Beiträge von Decima Seiana

    http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png Eigentlich hatte Raghnall keine Antwort erwartet. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was kommen würde wenn der Decimus aus der ganzen Sache heil rauskam, er hatte das eigentlich nicht unbedingt hören müssen. Sein Gesichtsausdruck wurde düster, als er den Iunius die Optionen aufzählen hörte, aber er kommentierte es nicht weiter... es gab einfach nichts zu sagen. Und nichts zu tun, außer abzuwarten.


    Mit dem nächsten Thema hatte Raghnall dann erfreulicherweise weit mehr Erfolg als mit dem ersten, und das schon nach der ersten kleinen Frage. Er sah, wie seinem Gegenüber die Gesichtszüge entglitten, für einen Moment nur, aber der war genug. Es bedeutete ihm etwas, hieß das, und genau das deutete er auch mit seinen Worten an: er wollte für die Kleine sorgen. „Ob Seiana was erwähnt hat?“ Raghnall stieß einen Laut aus, der halb Schnauben und halb Lachen war. „Natürlich hat sie das. Sie hat schon alles durchgeplant, was denkst du denn? Ich dachte du kennst sie inzwischen.“ Er zuckte die Achseln. „Aber du bist der Vater. Hau auf den Tisch, wenn's sein muss. Das heißt, wenn du das wirklich willst. Wenn nicht: wie schon gesagt, sie hat sich um alles gekümmert. Das Mädchen wird als Decima aufwachsen. Irgendein entfernter Zweig, in irgendeiner Provinz, Eltern gestorben“, umriss er kurz, was Seiana sich gedacht hatte.





    SKLAVE - DECIMA SEIANA

    Mit dem Flavier würde er also definitiv reden. Immerhin etwas. Seiana war erleichtert, dass wenigstens das klappen würde. Bei den beiden anderen klang der Duccius dagegen nicht sonderlich positiv. Der eine: mal sehen. Der andere: würde wohl zu spät sein. Verurteilung, echote es in ihrem Kopf. Seiana verschränkte die Arme und ballte die Hände dabei zu Fäusten, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten – was man im Dämmerlicht des Abends alledings kaum noch würde erkennen können. Verzweifelt überlegte sie, zum ungezählten Mal, wen sie noch fragen könnte – aber außer den dreien wollte ihr keiner einfallen. Keiner, der nach den Wirren des Kriegs noch genug Einfluss besaß und auf der richtigen Seite gestanden hatte, oder wenigstens neutral genug geblieben war, dass sein Wort Gewicht haben würde. „Ich fürchte sonst gibt es niemanden, dessen Hilfe sich auch lohnen würde. Dennoch danke. Wenn du Senator Flavius überzeugen kannst...“ Seiana räusperte sich. „Vielleicht hilft es was“, beendete sie den Satz murmelnd, mehr zu sich selbst als zu ihm.

    Seiana hatte Mühe ihre Enttäuschung zu verbergen, als Venusia bestätigte, dass sie ihr kaum mehr erzählen konnte als das, was sie ohnehin schon gesagt hatte. Unwillkürlich rieb sie sich mit dem Daumen ihrer Linken über den rechten Handrücken, drückte so fest zu, dass es weh tat. Es gefiel ihr nicht, wie schlecht es Faustus ging. Bisher hatte sie immer nur daran gedacht, ihn irgendwie zu retten, aber jetzt begann sie zum ersten Mal begann sich zu fragen, was dann. Was dann? Was, wenn es ihm nicht besser gehen würde? Was, wenn er einfach nicht mehr der Alte werden würde? Es ging ihm nicht nur schlecht, weil er verwundet worden war und seit Wochen und Wochen im Carcer saß. Er litt unter der Niederlage, darunter, dass die Rebellen gewonnen hatten. Die Verräter, die Kaisermörder... die, die er dafür hielt jedenfalls, nach allem was er herausgefunden, allen die er befragt hatte, und wenn Seiana ehrlich zu sich selbst war, war sie nach wie vor geneigt dazu das gleiche zu glauben. Sie war nur nicht ehrlich zu sich selbst, oder besser: sie vermied es, überhaupt darüber nachzudenken. Es spielte ohnehin keine Rolle. Wichtig war nur ihre Familie... Aber wie um alles in der Welt sollte sie ihrem Bruder helfen, wenn er um sich herum nur noch Verräter sah oder Opportunisten? „Keinen guten“, antwortete sie müde. So sehr sie versuchte, ihre Maske zu wahren, konnte sie doch nicht leugnen, dass sie sich danach sehnte, mit jemandem zu reden. Sie lebte zurückgezogen und ging selten aus sich heraus, aber auch sie brauchte Gespräche, sozialen Kontakt. Aber seit Wochen war sie allein – die Wachsoldaten zählten nicht, der Sklave, der ihr das Essen brachte oder sonst etwas, wenn sie etwas brauchte, noch weniger... der Duccius war der einzige gewesen, mit dem sie wirklich hatte reden können, und die Gespräche mit ihm konnte sie an einer Hand abzählen – und hatten nie sonderlich lange gedauert. Wohl das war der Grund, dass sie sich nicht so gut unter Kontrolle hatte wie üblich. „Seine Wunden sind immer noch nicht ganz verheilt, glaube ich, oder er ist krank geworden im Carcer. Aber schlimmer ist sein geistiger Zustand. Er war so... depressiv, als ich bei ihm war.“ Und am Ende war er in Wahnvorstellungen abgeglitten. Oder Fieberphantasien, was auch immer es gewesen sein mochte. „Er kommt nicht klar, und ich weiß nicht ob sich das ändern wird, sollte er... sollte er irgendwie mit dem Leben davon kommen.“

