete. Es war zum Auswachsen. Nicht dass Elena langweilig geworden wäre, irgendwas gab es immer zu tun, und da war ja auch noch Katander… den sie zu selten sah, wie sie fand, also zu selten im Sinne von sehen und wirklich Zeit füreinander zu haben. Aber was Seiana trieb, konnte nicht gesund sein für sie.


    Jedenfalls, dass Elena kochen musste, davon war sie weniger begeistert, obwohl sie es konnte, und das sogar ziemlich gut. Prinzipiell machte es ihr auch Spaß, aber nicht, wenn es draußen so heiß war. Wie auch immer, sie war in der Küche gewesen, hatte rumhantiert und hatte das Klopfen zunächst überhört – sie konnte nicht sagen, wie oft schon geklopft worden war, aber sie hoffte inständig, dass es nicht zu lang war. Ein kurze Blick zu Seiana gab ihr die Gewissheit, dass diese das Klopfen entweder gar nicht gehört hatte, oder es gekonnt ignorierte, weil sie ihren dunklen Schopf nicht einmal ansatzweise gehoben hatte. An der Tür angekommen, riss Elena sie also hastig auf und holte gleichzeitig tief Luft, um ihren Atem etwas zu beruhigen. „Salve. Und Entschuldigung, dass es etwas gedauert hat. Was kann ich für dich tun?“

    An
    Flavia Epicharis
    Villa Flavia
    Roma
    Provincia Italia



    Liebe Epicharis,


    zunächst muss ich mich bei Dir entschuldigen, dass ich weder zu Deiner Hochzeit gekommen bin noch auf Deine Einladung geantwortet habe bisher – leider hat sie mich erst jetzt erreicht. Der Grund dafür ist, dass ich derzeit in Alexandria verweile und dies wohl auch für längere Zeit so bleiben wird. Für die Einladung möchte ich mich ganz herzlich bei Dir bedanken – ich hoffe, es ist eine schöne Feier gewesen, die Dir und Deinem Mann noch lange in Erinnerung bleiben wird.


    Auch wenn wir uns bisher noch nicht kennen lernen konnten, hoffe ich doch, dass wir das in Zukunft ändern können – wenn ich das nächste Mal nach Rom reise, würde ich mich freuen, Deine Bekanntschaft zu machen!


    Mit den besten Wünschen für Dich und deinen Ehemann,


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    Sim-Off:

    *Falls Du antworten möchtest: bitte an die mansio oder die habitatio Aeliana – Seiana wohnt bei einer älteren Dame, dafür existiert (im Moment jedenfalls) aber kein Thread.


    An
    Maximus Decimus Meridius
    Casa Decima Mercator
    Roma
    Provincia Italia



    Salve, Meridius!


    Seit meinem letzten Brief ist schon wieder einige Zeit ins Land gezogen, und so gibt es wieder einiges zu berichten. Inzwischen habe ich mich hier in Alexandria recht gut eingelebt. Ich wohne bei einer älteren Dame, Flaminia Aviola ist ihr Name.* Sie ist seit einiger Zeit Witwe und dankbar darum nicht alleine zu sein, und die finanzielle Unterstützung kann sie ebenfalls gut gebrauchen. Und für mich ist das eine annehmbare Lösung, es ist angenehmer denn alleine zu wohnen, und es wird kein Gerede geben. Darüber hinaus habe ich einige Pläne, die ich hier verwirklichen möchte. Ich habe Briefkontakt mit dem Rektor der Schola Atheniensis aufgenommen, da ich vorhabe, auf lange Sicht als Praeceptor tätig zu werden. Sollte ich länger in Aegyptus bleiben und alles gut laufen, könnte ich sogar Curatorin hier werden. Außerdem möchte ich mich gerne im Museion zu Alexandria engagieren, welches ohnehin mit der Schola zusammenarbeitet – in der nächsten Zeit werde ich mich dort vorstellen. Ich bin schon gespannt, wie sich das alles entwickeln wird, und ich freue mich darauf.


