Beiträge von Decima Seiana

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    Es dauerte ein bisschen, bis die Tür sich öffnete und der alte Marcus die Neuankömmlinge zurückhaltend begutachtete, die einen gefesselten Sklaven mit sich herumschleppten. Er hatte nichts davon gehört, dass ein Neuer gekauft worden war, aber er musterte ihn nur kurz, bevor er sich an den der Gruppe wandte, der augenscheinlich das Sagen hatte. "Was kann ich für dich tun?"

    Seiana erwiderte Caius’ Umarmung und machte auf seine Frage hin eine Bewegung, die irgendwo zwischen einem Nicken, einem Kopfschütteln und einem Achselzucken lag, kam aber nicht dazu zu antworten, da sich ihnen in diesem Moment noch jemand näherte. Überrascht erkannte sie Appius – er war vor einigen Monaten gegangen, und der Kontakt war eher spärlich gewesen in der Zwischenzeit. Umso mehr freute sie sich, ihn hier zu treffen. Mit einem leichten Lächeln wartete sie ab, bis ihre Brüder sich begrüßt hatten, und umarmte Appius dann ebenfalls. „Es ist schön, dich wohlauf zu sehen, Appius.“


    Ja, die Familie war jetzt fast vollständig… nur Faustus fehlte. Seianas Gedanken glitten zu dem Brief, den er ihr geschrieben hatte. Sie wusste gar nicht mehr, wie oft sie ihn schon gelesen hatte. Ihr kleiner Bruder… mit ihm hatte sie immer etwas Besonderes verbunden. Aber eine Antwort hatte sie noch nicht begonnen, sie war sich nicht sicher, was sie schreiben sollte, wie sie es schreiben sollte – und obwohl er jetzt im Grunde genau das tat, was ihre Mutter sich gewünscht hatte, verfluchte sie die Tatsache, dass er Soldat geworden war und jetzt irgendwo in Parthien steckte, jeden Tag Gefahr lief umgebracht zu werden und einfach viel zu weit weg war. „Ich soll euch Grüße von Faustus ausrichten – ich habe gestern einen Brief von ihm bekommen. Es geht ihm soweit gut.“

    Seiana musterte den Aelier von der Seite, als er von seinen Beweggründen sprach, nach Ägypten zu gehen. Dass er die Kälte in Germanien nicht gemocht hatte, konnte sie gut nachvollziehen – nicht dass es sie abhalten würde, dorthin zu reisen, sollte sich die Gelegenheit ergeben, aber sie würde den Sommer für eine derartige Reise nutzen. Und sich wohl kaum wirklich für länger dort aufhalten, wenn sie die Wahl hatte. Und seine Erklärungen Ägypten betreffend gefielen ihr – sofern er ehrlich war, und er machte auf sie den Eindruck als ob er es wäre. Darüber hinaus blieb die Tatsache, dass Ägypten ihrer Meinung nach kein Land war, in dem man ‚einfach so’ eine Stelle annahm – es war einfach etwas anderes als Spanien oder Griechenland, oder gar hier in Rom. Genauso wie Germanien war Ägypten eine Provinz, in die es einen nur für längere Zeit verschlug, wenn man Gründe dafür hatte, etwas anderes konnte Seiana sich kaum vorstellen. Sie nickte langsam. „Die Andersartigkeit… Das würde mich auch reizen. Sowohl an Ägypten als auch Germanien. Ich gehe davon aus, dass mir in Germanien kalt wäre, jedenfalls wenn ich im Winter dorthin reisen würde…“


    Überrascht sah sie Archias erneut von der Seite an bei seinen nächsten Worten. Die Antwort war recht schnell gekommen, aber außer einem leichten Zucken ihrer linken Augenbraue ließ sie sich nichts anmerken. Stattdessen beantwortete sie sein Zwinkern mit einem schwer zu deutenden Schmunzeln. „Tatsächlich? Gut zu wissen.“ Wohl wissend, dass sowohl dieser Kommentar als auch ihr Tonfall alles und nichts bedeuten konnte, ließ sie das Thema anschließend auf sich beruhen. Sie wusste selbst nicht so genau, was sie eigentlich meinte – ob sie einfach nur so dahin gesagt hatte, weil sie nicht unhöflich reagieren wollte, indem sie nichts oder etwas Abweisendes sagte, oder weil sie es tatsächlich gut fand zu wissen…
    Seine Antwort auf ihre nächste Frage trug nicht unbedingt dazu bei, dass die Röte in ihren Wangen verschwand. Er mochte sie? Ihr Briefe zu schreiben würde ihm die Abende versüßen? Seiana wich seinem Blick aus und musterte den Garten und den Weg vor sich. Sie verbiss sich ein erneutes ‚Warum’, obwohl ihr genau das auf der Zunge lag. „Nun…“ Seiana fuhr sich kurz mit der Zungenspitze über die Lippen und wusste – was selten genug vorkam – nicht genau, wie sie reagieren sollte. „Das freut mich. Und es wird mir sicherlich ebenso gehen.“ Anschließend sah sie ihn überrascht an. „Meridius? Er ist ein Cousin meines Vaters – früher hat er ebenfalls in Tarraco gewohnt, aber das ist schon eine Zeitlang her. Ich habe ihn im Grunde erst hier wirklich kennen gelernt.“


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    Elena nickte nachdenklich. „Nein, die letzte Zeit war nicht einfach. Aber sie grübelt einfach zu viel, meiner Meinung nach.“ Dann grinste sie leicht. „Nun ja, selbst wenn er eine Dummheit macht… Vielleicht kriegt er ja trotzdem die Kurve. Auf jeden Fall lenkt er sie ab, das ist schon etwas. Und wenn du für den Rest sorgst…“ Die Sklavin lachte leise. „Wird schon werden.“


    Als Katander über sich und seinen Herrn erzählte, breitete sich auf Elenas Gesicht wieder ein Grinsen aus. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was er meinte. „So hab ich euch beide bisher auch erlebt, muss ich sagen. Na ja… Die Tage in denen meine Herrin mich verteidigen oder aus einem Schlamassel holen musste sind vorbei. Größtenteils jedenfalls.“ Wieder ein Lachen. „Impulsiv sind wir beide, würde ich sagen, da geben wir uns nicht viel. Aber sie… Sie konnte sich schon immer besser durchsetzen als ich. Was auch ganz gut so ist, wenn man bedenkt, dass sie die Herrin ist.“ Sie zuckte leicht die Achseln – sie hatte kein Problem mit ihrem Dasein als Sklavin, kannte sie doch einfach nichts anderes. „Oh, dass wir hier sind hängt nicht mit dem Krieg zusammen. Sie wollte fort aus Tarraco, was auch sinnvoll war, dort sind einfach zu viele Erinnerungen. Wir werden hier bleiben, vorerst, unabhängig vom Krieg.“

