Beiträge von Decima Seiana

    Es war Cena-Zeit, aber Seiana war trotzdem noch nicht in der Cenatiuncula, war sie doch gerade erst mit Elena aus der Stadt zurückgekommen und wollte sich erst noch umziehen. Sie war gerade auf dem Weg dahin, als sie eine Stimme vernahm, lange nicht gehört und doch allzu vertraut – und sie meinte, ihre Ohren würden ihr mit Hilfe ihrer Einbildung einen Streich spielen. Faustus? Wie erstarrt blieb sie stehen. Er hatte geschrieben, dass er auf dem Heimweg war, dass er vielleicht auch Gelegenheit haben würde, nach Rom zu kommen, aber so schnell schon? Oder hatte sein Brief so lange gebraucht? Einen Moment lang rührte sie sich nicht, dann machte in ihrem Kopf irgendetwas Klick, und sie fand sich in der Gegenwart wieder. Jemand war angekommen, und sie fand nur heraus wer das war, wenn sie hinging.


    Als sie zur Cenatiuncula kam, konnte sie von den Menschen darin noch nichts sehen. Aber sie sah den Mann, der in den Raum hineinsah, aber aus irgendwelchen Gründen noch zögerte, hineinzugehen – und er musste recht derangiert aussehen, wenn sie von der Rück- auf die Vorderseite schließen konnte. Und doch schien etwas Vertrautes an der Gestalt zu sein – die Linien wirkten härter, als sie es in Erinnerung hatte, waren aber doch dieselben, und vor allem der wirre Haarschopf war noch derselbe. Trotzdem war sich Seiana nicht ganz sicher, ob es nicht doch nur Wunschdenken war. Sie hatte Faustus seit zwei Jahren nicht mehr gesehen, sie konnte sich irren – und sie wollte nicht einem Wildfremden um den Hals fallen, nur weil sie glaubte, es könnte ihr Bruder sein. So stand sie wieder da, zögerte einen winzigen Moment, bevor sie noch einen Schritt näher kam. Ihrer Stimme war anzuhören, dass sie gerade schwankte zwischen Unglauben, Überraschung und Freude. „Faustus?“

    Als ein Sklave ihr in den Gängen der Casa über den Weg lief und ihr einen Brief in die Hand drückte, war Seiana im ersten Augenblick verwirrt. Von dem Aelier konnte der Brief unmöglich sein, es sei denn er hatte ihr noch in Rom zum ersten Mal geschrieben, noch vor seiner Abreise, und das wäre… Seiana stoppte sich in Gedanken rechtzeitig, als ihr klar wurde, dass das etwas wäre, was dem Aelier durchaus zuzutrauen wäre – so wie sie ihn bisher kennen gelernt hatte. Dennoch bezweifelte sie, dass das Schriftstück tatsächlich von ihm war. Neugierig nahm sie es entgegen und faltete es gleich auseinander, und kaum dass sie den Absender gesehen hatte, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Faustus… Mit einem Kopfnicken entließ sie den Sklaven und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer, um den Brief ihres Bruders in Ruhe zu lesen. Mit einem Glas Fruchtsaft machte sie es sich auf einem der Korbstühle nahe am Fenster bequem, zog die Beine an und verkreuzte sie unter sich, und begann zu lesen.


    Schon bei den ersten Worten breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie war sich selbst nicht sicher gewesen, wie Faustus ihre Worte auffassen würde, ihr Geständnis, dass sie eigentlich eifersüchtig gewesen war… Aber vielleicht hatte er das auch gar nicht herausgelesen, immerhin hatte sie es so deutlich nicht geschrieben, dafür war sie dann doch zu feige gewesen. Oder zu stolz, zu eigensinnig? Sie wusste es nicht. Die Gefühle, die sie damals gehabt hatte, waren jedenfalls nichts worauf sie stolz war, und sie hatte es nicht über sich gebracht, das zu Papier zu bringen. Aber wenn er erst einmal hier war… konnte sie es ihm ja immer noch sagen. Wenn sie jemand verstehen würde, dann ihr kleiner Bruder. Das Lächeln blieb auf ihrem Gesicht, während sie den Brief weiterlas, seine Erzählung, wie es ihm ergangen war. Er hatte versucht auf eigenen Beinen zu stehen. Nur als ich selbst… Wie gut konnte sie ihn verstehen, hatte ihn damals schon verstanden. Losgelöst von der Familie, von dem Namen, von der Verantwortung und den Erwartungen, die an einen gestellt wurden – wobei sie zugeben musste, dass ihre Mutter die Brüder immer mehr unter Druck gesetzt hatte, so sehr hatte sie sich gewünscht, dass sie das Erbe ihres Vaters antraten und aus ihnen Soldaten wurden. Seiana verstand nach wie vor nicht ganz, warum ausgerechnet das einer der Herzenswünsche ihrer Mutter gewesen war, aber sie hatte gesehen, wie sehr die Enttäuschung ihr zugesetzt hatte, vor allem in den letzten Lebensjahren.


    Weiter las sie, konnte sich nicht helfen als eine Augenbraue hochzuziehen, als Faustus davon schrieb, dass er Hilfe gebraucht hatte – er schien nichts davon zu wissen, dass ihre Mutter jemanden auf ihn angesetzt hatte, der recht genau davon zu berichten gewusst hatte, wie es Faustus ergangen war. Und weiter ging es, auf ihrem Gesicht deutlich die Emotionen zu lesen, wie sie nachdenklich wurde als er vom Tod sprach, dann wieder schmunzelte, wie sich ihre Augen überrascht weiteten bei dem Satz, dass die Legion nach Hause kommen würde, und schließlich ein breites Grinsen während seiner Beschreibungen von Antiochia. Noch breiter wurde es beim nächsten Teil, als er seine Vorzüge als Soldat herausstellte, die sie in Zweifel gezogen hatte, gleichzeitig aber sein Glück hervorhob… Sie trank erneut einen Schluck und veränderte ihre Sitzposition, stellte einen Fuß vor sich auf und legte ihr Kinn auf das Knie, während ihre Augen schon wieder über das Pergament flogen. Jetzt kam zum ersten Mal ein Laut über ihre Lippen, ein Laut der Empörung, während sie rot wurde und in Gedanken grübelte, was sie Faustus genau über den Aelier geschrieben hatte. Doch nichts, was ihren Bruder zu diesen Sätzen veranlassen könnte? „Von wegen Köpfe verdrehen. Wart nur bis du nach Hause kommst, dann wirst du schon sehen, dass ich immer noch jemanden verdreschen kann, wenn du mir dann auch mit solchen Sprüchen kommst…“ Jetzt grinste sie wieder, eine Spur verlegen noch, aber die Freude über die gegenseitigen Neckereien – auch wenn sie nicht direkt ausgetauscht werden konnten –, war doch wesentlich größer. Der Rest des Briefes war schnell gelesen, und als Seiana das Ende erreicht hatte, streckte sie ihr angewinkeltes Bein aus, zog das andere an und begann von vorn.