    Im Übrigen habe ich natürlich begonnen, Alexandria zu erkunden. Es gibt vieles zu entdecken hier, und man spürt überall, wie weit man vom Zentrum des Reiches entfernt ist, und wie anders die Menschen hier sind. Es ist faszinierend, hier zu leben, gelegentlich meint man sich in andere Zeiten versetzt zu fühlen, meint sich vorstellen zu können, wie es zu Lebzeiten der Pharaonen gewesen sein muss. Vom Rest der Provinz habe ich bisher noch nicht viel gesehen, aber ich habe vor, das in Zukunft zu ändern. Was den Aelier betrifft: ich unternehme einiges mit ihm, versuche ihn kennen zu lernen, und ich muss sagen, dass mir der Gedanke an eine weitergehende Verbindung gefällt. Ich hoffe, dass dies nach wie vor Deine Zustimmung findet – Deine Meinung in dieser Angelegenheit ist mir wichtig.


    Wie geht es Dir und der Familie? Sind Severa und Optatus wohlauf? Und hat sich etwas Neues ergeben in Bezug auf Livianus? Mögen die Götter Deinen Weg behüten!


    Vale,


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    Sim-Off:

    *Eventuelle Antworten bitte an die mansio oder die habitatio Aeliana – ich weiß noch nicht, ob ich dafür einen Extra-Thread aufmache…


    An
    Marcus Aurelius Corvinus
    Villa Aurelia
    Roma
    Provincia Italia



    Salve, geschätzter Patron!


    Zunächst möchte ich Dir herzlich gratulieren zu Deiner Berufung in den Senat! Es hat mich gefreut zu hören, dass der Kaiser Deine Mühen nun in dieser Form honoriert hat.


    Einiges gibt es zu berichten, ist seit meinem letzten Brief doch nun schon wieder einige Zeit vergangen. Die ersten Wochen in Aegyptus habe ich damit verbracht, mich hier einzuleben. Inzwischen wohne ich bei einer älteren Dame, Flaminia Aviola ist ihr Name.* Sie ist Witwe und dankbar für die Gesellschaft, auch kann sie die finanzielle Unterstützung gebrauchen, und für mich ist es weit angenehmer, denn alleine zu wohnen – so ist uns beiden geholfen. Darüber hinaus habe ich einige Pläne, was meinen weiteren Weg angeht. Ich habe Kontakt mit dem Rektor der Schola Atheniensis aufgenommen, da ich mir gut vorstellen könnte, für eben jene tätig zu werden, sei es als Praeceptor oder gar Curatorin in Alexandria. Darüber hinaus hat dies den Vorteil, dass ich, einmal für die Schola tätig, dies auch in Rom werde fortführen können, sollte ich zurückkehren in die Hauptstadt. Darüber hinaus möchte ich mich während meiner Zeit in Alexandria auch für das hiesige Museion einbringen, welches mit der Schola zusammenarbeitet. Weitere Schritte in dieser Richtung werde ich schon bald unternehmen, ich bin gespannt, wie sich die Tätigkeit dort entwickeln wird, und ich freue mich darauf.


    Im Übrigen habe ich natürlich begonnen, Alexandria zu erkunden. Es gibt vieles zu entdecken hier, und man spürt überall, wie weit man vom Zentrum des Reiches entfernt ist, und wie anders die Menschen hier sind. Es ist faszinierend, hier zu leben, gelegentlich meint man sich in andere Zeiten versetzt zu fühlen, meint sich vorstellen zu können, wie es zu Lebzeiten der Pharaonen gewesen sein muss. Vom Rest der Provinz habe ich bisher noch nicht viel gesehen, aber ich werde sicherlich noch weiter herumreisen hier. Einiges unternehme ich mit Caius Aelius Archias, dem Praefectus Vehiculorum. Was hältst Du von einer weitergehenden Verbindung mit ihm? Es scheint, dass wir beide Interesse daran haben, in jedem Fall hat er bereits bei meinem Verwandten Meridius angefragt – da ich sui iuris bin, bleibt die Entscheidung letztlich mir überlassen, dennoch möchte ich keinesfalls auf den Rat meiner Familie und meines Patrons in dieser Angelegenheit verzichten.