    Seiana hatte Maximian kaum gekannt, war er doch erst mit 16 nach Tarraco gekommen und später dann nach Rom gegangen. Dennoch war es selbstverständlich, dass sie ebenso wie der Rest der Familie ihm die letzte Ehre erwies. Ein etwas mulmiges Gefühl machte sich dennoch in ihrem Magen breit, weil sie an das letzte Mal denken musste, wo sie von einer Toten Abschied genommen hatte, aber sie bemühte sich tapfer, die Gedanken an ihre Mutter zu verdrängen. Der heutige Tag gehörte Maximian und seinem Gedenken. Sie wusste nicht genau, woran ihr Verwandter gestorben war. Sicher hatte es Gerede gegeben unter den Sklaven, von denen ihr Elena erzählt hatte – und Elena war großartig darin, jedes noch so kleine, noch so absurdeste Gerücht herauszufinden. Manchmal glaubte Seiana, dass es niemanden gab, dem Elena nicht irgendwie das herauskitzeln konnte, was sie wissen wollte. Aber sie – beide – wussten auch, wie wenig man sich auf den Wahrheitsgehalt dieses Geredes verlassen konnte, und letztlich war es auch nicht wichtig. Maximian war tot, und seine Eltern, und mit ihnen der Rest der Familie, trauerten um ihn.


    Gefolgt von ihrer Leibsklavin betrat Seiana das Atrium. Mit einem Nicken begrüßte sie die, die sie inzwischen kannte, sah ihren Bruder bei den Eltern des Toten und Mattiacus, und gesellte sich ebenfalls zu der Gruppe, während Elena zu einer kleinen Gruppe von Sklaven ging, die ebenfalls anwesend waren. Wieder nur ein stilles Nicken als Gruß – sie hätte nicht gewusst, was sie in dieser Situation hätte sagen sollen. Aber sie hoffte, dass Severa und Meridius durch Anwesenheit der Verwandten etwas Kraft ziehen konnten und die Unterstützung bekamen, die sie brauchten.

    „Zufall?“ Seiana war sich nicht so ganz sicher, was sie davon halten sollte. War es ihm egal gewesen, wo er eine Stelle bekam, und hatte einfach irgendeine genommen? War es ein glücklicher Zufall gewesen, weil ihn sonst keiner hatte haben wollen? Oder war er einfach auf der Suche nach einer Herausforderung gewesen, und dann hatte ihm jemand von der freien Stelle in Ägypten erzählt… „Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand nur auf Grund eines Zufalls nach Ägypten geht. Vielleicht war das der Auslöser, aber… Ägypten ist doch zu weit weg, zu anders, um aus einer Laune heraus hinzugehen. Für dich muss doch von vornherein klar gewesen sein, dass du nicht hier, oder wenigstens in Italia, bleiben würdest, oder? Was reizt dich daran?“ Sicher bedeutete Ägypten auch Karrieremöglichkeiten. Seiana konnte sich vorstellen, dass es dort möglicherweise einfacher war aufzusteigen als hier in Rom. Und in einem Land, dass trotz der Romanisierung immer noch so anders war als die Heimat, war auch nicht jeder dazu in der Lage unter Beweis zu stellen, was er konnte. Aber vielleicht ging es ihm ja auch einfach nur wie ihr, vielleicht spürte er auch diese unterschwellige Sehnsucht, jedes Mal wenn er von fernen Ländern hörte oder las…


    Bei seiner Frage schüttelte Seiana den Kopf. „Nein, ich war noch nie in Germanien. Aber es klingt interessant… Nun, die Kälte vielleicht nicht unbedingt, aber das Land selbst. Ich würde gerne mal hinreisen und es kennen lernen.“ Genauso wie viele andere Länder. Aber auch wenn sie jetzt in Rom war, unabhängig, blieb doch die Frage, was möglich war für sie. Davon abgesehen war sie ja erst vor kurzem angekommen, und allein in dieser Stadt gab es unzählige Dinge zu sehen, zu entdecken – in diesem Moment nahm sie sich vor, das auch zu tun. Sie würde nicht nur zu Hause herumsitzen und die Tage einfach so verstreichen lassen oder versuchen, mit sinnlosen Beschäftigungen die Zeit totzuschlagen. Sie lächelte den Aelier an, und auf Grund ihrer Gedanken in diesem Moment war es ein offeneres Lächeln als bisher. „Es ehrt dich, dass du dich nicht nur auf dem Namen deiner Familie ausruhen willst. Das tun zu viele, denke ich… Und ich kann verstehen, dass du selbst etwas erreichen möchtest, das würde mir genau so gehen.“


    Dann kam Archias endlich auf den Punkt zu sprechen, weswegen er offenbar hier war – konnte es aber nicht lassen, sie dabei ein weiteres Mal auf die Folter zu spannen, indem er noch zögerte. Seiana musterte ihn gespannt und hätte am liebsten noch einmal gefragt, aber sie beherrschte sich. Und als sie dann endlich hörte, was er sie fragen wollte, zog sie überrascht die Augenbrauen hoch. „Du… willst mir schreiben? Warum?“ Die Frage rutschte ihr heraus, bevor sie wirklich darüber nachdenken konnte. Im nächsten Moment überzog eine hauchzarte Röte, kaum erkennbar, ihre Wangen. „Natürlich, wenn du… wenn du mir schreiben möchtest. Ich… würde mich über Briefe freuen.“ Sie ließ offen, ob über Briefe allgemein oder speziell von ihm. Sie wusste es ja selbst nicht, und sie wusste auch nicht so recht, was sie von seiner Anfrage halten sollte. Warum sollte er ihr schreiben wollen?