    Seiana hatte die letzten Stunden größtenteils damit verbracht, bei den Vorbereitungen für den Empfang mitzuhelfen. In ihrer Zeit bei ihrer Großtante hatte Seiana einige Erfahrung sammeln können, was Organisation und Durchführung solcher Veranstaltungen betraf, aber wieder zurück in Tarraco hatte sie selten Gelegenheit dazu gehabt, dies zu verfeinern. Ihre Mutter hatte selten Gäste eingeladen, und erst hier, in Rom, stellte Seiana erneut fest, dass es ihr Spaß machte, zu organisieren. Sie hoffte nur, dass sie nicht zu viel an sich riss, aber sie hatte den Eindruck gehabt, dass Severa eher erleichtert war jemanden zu haben, der ihr half. Allerdings hatte das wiederum den Nachteil, dass Seiana herzlich wenig Zeit übrig geblieben war, um sich selbst herzurichten, und auch wenn sie nicht sonderlich eitel war, hatte sie doch den Anspruch an sich selbst, gut auszusehen, gerade an einem Abend wie heute.


    Mit Elenas tatkräftiger Hilfe und der von zwei weiteren Sklavinnen war es ihr aber gelungen, sich recht schnell fertig zu machen. Sie trug ein Kleid, das – passend zur Aurata – in einem zarten Gelbton gehalten war, mit ockerfarbenen Verzierungen an den Säumen, und ihre Haare fielen, nur seitlich von zwei Spangen gehalten, offen über ihren Rücken. Für eine komplizierte Hochsteckfrisur, die Elena eigentlich noch anfertigen wollte, hatte dann doch die Zeit gefehlt, aber Seiana mochte es ohnehin lieber, wenn sie kein Gebilde auf dem Kopf trug, das bei jeder unvorsichtigen Bewegung auseinander zu fallen drohte. So betrat Seiana zwar ebenfalls etwas später den Raum, aber doch nicht zu spät, jedenfalls kam sie gerade rechtzeitig, als ihr Onkel sein Glas erhob und vor den bereits versammelten Gästen einen Trinkspruch auf die Aurata ausbrachte. Einen Becher in der Hand, gesellte sie sich zu der Gruppe, von denen sie außer den Mitgliedern ihrer Familie keinen kannte, und hob ebenfalls ihr Glas. „Salvete“, begrüßte sie die Anwesenden und stellte sich vor: „Ich bin Decima Seiana – verzeiht bitte meine Verspätung, aber ich wollte dem Anlass angemessen erscheinen…“ Vor allem ihre Frisur zeugte eher davon, dass sie vergleichsweise wenig Zeit in ihr Aussehen investiert hatte, aber man probierte ja immer herum, und davon abgesehen spielte das für einen Scherz ohnehin keine Rolle. Mit einem verschmitzten Lächeln prostete sie anschließend den beiden anderen Frauen zu. „Ich hoffe nicht, dass die Aurata auf Glück angewiesen sein wird, um zu gewinnen. Sollte Fortuna jedoch wirklich Hilfe benötigen, kann sie auf uns zählen, nicht wahr?“

    Caius’ Grinsen zeigte, dass er ihre Kindheit keineswegs vergessen hatte und ebenfalls daran zurückdenken musste, aber sein Gesichtsausdruck änderte sich bald, wurde immer nachdenklicher, schließlich wehmütig und traurig. Seiana wusste sofort, wohin ihn seine Gedanken getragen hatten – es war nicht schwer zu erraten, für keinen, der ihre Familie näher kannte, für sie, die in derselben Situation war, erst recht nicht. Sie hätte nicht das Wort hören zu brauchen, das er schließlich sagte, um Gewissheit zu erlangen. Seiana spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog, als sich auch in ihr der Schmerz wieder rührte, aber obwohl ihr Gesicht ihre Trauer zeigte, drängte sie den Schmerz zurück. Sie hatte ihn immer zurückgedrängt, wenn andere zugegen waren, hatte ihm nur nachgegeben, wenn sie alleine war, und selbst dann nicht wirklich.


    Seiana wollte dem Schmerz nicht nachgeben, konnte, durfte es nicht tun. Sie wurde gebraucht. Seit ihre Mutter so krank geworden war, hatte es immer etwas gegeben, was sie tun musste, immer jemanden, um den sie sich hatte kümmern müssen. Und sie hatte versucht, alles zu bewältigen, stark zu sein, da zu sein. Sie hatte ihre Mutter versorgt, hatte Aufregungen von ihr fern gehalten, hatte sich um das Haus gekümmert. Und sie war da gewesen, für Familie und Freunde, die Menschen, die ihrer Mutter nahe standen. Es war schwer gewesen, und Seiana hatte manches Mal nicht mehr gewusst, wo ihr der Kopf stand, aber wenn jemand zu ihr gekommen war und Trost gebraucht hatte, hatte sie sich Zeit genommen und Trost gespendet. Und so sehr es auch an ihren Kräften gezehrt hatte, wie viel lieber war ihr das doch gewesen als die Menschen, die kamen um oberflächlich ihr Beileid auszusprechen und erwarteten, dass sie ebenfalls da war, dass sie Worte der Aufmunterung fand, für Menschen, die ihre Mutter kaum gekannt hatten.


    Als ihr Bruder anfing zu weinen, gab es für Seiana also nur eine mögliche Reaktion. Sie erhob sich und ging zu ihm hinüber, um sich auf der Lehne seines Sessels niederzulassen, dann nahm sie ihn in den Arm und streichelte seine Haare. „Sssssch“, murmelte sie. Er brauchte jemanden, der ihn einfach nur hielt, der für ihn da war, und so hielt sie ihn und war einfach nur da.