    Mit vielen Grüßen und den besten Wünschen für Dich und Deine Familie,


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    Sim-Off:

    *Antwort bitte an die mansio oder die habitatio Aeliana – ich weiß noch nicht, ob ich dafür einen Extra-Thread aufmache…


    Faustus Decimus Serapio
    Cohortes Urbanae
    Rom



    Lieber Faustus,


    ja, dass Du inzwischen in Rom bist, habe ich mitbekommen – nur ein paar Tage nachdem ich den letzten Brief losgeschickt hatte, so kann’s gehen, aber zum Glück hat Dich der Brief doch noch erreicht. Jedenfalls: herzlichen Glückwunsch, natürlich dazu, dass Du in Rom bist (das geht ja gar nicht, Du in einer Stadt, in der nichts los ist? Kann ich mir nicht vorstellen), aber vor allem zu Deiner Beförderung! Optio, das ist großartig! Mutter wäre begeistert, wenn sie das miterleben könnte, sie wäre stolz auf Dich, und ich bin es noch viel mehr. Und das Beste ist Dein Titel bei den Kohorten, finde ich – ganz ehrlich, Princeps Prior klingt doch viel besser, oder?


    Aegyptus ist fantastisch. Alles hier. Ich mag das Wetter, das Land, die Leute… Also, erst mal zum Wetter: es ist hier noch heißer als in Italia oder Hispania, aber die Luft ist auch viel trockener, daher lässt sich das leichter aushalten, finde ich jedenfalls. Und ich mag die Hitze einfach, jedenfalls, wenn ich nicht gerade zur Mittagszeit irgendwo auf den Märkten unterwegs bin. Aber auf den Märkten bin ich ohnehin nur dann unterwegs, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt, das weißt Du ja. Dann das Land: ich könnte nur schwärmen. Ganz ehrlich. Ich war bisher fast nur in Alexandria unterwegs, aber allein was es hier alles zu sehen und zu entdecken gibt… Alles Dinge, von denen ich früher gelesen habe, und noch viel mehr, und alles ist so anders bei uns zu Hause. Oh, und ich habe noch einiges vor hier, ich möchte gerne die Pyramiden sehen, was zugegebenermaßen etwas gefährlich sein soll, aber ich werde gemeinsam mit dem Aelier und ein paar anderen dorthin reisen, und nach Memphis möchte ich genauso wie nach Theben – letzteres soll heute nur noch ein kleiner, ärmlicher Ort sein, aber trotzdem, was dort alles passiert ist und was drum herum ist, allein dieses Wissen macht Theben unglaublich aufregend. Und die Menschen sind, meistens, sehr freundlich. Die Ägypter, denen ich begegne, sind schon ein eigenes Völkchen, haben ihre eigene Art und reagieren in meinen Augen manchmal trotz aller Freundlichkeit seltsam, aber ich wäre nicht hier, wenn ich nicht auch das erleben wollen würde, weißt du? Dann gibt es viele Griechen hier, was meinen Sprachkenntnissen sehr gut tut – ich wusste gar nicht, wie viel ich schon wieder vergessen hatte von meinem Griechisch-Unterricht, aber hier konnte ich es inzwischen so sehr aufpolieren, dass es weit besser ist als früher.


    Was das andere angeht, das du angesprochen hast… Ich will ehrlich sein, zuerst wollte ich gar nichts dazu schreiben. Aber ich kann verstehen, dass Du Dir Sorgen machst. Nur, das ist einfach etwas, was ich tun muss, verstehst Du das? Mein Leben lang habe ich davon geträumt, das zu tun, was Du und Appius getan haben. Nicht auf andere zu hören oder das zu tun, was sich schickt und angeblich richtig oder das Beste wäre, sondern meinen eigenen Weg zu gehen, selbständig zu sein! Genau das tue ich jetzt. Ich weiß wohl, was ich mir und meiner Familie schuldig bin, der engsten Familie genauso wie dem Namen Decima. Und ich passe auf, auf mich und auf das was ich tue, ich versuche immer, mich in dem Rahmen zu bewegen, der möglich ist. Aber ich habe das Gefühl, dass ich zum ersten Mal wirklich frei bin. Weißt Du, wenn ich ganz ehrlich bin, dann habe ich manchmal ziemliche Schuldgefühle deswegen. Immer dann, wenn ich an Mutter denke, oder an Vater. Das hier, was ich jetzt habe, das wäre nie möglich gewesen, wären sie noch am Leben, und wenn ich an sie denke, dann schäme ich mich dafür, dass es mir hier so gut geht, weil ich mir doch eigentlich wünsche, dass sie noch leben… Aber dann wäre ich kaum hier, dann könnte ich mich kaum so frei fühlen, vielleicht wäre ich dann noch nicht einmal nach Rom gekommen – oder vielleicht doch, als Braut eines Mannes, den ich erst im Verlauf der Ehe kennen lernen kann. Ich weiß einfach nicht, was ich dann denken soll, wenn das über mir hereinbricht, ich fühl mich dann so zerrissen und elend.