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    „Hmmm.“ Elena überlegte. Seiana würde ihr den Kopf abreißen, wenn sie erfuhr, dass sie über sie redete. Aber die Sklavin ging nicht davon aus, dass Katander tratschen würde – höchstens mit seinem Herrn würde er reden, und wenn dieser klug war, würde er nicht zu erkennen geben, was er von Seiana wusste, bis sie selbst beschloss es ihm zu sagen. „Ihre Mutter ist im letzten Frühjahr gestorben. Seitdem ist sie… nun ja, ihre Lebensfreude ist irgendwie… nicht verloren, hoffe ich wenigstens, aber offenbar auf einer sehr langen Reise. Und ihr jüngster Bruder ist zur Zeit in Parthien. Mit ihm hat sie sich gestritten, als er vor zwei Jahren weg ist, aber sie war immer vernarrt in ihn, und sie macht sich große Sorgen, dass ihm was passieren könnte. Hm. Vielleicht solltest du deinen Herrn das doch besser selbst rausfinden lassen. Aber du kennst ihn besser.“ Danach grinste sie wieder spitzbübisch. „Bemerkungen, so? Jaaa, wäre vermutlich angebracht. Alleine kommt sie nicht drauf.“


    Interessiert hörte sie anschließend, wie Katander von sich erzählte. „Meine Eltern waren auch Sklaven, aber sie waren bei einer anderen Familie, die mit den Decimern befreundet waren. Sie sind gestorben, als ich zehn war – sonst gab es in dem Haushalt kaum jemanden, der sich um mich hätte kümmern können, und auch keine anderen Kinder, also hielt es mein damaliger Herr für das Beste, mich wegzugeben. Dass ich es bei den Decimern gut haben würde, wusste er. Und zumindest Kinder gab es dort genug. Seiana war elf, damals, und sie hat mich gleich unter ihre Fittiche genommen.“ Elena lachte wieder, als sie an diese Zeit dachte. Kindern – nicht allen, aber doch vielen – waren Standesunterschiede meistens egal. Und Seiana hatte ein Faible dafür gehabt, Schwächere zu beschützen, wobei sich Elena ziemlich sicher war, dass sie das auch getan hatte, damit sie sich mit anderen anlegen konnte, notfalls auch handgreiflich. Wenn ihre Mutter sie zur Rede gestellt hatte deswegen, hatte sie zumindest immer einen triftigen Grund gehabt, warum sie sich ausgerechnet mit diesem Jungen gestritten hatte.


    Seiana erwiderte Meridius’ Lächeln und drückte noch einmal kurz seine Hand, bevor sie ihre wieder wegnahm. „Ich helfe ihr gerne – sowohl bei den alltäglichen Aufgaben als auch, indem ich ihr Gesellschaft leiste“, bekräftigte sie ihr Angebot. Jetzt noch viel mehr, da sie wusste, dass die Iulia sich offenbar auch körperlich nicht wohl fühlte. Und ihr selbst würde es ebenfalls gut tun, wenn sie gleich etwas zu tun hätte – es musste nur genug sein, dass sie hier nicht so weiter machte wie sie in Tarraco aufgehört hatte. Und wenn sie Meridius’ Gemahlin dabei helfen konnte, wirklich helfen, umso besser. Für sie stand jedenfalls fest, dass sie sich alle Mühe geben würde – diese gedankliche Zusicherung an sich selbst fühlte sich fast so an, als ob sie versprach, sich endlich selbst zu helfen.


    „Ich bin überzeugt, dass Rom ein Zuhause für mich wird. Schon allein wegen des Willkommens hier.“ Seiana lächelte erneut, dann presste sie kurz die Lippen aufeinander. Eine Frage brannte ihr auf der Zunge, aber sie war sich nicht sicher, ob sie sie wirklich stellen sollte. Ob sie sie stellen wollte. Aber es wäre lächerlich, es nicht zu tun, schon allein weil Meridius sich vermutlich wundern würde, wenn sie gar nichts sagte… „Sag… weißt du genaueres von Faustus?“ brachte sie schließlich doch hervor. Sie wusste nicht, inwiefern Meridius aufgeklärt war über die Umstände, unter denen ihr Bruder gegangen war, dass es Streit gegeben hatte, nicht nur mit ihrer Mutter, auch mit ihr… und dass sie seitdem nichts mehr von ihm gehört hatte, nicht direkt jedenfalls, sondern immer nur über Umwege, über Boten, die ihre Mutter losgeschickt hatte, um Informationen zu sammeln. Aber für den Fall dass er nicht wusste, wie es zwischen ihr und ihrem Bruder stand, formulierte sie es lieber vorsichtig. „Es ist schwer… an Neuigkeiten zu kommen. Aus dem Kriegsgebiet.“

    Sie gingen weiter das Peristyl entlang, bis Seiana sich schließlich zum Garten hin wandte. Sie musste ein Schmunzeln unterdrücken, als sie die nächsten Worte des Aeliers hörte, mit denen er ihr sowohl verriet wo er herkam als auch wo er hingehen würde. Ägypten… Ob sie irgendwann mal nach Ägypten kommen würde? Überhaupt die Gelegenheit haben würde, ferne Länder zu bereisen? Ihre Gedanken schweiften kurz nach Parthien, wo ihr Bruder war, aber sie konzentrierte sich sofort wieder auf ihren Gesprächspartner und musterte ihn von der Seite. „Was bringt dich dazu, ausgerechnet nach Ägypten zu gehen? Verbindet dich mit dieser Provinz etwas? Oder ist es die Neugier auf das Fremde?“ Sie ging jedenfalls davon aus, dass er die Freiheit gehabt hatte selbst zu entscheiden, wo er hin wollte – jedenfalls hatte er auf dem Markt ganz danach geklungen. Anschließend zog sie leicht eine Augenbraue nach oben – er war also tatsächlich aus einem bestimmten Grund hier, wegen ihr. Aber was das mit seiner neuen Stelle in Ägypten zu tun haben könnte, war ihr unklar, und es überraschte sie auch etwas. Ganz konnte sie ihre Verblüffung nicht verbergen, und ihre Neugier ebenfalls nicht – nicht mehr. Sie warf kurz einen Blick nach hinten, als sie Elenas klares Lachen hörte, dann wandte sie sich wieder Archias zu. „Du hast eine Frage, die mit Ägypten zusammenhängt? Oder deinem Umzug dorthin?“ Seiana rief sich innerlich selbst etwas zurück – und in Erinnerung, wer sie war und dass sie den Mann kaum kannte. Ihn einfach zu fragen, was er denn wollte, reichte vollauf. „Was für eine Frage denn?“