    Seiana schüttelte leicht den Kopf, sagte aber nichts, weil die kleine Gruppe Sklaven bereits zurück ins Atrium gekommen war. Sie ging davon aus, dass der Parther etwas müde war, und er sah definitiv so aus als ob er fror, aber wenn Meridius mit ihm reden wollte, würde er sich noch etwas gedulden müssen. Während ihr Onkel zu dem Sklaven ging und ihn sich ansah, beantwortete sie seine Frage mit einem Nicken. „Ja. Elena und Marcus sollten ihm seine Unterkunft zeigen und sich anschließend darum kümmern, dass er etwas Anständiges zum Anziehen und etwas zu essen bekommt.“ Tsiáhar stand unterdessen da, ohne sich zu rühren oder etwas zu sagen, was auch nicht weiter verwunderlich war, verstand er doch laut Faustus’ Brief nichts von dem, was sie sagten. „Griechisch scheint er einigermaßen gut zu verstehen – mehr jedenfalls als nur ein paar Worte.“ Was Faustus geschrieben hatte – etwas Griechisch – konnte viel bedeuten in Bezug auf eine Sprache, es hätte auch heißen können, dass der Parther sich gerade mal vorstellen und vielleicht noch nach dem Weg fragen konnte, aber bereits Schwierigkeiten damit haben würde, die Antwort zu verstehen. Der kurze Wortwechsel gerade eben hatte aber gezeigt, dass seine Kenntnisse schon weit besser waren.

    Sim-Off:

    Sorry, dass es so lang gedauert hat diesmal... :(


    Der Parther hatte also tatsächlich keine Fragen mehr, aber Seiana ging davon aus, dass das möglicherweise noch kommen würde. Sie konnte sich vorstellen, dass er im Moment einfach müde war von der Reise – oder er einfach keine Lust hatte, sich mit einer Römerin zu unterhalten. Ohnehin war es besser, wenn Elena und die übrigen Sklaven im Haus sich Tsiáhars annahmen – Seiana hatte noch nie etwas dagegen gehabt, sich anfangs um neue Sklaven zu kümmern, aber es war besser, wenn sie sich gar nicht erst daran gewöhnten. Also nickte sie ihnen nur zu und sah ihnen hinterher, wie sich zur Tür am anderen Ende des Atriums bewegten.


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    Während Marcus noch einem anderen Sklaven winkte, sie zu begleiten, und den Parther mit einer Mischung aus Misstrauen und Vorsicht im Auge behielt, lief Elena an dessen Seite, und wo Seiana tatsächlich versucht hatte abzuschätzen, inwieweit sie dem neuen Sklaven vertrauen konnte – oder den eigenen, ihn im Schach zu halten –, dachte Elena kaum nach. Sie war ein fröhlicher Mensch, und Misstrauen anderen gegenüber lag ihr fern – unter den gegebenen Umständen verhielt sie sich wohl mehr als nur etwas leichtsinnig, aber das kam ihr meistens ohnehin erst dann in den Sinn, wenn es zu spät war. „Willst du wirklich, dass ich dir aufzähle, was wir hier alles bekommen? Das Essen ist hier ganz gut – nicht so gut wie das der Herren, natürlich, aber doch gut.“ Über seinen Tonfall machte sie sich kaum Gedanken, stattdessen musterte sie ihn neugierig von der Seite. „Und du kommst aus Parthia, ja? Was-“ In diesem Moment betrat der Senator das Atrium, und Elena unterbrach sich, als sie seine Stimme hörte, und warf einen Blick über die Schulter. „Oh. Ich glaube wir sollten doch besser noch etwas bleiben.“ Sie winkte Tsiáhar zu und ging wieder zurück, in die Mitte des Atriums, wo Meridius und Seiana warteten.


    Seiana hatte sich ebenfalls umgedreht, als sie Meridius’ Stimme gehört hatte. Sie lächelte ihrem Onkel zu. „Verzeih mir, Tsiáhar ist eben erst angekommen. Ich wollte dir noch Bescheid geben.“ Sie wollte die Sklaven gerade zurückwinken, als sie sah, dass Elena bereits kehrt gemacht hatte. „Faustus hat ihn hergeschickt, zusammen mit ein paar Sachen und diesem Brief.“ Seiana reichte Meridius die Pergamentrolle, die sie von dem Sklavenhändler bekommen hatte.



    An
    Decima Seiana
    Casa Decima Mercator
    Rom


    Liebe Schwester,
    mit diesem Brief liefern die Leute vom Sklavenhändler Thyrsus et Telestas hoffentlich, so wie sie's mir versprochen haben, einen Parther bei euch ab. Er heisst Tsiáhar, ist ein Reiter, und ich habe ihn selbst gefangengenommen. Da ich in der Legion keinen Sklaven halten darf, schicke ich ihn einfach mal Dir, bestimmt kann er Dir oder der Familie irgendwie nützlich sein, als Leibwächter oder einfach als exotische Zierde. Er spricht etwas griechisch (wenn er auch nicht gerade der Gesprächigste ist), und ist ein furchterregender Kämpfer mit dem Krummschwert. Die Waffe, die ich ihm abgenommen habe, schicke ich auch mal mit, und einen Satz parthischer Gewänder dazu, damit Du ihn auch in seiner natürlichen orientalischen Erscheinung sehen kannst. Natürlich ist er ein Barbar, gefährlich und ausserdem ziemlich stolz glaube ich, aber ich habe gar keinen Zweifel daran dass Du mit ihm fertig wirst.
    Vale!
    Faustus