    Seiana presste die Lippen aufeinander, als sie die nächste Frage hörte. Sie hatte sich da selbst hinein manövriert, das wusste sie, nur leider war ihr das zu spät klar geworden. „Eigentlich sehe ich die Acta als beiden verpflichtet an, Senat und Kaiser gleichermaßen. Aber unter Salinator und Valerianus, unter dem auch schon Salinator die Zügel in der Hand hatte: ja. Da habe ich mich mehr dem Senat verpflichtet gefühlt“, antwortete sie langsam, machte eine kurze Pause und fuhr dann fort, seine Fragen zu beantworten. „Seine Version vom Tod des Kaisers oder die Proskriptionsliste beispielsweise wurden auf ausdrücklichen Wunsch von Vescularius veröffentlicht, der das durch einen Urbaner hat übermitteln lassen.“ Was zeigte, wie ausdrücklich der Wunsch gewesen war. Es kam ja schon selten genug vor, dass so etwas von einem Boten überbracht wurde, geschweige denn einem Soldaten der Cohortes Urbanae. „Ein weiteres Beispiel ist das Gespräch mit meinem Bruder, das ich publik gemacht habe, über seine Ermittlungen zum Consular Vinicius Lucianus.“ Dass sie nicht hätte veröffentlichen sollen. Nicht zu jenem Zeitpunkt, als ihr Bruder mit den Prätorianern schon abmarschiert war aus Rom und der Bürgerkrieg in vollem Gang, nicht, so lange sie nicht wusste wie der Ausgang sein würde... aber sie hatte es Faustus versprochen gehabt. „Und meine Gründe... das ständige Bewusstsein darüber, dass das Wohl meiner Familie unter Vescularius auf Messers Schneide stand. Auch wenn er meinen Bruder gefördert hat, ich glaube nicht, dass er vergessen hatte, wie sich mein Onkel mit ihm angelegt hat, und das in der Curia Iulia, vor allen Senatoren. Und ihm hat auch nicht gefallen, wie die Acta lange berichtet hat. Er hat die Prätorianer zu mir geschickt, zwei Mal ins Haus meiner Familie, einmal ins Gebäude der Acta, und alles von oben bis unten durchsuchen und beschlagnahmen lassen, weil ihm zu kritisch war, was geschrieben wurde. Ich bin beide Male verhört worden, und die Drohungen in diesen Gesprächen wurden sehr explizit.“ Seiana räusperte sich leise und versuchte, den Kloß in ihrem Hals wegzubekommen, der sich gebildet hatte bei diesen Worten. Sie sprach nicht gern über diese Dinge, so wie sie generell über nichts gern sprach, was ihr persönlich unangenehm war. Was sie schwach sein ließ. Und das hier ließ sie schwach sein, weil sie sich immer noch lebhaft an die Angst, die Panik erinnern konnte, die sie gehabt hatte, wenn sie sich so wie jetzt daran erinnerte, ohne die Möglichkeit es wegzuschieben. Trotzdem wusste sie, dass sie diese Dinge erzählen musste, um deutlich zu machen dass sie keine andere Wahl gesehen hatte als sich zu fügen, weit genug, dass der Vescularius zufrieden gewesen war. „Ich war allein in Rom damals, und nach der zweiten Begegnung mit der Garde... nach den Drohungen mir gegenüber habe ich keine Wahl gesehen als mich Vescularius' Wünschen schließlich doch noch anzupassen. Also habe ich getan, was ich für nötig hielt, um mich und meine Familie zu schützen. Ich habe den damaligen Praefectus Praetorio geheiratet, um einer Anklage zu entgehen und zu zeigen, dass ich gewillt war mich zu beugen. Und ich habe begonnen Dinge in der Acta zu veröffentlichen, die ich davor nicht veröffentlicht hätte.“