    Wie auch immer… es geht mir gut hier. Ich bin hauptsächlich wegen Archias hierher gekommen, das stimmt, aber ich baue mir hier auch mein Leben auf, weißt du? Ich möchte für die Schola arbeiten, mit dem Rector habe ich bereits einige Briefe ausgetauscht. Und für das Museion möchte ich auch arbeiten, das werde ich demnächst in Angriff nehmen, also dorthin gehen und mich dort bewerben. Ich war schon mal dort und habe mich umgesehen, und ich glaube, das könnte mir wirklich gut gefallen, ich meine jeden Tag dort zu sein und da zu arbeiten und zu unterrichten. Da ist es mir egal, was die Leute in Rom dazu sagen, dass ich hier bin und arbeite und mein Geld verdiene und mich gut dabei fühle. So lange es nicht so weit geht, dass es tatsächlich der Familie schadet (und ich gehe davon aus, in diesem Fall würden Du und Onkel Meridius mich rechtzeitig zurückholen), habe ich beschlossen, auf solches Geschwätz nicht zu hören. Und was Archias angeht… (ja, er ist ein richtiger Aelier!) Ich mag ihn. Er bringt mich zum Lachen. Ich verbringe gerne Zeit mit ihm. Er kommt aus einer Familie, die unserer angemessen ist, und, was für mich persönlich noch wichtiger ist, er ruht sich nicht auf seinem Namen aus, sondern möchte selbst etwas erreichen. Warum glaubst Du, ist er ausgerechnet nach Aegyptus gegangen, in eine so entfernte Provinz? Die erste Zeit habe ich bei ihm gewohnt (ich seh schon wie Du den Kopf schüttelst…), inzwischen wohne ich im selben Haus, aber ein Stockwerk darüber, in der Wohnung einer älteren Witwe.* Seit ihr Mann gestorben ist, sind ihre Räumlichkeiten ohnehin zu groß für sie, sie kann das Geld gebrauchen, und sie freut sich über ein wenig Gesellschaft – und vor allem achtet sie auf meinen Ruf noch weit besser als Elena oder ich das je könnten, Du kannst also beruhigt sein. Ich weiß nicht, was daraus wird, aber ich habe ein gutes Gefühl dabei, und im Übrigen mache ich mich ja nicht von ihm abhängig oder setze alles auf eine Karte. Oder doch, alles auf eine Karte gesetzt habe ich ja mit meiner Reise hierher, aber ich habe hier inzwischen einige neue dazu bekommen, die sehr gut aussehen. Oh Faustus, im Grunde kannst Du doch verstehen, was mich antreibt – wenn nicht Du, wer dann? Lass doch einfach außen vor, dass ich eine Frau bin, oder was Mutter gesagt hätte. Denk einfach nur an früher, was wir alles erlebt haben. Denk an das, was Du getan hast. Ich war so lange so wütend auf Dich, weil Du getan hast, wonach Dir war, und noch viel mehr auf mich, weil mir der Mut gefehlt hat und ich keine Möglichkeiten gesehen habe. Wenn ich eines gelernt habe daraus, dann, dass ich es nicht wieder so weit kommen lassen darf, dass ich auf Dich oder einen anderen Menschen, der mir nahe steht, wütend werde, nur weil ich unzufrieden bin mit meinem Leben. Wenn Du darauf bestehst, wenn Du Dir dann weniger Sorgen machst, werde ich mir hier noch einen Sklaven kaufen, einen männlichen, als Leibwächter möglicherweise, aber bitte, freu Dich einfach mit mir. Du und Deine Meinung bedeuten mir wirklich viel, Faustus, von allen denkbaren Gründen, die gegen meinen Aufenthalt hier sprechen, bist Du der einzige, der für mich wirklich zählt.