    Seianas Lächeln hatte fast schon etwas Übermütiges. „Schnee… Nein, gesehen habe ich Schnee noch nicht. Kann daraus auch Kugeln formen und jemandem eine an den Kopf werfen?“ Das hatte sie zumindest früher mit Vorliebe gemacht, nicht mit Schnee, sondern mit einer Sand-Schlamm-Mischung – bei ihren Brüdern und den anderen Kindern, und hatte auch dementsprechend selbst Geschosse abbekommen. Ohne dass sie sich selbst bewusst darüber war, mochte ihr Grinsen wohl verraten, in welche Richtung ihre Gedanken gerade gingen – zumindest jedenfalls, dass es keine ganz harmlose war. „Wie Sand. Damit kann man jedenfalls auch Dinge nachbauen.“ Als sie Archias’ schelmisches Grinsen sah, wurde ihr bewusst, wohin ihre Gedanken gerade abgeschweift waren und dass ihr Grinsen womöglich mehr gezeigt hatte als gut, oder besser: schicklich war für eine junge Frau ihren Standes. Hatte er in ihrem Gesichtsausdruck lesen können, woran sie gerade gedacht hatte? Sie konnte kaum ahnen, was sein Grinsen ausgelöst hatte, und wieder überzog eine hauchzarte Röte ihre Wangen, während sie überlegte, ob sie ihm erklären sollte, dass sie bei weitem nicht mehr so frech war wie als junges Mädchen. Obwohl der Gedanke, mal wieder eine Schlammschlacht zu veranstalten, durchaus etwas Reizvolles hatte…


    „So bald schon?“ Seiana war selbst überrascht davon, dass sich fast so etwas wie Enttäuschung in ihr ausbreitete, als sie sein Abreisedatum hörte. Er wäre kaum hier aufgetaucht und hätte ihr die Bitte unterbreitet, ihr schreiben zu können, wenn er nicht bald abreisen würde, aber dennoch… Ebenfalls mit leiser Überraschung stellte sie fest, dass ihr seine Gesellschaft angenehm war.


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    „Ach, ich weiß was du meinst.“ Elena lächelte aufmunternd. „Wenn Seiana sich etwas in ihren Kopf gesetzt hat, dann lässt sie sich davon moistens auch nicht mehr abbringen. Du kannst dir den Mund fusselig reden, und es ist als ob sie’s gar nicht hören würde.“ Dann wieder ein Lachen, als sie sich Katanders nächste Worte hörte. Elena hatte mit dem Senator noch nichts zu tun gehabt und kannte ihn nicht, aber seine Reaktion konnte sie sich lebhaft vorstellen. Dazu das Bild, dass vor ihm ein Pferd saß… „Oooh, das kann ich mir vorstellen, wie er… Moment.“ Die Sklavin unterbrach sich, als ihr etwas an Katanders Worten auffiel. Diesmal runzelte sie leicht die Stirn, bevor sie ihre Augenbrauen hochzog. „Dein Herr war sogar schon beim Senator und hat ihn gefragt?“ Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte, aber letztlich schien es zu dem Aelier zu passen, von dem was sie bis jetzt selbst von ihm mitbekommen und von seinem Sklaven gehört hatte. „Also ich werd nichts sagen. Ich weiß nur nicht ob das auch für den Senator gilt… Hach, abwarten. Ich bin gespannt wie sie reagiert.“ Jetzt grinste Elena wieder spitzbübisch. Es dürfte tatsächlich spannend werden, das hautnah mitzubekommen. Sie musterte erneut die beiden vor sich. Sie kannte den Aelier nicht, aber sie kannte ihre Herrin, und sie sah, dass diese sich gerade wohl fühlte. „Jaaa… wenn sie’s nicht in den falschen Hals kriegt, also das mit den Heiratsplänen, sehen wir sicher öfter in Zukunft.“


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    Elena kicherte nur, als sie Archias’ und anschließend Katanders – nur für sie gemeinten – Kommentar hörte, während Seiana sich zusammen mit dem Aelier zu den beiden Sklaven umwandte. Als Archias dann antwortete, nickte sie leicht. „Das kann ich verstehen… auch wenn ich mich gern noch länger mit dir unterhalten hätte.“ Ihr Lächeln zeigte, dass es nicht nur eine höfliche Floskel war, die sie ihm zum Abschied sagte, sondern ernst gemeint war. „Dann wünsche ich dir eine gute Reise, und dass du wohlbehalten in Ägypten ankommst.“

    Seiana ging zu dem kleinen Beistelltischchen, auf dem zwei Krüge standen, einer gefüllt mit Wasser, einer mit Wein, und füllte für ihren Bruder und sich zwei Kelche – beide mit wesentlich mehr Wasser als Wein. Hernach trug sie die Becher zu Caius, der bereits in dem angebotenen Sessel Platz genommen hatte, reichte ihm einen davon und ließ sich ebenfalls nieder. Ihr Bruder betrachtete eingehend ihr Zimmer, und da er dadurch etwas abgelenkt schien, ließ sie ihm Zeit und nippte unterdessen an ihrem Getränk. Ein schelmisches Lächeln zupfte gleich darauf an ihrem Mundwinkel, als Caius’ endlich sprach. „Eine tolle Schwester? Gibt es ein Familienmitglied, von dem ich noch nichts weiß?“ Die Zeit in Rom tat ihr tatsächlich gut, wie sie feststellte. „Ich kann damit keinesfalls gemeint sein, es sei denn du hast vergessen, wie wir früher miteinander umgegangen sind.“ Ihre Augen begannen zu funkeln, als sie daran dachte – sie hatte selten eine Gelegenheit ausgelassen, ihre älteren Brüder zu ärgern, hatte es ausgiebig und gerne getan, auch wenn sie nur zu oft dann den Kürzeren gezogen hatte, weil sie einfach jünger war als sie. Aber letztlich waren es Streitereien von der Art gewesen, die Geschwister auf Dauer nur noch enger zusammenschweißte.


    Einen kurzen Moment noch bewahrte sie ihre gespielt-ernste Miene, die nur durch das gelegentliche Zucken ihrer Mundwinkel und das Funkeln in ihren Augen untergraben wurde, dann breitete sich das Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Ich habe mich gut hier eingelebt, ja. Dass unsere Familie uns so freundlich aufgenommen hat, hilft dabei natürlich, aber es ist auch schön, hier wieder etwas zu tun zu haben – ich versuche Severa zu unterstützen, wo es geht. Und Rom ist faszinierend… es gibt viel zu entdecken hier.“ Sie trank erneut einen Schluck. „Was ist mit dir?“

    Seiana entging nicht, dass sich der Parther im Atrium umsah, aber sie hielt nicht viel davon, voreilige Schlüsse zu ziehen. Sie war vorsichtig genug, um dem Sklaven, der das Paket mit dem Schwert hielt, einen Wink zu geben, woraufhin dieser mit den Sachen verschwand, aber im Übrigen sah sie noch keine Veranlassung, ihm wieder die Fesseln anzulegen oder nach einem der Leibwächter zu rufen. Sie behielt ihn nur aufmerksam im Blick und achtete auf seine Reaktionen.


