Seiana sah auf ihre Hände, die ineinander verschränkt in ihrem Schoß lagen. „Das ist selbstverständlich“, hörte sie sich auf den Dank erwidern, und sie meinte es auch so. Egal wie das nun zustande gekommen war, dass sie für Magnus' Kinder – und ihre Mutter – immer da sein würden, wenn diese etwas brauchten, war außerhalb jeder Diskussion. Trotzdem brachte sie es nicht fertig, Venusia wirklich anzusehen... bis diese auf ihren Bruder zu sprechen kam. Beinahe ruckartig hob Seiana den Kopf und sah sie an, gespannt auf das, was Venusia erzählen würde. Seit ihrem Besuch bei ihm hatte sie von ihm nichts mehr gehört, und sie hatte es nicht gewagt um einen weiteren zu bitten, war sich nahezu sicher, dass ihr eine solche Bitte abgeschlagen werden würde. Und es war ja auch wichtiger dafür zu sorgen, dass Faustus irgendwie mit dem Leben davon kam, anstatt die Gunst des Tribuns aufzubrauchen, indem sie um letztlich sinnlose Besuche bat – sinnlos jedenfalls, was die mögliche Rettung ihres Bruders anging.
Sie sah also hoch, als Venusia ihren Bruder erwähnte, aber viel war es nicht, was sie zu Faustus sagte, und da sie gleich weiter sprach, verzichtete Seiana darauf nachzufragen. Allerdings wusste sie auch nicht so recht, was sie zu den Kindern sagen sollte... sie glaubte einfach nicht daran. Wenn sie in Germanien aufwuchsen, bei den Duccii, und wie Duccii, würden sie sich dorthin gehörig fühlen. Nicht zu den Decimi, weder in Rom noch in Tarraco. Und wenn sie je nach Rom kamen... nun, Secundus vielleicht. Aber Seiana hegte wenig Zweifel daran, dass er es dann tun würde, um hier Karriere zu machen, und nicht etwa weil er wirklich sein Leben bei der Familie verbringen wollte, die für ihn wohl kaum mehr sein würde als die seines vor Jahren gestorbenen Vaters. „Lass sie regelmäßig ihrer Ahnen gedenken. Nicht nur zu den üblichen Feiertagen, auch so... hin und wieder“, bat sie schließlich nur mit einer Stimme, die ein wenig belegt klang, und ohne es zu wollen musste sie an das Kind denken, das wohl niemals der Ahnen seines Vaters gedenken würde. Das nicht einmal wissen würde, wer seine Ahnen waren. Wenn es denn überhaupt noch lebte, hieß das – wäre das nicht der Fall, hätte sie wohl ein Problem weniger, aber der Gedanke es könnte so sein, ließ Seiana doch ein wenig frösteln. Sie hatte sich immer noch nicht mit dem Gedanken anfreunden können, dass es ihr Kind war, ihre Tochter – hier, wo sie sie nicht einmal in der Nähe hatte, nicht einmal die Gelegenheit sie zu sehen wenn sie denn wollte, weniger denn je –, aber trotzdem wünschte sich ein Teil von ihr, dass es dem Kind gut ging. Wieder räusperte sie sich, während sie zugleich die Gedanken verscheuchte. „Ich bin nicht mehr im Carcer wie noch zu Beginn meiner... meines Aufenthalts hier. Alles ist besser als das.“ Aus irgendeinem Grund wollte ihr das Wort Gefangenschaft nicht über die Lippen gehen, obwohl es die korrekte Bezeichnung gewesen wäre. „Mein Bruder... was hat er gesagt? Wie hält er sich?“