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    Elena beobachtete ihre Herrin und deren Besucher, aus einigem Abstand, versteht sich. Der Nachteil war, dass sie nicht so gut verstehen konnte, was die beiden besprachen. Und sie war überzeugt davon, dass sie es eigentlich wissen sollte, weil ihre Herrin ihren Ratschlag brauchen würde. Der Vorteil war – sie konnte sich in Ruhe Katander widmen. Ohne dass ihre Herrin mitbekam, was sie tat oder sagte. Und da sich die Decima und der Aelier in normaler Lautstärke unterhielten, während sie selbst und der Sklave bewusst leise sprachen, bekam sie von der Unterhaltung der beiden auch das Wichtigste mit. „Verhaspeln? Macht er das öfter?“ Nicht dass es sie wirklich überraschte, so wie sie Archias bisher erlebt hatte. Elena grinste. „Hm. Ich glaube sie weiß noch nicht, was sie von ihm hält. Und ob sie’s gemerkt hat… nein. Definitiv nicht. Ich schon, aber sie? Sie hat im Moment zu viel andere Sachen im Kopf. Aber er lenkt sie ab, und ich denke dass gefällt ihr.“ Im nächsten Moment lachte sie auf, als sie Katanders treffende Beschreibung hörte, nur um bei Seianas Blick die Hand vor den Mund zu halten und verhalten weiter zu kichern. „Also so schlimm ist es auch nicht“, wisperte sie und legte leicht den Kopf schief. „Na ja… vielleicht doch. Wie lange bist du schon bei ihm?“

    „Ja, Tarraco. Flavius Furianus kenne ich aus Erzählungen, aber ich habe weder ihn noch sonst jemanden aus der flavischen Familie getroffen.“ Seiana grinste, als der Blick des Flaviers auf die Lampe fiel und er tatsächlich rot wurde. „Ich weiß nicht, ob du an diesem Stand etwas schlichtes finden wirst… Vierflammig ja“, Seianas Augen richteten sich kurz auf eine weitere Lampe, tatsächlich mit vier Armen, die aber aus einem ähnlich geformten Körper kamen – jedenfalls der obere Teil schien einer Frau zu ähneln, der untere war… ja, was eigentlich? Seiana konnte nicht ganz entscheiden, ob es eher Ähnlichkeit mit Wurzeln besaß oder mit einem Tintenfisch. Die Farbe war von einem merkwürdigen rotviolett, durchzogen von bräunlichen Schlieren. Alles in allem seltsam. „Vierflammig ja, aber schlicht…“ Sie lachte leise, was ihr einen sowohl verwunderten wie erfreuten Blick von Elena eintrug, den sie zwar sah, aber nicht kommentierte. Stattdessen musste sie sich bemühen, nicht noch mehr zu lachen, als der Händler vorführte, wie die erste Lampe konkret zu gebrauchen war. Sie wusste gar nicht, worüber sie sich mehr amüsierte – über die Absurdität der Lampe oder die offensichtliche Verlegenheit der beiden Männer. Aber sie hatte sich, im Gegensatz zu Elena und dem Sklaven des Aeliers, genug unter Kontrolle, um sich diesmal nicht mehr als ein Grinsen zu erlauben. Allerdings konnte sie sich nicht verkneifen, etwas dazu zu sagen. „Ich finde, die Lampe bekommt dadurch tatsächlich… fast schon so etwas wie Charakter. Und wenn sie brennt, fällt die Farbe gar nicht so sehr auf.“ Ihr Tonfall war unschuldig und fast schon honigsüß, während sie in sich hineinlachte. Was hatten die beiden Männer denn erwartet, bei so einer Lampe?


    Was machte sie sonst noch so? Seiana fielen auf Anhieb einige Kommentare ein. Eine Lampe betrachten, die ein gewisser Aelier bis gerade eben noch großartig gefunden hatte, im Moment. Aber Sticheleien dieser Art hatte sie früher machen können – heute höchstens noch bei ihren Brüdern. Stattdessen wartete sie, was der Flavier meinte, und sah ihn verständnisvoll an. „Ich weiß was du meinst. Man kann nicht immer das tun, wonach einem der Sinn steht… Jeder Mensch hat eine gewisse Verantwortung, ob er möchte oder nicht.“ War sie deswegen zu Hause geblieben, die ganze Zeit? Weil sie eine Aufgabe gehabt hatte? Oder hatte sie sich einfach nicht getraut… Natürlich hatte sie ihre Mutter nicht alleine lassen wollen, aber je mehr Zeit verging, desto mehr kam Seiana an den Punkt, an dem sie sich eingestehen musste, dass sie auch Angst gehabt hatte. „Man muss versuchen, einen Mittelweg zu finden, denke ich – zwischen dem was erwartet wird, was man von sich selbst erwartet, und dem was man wirklich möchte.“

    Seiana schenkte dem Aelier ein Lächeln, das ebenso höflich wie das seine war. Was er sagte trug nicht dazu bei, dass sie sich darüber klar wurde, was er hier wollte – aber sie würde nicht nachbohren, nicht direkt jedenfalls, so neugierig sie auch sein mochte. Lediglich ihr Blick und die Augenbrauen, die leicht nach oben wanderten, ließen darauf schließen, dass sie sich gerade einen dementsprechende Frage verbiss. „Danke, ich… befinde mich wohl, ja.“ Eine etwas seltsame Formulierung, fand sie, aber nun ja. Wohl befand sie sich – sie hatte sich inzwischen eingewöhnt, so gut es ging, sie bemühte sich nicht nur, wieder offener zu werden, sondern es gelang ihr auch immer öfter, und ihre Familie tat alles, um ihr das Gefühl zu geben willkommen zu sein. Obwohl sie immer noch ihre Tiefs hatte, lief es doch im Wesentlichen besser, als sie noch vor ein paar Wochen erwartet hatte.


    Als Aelius Archias ihr Angebot ablehnte, trat Elena wieder einen Schritt zurück, zu Katander, über dessen Gesichtsausdruck sie grinsen musste. Als sie sicher war, dass ihre Herrin und der Aelier nicht hersahen, knuffte sie ihm leicht ihren Ellenbogen in die Seite und zwinkerte. „Also sooo schlecht macht er sich doch gar nicht. Das mit der Lampe, jaaa, das war… wobei, das war lustig…“ Elena grinste breit.