    So, jetzt ist der nächste Morgen, gestern Abend wollte ich nicht mehr weiter schreiben – es ist richtig spät geworden gestern, und ich war ziemlich müde. Was gibt es noch zu erzählen? Oh ja, die Acta – ja, für die schreibe ich inzwischen schon länger. Und der Auctor ist mein Patron, habe ich Dir das eigentlich schon erzählt? Ich weiß es beim besten Willen nicht mehr, entschuldige bitte! Was ich Dir da allerdings noch gestehen muss, dieser Artikel über die Prima… der war von mir. Und es tut mir wirklich leid, dass Du ihn so aufgefasst hast, das musst Du mir glauben! Ich wollte mit Sicherheit nicht abfällig über Dich oder Deine Kameraden schreiben, ganz bestimmt nicht, ich hatte einfach nur kurz davor die Imago gelesen, und ich habe daran denken müssen, wie viel Angst ich um Dich gehabt habe, und an all die Menschen, die in diesem Krieg einen lieben Verwandten verloren haben… Ich mag bis heute nicht daran denken, was ich getan hätte, wenn Du in Parthia gestorben wärst. Und Onkel Livianus ist immer noch dort, ob tot oder verschollen, weiß keiner, oder nicht? Noch mal: es tut mir wirklich leid, ich wollte über die Prima nichts Schlechtes schreiben, ich habe nur aus meinem Blickwinkel geschrieben. Das ist wohl etwas, was ich als Subauctrix noch lernen muss. Neutraler zu werden. Eine Sache aus allen möglichen Standpunkten zu betrachten, um mich dann bewusst für einen zu entscheiden. Nicht dass ich was dagegen habe, manchen Leuten auf die Füße zu treten, aber es sollte mir nicht mehr passieren, dass ich jemanden ungewollt verletze.


    Im Serapeion war ich noch nicht, aber das steht auch auf meiner Liste – ein Amulett bringe ich Dir auf jeden Fall mit dann! Und erzähl mir, was es Neues gibt in Rom - was ist mit dem Rennen, durftest Du mitmachen? Hast du ein Aurata-Gespann bekommen? Was macht Onkel Meridius und der Rest der Familie? Gibt es Neuigkeiten von Onkel Livianus, ich meine, richtige Neuigkeiten, die vielleicht nur der Familie mitgeteilt worden sind?


    Ich drück Dich auch, und sende Dir ganz liebe Grüße (auch von Elena),


    Deine
    [Blockierte Grafik: http://img77.imageshack.us/img77/1586/seianaunterschrift2aj2.png]




    Sim-Off:

    *Antwort bitte trotzdem an die mansio oder die habitatio Aeliana – ich weiß noch nicht, ob ich dafür einen Extra-Thread aufmache…


    „Ein Aushang“, seufzte Seiana. Sie hatte ja schon befürchtet, dass es dauern würde, bis die Ergebnisse kamen. Na gut, daran ließ sich wohl kaum etwas ändern. Ein Grinsen schlich sich auf ihr Gesicht, als sie ihren Bruder die Arme strecken sah, verzichtete aber darauf, ihn hier vor allen anderen zu kitzeln. Stattdessen wackelte sie kurz mit den Zehen und deutete, immer noch grinsend, ein Achselzucken an. „Doch, lief ganz gut, denk ich.“ Ein Moment verging in Schweigen, dann lächelte sie erfreut. „Ich hab gehofft, dass du das sagen würdest.“


    Nicht lange, und sie gingen nebeneinander durch die Schola, die vermutlich nicht häufig so muntere Gespräche und sogar ausgelassenes Gelächter zu hören bekam wie an diesem Tag. „Oh, faszinierend ist er, auf jeden Fall – ich hab den Eindruck, dass der Aurelier die interessantesten Sachen noch unterschlagen hat, jedenfalls hat er das nur ganz kurz am Schluss erwähnt. Aber existentiell gespalten, meinst du nicht du übertreibst da ein bisschen? Ich glaub der Mann war einfach ein Politiker, die sind doch alle irgendwie… na ja, etwas paranoid, etwas schauspielerisch veranlagt…“ Verdutzt sah sie Faustus dann an, nur um im nächsten Moment zu lachen, während sie das Gebäude verließen. „Ich? Als Gardepräfektin und Schattenherrscherin? Ich würd den Laden erst mal auf Vordermann bringen, das kannst du mir glauben. Halt, nein, zuallererst würde ich dich befördern und dich zu meiner rechten Hand machen, und dann würde ich mit dir für Ordnung sorgen…“ Der Rest ging in Gelächter unter, während sie sich auf die Suche nach einer kleinen Taverne machten.