    Auf ihre Worte hin nickte er nur, und ihre linke Augenbraue wanderte, hauptsächlich erstaunt, aber auch ein wenig spöttisch, nach oben. Verstehen konnte er sie also tatsächlich – aber sie hatte eigentlich angenommen, dass er Fragen haben würde. Sie war sich nicht ganz sicher, ob dem nicht so war, oder ob er einfach zu stolz war, sie zu stellen – dass er Angst hatte, was theoretisch eine dritte Möglichkeit gewesen wäre, bezweifelte sie dagegen stark. Ein Mann, der Angst hatte, sah anders aus. Für einen Moment überlegte sie, wie sie am besten mit ihm umgehen sollte. Währenddessen versuchten die Fragen nach Faustus’ Befinden sich wieder in den Vordergrund zu drängen, aber das ignorierte sie. Tsiáhars Ankunft und der Brief, der mit ihm zusammen gekommen war, mussten ihr vorerst Beweis genug sein, dass es Faustus immer noch gut ging.


    Den Ausschlag gab schließlich die Gänsehaut, die sich über seinen Oberkörper ausbreitete, und dass er sich bewegte, um in der Sonne stehen zu können. Er brauchte erst etwas anderes zum Anziehen sowie Essen und Trinken. Danach konnten sie sich immer noch unterhalten. „In Ordnung, Tsiáhar. Ich denke, es ist das Beste, wenn du erst einmal dein neues Zuhause kennen lernst. Marcus“, sie winkte den kräftigen Sklaven herbei, „und Elena werden dir alles zeigen und auch dafür sorgen, dass du etwas zu essen bekommst und wärmere Kleidung. Hast du jetzt noch fragen? Sonst würde ich vorschlagen, dass wir uns unterhalten wenn ihr fertig seid.“ Seiana nickte ihrer Leibsklavin zu. Alleine würde sie Elena nicht mit Tsiáhar los schicken, schon allein weil sich die Sklavin im Haus auch noch nicht so gut auskannte, aber dabei haben wollte sie sie in jedem Fall. Zum einen wusste sie nicht, wie es um Marcus’ Griechischkenntnisse bestellt war, zum anderen traute sie Elena eher zu, einen Zugang zu dem Parther zu finden. Sie selbst würde hier im Atrium warten, bis sie wieder kamen.

    Seiana war tatsächlich noch beschäftigt mit seiner Offenbarung. Nicht dass sie die Tatsache an sich überraschte, dass er sie mochte, denn dass er sie zumindest sympathisch fand, war doch einigermaßen offensichtlich – sonst wäre er wohl kaum zu Besuch gekommen, und auch nicht auf die Idee, ihr schreiben zu wollen. Nur dass er es so offen sagte, hatte sie überrascht und zugleich verlegen gemacht. Er musste sie schon sehr mögen, wenn er ihr das bei ihrem zweiten Treffen bereits sagte – aber vermutlich hatte auch eine Rolle gespielt, dass es zu einem weiteren Treffen kaum mehr kommen würde, jedenfalls nicht vor seiner Abreise. Seiana war verwirrt und wusste immer noch nicht recht, was sie davon halten oder dazu sagen sollte, aber gleichzeitig mochte sie es, dass er ehrlich war – manchmal ging es ihr gewaltig gegen den Strich, mit ihrer Meinung hinter dem Berg halten zu müssen, weil es sich einfach nicht gehörte, sie zu sagen, je nach den Umständen und je nachdem mit wem sie sprach. Dass der Aelier davon ebenfalls nicht so viel zu halten schien, gefiel ihr. Aber auch wenn sie nicht mehr von seinen vorigen Worten abgelenkt gewesen wäre, hätte sein folgender Kommentar sie nicht zum Grübeln gebracht – Seiana interpretierte selten mehr in Worte hinein als da war. Wenn ihr etwas seltsam vorkam, fragte sie in der Regel nach, aber im Übrigen war sie der Ansicht, dass Menschen sagen sollten, was sie sagen wollten, ohne kryptische Formulierungen zu wählen – und daher fasste sie nun auch seinen Kommentar so auf, wie er vermutlich gemeint war: als schlichte Feststellung. Ein Lächeln flog über ihre Züge. „Ausgehen? Ich denke du kannst dir sicher sein, dass ich im Winter in Germanien frieren werde. Schon allein weil ich diese Temperaturen überhaupt nicht gewöhnt bin.“


    Dass Archias nicht weiter auf ihre familiären Verhältnisse einging, dafür war Seiana dankbar. Sie verspürte im Moment keine große Lust, nun von ihrer Mutter zu sprechen, und wenn er mehr über ihre Familie wissen wollte, würde das Gespräch unweigerlich auch auf ihre Mutter kommen. Aber sie wollte nicht, dass Trübsinn aufkam, oder auch nur die Verlegenheit auf seiner Seite, nicht zu wissen, wie er reagieren sollte. Sie erwiderte seinen nachdenklichen Blick einen Moment, sah dann wieder durch den Garten, nur um gerade rechtzeitig wieder den Blick ihm zuzuwenden, um sein keckes Lächeln sehen zu können. Ohne etwas dagegen tun zu können, grinste sie zurück. „Ich freue mich schon darauf“, meinte sie, und sie stellte – fast schon selbst verblüfft – fest, dass es tatsächlich so war. Sie freute sich wirklich, Briefe von ihm zu bekommen, und das nicht nur wegen der hoffentlich spannenden Beschreibungen Ägyptens. „Wirklich“, fügte sie noch einmal mit Nachdruck und einem ehrlichen Lächeln hinzu, auch wenn sich das möglicherweise ebenso wenig schickte wie seine Offenbarung zuvor. „Wann wirst du denn abreisen?“