    http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png Raghnall verzog das Gesicht bei der Beschreibung. Zwar verwunderte es ihn etwas, was der Iunius erzählte – dass der Decimus offenbar in einem der schlimmeren Löcher gelandet war, obwohl er anderswo gehört hatte, dass er aufgrund seiner Position eigentlich eine der besseren Zellen bekommen hatte –, aber er war nicht selbst im Carcer gewesen. Und selbst die besseren Zellen würden nicht angenehm sein, schon gar nicht wenn man verwundet war. „Die Frage ist nur was kommt, wenn er es übersteht.“ Was der Cornelius machen würde mit dem Mann. Vielleicht war es besser für ihn, wenn er im Carcer starb. Aber Raghnall konnte nicht anders als dem Iunius insgeheim beizupflichten: er hoffte, dass der Decimus es überstand. Er kannte Seiana wie kaum jemand sonst, und er wusste besser als jeder andere, dass es das Potential hatte seine Herrin zu zerstören, wenn sie ihren Bruder verlieren sollte.
    Nach einem Moment des Schweigens räusperte sich Raghnall und wechselte dann das Thema. „Was hast du wegen dem Mädchen vor?“ Ein bisschen überfallartig, aber das war bewusst – er wollte sehen, wie der Iunius reagierte, wenn er so unvorbereitet auf das Kind angesprochen wurde.





    SKLAVE - DECIMA SEIANA

    http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png Name bekannt – sehr gut. Jetzt musste nur noch die Situation genug entspannt werden, dass sie wirklich ins Plaudern kamen. Was noch schwierig werden konnte, die erste Hürde war nicht die größte gewesen, das war dem Gallier bewusst... zuerst mal würde es um seinen Kontakt gehen, und da hieß es aufpassen. Er musste so wirken, dass er diesen Firmus gut genug kannte, um auch bei dessen Kumpel einen Vertrauensvorschuss zu haben – gleichzeitig durfte er nur ja nichts irgendwie hinzuzudichten zu dem, was er wusste, was seinem Gegenüber dann als falsch auffiel. Allerdings war das nicht das erste Mal, dass er so was machte, weshalb Raghnall einfach locker blieb und erst mal abwartete. Einen Schritt nach dem anderen, und der erste war schon mal erfolgreich gemacht.
    „Klar hat er das. Den Arsch gerettet, die Schlacht gewonnen, mit eurer Aktion, hat er gesagt.“ Ein bisschen Honig ums Maul schmieren konnte nicht schaden, und immerhin: die Geschichte hatte er inzwischen mehr als nur einmal gehört, oft genug, dass da wohl was Wahres dran war. Mit einem Nicken ließ Raghnall sich auf dem Stuhl nieder und prostete dem Soldaten zu. „Nein, ich bin kein Soldat“, winkte er mit einem Grinsen ab. „Calvus ist mein Name. Ich hab Firmus kennen gelernt, als ich in Mantua was zu tun hatte für meinen Patron vor ein paar Jahren... Und gerade als ich da war, hatte ne furchtbare Seuche die ganze Stadt lahmgelegt, die mich auch erwischt hat. Firmus hat mich von der Straße aufgesammelt und in eins der Lazarette gebracht, in denen er auch Dienst hatte, und ich schwör dir: ohne den Mann wär ich damals verreckt.“