    Zitat

    Original von Faustus Decimus Serapio


    Seiana grinste ihrem Bruder zu, während er sich darüber beklagte, wie schwer sein Leben doch geworden war. „Oh, ich bin mir sicher, du kriegst das alles großartig hin“, meinte sie, halb neckend, halb ernst. Nicht zuletzt Faustus’ Grinsen zeigte ihr, dass er es selbst nicht ganz so ernst meinte. „Ich? Oh, ehm, ja… Also… Na ja du kennst mich“, sie grinste breit, „gelernt hab ich schon, aber ob man das wirklich fleißig nennen kann, ich weiß nicht.“ Weiter unterhalten konnten sie sich nicht, weil der Vortrag begann, dem Seiana wie schon am Tag zuvor schweigend lauschte, bis der Aurelier den Raum erneut verließ und ihr Bruder sich wieder ihr zuwandte. „Für den Notfall, ja? Klar, wenn du das Gleiche machst.“


    Lange Zeit zum Unterhalten hatten sie an diesem Tag nicht mehr, weil sie beide los mussten, und der nächste Tag war der Prüfung gewidmet – außer einem kurzen „Viel Glück“ gab es nicht viel Gelegenheit zum Reden, zumal Seiana beinahe zu spät gekommen war. Als die Prüfung dann aber vorbei war und der Dozent den Raum verlassen hatte mit ihren Werken, lehnte Seiana sich zurück, streckte ihre Beine aus und überkreuzte die Füße leicht, und blinzelte zu Faustus hinüber. „Und? Wie ist es bei dir gelaufen? Weißt du, wann wir kriegen die Ergebnisse? Heute noch oder müssen wir dafür wieder kommen?“ Zu ihrer Schande musste Seiana gestehen, dass sie darauf gar nicht geachtet hatte. „Mmh… Was hast du noch vor, heute? Musst du gleich wieder zurück?“

    Am ersten Tag hatte Seiana sich zurückgehalten. Im Grunde hatte sie nur da gesessen und gelauscht, während Faustus neben ihr saß. Zum Teil lag das sicherlich daran, dass es ihr einfach in den Fingern juckte, so wie früher dem Hauslehrer Streiche zu spielen oder wenigstens ihren kleinen Bruder abzulenken. Aber er sah recht konzentriert aus, und davon abgesehen hatten sie beide diesen Kurs diesmal selbst bezahlt und nicht auf Kosten ihrer Mutter Unterricht bekommen… Und sie wollte ja bestehen. Es war wohl besser, wenn sie aufpasste und keinen Unsinn anstellte. Dennoch wurde ihr Blick immer wieder angezogen von Faustus’ Kritzeleien. Was bei allen Göttern schrieb er da nur ständig auf? Sie schrieb ebenfalls mit, aber immer nur das Nötigste, das in ihren Augen Nötigste. Früher hatte er doch auch nicht so viel mitgeschrieben… Und es hatte trotzdem immer irgendwie gereicht. Seiana seufzte und konzentrierte sich endgültig auf den Vortrag, wohlwissend, dass sie zu Hause wohl etwas nachzuholen haben würde.


    Am nächsten Morgen war sie wieder da, nicht gerade überpünktlich, aber doch zeitig genug, und ließ sich mit einem Grinsen wieder neben Faustus sinken. „Na?“ murmelte sie ihm zu. „Wie lang hast du gestern noch gelernt?“ Viel Zeit sich zu unterhalten hatten sie allerdings nicht, denn schon kam der Aurelier herein und fuhr, nach einer kurzen Begrüßung, mit seinem Vortrag vom vorigen Tag fort. Seiana lehnte sich zurück, um zu lauschen, während ihre Finger mit dem Stilus spielten und sie sich hin und wieder Notizen machte.