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    Elena lachte nur. „Wer weiß. Bisher hat sie jedenfalls noch nicht hochkant rausgeschmissen, und glaub mir, sie hätte keine Skrupel das zu tun, wenn er sich wirklich im Ton vergreifen sollte.“ Dann hielt sie verblüfft inne und starrte Katander mit offenem Mund an. „Bitte was? Heiraten?“ Einen Moment brauchte sie, um sich zu sammeln. „Von was reden wir hier? Wie kommst du auf hei…“ Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, und sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. „Meint ihr nicht, dass das ein bisschen früh ist?“
    Mit einem frechen Lächeln stellte sie fest, dass Katander es offenbar ziemlich peinlich war, was ihm da herausgerutscht war. „Vergessen? Das könnte dir so gefallen. Aber mach dir keine Sorgen, ich sag nix…“ Dann machte sie erneut große Augen, diesmal aber wesentlich kürzer, bevor erneut ein Lächeln ihr Gesicht zierte, diesmal ein gespielt verschämt-verführerisches. Katanders Ablenkung hatte funktioniert – Elena war sich darüber durchaus bewusst, aber es störte sie nicht. Wenn der Aelier vorhatte um die Hand ihrer Herrin anzuhalten, dann sollte er das tun. Auch wenn sie der Meinung war, dass es vielleicht ein bisschen früh war, um schon diesen Entschluss zu fassen… Aber offenbar hatte er ja vor, sie erst mal näher kennen zu lernen. Was für sie bedeutete, seinen Sklaven näher kennen lernen zu können. „Das würdest du? Tatsächlich?“ Das Lächeln wurde ein bisschen intensiver. „Würde mich freuen. Seiana lässt mich dir sicher antworten…“

    Seiana kannte sich inzwischen recht im Haus aus – sie hatte einige Zeit damit verbracht, die Gänge und Räume zu erkunden, die Menschen kennen zu lernen, sich mit den Abläufen vertraut zu machen… Sie wusste noch nicht genau, wie der Haushalt hier gehandhabt wurde, aber sie hatte begonnen sich einen Überblick zu verschaffen – und sie merkte bereits, dass es ihr gut tat, etwas zu tun zu haben, genauso wie die andere Umgebung. Sie beschäftigte sich gerade mit ein paar Schriftrollen, die der Maiordomus ihr gebracht hatte, als es an der Tür klopfte und sie die Stimme ihres Bruders hörte.


    Mit einem Lächeln ging sie zur Tür und öffnete sie. „Caius!“ Sie begrüßte ihren Bruder mit einer Umarmung und einem leichten Kuss auf der Wange. „Schön dich zu sehen – komm doch herein.“ Sie hielt ihm die Tür auf und wies auf zwei Korbstühle, die in der Nähe des Fensters standen. „Möchtest du etwas trinken?“

    Seiana war gerade in eine griechische Komödie vertieft, als ein Sklave an ihrer Tür klopfte und ihr meldete, dass sie im Atrium erwartet wurde, von einem Sklavenhändler. Verwundert runzelte sie die Stirn und fragte, ob er genaueres wisse, aber der Sklave verneinte das. Der Ianitor habe ihm nur gesagt, dass die Männer für sie da seien und einen Sklaven für sie hätten. Mit einem letzten fragenden Blick verließ Seiana gemeinsam mit Elena ihr Zimmer und ging ins Atrium, wo ein paar Männer auf sie warteten. Höflich begrüßten sie einander, dann überreichte ihr einer der Männer einen Brief. Während sie ihn rasch überflog, breitete sich ein Schmunzeln auf ihrem Gesicht aus. Faustus schickte ihr einen Sklaven, den er selbst gefangen hatte? Flüchtig sah sie zu dem Parther und fragte sich, wie der kleine Bruder, der Faustus in ihrer Erinnerung noch war, jemanden gefangen genommen haben könnte. Aber als Soldat konnte sie ihn sich ja auch nicht wirklich vorstellen… Der Rest des Briefes war typisch für Faustus. Exotische Zierde, natürliche orientalische Erscheinung und zu guter Letzt: ich habe gar keinen Zweifel daran dass Du mit ihm fertig wirst.


    Sie unterdrückte mit Mühe ein Grinsen und winkte dann einem der Sklaven zu, dass er das Paket nehmen solle, dass einer der Männer nach wie vor in den Händen hielt. „Ich danke dir. Vale“, meinte sie dann zu dem Sklaventreiber, der ihr den Brief gegeben hatte, und nickte ihm zum Abschied zu. Der machte einen etwas enttäuschten Eindruck, worauf Seiana allerdings nicht mehr weiter achtete. Während die Männer sich zurückzogen, wandte sie sich an den Parther, den sie gebracht hatten, und musterte ihn. Groß, kräftig – ein Reiter, hatte Faustus geschrieben, offenbar ein Krieger der parthischen Armee. Sie winkte Marcus herbei, den Namensvetter des Ianitors, jünger und wesentlich kräftiger als dieser, und bedeutete ihm, die Fesseln des Parthers abzunehmen. Angst hatte sie keine, es waren genug Sklaven im Atrium, um ihn zu ergreifen, sollte er irgendetwas Dummes versuchen. Aber ihr Magen zog sich dennoch zusammen, denn auf einmal wurde ihr bewusst, dass er noch vor gar nicht allzu langer Zeit ihren Bruder gesehen hatte. Fragen begannen ihr auf der Zunge zu brennen, Fragen nach Faustus, wo er war, wie es ihm ging… Aber sie beherrschte sich, noch jedenfalls. „Salve“, grüßte sie den Mann, dann wechselte sie ins Griechische. „Dein Name ist“, ein kurzer Blick auf den Brief, „Tsiáhar? Ich bin Decima Seiana, die Schwester von Decimus Serapio.“ Er würde vermutlich hungrig sein und müde, und sie würde dafür sorgen dass er bald bekam was er brauchte, aber zuvor wollte sie wenigstens kurz mit ihm sprechen und sich einen ersten Eindruck verschaffen.