    Seiana unterdessen nickte. „Ein Spaziergang wäre schön, ja.“ Während dem sie hoffentlich erfahren würde, was der Aelier überhaupt hier wollte. War er zufällig vorbei gekommen? Hatte er etwas anderes hier im Haus zu tun gehabt und hatte einfach die Gelegenheit genutzt, hallo zu sagen? Oder war er tatsächlich wegen ihr hier? Die Fragen brannten ihr auf der Zunge, aber sie konnte und wollte sie nicht stellen – hatte im Moment aber auch keine Idee, wie sie das Gespräch so darauf lenken konnte, dass es nicht so aussah, als wäre sie neugierig. Was sie aber, zu ihrer eigenen Überraschung, war. Und es half nichts, dass der Herr sich im Moment noch in Schweigen hüllte, was seinen Besuchsgrund anging. Nicht mal ein Hinweis… Seiana lächelte freundlich, während sie den Säulengang entlang schlenderten. „Wie geht es dir? Hast du inzwischen noch ein paar hübsche Geschenke für deine Verwandten gefunden?“ Ihr Gesicht blieb bemerkenswert neutral bei dieser Frage, obwohl auch sie – wie bereits Elena zuvor – an besagte Lampe denken musste.

    Seiana sah überrascht auf, als sie hörte, dass Lucilla mit Germanicus Avarus verheiratet war. Sie meinte etwas von einer Verlobung gehört zu haben, aber Hochzeit? Für einen Moment schloss sie die Augen und seufzte unhörbar. Ein Beweis mehr dafür, wie sehr sie sich im letzten Jahr zurückgezogen hatte, nicht erst seit dem Tod ihrer Mutter, sondern auch in der Zeit davor schon, als sie sich um die immer kränker Werdende gekümmert hatte. Wenn sie nicht einmal mitbekommen hatte, dass Lucilla geheiratet hatte… Es war nicht so, dass sie sich hatte gehen lassen – sie hatte sich einfach nur für fast nichts mehr interessiert. Selbst wenn jemand ihr Neuigkeiten erzählt hatte, hatte sie später nicht mehr sagen können, worüber geredet worden war. Es wurde wirklich langsam Zeit, sich wieder dem Leben zuwandte. Allerdings musste sie darauf gar nicht reagieren, denn Meridius sprach bereits weiter und erzählte ihr nun, wer gestorben war. Seiana wurde blass, und für einen Moment regte sie sich gar nicht. Es war schlimm genug, wenn Eltern starben – aber letztlich war das, so schwer es ihr auch fiel das auch nur zu denken, etwas normales, etwas, was natürlich war und irgendwann einfach passierte. Aber das eigene Kind? Eltern sollten nicht ihren Sohn beerdigen müssen, das war einfach nicht richtig, das war… falsch.


    Spontan beugte Seiana sich vor und legte ihre Hand auf die von Meridius. Möglicherweise war diese Geste zu vertraulich, dafür dass sie erst wenige Momente hier war, aber daran dachte sie im Moment gar nicht. Sie handelte einfach. „Es tut mir leid, das zu hören. Es ist schwer, einen geliebten Menschen zu verlieren, aber ein Kind… Ich kann mir nicht vorstellen, wie das sein muss. Wenn es irgendetwas gibt, was ich tun kann, dann sag es bitte.“ In diesem Augenblick rückte ihre eigene Trauer, die in manchen Momenten noch so frisch zu sein schien wie am ersten Tag, völlig in den Hintergrund. Wieder wurde ihr, für den Bruchteil eines Augenblicks, bewusst wie viel Zeit bereits vergangen war – bald war ein Jahr vergangen, genug Zeit, um sich wieder zu fangen… eigentlich. Meridius’ Verlust dagegen musste sich erst vor kurzem ereignet haben. „Vielleicht kann ich-“ ihre Gedanken rasten für einen Moment und versuchten sich daran zu erinnern, wie Meridius’ Frau hieß, aber bevor die Pause so lang werden konnte, dass sie auffiel, fiel es ihr ein- „Iulia Severa irgendwie behilflich sein. Ihr Gesellschaft leisten, und ihr Aufgaben im Haus abnehmen, sobald ich mich hier wirklich auskenne – vorausgesetzt es gibt noch niemanden, der sie entlastet.“

    Zitat

    Original von Meridius und Mattiacus


    Seiana erwiderte Meridius’ Lächeln und spürte bei dessen Worten, wie die Anspannung – die vorübergehend wieder von ihr Besitz ergriffen hatte – endgültig nachließ. Das hier war ihre Familie, und es war egal dass sie viele von denen, die hier in Rom waren, kaum oder nur von früher kannte. Sie war hier willkommen, einfach so… Genau das war es, was Seiana gebraucht hatte. Worte wie diese, Menschen, die sie einfach willkommen hießen. Das Haus war in Trauer, daher wollte sie ihre Freude und Erleichterung nicht zu deutlich zeigen, aber das war es was sie spürte, in diesem Moment. „Danke. Euch beiden. Ich bin froh, endlich hier zu sein.“ Nicht nur nach der langen Reise, sondern allgemein. Rom war schon immer ihr Traum gewesen… Und nun war sie endlich hier. Unter völlig anderen Umständen als sie es sich ausgemalt hatte, aber immerhin…


    Sie setzte sich wieder und wartete, bis die beiden Männer ebenfalls Platz genommen hatten, bevor sie nach dem Becher griff und einen Schluck trank. Sie wusste nach wie vor nicht, wer eigentlich gestorben war, aber direkt zu fragen wäre ihr zu unhöflich erschienen. Sie würde sich später bei einem der Sklaven erkundigen. Für den Moment beschloss sie, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Meridius’ Frage allerdings ließ sie etwas verlegen lächeln. „Passiert ist nicht viel, nicht so weit ich weiß wenigstens. Ich habe mich in den letzten Monaten nicht sonderlich dafür interessiert, was in Tarraco vorgeht, muss ich gestehen. Aber was ist hier in Rom passiert? Man bekommt umgekehrt ebenso wenig mit, fürchte ich.“ Vor allem sie, die sich in den letzten Monaten herzlich wenig für Nachrichten gleich welcher Art interessiert hatte. Aber sie war hier, um eben das zu ändern, dieses Desinteresse und die Zurückgezogenheit, die sie schon viel zu lange zu prägen schien.