    SKLAVE - DECIMA SEIANA

    Nicht gut. Seiana konnte gar nicht anders als die Worte negativ zu interpretieren. Wenn er wenig Zeit hatte... sie presste die Lippen aufeinander und gab sich einen Ruck. Er hatte versprochen, ihr zu helfen. Den Decimi zu helfen. „Senator Manius Flavius Gracchus.“ Den höchsten Trumpf, den sie hatten. „Senator Cnaeus Antius Postumus, er war unter Valerianus lange Jahre ein Gönner der Acta...“ Und ihr noch einen Gefallen schuldig, einen der groß genug war, und, was genauso wichtig war: er hatte sich explizit auf Seiten Palmas gestellt, nachdem es ihm gelungen war sich aus Rom zurückzuziehen. Davon kannte sie nicht allzu viele, die beide Kriterien erfüllten und hoch genug standen, dass ihr Wort genug Einfluss hatte. „Der Primus Pilus der Prima, Iulius Licinus... mein Bruder und er sind alte Kameraden, noch aus Zeiten des Parthien-Kriegs.“ Seiana warf dem Tribun einen Blick von der Seite zu, in der Hoffnung endlich irgendetwas zu sehen in seiner Miene, was ihr half einzuschätzen, was er wohl denken mochte.

    Seiana sah auf ihre Hände, die ineinander verschränkt in ihrem Schoß lagen. „Das ist selbstverständlich“, hörte sie sich auf den Dank erwidern, und sie meinte es auch so. Egal wie das nun zustande gekommen war, dass sie für Magnus' Kinder – und ihre Mutter – immer da sein würden, wenn diese etwas brauchten, war außerhalb jeder Diskussion. Trotzdem brachte sie es nicht fertig, Venusia wirklich anzusehen... bis diese auf ihren Bruder zu sprechen kam. Beinahe ruckartig hob Seiana den Kopf und sah sie an, gespannt auf das, was Venusia erzählen würde. Seit ihrem Besuch bei ihm hatte sie von ihm nichts mehr gehört, und sie hatte es nicht gewagt um einen weiteren zu bitten, war sich nahezu sicher, dass ihr eine solche Bitte abgeschlagen werden würde. Und es war ja auch wichtiger dafür zu sorgen, dass Faustus irgendwie mit dem Leben davon kam, anstatt die Gunst des Tribuns aufzubrauchen, indem sie um letztlich sinnlose Besuche bat – sinnlos jedenfalls, was die mögliche Rettung ihres Bruders anging.


    Sie sah also hoch, als Venusia ihren Bruder erwähnte, aber viel war es nicht, was sie zu Faustus sagte, und da sie gleich weiter sprach, verzichtete Seiana darauf nachzufragen. Allerdings wusste sie auch nicht so recht, was sie zu den Kindern sagen sollte... sie glaubte einfach nicht daran. Wenn sie in Germanien aufwuchsen, bei den Duccii, und wie Duccii, würden sie sich dorthin gehörig fühlen. Nicht zu den Decimi, weder in Rom noch in Tarraco. Und wenn sie je nach Rom kamen... nun, Secundus vielleicht. Aber Seiana hegte wenig Zweifel daran, dass er es dann tun würde, um hier Karriere zu machen, und nicht etwa weil er wirklich sein Leben bei der Familie verbringen wollte, die für ihn wohl kaum mehr sein würde als die seines vor Jahren gestorbenen Vaters. „Lass sie regelmäßig ihrer Ahnen gedenken. Nicht nur zu den üblichen Feiertagen, auch so... hin und wieder“, bat sie schließlich nur mit einer Stimme, die ein wenig belegt klang, und ohne es zu wollen musste sie an das Kind denken, das wohl niemals der Ahnen seines Vaters gedenken würde. Das nicht einmal wissen würde, wer seine Ahnen waren. Wenn es denn überhaupt noch lebte, hieß das – wäre das nicht der Fall, hätte sie wohl ein Problem weniger, aber der Gedanke es könnte so sein, ließ Seiana doch ein wenig frösteln. Sie hatte sich immer noch nicht mit dem Gedanken anfreunden können, dass es ihr Kind war, ihre Tochter – hier, wo sie sie nicht einmal in der Nähe hatte, nicht einmal die Gelegenheit sie zu sehen wenn sie denn wollte, weniger denn je –, aber trotzdem wünschte sich ein Teil von ihr, dass es dem Kind gut ging. Wieder räusperte sie sich, während sie zugleich die Gedanken verscheuchte. „Ich bin nicht mehr im Carcer wie noch zu Beginn meiner... meines Aufenthalts hier. Alles ist besser als das.“ Aus irgendeinem Grund wollte ihr das Wort Gefangenschaft nicht über die Lippen gehen, obwohl es die korrekte Bezeichnung gewesen wäre. „Mein Bruder... was hat er gesagt? Wie hält er sich?“

    Der Sklave brachte die gewünschten Getränke und nickte dann auf Massas Befehl hin, bevor er erneut verschwand.