    Seiana lächelte – nur leicht, denn immerhin waren sie aufgrund eines traurigen Anlasses zusammengekommen –, als sie Appius’ Worte hörte. Einen ordentlichen Beruf… Wer von ihrer Familie war denn tatsächlich für einen ordentlichen Beruf, ein ordentliches Leben geeignet? Caius vielleicht, aber auch bei ihm hatte Seiana ihre Zweifel. Im Grunde waren sie doch alle zu eigensinnig, um nicht irgendwie aus dem Rahmen zu fallen. Bei Appius’ nächstem Kommentar musste Seiana sich tatsächlich beherrschen, um nicht zu grinsen, und es gelang ihr auch – nur ihre Mundwinkel zuckten und deuteten ein Schmunzeln an, und mit gedämpfter Stimme antwortete sie. „So schüchtern zu sein steht dir nicht, Appius – ich habe dich anders in Erinnerung.“


    Als Caius das Wort ergriff, zog Seiana leicht eine Augenbraue nach oben. Gewiss hatte er recht, aber sie kannte ihn – er ließ selten eine Gelegenheit aus zu zeigen, dass er der Älteste war. Unter anderen Umständen hätte er einen entsprechende Antwort von ihr bekommen, aber in diesem Fall war es einfach nicht angemessen, so darauf zu reagieren, wie sie es normalerweise getan hätte. „Fortsetzen werden wir das auf jeden Fall. Wir haben uns, wie lange, zwei Jahre nicht gesehen? Oder ist es noch länger her inzwischen?“ Wusste Appius überhaupt vom Tod ihrer Mutter? Sie hatten nichts mehr von ihm gehört, seit er gegangen war, und soweit sie wusste, hatte er auch zum Rest der Familie keinen Kontakt mehr gehabt – aber davon würde er doch sicher erfahren haben… Ihr Blick schweifte über die versammelten Trauergäste, und sie nickte Iulia Severa zu. Sie hatte mit Meridius’ Frau bereits gesprochen, in den letzten Tagen, und es ging ihr nicht wirklich gut – dennoch wunderte es sie nicht, dass sie hier war und teilnehmen wollte an den Trauerfeierlichkeiten. Sie erinnerte sich an Caius’ Frage von zuvor. „Maximian habe ich kaum gekannt. Er war kurze Zeit in Tarraco, erinnerst du dich? Als seine Mutter ihm erzählte, dass Meridius sein leiblicher Vater sei, und er zu ihm geschickt wurde? Wenn ich mich richtig erinnere, sind sie aber recht bald darauf aus Tarraco weggegangen.“

    Nachdenklich lauschte Seiana den Worten des Flaviers. „Ich denke, jeder hat seine Pflicht zu tun – ob Patrizier oder nicht. Es ist nur bei jedem anders, wie diese Pflicht aussieht.“ Sie musterte weiter die Auslage, in der Hoffnung ein noch absurderes Stück zu finden. Seiana hatte eigentlich nicht vorgehabt, etwas zu kaufen, aber manche der Lampen sahen tatsächlich eigentlich schon wieder gut aus, gerade durch die seltsame Farm- und Formgebung. Sicher würden sie kaum den durchschnittlichen Geschmack der gehobenen Bevölkerung treffen – Seiana meinte ihre Mutter hören zu können, was sie immer sagte, wenn sie mit einem derartigen Stück nach Hause kam –, aber das interessierte sie in diesem Fall wenig. Man wusste wissen, wann man etwas auf die allgemeine Meinung geben musste und wann nicht.


    Grinsend wartete sie derweil ab, was der Aelier auf den Vorschlag Gemüse zu züchten erwidern würde, und sie stimmte in sein Lachen mit ein. Es gefiel ihr, dass die Unterhaltung recht locker verlief – nicht so steif, wie es sonst oft war, oder zumindest wie es für sie oft gewesen war in den letzten Monaten, weil die Menschen um sie herum nicht gewusst hatten, wie sie mit ihr umgehen sollten. Und Seiana hatte sich zu gut beherrscht, um einfach mal herauszubrüllen, dass sie um der Götter willen normal mit ihr reden und sie nicht wie ein rohes Ei behandeln sollten, auch wenn sie ihre Mutter verloren hatte. Die Menschen, die meinten derart vorsichtig sein zu müssen, konnten ihr ohnehin nicht helfen, und schon gar nicht auf diese Art. Sich jetzt so ungezwungen unterhalten zu können löste etwas in ihr. Es gefiel ihr auch, dass Archias auf den Spaß des Flaviers einging.


    „Ägypten klingt faszinierend. Es ist sicher eine Reise wert, egal wie weit ab es sein mag. Und dort eine Weile zu leben ist wird auch interessant sein.“ Seiana wurde unterbrochen, als der Händler endlich eine Lampe hervorkramte, die dem Geschmack des Flaviers zu entsprechen schien. Auf dessen Geheiß hin entzündete er sie, und tatsächlich, lediglich die oberen Enden der vier Arme, wo die Schälchen angebracht waren, begannen zu brennen. Währenddessen machte Lucanus eine Bemerkung, die Seiana mehr als reizvoll fand. Mit einem Funkeln in den Augenwinkeln und einem leichten Schmunzeln wiederholte sie: „Sich prügeln ist in Ordnung? Interessante Sichtweise.“ Ohne es zu wollen dachte sie an früher, an die diversen Streitereien, in die sie verwickelt gewesen war, die sie zum Teil sogar selbst vom Zaun gebrochen hatte… und die manches Mal auch in Handgreiflichkeiten ausgeartet waren. Ihr Schmunzeln wurde breiter. „Hat was.“

    Seiana seufzte lautlos, als Meridius verneinte, Genaueres zu wissen. Sie hasste die Ungewissheit, aber sie versuchte sich ihre Enttäuschung nicht zu sehr anmerken zu lassen. Sie würde, hoffentlich, noch früh genug erfahren, wie es Faustus ging. Und mit der Götter Hilfe würde er auch wohlbehalten wieder kommen. Sein Hinweis auf Lucilla brachte Seiana aber zum Lächeln. Lucilla… An sie konnte sie sich noch gut erinnern. Faustus und sie waren früher oft mit ihr zusammen unterwegs gewesen.