    Seiana war gerade auf dem Weg in den Garten gewesen, als ein Sklave sie aufsuchte und ihr mitteilte, dass Aelius Archias im Atrium sei und nach ihr gefragt habe. Sie tauschte einen Blick mit Elena – der ihre überrascht, der ihrer Sklavin neugierig – und schickte den Sklaven dann zurück mit dem Auftrag, den Gast ins Peristylium zu bringen, wo er auf sie warten sollte. Danach drehte sie sich zu Elena um. „Was will Aelius Archias hier?“
    Elena zuckte leicht die Achseln. „Ich habe keine Ahnung. Aber du scheinst ihm gefallen zu haben – als wir auf den Märkten waren.“
    „Unsinn.“ Seiana runzelte die Stirn. So weit sie sich erinnern konnte, war der Aelier ein recht fröhlicher Mensch gewesen, und sie dagegen eher… nun ja, sie hatte die Ablenkung genossen, aber sie hatte sich doch meistens zurückgehalten. Sie selbst war jedenfalls nicht der Ansicht, eine wirklich angenehme Gesprächspartnerin gewesen zu sein. Elena dagegen zuckte erneut mit den Achseln. „Nun, du findest es nicht heraus, wenn du hier bleibst.“


    Kurze Zeit später war Seiana zusammen mit Elena auf dem Weg zum Säulengang. Sie war schon einige Tage hier, lange genug, um sich im Haus inzwischen einigermaßen auszukennen. Sie hatte ihre Zeit damit verbracht es zu erkunden, die Bewohner kennen zu lernen, ihre Familie… Im Übrigen hatte sie viel Zeit in der Bibliothek verbracht, die um einiges besser ausgestattet war als die, die sie in Tarraco gehabt hatten. Sie liebte das geschriebene Wort, vor allem die griechischen Tragödien, aber auch Komödien – noch mehr genoss sie es, sie gespielt zu sehen, aber selbst sie zu lesen reichte ihr schon, um abzutauchen in diese so vertrauten und doch anderen Welten, die dort heraufbeschworen wurden. Ein Lächeln flog über ihr Gesicht, als sie an Aesops Fabeln dachte, die zur Zeit neben ihrem Bett lagen, dann erreichte sie auch schon den Säulengang, wo der Aelier mit seinem Sklaven bereits wartete. Elena blieb ein paar Schritte zurück, während Seiana auf ihn zuging und leicht den Kopf neigte. „Aelius Archias. Was verschafft mir die Ehre?“ Sie winkte Elena ein Stück näher und sah ihn fragend an. „Kann ich dir etwas anbieten?“

    Seiana lächelte und trank erneut einen Schluck. „Ja… mein älterer Bruder, Caius, ist auch auf dem Weg hierher. Er hat sich von unserer Gruppe getrennt, als wir in Rom angekommen sind, dürfte aber ebenfalls bald hier eintreffen.“ Sie wusste nicht, was Caius noch vorgehabt hatte, und sie hatte auch nicht gefragt, als er verkündet hatte, noch ein bisschen durch Rom zu streifen, bevor er das Haus der Decimer aufsuchen würde. Sie hatte einfach nur ankommen wollen. „Was hast du gemacht, seit du aus Tarraco fort bist? Oder besser, was machst du inzwischen?“


    Sie sah auf, als noch jemand das Atrium betrat. Seiana meinte den Mann zu kennen, aber bevor sie überlegen konnte, wer er sein mochte, kam er schon auf sie zu und stellte sich vor. Meridius. Mit ihm hatte sie Kontakt gehabt, hatte ihren Wunsch mitgeteilt, nach Rom zu ziehen. Sie erhob sich, um ihn zu begrüßen. „Ich bin Seiana.“ Sie hatte das Zeichen der Trauer an der Tür gesehen, ebenso wie die Trauerkleidung der Sklaven, aber bisher hatte sie es vorgezogen, keinen Gedanken daran zu verschwenden, wer gestorben sein mochte, zumal Mattiacus dazu noch nichts gesagt hatte. Aber bei Meridius fühlte sie sich veranlasst, doch etwas zu sagen. „Der Augenblick meiner Ankunft scheint ungünstig zu sein. Ich… möchte niemandem zur Last fallen, verzeih mir.“

    „Nein, ich komme aus Tarraco. Ein Großteil meiner Familie lebt aber hier in Rom.“ Seiana überlegte einen Moment und fügte dann hinzu: „Ich bin erst vor ein paar Tagen hier angekommen.“ Alles weitere verschwieg sie – warum, wie lange, das war nichts worüber sie jetzt reden wollte. Vor allem über das Warum nicht. Und das Wie lange… sie wusste ja selbst nicht wie es weitergehen sollte. Aber zum ersten Mal seit längerem verzogen sich die trüben Gedanken und Grübeleien – nicht nur oberflächlich, sondern beinahe vollständig. Sie wollte nicht wieder damit anfangen, auch wenn das hieß, dass sie sich etwas wortkarg gegenüber ihrer neuen Bekanntschaft gab. Sie hörte sich lieber amüsiert die weitere Unterhaltung über diverse Großonkel an, die die zwei Männer führten, während sie die Lampen musterte und nach einer suchte, die ihr wenigstens etwas zusagte – es konnte doch nicht sein, dass jede der angebotenen so seltsam war.


    Elena stellte sich unterdessen ebenfalls vor und erklärte dann – so leise, dass Seiana es nicht hören konnte –, dass ihre Herrin es gerade nicht leicht hätte und etwas Spaß gebrauchen könne, sich dies aber ihrer Meinung leider viel zu selten gönne oder besser gesagt: sich meistens gar nicht darauf einließe, selbst wenn sich die Gelegenheit böte. Anschließend fragte sie Katander mit einem neckischen Augenaufschlag, was für ‚Dienste’ ihm denn vorschwebten. Seiana bekam davon tatsächlich nichts mit, war sie doch in genau diesem Moment damit beschäftigt, etwas verwirrt und ziemlich verblüfft den Aelier zu betrachten, der sich für eine der Lampen zu erwärmen begann. Genauer gesagt schien er begeistert zu sein. Seiana sah sich das gute Stück an, musterte ihn, anschließend den Flavier, nur um dann wieder, etwas zweifelnd, die Lampe zu betrachten. Meinte er das ernst? Es war nicht einmal so sehr die Form, die Seiana störte – im Gegenteil, diese Lampe hatte, im Gegensatz zu den meisten anderen, eine durchaus ansprechende Form. Aber die Farben… eine eher seltsame Mischung aus rot und grün zeichnete die Lampe aus. Und dann noch für ein Arbeitszimmer… Seiana legte den Kopf leicht schief. „Ich weiß nicht… Die Farben sind… gewöhnungsbedürftig.“