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    Es dauerte nicht lang und Rhea tauchte im Atrium auf, kaum dass Dexter ebenfalls eingetreten war. Da dieser sich gerade vorstellte und mitten in der Begrüßung begriffen war, nickte Rhea Massa nur kurz zu, hielt sich aber zurück, wie es sich gehörte, bis jemand das Wort an sie richtete – ein leichtes Lächeln konnte sie allerdings nicht unterdrücken. Es tat gut, dass nach und nach die Familie wieder zusammenkam.







    VILICA - GENS DECIMA

    „Danke.“ Seiana trat ein, die Tür nach einem kurzen Blick zurück zu den beiden Wachhunden hinter sich schließend – langsam genug, dass sowohl die Soldaten als auch Venusia Einspruch einlegen könnten, sollte sich wirklich irgendwer Gedanken darüber machen, sie könnte hier etwas anstellen. Man gewöhnte sich schneller daran eine Gefangene zu sein, als Seiana geglaubt hätte... und so selbstverständlich sie die Soldaten, die sie stets begleiteten wenn sie durch die Principia ging, ignorierte, so selbstverständlich machte sie mittlerweile auch Blickwechsel wie diesen, über die sie sich im Grunde ärgerte, wenn sie ihr denn selbst bewusst wurden.


    Was in diesem Augenblick nicht der Fall war – zu sehr waren ihre Gedanken auf das kommende Gespräch gerichtet. Sie schloss die Tür hinter sich und ging weiter in den Raum hinein, nahm Platz auf dem Stuhl, den Venusia angedeutet hatte. „Ich habe gehört, du wirst-“ Magnus' Kinder, wollte sie eigenlich sagen, aber sie hielt sich rechtzeitig davon ab. „Deine Kinder aus Tarraco holen und nach Germanien gehen.“ Götter, wie schwer ihr das fiel. Sie war immer noch zutiefst davon überzeugt, dass es falsch war, die Kinder ihrer Familie zu entreißen und fern von ihr aufwachsen zu lassen. Dass sie, so jung wie sie noch waren, bald nur noch dem Namen nach Decimi sein würden, aber nicht mehr im Herzen, wenn es niemanden gab in ihrer unmittelbaren Nähe, der ihnen genau das nahe brachte – und wer sollte das sein, wenn nicht ein Decimus? Und wenn sie diese Gedanken zuließ, fühlte sie sich immer noch wie eine Verräterin an ihrer eigenen Familie, was der Grund war, warum sie sich bemühte so selten darüber nachzudenken.
    Aber das änderte nichts an den Tatsachen. Venusia würde die Kinder mitnehmen, mit ihrem schriftlich festgehaltenen Einverständnis... Und: es waren und blieben die Kinder ihres Onkels. Ihre Familie würde immer für sie da sein, auch wenn sie sich letztlich gegen sie entschieden, so wie es mit Livianus' Kindern gewesen war, die in Britannien bei ihren Großeltern mütterlicherseits aufgewachsen waren. Und das sollten sie auch wissen, ebenso wie die Mutter – auch wenn das hieß, dass Seiana ihren Stolz hinunter schlucken musste, um jetzt hier zu sein und so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung, als würde sie nicht am liebsten dafür sorgen, dass dieses Gespräch gar nicht nötig war. „Ich wollte nur sagen: wenn euch etwas fehlt, egal was – melde dich.“ Sie räusperte sich und zwang sich zu einem Lächeln. „In der nächsten Zeit mag es hin und wieder etwas schwierig werden, aber ich werde dafür sorgen dass ihr alles bekommt, was ihr braucht.“

    Ein Teil von ihr hatte gehofft, dass einfach keine Antwort kommen würde – aber es dauerte nicht lang, da hörte sie ein Herein, und zögernd hob Seiana erneut ihre Hand, griff nach dem Knauf und öffnete die Tür. „Salve, Venusia“, grüßte sie, als die Tür aufschwang, ohne den Raum dahinter allerdings schon zu betreten. Ihre Haltung und ihre Stimme waren förmlich, steif, ihre Hände vor ihrer Körpermitte ineinander verschlungen. „Hättest du einen Augenblick Zeit für mich?“