    „Danke. Ich hatte ohnehin vor, Lucilla zu besuchen – dann werde ich sie fragen, ob sie mehr weiß.“ Seiana lächelte müde und trank noch einen kleinen Schluck von dem Wein-Wasser-Gemisch. Sie fühlte sich erschöpft nach der langen Reise und begann sich nach einem Bad zu sehnen, und nach der Möglichkeit sich hinzulegen und auszuruhen. „Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber wenn es dir recht ist, würde ich mich jetzt gerne zurückziehen und etwas ausruhen. Die Reise war lang.“

    An Faustus Decimus Serapio
    Zweite Centurie, erste Kohorte der Legio Prima
    Parthia


    Lieber Faustus,


    danke für Deinen Brief – ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte zuerst zu schreiben… Ich weiß nicht einmal, was ich jetzt schreiben soll. Es gäbe so viel zu sagen, aber es aufs Papier zu bringen, ist schwer. Ich hab schon dreimal angefangen… kannst du dir das vorstellen? Wie auch immer… Ich möchte dass du weißt, dass ich nicht wütend auf dich bin. Das war ich nie… nur auf mich, und auf die Situation, die Umstände, aber dafür konntest du ja nichts, ich hab’s nur an dir ausgelassen, und das tut mir so leid. Ich hätte dir viel Glück wünschen sollen, anstatt wie Mutter mit dir zu streiten.
    Ja, Mutter… Sie hat es immer verborgen, oder zumindest versucht, aber es ging ihr schon lange nicht mehr wirklich gut. Ich hab versucht ihr zu helfen, aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man nicht mehr viel tun kann, so sehr man auch möchte – außer einfach da zu sein, und ihre Hand zu halten, und zu hoffen bei ihr zu sein, wenn die Götter sie endgültig zu sich rufen… Du weißt, dass ich auch immer Schwierigkeiten mit ihr hatte, aber geliebt habe ich sie trotzdem, so sehr… Und ich vermisse sie. Der einzige Trost ist, dass es ihr jetzt besser geht, davon bin ich überzeugt. Und ich, na ja, die ersten Monate nach ihrem Tod bin ich noch in Tarraco geblieben, aber es gab nicht viel zu tun für mich. Und die Bekannten, das Haus, das alles ist mir irgendwann einfach zu viel geworden. Zu viele Erinnerungen, zu viel Beileid, zu viele mitleidige Blicke – und ich selbst habe mich viel zu lange verkrochen. Also habe ich beschlossen, zu unserer Familie nach Rom zu ziehen, einfach um irgendetwas zu ändern, um wieder Bewegung in mein Leben zu bringen.
    Scaurus ist ebenfalls mitgekommen, und stell dir vor, Appius ist auch in Rom – ich weiß gar nicht mehr, wie lange ich schon nichts mehr von ihm gehört habe. War nur leider auch ein trauriger Anlass, der ihn wieder zu uns geführt hat – Maximian, der Sohn von Meridius ist gestorben, und gestern war die Trauerfeier. Appius ist gekommen, als er davon erfahren hat. Aber so traurig der Anlass auch war, es war doch schön ihn wiederzusehen. Ich soll dich von beiden grüßen.
    Sonst gibt es nicht viel zu erzählen – ich habe Rom schon ein wenig erkundet, zusammen mit Elena, und dabei einen Aelier kennen gelernt, der ein paar Tage später hier aufgekreuzt ist. Wir haben uns im Garten etwas unterhalten, er wird demnächst eine Stationarius in Ägypten – und er möchte mir schreiben. Weil er mich mag. Ich weiß nicht so recht was ich davon halten soll, muss ich gestehen (obwohl Elena immer dämlich zu grinsen anfängt, wenn die Sprache auf ihn kommt), aber sich zu schreiben kann ja grundsätzlich nicht schaden, also hab ich ja gesagt. Und ich muss sagen, ich freu mich schon drauf, Berichte aus Ägypten zu bekommen – zu lesen wie es dort ist, das Land, die Menschen, es muss dort so anders sein als hier, und das fasziniert mich einfach.


    Und du? Was du erzählst klingt einfach spannend, und ich würde Parthien gerne mal sehen… Aber ganz ehrlich? Ich kann mir dich nicht als Soldat vorstellen. Das konnte ich früher schon nicht, als Mutter ständig davon geredet hat. Das der Drill hart für dich war, das glaub ich gerne, aber das du jetzt so begeistert davon bist, hätte ich ja nicht unbedingt erwartet – du weißt wie ich das meine. Und jetzt bestehst du Schlachten, bekommst Auszeichnungen und wirst am Ende noch zum Kriegshelden… Ich bin gespannt auf das was du zu erzählen hast, wenn du wieder hier bist. Sieh nur zu, dass du lebendig wieder kommst, kleiner Bruder… Ich vermisse dich.


    Deine Seiana


    Sim-Off:

    Bitte von der Familienwertkarte abbuchen. Danke :)

    Seiana saß da und las den Brief ihres Bruders wohl schon zum hundertsten Mal. Ihr kleiner Bruder… hatte ihr geschrieben. Hatte sich sogar entschuldigt, für diesen Streit, der doch zu mindestens genauso großen Teilen auch ihre Schuld gewesen war. Seiana hatte den Kopf auf ihre Hände aufgestützt und die Finger in den Haaren vergraben. Sie musste ihm endlich antworten, aber was? Wie? Sie hätte so viel zu sagen, aber sobald sie Worte zu Papier brachte, schienen sie ihr so nichtig und leer zu sein, ohne jede Aussage… Entnervt stand sie auf und lief im Zimmer herum, bis sie sich schließlich doch wieder setzte. In einer Ecke des Tisches lagen drei zusammengeknüllte Entwürfe, die davon zeugten, dass dies einer der seltenen Momente war, in denen Seiana um Worte verlegen war. Aber es half nichts. Wenn sie noch länger wartete, würde Faustus den Eindruck bekommen, sie wollte ihm nicht antworten, sie wäre immer noch wütend auf ihn – und das stimmte ja nicht. Wenn es einen Menschen gab, auf den sie noch wütend war, dann war es sie selbst. Weil sie damals nicht in der Lage gewesen war, zu unterscheiden zwischen ihm und sich, und sich einfach für ihn zu freuen, dass er den Mut hatte seine Träume zu verwirklichen, oder es wenigstens zu versuchen…


    Mit einem Seufzen griff sie wieder nach der Schreibfeder und setzte erneut an. Lieber Faustus… Wieder war der Anfang holprig, und sie war unzufrieden, aber diesmal schrieb sie einfach weiter, und nach und nach hatte sie das Gefühl, Faustus fast sehen zu können, während sie ihm einfach erzählte, was ihr im Kopf herumging…


    Als sie fertig war, war sie immer noch nicht ganz zufrieden – aber sie wusste, dass sie nichts besseres zustande kriegen würde, und so schickte sie Elena mit dem Brief los.