    Ihre Aufregung war mit einem Schlag verschwunden, als Seiana Marcus’ freundliche Begrüßung hörte. Es mochte viele hier geben, die sie schon lange nicht mehr gesehen hatte, aber es war doch ihre Familie. Für einen Augenblick musste sie an Faustus denken, und sie fragte sich, was er wohl gerade tat. Man hatte ihr gesagt, dass er in die Legion gegangen und nun schon seit einiger Zeit in Parthien war, und ihre Gefühle waren gemischt. Ein Teil von ihr war immer noch wütend auf ihn, weil er einfach gegangen war, aber sie vermisste ihn, hatte ihn vom ersten Moment, da er weg war, vermisst – und seit dem Tod ihrer Mutter noch viel mehr. Der Gedanke, dass ihr kleiner Bruder irgendwo in diesem Krieg fiel und sie ihn nicht wiedersehen würde, drehte ihr den Magen um, und der heftige Streit, den sie gehabt hatten, machte es noch schlimmer. Auf der anderen Seite war sie stolz auf ihn, weil er es offenbar geschafft hatte, sich wieder aufzurappeln – und Wehmut war da, dass ihre Mutter das nicht mehr miterleben konnte. Wie sehr hatte sie sich gewünscht, dass Faustus diesen Weg wählte, und jetzt wo er ihn beschritt, war sie nicht mehr da.


    Seiana spannte kurz ihre Kiefermuskeln an und vertrieb diese Gedanken. Wenn es den Göttern gefiel, würde Faustus aus dem Krieg wieder heimkehren, und dann… sie wusste nicht, was dann kommen würde, wusste nicht wie sehr er sich verändert hatte, und da war immer noch der heimliche Groll, den sie selbst hegte. Aber ihr war inzwischen immerhin bewusst, dass sie im Grunde nicht wirklich wütend auf ihn gewesen war, sondern auf die Umstände, die sie in Tarraco gehalten hatten. Er war gegangen, aber was hätte sie getan, hätte sie die Wahl gehabt? Seiana verzog ihren Mund zu einem Lächeln und schob die Grübeleien endgültig weg. „Es müssen annähernd zehn Jahre her sein, denke ich.“ Sie folgte Marcus und setzte sich auf den angebotenen Korbsessel. Was machte sie hier… „Ich bin hier…“ Sie stockte kurz und setzte dann neu an. „Ich bin nach Rom gekommen, um hier zu wohnen. Ich habe schon länger darüber nachgedacht, und seit… seit dem Tod meiner Mutter…“ Seiana war froh, als der Sklave wieder herein kam und ihnen die Getränke brachte, Wein mit Wasser vermischt. Sie nahm einen Becher und nippte daran, bevor sie weitersprach. „Sie war der Hauptgrund, warum ich in Tarraco geblieben bin, und nachdem alle ihre Angelegenheiten geordnet waren, gab es kaum noch etwas, was mich dort hielt.“ Ganz im Gegenteil. Seit ihrem Tod gab es immer mehr, was Seiana schließlich vertrieben hatte – angefangen mit den Erinnerungen bis hin zu dem Mitleid der Menschen, das sie irgendwann nicht mehr ertragen hatte. Sie nippte erneut an dem Weingemisch und lächelte dann wieder. „Und jetzt bin ich hier.“

    Seiana musste schmunzeln, als ihr Kommentar eher Verwirrung als Heiterkeit auszulösen schien, aber sie ging nicht weiter darauf ein. Stattdessen wurde ihr Schmunzeln noch etwas breiter, als die Herren sich anboten sie zu beschützen. Die Frage ‚Und wer schützt mich vor euch’, lag ihr auf der Zunge, aber sie verbiss sie sich rechtzeitig. Sie kannte beide zu wenig, als dass sie sich so einen Kommentar erlauben würde. Nur ihre linke Augenbraue wanderte leicht nach oben, bevor sie lächelte. „Eindeutig zu gefährlich.“ Der Markt strotzte vermutlich nur so vor verborgenen Untiefen und Gefahren, die sie nur noch nicht entdeckt hatte. Ihre Gedanken schweiften kurz ab, wanderten zurück, nach Spanien, und den Spielen, die sie sich früher als Kinder ausgedacht hatten… Selbst die langweiligsten Orte waren zu aufregenden Abenteuerschauplätzen geworden, allein durch ihre Phantasie. Seiana konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart und meinte zu dem Flavier gewandt: „Offen gestanden hatte ich gar nichts vor. Ich wollte nur ein wenig über den Markt schlendern“, weil mich Elena überredet hat…, „um“, ja, um was eigentlich? Um Zerstreuung, Ablenkung zu suchen von einem Haus, das sie noch gar nicht wirklich kannte? „ihn kennen zu lernen. Erst mal. Von daher richte ich mich gerne nach euch beiden, wo es hingehen soll.“


    Im Gegensatz zu Seiana bemerkte Elena durchaus, dass der Aelier ihre Herrin länger zu mustern schien als normal war, und innerlich schüttelte sie über diese den Kopf, aber sie hielt sich zurück, und während sie sich in Bewegung setzten und aus Seianas Haar sich tatsächlich eine Strähne löste – die sie allerdings nicht weiter beachtete –, begannen sich die beiden Männer über die Flavier zu unterhalten. Seiana konnte nicht viel dazu beitragen – zwar gab es auch einen hispanischen Zweig der flavischen Familie, aber sie hatte nie viel mit ihnen zu tun gehabt, und so hörte sie schweigend, aber dennoch interessiert zu, bis ihr der Sklave des Aeliers etwas anbot. „Gerne.“ Mit einem freundlichen Lächeln nahm sie ein Stück Konfekt, während Elena sich ein Grinsen verkniff. Auch wenn sie der Meinung war, dass ihre Herrin manchmal zu sehr dem folgte, was ihrer Meinung nach von ihr erwartet wurde, war sie in diesem Fall froh darum. „Das nächste Mal sollte ich sie vielleicht schubsen, wenn das immer so gut funktioniert“, murmelte sie leise vor sich hin und lächelte dem anderen Sklaven zu, der neben ihr ging, während Seiana in eine Richtung deutete. „Dort drüben. An diesem Stand gibt es Lampen.“ Verwirrt zog sie die Augenbrauen zusammen, als sie näher kamen und sie die Auslage genauer betrachten konnte. „Etwas… ausgefallene Modelle, scheint mir.“ Lampen in allen Formen und Größen schien es zu geben – bauchige, längliche, solche mit schlangenartigen Fortsätzen und jene mit fremdartig anmutenden Verzierungen. Darüber hinaus schillerten sie in allen möglichen Farben und allen unmöglichen Farbkombinationen. Etwas ratlos sah Seiana den Flavier an, bevor sie wieder die Ware musterte. „Ich weiß nicht… ob du hier tatsächlich etwas finden wirst…“ Möglicherweise fand sich ja irgendwo unter diesen teils recht absurden Lampen eine, die den Geschmack des Flaviers traf.