    Seiana neigte grüßend ihren Kopf, als sie Cornelius dann endlich gegenüber stand, und musterte ihn – mit der gebotenen Zurückhaltung, selbstredend, was etwas schwierig machte einen vernünftigen Eindruck zu bekommen von dem Mann, der über ihr Schicksal und das ihrer Familie entscheiden würde. Sie nickte schweigend, als er kurz nach Bestätigung fragte zu den Angaben, die er über sie gemacht hatte, auch wenn sie nicht sicher war, ob er eine Reaktion darauf überhaupt erwartet hätte, und hörte ebenso schweigend weiter zu. Bis er ihr begann Fragen zu stellen. Vertrauen. Er fragte sie, ob er ihr vertrauen könnte. Und Seiana musste sich eingestehen, dass sie nicht so recht wusste, was sie darauf antworten sollte, und noch weniger wusste sie, was wohl hinter dieser Frage stecken mochte. Es klang fast danach, als wäre er gewillt, ihr eine Chance zu geben – aber es fiel ihr schwer daran zu glauben. Trotzdem antwortete sie, schon allein weil sie sowieso kaum die Wahl hatte es nicht zu tun. „Ich habe die Acta immer als eine Einrichtung gesehen, die vornehmlich dem Senat Rechenschaft schuldet, schon zu Zeiten, als ich noch unter Divus Iulianus für sie gearbeitet habe. Und so habe ich sie auch geleitet, seit ich vom Senat zur Nachfolgerin von Aurelius Corvinus bestimmt wurde. Ich habe versucht, das auch in den vergangenen Jahren so zu handhaben... auch wenn mir das sicher nicht immer gelungen ist.“ Sie hatte versucht, einen Mittelweg zu finden, irgendwie... aber es gab Momente im Leben, da war es nicht möglich, einen Mittelweg zu gehen. Es gab Momente im Leben, da wurde man gezwungen, eine Entscheidung zu treffen, und wenn man sich weigerte, nahmen einem die Umstände es irgendwann ab. Sie atmete leise, aber tief ein. „Ich war nie eine Anhängerin des Vescularius. Genauso wenig habe ich mich aber gegen ihn gestellt. Es hätte bedeutet, mich gegen meine Familie hier in Rom zu stellen.“ Vielleicht war es dumm, das zu sagen. Seiana wusste, dass sie ihr Schicksal damit an Faustus' künftiges Verhalten band, enger, als es das ohnehin schon war. Trotzdem sprach sie es aus. „Verzeih, wenn das deine Frage nicht zu deiner Zufriedenheit beantwortet.“ Genau genommen hatte sie ihm gar nicht wirklich geantwortet.

    Zögernd stand Seiana vor der Tür, die zwei obligatorischen Wachhunde hinter ihr, und sah sie einen Moment lang einfach nur an. So untypisch dieses Verhalten für sie sein mochte, zeigte es, dass es ihr nicht leicht fiel hier zu sein. Sie hatte lange genug gebraucht, um sich überhaupt durchzuringen und herzukommen, seit sie erfahren hatte dass Venusia ebenfalls hier war, nur im Gegensatz zu ihr nicht als Gefangene. Und auch jetzt wo sie hier war, vor Venusias Tür, hatte sie das Gefühl sich immer noch einen weiteren Ruck geben zu müssen. Sie befürchtete Demütigung, und sie hasste diese Aussicht. Trotzdem war sie hier – weil andere Dinge wichtiger waren als ihr Stolz. Und so hob sie schließlich die Hand und klopfte an.

    Der Tribun führte sie aus der Principia hinaus und hinein in das Lager, wo Seiana nun begann, sich tatsächlich unwohl zu fühlen zwischen all den Legionären. Unwillkürlich hielt sie sich näher am Duccius, so nah, dass sie ihn fast berührte, während sie ihren Kopf aufrecht hielt und ihren Blick über die Männer hinweg oder hindurch gehen ließ, an denen sie vorbei liefen. „Es gibt ein paar Männer, die sich möglicherweise für ihn einsetzen würden“, begann sie, als der Tribun nachfragte, ohne dabei auch nur im Geringsten zu erkennen zu geben, was er von dem Thema hielt... was sie erwarten konnte. „Aber bis ich sie selbst bitten kann, das zu tun, ist es für meinen Bruder vielleicht schon zu spät. Würdest du das für mich übernehmen?“

    Obwohl Decimus Massa sich hier auskannte und niemanden brauchte, der ihn führte, ging ihm dennoch ein Sklavenjunge voraus – der sich im Atrium dann sofort nach den Wünschen der Gäste erkundigte, um ihnen Erfrischungen zu bringen.