    Elena bedankte sich bei dem Ianitor und trat einen Schritt zurück, um ihrer Herrin den Vortritt zu lassen. Seiana ging an ihr vorbei und betrat das Haus, und ihr Herz klopfte noch schneller. Das hier war ihre Familie, und viele von ihnen kannte sie sogar noch aus Tarraco. Was sollte denn schon passieren? Aber sie konnte sich einfach nicht helfen. Sie hatte nicht wirklich Zweifel daran, dass sie mit offenen Armen empfangen werden würde – aber die Ungewissheit über das, was nun kommen würde, nagte an ihr. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte sie sich verloren gefühlt. Nach Rom zu gehen, war ein erster Schritt gewesen, um sich selbst aus der Lethargie zu reißen, aber nun, wo sie hier war, wurde ihr auf einmal klar, dass es allein damit nicht getan war. Sie war in Rom – aber nur dadurch würde sich nicht viel verändern, abgesehen von ihrer Umwelt. Ihre Trauer würde nicht geringer werden, es würde ihr nicht leichter fallen Menschen zu begegnen… Das waren Dinge, an denen sie selbst arbeiten musste. Ein anderes Umfeld konnte ihr dabei helfen, ihr aber nicht alles abnehmen. Einen winzigen Moment zögerte Seiana. Dann straffte sich ihre Haltung, und sie betrat das Haus.


    Im Atrium war, wie der Ianitor gesagt hatte, Mattiacus. Ein Lächeln huschte über Seianas Gesicht, als sie ihn sah. Obwohl eigentlich ihr Onkel, waren sie ungefähr gleich alt und hatten als Kinder in miteinander gespielt, bis er mit 12 Jahren fortgeschickt worden war. Er hatte sich verändert – sicher, er war erwachsen geworden, ebenso wie sie –, aber nicht so sehr, dass sie ihn nicht wiedererkannt hätte. „Marcus.“ Ihr Lächeln war ehrlich, während sie auf ihn zuging, und sie spürte, wie ihre Aufregung etwas nachließ. „Ich freue mich, dich nach so langer Zeit wiederzusehen.“

    Seiana neigte leicht ihren Kopf und lächelte erneut, als die beiden Männer sich vorstellten, musste dann etwas schmunzeln, als mehr als nur höfliches Geplänkel kam. „Da bin ich erleichtert, Aelius Archias. Ich wäre untröstlich gewesen, wäre mir nicht verziehen worden“, meinte sie trocken, und in ihrer Stimme schwang ein Hauch von gutmütigem Spott mit. Die Aufmerksamkeit des Jungen wandte sich inzwischen irgendwo anders hin, in jedem Fall schien er Elena nicht zu bemerken, und diese zuckte leicht die Achseln und zwinkerte nun auch dem anderen Sklaven zu, der sie zu musterte. Unterdessen schlug der Aelier vor, gemeinsam über den Markt zu gehen, und das lenkte die Aufmerksamkeit der Leibsklavin wieder auf ihn.


    Elena war von diesen Worten sichtlich angetan – sie fand, ihrer Herrin konnte es nut gut tun, etwas Gesellschaft zu haben. Wären sie allein gewesen, hätte sie auch etwas dementsprechendes gesagt, aber sie waren nicht allein, und Elena wusste was sich für sie gehörte. Seiana dagegen wusste zwar ohnehin, was ihre Sklavin dachte, war aber hin- und hergerissen. Sie war zur Zeit keine sonderlich gute Gesellschaft, das hieß, sie war es doch, wenn es sein musste, einfach weil sie gelernt hatte, die Maske zu wahren – aber sie hatte sich in den letzten Monaten so oft dazu zwingen müssen, dass sie eher wenig Bedürfnis danach hatte. Sie ließ ihren Blick kurz über den Markt schweifen und zögerte einen Moment. „Nun… Um ehrlich zu sein, ich bin erst vor kurzem nach Rom gekommen und heute das erste Mal auf dem Markt. Ich denke…“ Wieder ein Zögern, kaum merklich, dann gab sie sich einen Ruck. „Ich denke es kann nur von Vorteil sein, ihn nicht alleine zu erkunden.“„Wo es doch Sonderangebote gibt“, murmelte Elena grinsend, erfreut, dass ihre Herrin offenbar selbst merkte, was gut für sie war.

    Seiana lächelte höflich, als sie die Reaktionen vernahm – so höflich wie es sich geziemte, wie die Menschen ihres Standes nun einmal waren, zu sein hatten. Sie hätte sich lieber über die Frau mit dem Bauchladen ausgelassen, die inzwischen in der Menge verschwunden war, aber das kam kaum in Frage. Stattdessen war sie nun wohl oder übel gezwungen, sich in ein ebenso höfliches Gespräch verwickeln zu lassen, wonach ihr ebenfalls wenig der Sinn stand. Aber nun einfach wieder zu gehen wäre unhöflich gewesen, und sie hatte ja nach Ablenkung gesucht – vielleicht würde es ein Gespräch mit den ihr noch Unbekannten ja schaffen, sie auf etwas anderes zu bringen. Nach außen ließ sie sich wenig von ihren doch etwas trüben Gedanken anmerken, und ihr höfliches Lächeln wurde freundlicher und erreichte ihre Augen, als der Mann, den sie angerempelt hatte, als Gegenleistung ihren Namen verlangte.


    Sie nickte dem Jüngeren der beiden kurz zu, bevor sie antwortete. „Es war nicht eure Schuld, dass ich gestolpert bin. Nun“, ihr Blick wanderte zu dem anderen, und ihre Miene blieb ruhig – nur das Funkeln in ihren Augenwinkeln und der etwas veränderte Ton ihrer Stimme verrieten, dass sie auf seinen Spaß einging, „dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig als mich vorzustellen. Ich bin Decima Seiana.“ Sie musterte die kleine Gruppe, in die sie gestolpert war – zwei Männer, einer wohl etwa so alt wie sie, einer älter, beide offenbar aus einer besseren Familie, beide in Begleitung eines Sklaven. „Ich freue mich, eure Bekanntschaft zu machen…“ Abwartend sah sie die beiden an, während Elena dem Jungen, der sich in der Begleitung eines der beiden Männer befand, zuzwinkerte.